Cover

Prolog



Ich wurde rot, als ich ihn endlich sah.
Wie lange hatte ich gebraucht, nur um seine Nummer zu wählen.
Doch meine Mut entschwand gleich auf den ersten Blick als ich ihn bemerkte.
Herbeigeeilt, abwechselnd nach links und rechts schauend.
Dame liess seine Kapuze sinken als er das Gebäude betrat. Er war völlig durchnässt.
Ich umklammerte automatisch meinen schwarzen Schirm noch fester und zögerte, ob ich nun zu ihm laufen sollte oder nicht.
Er schüttelte seinen nassen Kopf und blickte auf. Ein verwirrtes Lächeln huschte über sein Gesicht und er rannte zu mir rüber.
Wir schauten uns lange an. Sara wird wütend auf mich sein. Verdammt wütend.
Aber jetzt werde ich endlich mal das tun, was ich will.
Ich werde mich nicht mehr von meinem Weg abbringen lassen.
Ich werde ihm meine Liebe gestehen.
Er kratzte sich am Kopf und schaute verlegen zu Boden, was mich verunsicherte.
„Tifa“, fing er plötzlich an.
Ich schluckte und brachte ein stotterndes „ja?“ heraus.
„Ich muss dir was dringendes sagen.“
„Was denn?“ Ich war so ungeduldig. War jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt dafür?
Nervös und scheu blickte er mir tief in die Augen:
„Ich liebe ihn.“


Kapitel VII




Ich habe nie daran gedacht.
Dieser Gedanke wäre mir nie in den Sinn gekommen. Niemals.
Alles erschien mir so verschwommen, so unscharf. Wie in einem bösen Traum.
Dummerweise schien jede Art von Versuchung von hier aufzuwachen fehlzuschlagen.
Umgekehrt kam es mir so vor, als hätte mir jemand einen Eimer voller Eiswasser übers Kopf geleert.
Ein eiskalter Schock.
Überall hörte ich Gelächter. Wieso jagte es mir eine Gänsehaut ein?
War doch ganz normal auf einer Party.
Das Haus war so bunt dekoriert, dass ich es kaum als mein eigenes erkennen konnte.
Sara und Chris waren auch gekommen.
Wenn ich mich entsinne, waren wir schon seit der Fünften zusammen in einer Klasse.
Plus Keenan.
Ich sass leicht abseits von der ganzen Gruppe, ein Glas Cola haltend.
Alle anderen amüsierten sich prächtig mit den kleinen Abenteuergeschichten der Familie Bliss und sonstige Überraschungen, die sie von Australien mitgebracht haben.
Doch keine Regung von Erstaunen oder Faszination überkam mich.
Nein, immer noch war es so, als würde ein Film vor meinen Augen ablaufen.
Ich als Zuschauer und kein Teil des Films.
War es so, weil ich mich nicht amüsierte?
Nicht mitlachte?
Nicht vergessen konnte?
Hing ich zu sehr an meiner Vergangenheit?
Ich hab doch sonst keine andere Vergangenheit um mich daran zu erinnern.
Natürlich hing ich daran.
Ich spürte wie ich mir mental eine Ohrfeige schlug.
Tifa! Was tust du denn da?! Sowas darfst du nicht denken!


Ich hatte es mir abgewöhnt mich selbst zu bemitleiden.
Welchen Nutzen brachte es mir?
Ich blickte von meinem Glas auf.
Sie sassen in einem Kreis, rund um den Wohnzimmertisch, Geschenke überall am Boden verstreut.
Es war so lange her, dass ich ihn gesehen habe.
So lange, dass ich mich nicht einmal mehr an sein Gesicht erinnert habe.
Leise stand ich auf und schlich unbemerkt aus dem Zimmer. Alle schienen so beschäftigt zu sein, dass sie alles um sich herum vergessen haben.
Kein Problem kurz aus der Gruppe zu treten.
Nein, in meinem Fall, habe ich schon von Anfang nicht zur Gruppe gehört. Ein noch einfacheres Spiel.
Auch das Türeschliessen, das mir irgendwie schwerer vorkam, als sich davonzustehlen, ging ganz einfach.
Das Zimmer, das mir schon seit ich acht war, gehörte, sah genauso aus wie früher.
Ich konnte immer noch einzelne, von mir selbstgemalte Bilder von früher an der Wand hängen sehen. Einige Plüschtiere lagen auf meinem Bett verstreut, welches immer noch dort stand wie früher.
Gleich neben das Fenster, von wo ich öfters ins Nachbarfenster rüberguckte.
Das Fenster von Keenan.
Ich öffnete es schliesslich nach langem Nachdenken und liess den kühlen Wind ins Zimmer wehen.


Dame Chester sagt:


Oh. Ein alter Freund ist wieder da?

Ich schluckte und tippte die einzigen zwei Buchstaben ein, die in meinem Kopf noch zu verstehen waren. Der Rest war ein enormes Durcheinander.

Tivo Ruden sagt:


Ja

Es wurde still. Klar, natürlich war es für andere schwer sich so zu verhalten, damit man diese scheinbar verletzte Person nicht noch mehr Leiden zufügte.
Hätte ich doch einfach nur nichts gesagt.. Es fühlt sich gerade so komisch an.
Er denkt sicher ich bin ein Freak, nein, ein kranker Psycho, der sich im Chat vor einer Fremden ausheult.



Dame Chester sagt:


Haha. Ich freu mich für dich!

In meinem Kopf rannte ich gegen die Wand. „Bam!“
Mein Gott, wie falsch kann man sich diese Situation nur einschätzen..?
Er macht es nicht absichtlich. Ich kann doch nicht erwarten, dass er mich einfach so versteht.
Der Fehler liegt bei mir. Gut. Ich kann unser Gespräch noch aus diesem Loch hinaufziehen.
So ernst ist die Lage noch nicht geworden. Vielleicht soll ich mit einem Witz aufkommen, oder doch-

Dame Chester sagt:


Ihr könnt dann wieder etwas unternehmen!
Spass haben etc.
Echt cool!


Ich schüttelte den Kopf.
Cool ist das überhaupt nicht.
So einfach geht das einfach nicht..

„Tifa? Willst du nicht ins Wohnzimmer kommen?“
Von meinen Tagträumen gerissen, drehte ich mich schlagartig um.
Da ich eine kleine Kommode vor meiner Schlafzimmertür geschoben hatte, kam nicht jeder einfach rein.
Ich sah wie Keenan probierte sich durch die kleine Spalte hindurch zu quetschen.
„Wieso hast du überhaupt diese Kommode hierhin gestellt? Muss ich dich jetzt noch übers Fenster besuchen kommen?“
Er schaute mich fragwürdig an.
Da er aufgab, sich weiterhin hierein zu quälen, liess er nur sein Kopf irgendwie reinschauen.
„Ich hab es hierhin gestellt, damit ja niemand hier rein latscht ohne zu klopfen. Und den Schlüssel um abzuschliessen finde ich nicht mehr.“
„Ich habe aber angeklopft.“
Stille.
„Echt?“
Stille.
„Ja.“
Stille.
Ich zögerte, doch liess es dann schliesslich sein.
„Na dann.“
Langsam und schwermütig, vielleicht ein unbewusstes Handeln um ihn bereuen zu lassen, nach mir geschaut zu haben, ging ich zur Tür rüber und schob die Kommode beiseite.
Im Zimmer stehend liess er, (auf einer irgendwie unangenehmer Art), seine Blicke um sich wandern.
„Wow. Sieht immer noch aus wie früher.“
Mit einem schlechten Gefühl im Magen kratzte ich mich am Hinterkopf und schaute ihn musternd und misstrauisch an.
„Willst du mir sonst noch was Neues erzählen?“, fragt ich ironisch.
Er glotze mich schief an.
„Bist du zufälligerweise gereizt oder sonst in irgendeiner komischen Stimmung?
Wenn du deine Regel hast, versteh ich das.“
Wieso musste er alles noch schlimmer machen, als es schon ist?
„Nein. Alles fein und meine Regel habe ich momentan auch nicht.“
Gelassen wie möglich verhalten, Tifa..

Mein Kopf brummte wieder so bescheuert.
„Ach so? Irgendwie sehe ich das anders.“
Jetzt ist er noch nervig. Toll.


„Was willst du?“ Direkt und einfach. Gut machte ich das.
„Hm. Tiffany Louis’ Gesellschaft, ihre Gedanken und ein bisschen von ihrer wertvollen Zeit, die sie leider hier in ihrem Zimmer verschwendet.“
Haha. Witzig.
„Und damit willst du dir-“
„nein, keine Sandburg bauen. Das hast du immer gesagt. Ich möchte nur verstehen, wieso du so eine auf die beleidigte Leberwurst macht. Freust du dich nicht, dass ich wieder hier bin?“
Freute ich mich? Ja oder nein? Vielleicht?
„Klar. Wieso nicht?“
„Wieso nicht? Da kann es viele Gründe geben.
Du magst mich nicht. Dir wurde eine Gehirnwäsche entzogen, sodass du mich als ein Irgendjemand einstufst. Ich habe dir irgendeinmal vergessen `hallo` zu sagen, weshalb du nun sauer bist..“
Wie kann er mich bis zu diesem Grad nur sauer machen?
Versteht er nicht, wie ich mich fühle?


„Hör auf damit Keenan! Ich meine es ernst!“
Ich war selbst überrascht von meinem Gefühlsausbruch.
Hoffentlich merken die anderen nichts davon, das Letzte was ich bräuchte wäre noch eine Erklärung für Marie.
„War die Sandburg ernst gemeint?“
„Keenan! Jetzt ist mir nicht nach Witze, verstehst du nicht?!“
„Nein! Kein Bisschen, und weisst du wieso?!“
Ich schluckte. Er war verdammt wütend.
„Weil du dich immer in deinem Zimmer eingeschlossen hast, seit ich dich getroffen habe! Ich habe kein anständiges Wort mit dir gewechselt! Wie sollte ich das denn wissen?!“
Man schnürte mir die Luft zu. Alles blieb für einen Moment einfach stehen.
Mein Herz, Mein Atem. Die Uhr. Sein ernstes Starren.
Die Wut in seinen Augen. Die Wut, die nicht zu seinen friedlich braunen Augen passte.
Mist. Ich konnte es nicht mehr zurückhalten.
Tränen rannten mir übers Gesicht und ich schluchzte. Ungewollt liess ich mich auf dem Boden nieder.
Ich wollte nicht, dass er wütend war. Ich wollte keinen Streit.
Sollte unser Wiedersehen nicht schön sein?
Ich sah nur seine Füsse auf meinem Teppich stehen. Anscheinend bewegte auch er sich nicht mehr.
„Ja. Du hast recht. Wie willst du das schon wissen?“
Er beugte sich zu mir hinunter und schaute mich an.
Keenan war ratlos. Das stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Immer noch weinte ich. Er liess seine Hände in seine Hosentaschen verschwinden um nach einem Taschentuchpäckchen zu suchen.
Ich hörte lauter werdende Schritte. Aber das kümmerte mich auch nicht mehr.
Sollen sie doch sehen, wie glücklich wir sind.
„Genau. Du kannst es doch gar nicht wissen“, murmelte ich.
Er wollte mich berühren, doch ich liess ihn nicht und drückte seine Hände weg.
„Du kannst es gar nicht wissen, weil du vier verdammt lange Jahre nichts von dir hören lassen wolltest. Weil du dich nie gemeldet hast! Weil du gegangen bist und mich hiergelassen hast!
Und du willst wissen wie es mir geht?!“
Ich kochte wieder. Doch die Trauer wurde stärker.
Marie platzte hinein. Alle starrten uns an.
„Was ist hier los?“, rief Marie verwirrt.
Das Ehepaar Bliss kam keuchend ins Zimmer.
„Keenan, erklär uns das!“
Er drehte sich nicht um. Seine Blicke waren stur in meins gerichtet. Er antwortete nicht.
Ich spürte wie sie uns anstarrten.
Jedes einzelne Augenpaar auf uns gerichtet.
Ich fühlte mich auf einmal wie eine Zirkusattraktion, die von Schaulustigen von oben bis untern gecheckt wurde.
„Tifa, ich wollte nicht, dass-“
„Bitte“, unterbrach ich ihn, „lass mich einfach für eine Weile allein..“
Langsam vergrub ich mein Gesicht in meinen Armen.
Jetzt hatte das „Publikum“ genug von mir gesehen.
Sie sollten gefälligst verschwinden. Jetzt.
„Keenan. Am besten wir lassen Tifa jetzt.“, fing Frau Bliss an. Man merkte, wie sie versuchte die Worte wirklich vorsichtig auszuwählen, sodass sie wirklich kein Salz in die Wunde streute.
Keenan zögerte, doch stand schliesslich auf.
Marie nickte und schob alle anderen raus.
Ich hörte noch, wie die Tür ins Schloss fiel. Doch jemand war hier geblieben.
Marie.
Ihre unsicheren Schritte kamen näher, bis sie schliesslich neben mir waren.
Sie liess sich dann auf meiner Seite nieder.
Marie sagte nichts. Sie hockte einfach da. Normalerweise hasste ich solche Stille.
Da fühlt man sich immer so unwohl.
Doch diesmal kümmerte es mich nicht. Ich war zu beschäftigt mein Gesicht zu verstecken.
Ich weiss nicht wie lange wir da sassen, doch irgendwann war auch ihr Geduld zu ende.
„Tifa“, fing sie an.
Ich antwortete nicht. Ein Seufzen war zu hören, dann wieder still.
„Tifa, wenn irgendetwas ist.. Ich bin da.“
Sie bewegte sich einwenig, drückte mir einen Kuss auf den Kopf und verliess das Zimmer.
Ich blieb allein im Zimmer zurück. Endlich.
Mein Gesicht war schon ganz heiss geworden.
Wieso musste ich mich so aufregen? Na wenigstens weiss er, was er getan hat. Punkt.


Zum Glück war Dame nicht da, sondern bei Verwandten. Wer weiss, was er getan hätte, wenn er hier wäre.
Jetzt war ich noch verlorener als sonst.
Jetzt konnte ich nicht mehr zu Keenan und reden, als wäre nichts passiert.
Jetzt habe ich wirklich alles kaputt gemacht, was noch übrig war.
Ich Idiot.


Dame Chester sagt:


Was ist los? Hab ich was Falsches gesagt?

Tivo Ruden sagt:


Weisst du, so einfach ist das jetzt nun auch wieder nicht.

Dame Chester sagt:


Nein, sag nicht du bist sauer auf ihn?

Ich biss mir auf die Lippen.

Tivo Ruden sagt:


Ja, bin ich

Wow. Wollte ich nicht versuchen unser Gespräch irgendwie zu retten und nicht weiter zum Abgrund zu führen?

Dame Chester sagt:


Und wieso?

Natürlich konnte er das nicht verstehen. Was versuchte ich hier eigentlich zu erreichen? Mitleid? Wie tief ich gesunken war.

Tivo Ruden sagt:


Vergiss es. Ist nicht weiter schlimm

Dame Chester sagt:


Da es aussieht, als willst du es mir nicht sagen,
rate ich mal:

Ach ja. Ist das eine Art Spiel? Nein. Ist es nicht. Er soll damit aufhören.

Dame Chester sagt:


1. Du bist sauer, weil er sich lange nicht gemeldet hat
2. Weil er so tut, als wäre nichts passiert

Ich stockte. Er hatte absolut recht.

Dame Chester sagt:


Und 3. Weil du dich selbst dafür hasst, dass du ihm nicht verzeihen kannst

Wie bitte?
Es fing gut an, aber wieso jetzt das? Das passt überhaupt nicht dazu!

Dame Chester sagt:


Echt gut nicht? Ich wette, ich habe überall ins Schwarze getroffen!

Tivo Ruden sagt:


Stimmt gar nicht! Beim Dritten warst du völlig daneben!!

Dame Chester sagt:


Und wieso regst du dich dann so auf?




Hatte Dame da recht gehabt?
Konnte ich ihn wirklich nicht verzeihen?
Wieso nicht? Wollte ich das nicht?

Dame Chester sagt:


Und weisst du, wieso du ihm nicht verzeihen kannst?

Nein das weiss ich nicht. Wie auch? Das stimmt doch gar nicht.

Dame Chester sagt:


Weil du zu stur bist.

Ich und stur? In dem Moment hasste ich ihn irgendwie. Irgendwie.

Tivo Ruden sagt:


Ich bin nicht stur.

Dame Chester sagt:


Du bist nicht stur?
Dann sag mir wieso du dich nicht schon längst darüber gefreut hast, dass er wieder da ist.
Sag mir wieso du nicht bei ihm bist und mit ihm xBox zockst,
wieso du immer noch hier hockst und dich bei mir beschwerst.
Sag mir wieso du schon längst nicht dran bist, die Zeit mit ihm aufzuholen, die ihr miteinander verloren habt!
Du hättest in diesem Moment bei ihm drüben sein müssen!

Tivo Ruden sagt:


Er war doch schuld! Wieso soll ich so tun, als wäre ich ihm noch wichtig?!

Dame Chester sagt:


WEIL du ihm noch wichtig bist und die ganze Zeit warst?!

Ich spürte wieder, wie mir das Blut in den Kopf schoss, doch diesmal nicht wegen Scham.
Nein. Eine Mischung von Wut und Trauer überflog mich.
Ich konnte nicht mehr klar denken. Am liebsten hätte ich das Computer aus dem Fenster geworfen.


Dame Chester sagt:


Hast du dich jemals in seine Situation versetzt?
Von den Informationen, die ich von dir gekriegt habe, weiss ich,
dass ihr ziemlich gut befreundet ward.

Ja. Du weisst nicht, wie gut..

Dame Chester sagt:


Denkst du nicht, dass es ihm weh tat, dass er weg musste?
Vielleicht hat er sich nicht gemeldet, weil er nicht wusste wie?
Wie er dir jetzt noch „Hallo“ sagen konnte, oder sonst wie verhalten musste, damit
sich die Sache nicht verschlimmert?
Weisst du, dass er von allen wegziehen musste, ohne zu wissen, was mit euch passiert?
Hast du ihn schon mal danach gefragt?
Denkst du etwa, er habe sich gefreut, weg zu müssen?

Tivo Ruden sagt:


Nein.. ich habe ihn noch nicht danach gefragt.



Oje. Was habe ich mir die ganze Zeit gedacht?
Hunderte von Möglichkeiten schwirrten mir durch den Kopf, was Keenan wohl durchmachte.
Ich wusste nicht was tun.
Der Chat mit Dame, muss mir ja jetzt in den Sinn kommen.

Dame Chester sagt:


Weisst du, er könnte die Sache mit dem Wiedertreffen bewusst so überspielt haben, glücklich zu sein, damit du dir keine Sorgen machen musstest.
So was wie ein Neuanfang, verstehst du?



Ich blickte starr zu Boden. Bis jetzt habe ich noch kein Gedanke daran gelegt, über so was nachzudenken. Ich musste ein grösserer Idiot sein, als mir bewusst war.

Dame Chester sagt:


Du Sack da vor dem Computer:
Du schreibst gar nicht mehr, kann ich behaupten, dass du schon auf dem Weg zu deinem Freund bist?
Wenn nicht, dann wach verdammt noch mal endlich auf und beweg deinen Hintern!
Auf was wartest du?
Soll ich etwa persönlich zu dir kommen und dich wach schlagen?!




„Tifa. Willst du jetzt zu Abend essen?“, rief Marie von der Küche aus.
Nein Dame. Du hast mich schon genug wach gerüttelt.


„Tifa, Schatz?“
„Nein danke, Marie!“, antwortete ich schnell, „Ich muss noch kurz was erledigen.“
Ich nahm mir hastig meine Jacke vom Hocker (ja, bin unordentlich), und rannte zur Tür, während ich mir versuchte, die Turnschuhe anzuziehen.
„Wieso so schnell Tifa?“, fragt sie verwundert.
„Später!“
Ich stolperte beinahe aus dem Haus ohne einmal die Tür hinter mir zu schliessen.
Zum Glück wohnte er gleich vis-à-vis von uns. Ich musste also keine athletischen Meisterleistungen bringen, um so schnell wie möglich zu ihm zu gelangen.
Ich warf schnell einen Blick auf die Uhr und musste vor Staunen stehen bleiben.
Es war schon 21 Uhr! Ich habe satte vier Stunden allein eingesperrt im Zimmer verbracht!
Du meine Güte, wie die Zeit verflog, noch ein Grund nicht noch mehr zu zögern.
Zeit für Handlung!
An der Tür klingelte ich ungeduldig. Immer und immer wieder, bis mir jemand öffnete.
Frau Bliss öffnete die Tür und ihr überraschtes Gesicht kam zum Vorschein.
„Oh Tiffany. Was machst du denn hier?“
„Äh. Keenan sehen. Ist er hier?“
„Nein. Tut mir leid. Er ist schon eine Weile fort. Hat gesagt, er hätte was zu tun.“
Verdammt. Er hatte diese Angewohnheit, immer wegzulaufen, wenn es ihm mies ging.
Einmal hatte er sich sogar in einem Wald verlaufen.
„Und wissen Sie, wohin?“ Ich kaute nervös auf die Unterlippe herum.
„Nein, nicht das ich wüsste. Willst du reinkommen und auf ihn warten?“
„Nein danke.“
„Soll ich ihm dann was ausrichten?“
„Nein, ist schon gut.“ Ich lächelte.
Ich wollte schon umdrehen und mir wieder die Augen ausheulen, da stoppe mich Frau Bliss plötzlich.
„Ach ja, da wäre noch was, Tiffany.“
Sie verschwand kurz hinter der Tür und liess mich dort stehen.
Kurz darauf erschien sie wieder mit einem Lächeln.
„Hier. Keenan hat mir gesagt, ich solle es dir geben, wenn du vorbei schaust.“
Ich streckte ihr die Hand entgegen und sie drückte mir ein schwarzes Walkie Talkie in die Hand. Das

schwarze Walkie Talkie. Das von früher.
„Ah. Danke.“
Sie nickte mir zu und schloss dann die Tür.
Ich stand am Bordstein, ratlos was tun.
Es ist schon dunkel geworden, länger kann ich nicht warten.
Ich lief die Strasse entlang und musterte das Walkie Talkie.
Hat er vielleicht irgendwo ein Zettel versteckt, auf der sein Aufenthaltsort aufgezeichnet ist?
Nein, sei nicht blöd Tifa. Du weisst genau, was du jetzt tun musst!


Ich schaltete es ein, hielt sie mir näher an den Mund und atmete tief ein.
Was soll ich ihm nur sagen, nach all dem was passiert ist?


Mir wurde schlagartig klar, dass er sich genauso gefühlt haben musste.
Wie blöd ich nur war.
„Eh..Keenan? Ich bin’s Tifa.“ Stille. Dann ein Rascheln, als würde jemand mit Papieren herumfummeln.
„Keenan? Bist du’s?“ Keine Antwort.
„Hachoo!“ Keenan hat geniest! Er was es wirklich. Wieso antwortete er mir nicht?
War er so sauer? Sollte ich lieber aufgeben?
Nein, das ist das Letzte, was ich jetzt tun würde.
Ich hörte wie er etwas murmelte.
Okay, wenn nicht so, dann so.
„Wolf an Adler. Hörst du mich?“
Wie oberpeinlich! Ich könnte schwören, dass ich jetzt wie eine rote Glühlampe aussehe!
Na, wenigstens sehen die Autos jetzt mehr in dieser Dunkelheit.
„Adler an Hund, ich höre dich ja. Du musst das Walkie Talkie nicht so dicht an den Mund halten..“
Sofort hielt ich es weiter weg. Hund..


„W-wo bist du, Keenan?“
„Nirgends.“
Er will also die beleidigte Leberwurst spielen.
„Jetzt komm schon, wo bist du?“
„Willst du das wirklich wissen?“
Ich stockte. Was für eine Frage.
„Natürlich!“
„Aber du kannst noch nicht kommen.“ Ich hörte wie er nochmals nieste.
„Keenan? Geh noch Hause! Du erkältest dich noch!“
„Noch nicht.“
„Was?“
Er brach darauf einfach den Kontakt ab. Nicht zu fassen!
„Keenan?! Jetzt schalte das Teil wieder an!! Jetzt!“
Doch da tat sich nichts.
Ich wollte das Teil schon gegen einen Baum schmettern, liess es dann doch lieber sein.
Was jetzt? Ich muss ihn finden..!
Aber wo? So weit kann er nicht sein, sonst wäre die Verbindung nicht so gut gewesen…


Ich drehte mich um die eigene Achse, um mich besser orientieren zu können.
Als ich zu beschäftigt war, mich mit Keenan zu unterhalten, habe ich gar nicht bemerkt, wie weit ich schon gelaufen war.
Ich fröstelte schon. So kalt war es, obwohl ich so vieles anhatte.
Ob Keenan eine Jacke mitgenommen hat?
Meine Augen brannten schon die ganze Zeit, weil ich mir die Tränen unterdrücken wollte.
Ich bin soeben zur grössten Heulsuse aller Zeiten gekrönt worden..!
(Könnt doch nach zählen, wie oft ich bis jetzt schon geheult habe..)
Ich blieb vor einer Bank stehen und probierte mich davon abzuhalten dort zu hocken, weil ich sonst noch mehr frieren würde. Etwas Grelles leuchtete mir kurz über den Weg, doch verschwand sogleich. Was war das?
„Tifa?“
Ich schreckte hoch.
Man! Hat der mich erschreckt..


„K-keenan?“
„Du meine Güte. Frierst du etwa?“
„R-red du keinen M-mist! Du bist der, d-der hier die g-ganze Zeit niest!“
„Ach so? Na dann wollen wir es schnell hinter uns bringen.“
Ich dachte nach. Was meinte er damit?
„Du stehst gerade vor einer Bank oder?“
„J-ja. Woher weisst du das?“
„Ich sehe dich.“
Hastig drehte ich mich um. Wo war er?
„Lauf noch einige Meter.“ Ich lief.
„Wo genau?“
„Das Haus von Onkel Edward.“ Ich rannte. Es war nur einige Häuser weiter.
„Dort bist du?“
„Ja.“
Dann machte es Klick und die Verbindung wurde wieder getrennt.
Ich sah von weitem ein Lichtschein. In unserem Viertel war Onkel Edward (so nannten ihn alle hier) berühmt wegen seinen Äpfeln.
Er hätte einen prächtigen Apfelbaum. Keenan und ich haben schon öfters versucht, uns abends wegzuschleichen um hier einige Äpfel zu stehlen.
Meine Schritte verlangsamte sich. Eine Taschenlampe lag im Garten von Onkel Edward.
Das Grelle vorhin, war also diese Taschenlampe.
Ich blickte noch kurz herum, doch niemand war zu sehen.
Schliesslich hob ich die Taschenlampe hoch und versuchte damit Ausschau nach Keenan zu halten.
Ich leuchtete auf den Apfelbaum und sah etwas am Ast hängen.
Ein Brief.
Ich musste mich auf die Zehen stellen, um diesen Brief runterholen zu können.
„T-tifa?“
Er schien wieder Kontakt mit mir aufgenommen zu haben. Aber ich hörte nicht hin.


Liebe Tiffany Louis, Hallo Tiffany Tifa,(durchgestrichen)
Hey Tifa,

Gestern, als ich dich gesehen habe, wusste ich genau, dass(durchgestrichen)
Als ich in deinen Augen sah, wurde mir plötzlich bewusst, dass (durchgestrichen)
Ich weiss nicht was mit mir, all die Jahre (durchgestrichen)
Dann habe ich gehofft, dass (durchgestrichen)
Ich wusste nicht wie ich (durchgestrichen)

Was ich sagen wollte,
es tut mir leid.

Der Adler (durchgestrichen)
Keenan

„Tap, Tap“ Schritte knirschten im Gras.
„T-tifa?“
Keenan war gleich hinter mir. Für diesen Satz hatte er also so lange gebraucht?
Was für ein Idiot.
Ich drehte mich um. Er stand wirklich da und hatte nicht vergessen eine Jacke mitzunehmen.
In seinen Händen hielt er einen Apfel.
Er schaute mir direkt in die Augen.
„Hier. Wir wollten schon immer abends einen Apfel von Onkel Edward stehlen, nicht?“
Ich wusste nicht mehr was ich tat.
Er war so ein Idiot. Idiot. Idiot. Idiot.
Ich rannte ihm entgegen und warf mich in seine Arme, sodass er vor Schreck den Apfel fallen liess.
Er stiess mich nicht fort und legte seine Arme um mich, drückte mich fester an ihn.
Und ohne, dass es mir bewusst war, rannten mir die Tränen wieder die Backen runter.
Doch diesmal wusste er, was er tat. Und ich wusste, was ich tat.
Danke Dame, dass du mich wach gerüttelt hast.
Danke, dass du mir endlich die Augen geöffnet hast.
Mir gezeigt hast, dass es nicht wert war, diese Freundschaft aufs Spiel zu setzen.
Dass ich immer bereit sein sollte zu verzeihen, damit die Nacht sich nicht so einsam fühlt.
Damit wir den Morgen am nächsten Tag entgegen lachen können.
Danke Dame.



Kapitel VIII




„Ahh. Verdammt!“
Ich rannte hastig ins Badezimmer, öffnete den kleinen Schrank neben der Badewanne und holte den ersten Hilfekasten heraus.
Vor Hast fiel mir, genau wie die dritte Tasse vorhin, auch diese Kaste aus den Händen und krachte zu Boden.
„Tifa? Was ist nun schon wieder los?“
Marie stand, Arme an den Hüften legend, nicht gerade verständnisvoll guckend, vor das zu Boden gefallene Kasten, beugte sich und hob alles auf. Ich wartete nicht lange und half mit.
Ich wollte Marie so oft wie möglich meiden, bis das vorbei war, bis ich diesen Tag hinter mir habe.
„Tifa Schatz, was ist heute los mit dir?“, fragte mich Marie schliesslich, während sie mir half, die Pflaster aufzulesen, „das ist schon irgendwie das zehnte Mal heute, dass du etwas herunterfallen gelassen hast!“
„Echt? Du übertreibst! Mir passiert das doch ständig!“, meinte ich und lachte gekünstelt.
Sie schüttelte den Kopf und schaute mich streng an, wobei ich beim genaueren Hinschauen Sorgen in ihren Augen sah.
„Ach Marie, da ist nichts! Ehrlich!“
„Ist es wegen diesem Dame?“
Ich war höchst überrascht auf diese Antwort. Wie kam sie plötzlich auf ihn?
Eigentlich lag sie da nicht einmal so falsch..
Morgen war es so weit. Das Treffen mit Dame!
Ich schüttelte meinen Kopf voller Aufregung. Dabei habe ich mir noch gar nicht ausgedacht, wie ich das hinkriegen sollte, was „Tivo“ angeht.
So als Tifa zu kommen, war eine Sache der Unmöglichkeit.
Wollte ich das nicht abblasen lassen?
Ich habe mir schon so lange darüber Gedanken gemacht und habe beschlossen zu gehen.
Meine Beschlossenheit lag gerade auf einem Stand von 98%.
Es könnte immer noch sein, dass ich vor Aufregung absage und doch nicht komme, was eigentlich der einfachste und sicherste Weg war.
„Ah, wie kommst du auf Dame?“, fragte ich verunsichert.
„Ich weiss nicht. Alles hat angefangen, als Dame kam.“
„Das ist nur Einbildung. Hab doch erst angefangen Tassen fallen zu lassen, seit Keenan wieder hier ist, oder? Nicht dass er schuld wäre..“
„Oh Tifa, Schatz“, sagte Marie schmunzelnd, „bist du etwa so nervös, seit er wieder hier ist?“
Schnell schüttelte ich entsetzt den Kopf.
„Nein! Sicher nicht! Er ist nur ein Sandkastenfreund. Nichts weiter..“
„Vielleicht wird ja noch was, so gut wie ihr befreundet seid!“
Wie bitte?! Ich und Keenan? Der ist wie ein Bruder für mich!


„Nene. Mach dir keine Hoffnungen, Marie.“
Schnell klebte ich mir das Pflaster auf den Finger, packte den Kasten fort und lief an Marie vorbei.

*



Es war schon kälter geworden. Bald ist es Winter, dann kann ich meine neue tolle Jacke nicht mehr anziehen. Ich zog meinen Kopf tiefer in die Jacke um meine kalten Ohren zu wärmen.
Schon zehn Minuten sass ich auf der Treppe, immer noch auf Sara wartend.
Sie sagte mir, sie würde mir einige Mathenotizen ausleihen.
Zum Glück hat sich das mit Keenan geregelt.
Ich wüsste nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen könnte, wenn ich da noch dieses Treffen im Kopf hätte.
Ein Glück, dass wir wieder etwas zusammen machen konnten. Ich habe diese Zeiten so vermisst.
„Hey Tifa! Was hockst du hier so rum?“
Ich hob meinen Kopf und kam noch mit dem Schrecken davon.
Dame schaute mir runtergebeugt in die Augen - seine blauen Augen leuchteten mystisch auf.
Ich schluckte und hätte mir beinahe in die Zunge gebissen.
Wer würde schon erwarten, dass einem so ein Typ so tief ins Gesicht schaut, vor allem wenn dieser gewisse jemand unglaublich reinschauen konnte. Und man dazu noch so verträumt durch die Gegen blickt.
Ich kann nur hoffen, dass ich nichts im Gesicht hatte.
„E-eh ich warte auf Sara“, krächzte ich. Mein Hals fühlte sich so trocken an, sodass ich kaum sprechen konnte.
„Und wieso in dieser Kälte?“
Er musterte mich wieder. Wieso eigentlich? So attraktiv war ich nun auch wieder nicht..


„Weiss nicht. Jedenfalls will ich nicht gerade mit Marie unter einem Dach sein...im Moment.“
Ich versuchte locker zu lächeln, wobei ich das Gefühl hatte, als wäre mein rechter Mundwinkel komisch verdreht.
Schnell räusperte ich mich und er lachte.
Für ihn war ich sicherlich nur eine Witzfigur.
„Ist irgendetwas passiert?“
Ich wollte mir schon eine Ausrede ausdenken, da hörte ich von weitem eine allzu bekannte Stimme.
„Daaaammmeeee!!!!“
Als hätten wir schon x-mal diese Situation gehabt, oder als ob wir dies schon geübt wären, drehten wir unseren Kopf überraschend gut synchron um und erblickten die von weitem winkende Sara.
Wir winkten unbeholfen zurück.
Ausser Puste stützte sie sich an Dame –wie unverschämt- und lächelte ihn schliesslich zu.
Ein komisches Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit und entsetzt über diese fremde Erscheinung stand ich urplötzlich auf.
Sie warfen mir irritierende Blicke zu.
„Ach ja. Hast du die Notizen dabei?“, warf ich schnell ein.
„Ja. Moment..“ Sie kramte angestrengt nachdenkend in ihrer Tasche und fischte einige gefaltete Notizen heraus.
„Ach ja Dame. Bist du heute Nachmittag frei?“, sagte sie sogleich nachdem sie mir die Notizen in die Hand drückte.
Er schaute hinauf zum Himmel. Eine komische Angewohnheit von ihm, wenn er nachdachte.
„Tut mir leid Sara. Aber heute habe ich mit einem Kumpel abgemacht.“
Vor lauter Schreck liess ich die Notizen fallen, sodass es auch den anderen nicht entgangen war. „Tifa? Was ist los?“, fragte mich Sara überrascht.
„Haha. Wie tollpatschig. Tut mir leid, da ist nichts.“
„Keine Sorge Tifa. Du bist nicht die einzige, die enttäuscht ist.“
Nochmals tat ich etwas was nicht überschaubar war.
Ich verschluckte mich und fing an zu husten.
„Und Dame? Wer ist dieser Kumpel denn? Chris?“, fragte Sara neugierig.
„Nein, nein. Er geht nicht in unsere Schule, aber in die Nachbarschule Gerstenheim. Tivo heisst er.“
Das war eines der Zeichen, worauf ich besonders achten musste.
Jetzt galt einen guten, effektiven Ablenkungsmanöver herbeizuzaubern, wo ein Misslingen inakzeptabel wäre.
„Hey, ist das nicht Chris?!“
Theatralisch zeigte ich auf die leeren Strassen, während ich inständig hoffte, dass Chris doch noch aus heiterem Himmel vor uns stehen würde.
„Ach so. In einem Chat?“
„Ja. Eigentlich purer Zufall.“
Sie führten ihr Gespräch weiter, als wäre nichts passiert. Kein plötzlicher Aufschrei, wo ein gewisser jemand auf leeren Strassen zeigt und meint, einen Freund gesehen zu haben.
Verloren liess ich meinen Kopf sinken und hielt mir doch lieber alle Ideen fern, nur irgendwie einen Ausweichungsmanöver zu machen, da das ja sicher auch nichts bringen würde – im Gegenteil, eher verdächtiger wirken würde.
„Und wann trefft ihr euch?“
„So ungefähr um drei. Ich muss mich beeilen, tut mir leid.“
„Aber es ist doch erst in mehr als zwei Stunden drei. Wieso hast du es jetzt schon eilig?“
„Ich muss nämlich noch was erledigen.“
Er winkte zum Abschied und liess uns zwei Frauen zurück.

*



Deprimiert, geschockt, unentschlossen, verwirrt und zutiefst enttäuscht von mir selbst, liess ich mich auf dem Boden meines Schlafzimmers plumpsen und hätte am liebsten los geschrien.
Doch so einfach war es nicht. Es war ja nicht so, als würde sich das Problem in Luft auflösen, wenn ich laut werde.
Deprimiert, da nicht das passieren konnte, was ich wollte.
Geschockt, weil es schneller ging als ich es wahrnahm.
Unentschlossen, weil ich schon seit einer Ewigkeit zwischen der Auswahl „gehen“ und „absagen“ hänge.
Verwirrt, dass Dame sich zu so etwas entschieden hatte.
Und zutiefst enttäuscht von mir, da ich mir gegenüber nicht ehrlich sein kann, da ich einfach nicht sehe, was ich wirklich will.
Ich drückte mir ein Kissen ins Gesicht. Innerlich freute ich mich heimlich auf das Treffen.
Doch ich musste mir nun eingestehen, dass Zeit war eine Entscheidung zu fällen.
Denn ohne einen wasserfesten Plan würde alles nur den Bach runtergehen.
Und wenn ich absagte, wird mein einmaliges Treffen, wozu ich sonst nie den Mut aufbringen könnte, einfach verschwinden.
Das Schlimmste aber war, dass ich nicht einfach wie ein Strauss den Kopf in den Sand stecken konnte, falls es auffliegt.
„Hey! Was soll das Gesicht? Und ich dachte, ich könnte etwas Spannendes sehen..“, ertönte es enttäuscht in meinem Zimmer.
Das Walkie Talkie lag dort angeschaltet und von mir völlig vernachlässigt in einer Ecke geworfen, was das Produkt einer Aggressions- und Verzweiflungsakt war.
„Keenan?!“ Ich schnappte ihn mir bestürzt und wollte es zugleich wieder wegwerfen.
„Was redest du da?“
Er lachte.
„Hm. Zerzauste, ungebürstete Haare. Zwei verschiedene Socken, worin eine ein Loch an der Ferse hat und ein unaufgeräumtes Zimmer. Ach ja, dein Gesichtsausdruck ist der Hammer!“
Schnell stürzte ich mich zum Fenster und riss es auf.
Meine Augen fielen auf das gegenüberliegende Fenster, wohinter ein grinsender Stalker mit Fernglas stand.
„Du Schwein! Wie lange hast du mich schon beobachtet?!“, schrie ich ihm praktisch ins Ohr.
„Keine Sorge, nicht lange. Du ziehst dich sowieso im Badezimmer um.“
Ich wollte ihm schon das verdammte Walkie Talkie an den Kopf knallen, nur zu blöd, dass ich mit meinen Wurftechniken es nicht weit schaffen würde.
„Hör auf damit! Wegen dir fühle ich mich jetzt nicht einmal mehr in meinen eigenen vier Wände sicher!“
Er spürte den Ernst in ihrem Ton.
Schnell legte er sein Fernglas zur Seite und verschwand aus Tifas Sichtweite.
Erschöpft liess sie sich endgültig und fest entschlossen nicht wieder unausgeruht aufzustehen, was auch passieren mag, aufs Bett fallen und starrte zur Decke.
Als sie die Augen schloss ertönte ein Klavier..

Inmitten eines Raums stand ein weisser Flügel, worauf einzeln langsam die Tasten runtergedrückt wurden.
Leise ertönte eine Melodie. Die Melodie von Dame. Die, die von seinem Vater gespielt wurde.
Wunderschön, befreiend.
Mein Atem wurde ruhiger, als ich weiterhin die Melodie verfolgte.
Es beruhigte alles und ich fand mich in eine völlig andere Umgebung wieder.
Sie hatte sich der Melodie angepasst, doch mir war alles egal.
Ich wollte weiter hier liegen, zuhören und sehen, wie diese Finger wie verzaubert über die Tasten schwebten.
Meine Augen starr zu den Händen gerichtet, während ich am Boden daneben lag, mein Kopf auf den Armen ruhend, immer noch die Melodie folgend.
Ich wollte meine Augen schliessen, um so wirklich Ruhe zu finden, von diesen Tönen in eine Traumwelt gebracht zu werden, doch ich wollte mir gleichzeitig nicht entgehen lassen, wie diese Hände weiterhin so bezaubernd übers Klavier glitten.
Also liess ich die Augen offen, schon so schwer vor Müdigkeit, doch ich enthielt mich jetzt einzuschlafen.
Jetzt kommt doch dieser ruhige Teil, wo man so schön über alles nachdenken konnte.
Mein Kopf bewegte sich zum Takt des Stücks. Weiter immer weiter.
Und ich sah Dame, der komischerweise einen weissen Anzug trug.
Er war gerade durch eine riesige Tür hineingekommen, ein sanftes Lächeln im Gesicht.
Doch er machte keinen Anstalt mir zu nähern, nein, auch sein Blick war am Klavier geklebt.
Fasziniert. Doch nicht die gleiche Faszination, die ich empfand.
Es war so, als wäre ihm dieses Gefühl gegenüber diesem Spieler am Klavier gar nichts Neues, ein immer wieder auftretendes Faszinationsgefühl.
Kein Wunder, es war auch sein Vater.
Schliesslich setzte er sich neben ihm und auch er liess seine Finger über die Tasten gleiten.
Und wieder überfiel mir das Gefühl, ihn umarmen zu müssen.
Nicht loslassen zu können.
Mir wurde klar, wie wichtig er mir geworden ist. Weiterhin hörte ich in der Ferne das Klavier.
Nie aufhören..



Ich schreckte erschrocken auf, als ich etwas Nasses auf meinem Gesicht spürte.
Angewidert nahm ich mir das nasse Tuch von meinem Gesicht und warf es Keenan zu, der grinsend am anderen Ende meines Bettes sass und ein Buch in den Händen hielt.
Neben ihm am Boden lag ein Schüssel voller Wasser.
Anscheinend hatte er mehrere Male versucht, mich mit dieser Technik aufzuwecken.
„Schön geschlafen, Tifa?“, fragte er belustigt.
Ich drehte mich auf dem Bauch, um sein grinsendes Gesicht zu meiden, und liess mein Gesicht im Kissen ruhen.
„Aufwachen. Ich bin extra gekommen um dich aufzuheitern. Was soll dieser schlappe Gruss?“
Ich drehte mich genervt um und sah ihm sauer ins Gesicht.
„Ich habe, wie du sicher schon bemerkt hast, geschlafen.“
„Ja, wie ein Hund.“
„Also lass mich.“
„Jetzt bist du aber wach. Willst du mir nicht erzählen was war?“
Nachdenklich wog ich meinen Kopf hin und her und verschränkte meine Arme.
Ganz langsam erinnerte ich mich wieder.
„Ach. Das Treffen mit Dame..“
Ich erhob mich so schlagartig, sodass ich beinahe vom Bett fiel.
Auch Keenans Gesicht veränderte sich zu einem eher überraschten.
„Oh du meine Güte. Was für eine Zeit haben wir?!“, stiess ich entsetzt hervor.
„Hm. So etwa 14 Uhr, wieso? Und wer ist Dame? Ist das nicht diese Schokolade mit Caramelfüllung und Nüssen?“
„Sie heisst Daim! Und Dame ist jemand aus meiner Klasse.“
Stumm blieb er hocken. Seine Augen wirkten plötzlich komisch zusammengekniffen.
„Dein Freund?“
Aus Versehen stiess ich mir mein Fuss an einem Stuhl und fluchte.
Schockiert drehte ich mich um.
„Nie im Leben!“
Er lachte und liess sein Buch auf dem Bett liegen.
„Und ich dachte schon, du hättest einen Schwarm oder Schatz oder sonst was!“
Er hatte es definitiv falsch verstanden..


„Also äh..“
Ich probierte ihm in die Augen zu schauen und nicht wie ein kleines Kinde wegen jeder peinlichen Situation wegzuschauen, was auch eine Gute Übung war, falls Dame so mal vor mir stehen würde.
Erstaunt schaute er hoch zu mir. Vielleicht schon ahnend, was jetzt kommt.
„Eigentlich mag ich ihn sehr. Aber niemals im Leben würde er mein Freund werden“, flüsterte ich schüchtern und lächelte schliesslich.
Ich dachte er würde jetzt wieder lachen und sich dann auf dem Boden werfen, wie er es früher tat, wenn er mich auslachte.
Aber komischerweise starrte er mich nur in die Augen und noch mit offenem Mund.
So gesehen, war das auch irgendwie eine komische Reaktion, aber auch irritierend.
Er senkte seinen Kopf.
Mein Herz pochte plötzlich so unregelmässig, was mich dazu brachte mich vor ihm auf den Boden zu Knien.
„Keenan?“
Es war still. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch es war definitiv was komisch.
„Du hast dich also verliebt?“, fing er dann plötzlich an.
Irritiert über sein Tonfall, nickte ich.
Obwohl es eigentlich dumm war, konnte er meine Antwort trotzdem verstehen.
Er bebte plötzlich. Seine Hände legten sich auf seinem Bauch.
Erst hörte ich ein komisches Geräusch, welches sich dann zu einem heftigen Lachen ausartete.
„Hahaha! Du meine Güte! Das wird aber auch mal Zeit!“, sagte er.
Er hatte vor Lachen schon ganz wässrige Augen gekriegt.
Beleidigt stand ich auf und schmiss ihm ein Kissen ins Gesicht, welches er geschickt abfing.
„Na na. Gib’s zu. Wie es aussieht hast du keine Chance bei ihm?“
Ich hätte ihm am liebsten noch ein Kissen angeworfen, doch mir fehlte die Zeit dazu.
„Hör auf mich immer fertig zu machen! Hab jetzt keine Zeit!“
„Ach ja. Du triffst dich ja mit ihm?“
Wie von einem Blitz getroffen, blieb ich stehen.
Ich treffe mich mit ihm? Nein, Tivo

trifft sich mit ihm! Was jetzt?!?!


„Haha. Wie es aussieht, triffst du dich doch nicht mit ihm. Er scheint wohl ein ganz Hübscher zu sein.. Wie viele Frauen er wohl hat?“
Ich hörte immer noch wie Keenan non-stop weiter vor sich hin labberte und über seine eigenen witzlosen Spasse lachte. Doch mir blieb kaum Zeit mich von ihm ablenken zu lassen.
Nur weil ich verpennt habe, kann ich nicht mehr absagen! Wer sagt schon eine halbe Stunde vor einem Treffen in einem Chat ab?
Ich muss mir was überlegen! Einfach nicht gehen ohne was zu sagen..?
Ich wäre sicher sauer, wenn es mir passieren würde.


„Hm vielleicht ist er ja auch schwul und trifft sich mit einem Kerl? Vielleicht kannst du ihn deshalb nicht kriegen. Armes Mädchen“, hörte ich seine langsam wirklich alberne Rede.
Wieso konnte er in eine solche Situation nicht einfach die Klappe halten?!
Wie taktlos!
„Du schaust so nervös rein, Tifa. Ist was?“
Ich gab ihm keine Antwort und blickte ihn so böse an wie ich nur konnte.
Dies würde reichen um ihn zum schweigen zu bringen.
Doch falsch - er redete weiter.
Anscheinend schien es ihm nicht zu stören. War diese Sache wirklich so amüsant für ihn?
„Tifa, ich muss dir was gestehen.“
Sein Ton hatte sich schon wieder verändert. Diesmal konnte ich den Ernst deutlich spüren.
Und auch spürte ich, wie auch er Mühe hatten mit den Worten.
Doch drängen wollte ich nicht, da ich irgendwie angst hatte davor, was jetzt kommen könnte.
Nervös spielte ich mit einem losen Faden von meinem Ärmel.
Er blickte zu mir auf.
Sein Blick entschlossen. Schliesslich stand er vor mir und packte mich an den Armen.
Ich schluckte.
Irgendwie sagte mir mein Gefühl, dass jetzt etwas kommen könnte, was alles ändern würde.
„Tifa“, fing er an. „Ich bin der, mit dem sich Dame heimlich trifft!“
Er prustete und hielt sich den Bauch vor lachen, worauf er sich dann am Boden krümmte.
„Keeennnnaaan!!“, sagte ich laut, „Das ist nicht witzig!!“
Wütend warf ich mich auf ihn und boxte ihm einige Male in den Bauch, worauf er aufschrie und nun wirklich am Boden liegen blieb.
„Aber du hättest dein Gesicht sehen müssen! Jeder hätte gelacht!“, meinte er beleidigt.
Und urplötzlich kam dieser Gedanke.
Diese Erleuchtung, die alles ändern könnte.
Ich grinste bis zu beiden Ohren.
Das könnte klappen!


„Keenan!“, sagte ich streng, „da du mich zutiefst innerlich verletzt hast. Mich psychisch zerstört hast, musst du mir nun einen Gefallen tun!“
Überrascht über diese Wendung hob er die Augenbrauen und liess mich weiterreden.
Anscheinend interessierte er sich dafür was ich jetzt zu sagen hatte.
Ich räusperte mich und verrenkte meine Arme.
„Du musst dich nun mit Dame treffen!“




Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.05.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle meiner treuen Leser

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