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Kapitel IV




Ich hatte das Gefühl, als würde ich am Stuhl festkleben.
So müde war ich schon seit einigen Jahrhunderten nicht mehr.
„Tifa, jetzt steh auf!“
Sara stupste mich verspielt an. Und das schon seit fünf Minuten.
Ich gab nur ein Gebrumm von mir und legte meinen Kopf in den Arm.
Eine schlaflose Nacht macht einem wirklich was zu schaffen.
Und das nur eine Nacht ohne Schlaf.
„Ach komm schon Tifa. Wir müssen uns für den nächsten Unterricht fertig machen.. Ich wette Dame wartet schon auf uns.“
Ich hob meinen Kopf.
„Ach ja, bevor ich es vergesse, Sara, kann man in einem Chat gleichzeitig online und offline sein?“, fragte ich schlapp.
Ihre Augen wurden plötzlich ganz gross und rund.
„Also erstens, so etwas gehört zu einem Grundwissen und zweitens, seit wann bist du in einem Chat angemeldet?“
Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und zwang mich sie anzuschauen.
„Ausser du hättest dich dort angemeldet..“
Ich verschluckte mich und fing an zu husten.
„Ha! Ich hab es gewusst! Du hast dich dort angemeldet und mir nichts gesagt!“
Beleidigt verschränkte sie ihre Arme.
„Nein, das stimmt nicht! Ich hab mal so nachgedacht, da ich ja immerhin sechzehn bin und es mal Zeit wird, dass ich mir so ein Grundwissen anlege und ich mich mal unter echtem Namen anmelde.“
Sie hob eine Augenbraue. Ich bin noch nicht bereit ihr das zu erzählen.. Vor allem, das mit dem Treffen mit Tivo. So wie ich Sara kenne, würde daraus eine Katastrophe werden.
Ich darf ihr nichts anmerken lassen.


Ich guckte ihr gelassen in die Augen. So gelassen wie möglich.
„Okay, okay..“, gab Sara sich endlich geschlagen, „Ja, man kann vorhin entscheiden, ob man sich schon vorher als „offline“ anzeigen möchte..das nützt vor allem, vor Spams oder Nachrichtenbomben.“
„Ach so ist das?“ Ich liess mein Ton so gleichgültig klingen wie möglich, dabei fand ich diese Erfindung so was von genial.
„Ladies? Wollt ihr uns noch länger warten lassen?“, fragte Chris, ein Klassenkamerad und jemand, der normalerweise kein Wort mit uns gewechselt hätte, wäre da nicht Dame, der alle so gut wie immer manipulieren konnte.
Ich wette, in ihm steckt sicher die Wiedergeburt von irgendein Gott.
Eines gutaussehenden Gottes.
Eines verdammt gutaussehenden Gottes.
Eines so was von verd-


„TIFA!“
Ich schreckte hoch und liess alles auf dem Pult fallen.
Ich sollte wirklich mal aufhören mit diesen Tagträumen..
Irgendwann wird das mir noch zum Verhängnis.
Sara schaute ungeduldig und genervt zu mir hinüber. Ein völlig genervtes Gesicht.
Völlig erschöpft stopfte ich alles was auf dem Boden gefallen war, in meine Tasche und schlenderte hinter Sara her.
„Wie geht es dir Tifa? Du siehst irgendwie müde aus“, hörte ich eine Stimme sagen.
Oh nein. Bitte nicht er. Einfach alle, nur nicht er..


„Ah Dame!“
Seit dem Chat konnte ich an nichts mehr denken, als das Treffen. Dabei war es schon beschlossene Sache, nicht?
Mein Gefühl sagte mir seitdem immer, Dame auszuweichen. Und ich wusste auch schon wieso.
Er grinste. Doch diesmal fand ich ein Makel.
Nein, die Mundwinkel sind korrekt verzogen, immer perfekt, doch seine Augen waren anders.
Sie waren trüb und erinnerten mich an die von gestern. Diese Leblosen, Verweinten.
„Und wie geht es dir Dame? Du siehst auch irgendwie müde aus“, hörte ich mich plötzlich reden. Sofort hielt ich den Mund.
Wieso musste ich laut denken?


Meine Müdigkeit machte mich wirklich zu schaffen.
Es wird nicht nur mein Leben erschweren, wie es aussieht.
„Ah tut mir leid! Ich habe nichts gesagt, vergiss es!“, korrigierte ich mich schnell und fuchtelte meine Hände komischerweise hin und her.
Sara ist das natürlich nicht entgangen und drängte sich dazwischen.
Zum ersten Mal bin ich froh, dass sie das tat.
„Hey Dame? Willst du hören was ich mir für heute alles ausgedacht habe?“, sagte sie energisch.
Er schaute sie nur verdutzt an.
Sie gab ihm einen kleinen Stoss in die Rippen, worauf er ihr seine volle Aufmerksamkeit geben musste.
„Hm?“
Zufrieden nahm sie seinen Arm und führte ihn weg.
Chris schüttelte gelassen seinen Kopf und folgte sie. Nur ich blieb wie angewurzelt stehen.
Ich sah wie Dame sich umdrehte und mir einen verwunderten Blick zuwarf.
Auch ich bewegte mich endlich und zusammen verliessen wir die Schule.
Chris schien beschäftigt zu sein, irgendwelche SMS zu schreiben, während Sara und Dame wie ein junges Liebespaar über den ganzen Schulhof her aufgeregt redeten.
Eigentlich war es nur Sara die da zu hören war, doch ich nahm jedes Nicken von Dame wahr.
„Wie lange seid ihr schon befreundet?“, versuchte ich ein Gespräch mit Chris anzufangen.
Er war ganz schön gross, beinahe zwei Köpfe grösser als ich, hatte dunkle Haare, ein irgendwie finsterer Blick und schien irgendwie immer beschäftigt und genervt zu sein.
Hoffentlich bin ich diesmal nicht der Grund.
Wenn man ihn länger betrachtet, sah er ganz süss aus.
Ihm ist mein musternder Blick wohl nicht entgangen und er bückte sich näher zu mir.
Sicherlich will er seine Grösse damit nur unterstreichen.
Angeber.


Ich wich automatisch einen Schritt nach hinten.
„Wie lange fragst du?“
Er dachte sehr lange nach. Zu lange.
Die Stille war schon unheimlich.
Ich wollte schon nachfragen, da ich das Gefühl hatte, er hätte die Frage schon wieder vergessen, fing er an zu reden.
„Eigentlich nicht lange. Ich habe ihn, bevor er hier zur Schule kam, einige Male auf einem Friedhof gesehen.“
Ich schluckte.
Ich wollte auf andere Gedanken kommen, weshalb ich mit Chris rede und Dame ausweiche.
Und nun schien mich dieses Thema überall hin zu verfolgen.
Ein schlechtes Omen?


Ich schüttelte meinen Kopf bei diesem kindischen Gedanken.
„Ach so..“
„Dame hat es echt nicht leicht.. und dort hab ich ihn dann auch kennengelernt.
Echt ein Zufall, dass er einige Tage danach zu uns in die Klasse gekommen ist..!“
Chris lachte.
Ich grübelte was daran so komisch war.
„Und ihr versteht euch gut?“, fragte ich neugierig.
„Ja. Manchmal redet er wirres Zeug, aber was will man machen? Er ist und bleibt ein komischer Kerl. Frauen stehen wohl drauf..“, meinte er grinsend (so was von überraschend, dass man mit ihm ein solches Gespräch führen konnte!) und zeigte auf Sara.
Ich lachte auf.
Chris war kein übler Mensch. Nur weil er manchmal so düster reinguckt, sagt das noch lange nichts von seinem Charakter aus.
Typische Vorurteile..
„Ihr teilt euch also viele Geheimnisse mit und so oder?“, hackte ich nach.
Er schaute überrascht.
„Na ja. Ich weiss nicht. Glaube schon. Aber ich werde dir nichts erzählen, wenn das deine Absicht war.“
Schon wieder lächelte er. Diesmal hatte er mich.
Ein siegessicheres Lächeln.
„Nein, das wollte ich auch nicht!“, log ich schnell, „Ich wollte nur schauen, ob Dame schon richtige Freunde gefunden hat..“
„Wie fürsorglich von dir. Stehst du auf ihn?“
Ich hustete einige Male.
Was für eine direkte Frage. Ohne jede Umschweife und Verzögerung. Direkt und einfach.
„Was?“
Ich guckte ihn fassungslos an.
„Ob du auf ihn stehst..“
Chris schaute mich unbekümmert an. Als es hätte er gefragt, ob ich das Wetter schön finde.
„Also das Wetter ist schön.“, antwortete ich darauf.
Was labbere ich da?!


Er guckte mich darauf verwirrt an und konnte sich vor lachen nicht mehr einkriegen.
Darauf folgten besorgniserregende Hustanfälle.
Dame drehte sich schlagartig um, rannte auf uns zu und zog Sara hinter sich her, die immer noch wie ein Äffchen an ihn klammerte.
„Was ist los hier?“, fragte er besorgt.
Dame schaute mich an, ein Blick, der mehr sagen konnte, als er es wusste.
„Also, ich weiss nicht, er fing plötzlich an zu lachen und hat..-“
Dame schlug Chris einmal fest auf den Rücken. So fest, dass ich schon einige Knochen brechen hören konnte.
Chris schreckte auf.
Und kaum ich mich versah, fing schon Dame an zu lachen.
Ein herzvolles Lachen.
Ich stand nur blöd da. Unfähig sich selbst klar zu machen, was hier eigentlich gerade vor meinen Augen passierte.
Doch mir machte es Freude ihn so zu sehen.
Sein Lachen so klar, so natürlich, dass mir ganz warm wird.
Ich spürte wie mein Herz abermals aussetzte, als ich ihn sah, wie Dame Chris entschuldigend umarmte.
Er schien so glücklich zu sein.
Trotz den vielen Tränen die er da vergossen hatte, kann er so lachen.
Und ich freute mich. Sehr sogar.

*



Sie schnitt noch einige Marzipanblümchen und legte sie noch zurecht, bevor sie den Kuchen zufrieden einpackte und dann in ihrem Korb platzierte.
Tief einatmend krempelte sie ihre Ärmel hoch und schaute in den Spiegel.
„Ach Marie, deine Falten werden ja immer klarer, trotz Faltencreme. Was tun wir bloss mit dir?“, murmelte Marie vor sich hin.
Schliesslich zog sie ihre Schuhe an und schloss ab.
Mit einem lächeln eilte sie die wenigen Schritten zum Nachbarhaus rüber.
Ein bisschen mulmig wollte sie klingeln, als plötzlich die Tür aufging.
„Ah, ich wollte soeben klingeln“, meinte Marie.
Der Mann, etwa Mitte dreissig, hatte hellbraune Haare, so blaue Augen, da wirkten sie schon gräulich und einen drei Tage Bart, der ihm überaus gut stand, legte seinen Kopf etwas schief in den Nacken als er Marie sah.
Daraufhin zupfte sie nervös am Rocksaum herum.
Er lächelte schliesslich.
„Wirklich? Also, ehm suchen Sie etwas?“
Er legte seine Hände in die Hosentaschen.
„Also, nein eigentlich nicht. Ich wollte nur einen Kuchen rüberbringen.“
„Danke Frau Louis-“
„Nennen Sie mich bitte Marie, Herr Chester“, warf sie schnell ein, „die formale Anrede liegt mir nicht besonders.“
Er guckte sie überrascht an.
„Einverstanden, Marie. Darf ich das auch von dir erwarten?“
Sie zögerte kurz.
„Ja wieso nicht? Eh-“
„David. Ich heisse David. Und nicht David Chester, sondern David McJohnson.“
„Aber wieso heisst ihr Sohn dann Dame Chester?“, fragte Marie überrascht.
David strich sich über die Haare und schaute abwesend zum Himmel.
„Weil Dame Chester gar nicht mein Sohn ist.“

*



„Und was genau machen wir hier?“, fragte Chris und drückte eine Clownpuppe in seinen Händen herum. Daraufhin nahm Sara eine Ente zu sich und klammerte sich daran.
„Die Ente sieht aus wie du, Tifa“, sagte sie und grinste.
„Ha, und dieser Dinosaurier wie du!“, meinte ich und lachte.
Wir befanden uns gerade in einem Einkaufszentrum, weil Dame uns hierhin geschleppt hatte, ohne auch nur zu erwähnen, was er vorhatte.
Nun sind wir in der Spielzeugabteilung.
„Nein, Tifa ist doch keine Ente, eher das hier“, sagte Dame und hielt ein Plüschtier hoch.
Ich blickte in zwei schwarzen Perlenaugen.
„Ein Panda?“, sagte ich verdutzt.
Er lachte. „Süss nicht?“
Ich wurde rot.
Heisst das, er findet mich süss?


„Haha. Langweilig, dumm, faul und fett?“, prustete Chris laut hervor und lachte wieder.
Beleidigt warf ich ihn den Dinosaurier-Plüsch ins Gesicht.
Dame lächelte nur und versorgte den Panda wieder an seinem Platz.
„Ach ja“, sagte ich dann, „Pandas sind nicht fett, nur der Fell ist dick!“
Wir kamen dann in die Kleiderabteilung.
Frauenkleider.
„Also, Dame? Nichts gegen deine Bedürfnisse, aber was genau willst du hier in der Frauenabteilung?“, fragte Chris.
Er grinste.
„Komm nicht auf falsche Gedanken. Wir haben hier Ladies am Bord und ich will doch keinen schlechten Eindruck hinterlassen..“, sagte Dame nur. „Ich suche Socken.“
„Das gibt’s auch in der Männerabteilung“, sagte ich.
„Nun ja, ich brauche pinke Socken und in der Männerabteilung gibt es sie nicht“, erwiderte Dame und schaute suchend in jedes Regal.
Ich kriegte einen kleinen Schock.
Pinke Socken?!


Ich konnte mir schon vorstellen wie mein Gehirn auf Hochtouren arbeitete, nur um diese eine Information richtig einsortieren zu können.
Hat das jetzt etwas mit Tivo zu tun?


„Und du hast uns extra hierher bestellt, nur um dir bei der Suche von pinken Socken zu helfen?“, meinte Chris und wühlte in Frauenunterwäsche rum. Daraufhin gab Sara ihm einen kleinen Stoss zwischen die Rippen.
„Bitte benimm dich, Chris“, sagte sie dann, ein wenig rot im Gesicht.
Er zuckte nur mit den Schultern und liess die Unterwäsche dann in Ruhe.
„Komm schon Tifa, jetzt hilf doch mit“, sagte Sara und zog mich mit ihr durch die Regale.
„J-ja, denkst du nicht, dass wir sie eher in der Kinderabteilung finden?“, meinte ich zögerlich.
„Hm, meinst du?“, sagte sie beschäftigt hinter mir.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie mir gar nicht richtig zuhörte, also machte ich mich dann alleine auf dem Weg.
Socken haben sicher auch ihre Grösse.. welche Dame wohl hat? Gibt es sie in einer so grossen Grösse hier in der Kinderabteilung? Socken kann man ja auch ausdehnen. Stimmt.


Ich erblickte dann schliesslich, jetzt ernsthaft, ganz schön eingepackt, mitten in all den anderen bunten Sachen, pinke Socken.
Das Highlight: pinke Socken mit

Krönchen und

der Aufschrift „Prinzessin“.
Haha. Dame in diesen

Socken? Das gibt es nicht.
Doch nur um sicher zu gehen, dass es sie nicht in einer anderen Version gibt, nämlich ohne

Aufschrift und Krönchen, nahm ich die Packung heraus.
Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass sie nicht raus wollte und ich zog fester daran.
Es sah schon aus, als würde ich mit dem Regel streiten. Um eine Socke.
Herrje, jetzt gib sie mir schon her!


Nach etwa drei mal hin und her ziehen, merkte ich, dass sie nicht klemmen konnte.
„T-tut mir leid, aber ich habe sie zuerst gesehen..“, meinte ich schliesslich zu der Person auf der anderen Seite des Regals.
„Echt? Schade.“, hörte ich sie reden. Die Packung lockerte sich.
Ja! Ich konnte Dames Socken finden!


Aus irgendeinem Grund freute ich mich wie ein kleines Kind, für ihn Socken gefunden zu haben.
„Ich mag es, wenn du so lächelst.“ Hörte ich die Stimme nochmals.
Ich schaute durch das Loch, worin vorhin die Packung war und erkannte einen Pullover.
Bevor ich noch einen anderen Gedanken fassen konnte, erschien schon ein Gesicht.
„Ich wusste gar nicht, dass du auch so scharf danach warst“, sagte Dame grinsend.
„Du?“, sagte ich überrascht, „Red keinen Quatsch!“
„Ach ja? Aber ganz schön tiefgründiger kreativer Quatsch nicht?“
„Hör auf damit dich manchmal auf so einem hohem Pferd zu stellen!“
„Tu ich das? Aber das machen Prinzen nun mal wenn sie ihre Prinzessinnen beeindrucken möchten.“
Ich blieb stumm. Ich konnte ihm nur noch in die Augen schauen. Es waren auch nur Augen zu sehen, aber mir fiel trotzdem nichts mehr ein.
Es waren schöne Augen. Vor allem solche, die vieles erlebt haben.
Berge, Tale durch quert haben und öfters zurückblicken.
Augen, die ich gut kannte.
Die meine repräsentieren.
Solche, die man nur entgegenlächeln kann. Für alles offen.
Langsam merkte ich, was er meinte.
Ich entfernte mich hektisch von der Lücke und stopfte die paar Socken wieder rein.
„Hmpf“, hörte ich ihn noch sagen. (Kann man das sagen? Es war eher ein überraschter Laut, oder so.)
Wir trafen uns wieder zusammen und Dame kam mit einem Grinsen im Gesicht herbeigeeilt, wie ein kleines Kind, das gerade vom Weihnachtsmann beschenkt wurde.
Die Packung in seinen Händen.
„Und Dame, erfolgreich gewesen?“, fragte Chris.
„Nun ja, ohne die Hilfe eines Fräuleins, hätte ich die hier nicht gefunden.“, sagte er.
Ich starrte zu Boden und versuchte eine unbekümmerte Miene zu stellen.
„Ach, wer denn?“, fragte Sara sogleich und hielt schon Ausschau.
„Nun, das Fräulein, mit den wundervollen Augen, ist leider mit ihrem Prinz und seinem hohem Pferd davon geritten“, sagte er grinsend.
„W-was?“, meinte Sara.
Chris lachte. „Du warst schon immer ein komischer Vogel!“
Ich wette auf die pinken Socken, dass ich rot wurde. Schon wieder.
Kritisiert die Autorin nicht, wenn ihr meint, sie wäre unkreativ oder hätte einen kleinen Wortschatz, ich werde wirklich immer rot.
Schliesslich hatte Dame tatsächlich diese Socken gekauft. Auch wenn „Prinzessin“ drauf stand.
„Du tust dir das wirklich an?“, fragte Sara verwirrt.
Dame lächelte.
„Nun ja, seit dem Zusammentreffen mit dem Fräulein, haben sie eine tiefere Bedeutung gekriegt“, meinte er, „nicht Tifa?“
Was sollte ich in dieser Situation tun?
Nun, ich lachte mit.


Kapitel V




Ein Grinsen, das jedes Honigkuchenpferd vor Neid erbleichen liess, machte sich in meinem Gesicht breit.
Und so betrat ich auch die Stube. Marie war nicht aufzufinden, doch ich wusste, dass sie hier war. Ihre Präsenz war deutlich spürbar.
Jetzt denke ich auch schon wie eine Schamanin..bin ich völlig durch den Wind?
Aber das war kein Scherz. Ich spürte sie wirklich.
Das hab ich einmal, als ich kleiner war, gemerkt, als ich mich verlaufen habe.
Da gingen wir in die Ferien, nach Italien war das.
Schon früher war ich sehr neugierig und kein Ding konnte meinen Augen entfliehen.
Hatte ich etwas im Visier, so blieb es auch dort.
Ich hatte dort einen Mann gesehen, der mit irrsinnig vielen Hüten durch die Gegend spazierte, und gleichzeitig mit einem Vogelkäfig in der Hand, Liedchen sang.
Natürlich, und auch vorhersehbar, folgte ich dem Mann.
Sehr dumm von mir, ich weiss.
Mit der Zeit habe ich bemerkt, dass Marie ausser sichtweite war und ich schrecklichen Hunger hatte.
Der Mann entpuppte sich schliesslich selbst als netter Tourist und hat mir etwas zu essen gekauft. Leider wusste auch er nicht genau, wo wir uns befanden, oder wo die Polizei war.
Und Geld hatte er auch kaum.
Er wanderte mit mir durch die Gegend, möglichst die Strecke zurück, doch das war nicht so einfach, denn wir hatten anscheinend beide einen schlechten Orientierungssinn.
Nach einer gewissen Strecke spürte ich etwas. Ein „ziehendes“ Gefühl. Schwer zu beschreiben.
Mein Instinkt zwang mich dieses Gefühl zu folgen. Ich rannte Gassen entlang und die Bäume rasten nur so an mir vorbei. Und ich hatte kein Funken Ahnung, was ich da tat oder ob es der richtige Weg war.
Doch voilà, Marie stand verzweifelt mit einigen Polizisten an einer Kreuzung.
Sie hatte fürchterlich geweint.
Den Rest könnt ihr euch selbst ausmalen.
Ach ja. Das könnt ihr nicht wissen.
Marie wollte dem Tourist Geld schenken, aus Dankbarkeit auf mich aufgepasst zu haben. Doch er wollte das Geld nicht, stattdessen nahm er mein Hütchen, hängte es sich an seiner Tasche und verbeugte sich.
Ich war froh, dass ihm mein Hütchen gefallen hat, das hiess ja, dass er sicher an mich denken wird. Seitdem habe ich ihn nicht mehr wiedergesehen.
Komisch, dass er mir jetzt wieder eingefallen ist..

„Marie?“, fragte ich nach ihr.
„Marie??“, versuchte ich noch mal, „bist du hier?“
Ein mulmiges Gefühl ersetzte das vorige Blumige des Honigkuchenpferdes.
Normalerweise würde mich Marie mit einer heiteren munteren Begrüssung überraschen, die mein Tag wahrscheinlich noch heller erscheinen lassen konnte, doch diesmal war es ganz anders. Sogar die Atmosphäre im Haus hat sich völlig verändert.
Ich durchsuchte jedes Zimmer, sogar hinter Türen guckte ich nach.
Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich dort befand, unter drei Prozent lag.
Ich wollte schon aufgeben, da fiel mir noch eine Möglichkeit ein.
Der Dachboden..


Diese Wahrscheinlichkeit lag sogar unter zwei Prozent.
Das lag daran, dass Marie sich ungern in dunklen und schmutzigen Orten aufhält.
Ja, sogar hinter Türen konnte man sie eher finden.
Ich stand nun wieder am hinteren Ende des Ganges. Über mir hing eine Kette.
Sie sollte die Klapptüre über mir öffnen, worauf ich dann eine kleine Treppe runterziehen konnte.
Früher hatte ich grosse Angst diese Stufen hinaufzugehen, da sie immer so schlimm wackelten.
Ich war schon beinahe oben, da duckte ich mich plötzlich.
Papiergeraschel. sowie ein Schluchzen nahm ich war.
Ich sass immer noch geduckt auf der Treppe, während ich mich die ganze Zeit fragte, was ich in dieser Gegenwart jetzt zu tun hatte und was ich doch lieber sein lassen sollte.
Doch die Funktion, schnell und wirkungsvoll zu handeln, schien mir zu fehlen.
Ich steckte in eine Aufsteh- und dann wieder Hinsetzbewegung fest.
Die erstere gewann dann schliesslich die Oberhand und ich stand auf. Mein Kopf lugte aus der Luke heraus, doch Marie hatte mich immer noch nicht bemerkt
Es musste was passiert sein. Denn Marie weinte nie, sie war die stärkste Frau, die ich kannte.
Schon so vieles hat sie durchgemacht, doch nie hatte sie ihre Tränen vor mir gezeigt.
Obwohl es mir lieber war, dass sie sich mir zeigte, ihre Ängste und Trauer.
Dann könnte ich ihr endlich sagen, dass ich immer da sein werde.
Dass es okay war, dass wir auch zusammen weinen konnten.
Ich stand hilflos herum.
Vielleicht war das der Grund, weshalb ich mich überfordert fühlte.
Typisch für den Mensch.
Wenn er mit etwas Neuem konfrontieret wird, kommt selbst seine Anpassungsfähigkeit nicht mehr nach.
Ich sah wie Marie hinten im Raum vor eine Kommode hockte, der Rücken mir zugewandt, und wie einige Papiere um sie herum verstreut lagen.
Plötzlich drehte sie sich um. Vielleicht hatte sie meine lauten Schritte gehört.
Keine Spur von Tränen – Sie sah ganz normal aus. Ihr Gesichtsausdruck, ihre Mimik, alles.
War das alles nur Einbildung?


„Ach Tifa, hast du mich erschreckt!“ Schnell stand sie auf und sammelte die Papiere wieder ein. „Wieso hast du mich nicht gerufen?“
Sie lächelte und verstaute die Papiere in die Kommode.
„Ich hab dich ja gerufen, aber du hast mich nicht gehört“, meinte ich.
„Ach wirklich? Das ist seltsam. Normalerweise merke ich immer, wenn du wieder zurück bist. Das liegt sicher am Dachboden. Oder zumindest an diese dichten Wände.“
„Was machst du überhaupt hier oben, Marie? Du bist doch sonst nie hier..“
„Ich dachte, dass ich die alte Tischlampe jetzt endlich hierauf bringen sollte, sie schimmelt schon da unten.“
Marie lachte.
Ich guckte nur skeptisch, doch sie stiess mich sanft zurück.
„So, jetzt mach ich uns was Feines zu essen.“
Mit diesen Worten ging sie heiter die Treppe runter und liess mich alleine oben stehen.
Vielleicht denke ich nur zu viel nach. Liegt sicher an meiner Müdigkeit..


Die Treppe wackelte plötzlich wieder.
„Tifa, möchtest du lieber Schwarz, Grün- oder Früchtetee?“, hörte ich sie aus der Küche fragen.
„Äh..“, ich konnte gar kein anständiger Satz mehr bilden.
Es war alles plötzlich so „wackelig“. Lag es an der Treppe?
Nein, so wackelte keine normale Treppe.
Oder zumindest die, auf der ich gerade stand.
„Oder doch lieber Kamille?“
Komm schon Tifa. Sag was.


Ich stützte schnell meinen Kopf, in der Hoffnung, dass meine Sicht sich stabilisierte.
Das nützte recht wenig.
„Kamille“, bekam ich schliesslich heraus, dabei wollte ich Schwarztee.
„Wird gemacht!“, ertönte es fröhlich.
Ich wollte mich schon hinsetzen, da klarte sich alles.
Das „Wackelgefühl“ war verschwunden, mitsamt Kopfschmerzen und Übelkeit. Einfach so.
„Tifa? Dein Tee wird kalt.“
Ich blinzelte abermals, nur um zu checken, ob alles wirklich wieder im grünen Bereich war.
Da fiel mir noch was ein.
Das war auch der Grund, wieso ich so heiter in die Stube spazierte.
Als ich die Küche betrat, was alles schon bereit.
Tee, Kuchen, Desserts.
„Es sieht wundervoll aus, Marie.“
Typisch Marie. Alles muss perfekt sein.


„Ach ja. Heute kommt Dame vorbei, um sich die neue Tapete anzugucken. Das schuldet er dir noch.“, sagte ich grinsend.
„Was? Heute?“, meinte Marie überrascht.
„Ja. Eigentlich wollte ich früher kommen, doch irgendwie kam ich nicht dazu.

Das war zitiert, Marie. Ich denke, dass er es einfach und schlicht vergessen hatte.“
Ich nahm mir ein Stück von dem selbstgemachten Erdbeerkuchen und nahm einen herzvollen Biss.
„Typisch Männer. Sie wollen die Frauen nicht verletzten, doch einfach die Wahrheit zu sagen, wäre doch weitaus besser. Aber sie lernen es nicht.“, fügte ich hinzu.
Marie nickte und schaute nachdenklich in ihre Tasse.
„Also Tifa. Heute geht’s leider nicht.“
„Wieso denn? Du wolltest doch unbedingt, dass er sich die anschaut“, sagte ich.
Ein wenig enttäuscht war ich schon. Ich wollte, dass er kommt.
Aber ich war zu feige, ihn einfach so einzuladen.
Deshalb brauchte ich eine Ausrede.
Bin ich nicht erbärmlich? Ja, total.


„Ich muss heute noch was erledigen und bin ausser Haus“, sagte sie schliesslich und legte das Geschirr ins Lavabo.
„Oh. Schade. Wohin gehst du denn? Er könnte auch später kommen, so weit hat er ja nicht zu uns, oder?“
„Ich weiss nicht. Ich denke, dass wir heute noch Besuch kriegen“, meinte Marie und fing an zu spülen.
Das war komisch. Wir hatten selten Besuch, und wenn, dann war es sonst egal, ob ich noch Freunde einlade oder nicht.
„Ist es ein wichtiger Besuch? Wer kommt denn?“, hackte ich nach, während ich inständig hoffte, dass Dame doch kommen konnte.
„Du wirst dich sicher freuen!“, sagte Marie in einem völlig anderen Ton. Vorhin hatte sie noch so traurig geklungen.
„E-echt?“, sagte ich, überrascht von diesem Stimmungswechsel.
„Der miese Peter!“
Marie lachte und liess beinahe einen Teller fallen.
„Wer, was der?“
„Ja. Er ist wieder zurück! Wir müssen eine Party für ihn schmeissen! Ach Tifa, ich hab gehört, dass er ein hübscher junger Mann geworden ist!“
Das war ein bisschen zu viel Überraschung für ein Tag.
Doch ich freute mich. Sehr sogar.
Irgendwie könnte ich Luftsprünge machen. Doch ich war so überrascht, da konnte ich nur sprachlos da hocken.
„A-aber..was? Ich verstehe das immer noch nicht. Ist er nicht nach Australien gegangen?“
Sie spülte das Geschirr in einem Wahnsinnstempo ab, anscheinend wollte sie so bald wie möglich mit der Party anfangen.
„Ja. Das dachte ich auch. Aber wie es aussieht wird er mit seiner Familie wieder in sein altes Haus ziehen. Wie früher! Ist das nicht schön?“
Was? Wie früher? Wie vor vier Jahren?


„Ja. Natürlich ist das schön. Aber wieso wollen sie wieder hier zurück? Sie wollten doch in Australien bleiben.“
„Bist du immer noch sauer auf ihn?“
Ich stockte. War ich noch sauer auf ihn? Wegen damals? War ich das?

Ich spürte wie mir die Tränen in die Augen schossen.
Ich wollte gar nicht weinen. Dieses Gefühl kam einfach so über mich.
Nein. Ich hasste es zu weinen.
Ich starrte auf den Tisch.
„Tut mir leid Marie. Ich bin müde, und heute ist so vieles passiert. Lass mich nachdenken, ja?“
Ich verliess die Küche. Marie stand stumm in der Küche.
„Tifa. Bitte mach dich in zwei Stunden bereit. Wir werden sie vom Bahnhof abholen.“
Ich nickte und sperrte mich in meinem Zimmer ein.
Sicher wird sich Marie wieder Sorgen machen, obwohl es ihr selbst nicht so gut geht.
Ich hab es wieder mal gut hingekriegt.
In zwei Stunden sehen wir uns wieder. Nach vier Jahren..


Wütend schlug ich in mein Kissen ein.
Ich lag bewegungslos in meinem Bett.
Unentschlossen ob ich wütend oder traurig war. Vielleicht war ich auch beides.
Zum Glück musste ich nicht länger meinen Kopf darüber zerbrechen, denn die Müdigkeit überfiel mich und ich schlief dann kurz darauf ein.


*




„Tüt, tüt, tüüüüt. Der Zug auf Gleis 8 wird sich um 15 Minuten verspäten. Wir bitten um Verständnis.“
Schon wieder eine Meldung. Vorhin wurde ein Zug wegen Komplikationen gestoppt und jetzt wird ein anderer zu spät kommen.
Aber nie ist es der auf Gleis 5.
Nicht der, auf dem er hockt.
Nervös zappelte ich mit meinen Füssen. Eine typische Angewohnheit.
Alle finden es recht nervig, aber was soll’s.
„Rring!“
Oh, ich habe eine SMS gekriegt.
Dame.


Ich starrte auf seinen Namen. Ich habe ihm erst vor fünf Minuten geschrieben, und schon hat er geantwortet. Er ist sms schreiben sicher gewohnt.
Wie gerne wäre ich bei ihm und hätte mich ausgeheult.
Doch er würde es wahrscheinlich nicht verstehen.
Aber der Gedanke, dass er mich trösten würde, war so schön.


Schade, dass ich nicht kommen kann.
Ich habe mich echt gefreut! Dein Zimmer ist sicher schön hell und blumig stimmt’s?
Sicher liegen überall Bücher rum, so wie ich dich kenne. =)




Ich schmunzelte. Er hatte tatsächlich recht.
Und das hat er herausgefunden, nach dieser kurzen Zeit.
Vielleicht würde er mich verstehen..
Was denk ich da? Ich möchte ihm nicht zur Last fallen. Ebenso wenig wie Marie.


Na dann komm ich ein andermal.
Ich wünsche dir viel Spass!
Wer kommt eigentlich zu besuch?
LG
Dame




Ich dachte nach. Grübelte und kratzte mich.
Schliesslich drückte ich auf „antworten“.


Du hast recht. Mein Zimmer ist wirklich voller Bücher. =)
Ein Bekannter kommt.
Tifa




Ich seufzte. Guckte auf die Uhr und seufzte nochmals.
„Tifa. Ist es wirklich so schlimm? Wenn es für dich so schwer ist, dann kannst du auch wieder heim. Ich will dich nicht zwingen. Wir können die Party auch an einem anderen Tag verschieben, erst wenn du dir sicher bist und dich besser fühlst.“
Marie schaute mich besorgt an.
Ich schaute sie an und zwang mich zu lächeln.
„Ach nein. Ich bin immer noch müde, das ist alles. Und natürlich auch bisschen nervös. Immerhin waren das schon vier Jahre her! Sicher tu ich wieder was Blödes oder rede irgendein Quatsch, wenn ich ihn sehe, haha!“
Marie lächelte.
„Na ja. Solang du, du selbst bleibst, ist es mir recht.“
Marie schaute zufrieden auf die Uhr.
„Oh noch zehn Minuten, dann müsste der Zug hier sein. Willst du ihnen nicht schnell was zu trinken kaufen, oder so?“
„Klar doch!“ Ich stand sofort auf und machte mich auf den nächsten Lebensmittelladen.
Ich hatte es nicht besonders weit. Immerhin gibt es in jedem Bahnhof ein Geschäft, das Getränke verkauft.
Ich geriet in einen grösseren Laden, wo viele ein und aus gingen. Obwohl ich wusste, dass das Anstehen dann noch länger dauern wurde, ging ich rein.
Mir war bewusst, dass ich es mit Absicht tat.
Schon seit dem Aufstehen wollte ich Zeit schinden.
Ob durch Jacke nicht finden, oder sich verletzten, alles habe ich versucht.
Wie feige ich war.
Ich wollte der Realität entfliehen. Doch mir wurde klar, dass ich nicht weiterhin wegrennen konnte. Sie wird mich einholen. Und wenn ich nicht vorbereitet bin, dann wird es noch böser enden.
Ich muss mich zusammenreissen!


Ich füllte den Einkaufskorb mit verschieden Getränken.
Was hatte er gerne getrunken? Grüntee. Er mochte bittere Sachen. Würg.
Ob das immer noch so ist?


Ich bemerkte nicht, dass ich mir ein Schneckentempo anlegte. Es grenzte schon an Zeitlupentempo.
Erst als ich auf die Uhr sah, bemerkte ich, dass ich schon mindestens zehn Minuten totgeschlagen habe. Unbewusst zu viel.
Ich eilte durch die Regale und liess einige Wasserflaschen in den Korb fallen.
So das müsste gehen.


Schnell drehte ich mich um, während ich aufs Handy schaute um noch auszurechnen, wie lange ich noch etwa bräuchte bis ich wieder dort bin, und übersah die vor mir stehende Person.
Ein typisches Szenario wie in den ach so witzigen Hollywood Komödien, nicht?
Ich erstarrte auf Ort und Stelle. Mir wurde rot im Gesicht.
Wie peinlich! Wieso musste so was immer passieren!


Ich entschuldigte mich schnell ohne aufzusehen, um meinen roten Kopf zu verbergen.
Eine Hand streckte sich aus und langte mir unverschämt in den Korb.
Ich schreckte leicht nach hinten und wollte schon nach Hilfe rufen, doch irgendetwas hielt mich davon ab.
„Grüntee? Wie nostalgisch.“
Ich guckte auf und schaute in dunkle Augen.
Dieser Typ hatte harte Gesichtszüge, doch sah gleichzeitig so harmlos aus, als könnte er keiner Fliege was antun. Vor allem würde er aussehen, als wäre er gerade aufgestanden.
Seine schwarzen Haare standen in alle Richtungen. Doch er wusste, dass es ihm stand.
Er trug ein violettes T-Shirt und eine breite graue Joggingjacke sowie dunkle Jeans.
Sein IPod hing ihm lässig um den Hals, während er immer noch seinen Blick starr zum Getränk richtete.
„Hm. Wahrscheinlich ist das hier für mich bestimmt, oder?“
Ich konnte ihn nur noch anstarren.
„B-bitte? Kenn ich dich? Und nein, das ist für einen Freund!“, empört riss ich ihm das Getränk aus der Hand und legte es wieder in den Korb.
„Oh. Einen Freund? Und ich war mir so sicher, dass da mein Name draufstand.“
Er räusperte sich und kratzte sich am Kopf.
Ein Grinsend legte sich auf sein Gesicht.
Ich hasste solche Typen, die denken, dass sie sich alles erlauben dürfen.
Eingebildete Schweine.
Wütend lief ich an ihm vorbei und bahnte mir einen Weg zur Kasse.
Hektisch schaute ich auf die Uhr.
Sie warten sicher schon alle.


Nachdem ich endlich bezahlt hatte, stopfte ich die Getränke schnell in einem Plastiksack und setzte mein Weg fort.
In dieser Zeit waren so viele Leute am Bahnhof, da sah man gerade noch seine eigenen Füsse und da war schon die nächste Person, die einem die Sicht versperrte.
Ein komisches Gefühl, machte sich in meinem Magen breit und ich drehte mich um.
Mit Recht hat sich dieses Gefühl bestätigt.
Der Typ von vorhin schien mich zu verfolgen.
Noch mehr hasste ich eingebildete Typen, die dazu noch unglaublich stur sind.
Er hob seinen Kopf, schaute nach links und rechts und rannte zu mir rüber.
Ich wartete nicht lange, sondern rannte schon gleich fort.
Am wenigsten wünschte ich ein Gespräch mit einem fremden Casanova.
„Warte!“, hörte ich ihn rufen.
Als ob ich auf ihn warten würde. Der ist sicher sturzbetrunken und labbert wirres Zeug. Einfach ignorieren.


Vor mir sah ich Marie auf einer Bank hocken. Gleich neben ihr standen zwei weitere Personen.
Herr und Frau Bliss.
Seine Eltern. Doch er fehlt. Gut so.


Ich erkannte, wie wild sie miteinander redeten. Wie Teenager am Telefon, die gerade über ihr erstes Date redeten, oder so.
Marie winkte mir zu.
Auch die anderen beiden haben mich wohl bemerkt.
„Ach Tifa! Bist du gross geworden! Und ein so hübsches Mädchen!“
Frau Bliss drückte mich in ihre Arme.
Das gleiche Parfüm wie vor vier Jahren.
„Danke“, brachte ich heraus. Nicht gerade einfallsreich, Tifa.


„Hab von Marie gehört, dass du gerade dran bist ein eigenes Poesiebuch zu schreiben. Ich liebe Poesie!“, sagte Herr Bliss.
Ich nickte und erzählte ihm kurz, was ich noch vorhatte, da fielen mir die Getränke ein.
Bevor ich sie rausholen konnte, stupste mich Marie am Arm.
„Wie es aussieht hast du ihn schon getroffen.“
Sie lächelte.
„Was, wer? Er?“
Ich schaute auf beiden Seiten und erkannte diesen Casanova, der plötzlich neben mir stand.
Er lächelte, errötete leicht und schaute zu Boden.
„Ach Tifa! Du hast ihn nicht erkannt? Haha.“ Lachte Frau Bliss und konnte sich nicht mehr einkriegen.
„Unser kleiner Junge wollte dich suchen gehen, aber wie es aussieht ist es bisschen anders rausgekommen.“
Herr Bliss hielt sich den Bauch und lachte. Früher fand ich immer, dass er so wie der Weihnachtsmann aussah. Ach was rede ich da. Das finde ich jetzt doch immer noch so.
„Aber wieso hast du ihr nicht gesagt, dass du“, sagte Marie und auch sie fing an zu lachen.
„Na ja. Mir ist irgendwie nicht bewusst, wie sehr ich mich verändert habe..und war auch bisschen überfordert in einer solchen Situation..“
Ich konnte ihn nur noch anstarren.
Das war er.
Er stand tatsächlich nach all die Jahre wieder vor mir.
Und das einfach so.
Als wäre nichts passiert.
Schliesslich drehte er sich wieder zu mir um und schaute mir unsicher in die Augen.
Ich spürte wie mich Marie wieder unauffällig anstupste.
Schnell riss ich mich zusammen.
„Eh. H-Hey Keenan!“
Ich schluckte. Meine Stimme quietschte immer so schlimm wenn ich zu nervös oder unsicher war.
Er lächelte plötzlich und nahm mich in seine Arme.
„Hey Tifa. Ich bin wieder zurück!“
Das wäre jetzt diese Stelle wo man dies sagt, nicht?
Willkommen zurück Keenan.





Kapitel VI




Zehn. Elf. Zwölf. Dreizehn. Stopp. Pause. Wieder von vorne.
Eins. Zwei. Drei..


Ich lauschte weiterhin wie die Regentropfen ans Fensterglas prasselten.
Immer stoppte ich bei dreizehn, weil ich in meinem Kopf eigentlich das Spiel spielte, das ich früher immer auf der Strasse gespielt habe.
Ein Hüpfspiel, das in dreizehn Phasen untergeteilt war.
Ich habe es selbst erfunden, da ich früher öfters alleine war und sonst nichts hatte um mich zu beschäftigen. Marie war auch recht beschäftigt zu der Zeit.
Die Party wurde wegen plötzlichen Unwetters verschoben.
Glück oder Pech?
Von Glück könnte ich sprechen, dass ich für heute nicht länger mit Keenan rumhängen musste.
Von Pech eher, dass ich das noch vor mir hatte und mich bis dahin mit unangenehmen Gedanken und sonstigen krummen Vermutungen die an der Party geschehen könnten, quälte.
Und welches Mittel hilft für eine solche Herz-Schmerz-Nummer?
Die beste Ablenkung zur Verfügung wäre wohl das Internet. (Da müsst ihr mir doch zustimmen.)
Was wären wir Menschen bloss ohne Internet.
Stellt euch das mal vor.
Die volle Abhängigkeit.
Und dann die Computerinvasion, schliesslich die ganze Weltherrschaft.
Bitte entschuldigt meine Hirngespinste.
Ich stützte meinen Kopf schwermütig in meine Hände.
Fünf. Sechs. Sieben. Tropf. Tropf.


Und wenn weitere solche Hilfsmittel, wie hirnlose Ballergames, wo das Ziel ist, wie man sich am brutalsten die Köpfe wegknallen musste, idiotische sich-gern-selbst-fertig-mach-weil-die-anderen-es-sicher-komisch-finden-und-ich-endlich-einmal-Aufmerksamkeit-kriege-Videos in Internetplattformen nicht nützten, dann half nur noch eins: abschalten und einfach wegknicken.
Oder man ruft Freunde an.
In meinem Fall nicht Sara.
Ich trommelte wieder einmal auf der Tischplatte herum.
Schliesslich tat ich das, was ich innerlich schon eigentlich die ganze Zeit vorhatte, aber mich nie getraute diesen Gedanken in die Tat umzusetzen.
Nach weiteren Klicks war ich so weit.
Ich wusste einfach nicht weiter und ich wusste, dass ich nicht länger so herumsitzen werde.


Tivo Ruden sagt:


Hallo

Er war nicht on. Entweder war er offline oder nur auf offline anzeigen

. Solch Basiswissen kann einem öfters nützlich sein. Das ist mir gerade klar geworden.

Dame Chester sagt:


Hey Tivo =)
Wie geht’s?

Ich stockte. Eigentlich hatte ich das schon mehrmals gemacht und wir verstanden uns gut. Doch wieso zögerte ich immer, wenn ich mit ihm chattete?
Musste ich mich nicht langsam daran gewöhnt haben?
Vielleicht war das auch ein Zeichen, wenn ich mich nie daran gewöhnen konnte, werde ich auch nie vergessen können, dass es nicht was Gutes oder besonders Positives ist, was ich da machte.
Und irgendwann werde ich mir eingestehen müssen, dass jetzt Schluss ist.
War das so ein Zeichen? Vielleicht. Oder auch nur mein schlechtes Gewissen.
Ich überlasse euch die Entscheidung.

Tivo Ruden sagt:


Nicht schlecht. Dir?

Dame Chester sagt:


Geht.

Toll. Fängt schon gut an. So gleicht unser Gespräch gerade mal wie eine Wüste.
Sehr trocken..


Sollte ich zuerst mit etwas anfangen oder ihm den Anfang überlassen?

Dame Chester sagt:


Was hast du so gemacht?

Uns schien wirklich nichts einzufallen.

Tivo Ruden sagt:


Nichts Besonderes.

Und ich fahre grossartig fort. Bald ist schon was Interessantes in Sicht.



Dame Chester sagt:


Hm. Ist was?

Ha! Und das schon wieder. Bin ich so leicht durchschaubar?
Definitiv.



Tivo Ruden sagt:


Nein. Nur Müde.
Ich habe da eine Frage..

Dame Chester sagt:

?

Tivo Ruden sagt:


Hast du vielleicht manchmal das Gefühl..
verlassen zu sein?

Oh man. Kitsch pur. Nein. Ich meinte depressive Stimmung pur. Und damit wollte ich wirklich das Gespräch retten? Wohl kaum.
Aber wie konnte ich das „jungenhafter“, „happier“ formulieren?
Ich fühlte mich nun mal so. Und viel länger zögern machte die Sache nur komplizierter und schwerwiegender. Das war definitiv nicht mein Ziel.
Ein bisschen locker sollte es auch klingen. Irgendwie auf einer „Jungenweise“ halt.

Dame Chester sagt:


Wie meinst du das denn genau?

Tivo Ruden sagt:


Also..ich meinte einfach, dass alle, die du endlich ins Herz geschlossen hast
plötzlich von dir gehen und es nicht mehr so ist wie früher

Ich zögerte wieder.
Würde er das verstehen? Was wird er wohl von mir denken?
Ich glaube er könnte es schon verstehen, schliesslich..
Wie egoistisch ich bin. Er kennt es nur zu gut und ich muss ihn wieder darauf aufmerksam machen.



Dame Chester sagt:


Ich denke schon, dass es bei mir manchmal so ist.
Vielleicht ein wenig anders.
Wieso fragst du?

-Flashback-



„Lass mich endlich in Ruhe! Du hässlicher Junge!“
„Was?! Nenn mich noch einfach so und ich stampf dich K.O!“
Klein Tifa fing tatsächlich an den kleinen Nachbarjungen Keenan zu schlagen, während er sich mit einem Buch zu schützen versuchte.
„Hau ab! Sonst zeig ich dich wegen sexueller Belästigung an!“
Auch der kleine Keenan fing zu stampfen an, doch klein Tifa machte es nichts aus.
„Ha! Nach all den Beleidigungen, die du mir angeworfen hast, ist es mir wert! Und ausserdem habe ich keinen Schimmer davon über was du da redest!“
Frau Marie Louis sowie das Ehepaar Bliss eilten herbei.
Das Geschrei deren Kinder war wohl kaum zu überhören.
Frau Louis hob ihre 9-Jährige Adoptivtochter Tifa in die Luft um sie endlich davon abzuhalten den kleinen ebenso 9-jährigen Keenan weiterhin zu verletzen und Frau Bliss rückte Keenan ein wenig auf die Seite um ihn zu beruhigen, doch er blieb hysterisch.
„Tifa, wieso schlägst du Keenan immer wenn du ihn siehst? Wolltest du keine Freunde finden?“
Beleidigt drehte sie sich weg.
„Er nervt mich immer. Nimmt immer meine Sachen weg und beschimpft mich dann als hässlicher Junge.“
„Stimmt doch gar nicht!“, schrie klein Keenan von seiner Seite aus. Dabei lief er rot an.
„Doch hast du. Du Lügner und Feigling!“, wehrte sich Tifa und ehe sich die Erwachsenen versahen, fingen die Kinder erneut an sich gegenseitig an den Kragen zu gehen.
Auch die Geduld der Erwachsenen hatte ihre Grenze und einstimmig, weil sie sich nicht mehr anders zu helfen wussten, zerrten sie ihre Kinder voneinander weg und liessen sie in ihre Zimmer bringen.
Und bis Abends blieben sie auch dort. Schmollend.
Doch wie bei allen Kindern verpufft ihre Wut auch schon bald wieder wie eine Gewitterwolke wieder schön weiss wird, nachdem sie geregnet hat.
Ab und zu ging Marie wieder rauf um zu sehen, ob alles okay ist bei der kleinen Tifa.
Das gleiche können wir auch bei der Familie Bliss beobachten.
Und bei beiden kriegen die besorgten Erwachsenen zu hören, dass sie keinen Hunger hätten und lieber weiterhin allein hockend im Zimmer sein wollten.
Hatten wir nicht vorhin gelesen, dass sie sich beruhigt haben, wie eine Gewitterwolke?
Das stimmt tatsächlich.
Wie unschuldig spielend die Kinder sich benahmen.
Sie hatten schon längst einen anderen Plan im Kopf.
Klein Tifa bewegte sich lautlos zum Fenster, nachdem sie hörte, wie Marie sich weiter von ihrem Zimmer weg bewegte.
Schnell nahm sie noch ihren Fernglas zur Hand und öffnete das Fenster.
Klein Tifa hielt ihr Fernglas dicht an ihr Gesicht und versuchte etwas vom gegenüberliegenden Fenster zu erkennen.
„Krsch..Krsch.. Adler an Hund. Adler an Hund, hörst du mich?“
Tifa schreckte leicht hoch, überrascht worden von der Stimme Adlers.
Sie sprang kurz aufs Bett, kramte unter der Matratze herum (Ort vieler ihrer Schätze und Funde) und schnappte sich ihr Walkie Talkie.
„Es heisst Wolf nicht Hund! Du Spatzenhirn!“
„Ich bin aber ein Adler.“
„Hast du mich gerufen, nur um mich wieder zu nerven?“
Klein Keenans Stimme wurde wieder leise.
„Hast du gesehen was ich am Fenster gehalten habe?“
„Nein, habe ich nicht. Es war zu dunkel.“
Kurz darauf hörte klein Tifa ein raschelndes Geräusch, Objekte die verschoben wurden und dann ein Knipsen.
„Jetzt?“
Langsam machte sie sich wieder auf dem Weg und versuchte es erneut.
Doch musste sogleich in Deckung gehen, da deren Feindin, Erwachsener Nummer drei in ihr Revier eingedrungen ist.
Schnell zog sie ihre Vorhänge zu und schlüpfte ins Bett.
„Wolf gerade in Deckung. Nicht ansprechbar. Abwesend!“
„Was bedeutet >abwesend



*



„Jetzt hör schon auf zu heulen, du Memme!“
Der kleine Keenan jedoch hörte nicht damit auf sich die Augen auszuheulen, obwohl Tifa ihm liebevoll nur mit Gras bewarf.
„Wieso bist du gestern nicht ans Walkie Talkie gegangen? Ich dachte Erwachsener Nummer drei hätte dich erwischt! Ich hab mir den Hals kaputt geredet, nur weil ich hoffte, dass du wieder rangehst!“
„Was redest du da für einen Mist? Wieso redest du das Walkie Talkie voll, wenn du dachtest ich wäre aufgeflogen?! Dann wärst du mit aufgeflogen, du..“
„Hau mich nicht! Du bist doch schuld!“
„Was?!“
„Lass mich endlich in Ruhe, du hässlicher Junge!“
Und schon wieder fängt das typische Geschreie an, wie jeden Morgen auch.

In der Küche machte Marie wie jeden Nachmittag Tee für die schmollende Tifa.
„Und was ist nun schon wieder los?“
Tifa ignorierte diese Frage einfach und machte sich daran den Tee in einem anderen Becher zu füllen um ihn abzukühlen. Doch wie voraussehbar gelang ihr das nicht so recht und die Hälfte des Inhalts wurde verschüttet.
„Du meine Güte, Tifa. Nimm einen Lappen vom Lavabo und wisch das weg..“
Wie gehorsam klein Tifa war, auch in ihrer schlimmsten Laune.
Ein Klingeln erlöste klein Tifa von dieser Arbeit.
Doch komischerweise sah sie niemand vor der Tür stehen.
So etwas kann klein Tifa nicht aus der Ruhe bringen, im Gegenteil, so was spornt sie an, sich dem Unbekannten zu nähern um die Vorhänge aufzuziehen.
Doch enttäuscht muss klein Tifa feststellen, dass sie schon das Unwissende gelüftet hat.
Ein Brief, mit einer schlampigen Aufschrift, der nur zu einer ach zu bekannten Person gehören konnte, war vor ihren Füssen gelegt worden.
Wie erbärmlich das aussah.
Dennoch hielt er sie nicht davon ab ihn aufzulesen und mitzunehmen.
„Wer war an der Tür, Tifa?“
„Niemand.“
„Bist du dir ganz sicher? Es könnte doch sein, dass..“
„Nein. Niemand war da. Wirklich.“
Tifa liess sich auf dem Boden im Wohnzimmer nieder und riss den Umschlag auf.
Es war ein Brief, aufgeschrieben auf einem Notizpapier abgerissen von irgendeinem Block, bekleckst von irgendeiner Schokoladensorte und befleckt vom Öl.
Die Tinte verschmiert, mit einer so krakeligen Schrift, fast nicht entzifferbar, sodass man sie als Hieroglyphe oder antike Schrift abstempeln konnte.
Auch wenn der Absender versucht hat, anonym zu bleiben, indem er keinen Namen drauf schrieb, gilt allein der Brief schon als Unterschrift.
Nach etwa fünfminütiger Anstrengung der Hirnzellen einer 9-jährigen, empfand sie das Rätsel als gelöst.
Schliesslich knüllte sie das Stück Papier zu einem Knäuel und warf ihn weg.
Man konnte sich schon vorstellen, wie dem armen Absender das Herz zerriss, nach all seiner Mühen, für das eine Wort.
„Dieser Idiot..Wie oft denn noch. >Endschuhldigung< schreibt man mit >k



*



„Haha, die hat ja grosse Ohren! Dumbo die zweite Generation. Ihr wisst schon, dieser kleine Elefant da..!“
Der Klassenclown fand sich jetzt wieder mal so was von lustig.
Der Rest der Klasse sass nur so, starrend auf die eine Person, eingeschüchtert auf ihrer Seite, allein.
„Nicht?“, fuhr er fort, „Dann googelt es mal. Mann, so was muss man einfach kennen..echt!“
Die Klasse fing tatsächlich an zu lachen und der „coole“ Junge der Klasse fühlte sich dann dementsprechend geehrt, dass er es geschafft hat, wieder einmal im Mittelpunkt zu stehen, weil er jemanden fertig machen konnte und alle das lustig fanden.
Dabei lachten sie nur weil er einfach zu dämlich war, nicht?
„Und was wirst du jetzt tun, Dumbo? Petzen? Etwa die ganze Klasse, weil sie dich ausgelacht hat?“
Tifa starrte zu Boden.
Augenkontakt machte vieles aus.
Das würde ihn nur reizen. Er würde sich herausgefordert fühlen.
Typisch. Der dachte nie. Er handelte nur instinktiv, wie ein Tier.
Ein Tier würde sich angegriffen fühlen.
„Haha. Ich lach mich immer tot wenn ich dich so sehe. Zum totlachen! Haha..“
Tifa verkrampfte sich.
Das waren nur Worte von einem Spinner.
Solange er sie nicht angriff, hatte sie nichts zu befürchten.
Trotzdem tat es weh. Verletzend.
Obwohl keine Gewalt eingesetzt wurde.
„Hör auf damit..Langsam reicht es aber, Shawn!“
Er drehte sich verwundert um. Keiner wagte es sich ihm zu widersetzen.
Ausser..
„Was.. du schon wieder Sara? Wieso mischt du dich immer ein? Ist doch keine Angelegenheit von dir.“
„Nein. Aber eine Angelegenheit dieser Klasse, wozu auch ich gehöre, genau wie du und Tifa.“
„Ha. Outsider bleibt Outsider, Sara. Willst du auch zu so einer mutieren? Ich könnte dir dabei helfen.“
Sara verstummte.
Keiner wagte es sich gegen ihn, gegen Shawn, zu stellen.
Jeder kannte seine Grenze. Niemand hätte Lust nach der Schule geschlagen zu werden, weil der Shawn ins Wort fiel.
Tifa schaute Sara dankend an, doch sie wich nur ihren Blick aus.
Zum Glück kam der Lehrer in diesem Moment hereinspaziert und jeder sass wieder an seinem Platz.
Und was wurde aus dem Streit?
Nichts. Es war nur ein Spiel gewesen.
Ein Spiel worin Tifa gefangen ist. Es diente der Vergnügung der Klasse.
Nur ein Spiel.



*



„Danke, dass du sie hergebracht hast, Sara.“
Sara nickte nur und verschwand so schnell auch wieder, wie sie gekommen war.
Wenn jemand sie erwischen würde, wie sie den Outsider geholfen hat, so wird auch sie was einstecken müssen.
Tränen kullerten die Backen der nun 11-jährigen Tifa runter.
Die eine Träne grösser als die andere.
Die Person neben ihr ungeduldig an der Schulwand am Pausenhof lehnend, während sie mit ihrem IPod spielte, hatte von uns Lesern aus gesehen, keine Absicht sie irgendwie zu trösten.
Tifa sass nur schluchzend auf der Bank und schaute beschämt zu Boden.
Schon wieder heulte sie. Das war schon das dritte mal dieser Woche.
Und man merkte, wie es dieser Person nervte.
Tifa fühlte sich so erbärmlich. Sie hasste es zu weinen.
Vor allem vor dieser Person.
„Tifa, hör jetzt auf zu weinen.“
„T-tut mir leid, ich kann nicht anders..“
„Hör endlich auf dich immer zu entschuldigen, das nervt!“
Sofort verstummte sie. Dieser Jemand war wütend. Sehr.
Und es war ihre Schuld.
„Wenn du denkst, dass es deine Schuld ist, dass ich so genervt bin, irrst du dich. Es liegt nicht an dir.“
Keenan kickte einen Stein, der daraufhin in einer Kartonschachtel landete.
„1 zu 0 für mich.“
Stille. Ihr war nicht nach reden zumute.
„Weisst du was, Tifa? Ich regle das.“
Er stand auf und wollte schon weggehen, da packte Tifa ihn ganz schnall am Ärmel.
Unter „etwas regeln“ verstand er was ganz Kreuzfalsches. Das wusste Tifa nur zu gut.
„B-bitte nicht! Du weisst doch, dass du von der Schule fliegst, wenn du wieder eine Prügelei anfängst!“
„Ich weiss. Aber ich fange schon keine Prügelei an. So dumm bin ich auch wieder nicht, das ist nämlich genau das, was Shawn immer in der Nacht träumt. Ich werde ihm nicht diesen Wunsch erfüllen.“
Ihr brummte es im Kopf. Keenan regelte alles mit den Fäusten, aber nur wenn er im Recht war. Diesmal war es anders. Komischerweise war es anders. Ungewohnt.
Das wissen die Lehrer nicht. Sie wissen nicht, dass es anders nicht geht.
Sie wissen nicht, wie die Kinder ticken und probieren es mit lieblichen Worten zu regeln.
Ja, das ist das Ziel.
Das Ziel dieser ganzen Welt.
Aber man muss vorher mit etwas anderem anfangen um zu diesem Ziel zu gelangen.
Denn Menschen verstehen nicht, bevor sie es nicht selbst erlebt haben.
Es ist nun mal so.
Sicher ward auch ihr mal in einer Lage, wo andere es nicht verstehen wollten, konnten.
Und erst dann, wenn sie alles durchlebt haben, was ihr auch musstet, erst dann wird ihnen alles klar. Aber dann ist es auch zu spät.
Wieso nicht von Anfang an „verstehen“ zu lernen?
Zu diesen sturen Köpfen gehört wohl auch Shawn.
„Keenan. Du willst ihm wohl nicht etwa einreden, dass was er macht ungerecht ist?“
„Was? Sicher nicht. Ich kann mir nicht einmal selbst einreden mir die Schuhe zu binden wenn sie offen sind. Also kommt so was nicht in Frage..“
Sie liess ihn nicht los.
Er wird es tun. Sie war sich da ganz sicher.
„Jetzt lass mich los Tifa.“
Er war nicht mal in der gleiche Klasse wie sie und Shawn.
Was für eine Ausrede würde er sich diesmal einfallen lassen?
Aber ihn festzuhalten würde weder ihn noch sie weiterbringen.
„Keine sorge.“
Tifa liess ihn los.

Wie sehr sie es bereute.
Wie sehr sie es bereute ihn nicht weiter festgehalten zu haben.
Sie hasste das Gefühl von Reue. Noch mehr als zu weinen.
Ihre Klasse sass nach der Pause wieder im Klassenzimmer.
Jemand fehlte. Jemand der Klasse 5B fehlte.
„Herr Mertens! Shawn prügelt sich mit Keenan aus der 5A hinter der Schule!“, rief die Klassensprecherin Shila keuchend. Sie ist wohl den ganzen Weg bis hierhin gerannt..
Tifa hatte so was geahnt. Es war zu ruhig nach der Pause.
Ein Grund wieso sie nicht wollte, dass Keenan Streit anfing war, dass Shawn immer in Gruppen jemanden verprügelte.
Und Keenan war Einzelgänger.
Sofort sprang der Lehre auf, liess alles liegen und befahl uns Schüler ruhig das Buch auf Seite 24 aufzuschlagen und weiter zu lesen.
Tifa konnte nicht einfach da hocken, sie musste mit.
„Herr Mertens. Ich kenne diesen Keenan aus der Klasse 5A. Er ist mein Cousin. Könnte ich bitte mit?“
Alle schauten mich überrascht an.
Tifa, die Scheue, hat geredet und wollte mit.
Aber der Punkt war, dass die Tifa gelogen hatte. Die Klasse wusste das.
„Na gut. Aber misch dich nicht ein.“
Die Verwüstung dort war deutlich zu sehen.
Angekommen sind die meisten Anhänger Shawns schon abgehauen.
Die Einzigen im Gras liegend waren nur noch Shawn selbst und Keenan.
Beide bedreckt und fertig.
Ich hatte angst Shawn zu sehen und angst, wie es um Keenan aussah.
Wieso hatte er das getan?
Ich fing an zu weinen. Schon wieder.
Keenan sah viel schlimmer aus als Shawn.
„Rufen Sie einen Krankenwagen, Herr Kichel“, sagte Herr Mertens zum Abwart, worauf er gehorchte und sich schnell auf dem Weg machte.
„Tifa, geh du lieber wieder mit Shila zurück ins Klassenzimmer. Ich regle das schon.“
Sie wollte nicht mehr zusehen, wie andere das regelten.
Er checkte beide durch.
„Keine Sorge. Beiden geht es gut. Sie sind nur müde und haben hier und dort einige Kratzer“, meinte er dann wieder.
Keenan öffnete die Augen.
„Oh..Hey Tifa!“
„Was hey?! Du hast gesagt du würdest keinen Streit anfangen! Wieso hast du das gemacht?!“
Ich schluchzte.
Keenan aber lachte nur.
Der Lehrer sass sprachlos im Hintergrund, zurückhaltend was da zwischen den Schülern lief.
„Er hat auch nichts angefangen, Tifa. Beruhig dich.“
Eine bekannte Stimme.
„Ich habe alles aufgenommen Keenan! Das hat wirklich geklappt.. wie im Film.“
Ein dunkelhaariger Junge, etwa 12-jährig wie Keenan kam hinter einen Baum gekrochen.
Chris.
Keenan lachte wieder, wieder voll mit Leben. Als wäre nichts passiert.
Genau das hasste Tifa auch. Wenn man so tat, als wäre nichts passiert.
Der Lehrer zögerte eine Weile und verlangte von Keenan schliesslich eine Erklärung.
Im Gegensatz zu Shawn, war er jetzt wach und redete wie ein Wasserfall.
„Ha. Herr Mertens. Chris und ich haben alles gefilmt was passiert war. Der Beweis ist in seinem Handy gespeichert!“
Keenan strahlte voller Stolz.
Auch Chris eiferte mit.
„Ihr Jungs wisst, dass man sich nicht prügeln darf, oder?“
Keenan reichte ihm sein Handy rüber.
Der Lehrer nahm es zu sich, worauf seine Augen sich weiteten. Der Film hatte ihn wohl überzeugt was da passierte.
Shawn der Übeltäter und seine Gruppe wollten die nächste Stunde schwänzen und ins Haus vom Abwart einige Schlüsseln klauen.
Schlüsseln die überall in der Schule Zugang hatten.
Natürlich war klar gewesen, das ihnen das nicht gelungen war und sie mussten vorm Fenster des Abwarts, wohl doch umkehren.
Aber damit war noch nichts bewiesen. Keenan, der vom Plan Wind bekam, wollte ein Geständnis.
Deshalb liess er sich absichtlich beim Filmen erwischen.
„Ja..ich habe ihn dann zur Rede gestellt. Der doofe Shawn wusste nicht, dass Chris ihn dabei nochmals filmte..haha! Na ja. Jedenfalls wollten sie mich zum Schweigen bringen, in dem sie mir Angst einjagten und mich verprügeln wollten. Die Beweise aufm Handy von Chris sind doch wohl genug um Shawn endlich zu suspendieren oder?“
Der Lehrer sah blank aus. So wirklich von überrascht vom Geständnis, das Shawn lauthalsig im Film vor sich hin brüllte. Nicht nur das, alle anderen Dinge, die er getan hatte, wurden von ihm gestanden.
„Ach ja. Wenn ich Sie wäre, Herr Mertens, würde ich ihn in einer Aggressionstherapie schicken. Der Kerl hat eindeutig Probleme..“, meinte Chris schmunzelnd.
Herr Mertens räusperte und bedankte sich, dass sie diese „ungeklärten Fälle“ gelöst haben.
Auch wenn es beinahe als Blutbad geendet wäre.
Dies rettete Keenan auch von einer Suspension.
Der Krankenwagen kam schliesslich an und schleppte Shawn fort.
Aufgewacht und vom Lehrer aufgeklärt was ihn jetzt erwartete, stampfte er wieder herum.
„Du Keeennnannnn! Lügner!! Ich hab gar nichts gemacht!“
Ihre Blicke trafen sich wie Blitze. Man konnte schon hören wie sie gegeneinander einschlugen.
„Ich und Lügner? Haha..“
„Keenan. Mit Feuer spielt man nicht..“ Shawn knirschte mit den Zähnen.
„Keine Sorge. Bei dir ist sowieso nur heisse Luft.“
Das brachte Shawn dazu, jetzt wirklich sein letztes Stück Kontrolle zu verlieren.
Glücklicherweise ermahnte ihn der Lehrer sich nun zu beruhige um ihn ins Spital zu bringen.
Keenan jedoch weigerte sich mitzufahren, weshalb er nun hier verarztet wurde.
Auch wenn es vorhin schlimmer um ihn aussah, hatte er nicht einmal halb so viele Verletzungen wie Shawn.
Ein Glück.
Herr Mertens musste zurück in die Klasse und gab uns für heute frei.
„Ihr begleitet ihn nach Hause und erzählt alles seinen Eltern. Wenn sie noch Fragen hätten, bezüglich diesen Vorfall, können sie mich telefonisch erreichen“, hatte er gesagt.
„Hey Chris. Hast du sein Gesichtsausdruck gefilmt, als ich diesen coolen Spruch sagte, hä?“
Chris schüttelte den Kopf.
Tifa war schon die ganze Zeit über still gewesen. Nein, nicht wegen Bewunderung. Es war wegen der Wut.
„Aber unser Mission ist noch nicht vorüber, nicht?“, fing Keenan wieder an.
„Hm. Wie meinst du das? Willst du ihn jetzt etwa verhaften lassen?“
Die Kerle lachten wieder. Unbewusst was gerade geschah.
Tifa schubste Chris zur Seite und packte Keenan am Kragen.
Sprachlos. Alle wurden still.
„Du Penner! Wieso? Weisst du was für Sorgen ich mir gemacht habe?!“
„Haha. Du bist zu emotional, Tifa!“
Das brachte das Fass zum Überlaufen.
Mit voller Wucht schlug sie ihm in den Bauch, die Faust geballt.
Er keuchte.
Chris rannte darauf auf sie zu und zerrte sie voneinander.
„T-tifa bitte-“
Sie fing dann plötzlich an wieder zu heulen.
„Ich hatte mir deinen Schlag etwas anders in Erinnerung. Aber so geht das auch“, flüsterte Keenan und hielt sich den Bauch vor Schmerzen.
Tifa jedoch schaute ihn verständnislos an.
„Ich habe die alte Tifa vermisst. Du sollst doch rechthaberisch, stur, aggressiv und stark sein.
Willkommen zurück, du hässlicher Junge!“
Er lachte.
Keiner dieser Worte konnte beschreiben, was für ein Gefühl sich gerade mit das Gefühl der Reue und Wut ersetzte. Tifa weinte wieder. Doch es waren Freudetränen.
Chris lachte auf, endlich durchblickt zu haben, was Keenan vorhin meinte.
„Mission erfolgreich ausgeführt.“
Seitdem lief das Spiel in der Klasse nicht mehr.
Tifa hat es endgültig für allemal zu Ende gespielt.




*




„Was heisst er ist nicht da?“
„Tifa bitte. Es ist so..seine Eltern“
„NEIN! Lass das. Ich hab gefragt WO er ist!“
Tifa schüttelte den Kopf. Sie wollte nichts mehr hören.
Marie wollte sie in die Arme nehmen, doch Tifa riss sich von ihr fort und rannte weg.
Aus der Tür, über die Strasse und blieb schliesslich stehen.
Dann liess sie sich vor einer Haustüre nieder. Vor seiner Haustür.
„Familie Bliss“ stand neben der Klingel.
Tifa liess ihren Kopf hängen und vergrub ihn in ihre Arme.
Der Wind wehte plötzlich so kalt. Der Regen fühlte sich auf der Haut noch kälter an.
Aber keine Kälte konnte sich mit ihren Gefühlen vergleichen.
Es war so, als würde der Himmel für sie weinen, weil sie es sich abgewöhnt hatte.
Heute morgen hatte sie ein Brief auf dem Tisch ihrer Mutter gefunden.
Ein Brief von Familie Bliss.
Er sollte die Familie Louis mitteilen, dass sie weggingen.
Nicht in die Ferien. Für immer.
Es war kein Umzug um die Ecke, es war ein Umzug aus ihrem Leben.
Nach Australien.
So, als hätten sie den weitesten Ort von ihr ausgewählt um ihn wegzunehmen.
Tifa würde nicht weinen.
Ihr wurde klar, dass sie nicht traurig war, weil sie weggingen.
Nein, weil er ihr nichts gesagt hat.
Weil er ihr das Gefühl gegeben hat, als würde er wiederkommen.
Bald wiederkommen und sie nur auf ihn warten sollte.
Dabei wusste sie ganz genau, dass es nicht so war.
Sie hasste falsche Hoffnungen.
Sie würde nur noch mehr enttäuscht werden.
„Ich hasse dich, Keenan“, murmelte sie, während sie immer noch ihr Gesicht vergraben hielt.
Er hatte es sich langsam zum Hobby gemacht, sie zum Weinen zu bringen.
„Wieso hast du nicht gleich alles mitgenommen und nur diese Leere hinterlassen?“
Der Regeln trommelte überall. Liess alles weiterhin in Nässe versinken.
Es nützte nichts. Er würde sie nicht antworten können.
Schön.
Wie er es wollte.
Tifa stand auf und liess das Haus hinter sich.
Das Haus, der Garten und ihn.




Vorschau:
Wie alles begann..~Teil III

Was wird nun aus Keenan, wie entwickelt es sich weiter mit Damien?
Wird das Treffen jetzt endlich eintreffen?
Wird Marie endlich mit der Sprache rausrücken was läuft?
Könnte es sein, dass Tifa Gefühle für Keenan hegt?
Was wirst du tun Tifa?


Der letzte Teil des Anfangs steht vor der Tür!
Jetzt kommt es langsam zur Sache..(hofft die Autorin)!
Danke für eure Sterne und KOmmis!!
Ich danke die treuen Leser und hoffe das wir uns auch im nächsten Band wieder sehen! =)


Impressum

Texte: Copyright by Anna Nguyen
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle, die diese Reihe gern lesen und mich unterstützen..=)

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