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In einem unscheinbaren Vorort einer gewöhnlichen Kleinstadt vergewisserte sich eine junge Frau, dass sie alle wichtigen Schlüssel bei sich hatte und zog die Haustür hinter sich zu. Ein wenig missmutig schaute sie in den wolkenverhangenen Himmel und konnte nicht wirklich ausmachen wo sich dort eine so starke Lichtquelle wie die Sonne befinden sollte. Das passte wenigstens ein wenig zu ihrer Stimmung. Sie hatte schlecht geschlafen, obwohl ihr Zimmer dank der dichten Wolkendecke nicht bei Vollmond taghell gewesen war, wie sonst wenn der Mond von zunehmend auf abnehmend wechselte. 

Sie trat nicht nur den Weg in die Stadt an, um sich etwas Schönes zu kaufen. Ihr stand ein Treffen bevor, auf das sie gerne verzichten würde.
Auf dem Weg zum Bus überdachte sie noch einmal, ob sie alles in ihren kleinen Rucksack gepackt hatte, was sie benötigte um den heutigen Tag zu überstehen.
Da sich die Wartende recht sicher war, nichts vergessen und außer Acht gelassen zu haben, ließ sie sich recht beruhigt auf der kruckeligen Sitzgelegenheit der Haltestelle nieder. Doch es währte nicht lange, bis wieder eine leise Beklemmung aufkam.
Ihr Blick fiel auf ihre schönen, schwarzen Schuhe. Die hatte sie sich letzte Woche gegönnt; das war so einer der seltenen Glücksgriffe gewesen, die sich einem manchmal boten. Sie war eigentlich nur etwas durch die Läden geschlendert um sich die Zeit zu vertreiben, da hatten diese Stiefeletten plötzlich auf Augenhöhe vor ihr im Regal gestanden. Bei so etwas konnte sie freudiges Herzklopfen bekommen. Das war nicht dieses bestimmte „Nimm-uns-mit-wir-sind-wie-für-Dich-geschaffen-Gefühl“ gewesen, wie es wohl jedes weibliche Wesen im Alter von zwei bis neunzig Jahren schon erlebt hat; sondern es war so bestimmt, dass sie sich die Anprobe hätte sparen können. Diese Schuhe passten so perfekt zu ihrer blickdichten Strumpfhose und ihrem Lieblingsrock, bei dessen Kauf es sich übrigens ganz ähnlich verhalten hatte.
Mit dem entsprechenden Oberteil und der gutgeschnittenen Jacke fühlt sie sich in ihrem besten schwarzen Outfit unsterblich. Beinahe so sicher wie in einer schußsicheren Weste; nur vielleicht etwas bequemer.
Aus der Ferne nahm sie das Läuten einer Turmglocke wahr. Noch zwei Minuten, bis der Bus um die Kurve kommen würde. Das Herzklopfen, das während der Gedanken an den Schuhkauf aufgekommen war, wurde ihr bewusst und verstärkte sich. Ein flaues Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit. 

Hätte sie doch nur etwas zum Frühstück gegessen! Aber wie sollte man etwas herunter bringen, wenn die Nervosität einem weiß machen wollte, es befände sich so etwas wie eine Blindschleiche im Bauch. Die wohltuende Teemischung stand - fertig bereitet - unberührt auf dem Küchentisch. Zum Schluss wurde die Zeit halt immer etwas knapp bei ihr, egal wie früh sie aufstand.

Aber heute war sie wenigstens gut vorbereitet und zog mit einem Handgriff die Karte aus der Manteltasche, als der Bus vor ihr zum Halten kam.
Der nette Fahrer zwinkerte ihr zu und sie lächelte etwas angestrengt zurück. Ein nettes Lächeln hatte ihr kommendes Date auch ...
Die Fahrt in die Stadt war kurz und eigentlich hätte sie auch laufen können, aber sie war sich der Kraft ihrer Knie nicht sicher gewesen, die immer deutlicher die Konsistenz zimmerwarmer Butter annahmen. Wieso hatte sie den Zeitpunkt dieser Zusammenkunft während ihrer freien Tage angenommen? Mit den meisten Alltagspflichten waren ihre Tage schon so verdorben, dass ein Treffen mit diesem Typen doch eher eine willkommene Abwechslung bedeutete, beziehungsweise sogar ein kleines Highlight darstellen konnte. Er konnte so witzig und interessant sein, dass sein Intellekt einen derben Kontrast zu ihrer Fabrikarbeit bot. An freien Tagen hingegen, konnte sie sich auch anderweitig ausreichend mit geistiger Nahrung versorgen. 
Die Antwort auf das "Wieso heute?" wusste sie sofort: weil er es so bestimmt hatte. So nett und umgänglich er auch schien, sie hatte kaum etwas seinen Vorstellungen entgegen zu setzen.
Als der Busfahrer vor einer Ampel Gas gab, um noch das Dunkelorange der Ampel zu überwinden, erhob sie sich automatisch aus ihrem Sitz und drückte den Halteknopf. Als die Türen sich nun vor ihr öffneten, trat sie gedankenverloren auf den Gehsteig. Warum übte dieser Mann nur so eine Faszination auf sie aus? Weil er definitiv gebildeter war als sie? Oder weil er einen Charme besaß, dem sie schon beim ersten Treffen verfallen war?
Die junge Frau verfluchte diesen Charme, denn der verursachte ja in ihr den irrationalen Wunsch, sich wieder in seine Hände zu begeben, die über ihr Wohl oder Übel zu bestimmen vermochten. Wie oft war sie schon mit starken Schmerzen und Wunden - seelisch wie auch körperlich - aus diesen Treffen geschieden, als dass sie fröhlich und unversehrt seine Tür hinter sich geschlossen hatte.

Das schien auch die beinlose Echse in ihrem Magen zu wissen, denn die hatte sich beim Verlassen des Busses zu einer Ringelnatter gemausert. Ihre Füße trugen sie derweil wie in Trance durch eine Bäckerei zum Multi-Media-Center hin. Während sie abwesend an einem trockenen Brötchen nagte, schritt sie unbeabsichtigt grußlos an zwei Kolleginnen vorbei, weil sie weiter ihren Gedanken nachhing.
Ab und zu hatte er sie als besonders tapfer bezeichnet. War es das? Wollte sie unbedingt ein weiteres Mal von ihm als "besonders" bezeichnet werden? Beim Betreten der DVD-Abteilung des angestrebten Stores war sie sich sicher, dass der Wunsch danach - als etwas Besonderes zu gelten - einer der ausschlaggebenen Punkte war, diese Torturen durchzustehen. Und das, obwohl sie wusste, dass sie beileibe nicht seine Einzige war.

Für eine Weile schaffte sie es ihre Nervosität zu zügeln, indem sie sich auf die Suche nach einer schönen DVD begab. Auch die Natter in ihrem Magen schien zu schlummern, oder sie labte sich an dem Brötchen.
Endlich fand die junge Frau das Objekt ihrer Begierde: einen gruselig-spannenden Film über Wehrwölfe und Vampire, in dem es am Ende aber ein Happy-End der Überlebenden gab. Auf den konnte sie sich freuen, wenn sie heute Abend auf der Couch ihre Wunden kühlen würde, denn überleben würde sie das bevorstehende Treffen mit Sicherheit. Schließlich war er weder ein Vampir noch ein echter Werwolf, auch wenn sein Name unheilverkündend klang.
Auf der Rolltreppe nach unten stehend kam ein erneuter Schwall von Nervosität in ihr auf. Nun wusste sie auch, dass sich das Vieh in ihrem Magen nur so ruhig verhalten hatte, um sich zu einer Teppich-Python zu häuten. Alles in ihr schien sich zu winden, je weiter die Zeit voran schritt.

An der Kasse standen einige Leute, die lachten und vergnügt wirkten; die hatten gewiss alle einen schönen Tag im Café vor sich. Die blasse Person hingegen reihte sich auf Wackelpudding-Beinen in die Schlange der Wartenden ein. Hoffentlich dauerte es nicht zu lange, denn zu spät kommen konnte er einem sehr übel nehmen. Der Treffpunkt lag in unmittelbarer Nähe des Media-Stores. So würde ihr Zeitplan bestimmt aufgehen.

Als sie hinaus an die frische Luft trat, stahl sich ein Sonnenstrahl hinter dem Kirchturm durch die Wolkendecke. Es wirkte auf sie wie ein Versprechen Gottes, das alles gut würde. Noch zwei Schritte und sie stand vor der Tür ihres Schicksals. Gerade als der große Zeiger der Turmuhr auf die Fünf sprang, drückte sie den melodischen Klingelknopf des Names "A.T. Vollmond". 
Auf das leise Summen des Türöffners hin stemmte sie ihre Schulter gegen die Tür und betrat nach einem tiefen Atemzug die Zahnarztpraxis.

Impressum

Texte: Slakje Bult
Bildmaterialien: Slakje Bult
Lektorat: Mutter
Tag der Veröffentlichung: 09.03.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Kati

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