Seine Haut roch nach Efeu und Farnen, nach süßem Harz, Herbstlaub und Winterkälte. Wann immer er in ihre Nähe kam, wusste Fantachine, dass sie zugleich verlieren und gewinnen würde. Dass ihr Leben keinem aufmerksamen, wachen Dasein glich und dass sie in diesem Spiel nur gegen sich selbst ankämpfen konnte. Es gab keinen Weg aus dieser Situation, sie konnte nicht fliehen, da eine Flucht sie auch von ihm entfernen würde. Nein, selbst das war nicht möglich. Sie konnte nicht die Augen schließen und alles war Vergangenheit. Vielmehr fing doch erst das wahre Leben an, wenn sie schlief. Denn dann kam er und dann war auf einmal alles echt. Seine zarten Finger strichen über ihre Wange und ließen ihre Haut wie elektrisch aufladen. Ein Kribbeln fuhr durch ihren Körper, das an den Haarspitzen begann und sich bis zu ihren Zehen ausbreitete. Wohlige Wärme umgab sie, doch wusste Fantachine auch hier, spät in der Nacht, dass es für diese Liebe eine Begrenzung gab und dass sie ihn nie, niemals einfach spüren konnte, wenn sie sich danach sehnte. Denn Taminoh kam nicht immer. Und dennoch war auf ihn Verlass. „Ich liebe dich, meine Elfe.“ Seine Stimme klang wie flüssiges Gold, ein Mantel von Zuneigung und Zärtlichkeit breitete sich auf Fantachines Schultern aus. Ach, wenn alles doch nur echt wäre. Wenn doch nur… Nein, nicht jetzt. Den ganzen Tag hatte sie auf diesen Augenblick gewartet. Die ganze Zeit hatte sie sein Gesicht vor Augen gehabt, seine mandelförmigen, kastanienbraunen Augen, seine kantigen Züge, seine dunkelbraunen, weichen Haare und vor allem die adrette Art, sich zu kleiden. Nun war er endlich bei ihr. Nun war sie mit Taminoh allein und von keinem ließ sie sich diese äußerst kostbaren Stunden stehlen. Morgen früh würde sowieso alles wieder anders werden und vielleicht hätte sie auch vergessen, welcher Zauber Fantachine nun erfüllte. Aber all das war es wert. Es war jede Sekunde, jedes Opfer und auch jeden noch so großen Schmerz wert. Er war es wert. „Oh Fantachine. Die Zeit ohne dich war grausam. Verlass mich nicht.“ Fantachine bettete sich in den sanften Klang seiner Worte, vergaß Zeit und Raum, vergaß Realität und gab sich ganz ihrer Fantasie hin. „Niemals werde ich dich gehen lassen, niemals werde ich dich verlassen.“, sprach sie wie hypnotisiert. In diesem Moment hörte es sich richtig an. In diesem Moment hätte nichts anderes so gestimmt. In diesem Moment war sie bei ihm und in diesem Moment liebte sie ihn, Zählte nicht der Moment? Doch Taminoh wusste nichts, er wusste nichts von Fantachines Leben. Er wusste nicht, dass all das hier nie wirklich geschah. Er
wusste nicht, wer sie war. Und doch kannte er sie besser als jeder andere. Sie war seine Elfe und er war ihr Wunder. Sein Lächeln verschmolz mit ihrem und wurde zu einer einzigen Geste der Zärtlichkeit. Konnte solch eine Liebe trügen? Konnte solch eine Zuneigung nicht stimmen? „Mein Herz, was betrübt dich?“, fragte Taminoh und beobachtete seine Angebetete aufmerksam. Doch Fantachine wich seinem Blick scheu aus. „Nichts, nichts.“, beteuerte sie, doch ihre Stimme war schwach. „Die letzten Tage bist du so…“, angestrengt suchte er nach dem rechten Wort, doch gab schließlich auf. „Irgendetwas ist anders.“ Ja, das war es. Nun hatte er es ausgesprochen. Es war nicht mehr so wie früher. Zwar glich die Liebe immer noch dem innigsten Gefühl, das Fantachine je verspürt hatte, doch hatte sich etwas anderes mit ihren Empfindungen vermischt. Die Angst, sich an nichts binden zu können. Die Angst, dass sie für diese Beziehung keine Garantie und, was viel schlimmer war, noch nicht einmal einen Beweis hatte. In ein paar Stunden würde sich die Wolkendecke aufreißen, die Sonne käme hervor und alles wäre wie immer. Dann begann das Leben, der Tag, die Routine. Die gleichen Tätigkeiten, die gleichen Abwandlungen, die gleiche Prozedur. Doch das alltägliche Schaffen würde sie niemals mit ihm verbringen dürfen. Denn in ihre Welt war kein Platz für Taminoh. Liebe, so sagte man, könne alles überwinden, doch ist auch sie an das Irdische gebunden. Liebe kann, so lange man lebt, niemals Zeit und Raum überwinden. Genau dieser Punkt machte Fantachine immer wieder deutlich, dass Taminoh ihr nicht gehörte. Dass er aus einem anderen Leben stammte. Denn wie, so fragte sie sich, konnte man jemanden innig und schmerzlich zugleich lieben, wenn dieser bereits seit über 150 Jahren tot war.
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Lektorat: Sleeping-Cinderella
Tag der Veröffentlichung: 20.02.2013
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Widmung:
an alle, die wissen, dass Träume manchmal verlockender sind als die Realität.