Cover

Prolog



Schön rot. Statt einen blauen, zu dieser Zeit eher grauen Himmel zu sehen, erblickte ich einen Baum, der eine rot gelbe Krone trug.
Ich könnte mein nächstes Gedicht „roter Himmel“ nennen, oder vielleicht doch eher „roter Herbst“? Ich könnte mir auch was völlig anderes ausdenken, so was das diese Botschaft versteckt oder doch lieber ganz direkt?
Ich wog meinen Kopf hin und her, während ich die Kontur des Baumes immer wieder mit meinen Augen nachzeichnete.
Ich hob meine Hand und streckte sie aus dem Fenster, in der Hoffnung eines der Blätter zu erreichen. Ich hätte schwören können, eines der Blätter mit meinen Fingerspitzen berührt zu haben, als ich eine leise gepfiffene Melodie wahrnahm.
Sie kam mir so bekannt vor, dass es schon in meinem Kopf brummte, als würde es kaum abwarten können, bis ich dessen Name ausspreche.
Der Name dieses bekannten Stücks lag mir auf der Zunge.
Ich schloss die Augen und verfolgte diese wunderschön friedliche, leicht melancholische Melodie in meinen Gedanken.
Ohne ich es nur wahrnahm, fing ich an mitzusummen.
Plötzlich und abrupt hörte diese Melodie auf und liess mich meine Augen aufreissen.
Mein Kopf fing wieder an zu brummen, was sich dann aber zu einem heftigen schmerzhaften Pochen entwickelte. Ich stützte mich am Fenstersims und blickte suchend aus dem Fenster.
Doch niemand war da.


Kapitel I




Sie trifft keine Schuld.
Ich meine, wer würde sich nicht in diesen blauen Augen, kristallklar, rein wie ein Diamant, verlieben? Wer würde nicht dafür töten, seine Hand einmal durch dieses feine Blond gleiten zu lassen, das einem so schön, wie das vom Sonnenuntergang manchmal in gelb Tönen getunktes Meer erinnert? Wer nicht?
Und dass sie sich dabei manchmal daneben benimmt und komische Worte von sich gibt, ist auch höchst verständlich in einer solchen Situation.
Genau. Meine Freundin zugleich Banknachbarin Sara, ist hier nicht das Problem. Nein, ganz und gar nicht.
Das was hier stört; korrigiere: Der, der hier stört ist dieser Neuankömmling unserer Klasse.
„Damien“ soll er heissen. Einen schönen Namen hat er ja.
„Dame“ so solle man ihn stattdessen nennen, hat er gemeint. (Ausgespr.: Deym!)
Der Spitzname war eigenartig. Welcher Vollidiot, ausser er selbst, würde sich so einen Spitznamen anlegen? Überraschenderweise musste ich bei diesem Namen schmunzeln und ich schüttelte leicht meinen Kopf.
Er lächelte schüchtern, als er beim Vorbeigehen auf der Suche nach einem freien Platz, von allen Mädchen mit klimpernden Wimpern angehimmelt wurde.
Ich liess nur einen kurzen Blick auf ihn lasten, der weder musternd noch interessiert war.
Prüfend schon. Ich wollte schauen, ob er zu mir hinübergucken würde und ohne ihn anzuschauen ging das ja nicht.
Wenn es euch jetzt einen Eindruck hinterlassen würde, als interessiere ich mich doch für ihn, wegen diesen einen vorigen Satz, dann täuscht ihr euch gewaltig.
Ich wollte wirklich nur durch checken, ob der Stolz dieser Macho ihn zulässt, mir einen Blick zu würdigen. Gerade so eine wie mir. Und wie ich es schon vorausgesehen habe, hat er sich jedes Mädchen dieser Klasse angeschaut und sich dann neben mir hingesetzt - ohne mich anzuschauen.
Er hat es tatsächlich geschafft, sich die Mühe zu machen diesen langen Weg zu beschreiten, obwohl es noch Plätze in den vorderen Reihen hatte, ohne nur einen kurzen Blick, neben mir zu hocken. Er hatte eine solche Mühe aufgebracht, nur um mich dumm zu stellen?
Aufbrausend und beleidigt drehte ich meinen Kopf nach links um ihn nicht sehen zu müssen, weder in den Augenwinkel noch überhaupt irgendwie, während Sara immer wieder versuchte bei mir vorbei zu gucken um einen Blick auf den Typen – der mir keines seiner ach so begehrten Blicke würdigte – zu erhaschen.
Nach etwa fünf Minuten langen Kopfgymnastik Saras, die aus Kopf nach vorn und hinten beugen um den Jungen neben meiner Banknachbarin, die ihn unbedingt mit ihrem breiten Körper verdecken muss, bestand, hat sie es doch aufgegeben und setzte wieder ihre gelangweilte Miene auf.
Ohne ich es bemerkte, schweifte ich in der Stunde wieder in meinen Gedanken ab, die ich wie immer meinen Gedichten widmete.
„Doch roter Herbst also?“, dachte ich. Als würde ich vom Teufel reden, flog schon ein buntes Blatt einer Birke auf meinem Pult und ich drehte mich schlagartig um.
Ich konnte noch wahrnehmen, wie auch Dame seinen Kopf langsam wegdrehte.
„Das war doch nicht er, oder?“, dachte ich ein wenig überrascht und fixierte meinen Blick wieder zur Tafel.
Er würde nicht so siegessicher an seinem Pult sitzen, wenn er wüsste, dass ich es gesehen hatte.
Er hatte nämlich gelächelt.
Auch ich lächelte als ich sah, wie ein weiters Blatt von seiner Jackentasche auf dem Boden fiel- ein Birkenblatt.
Was für ein Vollidiot.



*



Rot finde ich schön. Gelb auch.
Aber braun finde ich und werde ich weder überwältigend noch, in diesem Falle, überzeugend finden.
Wahrscheinlich wollte Sara dies mit ihren weit aufgerissenen braunen Kulleraugen und Schmollmund erreichen.
Sie müsste wissen, dass mich so was schon gar nicht umstimmen konnte, so weich bin ich nun auch wieder nicht.
Sara senkte ihren Kopf und murmelte, was ich als „einen Versuch war es wert“ vernahm.
„Ganz sicher?“, hackte sie nach.
„Ja. Ich werde mich ganz sicher nicht als Junge in einer diesen Love-Chat Plattform ausgeben, nur damit deine Befürchtungen, dass er schwul ist, bestätigt werden.“
„Was? Er ist Schwul?“
Ich blieb abrupt stehen.
Momentan befanden wir uns in einer Allee. Obwohl ich viele Nachhausewege hatte, bevorzugte ich diesen.
Die in den verschiedenen Jahreszeiten entstandenen Bilder der Allee in meinen Kopf ist atemberaubend.
Bäume sind schon was beeindruckendes.
Sie stehen die ganze Zeit am gleichen Ort und erreichen so vieles, im Gegensatz zu den Menschen, die dauernd in Bewegung sind und nicht einmal auf dich selbst aufpassen können.
Ja. Die Menschen sind die dümmsten, rücksichtslosesten Lebewesen, die die Zeit je hervorgebracht hat.
Sehen wir es doch ein.
„Hab ich nicht gesagt. Aber bei all diesen Mädchen, die einem täglich auf Schritt und tritt verfolgen, ist es auch kein Wunder, dass man früher oder später genug davon hat.“
„Er doch nicht. Ich fände es grossartig wenn du dich dort anmelden würdest! Er öffnet sich vor gleichgeschlechtlichen halt besser als vor Frauen. “
„Mich in dieses www. Connections irgendwas anmelden und ihn dann voll spamen? Hast du gedacht das wäre so einfach?“
„Mach das einfach ganz locker. Zuerst ein ganz einfaches Gespräch anfangen und ja du weisst schon was ich meine.“
Sie fing plötzlich an, nervös an ihrer Unterlippe herumzubeissen.
Ein Zeichen, dass es der richtige Moment für mich ist, sie nachzufragen, wenn ich keinen Streit möchte.
„Und was soll ich dann machen, nachdem ich mich registriert habe?“
„Könntest du ihn dann unauffällig was über mich fragen? Wie er mich findet und so.“
„…“
Na toll. Wie soll ich das denn „unauffällig“ hinkriegen?
Wie kann man sich in einer so kurzen Zeit in einem solchen Kerl verlieben?
Ausser man schüttet einem was ins Getränk.
Und das ist zu höchstens 1%iger Wahrscheinlichkeit so.
„Ach. Das ging so schnell. Und schwupps bin ich bis auf beide Ohren in ihn verliebt!“
Okay. Zu 5%tiger Wahrscheinlichkeit.
Ich drehte mich um. Meine Uhr sagte mir, dass es höchste Zeit war sich nach Hause zu begeben.
„Also. Bye Sara Ich muss los.“
„Na dann. Jedenfalls danke dir so!“
Sie gab mir eine so feste Umarmung, dass sie mir die Luft abschnürte.
„Ach ja noch was, ich melde mich dort nicht an.“
Mit diesen Worten rannte ich das letzte Stück Heimweg und liess Sara enttäuscht stehen.

*



Normalerweise würde ich meine Sachen packen und mich mit meinen Freunden für die Mittagspause vorbereiten. Normalerweise ist eine bestimmte Person nicht hier um bei den weiblichen Geschlechtern zu punkten.
Schon wieder stockte ich beim Packen, als Dames Blick mich traf.
Ich will nicht, dass mir so was passiert.
Ich will nicht, dass ich so ende wie Sara oder wie diese Weibchen dahinten, die ihn lächerlich umzingelten.
Ich will mich nicht verlieben.
„Tifa, kommst du auch mit was für die Mittagspause zu kaufen?“, fragte er mich schüchtern.
Hektisch stopfte ich mein Etui in meiner schon übervollen Schultasche hinein.
Ich wollte ihn nicht ansehen. Er sollte nicht sehen, wie ich stets stocke, seit er sich öfters bei Sarah aufhält. Also auch bei mir.
„Also, nein ich gehe mit Sara irgendwo anders hin“, murmelte ich ohne einmal aufzuschauen.
„Mit ihr?“, er zeigte auf die Brünette, die beschäftigt war ihre Frisur im Fensterglas zu richten.
„Ja.“
Ich nahm meine Tasche in die Hand und lief mit schnellen Schritten in den Gang, wo die Jacken hingen.
„Sie kommt aber auch mit mir mit“, meinte er und lief hinterher. Für ihn war es nicht schwer mit mir Schritt zu halten.
„Wirklich? Auch gut.“
Ich probierte vergeblich meine Jacke in die Tasche zu stopfen. Schliesslich gab ich auf und band sie mir um die Hüfte.
Ich merkte wie Damien mich beobachtete.
„Was guckst du so?“
„Nichts. Wunderte mich nur.“
„Wie langweilig ich bin?“
„Nein. Wie interessant kreativ du mir vorkommst.“
Er lächelte und eine Reihe weisse Zähne blitzten auf.
„Lass das. Solche Typen wie dich finde ich kein bisschen anziehend.“
„Habe ich nie behauptet.“
Er schien von Sekunde zu Sekunde unerträglicher zu werden.
Wie gern würde ich ihm eine zwischen die Beine verpassen.
„Ah. Da kommt Sara schon“, sagte ich und machte ein übertrieben überraschtes Gesicht.
Dame drehte sich um.
Und ich schlich mich fort.

Mit meiner Einkaufstasche schlich ich mich in den Garten des Schulabwarts, der gleichzeitig auch Nachbar unserer Schule ist.
Ich stiess das Schild „unbefugtes Betreten verboten!“ absichtlich um und schlich mich weiter bis zur Hintertür.
Ich schlüpfte dann durch ein Gebüsch hindurch und liess mich in den hinteren Teil des Gartens nieder.
Ich wollte schon immer hier hin. Schon seit ich zum ersten Mal diesen Schulareal betreten und ein Auge auf dieses Fleckchen Grün geworfen habe.
So friedlich und abgegrenzt mit der Sicht auf den freien blauen Himmel.
Keine Spur von Stress oder sonstige negative Auswirkungen auf diesen warmen friedlichen Ort.
Perfekt.
Das tolle daran ist noch, dass das Efeu die meisten Fenster überwuchert hat.
Der Schulabwart scheint ohne Fenster wirklich gut auszukommen.
Ich schloss meine Auge und liess die ungewöhnlich warme helle Strahlen im Herbst auf meine Haut wandern, während ich genüsslich meinen Tee durch einen Strohhalm trank.
Ich hörte etwas quietschen und knarren.
Jemand scheint über den Zaun geklettert zu sein.
Aber das hielt mich nicht davon ab, hier weiterhin zu liegen.
Auch wenn der Abwart mich höchst persönlich von hier wegzerren müsste, würde ich mich erst bewegen wenn es darauf ankäme.
Der Zaun hörte auf zu knarren und es wurde still.
Ich hätte erwartet, dass der Abwart mich jeden Moment hinauszerren würde, doch es blieb immer noch unheimlich still.
Jemand legte sich neben mir ins Gras.
Das war schon das letzte Geräusch, das ich mit meinen geschlossenen Augen vernahm.
„Du hast ein gutes Gespür für ruhig schöne Orte“, sagte eine tiefe ruhige Stimme.
Eine allzu bekannte Stimme. Ich riss die Augen auf.
„Dame“, gab ich überrascht von mir. „Was machst du denn hier?“
„Das was du tust?“
„Ach ja? Wieso musst du mich wie ein Hund folgen?“
„Ich komme eher wie ein eleganteres Tier rüber, findest du nicht?“
Ich könnte sein blöd grinsendes Gesicht in diesem Garten verbuddeln.
„Hör auf damit. Nur weil du bei den anderen gut punktest, muss es nicht bei jedem so sein!“
„Verstanden. Kann ich auch ohne Punkte mit dir befreundet sein?“
Er lächelte wieder. Ich spürte wie mir das Blut in den Kopf schoss.
Dame streckte mir die Hand aus.
„Mein Name ist Damien, aber nenn mich Dame. Nett dich kennenzulernen.“
Ich zögerte. Soll das ein Spiel sein?


Ich schüttelte seine Hand.
Dame schaute mich lange an. Als würde er was erwarten. Unangenehm.


„Worauf wartest du?“, fragte ich langsam.
„Auf Ihren Namen, Miss.“
Das Spiel wird immer bescheuerter..


„Du kennst meinen Namen schon. Du hast mich heute sogar gerufen.“
„Wirklich? Obwohl ich Sie erst jetzt kennengelernt habe?“
Ich rollte die Augen.
„Na schön Mister. Heute Morgen wollten Sie mich fragen, ob ich mit Ihnen einkaufen gehe.“
„Von kennenlernen kann da nicht die Rede sein, Miss. Da wollte

ich Sie kennenlernen.“
„Okay.“
Ich streckte ihm die Hand aus.
„Mein Name ist Tiffany. Aber nennen Sie mich Tifa. Nett Sie kennenzulernen zu müssen.“
„Die Freude ist ganz meinerseits.“
Er schüttelte meine Hand und lächelte wieder das Lächeln, das Eis schmelzen konnte.
Ich schluckte.
„Lass uns Freunde sein.“


Kapitel II




Ich hatte es so eilig, dass ich auf dem Weg zu meinem Zimmer vor Marie ausrutschte.
„Was machst du jetzt schon wieder für Sachen?“, fragte mich Marie und half mir wieder auf die Füsse. Mein Ellbogen hat sich aufgeschürft. Ich hasse Wunden. Die brennen immer so sehr. Sie eilte in die Küche, legte ihren Blumentopf ab, den sie zuvor in der Hand hatte und kramte im Schrank herum.
Marie verarztete mich schnell und guckte mich besorgt an.
Sie hatte schöne grün graue Augen.
Augen, die alles durchdringen konnten und einem ein sicheres Gefühl schenkten.
Aber sie war nicht meine Mutter.
Sie hatte mich aufgezogen, mich gelehrt, war immer da, wenn ich sie brauchte.
Doch sie war nicht meine Mutter.
Vor neun Jahren wurde ich bei ihr aufgenommen. Da war ich sieben.
Sie erzählte mir, dass ich keinerlei Erinnerung hatte, was meine Vergangenheit betrifft.
Amnesie.


Nichts mehr da. Alles gelöscht. Als wäre man ungewollt neugeboren.
Marie konnte keine Kinder kriegen und ihr Mann war früh verstorben.
Sie hätte mich einmal draussen vor dem Heim spielen sehen und mich auf den ersten Blick geliebt. Ich würde sie an jemanden erinnern. Deshalb.
Manchmal frage ich mich, ob ich meinen Vater oder eher meiner Mutter ähnle.
Wieso sie mich weggegeben haben.
„Danke“, flüsterte ich, während ich den Pflaster an meinem Ellbogen betrachtete.
Sie drückte mich kurz und liess mich dann in der Küche sitzen, um ihre Blume schnell umzutopfen.

Ich begab mich dann in meinem Zimmer, liess Schultasche auf dem Boden liegen und fuhr meinen Computer hoch.
Wie hiess diese Seite nochmals?


Ich tippte zögerlich die Seite und drückte auf die Anzeige „Connects People! Treffe alte Freunde und finde neue!“.
Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich es tatsächlich tat.
Registrieren..

Ich klickte auf diesen Button und wurde aufgefordert etwas auszufüllen.
Ich könnte immer noch zurückkehren wenn ich wollte. Ich könnte es doch einfach sein lassen.
Oder ich melde mich an und kann mich später ja immer noch entscheiden ob ich was damit anfangen möchte oder nicht.
Am schwierigsten war es einen Namen auszudenken. Entweder wurde es schon verwendet oder es klappte einfach nicht.
Vielleicht wäre es besser, einen Namen auszudenken, die leicht zu merken ist.
„Tivo ..eh Ruden“, murmelte ich während ich den bescheuerten Namen eintippte.
Tivo Ruden.

Tivo wie Tifa und Ruden wie Rudens. Der Name meiner Schule.
Bin ich kreativ!

Ich lächelte doch ein wenig stolz bei diesem Namen.
Als ich endlich fertig war, wurde ich zu einer Liste von Leute weiter verlinkt.
Ich gab als Stichwort in der rechten Ecke „Schulhaus Rudens“ ein und schon wurden Mengen von Schüler und sogar Lehrer aufgelistet.
Hier ist ja jeder Mensch angemeldet.


Irgendwie kam ich mir idiotisch vor, dass ich zu 99.9%iger Wahrscheinlichkeit die einzige Nicht-registrierte hier bin.
Ich fand wirklich alle hier.
Alle „Machos“, Streber, Möchte-gern-Divas, Sara, der Direktor sogar der Schulpsychologe und..Dame!


Und was soll ich jetzt machen?


Ich erinnerte mich ans Gespräch mit Sara.
Ganz easy, also.


Meine Hände wurden eiskalt und sie zitterten.
Ein Doppelklick auf seinem Profilbild öffnete ein Fenster.
Und jetzt?



Tivo Ruden sagt:


Hallo


Man bin ich blöd.


Ich wartete. Keine Antwort kam.

Dame Chester sagt:


Hey

Ich spuckte beinahe das Cola wieder raus, das ich vor eine Minute aus der Küche geholt habe. Ging das schnell. Was nun..



Tivo Ruden sagt:


Hab gehört du bist neu in der Schule Rudens

Dame Chester sagt:


Kenn ich dich?

Oh je. Ich wusste nicht, dass ich mich so schnell verschreiben konnte. Ich muss wirklich mehr Erfahrungen sammeln, was Chat angeht. Dame kennt mich doch nicht. Wenn das rauskommt, dass ich Tifa bin, kann ich ihm nie mehr unter die Augen treten. Als ob ich das nötig hätte. Aber trotzdem:
Rette dich irgendwie Tifa!



Tivo Ruden sagt:


Hab so meine Quellen.
Vor allem wenn ein Neuer so schnell bekannt wird.
Scheisse gebaut man?

Dame Chester sagt:


Sollst du sicher von deiner Quelle auch gehört haben, nicht?

Wie kann man jemand so schnell misstrauen? Komm ich so schlecht als Junge rüber?



Tivo Ruden sagt:


Wollte nur sehen, ob meine Quelle recht hat.

Dame Chester sagt:


Dann würd ich mir eine neue Quelle suchen.
Ich bin doch nicht so blöd und baue schon in der ersten Woche Scheisse.


Tivo Ruden sagt:


Man kann nie wissen.
Wahrscheinlich hat meine Quelle sich einen Scherz erlaubt.

Dame Chester sagt:


Hm

So. Thema wäre abgehackt. Soll ich ihm jetzt nach seiner Lieblingsfarbe fragen?
Was soll das? Oder etwa über Frauen?
Oh du meine Güte.



Tivo Ruden sagt:


Hast du neulich in der Stadt diese Sängerin gesehen?
Spricht sich jetzt überall rum.
Sie ist voll der Hammer

Ich kotzte gleich bei dieser Bemerkung.

Dame Chester sagt:


Ja. Sie hat was

Er steht also auf reiche Blondinen mit Kulleraugen und nichts in der Birne. Und eine krächzende Stimme.




Dame Chester sagt:


Aber sie ist nicht so mein Ding

Na so was..



Tivo Ruden sagt:


Ich finde sie auch nicht wirklich
Heiss

Dame Chester sagt:


Hast du nicht gerade vorhin das Gegenteil gemeint?

Tivo Ruden sagt:


Das hab ich zitiert

Dame Chester sagt:


Haha xD

Läuft gar nicht schlecht. Immerhin hat er jetzt gelacht.
Hoffe nur, dass es so bleibt.



Dame Chester sagt:


Du hast meine Frage vorhin nicht beantwortet.
Kenn ich dich?

Klar. Du hast heute neben mir im Gras gelegen. Idiot.



Tivo Ruden sagt:


Nein. Nicht das ich wüsste

Dame Chester sagt:


Okay.
Sorry muss los.

Tivo Ruden sagt:


Aha. Schon gut.
Wohin? Eine Verabredung?

Ich liess meine Finger nervös auf die Tischplatte trommeln.
Wenn Sara herausfindet, dass er ein Date mit jemanden hat..



Dame Chester sagt:


Haha. Nein.
Schule.

Was? Wir haben heute Nachmittag doch frei. Habe ich ihn etwa abgeschreckt? Ist meine Tarnung aufgeflogen?



Tivo Ruden sagt:


Ach so.
Nachhilfe?

Dame Chester sagt:


In der ersten Woche hier?
Da muss ich aber verdammt schlecht sein.

Tivo Ruden sagt:


Meinte ich nicht. Egal.

Dame Chester sagt:


Ich weiss. War ein Scherz.
Also, Bye =)

Tivo Ruden sagt:


Bye. Viel Spass in der Schule

Wie macht man solche Smileys? Ein Gleichzeichen und Klammer zu. So ist das.



Tivo Ruden sagt:


=)

Dame Chester ist offline. Nachrichten, die Sie versenden gehen bei diesem Kontakt ein, wenn er sich anmeldet. => Diesem Kontakt stattdessen eine E-Mail senden

Oh man. Ich werde ihm sicherlich keine Mail schreiben.


Ich stand auf und begab mich wieder in die Küche und erhoffte mir ein Stück Leckerbissen zu finden. Und siehe da, eine selbstgebackene Linsetorte von Marie.
Ich schnitt mir ein Stück ab und kochte Tee. Schwarztee. Einfach und passend.
„Tiffany Schatz?“ Hörte ich Marie vom Balkon rufen.
„Hmh?“, antwortete ich mit vollem Mund.
„Könntest du mir kurz helfen?“
Ich ging mit einer Tasse in der Hand und einem Teller mit Linsetore in der anderen zu Marie und musste feststellen, dass ich keine so schlechte Koordination habe.
Marie war über ihren Blumentopf gebückt und hatte alles Erde drum herum verstreut.
Was ist das für eine Pflanze?


„Kannst du mir mal helfen die Wüstenrose zu halten, während ich den Blumentopf wegnehme?“
Stimmt. Wüstenrosen.


Ich legte Teller und Tasse beiseite und kramte meine Ärmel hoch.
„Ah Stopp!“
Ich wich zurück.
„Was ist Marie? Hab ich schon was Falsches gemacht, bevor ich überhaupt richtig angefangen habe?“ Ich setzte ein bekümmertes Gesicht auf.
„Nein, nein Schatz. Wildrosen sind giftig. Leg dir bitte Handschuhe an. Sie liegen auf dem Küchentisch.“
Ich nickte und lief in die Küche.
Handschuhe. Ein Paar Handschuhe..


Sie lagen auf dem Hocker, nicht auf dem Tisch.
„Kling Klong!“
Jemand klingelte.
„Ah. Das ist sicher unser neuer Nachbar! Er hat gesagt, dass er vorbeischauen würde! Ein netter Herr, erst kürzlich eingezogen.“, rief Marie vom Balkon aus.
„Ich mach schon auf, Marie!“, sagte ich und rannte zur Haustür, während ich versuchte mir die engen Handschuhe anzuziehen.
Von weitem würde es so aussehen, als würde ich gegen Handschuhe kämpfen, die ausser Kontrolle geraten sind. Ja, es sah dämlich aus.
Ich verharrte nicht lange in diese dämliche Position als ich die Tür aufmachte.
Mir fehlten die Worte und ich liess die Handschuhe fallen.
„Ah. Hey Tifa!“
Dame.


„W-was machst du denn hier?“, stotterte ich.
„Wie es aussieht bin ich dein neuer Nachbar. Wollte Marie besuchen.“
„Aber du bist kein netter Herr.“
„Aber ein netter junger Mann.“ Er grinste.
Marie kam eilig herbei und strich ihre Bluse glatt.
„Oh. Du musst der kleine Damien sein, von dem ich gehört habe, komm rein.“
Oje. Mein neuer Nachbar ist Dame?


Er lächelte schüchtern und liess sich von Marie in die Eingangshalle führen.
Ich trottete leicht verwirrt hinterher.
„Das ist Tiffany meine eh.. Adop-“
„Tochter. Ich bin Maries Tochter“, schnitt ich ihren Satz ab.
Marie schaute mich kurz an, lächelte, und hing schliesslich Dames Jacke auf.
„Ah okay. Ich kenne ihre Tochter schon.“ Dame schaute zu mir hinüber. „Wir sind in der gleichen Klasse.“
Ich schluckte und zwang mich zu einem Lächeln.
„Wie grossartig! Wieso hast du mir nichts davon erzählt, Tiffany?“, fragt mich Marie leicht empört.
„Weil ich erst jetzt erfahren hatte, dass der neue Schüler auch gleich mein neuer Nachbar ist.“
Marie und Dame lachten.
Mir war nicht nach lachen zumute.
„Hm. Tut mir leid, wenn ich das sage, aber Tifa ähnelt sie nicht wirklich“, sagte Dame.
Marie schaute kurz aus dem Fenster.
Denkt sie nach?


„Ah das ist, weil ich meinen Vater ähnle“, warf ich schnell ein.
So ist das jetzt also. Ich ähnle mehr meinen Vater.


„Ach so.“ Er lächelte wieder. Ein breites strahlendes Lächeln.
Ich spürte wie heiss es mir wurde. Verdammt.


„Wie wär’s wenn wir uns weiter im Wohnzimmer unterhalten? Hier zu stehen ist ja unangenehm“, meinte Marie. „Ich koche uns dann noch Tee.“
„Danke Marie.“
Dame liess sich von mir führen.
Er jagte mir eine Gänsehaut ein. Dame musterte nicht die Wohnung von unten bis oben, liess keine Interessen oder sonstige „Begutachtungen“ hier laufen.
Das Einzige was er tat, war mich zu beobachten.
Unheimlich und unangenehm.


Er liess seine Augen nicht von mir.
„Hier setz dich.“
Ich zeigte aufs Sofa. Eine typische Geste jemanden aufzufordern aufs Sofa zu sitzen. Und nicht auf dem Boden oder sonst wo.
Er gehorchte.
„Hm. Nette Wohnung. Friedlich. Passt zu dir.“
„Danke.“
Es war still. Er guckte aus dem Fenster.
Irgendwie konnte ich es nicht lassen ihn anzuschauen.
Nicht weil er hübsch war oder so.
Sondern, weil er so komisch reinblickte. Ein tiefer Blick, wie in Gedanken versunken und doch würde er jede Bewegung wahrnehmen.
Ein bekannter Blick.
Vielleicht wie einer von diesen Portraits von den Künstlern, bei denen das bestimme Etwas so heraus sticht.
„Tifa?“
Ich erwachte von meinen Tagträumen, wobei ich fast eine Vase vom Wohnzimmertisch hinunter stiess.
Ich wurde spürbar rot. Schnell probierte ich mir die Farbe vom Gesicht weg zu rütteln.
Eine typische Reaktion von mir wenn ich rot werde. Und eine überaus komische.
Er fing an zu lachen.
„Was?“, prustete ich ein wenig beleidigt.
„Ah nichts. Tee?“
Erst jetzt bemerkte ich, dass der Tee fertig serviert schon bereit stand.
Marie sass uns gegenüber auf einem Hocker und kicherte.
Wie ein kleines Kind.
„Wo ist ihr Mann, wenn ich fragen darf?“
Marie verstummte und ich starrte auf dem Boden.
Soll ich uns da wieder irgendwie aus dem Thema rausreden? Wie?


Ich wusste, dass das ein unangenehmes Thema war. Ein Tabu.
„Er ist verstorben. Vor langer Zeit.“
Ich sah, wie auch Dame seine Augen abwechselnd auf Marie und auf dem Boden richtete.
Er wusste wahrscheinlich, dass er einen wunden Punkt getroffen hat.
„Tut mir leid. Ich wusste nicht-“
„Schon gut. Du musst dich doch nicht entschuldigen.“
Marie lächelte aufmunternd.
„Und wieso ist dein Vater nicht auch gekommen?“, fragte sie.
„Ah, das ist also der nette Herr, von dem du gesprochen hast..“, murmelte ich.
Dame guckte mich für ne Weile an.
„Na ja. Er ist sehr beschäftigt mit dem Auspacken und so. Typisch Umzug.“
„Versteht sich.“
„Hm. Deshalb muss ich schon wieder los, ihm helfen.“
„Sicher. Aber bevor ich es gleich vergesse. Willst du noch Tiffanys Zimmer anschauen? Ich habe eine neue Tapete gekauft und möchte dich fragen, ob sie passen würde.“
Ich riss geschockt meine Augen auf. Oje. Bitte nicht!


Dame übersah absichtlich meine entsetzte Mine und lächelte.
„Klar.“
Oh nein! Ich habe meinen Computer noch nicht ausgeschaltet! Wenn er sieht, dass das Chatfenster noch offen ist..!
Tifa = Tivo Rudens. Wenn das rauskommt..
Lass dir was einfallen!


„Ah wartet!“
Sie schauten mich überrascht an.
Mein Ton war also doch bisschen zu laut und hysterisch gewesen...


„Was ist Tifa Schatz?“ Maria schaute mich besorgt an.
Ich stammelte nach passenden Wörtern, die ich zu einem anständigen logischen Satz bilden konnte. Doch irgendwie wollten die Worte nicht gehorchen.
Dame schaute mich erwartend an. Sein Gesichtsausdruck so, als würde er genau wissen, was ich grade durchmachte, was das alles nach einem teuflischen ausgedachten Plan wirken liess.
Es wirkt nicht nur so. Das riecht verdammt nach einem solchen Plan*! Definitiv..


*(for insiders:..und nicht nach Binum..xD)
Ich starrte ihn böse an. So böse ich nur konnte.
„Tifa ach komm schon. Mach keinen Blödsinn, du hast ja aufgeräumt“, sagte Marie ungeduldig. Sie stand auf.
Anscheinend konnte sie es kaum erwarten Dame die Tapete zu zeigen, was die Sache wiederum schwerer macht.
Mein letzter Ausweg war, dass ich mich auf sie herfallen würde, wenn die Lage wirklich nicht mehr zu retten wäre.
Doch glücklicherweise klingelte genau in diesem Moment ein Handy.
Alle horchten auf.
Diese Melodie..


Es war genau diese, die ich einmal kürzlich gehört habe.
Diese, die mir so bekannt vorkam.
„Oh mein Handy..“, sagte Dame und nahm ab. „Sorry für diese Unterbrechung.“
„Kein Problem“, sagte Marie.
Ich bekam kein Wort raus.
Etwas hämmerte in meinem Kopf, was unbedingt raus wollte.
Was soll das?


Ich stütze mich am Tisch.
„Ja. Ich komm gleich. Was? Ein Schrank schleppen?“
Dame klang verwirrt. Er schaute abwechselnd aus dem Fenster und Marie an.
„Warte doch auf mich. Das schaffst du nie im Leben allein!“
Er klang besorgt.
Schliesslich legte er auf.
„Eh tut mir leid. Mein Dad braucht Hilfe“, sagt Dame entschuldigend.
„Kein Problem Damien“, Marie lächelte.
Ich stand auf. Ich stammelte nach Worte.
„Eh..Dieser Klingelton. Von welcher Band ist es?“
Er starrte mich für eine geschlagene Minute an und find dann plötzlich an zu lachen.
„Nein. Von keiner Band. Das hat mein Dad gespielt“, meinte er.
Ich errötete. Zum x-ten Mal heute und genügend für ein Jahr.
„Achso.“
„Magst du es?“
„Ja. Tönt echt schön.“
„Er wird sich sicher freuen, dass zu hören.“
Ich nickte nur und schielte zur Seite.
Dame wandte sich Marie zu.
„Tut mir leid, Marie. Könnte ich mir die Tapete auch ein anderes Mal anschauen?“
„Gerne. Geht es schon morgen?“
„Klar.“
Er wollte sich schon auf den Weg machen, als Marie ihn aufhielt.
„Da wäre noch was Dame.“
Er drehte sich um.
Marie verschwand kurz in der Küche und stiess einen lauten Seufzer aus.
Kein gutes Zeichen…


Marie kam genervt mit einer angeschnittenen Linsetorte wieder zurück.
o-oh..


„Lieber Dame. Eigentlich wollte ich dir und deinem Vater diese von mir frisch gebackene Linsetorte schenken, aber wie es aussieht, kam euch jemand schon zuvor..“
Ich fing an meinen Kopf zu kratzen und schaute unschuldig aus dem Fenster.
Jetzt würde nur noch ein Pfeifen fehlen und die Illusion wäre perfekt.
Dame lachte.
„Kein Problem Marie. Die Torte sieht so lecker aus, da würden wir uns auch auf ein Angeschnittenes freuen“, sagte er schliesslich.
Marie lachte dankend und überreichte ihm sie, die nun eingepackt ist.
„Also. Auf wiedersehen Marie. Sie schüttelte ihm die Hand, was irgendwie so ziemlich unpassend wirkte. Plötzlich so formal.
Er drehte sich zu mir.
Ich reichte ihm die Hand – verwirrt, was ich sonst tun könnte.
Doch er gab mir eine herzvolle Umarmung.
Ich lief schon wieder total rot an. Das spürte ich.
Meine Arme lagen schlaff auf der Seite, was noch mehr bewies, wie verwundert, irritiert und durcheinander ich war.
Doch es fühlte sich gut an. Oje. Marie lächelt.


Er flüsterte mir was schnelles ins Ohr. Dann liess er mich los.
Es war eine kurze schnelle Umarmung, doch lang genug, um zu hören was er mir zugeflüstert hatte.
„Also dann.“
Marie schloss die Tür hinter ihm.
„Ein lieber Junge nicht?“ Marie kicherte wie ein kleines Kind.
Und das sicher, weil mein Gesicht immer noch rot war.
„Jaja. Der Schein trügt, Marie, der Schein trügt!“
Ich verschwand dann kurzerhand in meinem Zimmer.
Marie hörte nicht auf zu lachen, während ich mich genervt aufs Bett warf.
Ich erblickte Dames Profilbild vom Chat, was mich gleich wieder daran erinnerte, den Computer auszuschalten.
Dieses dämliche Lächeln..
Sofort Herunterfahren.


Ich verkroch mich in meinem Bett, während Dames eine zugeflüsterte Satz in meinem Kopf spukte:
„Nur damit du’s weisst. Ich weiss schon, dass du deine Augen nicht von mir lassen kannst..“




Kapitel III




Ich hörte wie es ächzte und stöhnte als ich es hinauffuhr. Ein alter Mann, der steile Klippen besteigen zu versuchte. So war mein Computer.
Ich trommelte ungeduldig meine Finger auf die Tischplatte.
Am liebsten hätte ich es auf dem Fenster geworfen, aber wer würde dann das kaputte Fenster bezahlen?
Ihn zu öffnen erfordert zu viel Kraft, die ich jetzt unmöglich aufbringen konnte.
Es waren die längsten 5 Minuten meines Lebens, als endlich das Desktop erschien.
Als ich dann endlich den langen weiten Weg hinter mich hatte, der mich zu diesem Chatfenster führte, war ich endgültig am Ende mit meinem Geduld.
Dame Chester ist offline.


Die Mühe war also für nichts.
Ich konnte mir schon vorstellen wie eine Zornfalte auf meiner Stirn sichtbar wurde.
Bevor ich diese Seite schloss, öffnete sich ein neues Fenster.
Sie haben Sofortnachrichten erhalten, als sie offline waren.



Dame Chester sagte (15:47):


Hey Tivo =)
Wollte nur was fragen..
Wo gehst du eigentlich zur Schule?
Also, bis dann

17:36 Uhr ist es gerade. Er war heute noch online, bevor ich kam. Hab ihn wohl verpasst.


Ich runzelte die Stirn. Was könnte ich ihm denn jetzt antworten?
Sollte ich ihm sagen, dass ich von einer anderen Stadt komme, sodass eine beliebige Schule glaubwürdiger klingt?
Würde er mich aufsuchen wollen?
Oh du meine Güte. Wenn das so ist, muss ich mir eine passende Schule auswählen.
Wie wäre es mit der Nachbarschule Gerstenheim?
Idiot.
So würde er mich in null Komma nichts finden.
Ich meine, er würde herausfinden, dass Tivo Ruden nicht existiert.


„Tiffany Schatz? Könntest du mal kurz kommen?“
Marie riess mich aus meinen tiefgründigen Gedanken.
Ich schlurfte ins Wohnzimmer, wo ich Marie gemütlich Zeitung lesend auf dem Sofa sah.
„Ja, was ist?“
„Könntest du für mich mal kurz zur Post gehen? Einen Brief abschicken.“
Sie warf mir einen weissen Umschlag entgegen, den ich mit Bravour auffing.
Ich wog den Brief hin und her, während ich Marie musterte.
Normalerweise würde ich nach dieser schwerfälligen Minute an Blickkontakt gewinnen, aber wie es aussieht, scheint die Zeitung eine viel grössere Anziehungskraft zu besitzen.
Ich gab mich mit einem Seufzen geschlagen und gab ihr noch ein knappes „okay“, bevor ich mich auf meinem Mantel hermachte und mir die Stiefeln anschliessend über die Füsse zog.

*



Sogar für diese Zeit war es ungewöhnlich dunkel. Nach jedem Schritt hatte ich das Gefühl nach oben schauen zu müssen, da mich immer das Gefühl von Regen verfolgte.
Dummerweise musste ich heute meinen Schirm vergessen.
Die Post lag, für meine Verhältnisse, recht weit weg von zu Hause.
Ich musste schon den Bus nehmen, um dorthin zu gelangen, was mir im Grunde nichts ausmachte.
In letzter Zeit kam es mir so vor, als würde ich mich immer mehr in eine Traumwelt hinein begeben. Mehr und mehr erschienen mir die Sachen, die Eindrücke so bekannt und doch so fremd.
Von weitem sah ich das gelbe Schild „Post“ leuchten.
Ich trat hinein.
Ausnahmsweise hab es heute keine Schlange.
Mein Besuch bei der Post war nur kurz und ich entschied eine andere Route für den Rückweg zu nehmen.
Vielleicht könnte ich mir auf dem Weg noch was zu trinken holen.
Eine Cola oder so.
Das Gefühl Regentropfen auf der Haut zu spüren liess sich einfach nicht abschütteln, dabei wusste ich ganz genau, obwohl der Himmel schon ganz schwer und grau wirkte, dass es noch nicht so weit war.
Meine Route führte mich durch einen Park.
Ich solle hier öfters gespielt haben, hat Marie erzählt. Aber ein vertrautes Gefühl hatte ich jedoch nicht.
Mein Blick fiel vom Park aus, auf einem kleinen Laden.
Eigentlich wirkt es wie ein Reisebüro mit all den Werbeplakaten und den Prospekten.
Ich betrat den Laden und suchte nach einem gewissen Ding. Etwas, was auch der Grund dafür war, dass ich überhaupt einwilligte zur Post zu gehen.
Der Ladenbesitzen oder Verkäufer war nicht aufzufinden.
Ich hörte, wie leise Musik aus einem Raum nebenan kam, wahrscheinlich befand er oder sie sich dort.
Ich sah einen Schulprospekt unserer Stadt und noch einige mehr in einen dieser Regale aufgereiht. Wie kann ich von Glück sprechen, dass ich mich nicht noch auf der Suche nach Handlungen zu machen musste, die Schulprospekte hatten. Wie erleichternd.
Als hätte er gewusst, dass ich bezahlte, kam der Verkäufer und stand vor der Theke, IPod haltend.
„Also.. eh“, ich legte den Prospekt hin und fummelte in meiner Tasche rum, während mir ein schrecklicher Gedanke in den Sinn kam, das ich das Portemonnaie doch auf meinem Tisch vergessen hatte.
Mit Erleichterung legte ich die Geldscheine auf die Theke und konnte mir zufrieden das Prospekt in die Tasche legen.
Ich werde sie mir später in Ruhe anschauen und mir eine passende Schule aussuchen.
Gerüstet verliess ich den Laden.
Hätte ich in meiner Profilinformation doch nicht „Schüler“ hingeschrieben!
Oder, dass ich erst achtzehn wäre.. Aber hätte ich nicht „Schüler“ hingeschrieben, würde Dame auf den Gedanken kommen, dass ich pädophil bin oder so, was wiederum schlecht ist, um Informationen zu kriegen.. Ich meine, welcher Berufstätiger würde sich um den Kram eines neuen minderjährigen Schülers interessieren? Na also.
Aber meinen Wohnort hätte ich doch ändern können. Ich hätte es mir besser überdenken sollen..


Ich bemerkte nicht, wie weit ich lief, während ich in mein Prospekt lesend, in Gedanken schwelgte. Erst dann, als ich über rot lief und ein Auto energisch hupte, guckte ich auf, entschuldigte mich hektisch und rannte schnell über die Strasse.
Ich blickte suchen nach Strassenschilder um mich herum.
Birkenalle.


So weit bin ich nun auch nicht gelaufen.
Ich runzelte die Stirn während ich versuchte mir einen Stadtplan auszumalen.
Mein Orientierungssinn war schon immer einer der schlechtesten.
Ich möchte schon gar nicht wissen, wie ich mich wohl in einer Grossstadt zurecht finde.

Hinter mir befand sich ein Friedhof.
Zur Birkentüre. Komischer Friedhofsname.


Mir kam es irgendwie bekannt vor, dieser Friedhof hier.
Vielleicht konnte ich mich damit orientieren.
Beim Herumgucken erkannte ich jemand vor einem Grabe sitzen, Kopf hängend.
Ich konnte meine Augen nicht von ihr lassen. Ich kannte diese Person.
Dame..?


Ich zögerte und lief schliesslich los. Meine Schritte wurden langsamer, je mehr ich ihm näherte.
Es fehlten nur wenige Schritte und ich würde ihn überrumpeln, doch er hat mich immer noch nicht bemerkt. Ich merkte wie unhöflich ich war.
Was habe ich mir denn nur gedacht, einfach so zu ihm zu rennen? Ihn bei so etwas zu stören? Eine Unbekannte, die er kaum für eine Woche kannte, hat es tatsächlich gewagt ihn bei so einem Ort zu stören.
Wie respektlos und herzlos. Oder einfach nur dumm?
Ich wollte schon kehrt machen und mich davonschleichen, als Dame seinen Kopf hob.
„Tifa?“
Mein Rücken war zu ihm gewandt. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Doch so stehen würde das Problem nicht lösen.
Ich drehte mich um. Seine roten Augen trafen mich wie Blitze. Ich konnte nur starren.
Ja, starren macht die Situation erheblich leichter, was Tifa?


„Also, es tut mir so leid, dass ich dich störe! Ehrlich, ich wollte nicht-“
„Tifa!“
Ich verstummte. Es sollte wütend klingen, doch das war es nicht.
Er klang eher erschöpft und ausgelaugt.
Er schloss die Augen und liess seinen Kopf wieder hängen.
Meine Gedanken kreisten wirr herum, unfähig nur einen klaren Gedanken zu fassen.
Sollte ich gehen? Oder bleiben? Was wollte er mir sagen?
Auch ich schloss die Augen.
„Tut mir leid Dame“, flüsterte ich und rannte fort.

*



Ich warf mich mitsamt Jacke und Tasche aufs Bett. Marie war nicht zu Hause.
„Bin einkaufen =)“ stand auf dem Notizzettel, den sie an die Eingangstüre geklebt hat.
Ich hab mich endlich für eine Schule entschieden, aber soll ich ihm wirklich weiter so etwas auftischen? Wieso mache ich das eigentlich?
Wenn Menschen sich nicht nur Vorwürfe machen, sondern das vorzubeugen. Oder sind Menschen alle masochistisch und scharf drauf sich mit Vorwürfen fertig zu machen?


Exakt das kreiste mir im Kopf herum als ich vor dem Computer hockte.
Ich habe Dame noch nie so fertig gesehen. Seine goldigen Haare waren zerzaust und hat ihren Glanz verloren. Genau wie seine Augen, die so rot umrandet war.
Er war wirklich fertig.
Ich tippte ganz langsam die wenigen Zeilen hin. Unsicher und zögernd.

Tivo Ruden sagt:


Also.. Nicht sonderlich weit weg von deiner Schule
Floyerschulhaus
Okay, bis dann

Dame Chester sagt:


Stimmt. Ich kenne diese Schule

Du meine Güte..er ist ja online.
Kann man denn gleichzeitig offline und online sein?



Tivo Ruden sagt:


Echt? Cool
Wieso willst du eigentlich wissen, in welcher
Schule ich gehe?

Dame Chester sagt:


Hab mich nur gewundert, bis wohin
Ich einigermassen bekannt bin
Nicht schlecht für die erste Woche, nicht? xD

Was für ein Eingebildeter…und dabei war er vor wenigen Minuten noch deprimiert..



Tivo Ruden sagt:


Hm..geht so
Was machst du so?
Bilder von dir bewundern oder wie?

Tut mir leid Dame. Aber ich konnte mich nicht zurückhalten und so etwas schreiben.
Das ist ganz natürlich.



Dame Chester sagt:


Haha
Nein, dass mache ich nur Montags =)
Heute bewundere ich mein Spiegelbild ;)

Haha. Was ist das für einer?


Ich konnte nicht mehr vor lachen. Kaum zu glauben in was für einem Zustand er sich vorhin befand.

Tivo Ruden sagt:


Was machst du so?

Dame Chester sagt:


Mein Spiegelbild bewundern, oder?
Spass. Nein ich hab vorhin jemand besucht

Tivo Ruden sagt:


Aha, wer denn?

Ich könnte gegen die Wand rennen. Er meinte sicher sein Aufenthalt auf dem Friedhof und ich bin ja so dumm und muss ihn ja noch darüber fragen.

Dame Chester sagt:


Meine Familie

Sicher hart für ihn und sein Vater.



Tivo Ruden sagt:


Tut mir leid

Dame Chester sagt:


Wieso entschuldigst du dich?

Erwischt. Wie dumm kann man heute noch sein? Ich wette, an Dummheit mangelt es mich heute nicht..


Ich blickte nervös durchs Zimmer, als würde ich dabei eine Antwort finden können.

Dame Chester sagt:


Ich habe heute das Gefühl, dass
Es ein Muss ist, sich bei mir zu entschuldigen
Vor allem, wenn es nicht nötig ist

Tivo Ruden sagt:


Warum denn das?

Dame Chester sagt:


Heute hat sich eine Klassenkameradin gleich 3x hintereinander
Bei mir entschuldigt, dabei war es gar nicht nötig

Ich habe mir Sorgen gemacht! Sei dankbar.. und ausserdem habe ich mich nur zweimal entschuldigt.



Tivo Ruden sagt:


Was hat sie denn gemacht?
War es so schlimm?

Dame Chester sagt:


Na ja.. Ich war gerade auf dem Friedhof..
Und anscheinend hatte sie das Gefühl gestört zu haben
Dabei..

Tivo Ruden sagt:


..dabei?

Dame Chester sagt:


Dabei wollte ich, dass sie bei mir bleibt

Ich schluckte. Ich war so blöd. Wieso hab ich das nicht gemerkt?
Ich wäre auch gern bei ihm geblieben. Sehr gerne sogar.

Tivo Ruden sagt:


Ich wette, sie hat es nur gut mit dir gemeint..
Sicher wollte sie gerne bei dir bleiben, hatte aber angst
Etwas Falsches zu machen

Dame Chester sagt:


Ich weiss. Sie ist eine sehr nette Person

Tivo Ruden sagt:


Magst du sie sehr?

Ich wusste, dass ich so eine Frage früher oder später fragen würde.
Schon komisch. Vor einigen Tagen habe ich Saras Idee noch bescheuert gefunden, und
jetzt machte ich genau das.

Dame Chester sagt:


Ja, eigentlich schon

Ich errötete. Ein komisches Gefühl baute sich in mir auf. Mein Herz pochte laut und ich blieb für eine Weile einfach nur still hocken.

Dame Chester sagt:


Wie ist es mit dir? Hast du eine Freundin?

Tivo Ruden sagt:


Nein, momentan nicht

Und morgen auch nicht, übermorgen auch nicht, in einem Jahr auch nicht.



Dame Chester sagt:


Hm.. Hast du nächstes Wochenende Zeit?

Tivo Ruden sagt:


Kommt drauf an, wieso?

Dame Chester sagt:


Wollte fragen, ob’s dir was ausmacht, wenn wir uns dann treffen

Was?! Er will sich einfach mit einem wildfremden Typen treffen? Sag mal geht’s noch?
Nein.. vielleicht empfinde nur ich das so. Vielleicht ist es ja üblich so unter Kumpels halt, sich zu treffen.. Aber ich bin nun mal kein „Kumpel“. ..Tivo aber.
Mein Gewissen will mich was blödes einreden.
Und ich führe in letzter Zeit vermehrt Selbstgespräche.
Wie soll ich ihm das auf natürlicher Weise erklären, dass ich nicht kann?
Er sollte nicht das Gefühl kriegen, als möge ich ihn nicht, sonst meldet er sich gar nicht mehr.



Tivo Ruden sagt:


Ja, ich denke ich habe Zeit

Jetzt noch. Und plötzlich ist dir was dazwischen gekommen, nicht Tivo?



Dame Chester sagt:


Okay, cool.
Wo wollen wir uns treffen?

Wo fragst du? Ich soll ihm keine Hoffnungen machen. Echt nicht.



Tivo Ruden sagt:


Ich hab keine Ahnung.

Dame Chester sagt:


Wie wäre es vor deiner Schule?

Ist das riskant? Was denk ich da? Ich werde sowieso nicht kommen. Auch wenn ich wollte, wie würde ich das hinkriegen? Ich könnte kaum als Tifa kommen.
Würde trotzdem gerne sein überraschtes Gesicht sehen, wenn das passiert.
Nein, besser nicht.



Tivo Ruden sagt:


Okay

Dame Chester sagt:


Wie soll ich dich erkennen? xD
Du hast kein Profilbild .
Würde mir schön dumm vorkommen, wenn ich
jeden Typ ansprechen müsste, wenn jemand da an deiner Schule vorbeikommt

Tivo Ruden sagt:


Haha
Ich würde das gerne erleben =)
Vielleicht hast du mich ja schon nach der 10. Person gefunden

Dame Chester sagt:


Haha xD
Toll, ich freue mich schon darauf

Tivo Ruden sagt:


Wenn das so ist, bis dann

Dame Chester sagt:


Willst du nicht wissen, um welche Zeit wir uns
treffen sollten?
Ausserdem wäre es ein bisschen einfacher für mich,
wenn du mir ein Zeichen geben würdest oder etwas Auffälliges anziehen
würdest

Tivo Ruden sagt:


Vielleicht so um die 3 Uhr?
Wenn du willst ziehe ich eine pinke Uhr an

Dame Chester sagt:


Okay,
du hast eine pinke Uhr?

Tivo Ruden sagt:


Ja, stört es dich?

Ich prustete. Meine Augen tränten schon vor lachen.

Dame Chester sagt:


Nein, ich habe sogar pinke Socken xD

Okay. Genauer will ich das nicht wissen..und dass er angebissen hat..
Dame steckt voller Überraschungen.



Tivo Ruden sagt:


Cool

Dame Chester sagt:


Ich gehe mal offline
Bye bis dann


Tive Ruden sagt:


Bis dann

Wenn ihr mich fragt, wieso ich so mit ihm spiele, dann sag ich es euch.
Ehrlich gesagt, weiss ich es nicht. In meinen Augen, spiele ich nicht wirklich mit ihm.
Denn ich mache das nicht einfach aus Spass.
Ich verlange nach ihm, immer mehr will ich seine Nähe.
Das Gefühl jemand spezielles für ihn zu sein, ist wundervoll.
Um dies zu erreichen, habe ich mich so entschieden.
Das war ein Fehler.
Nur habe ich es zu spät gemerkt.


Vorschau:
Wie alles begann..~Teil II

Dames Lügen werden entlarvt, doch wieso überhaupt damit angefangen?
Was hat Dames Vergangenheit auf sich?
Werde ich wirklich so weit gehen ein Treffen mit Dame zu organisieren?
Nur blöd, dass Sara mir jetzt auf den Fersen ist.
Werde ich es ihr anvertrauen können?


So, der 1.Teil vom Anfang ist nun fertig.
Ich hoffe, es ist mal was Neues und hat euch gefallen! =)
Würde mich über jeden Stern und Kommi freuen!
Auf Anfrage sage ich, wann es weiter geht..
Bin nicht so schnell in schreiben..also habt Geduld mit mir. =D


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.01.2010

Alle Rechte vorbehalten

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