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Prolog

500 nach Christus

„Werwölfe! Schützt die Hüterinnen“, schrie Aodhagán, gleichzeitig deutete er auf die großen Steine, an denen siebzehn Kriegerinnen standen, die einen Zauberspruch murmelten. Sofort rannten die Wölfe auf den Steinkreis zu, formierten sich, sodass die Frauen geschützt werden konnten.
Aodhagán fasste seinen Speer fester, er hatte geschworen, dass er diese Amazonen mit seinem Leben beschützen würde, zumal sie gerade alles taten, um das gesamte Volk mit ihrer Magie zu retten.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er ein Blitzen auf der rechten Seite des magischen Kreises und kurz darauf erschienen Elbenkrieger, in deren Mitte sich Saoirse, die Elbenkönigin, befand. Auf den Augenblick hatte er irgendwie gewartet, dabei befürchtete er ihr Erscheinen.
„Aileen, nicht.“ Die Anführerin der Hüterinnen versuchte eine der Frauen zurückzuhalten, die auf die Elben zulief.
„Ich bin ihre Beschützerin, ihr habe ich die Treue geschworen“, schrie die Kriegerin zurück, schüttelte die andere ab, ehe sie sich vor die Königin kniete.
„So? Ist das wirklich die Wahrheit? Oder ist es nicht vielmehr so, dass sie dich erpresst hat?“ Eine männliche dunkle Stimme ließ Aodhagán herumfahren.
Ein großer, muskulöser Mann trat auf die Elben zu, die jetzt nur wenige Meter vor dem Steinkreis Aufstellung bezogen.
„Bitte, Dragomir, du kennst die Prophezeiung. Lass nicht zu, dass wegen unserer Liebe ein ganzes Volk vernichtet wird.“ Aileen blickte bittend von ihm zur Königin, doch diese verzog nur geringschätzig das Gesicht.
„Was scheren mich die Menschen?“ Sie sah auf die Frau, die vor ihr im Staub kniete herunter. „Du solltest dich langsam entscheiden, Aileen. Deine Schonfrist ist vorbei. Wirst du dem Drachen entsagen? Gibst du dich mir völlig hin?“
Entsetzt rang die Kriegerin die Hände, kam geschmeidig auf die Füße, bevor sie ernst den Kopf schüttelte. „Ich bin Euch treu ergeben, Saoirse, das wisst Ihr, dennoch gehört mein Herz nur mir alleine und ich schenke es dem, den ich liebe.“ Sie sah der Elbenkönigin fest in die Augen. „Dragomir ist mein Seelenverwandter.“
In Saoirses Gesicht blitzte es zornig auf. „Dann hast du dich für den Krieg zwischen uns entschieden.“
„Bitte, so seid Ihr nicht. Ich habe Euch als weise und freundlich kennengelernt. Ihr wart immer auf unserer Seite, auf der Seite der Hüterinnen, nur deshalb bin ich zu Eurer Beschützerin ernannt worden.“ Aileen senkte die Stimme, sodass nur noch die Elbe in der Lage war, sie zu hören. „Wir wissen beide, dass du mich nur besitzen willst, aber von wahren Gefühlen ist keine Rede.“ Flehend sah sie die andere Frau an.
„Das ist, was du denkst, weil dein dummes Herz sich vor Liebe nach dem Drachenwandler verzehrt.“ Höhnisch lachte die Elbenkönigin auf. „Du kennst meine Antwort.“ Sie schubste die Kriegerin zur Seite, gleichzeitig zeigte sie auf die Hüterinnen, die wie erstarrt im Steinkreis standen. „Vernichtet sie! Sie haben uns verraten.“
Noch ehe Aodhagán reagieren konnte, kam Bewegung in die Elbenkrieger, während die Amazonen sich neu formierten.
Auf Dragomir achtete in dem Augenblick niemand, bis ein blaues Flackern anzeigte, dass er sich in einen Drachen verwandelte. Jetzt würde das Schicksal seinen Lauf nehmen und die Prophezeiung sich erfüllen.
Aileen schrie warnend auf, doch die Krieger befanden sich bereits zwischen den Steinen, sodass Saoirse ungeschützt dem Drachenwandler preisgegeben war.
Die Elbe blickte ihn herausfordernd an. „Denkst du wirklich, dass du in der Lage bist, die Vorhersage zu umgehen? Glaubst du, dass du dem Leiden entgehen kannst?“ Sie lachte höhnisch auf, dabei klang Wahnsinn in ihrer Stimme mit.
Der riesige schwarze Drache stieß ein Knurren aus, gleichzeitig senkte er den Kopf.
Die Werwölfe drängten sich an die Hüterinnen, um sie vor den Kriegern aus der Elbenwelt zu schützen, aber niemand hatte mit dem gerechnet, was jetzt folgte.
Ein Grollen ertönte und im gleichen Moment sprang Aileen zu Saoirse, gab ihr einen kräftigen Stoß, sodass sie ein ganzes Stück zur Seite geworfen wurde. Das Drachenfeuer, das in dem Augenblick aus Dragomirs Nüstern schoss, erreichte die Elbenkönigin nicht, doch für die junge Kriegerin kam jede Hilfe zu spät.
Der gewaltige Drache spuckte Feuer, beendete es jedoch sofort, als er bemerkte, dass seine Seelengefährtin sich für ihre Königin geopfert hatte. Unbeholfen stampfte er auf die Frau zu, die sich vor Schmerz auf dem Boden wand. Er senkte den Kopf, Trauer im Blick. Eine Träne tropfte auf sie, was sie erneut aufschreien ließ.
„Ich liebe dich“, stieß sie unter schweren Atemzügen hervor.
„Du darfst nicht sterben!“ Dragomir brüllte seinen Befehl, während das Leid seine Seele zerriss.
„Leb wohl.“ Sie holte zittrig Luft. „Wir sehen uns ... in einem ... anderen Zeitalter.“ Aileen schloss die Augen, gleichzeitig ging ein Beben durch ihren Körper.
Schuld, Wut, Trauer vermischten sich in Dragomir zu einem zerstörerischen Wahnsinn, als seine Gefährtin ihren letzten Atemzug tat. Wie von Sinnen drehte er sich zu den Elben herum, suchte einen Moment nach der Königin, die mitten im Steinkreis die Hüterinnen niedermetzelte, anschließend jagte er sein Feuer in ihre Richtung. Ihm war es egal, dass er jedes Lebewesen in ihrer Nähe vernichtete. Er verzehrte sich nach Rache!
Schreiend flohen die Frauen zusammen mit den verbliebenen Werwölfen, während die meisten Elbenkrieger dem Drachenfeuer nicht entkommen konnten.

Kapitel 1 - Ein gefährlicher Plan

 

Heute

Nass geschwitzt wachte Rowan auf, dabei erinnerte er sich deutlich an den Traum. Wieder hatte er vom Elbenkrieg geträumt. Selbstverständlich wusste er, woher diese Episode stammte, sie gehörte zur Geschichte seines Clans. So oder so ähnlich mussten seine Vorfahren den Kampf am Drombeg Stone Circle erlebt haben. Er selbst war mit seinen knapp vierhundert Jahren zu jung, um dort gewesen zu sein. Darüber hinaus wurde die Begebenheit mittlerweile völlig verdreht erzählt. Bei dem Gedanken knurrte er leise. Seit den dunklen Tagen nannte man sie nur noch die ausgestoßenen Werwölfe von Skibbereen.
Fahrig strich er sich die feuchten Strähnen aus der Stirn. Ihm war klar, dass es seine Aufgabe war, die Geschehnisse von damals richtigzustellen. Sein Clan war im Laufe der Jahrhunderte auf weniger als zwanzig Wölfe geschrumpft, vor allem, weil sie sich ständig der Bedrohung durch andere magische Wesen ausgesetzt sahen.
Erst als die Paranormalen eine eigene Regierung gründeten, bekamen sie den Schutz, der ihnen ein einigermaßen sicheres Leben ermöglichte. Selbstverständlich hatte jeder Clanchief versucht, ihre Unschuld zu beweisen, aber alle scheiterten. Immerhin hatte sein Großvater herausgefunden, dass es Aufzeichnungen über die wahren Begebenheiten gab. Doch jetzt war es an Rowan, diese Aufgabe zu übernehmen und wenn möglich abzuschließen.
Seufzend setzte er sich auf, gleichzeitig erinnerte er sich daran, dass er sich auf einen Kaffee mit seinem Spion Sean treffen wollte. Vielleicht hatte er endlich gute Neuigkeiten, die sie weiterbrachten.
Eilig ging er ins Bad, um sich für den Tag herzurichten. Seine Motorradwerkstatt musste für ein paar Stunden ohne ihn auskommen. Kurz darauf war er auf dem Weg nach Skibbereen zu Applebettys Café.
Die Strecke brachte er innerhalb weniger Minuten hinter sich, dabei hatte er keinen Sinn für die grünen Wiesen oder den Sonnenschein. Er verlangte seinem Motorrad einiges ab, weil er von der Hoffnung getrieben wurde, seinem Ziel endlich näher zu kommen.
Langsam zog er sich den Helm vom Kopf, nachdem er die Maschine in der Nähe des Cafés aufgebockt hatte. Rowan atmete tief durch, schloss sogar kurz die Augen, bevor er das Lokal betrat.
Sean erwartete ihn bereits, was ihn erleichterte. Der Chef der Skibbereen-Werwölfe hasste nichts mehr, als seine Zeit mit Warterei zu verschwenden.
„Hey, schön, dich zu sehen.“ Sean nickte ihm erfreut zu.
„Das gebe ich gerne zurück.“ Rowan setzte sich, legte den Helm neben sich auf einen freien Stuhl, anschließend bestellte er einen Kaffee.
Die Männer warteten, bis die Bedienung außer Hörweite war, erst dann begann der Verbündete mit seinem Bericht.
„Endlich habe ich etwas Nützliches herausgefunden.“ Er seufzte leise. „Zuerst dachte ich, dass meine gesamte Arbeit nutzlos gewesen ist. Diese Schweinehunde wollten mir einfach nicht trauen. Uns haftet immer noch der Makel von damals an.“ Sean hatte sich bei Malcom beworben, dabei gab er vor, dass er dringend einen Job benötigte. Sie alle wussten, wie überheblich ihre Feinde waren, daher wunderte es ihn nicht, dass er tatsächlich eingestellt wurde. Die Bezahlung war zwar ein Witz, außerdem ließen sich die Lanesborough-Werwölfe keine Möglichkeit entgehen, ihn darauf hinzuweisen, dass sie ihm aus der Patsche geholfen hatten, trotzdem ergab sich so eine Chance, Informationen zu bekommen.
Traurig stimmte Rowan ihm zu. Nach so langer Zeit sollten die alten Geschichten langsam verblassen, aber seine Leute waren weiterhin die verstoßenen Wölfe von Skibbereen, denen man besser nicht traute.
„Vorgestern hat mich Magnus, Malcoms Sohn, gefragt, ob ich mit in den Pub gehe. Selbstverständlich habe ich die Gelegenheit ergriffen und hatte Glück. Der Kleine wird in Gesellschaft sehr redselig. Ich nehme an, dass der Alkohol ihm zwar nichts anhaben kann, er aber in einer solchen Situation, mehr erzählt, als er ursprünglich wollte.“ Sean rieb sich nachdenklich über das Kinn. „Es hat ihm Spaß gemacht, mir unter die Nase zu reiben, dass wir damals übel reingelegt wurden. Lachend hat er mir bestätigt, dass es eine Schriftrolle gibt, die Aufzeichnungen über die wahren Begebenheiten enthält.“
Jetzt runzelte Rowan die Stirn. „Überheblichkeit und Selbstüberschätzung waren schon immer ihre Schwächen, sonst hätten sie dich niemals eingestellt. Allerdings macht es gar keinen Sinn, dass sie jemanden beauftragt haben, die Wahrheit über die dunkle Zeit aufzuschreiben. Weshalb sollten ausgerechnet sie das Risiko eingehen, dass ein Fremder erfährt, was wirklich geschehen ist?“ Die Antwort musste sein Vater ihm schuldig bleiben. Er wusste nur, dass diese Schriftrolle existierte.
„Das hab ich den kleinen Angeber auch gefragt. Er meinte, sie würden sich immer daran erinnern wollen, wie einfach man uns aufs Kreuz legen könnte.“ Sean knurrte leise. „Als ich ihn ein wenig schüttelte, gab er zu, dass sie das Schriftstück selbst gestohlen haben. Es ist mit Magie geschützt und kann nicht vernichtet werden.“
Das ergab viel mehr Sinn, sodass Rowan leicht nickte. „Du bist dir wirklich sicher, dass die Aufzeichnungen, die unseren Clan entlasten, im Tresor von Malcom O’Rourke liegen?“ Er ballte vor Anspannung die Hände zu Fäusten.
„Natürlich, endlich hat es gefruchtet, dass ich mich in seinem Betrieb abgerackert hab. Magnus hat es mir bestätigt.“ Sean betrachtete sein Gegenüber. „Du hast mich gebeten, den Werwolfclan von Lanesborough auszuspionieren. Es hat lange gedauert, bis ich Ergebnisse vorweisen konnte. Verzeih mir, ceannard.“
Der Anführer der Skibbereen-Werwölfe schüttelte leicht den Kopf. „Es gibt nichts, was ich entschuldigen müsste. Du hast gute Arbeit geleistet.“ Er legte seine Handfläche auf den Arm des Verbündeten. „Den Rest werde ich erledigen. Mit ein wenig Glück können wir unseren Namen reinwaschen und der magischen Welt beweisen, dass die Verleumdungen von damals eine Intrige der Lanesborough-Wölfe war.“
„Wieso hältst du an der alten Geschichte fest? Heute spielt es doch keine Rolle mehr.“ Sean trank von seinem Kaffee, während er den Chief neugierig musterte.
„Ich habe es meinem Vater auf dem Sterbebett geschworen.“ Rowan holte tief Luft. „Du hast selbst gesagt, dass uns immer noch ein Makel anhaftet. Die magische Welt vergisst nicht.“
Beide Männer wussten genau, dass ihr Clan eine verdammt harte Zeit durchgemacht hatte. Sie wurden überall auf der Insel geächtet, als Verräter gebrandmarkt, nur weil die Werwölfe von Lanesborough eifersüchtig auf ihre Stellung gewesen waren. Durch die Intrige stiegen sie auf, bekamen den Platz der Anführer. Niemand legte sich mit ihnen an oder stellte gar ihr Wort infrage, während Rowans Leute um ihr Leben bangen mussten, sobald bekannt wurde, dass sie zum ausgestoßenen Kreis gehörten.
Als die magische Regierung gegründet wurde und die Wächter ins Spiel kamen, hatte Rowans Familie um Gerechtigkeit gebeten, doch es gab einfach keine Beweise. Die Skibbereen-Wölfe unterlagen den gleichen Gesetzen wie jedes andere paranormale Wesen, damit war auch die Verfolgung vorbei, nur die üblen Gerüchte blieben.
„Träumst du?“ Sean schlug seinem Anführer leicht auf die Schulter.
„Nein, ich habe nur an die Ungerechtigkeit gedacht. Niemand ist daran interessiert, unsere Unschuld zu beweisen.“ Er seufzte leise.
„Ich weiß, dass deine Familie alles getan hat, um die schmutzigen Intrigen dieser Mistkerle aufzudecken. Nur manchmal sind Gerechtigkeit und Recht zweierlei Dinge.“ Sean blickte Rowan eindringlich an. „Was hast du denn jetzt vor?“
Sofort schüttelte der andere Werwolf den Kopf. „Das werde ich keinem sagen. Ich alleine trage die Verantwortung und je weniger du weißt, desto sicherer bist du. Wirst du in Lanesborough bleiben?“
Verächtlich stieß der Verbündete die Luft aus. „Auf gar keinen Fall. Ich kündige noch heute. Egal, wie gut ich war oder wie hart ich gearbeitet habe, für sie war ich immer jemand, dem man besser nicht traut. Außerdem gibt es genug vernünftig bezahlte Jobs.“
Davon hatte Rowan bereits gehört. Malcom zahlte nur das, was er unbedingt musste. „Ich danke dir, deartháir.“
Sie tranken ihren Kaffee aus, verabschiedeten sich und verließen nacheinander das Lokal.
Auf dem Heimweg trommelte Rowan nervös auf dem Lenkrad herum. Seitdem er wieder regelmäßig vom dunklen Krieg träumte, wurde er von Tag zu Tag rastloser. Kurz dachte er an das Gerücht, dass diese Unruhe die Seelengefährtin ankündigte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Für eine Partnerin fehlte ihm schlichtweg die Zeit, deshalb schob er die Vorstellung unwillig von sich.
Er musste sich auf die nächsten Schritte konzentrieren, immerhin hatte sein Vater sein Leben gelassen, als er versuchte an die Schriftrolle heranzukommen.
Erneut schweiften seine Gedanken in die Vergangenheit. Zuerst war sein Clan gezwungen, sich regelrecht zu verkriechen, um nicht völlig ausgerottet zu werden. Erst nach und nach trauten sie sich zurück, mischten sich unter die Menschen, dabei verheimlichten sie, woher sie kamen. Von dem einst mächtigen Stamm blieb nur noch eine Handvoll übrig.
Immer wieder versuchten seine Vorfahren, die Geschichte richtigzustellen, doch niemand hörte ihnen zu, im Gegenteil, viele sahen ihnen mit Misstrauen entgegen. Sein Großvater erfuhr durch Zufall von der Schriftrolle, weil einer der Lanesborough-Wölfe in einem unachtsamen Moment ein paar interessante Details ausplauderte.
Rowan lachte spöttisch auf, offensichtlich war das eine der Schwachstellen in dieser Familie.
Im Laufe der Zeit brachten sie immer mehr über das Schriftstück, das ihre Unschuld beweisen konnte, in Erfahrung. Allerdings wurde sie ständig an anderen Orten aufbewahrt, sodass es unmöglich war, an die Rolle heranzukommen. Zumal der verfeindete Clan sich mittlerweile in ganz Europa ausgebreitet hatte.
Sein Vater war sogar nach Rumänien geflogen, weil dort in einer Höhle das Versteck sein sollte.
Traurig rieb Rowan sich über die Augen. Adair war so kurz davor gewesen, diese unselige Sache aus der Welt zu schaffen. Offiziell war er bei einer Höhlenbesichtigung verunglückt, allerdings wies die Leiche einige Spuren auf, die zeigten, dass ihre Feinde ihn umgebracht hatten.
Jetzt stand er an der Stelle, an der auch sein Dad gestanden hatte. Ihm war klar, dass er extrem vorsichtig vorgehen musste oder ein sehr gutes Druckmittel brauchte.

~~°~~

„Bist du wirklich zu dämlich, die verdammte Uhr zu lesen?“ Malcom O’Rourke stand wutbebend vor seiner Nichte. „Die Einführung muss innerhalb einer Stunde abgewickelt sein. Sollten die Kunden weiteren Erklärungsbedarf haben, können sie eine Trainingsstunde buchen. Du hast wieder zehn Minuten länger gebraucht.“
Fast hätte Pearl aufgestöhnt, doch das verkniff sie sich erfahrungsgemäß besser. „Die Leute mieten ein Hausboot, keinen Kühlschrank. Sie haben das Recht, dass ich ihnen den Umgang mit dem Boot genau erkläre, damit sie unterwegs keine Probleme bekommen. Oder willst du vielleicht, dass sie den Motorcheck vernachlässigen?“ Sie stemmte die Arme in die Seiten, um zu demonstrieren, dass sie keinen Schritt zurückweichen würde.
„Du wagst es, mir zu widersprechen?“ Seine Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen.
Pearl fühlte sich mulmig, vor allem da sie ihren Onkel sehr gut kannte, trotzdem wollte sie auf gar keinen Fall nachgeben. Sie hatte keinen Fehler gemacht und so einen Aufstand zu proben, weil die Einführung zehn Minuten länger gedauert hatte, war einfach nur lächerlich. „Ja, das wage ich. Ich bin erwachsen, Malcom, kein verängstigtes Kind mehr.“
Jetzt lachte der massige Mann gehässig auf. „Deshalb hängst du ja auch an meinen Rockzipfeln.“
Getroffen zuckte sie zusammen. Es war ja nicht so, dass sie freiwillig hier auf der Marina lebte, im Windschatten ihres Onkels. „Du hast mir deutlich gesagt, dass du mich sofort an die Wächter verraten wirst, falls ich gehe. Ist es etwa meine Schuld, dass meine Mutter eine Werwölfin war?“ Pearl hielt seinem Blick stand, obwohl sie wusste, dass sie ihn damit zur Weißglut trieb, aber sie hatte noch nie vor ihm gekuscht.
„Deshalb solltest du sehr vorsichtig sein, du unnützes Halbblut.“ Malcom knurrte die Antwort nur. Für ihn war seine Nichte ein Makel, ein Beweis dafür, dass seine Schwester keine Ehre besessen hatte.
„Unnütz? Du sparst eine Menge Geld, da du mir ja nur ein Taschengeld zahlst. So billig wirst du mich nie ersetzen können.“ Sie schnappte empört nach Luft, gleichzeitig ging sie so weit zurück, dass er sie nicht mehr erreichen konnte. Es wäre keineswegs das erste Mal, dass er ihr eine schallende Ohrfeige verpasste.
„Sei froh, dass ich dir erlaube, hierzubleiben. Sieh zu, dass du an die Arbeit kommst.“ Malcom drehte sich um und stapfte zu seinem Büro, während Pearl heimlich aufatmete.
Sie hatte erneut den Mut bewiesen, sich gegen ihren Onkel zu stellen, was sie stolz machte. Natürlich änderte sich dadurch kaum etwas an ihrer Lage, sie war auf der Marina gefangen, trotzdem würde sie niemals kriechen.
„Na, hat er dich mal wieder zusammengefaltet?“ Naomi, ihre Cousine, kam zu ihr, um ihr tröstend über den Arm zu streichen. „Nimm es nicht so schwer. Papa kann es nur schlecht verzeihen, dass seine Schwester einen Menschen geheiratet hat.“
Pearl blickte sie dankbar an. „Ich weiß, nur bin ich wohl ziemlich unschuldig daran, oder? Außerdem sind meine Eltern beide tot. Er könnte mich doch einfach in Ruhe lassen.“ Sie drängte die Tränen zurück. „Es reicht mir, dass ich diese Marina nur unter Aufsicht verlassen darf.“
Naomi drückte sie an sich. „Du weißt, dass ich jederzeit mit dir gehe, wenn du eine Auszeit brauchst. Sollen wir vielleicht heute Abend im Kino einen Film ansehen?“
Sofort schüttelte Pearl den Kopf. „Das ist lieb von dir, aber ich bin schon wieder pleite. Die Miete, die Malcom mir für die kleine Hütte abnimmt, zusammen mit dem Essensgeld lassen mir von dem Hungerlohn kaum was übrig.“ Entschuldigend sah sie ihre Cousine an. „Tut mir leid, ich sollte vor dir nicht jammern.“
Mit einer wegwerfenden Handbewegung zeigte Naomi, dass ihr das nichts ausmachte. „Du hast ja recht. Daddy bezahlt dir tatsächlich viel zu wenig. Dummerweise kann keiner etwas daran ändern. Mama hat auch schon mit ihm geredet. Er ist unversöhnlich.“ Sie seufzte leise, zumal sie ihren Vater nicht verstand. Pearl tat niemandem weh, arbeitete mehr als alle anderen und fügte sich in den Clan besser ein, als die Stammmitglieder, jedenfalls mittlerweile. Nachdenklich betrachtete sie die Cousine, dabei überlegte sie, weshalb Malcom sie so sehr hasste. Sicher, sie war die Tochter eines Menschen, doch das konnte unmöglich der ganze Grund sein. Vielleicht, weil sie Deutsche war?
„Ich muss los, die nächsten Gäste sind gerade angekommen.“ Pearl lächelte ihr zu, anschließend machte sie sich auf den Weg zu der Familie, die vor der Anmeldung stand und sich suchend umsah.
Schnell eilte sie auf die Leute zu, begrüßte sie, dabei stellte sie erfreut fest, dass sie aus Deutschland kamen. „Es freut mich, Sie hier begrüßen zu dürfen. Bitte, folgen Sie mir.“ Sie sprach jetzt in ihrer Muttersprache, was mit einem erleichterten Seufzer belohnt wurde.
„Wir haben schon befürchtet, dass wir uns auf Englisch durch den Papierkram wühlen müssen.“ Der Mann lachte verlegen. „So gut bin ich darin nicht mehr.“
Pearl lächelte ihm zu. „Keine Sorge, ich bin gerne für Sie da.“ Sie öffnete die Tür zur Rezeption, wo sie den Mietvertrag für das Hausboot holte.
Kurz darauf brachte sie die Familie in einen anderen Raum. Dort mussten sie einen Film über die Boote, die Sicherheitsvorkehrungen sowie den Umgang ansehen. Ohne diese Vorbereitung wurde kein Kunde auf ein Schiff gelassen.
Als sie zurückkam, warteten schon die nächsten Gäste auf sie, sodass sie den Streit mit ihrem Onkel fast vergaß.
Der Tag verflog und Pearl war froh, als sie sich am Abend in ihre kleine Hütte zurückziehen konnte. Es war ein verdammt hartes Stück Überzeugungsarbeit nötig gewesen, Malcom dazu zu bringen, dass sie einen Rückzugsort brauchte. Er hätte sie am liebsten im Haupthaus in einem winzigen Abstellraum eingesperrt.
Seufzend setzte sie sich auf die Couch, nahm sich ein Buch, doch ließ es sofort wieder sinken. Wieso ging ihr nächster Verwandter so herzlos mit ihr um? Sie schloss die Augen, versuchte, sich an ihre erste Begegnung zu erinnern. Damals war sie ungefähr zehn Jahre alt. Ihre Mum hatte sie mit nach Irland genommen, damit sie diesen Teil der Familie auch kennenlernen konnte.
Auf Pearls Lippen schlich sich ein Lächeln, als ihr einige Details ihres Urlaubs auf der Grünen Insel einfielen. Naomi war ihr nicht von der Seite gewichen. Sie bewunderte die große Cousine aus Deutschland, dabei war sie gerade mal zwei Jahre jünger.
Eirene war dagegen ziemlich zurückhaltend gewesen. Klar, sie war die Ältere, die direkt nach Magnus kam. Trotzdem hatten alle sie zuvorkommend behandelt, sie in der Familie willkommen geheißen, selbst Malcom.
Angestrengt überlegte sie weiter. Wann war es zum Bruch gekommen? Gab es irgendeinen Hinweis, der ihr weiterhalf?
Sie hatte gerade ihr Abitur in der Tasche, als ihr Vater von einer Geschäftsreise nicht zurückkehrte. Bis heute galt er als vermisst, doch ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass sie seinen Tod fühlen könnte. Pearl glaubte ihr damals kein Wort, allerdings wusste sie noch nichts über die magische Welt. Erst als sie zwei Monate nach den schrecklichen Nachrichten zu ihrem Onkel nach Irland zogen, erzählte man ihr die komplette Wahrheit.
Seufzend rieb sie sich über die Augen. Sie erinnerte sich genau an den Schock, als ihre geliebte Mum sich in einen Wolf verwandelte, weil sie sich weigerte, an Magie zu glauben.
Wie gerne würde sie in die Zeit zurückkehren, als sie so unwissend war, wie ein normaler Mensch. Nicht, dass sie die Wolfsgene geerbt hätte, nein, im Gegenteil, sie war sogar unfähig, irgendeine besondere Fähigkeit in sich zu finden.
Ihre Mum starb kein halbes Jahr nach ihrem Dad. Die Ursache war bis heute ungeklärt. Eine seltsame Krankheit befiel sie. Sie bekam hohes Fieber, was die Ärzte ratlos zurückließ und viel zu früh versagte ihr Herz seinen Dienst.
Tränen stiegen Pearl in die Augen, als sie an den Tod ihrer Mutter dachte. Es war alles so rasend schnell gegangen. Ihr Onkel hatte die Beerdigung organisiert, allerdings blieb ihr kaum Zeit zum Trauern.
Ihr fiel ein, dass sich genau an dem Tag Malcoms Verhalten veränderte. Ob er sich vorher verstellt hatte, weil ihre Mum sie beschützte? Nur dann hätte er sie ja gar nicht in Irland empfangen, oder doch?
Nachdem sie völlig alleine in einem fremden Land gestrandet war, beschloss sie nach Deutschland zurückzukehren. Verdammt, sie vermisste ihre Freunde, ihre Verwandten väterlicherseits und ihr gewohntes Leben immer noch.
Wie naiv sie gewesen war, damals vor fast sechs Jahren! Als ob niemand sie aufhalten könnte, war sie zu ihrem Onkel gelaufen, um ihm von ihrem Entschluss in Kenntnis zu setzen, aber er hatte sie einfach ausgelacht.
Pearl klangen seine harten Worte trotz der langen Zeit in den Ohren.
„Du unnützes Ding, glaubst du wirklich, dass du mit deinem Wissen frei herumlaufen darfst? Die Wächter würden dich sofort töten.“ Er hatte sich vor Lachen den Bauch gehalten. „Natürlich wäre ich dich gerne los, allerdings habe ich es deiner Mutter versprochen, auf dich aufzupassen. Also füg dich besser.“ Mit der Warnung hatte er sie stehen gelassen.
Damals glaubte sie an einen dummen Scherz. Niemand durfte sie einsperren! Ohne weiter zu überlegen, hatte sie ihre Sachen gepackt, nur um schnell festzustellen, dass Malcom keine leeren Drohungen ausstieß. Meistens fingen seine Clansleute sie schon ein, ehe sie das Grundstück der Marina verlassen konnte.
Einmal schaffte sie es sogar, bis Athlone zu kommen, aber seine Leute waren überall, sodass sie sich innerhalb eines halben Tages zurück in seiner Obhut befand.
Im Laufe der Jahre versuchte sie zwar ständig, zu fliehen, allerdings wurde sie immer wieder eingefangen. Außerdem bestätigten ihre Cousinen ihr, dass niemand mit ihrem Wissen so einfach frei herumlaufen durfte. Die Wächter spürten früher oder später jeden auf.
Selbstverständlich tat sie alles, um mehr über diese seltsamen Soldaten herauszufinden, nur brachte sie die Informationen keinen Schritt weiter. Sie fand heraus, dass es sich im Prinzip um Leute handelte, die dafür sorgten, dass die Gesetze der magischen Welt eingehalten wurden und die oberste Regel war die Geheimhaltung.
Pearl stand auf, lief zum Fenster, um einen Moment auf den Lough Ree hinauszusehen. Ihre Familie behandelte sie weitestgehend freundlich, wenn man mal von Malcom und Magnus absah. Allerdings wusste sie genau, dass sie eine Gefangene war, nur bezweifelte sie, dass es wirklich ausschließlich um ihre Sicherheit ging.
Woher sollten die Wächter wissen, was sie von ihrem Onkel erfahren hatte? Sie würde wohl kaum herumrennen, um jedem von Werwölfen oder Gestaltwandlern zu erzählen. Das glaubte ihr sowieso niemand, da landete sie schneller in der Psychiatrie, als sie gucken konnte.
Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, sodass Pearl beschloss, ein wenig spazieren zu gehen. Solange sie sich nicht zu weit von ihrem Cottage entfernte, ließen ihre Aufpasser sie in Ruhe. Sie verließ die Hütte, hob ihr Gesicht einen Moment der Wärme entgegen, anschließend nickte sie einem bulligen Kerl zu, der auf einer Bank saß und sie beobachtete.
Sofort stand er auf, kam zu ihr, dabei sah er sie eindringlich an.
„Lass es gut sein, Raymond. Ich habe nur vor, etwas abzuschalten.“ Sie lächelte ihn an, obwohl sie ihm lieber in die Visage gespuckt hätte, nicht weil er seine Pflicht tat, sondern weil er ständig versuchte, ihr an die Wäsche zu gehen. „Ich möchte eine Runde um den See laufen, willst du mitkommen?“
Abfällig verzog er das Gesicht. „Von wollen kann keine Rede sein. Du solltest dich endlich entscheiden, mich zu heiraten, dann brauche ich nicht länger vor deiner Hütte herumzulungern.“ Er rülpste ungeniert, während er sie ansah, als ob sie ihm jetzt in die Arme sinken würde.
Das war genauso ein Punkt. Malcom wollte sie unbedingt mit einem seiner Werwölfe verheiraten, dabei war seine Wahl auf diesen Rüpel gefallen. Nur hier brauchte er ihre Einwilligung, weil auch in der magischen Welt ein Beamter der Regierung die Hochzeit bestätigen musste.
„Nein, ich werde gar nicht heiraten. Außerdem beschütze ich dich auf die Weise vor einem großen Unglück oder willst du wirklich das schwarze Schaf des Clans haben?“ Aufmerksam beobachtete sie ihn. Natürlich wusste jeder, dass sie keine besonderen Fähigkeiten besaß.
„Das ist mir egal. Hauptsache, du wärmst mir das Bett.“ Er fasste sich zur Unterstreichung seiner Worte mit einer obszönen Geste in den Schritt.
Pearl wäre am liebsten losgerannt, weg von dem Irrsinn und vor allem weg von dem unerträglichen Proleten, der ihr ständig folgte. Leider hatte sie bereits die Erfahrung gemacht, dass sie es nicht schaffte, ihn abzuhängen, zumal er auf seine Wolfsgene zurückgreifen konnte.
Seufzend schüttelte sie den Kopf. „Danke, aber nein danke. Noch entscheide ich über diesen Teil meines Lebens.“ Sie drehte sich ruckartig um und ging auf den See zu, dabei hoffte sie, dass er sie einfach in Ruhe ließ.

~~°~~

Rowan stürzte sich in seine Arbeit, nachdem er in seiner Werkstatt in Skibbereen angekommen war. Die unerträgliche Nervosität gepaart mit den Erinnerungen machten ihn wahnsinnig.
Während er eine Kawasaki reparierte, überlegte er verzweifelt, was er tun konnte, um an die Schriftrolle zu kommen. Einfach bei Malcom anzuklopfen und ihn um das Schriftstück zu bitten, fiel jedenfalls aus.
Ein Druckmittel musste her, doch alles, was ihm einfiel, widerstrebte ihm zutiefst. Er war nicht der Typ, der mal eben jemanden entführte oder eine Straftat fingierte, die er einem anderen unterschob.
Fluchend beugte er sich über das Motorrad, auch um den fragenden Blicken seiner Angestellten zu entgehen.
Wenigstens spürte er die Nervosität nicht so sehr, während er arbeitete. Für den Augenblick schob er die Frage, was er tun konnte, zur Seite, dabei war er sich bewusst, dass er sich beeilen musste. Niemand wusste, wie lange die Schriftrolle schon in Lanesborough lag oder wann Malcom sie woanders hinbrachte.
Seine Kunden hielten ihn ebenso auf Trab, wie die Maschinen, die darauf warteten, repariert zu werden, sodass er kaum noch Zeit zum Nachdenken fand. Erst am Abend, als er sich frisch geduscht auf sein Sofa fallen ließ, überlegte er erneut, was für Lösungen für ihn infrage kamen.
Kurz sah er aus dem Fenster, genoss das Panorama. Die Aussicht war atemberaubend, denn er konnte direkt aufs Meer blicken. Sein Cottage in der Nähe von Forthill stand auf einer Klippe, wie er es schon immer geplant hatte.
Sein Vater hatte ihm noch geholfen, das Haus zu bauen. Bei dem Gedanken drängte sich etwas in sein Gedächtnis. Zuerst erinnerte er sich nur verschwommen an eine Frau, die ihn eindringlich ansah, doch nach und nach wurden die Bilder klarer.
Rowan fluchte unterdrückt, weil er ausgerechnet jetzt an diese dämliche Prophezeiung aus einer vergangenen Epoche dachte. In seinem Clan war es von jeher Tradition, dass eine der Hüterinnen den Söhnen oder Töchtern der Anführer weissagte. Die dunkle Zeit hatten zwei der Magierinnen überlebt, sodass auch die Tradition fortbestand.
Seine Weissagung stellte ihn bisher immer vor ein unlösbares Rätsel. Er musste gegen seine Natur handeln, Schuld auf sich laden, dafür allerdings großes Glück verursachen.
Wieder stieß er einen wütenden Fluch aus. Daraus wurde ja keiner schlau! Weshalb sollte er sich schuldig fühlen, wenn er sich nicht mehr verwandelte? Das bedeutete es doch, sich gegen seine Persönlichkeit zu stellen, oder? Genauso wenig erschloss es sich ihm, wie er irgendetwas Gutes erreichen konnte, weil er etwas tat, womit er offensichtlich jemand anderem schadete? Aber wieso erinnerte er sich ausgerechnet jetzt an diesen Schwachsinn, den niemand verstand.
Dämliche Prophezeiungen! Man hätte den Krieg abwenden können, falls sich die Wahrsagerin damals klarer ausgedrückt hätte. Aileen wusste, dass ein Mann großes Unglück über ihr Volk bringen würde. Ebenso war ihr bekannt, dass sie in der Lage war, es zu verhindern, nur hatte ihr keiner gesagt, dass es ihre Entscheidung für die Liebe war, die die Katastrophe auslöste.
Rowan zwang seine Überlegungen, sich wieder dem aktuellen Problem zuzuwenden. Er musste an die Schriftrolle herankommen! Das einzige Druckmittel, das ihm einfiel, bedeutete, eine von Malcoms Töchtern zu entführen. Die Ältere fiel aus, da sie verheiratet war und bereits Kinder hatte. Niemals würde er Kinder in diese Sache hineinziehen. Blieb also noch die Jüngere, denn Magnus war nur schwer zu packen. Außerdem war er in der Lage, auf seine Wolfsgene zurückzugreifen.
Die Idee missfiel Rowan extrem, aber eventuell war genau das mit der Prophezeiung gemeint. Widerwillig schüttelte er den Kopf. Es konnte alles bedeuten, dummerweise bekam man erst Klarheit, wenn die Weissagung sich erfüllt hatte.
Langsam stand er auf, ging zu seinem Schreibtisch, der so aufgestellt war, dass er beim Arbeiten das Meer beobachten konnte, falls er von seinen Unterlagen aufsah. Er fuhr den PC hoch, dabei war ihm klar, dass er nicht mal in die Nähe der Frau kommen würde, besonders da der Lanesborough-Clan ihn kannte. Zudem erkannten die magischen Wesen sich, sobald sie sich in die Augen blickten. Daher brauchte er einen Helfershelfer, einen Typen, der rundum menschlich war.
Vorsichtig schob er ein paar Rechnungen zur Seite. Oft genug nahm er sich den Papierkram aus der Werkstatt mit nach Hause, weil er hier einfach mehr Ruhe zum Arbeiten hatte, jedenfalls solange er nicht von dieser dämlichen Unruhe geplagt wurde.
Mit einem tiefen Seufzer machte er sich auf die Suche nach jemandem, der für eine entsprechende Summe Malcoms Tochter entführte. Wie gut, dass er ein ansehnliches Vermögen in all den Jahren angehäuft hatte, trotzdem knabberte er an der einzigen Lösung, die ihm einfiel. Die junge Frau würde Angst ausstehen müssen, da sie ja kaum wissen konnte, dass er ihr auf gar keinen Fall etwas antun wollte.
Sein Vater hatte bei dem Versuch, die Schriftrolle zu bekommen, sein Leben gelassen, da durfte er keinen Rückzieher machen, nur weil sein Gewissen ihn plagte. Ganz kurz dachte er erneut an die Weissagung, vielleicht war es ja wirklich der Preis, den er zahlen musste, damit seine Leute von dem schlechten Ruf reingewaschen wurden.
Die halbe Nacht recherchierte er, wie er jemanden finden konnte, der einen solchen Auftrag annahm. Auch hier hatte sein Papa ihm schon den Weg bereitet, denn Adair bediente sich bei seinen Versuchen, an das Beweismittel zu kommen, manchmal verschiedener illegaler Methoden. Das Darknet war somit kein unbekannter Ort für Rowan.
Im Morgengrauen fand er, was er suchte. Schnell schrieb er eine Mail, dass er sich mit dem Mann gerne persönlich treffen würde. Selbst auf den dunklen Seiten des Internets gab man nicht offen zu, was man plante.
Wie gut, dass er nur sehr wenig Schlaf benötigte, sodass er nach nur zwei Stunden wieder fit genug war, um seiner Arbeit nachzugehen.
Schon als er seine Werkstatt betrat, wusste er, dass es ein verdammt langer Tag werden würde. Die Nervosität trieb ihn langsam in den Wahnsinn, außerdem war er wegen seines Plans hin- und hergerissen. Durfte er wirklich das Glück seines Clans vor die Freiheit der jungen Frau stellen?

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Tag der Veröffentlichung: 27.04.2022

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