Die bäckerei in der rue sainte
An einem heissen mittag ende juni befand ich mich schliesslich, nach einem besuch bei meinem hausbesitzer und freund samuel in der gegend des alten hafens in marseille . Gedankenverloren blieb ich an der strassenecke an der sich die angeblich älteste bäckerei der stadt befindet stehen. Gegründet 1781 war zweimal an dem eckgeschäft auf den sich gleichenden tannengrünen holzplanken zu lesen.. ich betrat den laden mehr aus neugier als dem wunsch etwas zu kaufen. Die eingangstüre dürfte ebenfalls aus der eröffnungszeit stammen. sie quietschte und ihre glasscheibe vibrierte gleichzeitig. Im inneren war es dumpf und dunkel. Von der grellen sonne draussen war nichts mehr zu bemerken. ich brauchte einige sekunden um das ladeninnere auszunehmen. alles schien die gleiche dunkelbraune blässliche farbe zu atmen. Die theke,die vitrine,die wände selbst, die wenigen trocken wirkenden und wahllos verteilten backwaren machten ähnlichen eindruck. es war niemand zu sehen. Eine türe, die im rechten teil des ladens in den hinteren bereich führend offenstand, gab den blick in die hell verkachelte backstube frei. Dann hörte ich jemanden hantieren. Beim betreten der ladentüre war zwar ein darüber angebrachtes glockenspiel ertönt das allerdings offensichtlich, ausser von mir selbst, überhört worden war. ich wartete zunächst geduldig bis eine zuständige person von selbst den kundenraum beträte. gewissermassen diese erwartend, da sie offensichtlich mein eintreten nicht bemerkt hatte, naturgemäss überrascht zu sehen. ich wollte eben, letztlich ungeduldig werdend, nach vergeblichem räuspern zu einem wohltemperierten « bon jour » ansetzen als sie plötzlich doch von selbst erschien. es war eine kleine sehr alte dame mit stark geschminktem gesicht und brünetter perücke, die sich die spindeldürren welken hände, durch die backtüre eintretend, an ihrer schürze trocknete. Sie bemerkte mich nicht. Eilig trippelte sie auf den holzbohlen hinter dem tresen die vitrine entlang um sich, von mir abgewendet, an einer schublade zu betätigen. Es wunderte mich übrigens eigenartigerweise zu diesem zeitpunkt keineswegs mehr, dass sie in dunkler farblos bräunlicher bekleidung schien. ich blieb weiterhin still, und beobachtete die alte, die plötzlich ebenfalls verharrte. Nichts und niemand rührte sich. Der strassenlärm drang entfernt herein. Da blickte ich wie zufällig an meinem körper hinunter und stellt mit erstaunendem schrecken fest, dass auch ich, meine kleidung, meine hände,meine schuhe und wahrscheinlich auch meine haare, mein gesicht, alles an mir die selbe farbtönung wie das geschäft selbst angenommen hatte. Da wusste ich plötzlich warum sie mich nicht bemerkte. ich war zu einem bestandteil ihres alten ladens geworden, und zwar möglicherweise bereits in dem augenblick als ich ihn betrat. Somit stand die zeit für uns immer still.
wiener stundenbuch
(charmanter szenenwechsel)
wien..triesterstrasse..nachts..zur..7-sternigen (wunder) wurstinsel..eine attraktiv fettverschmierte dickliche dame..sichtlich gepflegtester umgangsform..bellt ungeduldig scharf krächzend : mia sperrn scho zua..oiso schnö..wos derfs'n sei..a haase..oda wos..?..gast : naaa..hom's no a woidviatla..mit an schoaf'n (kurz angestrengte denkpause)..und an ottakringa..waun net..a kraina get a..oba ka oide semml..!..die dame reisst mittels elegant eingeschulter bewegung..ein..im hintergrund..stark dampfendes..intensive selchgeschwängerte schwaden verbreitendes gefäss auf..und nach diesem aussergewöhnlich sympathischen..verbalaustausch..stille..kiefergelenksknochen malmen andächtig..tiefe genussversunkenheit..wurstfett und salzgurken spritzen..pfefferoni krachen zischend..bier gluckert zwischendurch heftig gurgelnd in die.. breitbeinig vornübergebeugt..vor senfverschmierten papptellern stehenden herren hinein..oranges flackerlicht..ein müllwagen dröhnt in unmittelbarer nähe vorbei..danach irgendwo im hintergrund ..unüberhörbares erleichterungsgerülpse..plötzlich wird der rollbalken des etablissements..aprupt..rasselnd heruntergelassen..die gäste..verbleiben..davon keinerlei notiz nehmend..kauend..im strassendunkel..
strassenbahn
simmeringer hauptstrasse linie 18 richtung quellenstrasse..favoriten..es ist kalt..feucht..februar..sechs uhr dreissig..dennoch warten..bereits etliche einzelne personen mit eingezogenen köpfen..hochgestellten krägen..hochgezogenen schultern..vermummten gesichtern..dampfendem atem..abwechselnd in die füsse stampfend..missmutig und mürrisch..nasser schneeregen und schneidender wind..
strassenbahnen haben insbesondere dann verspätung wenn die warterei am unangenehmsten ist..denkt jeder der anwesenden ungefähr gleichzeitig..während nässeverklebte blicke immer wieder verstohlen..das sichtverdeckende schneeregengestöber zu durchdringen versuchen..um endlich die erlösende..trockenheit und wärme versprechende linie 18 zu erspähen..inzwischen ist aber die temperatur weiter gesunken..der schneefall wirkt verstärkt..die schienen sind inzwischen fast völlig von feinem pulverschnee verdeckt..und die der station gegenüberliegende bleigelbe hausfassade eines schmucklosen gemeindebaus..ist undeutlich erfassbar geworden..da..endlich..das erlösende metallgequietsche..einer..sich in einer kurve befindlichen strassenbahn..dazu das bimmeln der bim..als ob sie sich deswegen verschämt übertönen wollte..die von der kälte nahezu erfrorenen wartenden..gesellen sich zu den..von der kälte inzwischen durch den beheizten wagon.. aufgewärmten strassenbahnreisenden..stoisch..ihrer unabwendbaren richtung bewusst..nimmt die bahn die schon fast gewohnte fahrt weiter auf..ebenso stoisch verhält sich der blick der fahrgäste..kein wort fällt..wie ein geisterschiff hält die linie 18 vorschriftsmässig..ferngesteuert..an jeder haltestelle ..gleichende schwarzweisse gestalten gesellen sich regelmässig zu den schweigenden insassen dazu..andere..dunkle..unbekannte..steigen ebenso anonym aus..in solchen morgenstunden..verzeichnet..wien..höchsten depressionsalarm..
auszug aus wiener geschichten
ein kinobesuch
ein junges pärchen betrat..einem nächtlichen schneegestöber entkommend..recht rotbackig..aber verspätet..das foyer eines bekannten wiener vorstadtkinos..die vorstellung hatte schon begonnen..missmutig musterte..schalterverglast..halb verborgen..eine dunkelhaarige korpulente ältere frau mit sehr rot verschminkten mund und buschigen augenbrauen die eintretenden : « wos..scho wida wöche z'schpät »..das pärchen bewegte sich indessen eilig dem rotgepolsterten eingang des kinosaals zu..und wurde..eben im begriff die schwere doppeltüre aufzustossen..von der schalterdame..aprupt unterbrochen..da diese..sich im laufschritt..einen in ihrer faust..halb aufgegessenen apfelstrudel bedrohlich schwenkend..den beiden mit schrillen worten entgegenbewegte: « so gengan se mia net eine..de übakleidung is im vestibühl ozgeb'n..net..mia san a kino und ka wäschedepot..das verdutzte pärchen schien sich nur zögernd von seinen sachen trennen zu wollen..nahm aber schliesslich..um wohl auch weiterere diskussion in anbetracht der inzwischen bereits begonnenen vorstellung..zu vermeiden..achselzuckend den weg zur kleiderabgabe..das hierfür zuständige fräulein..eine blassgesichtige magere medizinstundentin die sich ihr studium mit diesem nebenjob aufbesserte (klassisch)..war natürlich nicht da..unschlüssig und die köpfe verrenkend stand das pärchen vor der leeren breiten kleiderablagetheke..als die kassiererin heftig auf ihren absätzen einhertrippelnd..regelrecht triumphierend ausstiess : »de höfte vom füm..wanns no lang do umanandastengan..hom's eh scho vasamt ..und auf de franziska brauchn's a net woatn..weu de is nämli scho ham gaunga..oiso gem's ma jetzt eanare sochn das endlich einekuman « ..das pärchen entledigte sich demzufolge ..eiligst seiner feuchten winterkleidung und machte wiederum anstalten endlich den kinosaal wirklich zu erreichen..als die kassiererin scharf..aus dem vestibühl..nachrufend vermeldete : « de nummernzettln miassn beim ohoin zruckgebn wern..weul ansunstn miasatns bis olle ondan weg san auf eanare sochn woatn ! « ..das junge paar verstand die letzen worte nicht mehr da es sich bereits im ersehnten saaldunkel befand..das allerdings..durch den hinter ihnen offen stehenden einlass..eintretende licht vom flur..erregte insofern flüchtige aufmerksamkeit der besucher..indem sich ungefähr gleichzeitig die gesichter der im einlassbereich befindlichen saalinsassen..den eintretenden zuwendeten..insbesondere das des kartenabreissers..der..den taschenlampenlichtkegel rhytmisch hektisch am boden schwenkend..gleichzeitig unterdrückte flüche ausstossend..sich..den beiden mit den heiser geflüsterten worten : »dia zua..mia san in ana vuastöllung « näherte und argwöhnisch..die eintrittskarten musterte..also ob es sich dabei um fälschungen handeln könnte « foings ma..oba bitte..leise « ..das kino war mehr als zur hälfte besetzt..gerade spielte sich eine lautstark dröhnende gangstaverfolgungszene auf der leinwand ab..als das pärchen dem platzwart folgend..die vorgemerkte..fast vollständig besetzte sitzreihe erreichte..aber noch dazu befanden sich die plätze der beiden..ausgerechnet in deren mitte : « do eine »versicherte der kartenabreisser und gleichzeitige platzwart..und wiederum..wie um seinen worten verstärkten ausdruck zu verleihen..die taschenlampe herumschwenkte..und schliesslich auf dem gesicht eines kinogängers verhielt..der sich wohl mehr wegen der blendung ..als dem pärchen zugang verhelfen zu wollen..erhob..und die gebotene saalruhe völlig ignorierend..den
platzwart mit den worten : « na herns..wos soin des..nemans eana deppate lampn weg..ich siech jo nix ».anherrschte..das pärchen schob sich inzwischen schrittweise weiter..indem sich die sitzenden..einer nach dem anderen aus dem kinosessel herausmanövrierte..bis es endlich..erleichtert..die plätze erreichte..im saalhintergrund waren inzwischen flüche und unmutsäusserungen über die störung lautgeworden..allmählich allerdings konzentrierten sich die zuschauer wieder auf das filmgeschehen..gleichzeitig trat somit wieder vereinzeltes husten..schneuzen..vereinzeltes verpackungsgeraschel..bonbonsäckchengeknitter..zerrgeräusche plastikzernagender zähne..zungenschnalzen..karamelspeichelschlürfendes lautlutschen..zeitweiseweise aufgeregtes geflüster..mitunter eilend heftiges toilettenhinundhergehen..aufstehen und wieder hinsetzen..köpferenken..enthusiastische szenenkommentare..unverfrorene filmverbesserungsvorschläge..mehr oder weniger handlungsbezogenes gestöhne und geseufze..wiehernde gelächter..herzzereissendes schluchzen..vereinzeltes schnarchen..manch..in der behaglichen anonymität der dunkelheit..druckfrisch verteiltes abgas..alles schien wie immer..seinen gewohnten gang zu nehmen..hätte es den..TOTEN..auf sitzplatz hundertsiebenundzwanzig..nicht gegeben..aber das ist wohl eine andere geschichte.. !
Tag der Veröffentlichung: 13.07.2011
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