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Kapitel 1 - Tödliche Bedrohung

 

Unruhig lief Jorgan in seinem Wohnzimmer auf und ab. Immer wieder musste er an die neusten Ereignisse denken, die sein Volk bedrohten.
Bei dem Wort lachte er spöttisch auf. Die Handvoll Leute als Volk zu bezeichnen, war mehr als lächerlich.
Mittlerweile war das Drachenvolk auf weniger als fünfzehn Personen geschrumpft. Überall in der magischen Welt hielt man sie für ausgestorben, ein Gerücht, das sie selbst verbreitet hatten.
Seufzend dachte er über seine Gattung nach. Die Drachen galten als brutal, unbeherrscht und man war ihnen ständig mit Misstrauen begegnet. Das war einer der Gründe, warum sie sich vor vielen Jahren in die rumänischen Karpaten zurückzogen.
Die Menschen wussten, zum Glück, nicht, dass es überhaupt andere Wesen unter ihnen gab, abgesehen von ein paar Vertrauten, die sich das Wissen mit ihrer Loyalität erworben hatten.
Missmutig ließ er sich auf einen Sessel fallen, nur um seine rastlose Wanderung nach einigen Sekunden wieder aufzunehmen.
Zu viele Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Ein Verräter in den eigenen Reihen, eine Gruppe von Leuten, die sie vernichten wollten und zusätzlich eine extreme Nervosität, die eben nicht den Geschehnissen geschuldet war.
Fahrig strich er sich durch das dunkle, kurze Haar, schloss die Augen, um durchzuatmen, ehe er erneut vom Fenster zum Schrank ging.
Ein Klopfen ließ ihn hochschrecken, obwohl er den Besuch seines Anführers bereits vermutete.
Schnell lief er zur Haustür, zumal alles besser war, als alleine in seinem Zimmer zu grübeln.
Wie erwartet stand Verkan vor der Eingangstür, der ihn ernst anblickte.
„Komm rein.“
Jorgan ging vor, dabei versuchte er verzweifelt die Nervosität zu unterdrücken.
Eindringlich musterte sein Anführer ihn, ehe er leicht grinste.
„Du weißt, dass du bald deine Gefährtin triffst, oder?“
Natürlich wusste er das, aber er würde keinesfalls auf irgendjemanden eingehen.
„Das werde ich verhindern. Glaubst du wirklich, dass ich eine Frau in diesen unseligen Krieg hineinziehe?“
Einen Moment sah es so aus, als ob sein Freund ihm widersprechen wollte, doch dann nickte er nur kurz.
„Die Sache spitzt sich zu. Eben ist unser Spitzel zurückgekommen.“
Obwohl Verkans Stimme dafür sorgte, dass sich Jorgans Nackenhaare aufstellten, atmete er erleichtert auf.
Der Auftrag, den der junge Radu übernommen hatte, war alles andere als ungefährlich.
„Gut, dass er unversehrt zurück ist“, murmelte Jorgan.
Sein Anführer nickte nur leicht, doch seine Stirn runzelte sich besorgt, was seinen Freund noch unruhiger werden ließ.
„Was er herausgefunden hat, ist besorgniserregend. Ladislaus hat das Buch tatsächlich an die Leute im Dorf gegeben, im Austausch dafür, dass er frei unter ihnen leben darf.“
Entsetzt schloss Jorgan die Augen. Diese Information bedeutete nicht nur, dass ein Teil der Menschen jetzt über das Drachenvolk Bescheid wusste, sondern auch über den Rest der magischen Welt.
„In dem Text steht, wie man uns alle vernichten kann.“
Seine Worte klangen tonlos.
„Sie rüsten sich bereits gegen uns. Wir können nur froh sein, dass sie sich überschätzen, wie die Normalen das schon immer getan haben. Sie wollen uns ohne Hilfe töten.“
Verkan biss die Zähne aufeinander. Die Tatsache, dass sie von einem Drachen verraten wurden, nagte an seinem Selbstvertrauen.
„Vielleicht hätte ich besser aufpassen müssen. Die Isolation hier verträgt eben nicht jeder. Bestimmt gibt es andere Wege.“
Sofort legte Jorgan ihm eine Hand auf die Schulter.
„Nein, mein Freund, du hast alles getan, um uns zu schützen. Denk daran, dass wir beinahe ausgerottet worden wären. Die Menschen fürchten uns genauso, wie die restlichen magischen Wesen.“
In den Augen seines Anführers sah er genau, dass dieser ihm nur widerwillig zustimmte. Nur jetzt und hier war keine Gelegenheit, die Selbstzweifel Verkans auszumerzen.
„Wie viel Zeit bleibt uns?“
Jorgan hob den Kopf, gleichzeitig straffte er die Schultern in Erwartung einer niederschmetternden Antwort.
„Ich denke, sie greifen an, sobald sie die Zeichen in dem Buch vollständig entschlüsselt haben. Wir nehmen an, dass es in einem Monat so weit sein wird. Ladislaus kann, zum Glück, nur die Schutzsprüche lesen, da er der Wächter des heiligen Grimoires war.“
Dreißig Tage, um sich auf einen Krieg vorzubereiten, waren wenig genug, nur konnte es durchaus sein, dass die Menschen die todbringenden Sprüche schneller herausfanden.
Ladislaus kannte die einzelnen Zeichen, durch die ihm bekannten Formeln, daher war es nur eine Frage der Zeit, bis er die restlichen Zauberformeln übersetzt hatte.
„Sie müssen uns erst einmal finden. Auch dieser Verräter kann den Schutz um unsere kleine Siedlung keinesfalls so einfach aufheben.“
In Jorgans Ohren hörte sich die Aussage falsch an.
Selbstverständlich hatten sie einen machtvollen Zauber gewirkt, um ihre Gemeinschaft zu beschützen, allerdings besaß der ehemalige Wächter das Buch, das ihm Zugang zu den Ursprüngen der magischen Wesen bescherte.
„Ladislaus weiß, wo wir sind. Er wird sich nur kaum in unsere Nähe trauen. Das ist das geringste Problem. Es rotten sich gerade ungefähr 300 Menschen zusammen.“
Verwundert blickte Jorgan Verkan an.
„Aber Dejani hat mehr als 500 Einwohner. Ich dachte, dass sie auch die umliegenden Dörfer mobilisieren.“
Sofort stoppte er in seiner Ausführung. Sie zählten vierzehn Drachen, darunter zwei Kinder und vier Teenager, die noch nicht flügge waren.
„Wahrscheinlich glauben die restlichen Bewohner ihnen nicht, außerdem müssen sie vorsichtig sein, da sie die magischen Wesen kaum erkennen können. Ladislaus versteckt sich aus Angst vor uns.“
Verkan knurrte grimmig, als er an den Verräter dachte. Nie hätte er damit gerechnet, dass ausgerechnet der Hüter des mächtigsten Buchs der Welt sie an die Menschen verkaufen würde.
„So wie es aussieht, hat er diese Tat bereits seit einiger Zeit geplant. Nur seine Beweggründe sind mir unverständlich.“
Erneut strich Jorgan sich durch die schwarzen Haare, weil ihn die Nervosität mit einer Wucht überkam, der er nur schwer Herr wurde.
„Ich verstehe ihn schon. Er hat die Einsamkeit hier nicht länger ertragen. Als Hüter durfte er sich nie außerhalb unseres Dorfes aufhalten. Die Aussicht eine Gefährtin zu finden, schwand mit jedem Jahrzehnt. Außerdem hat ihn der Gedanke an Macht gelockt. Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen, als ich ihn ausgewählt habe. Bereits damals vor mehr als hundert Jahren zweifelte ich meine eigene Entscheidung an.“
Verkan knirschte mit den Zähnen, als er seinen Fehler zugab. Als Anführer musste man sich auf seine Intuition verlassen.
„Es gab keine andere Wahl. Unsere Anzahl an ausgewachsenen Drachen war viel zu gering. Das weißt du genauso gut wie ich. Erst im letzten Jahrhundert gab es wieder Nachwuchs“, erinnerte Jorgan ihn an das Offensichtliche.
Mit einem traurigen Lächeln nickte sein Freund. Sie waren wirklich kurz davor gewesen, von der Bildfläche zu verschwinden.
„Egal, was war, jetzt benötigen wir dringend Hilfe. Es ist an der Zeit, die Söldner von Ballygannon zu holen. Ich möchte kein Massaker unter Menschen veranstalten, die aus Unwissenheit handeln. Genauso wenig will ich das Leben meines Volkes aufs Spiel setzen. Außerdem muss unsere Regierung, allen voran Ronwe, der oberste Richter, in Kenntnis gesetzt werden. Es geht nicht mehr nur um uns.“
Jorgans Kopf hob sich ruckartig, während er seinen Anführer ungläubig anstarrte. Kurz überlegte er, ob er sich verhört hätte, doch in Verkans Blick erkannte er, dass diese Order völlig ernst gemeint war.
„Du glaubst, dass sie uns nach all den Jahren helfen? Ronwe informieren, das sehe ich ein, aber die Söldner um Hilfe bitten? Wir geben damit unsere Tarnung auf.“
Verkan hob müde die Hand, um seinen Freund zu stoppen. Er war die Alternativen immer und immer wieder durchgegangen. Es gab nur diese eine Möglichkeit. Gegen 300 Menschen konnten sie sich normalerweise locker behaupten, nur diese Leute besaßen in Kürze das Wissen, wie man nicht nur die Drachen vernichtete.
„Ich weiß das alles. Aber auch wir haben Fehler gemacht. Uns in die Isolation zurückzuziehen war einer davon. In unserer menschlichen Gestalt fallen wir kaum auf. Das hätten wir nutzen sollen, statt uns hier zu verstecken.“
Jorgan schüttelte heftig den Kopf. Er zählte mittlerweile mehr als 700 Jahre, in denen er die Furcht der Menschen auf alles Unbekannte zur Genüge kennengelernt hatte. Allein der Gedanke an die Hexenverfolgungen, die er miterleben musste, bestärkte seine Meinung, dass die Drachen besser versteckt blieben.
„Unsichtbar zu bleiben hat uns vor dem Aussterben gerettet. Wir sind unsterblich, trotzdem haben die Normalen es geschafft, uns auf diese Handvoll zu reduzieren.“
Hass sprühte aus seinen Augen, als er an die Sterblichen dachte, die mit ihrem Aberglauben, so viele seiner Freunde vernichteten.
„Die Menschen lassen sich leicht aufwiegeln. Sie zerstören durch Unverständnis und sind häufig machtgierig. Aber es verhalten sich bei Weitem nicht alle so. Verrenn dich nicht in deiner Wut, die uns kaum weiterbringt. Du weißt, so gut wie ich, dass es immer einen Zauberer oder ein anderes magisches Wesen gab, das sich vor uns fürchtete. Die Normalen alleine hätten uns nie so schaden können.“
Bei dem Satz fiel Verkan erneut ein, dass es auch dieses Mal jemand aus ihrer Welt war, der sie bedrohte, nur kam die Person jetzt aus den eigenen Reihen.
„Wir vertrödeln Zeit mit einer unsinnigen Diskussion. Du hast entschieden, unsere Regierung zu informieren und die Söldner zu holen. Wie willst du es anstellen?“
Jorgan lenkte das Thema auf die eigentliche Situation zurück, dabei zeigte er dem Freund, dass er hinter ihm stand, obwohl er mit dem Vorgehen kaum einverstanden war.
„Wir sind keinesfalls in der Lage einfach in Irland anzurufen und um Hilfe zu bitten. Keiner würde uns glauben, dass noch Drachenmenschen existieren. Außerdem ist es nötig, unsere Zuflucht hier in den Bergen zu verlassen, weil es keinerlei Empfang zwischen den Felsen gibt.“
Eindringlich blickte Verkan seinem langjährigen Weggefährten in die Augen, sodass diesem sofort klar war, was unweigerlich kommen musste.
„Wer?“
Jorgan stellte die Frage, obwohl er auch die Antwort schon kannte.
„Ich bitte dich, nach Ballygannon zu fliegen. Beweis den Männern, dass wir real sind, anschließend bringe sie her. Sie informieren Ronwe, sobald du sie überzeugt hast.“
Spöttisch lachte Jorgan auf.
„Na das dürfte kaum ein Problem sein. Ich kann ihnen ja zeigen, dass es uns gibt. Aber ob sie uns helfen werden, steht in den Sternen.“
Besänftigend legte sein Anführer die Hand auf seine Schulter, gleichzeitig sah er ihn bittend an.
„Halte dein Temperament im Zaum und versuch, an Hilfe zu glauben. Ich fühle, dass es der einzige Weg ist. Bring sie her, so schnell wie möglich, denn unsere Zeit läuft ab. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, ob in dem Buch nicht doch eine Anleitung zu finden ist, unseren Zauber aufzuheben.“
Diese Nachricht traf Jorgan wie ein Faustschlag in den Magen.
„Ich breche noch heute Nacht auf“, versprach er, ehe die Freunde sich verabschiedeten.
Erleichtert ging Verkan zurück in sein kleines Haus, in dem Wissen, dass er den besten seiner Leute auf die wichtige Mission geschickt hatte.
Jorgan hingegen lief weiter Rillen in den Boden, nur dass jetzt zu seiner Nervosität die Gedanken um den drohenden Angriff kamen.
Im Grunde hasste er diese Rasse nicht, aber er verstand sie kaum. Bei ihnen handelte es sich um die, die alles vernichteten, was für sie unbekannt war. Nein, einen Menschen duldete er niemals an seiner Seite, man sah ja, was man davon hatte, wenn man ihnen vertraute.
Als es dämmerte, packte er ein paar Sachen zusammen, die er in eine spezielle Tasche stopfte, sodass er sie sich später um den Hals hängen konnte, ehe er losflog.
Endlich wurde es Zeit für seinen Aufbruch. Schnell entkleidete er sich, ging zu dem Platz zwischen den Wohnhäusern, den sie extra freigelassen hatten, damit sie in der Lage waren sich zu verwandeln.
Mit einem leisen Fluch, weil ihm dieser Auftrag so gar nicht schmeckte, leitete er die Verwandlung ein. Es schimmerte blau, die Luft sirrte und Jorgan fiel auf die Knie.
Langsam schoben sich die großen Flügel aus seinen Schulterblättern, seine Haut platzte auf und die schwarzen Schuppen kamen zum Vorschein, anschließend verformte sich sein Gesicht, während seine Gestalt gewaltige Formen annahm.
Das gesamte Prozedere dauerte nur ein paar Minuten, ehe ein riesiger, schwarzer Drache zwischen den Häusern stand.
Jorgan hob den Kopf. Gierig sog er die kalte Nachtluft ein, gleichzeitig rief er sich die Route in Erinnerung, die er sich am späten Nachmittag bereits angesehen hatte.
Mit einer eleganten Bewegung steckte er seine Schnauze durch die Bügel der vorbereiteten Tasche, sodass er sie auf seinen Hals schieben konnte.
Erneut atmete er tief durch, ehe er ein paar Schritte Anlauf nahm, um sich anschließend in die Luft zu erheben.
Mit kräftigen Flügelschlägen gewann er langsam an Höhe, doch ehe er sich außer Sichtweite befand, hörte er einen Ruf. Nur sehr leise und undeutlich drangen die Worte an sein geschultes Ohr, was ihm sagte, dass die Menschen unter ihm verhindern wollten, dass er sie bemerkte.
„Da ist einer“, rief jemand.
Damit, dass man ihren Zufluchtsort unter Beobachtung gestellt hatte, rechnete niemand, sodass Jorgan kostbare Zeit verlor, während er verzweifelt versuchte, schneller an Höhe zu gewinnen.
Ein Knall ertönte und einen Augenblick später fühlte er einen brennenden Schmerz in seiner rechten Schulter.
Mit zusammengebissenen Zähnen schraubte er sich in den Himmel, verschmolz mit den Wolken, ehe er sich in die Richtung drehte, in die er fliegen wollte.
Jeder Flügelschlag kostete ihn viel mehr Kraft als gewöhnlich, außerdem spürte er, dass er Blut verlor. Irgendetwas musste an der Kugel anders gewesen sein, denn normalerweise schaffte es eine normale Gewehrkugel nicht, ihn zu verletzen.
Besorgt bemerkte der schwarze Drache, dass seine Energie stetig abnahm. Reine Willenskraft ließ ihn weiterfliegen, wobei ihm klar war, dass er seinen Zielort wahrscheinlich nie sehen würde. Doch sobald er umkehrte, schossen diese dummen Menschen bestimmt wieder auf ihn. Unter Umständen erreichten sie ihr Ziel: Ihn zu vernichten.
Jorgan nahm seine gesamte Konzentration zusammen, bündelte seine verbliebene Kraft und nutzte die Thermik aus, so gut es ging. Irgendwie musste er zu den Söldnern kommen. Aber ob sie bereit waren seinem Volk zu helfen, stand für ihn nach wie vor in den Sternen.
Schmerzen setzten seinen Leib in Flammen, wobei er verzweifelt seine Selbstheilungskräfte mobilisierte, doch gegen eine offensichtlich verhexte Kugel hatte er keine Chance.
Seinen Berechnungen nach würde er etwas mehr als fünf Stunden brauchen, allerdings galt das nur, wenn er seine Kräfte komplett einsetzen konnte. So wie es jetzt aussah, musste er viel langsamer fliegen, außerdem brauchte er einen Teil seiner magischen Sinne, um Flugzeugen auszuweichen und sich gleichzeitig für die Menschen zu tarnen.
Erneut ließ eine heftige Schmerzwelle ihn erzittern, fast zeitgleich stieß er einen Fluch aus. Seine linke Seite fühlte sich an, als ob man sie in Säure tauchte, darüber hinaus schaffte er es nur eingeschränkt, den Flügel zu bewegen.
Sollte die Lähmung weiter fortschreiten, würde er unweigerlich zu Boden fallen.
Sorge und Schmerz sorgten dafür, dass er sein Gesicht verzog. Seine Stirn runzelte sich, als er überlegte, was die beste Lösung war.
Wieder kämpfte er gegen eine Schmerzwelle an, änderte den Kurs ein wenig, um sich mit dem Wind treiben zu lassen. Es gab nur eine Alternative: Er musste es bis Ballygannon schaffen, nur dort war er sicher.
Mit einer enormen Willenskraft unterdrückte er sein Schmerzempfinden, konzentrierte sich einzig und alleine darauf, sein Ziel zu erreichen.
Stunde um Stunde flog er möglichst gleichmäßig, dabei schonte er seine linke Seite. Leider schaffte er es nicht, mit nur einem Flügel zu fliegen, sollte er dem Schmerz nachgeben, würde er abstürzen.
Die Landschaft zog unter ihm dahin, aber er beachtete kein Detail, nur wenn er sich orientieren wollte, schaute er auf das Gelände. Jorgan brauchte seine gesamte Konzentration, um anzukommen.
Trotz seiner Bemühungen spürte er, dass seine Kraft ständig nachließ. Jeder Flügelschlag verlangte ihm viel zu viel ab, außerdem verlangsamte sich sein Tempo zusehends.
Zu allem Überfluss drehte der Wind, sodass er sich kaum treiben lassen konnte.
„Hat sich denn sogar das Wetter gegen uns verschworen?“, dachte er knurrend, während er erneut die Zähne wegen des brennenden Schmerzes zusammenbiss.
Als er den größten Teil der Strecke zurückgelegt hatte, hielt ihn nur seine eiserner Willen in der Luft. Sein Schmerzempfinden war auf ein Minimum geschrumpft, dafür fielen ihm ständig die Augen zu.
Immer wieder musste er seinen Kurs überprüfen, weil er tatsächlich in einen Sekundenschlaf gefallen war.
Zum Glück funktionierten seine Drachensinne noch, sodass er sofort aufwachte, wenn er absank.
Endlich sah er den Ozean, was ihn aufatmen ließ, doch ehe er das Gebäude der Söldner erreichte, verließen ihn seine Kräfte.
Verzweifelt versuchte Jorgan seinen linken Flügel zu bewegen, aber er spürte ihn nicht mal mehr.
Mit einer rasenden Geschwindigkeit stürzte er aus den Wolken, direkt auf ein kleines Wäldchen zu.
Sein gepanzerter Körper schützte ihn weitestgehend vor weiteren Verletzungen, trotzdem merkte er, wie die Äste über seine Schuppen kratzten und gegen seinen Leib schlugen.
Es gab einen dumpfen Schlag, als er endlich auf dem Waldboden aufschlug.
Mühsam richtete er sich etwas auf. Erst jetzt bemerkte er, wie viel Blut er auf dem Weg verloren hatte. Seine Selbstheilungskräfte versagten den Dienst und er schaffte es nicht länger, die Augen offen zu halten.
Völlig entkräftet sank der große Drache in sich zusammen. Sein letzter Gedanke galt seinem Volk, das vergeblich auf Hilfe warten würde.

~~°~~

Mia pfiff ein Lied vor sich hin, während sie die Spülmaschine ausräumte. Mit einem dankbaren Lächeln dachte sie an den Tag zurück, als Caitlin, die Nichte des Chefs hier angekommen war.
Damals hatte sie Angst vor den Gestaltwandlern, für die sie arbeitete. Mit einem spöttischen Lachen schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Ihre Familie gehörte zu den Vertrauten, den Menschen, die wussten, dass es magische Wesen gab, somit hätte ihr klar sein müssen, dass ihr keine Gefahr drohte. Trotzdem rechnete sie ständig damit, von einem der wilden Tiere angegriffen zu werden.
Erst als Cat, wie Caitlin von allen genannt wurde, zum Küchendienst verdonnert wurde, änderte sich Mias Sicht der Dinge. Die junge Frau, die sich in einen Falken verwandeln konnte, bemerkte ihre Furcht. Sie veranlasste, dass ihr Onkel Steward McFlann ihr eindringlich erklärte, was es mit diesem Hauptquartier der Söldner auf sich hatte.
Seit dem Tag wusste sie, dass sie im Prinzip für die Leute arbeitete, die unter den magischen Wesen für Ordnung sorgten.
Als hätten ihre Gedanken sie herbeigezaubert, sprang die Tür auf und Cat stürmte in die Küche.
„Hey Mia, schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“
Die Küchenhilfe wurde in eine herzliche Umarmung gezogen, ehe sie in der Lage war zu antworten.
„Bestens. Du siehst sehr glücklich aus.“
Jetzt nickte Caitlin strahlend.
„Bin ich auch. Schau mal der Frühling kommt, der endlose Regen hat endlich aufgehört und ich konnte heute meinen Rundflug beenden, ohne nass zu werden. Außerdem habe ich den Motorradführerschein bestanden.“
Übermütig wedelte sie mit dem Papier in der Luft herum.
„Wow, das ist toll. Ich freue mich für dich. Dann brauchst du ja nicht mehr hinter Brian zu hocken.“
Mia grinste breit, gleichzeitig reichte sie der Freundin ein Geschirrtuch.
„Um der alten Zeiten willen.“
Cat lachte, nahm das Tuch und half beim Abtrocknen der Töpfe, die zu groß für die Spülmaschine waren.
„Na ja, noch fehlt mir das passende Kleingeld, um mir meine eigene Maschine zu kaufen. Außerdem liebe ich es, mich während der Fahrt an meinen Gefährten zu schmiegen.“
Ihre Augen glitzerten zärtlich, was Mia einen kleinen Stich gab.
Brian, ein Wolf, hatte deutlich gespürt, dass der aufmüpfige Falke zu ihm gehörte. Ein Vorteil der Gestaltwandler, den sie auch gerne gehabt hätte. Nein, so ganz stimmte das nicht: Sie sehnte sich nach einem Partner, der sie liebte. Nur gab es keinen, der sich für eine einfache Küchenhilfe interessierte.
„Was ist los? Hat dir wieder jemand Angst gemacht?“
Cat bemerkte den Stimmungsumschwung der Freundin natürlich sofort, sodass sie alarmiert aufblickte.
Augenblicklich schüttelte Mia den Kopf.
„Nein, das ist es nicht. Ich fühle mich ein wenig einsam. Schau dich um, überall stößt man auf die glücklichen Paare. Selbst Patrick konnte seine Victoria herbringen. Nur für mich scheint es niemanden zu geben. Wer will schon eine kleine Aushilfe?“
Traurig seufzte sie, ehe sie sich einen weiteren Topf schnappte.
„Du redest einen Müll. Seit wann kommt es denn auf den Job an? Du bist hübsch, hast das Herz am rechten Fleck, sodass du bestimmt jemanden finden wirst. Und was unseren geschätzten Panther angeht, der musste ganz schön zittern, bis er seine Sylphe hier hatte. Wir alle dachten, dass es nur die Alternative gibt, ihn in Belgien zu lassen.“
Zu gut erinnerte Cat sich daran, dass Victoria, ein Luftgeist, sich weigerte, ohne ihre Adoptivschwester nach Irland zu kommen. Normalerweise wäre das kein Problem gewesen, doch in diesem Fall handelte es sich um eine Dryade, die sich nur in der Nähe ihres Baumes aufhielt, da sie ansonsten sterben würde.
„Ja, es gab Schwierigkeiten, die ihr alle zusammen überwunden habt. Versteh mich nicht falsch, ich gönne es euch von Herzen. Nur hätte ich halt auch gerne jemanden, der mich liebt.“
Mia riss Cat aus ihren Erinnerungen, als sie erneut leise seufzte.
In einem Impuls nahm der Falke sie in die Arme.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass du deinen Partner findest. Ich musste erst 99 Jahre alt werden.“
Lachend schüttelte Mia den Kopf.
„Du bist ein Gestaltwandler, und wenn ich mich nicht täusche, dann bist du zu dem Zeitpunkt gerade mal volljährig gewesen. Ich bin allerdings bereits vierundzwanzig.“
Cat lachte mit ihr.
„Ja, stimmt, du bist steinalt. Hey, lass dir den Tag nicht durch solche Gedanken trüben. Vielleicht ist ja jemand aus der zweiten Einheit schon nervös und wartet nur auf dich.“
Jetzt verdrehte die Küchenhilfe die Augen.
„Solange er noch diese innere Unruhe spürt, weiß ich, dass ich es keinesfalls sein kann, auf die er es abgesehen hat. Du hast mir selbst erzählt, dass die Nervosität verschwindet, sobald ihr eurem Gefährten gegenübersteht.“
Darin musste Cat ihr zustimmen. Sie erinnerte sich genau an das nervige Gefühl, das sie fast in den Wahnsinn getrieben hätte. Leider wusste sie damals nicht, was es damit auf sich hatte. Erst als sie Brian traf, erkannte sie, dass ihre Unruhe mit dem Auftauchen ihrer Dualseele zusammenhing.
„Schade, dass ihr Menschen es nicht spüren könnt. Es würde so vieles einfacher machen. Aber ich bin überzeugt, dass du deinen Partner finden wirst. Vielleicht sollte ich dich mal mit nach Dublin nehmen, wenn wir ins Hoogans gehen.“
Nachdenklich betrachtete Caitlin die unscheinbare Küchenhilfe.
Mia hatte glänzendes, schwarzes Haar, eine normale Figur und sie schätzte sie auf ungefähr einssechzig.
„Nein, das lass mal besser. Ich glaube nicht, dass deine Leute mich dabei haben wollen. Außerdem werde ich in den Kneipen immer übersehen. Ist keine Umgebung, in der ich mich wohlfühle.“
Ehe Cat widersprechen konnte, kam Brian in die Küche geschlendert.
„Hallo Mia, hält meine Ladyfalk dich von der Arbeit ab?“
Sein Grinsen grenzte ans Unverschämte, während er die beiden Frauen aufmerksam beobachtete.
Sofort fuhr Caitlin zu ihm herum, nur um festzustellen, dass sie auf seine Provokation mal wieder hereingefallen war.
Liebevoll zog er sie an sich, küsste sie leidenschaftlich, bis sie sich aus seinen Armen wandte und ihm ein Geschirrtuch in die Hand drückte.
„Hier, du kannst auch helfen, damit Mia mal früher Feierabend hat. Immerhin muss sie nach Hause laufen, was nicht gerade nah ist. Außerdem meidet sie das kleine Wäldchen immer, sodass es noch länger dauert.“
Mit einem frechen Grinsen hielt Caitlin dem Blick ihres Partners stand.
„Lass gut sein, Cat. Ich schaffe meine Arbeit schon.“
Peinlich berührt wollte Mia Brian das Tuch abnehmen, doch der schüttelte ablehnend den Kopf.
„Wieso nimmst du nicht die Abkürzung durch den Wald? Es würde dich mehr als eine halbe Stunde früher nach Hause bringen.“
Fragend sah er sie an.
Mias Wangen färbten sich feuerrot, gleichzeitig wich sie dem Wolf aus.
Mit einem Schnauben verdrehte Cat die Augen.
„Du bist so unsensibel und schwer von Begriff. Sie hat Angst.“
Kopfschüttelnd musterte der Falke seinen Herrn.
„Wieso? Da in dem Wald ist nichts, was man fürchten müsste.“
Verständnislos blickte Brian von einer Frau zur anderen. Er war oft genug in den umliegenden Waldstücken herumgestreunt, sodass er sicher wusste, dass dort keine Gefahr lauerte.
„Du bist auch ein Wolf, was man von ihr kaum behaupten kann“, fauchte Caitlin.
Ehe Brian antworten konnte, legte Mia zögerlich die Hand auf seinen Arm.
„Lass es gut sein. Du hast wahrscheinlich recht, aber ich bin ein fürchterlicher Angsthase. Sobald es dämmert, traue ich mich nicht in einen Wald, dazu habe ich zu viel über die magische Welt erfahren. Ich würde sterben, wenn ich einem Troll oder einem Gnom begegne.“
Verlegen zuckte sie mit den Schultern. Nicht jeder schaffte es, mit dem Wissen umzugehen, dass es die Fabelwesen wirklich gab.
„Bitte Mia, ich bin mir völlig sicher. In unseren umliegenden Gebieten gibt es absolut kein Wesen, wovor du dich in acht nehmen müsstest. Niemand versteckt sich in der Gegend, in der die Söldner leben.“
Vorsichtig packte Brian die kleine Frau an den Oberarmen, damit nahm er ihr die Möglichkeit, auszuweichen.
„Ich habe nicht vergessen, dass du zu meiner Gefährtin gehalten hast, als sie versuchte, jeden hier gegen sich aufzubringen. Ich helfe dir gerne, über diese Angst hinwegzukommen, zumal sie völlig unnötig ist.“
Eindringlich sah er sie an, bis sie leicht nickte.
„Es wäre schon besser, wenn ich mich in das Waldstückchen trauen würde. Der Weg ist wesentlich kürzer.“
Mia schluckte schwer. Natürlich wusste sie, dass es keinen Grund gab, sich vor einem Wald zu fürchten.
„Was hältst du davon, dass ich dich heute einfach nach Hause bringe? Wir können gemeinsam durch das Waldstück gehen.“
Lächelnd nickte er, als sie ihn ungläubig anstarrte.
„Das würdest du für mich tun? Hast du denn keinen Dienst?“
Caitlin lachte hinter ihr leise auf, dann streifte sie die Finger ihres Partners von der Freundin, anschließend legte sie ihr einen Arm um die Schultern.
„Hättest du mal vorher was gesagt, wäre ich auch gerne mit dir gegangen.“
Ein leichter Tadel schwang in ihrer Stimme mit.
„Ich bin es nicht gewohnt, dass man sich um mich kümmert. Meine Eltern sind toll, aber sie arbeiten sehr viel. In der Schule war ich der Außenseiter. Ich mochte es lieber mich mit einem Buch zurückzuziehen, statt auf Partys zu gehen. Darüber hinaus habe ich mich kaum getraut mit jemandem zu sprechen, da ich meinen Dad begleitete, als er Andrew aus der Falle geholt hat.“
Diese Geschichte kannten die Gestaltwandler alle. Mias Vater gehörte zu den Vertrauten, die per Eid versicherten, dass sie das Geheimnis der magischen Welt bewahrten, weil er einen der Söldner aus der zweiten Einheit aus einer Wildererfalle befreite.
Mia war damals gerade vier Jahre alt gewesen, als sie mit ihrem Vater durch den Wald spazierte. Sie hatte den Eid abgelegt, als sie volljährig wurde, vorher musste ihre Familie für sie bürgen.
Wer einem magischen Wesen das Leben rettete oder ihm aus einer Zwangslage half, der erhielt die Chance, ein Vertrauter zu werden. Alle anderen brachte man ins benachbarte Krankenhaus, in dem spezielle Ärzte die Erinnerungen entfernten.
Manchmal gingen diese Eingriffe schief, dann verwandelte sich der Patient in einen lebenden Zombie, der einen Platz im Pflegeheim der Gestaltwandler bekam.
„Verständlich, aber hat dir niemand erklärt, dass du bei uns immer jemanden hast, der dir hilft? Wir stehen hinter unseren Vertrauten, zumal wir jeden davon brauchen. Nicht auszudenken, wenn die Menschen erfahren, dass es uns gibt.“
Erstaunt musterte Brian die schüchterne Frau, die jetzt den Kopf schüttelte.
„Nein, mir wurde nur gesagt, dass ich nicht über euch reden darf, sonst müsse man mich töten. Außerdem bekam ich den Job hier, wofür ich wirklich dankbar bin. Mit meinem Zeugnis hätte ich kaum eine andere Stelle bekommen.“
Verlegen sah sie zu Boden, sodass ihr der Blick entging, den der Falke mit seinem Wolf tauschte.
„Gut, wir räumen jetzt die Küche auf, anschließend bringen wir dich nach Hause. Falls du Gesellschaft brauchst, dich ein Problem plagt oder du Spaß haben willst, kommst du zu mir, in Ordnung?“
Caitlin stieß Mia mit der Schulter an.
„Ja, trotzdem werde ich es alleine versuchen. Sollte ich mich heute nicht in den Wald trauen, könnt ihr gerne morgen mitkommen. Aber ich möchte einfach auch mal stolz auf etwas sein können.“
Vorsichtig sah die Aushilfe auf die beiden Gestaltwandler vor ihr, dabei wusste sie nicht, ob sie sich verständlich ausgedrückt hatte.
„Kann ich gut verstehen. Wobei es keine Schande ist, Hilfe anzunehmen.“
Brian zwinkerte ihr zu, gleichzeitig schnappte er sich einen Topf, um ihn abzutrocknen.
Nach einigen Minuten war die Küche aufgeräumt und Mia konnte Feierabend machen, was jetzt im Mai bedeutete, dass sie im Hellen nach Hause kam.
Schnell verabschiedete sie sich von Brian, Caitlin und Ellie, die gerade in den Raum kam, ehe sie sich auf den Heimweg machte.
Kurz vor dem Wäldchen blieb sie stehen, atmete tief durch, gleichzeitig rief sie sich die Worte des Wolfs in Erinnerung, dass es keine anderen magischen Wesen in der Umgebung gab.
Beherzt betrat sie das Waldstück, dabei sah sie sich furchtsam um. Erst als sie bemerkte, dass die Sonne zwischen den Bäumen hindurchschien, lief sie weiter. Kopfschüttelnd suchte sie sich ihren Weg, zumal sie jetzt kaum noch verstand, warum sie solche Angst gehabt hatte.
Es gab absolut keinen Grund, was sie vor Ort natürlich erkannte.
Mit einem Lied auf den Lippen ging sie, bis sie auf eine kleine Lichtung kam, zumindest sah es wie eine aus.
Zuerst dachte sie, dass die Sonnenstrahlen ihr einen Streich spielten und einen Felsen so beleuchteten, dass er einem schlafenden Drachen glich.
Vorsichtig schlich sie sich näher, fest in dem Glauben, dass es entweder eine Sinnestäuschung oder eine Figur sein musste.
Als sie nur noch einen Schritt von der Gestalt weg war, blieb sie stehen, um die Schönheit der Skulptur zu bewundern. Es handelte sich in ihren Augen um ein echtes Kunstwerk.
Warum nur hatte man es in diesem Wald aufgestellt, wo es niemand sah?
Langsam ging sie zu der Statue, strich zart über einen schwarzen Flügel, der ausgebreitet war. Die rechte Seite des Drachen konnte sie kaum erkennen, da er direkt unter einem Baum im Schatten lag.
Einen Moment überlegte sie, ob Brian sich vielleicht getäuscht hatte und es sich hier um ein magisches Wesen handelte, doch dann lachte sie leise. Selbst sie wusste, dass die Drachenwesen vor langer Zeit ausgestorben waren.
Gerade als sie ein zweites Mal über die Schuppen strich, packte jemand sie am Fußgelenk, gleichzeitig richtete sich die Gestalt vor ihr auf.
Entsetzt schrie Mia auf, als sie ein Blick traf, den sie kaum einschätzen konnte.
Ehe sie in der Lage war sich zu rühren, verschwand der Griff an ihrem Knöchel, stattdessen legte sich die Hand auf ihren Mund, während sie an den Drachenleib gepresst wurde.
„Leise, sonst breche ich dir das Genick.“
Die Stimme klang erschöpft, trotzdem glaubte sie ihm jedes Wort, sodass sie vorsichtig nickte.

~~°~~

Mühsam hob Jorgan die Lider, wobei er sich unklar darüber war, ob er wirklich überlebt hatte. Benommen spürte er, dass jemand über seinen verletzten Flügel streichelte.
Die Berührung war zart, sodass er erst einmal ruhig liegen blieb, um sich nicht zu verraten. Außerdem sollte er zuerst in der Lage sein, sein Gegenüber klar zu erkennen.
Im Moment kam er sich vor, als ob er einen Vollrausch hinter sich hätte. Sein Kopf brummte, seine linke Seite fühlte sich wie betäubt an, dabei schaffte er es kaum die Schwinge zu bewegen, während sein Sichtfeld sich nur langsam klärte.
Zu gerne hätte er sich aufgerichtet, um seinen Besucher anzusehen, nur dafür stand er an einer Stelle, an der er ihn keineswegs packen konnte. Auf jeden Fall musste er ihn zu fassen bekommen. Er wollte nicht mal daran denken, was passierte, wenn jemand herumerzählte, dass in diesem Wäldchen ein Drachenmensch lag.
Verwundert stellte Jorgan jetzt fest, dass sich seine rechte Seite zurückverwandelt hatte. Er gab sicherlich einen fürchterlichen Anblick ab, halb Mensch, halb Drache.
Endlich sah er aus den Augenwinkeln eine kleine, unscheinbare Frau, die ihre Fingerspitzen über seine Schuppen streichen ließ.
Schnell sammelte er alle Kräfte, die ihm zur Verfügung standen, drehte sich etwas und packte sie am Fußgelenk, das ihm am nächsten war.
Sie schrie auf, als er sich bewegte, was er leider nicht verhindern konnte. Augenblicklich löste er seinen Griff, nur um ihr die gesunde Hand auf den Mund zu drücken, während er sie auf diese Weise an sich presste. Die ärgste Gefahr war damit gebannt.
Mit einem Mal bemerkte er, dass die nervtötende Unruhe verschwunden war. Entsetzt schloss er für eine Sekunde die Augen.
Das durfte doch nicht wahr sein, bei seiner Gefährtin handelte es sich tatsächlich um einen Menschen!
Mühsam riss Jorgan sich zusammen, um seine persönlichen Empfindungen würde er sich später noch kümmern, jetzt musste er dafür sorgen, dass sie ruhig blieb.
Er spürte deutlich, wie sie in seinem Griff zitterte, sodass er davon ausging, dass er keine ernsthafte Gegenwehr zu befürchten hatte.
„Leise, sonst breche ich dir das Genick.“
Wieder fühlte er, wie sie vor Angst erstarrte und innerlich krümmte er sich, dass er ausgerechnet die Frau, die für ihn bestimmt war, so angehen musste.
Erschöpft nahm er die Hand von ihrem Mund, packte sie allerdings sofort am Handgelenk, damit sie nicht fliehen konnte.
„Bitte, tun Sie mir nichts“, flüsterte sie.
Er strengte sich an, um sie überhaupt zu verstehen, so leise sprach sie.
Einen Moment musterte er sie, dabei gestand er sich ein, dass sie eine sehr ansehnliche Person war. Klein, aber an den richtigen Stellen gepolstert, außerdem besaß sie schwarzes, langes Haar, blaue Augen und einen sinnlichen Mund, den er zu gerne geküsst hätte.
Sofort rief sich Jorgan in Erinnerung, dass es sich hier um einen der verhassten Menschen handelte. Trotzdem konnte er für sie kein ablehnendes Gefühl aufbringen. Sie war seine Gefährtin, das wusste er zu genau.
„Ich verschone dich, wenn du tust, was ich dir sage.“
Am liebsten hätte er laut geflucht, denn seiner Stimme hörte man die Erschöpfung zu deutlich an. Außerdem fiel es ihm schwer, sich auf sein Gegenüber zu konzentrieren. Immer wieder verschwammen die Konturen, sodass er die Augen zu Schlitzen zusammenkneifen musste, um die Frau scharf zu sehen.
Mia nickte hektisch, während sie ansonsten völlig still vor ihm stand. Dieses Wesen faszinierte und erschreckte sie im gleichen Moment. Obwohl sie vor Angst zitterte, bekam sie das Gefühl, dass ihr von ihm keine Gefahr drohte.
Mutiger als sie sich fühlte, musterte sie ihn, bemerkte, dass er mit sich kämpfte, um konzentriert zu bleiben, weil er ständig die Lider zusammenkniff.
„Was ist mit Ihnen passiert?“
Mia schlug sich die freie Hand erschrocken vor den Mund, gleichzeitig starrte sie das Wesen vor sich entsetzt an.
Sie war mit ihrer Frage herausgeplatzt, ohne weiter nachzudenken.
„Bitte setz dich. Ich kann dir nur unzureichend helfen, solltest du umfallen.“
Besorgt bemerkte Jorgan die blasse Haut, die aufgerissenen Augen und natürlich spürte er nach wie vor, wie sehr sie zitterte.
Unsicher sah Mia sich um, denn auf dem feuchten, kalten Waldboden wollte sie nur ungern sitzen.
Sofort deutete Jorgan auf einen kahlen Felsen, der neben ihm stand, gleichzeitig zog er sie dorthin. Noch traute er sich nicht, sie loszulassen, obwohl ihm klar war, dass er sie kaum die gesamte Nacht bei sich halten konnte. Bestimmt suchten die Menschen schon nach ihr, dabei würden sie unweigerlich über ihn stolpern.
Mia setzte sich vorsichtig auf den Stein, während sie das Drachenwesen im Auge behielt. Sie war dankbar, dass sie sich nicht länger auf ihre wackeligen Beine verlassen musste.
„Ich bin von einer verzauberten Kugel getroffen worden, als ich auf dem Weg zu den Söldnern von Ballygannon war, um Hilfe zu holen.“
Jorgan entschied sich ihr die Wahrheit zu sagen, jede Lüge würde sie nur in die Flucht schlagen. Außerdem sträubte sich alles in ihm, seine Gefährtin anzulügen.
„Ich habe es geschafft, bis hierher zu kommen, doch dann bin ich abgestürzt. Zum Glück hat mich keiner beobachtet.“
Mia hörte ihm erstaunt zu, wobei sie unsicher war, ob sie ihm glauben durfte.
„Ich kann die Söldner herholen“, schlug sie vorsichtig vor.
Vielleicht ließ er sie ja gehen und sie könnte Brian oder Steward von dieser Begegnung erzählen. Sollte der Drachenmensch wirklich Hilfe brauchen, waren sie genau die richtigen, doch er schüttelte heftig mit dem Kopf.
„Nein! Du musst mir schwören, dass du mit keinem über mich sprichst, sonst werde ich dich hier an mich fesseln.“
Er sagte es so ernst, dass sie ihm sofort glaubte, obwohl sie keinerlei Stricke oder Ähnliches entdeckte. Allerdings bemerkte sie eine Tasche, die um seinen Hals hing. Vielleicht hatte er dort Seile drinnen?
„Ich verspreche es, aber so wird niemand zur Hilfe kommen können.“
Sie versuchte zu lächeln, was ihr gründlich misslang, zu sehr fürchtete sie sich noch. Trotzdem wurde dieses seltsame Gefühl, dass sie ihm trauen durfte, von Minute zu Minute stärker.
Plötzlich ließ er sie los, sein Kopf sank nach unten und sein gesamter Körper wurde schlaff.
Einen fürchterlichen Moment glaubte Mia, dass er gestorben sei, doch dann sah sie, dass sich seine Brust hob und senkte.
Erleichtert atmete sie auf, zeitgleich schalt sie sich eine dumme Gans. Wieso war sie so glücklich, dass der Drache noch lebte? Wenn er tot war, hatte sie nichts mehr zu befürchten.
Langsam stand sie auf, ging zwei Schritte von ihm weg, dabei ließ sie ihn nicht aus dem Blick. Sobald sie außerhalb seiner Reichweite war, drehte sie sich um und rannte los.
Jorgan öffnete schwach die Lider. Ihm war klar, dass die kleine Frau längst geflohen war, deshalb musste er sich ein anderes Versteck suchen. Bestimmt lief sie in ihrer Panik direkt zu ihren Leuten.
Mühsam hob er den Kopf, anschließend versuchte er den linken Flügel anzulegen, nur um sofort schmerzerfüllt aufzustöhnen. Die Schmerzwellen brachten ihn augenblicklich an den Rand der Bewusstlosigkeit.
Noch nie in seinem Leben hatte er etwas Vergleichbares aushalten müssen. Kalter Schweiß perlte über seinen menschlichen Leib, gleichzeitig zitterte er vor Erschöpfung.
„Was tun Sie denn? Bleiben Sie liegen!“
Spielte ihm sein Gehirn jetzt einen Streich oder war die kleine Frau doch zurückgekommen? Ehe er sich erneut zu ihr umdrehen konnte, trat sie in sein Blickfeld.
Besorgt strich sie ihm über den Teil seiner Stirn, die nicht von Schuppen bedeckt war.
Mia hatte im Laufen sein Stöhnen gehört, sodass sie stehen blieb. Sie brachte es nicht über sich, ein verletztes Wesen im Stich zu lassen.
Einen Moment haderte sie mit sich, dann drehte sie um und lief zu dem Drachen, der jetzt hilflos vor ihr lag.
Noch einmal streichelte sie ihm über die Stirn, dabei fühlte sie den kalten Schweiß, der ihr sagte, dass es ihm verdammt schlecht ging.
„Bitte, was kann ich tun? Irgendjemand muss doch helfen können.“
Offen erwiderte sie seinen erstaunten Blick.
„Ich habe gedacht, dass du fliehst und mit deinen Leuten wiederkommst.“
Jorgan konnte sich ihr Verhalten kaum erklären. Sie war ein Mensch, die reagierten selten mitfühlend, zumindest, die die er kennengelernt hatte.
Mia zuckte mit den Schultern, während sie sich erneut auf dem Stein niederließ.
„Wahrscheinlich bin ich einfach zu dumm. Ich sollte wirklich loslaufen, um jemanden herzuholen, aber ich bekomme das Gefühl, dass Sie keineswegs böse sind, nicht los.“
Verlegen hielt sie ihm stand, da er sie jetzt verwirrt musterte.
„Was kann ich tun? Ich sehe doch, dass es Ihnen sehr schlecht geht.“
Bittend sah sie ihn an. Die Vorstellung, dass er hier starb, trieb ihr die Tränen in die Augen. Diese Gefühlsregung konnte sich die junge Frau kaum erklären, daher schob sie den Gedanken schnell zur Seite.
„Ich brauche Ruhe, damit ich zu Kräften komme. Der Weg von Rumänien nach Irland war weit und anstrengend. Außerdem würde ich es begrüßen, wenn du mich Jorgan nennst.“
Er versuchte sie anzulächeln, was ihm leidlich gelang, aber jetzt schaffte er es nur noch, mit Gewalt wach zu bleiben.
„Ich heiße Mia. Bist du sicher, dass ich nicht doch den Arzt der Söldner holen soll? Gerry kennt sich mit allen Verletzungen aus.“
Hoffnungsvoll beobachtete sie ihn. Sollte er auf ihren Vorschlag eingehen, konnte sie sicher sein, dass er überlebte.
Gerry, ein Luchs, wusste alles über Medizin, egal ob es sich um einen Menschen oder ein magisches Wesen handelte. Außerdem stand ihm der Engel Lea, seine Gefährtin, zur Seite.
„Nein, ich darf niemandem trauen. Solange ich so schwach bin, musst du mir versprechen, dass du keinem von mir erzählst. Bitte, Mia, du bist die ...“
Seine Augen fielen zu, fast zeitgleich sank sein Kopf zu Boden.
Erschrocken sprang die junge Frau auf, um zu sehen, ob er noch lebte. Hektisch tastete sie nach einem Puls, einer Bewegung oder irgendeinem Zeichen, dass er nicht gestorben war.
Endlich bemerkte sie, dass sich seine Brust hob und senkte. Erleichtert atmete sie auf, allerdings war sie sich unsicher, ob sie ihn einfach liegen lassen durfte.
Natürlich war er hier ziemlich sicher, da kaum jemand in diesen Wald ging, aber was, wenn er ohne ärztliche Hilfe sterben würde?
Ihr Herz zog sich bei der Vorstellung schmerzhaft zusammen, was sie sich überhaupt nicht erklären konnte. Immerhin handelte es sich offensichtlich um einen Drachen, um ein extrem gefährliches Wesen!
Entschlossen nahm sie ihr Smartphone, blickte noch einmal auf Jorgan, ehe sie die Nummer ihrer Mutter wählte.
„Hi Mum, ich bin es, Mia. Ich bleibe heute über Nacht im Söldnerlager. Es gibt eine Feier, da werde ich gebraucht.“
Es fiel ihr schwer ihre Mutter anzulügen, aber sie brachte es einfach nicht übers Herz, Jorgan seinem Schicksal zu überlassen. Ihn gegen seinen Willen an die Söldner zu verraten kam genauso wenig infrage.
Schnell sah sie noch einmal, ob er atmete, anschließend lief sie zurück zum Hauptgebäude. Am Tor nutzte sie ihre Schlüsselkarte, die sie auch für ihren Job brauchte.
Einen Moment blieb sie im Flur stehen, dann ging sie entschlossen zum Überwachungsraum, wo Logan, ein Jaguar und Kämpfer zusammen mit David, einem Wolf, saß.
David sah sie freundlich an.
„Mia? Ist etwas passiert?“
Natürlich wusste der Anführer der ersten Einheit, dass sie längst Feierabend hatte, so war seine Frage kaum erstaunlich.
Mit einem schüchternen Lächeln schüttelte sie den Kopf.
„Nein, ich bin nur zurückgekommen, weil ich mein Abendessen in der Küche vergessen habe.“
Das war, Gott sei Dank, keine Lüge, denn das konnten die Gestaltwandler riechen. Sie hatte das Essen tatsächlich über dem Gedanken, dass sie sich alleine in den Wald wagte, stehen lassen.
Sie hielt dem eindringlichen Blick von David stand, dabei konzentrierte sie sich auf die Schüssel mit dem Eintopf, der im Kühlschrank für sie bereitstand.
„Warum isst du nicht einfach demnächst mit uns?“
Logan sah sie offen an. Er verstand nicht, wieso sie sich die Mahlzeiten mit nach Hause nahm.
„Das steht mir kaum zu. Außerdem ist im Moment kein Platz im Esszimmer.“
Darin musste er ihr recht geben. Alle Einheiten waren im Hauptquartier, sodass es ziemlich eng wurde.
„Danke, dass du uns Bescheid gegeben hast. Wir haben dich natürlich gesehen, somit hätten wir dich morgen fragen müssen. Dir einen schönen Feierabend.“
Mit den Worten und einem freundlichen Lächeln entließ David sie.
Mia atmete auf, lief schnell zur Waschküche, um zwei Wolldecken zu holen, die noch gewaschen werden sollten, anschließend holte sie sich ihr Essen aus dem Kühlschrank.
Die Decken faltete sie so, dass sie diese bequem vor dem Körper tragen konnte, wo sie hoffentlich nicht auffielen, sonst müsste sie sich eine Ausrede einfallen lassen.
Eilig rannte sie zum Tor, winkte mit einer Hand in die Kamera, während sie mit der anderen die Wolldecken zusammen mit dem Topf an sich drückte.
Beherzt ging sie zu dem Waldstück zurück, um kurz darauf wieder bei Jorgan zu sein.
Er lag immer noch völlig regungslos unter dem Baum, nur sah sie dieses Mal, dass sein Brustkorb sich regelmäßig hob und senkte.
Leise schlich sie zu ihm, legte ihm eine Hand auf die menschliche Schulter, um ihn sachte zu wecken.
„Was?“
Erschrocken wollte er aufspringen, aber der Schmerz ließ ihn sofort zurücksinken.
„Bleib liegen, ich habe etwas zu essen und eine Decke geholt.“
Mia breitete eine der Wolldecken über ihm aus, die andere warf sie achtlos auf den Boden.
„Was hast du vor?“
Skeptisch beäugte er sie, zumal er sich so elendig schwach fühlte. Allein die Gewissheit, dass er das Bewusstsein verloren hatte, während er versuchte ihr das Versprechen über ihr Stillschweigen abzunehmen, ließ ihn besorgt seufzen.
„Ich bleibe heute Nacht bei dir. Morgen komme ich nach der Arbeit, um dir Essen und Trinken zu bringen. Allerdings muss ich dann zu Hause übernachten, sonst wird meine Familie misstrauisch.“
Sie öffnete den Topf, in dem ein ansehnlicher Eintopf zum Vorschein kam. Jorgan lief bei dem Anblick das Wasser im Munde zusammen.
„Mist, ich habe Besteck vergessen.“
Mia sah sich um, dabei überlegte sie, ob sie noch einmal ins Hauptquartier gehen sollte. Nur was konnte sie den beiden Gestaltwandlern dieses Mal sagen, warum sie schon wieder zurückkam?
„Kein Problem.“
Der Drache riss sie aus ihren Überlegungen, in dem er ihr die gesunde Hand entgegenstreckte.
„Gib mir einfach den Topf. Ich kann den Eintopf so trinken.“
Sie lächelte ihn an, dann reichte sie ihm das Gefäß.
Gerade als er ansetzen wollte, stoppte er, um sie eindringlich zu mustern.
„Hast du etwas gegessen?“
Langsam schüttelte sie den Kopf.
„Nein, aber du brauchst es dringender. Ich komme schon einen Tag ohne Abendessen aus.“
Sofort hielt er ihr das Essen hin.
„Iss du zuerst, dann kann ich den Rest nehmen. Es reicht bestimmt für uns beide, wenn ich die Portion so sehe.“
Auf keinen Fall würde er seiner Gefährtin den Eintopf wegfressen. Allerdings zeigte ihm diese Geste, was für ein großes Herz Mia hatte. Wahrscheinlich sollte er seine Meinung über die Menschen langsam überdenken.
Verlegen trank sie einen kleinen Schluck direkt aus dem Topf, dabei musste sie sich bemühen, sich nicht zu bekleckern. Schnell hielt sie ihm das Gefäß hin, doch er schüttelte nur leicht den Kopf.
Seufzend aß sie unbeholfen, bis sie wirklich satt war, erst danach nahm er das Abendessen an.
Es stellte sich schwieriger heraus zu essen, als gedacht, da eine Hälfte seines Gesichtes menschlich war, während der Rest die Form des Drachen hatte. Trotzdem schaffte er es, den Eintopf regelrecht zu verschlingen.
„Ich hoffe, dass er dir Kraft gibt, damit du deine Selbstheilungskräfte aktivieren kannst.“
Mia räumte den Topf zur Seite, nahm die zweite Decke, wickelte sich darin ein und legte sich ein Stückchen von ihm weg auf den Boden.
„Wieso weißt du von meinen Selbstheilungskräften?“
Fast hätte Jorgan seine Frage vergessen, als sie ihn mit einem Lächeln ansah. Sie sah so wunderschön aus, dass es ihm die Sprache verschlug.
„Ich arbeite für die Söldner von Ballygannon. Ich bin eine der Vertrauten. Deshalb hab ich dir ja vorgeschlagen, sie für dich herzuholen. Oder weshalb glaubst du, kenne ich Gerry?“
Offen hielt sie seinem Blick stand.
Einen Moment überlegte Jorgan, ob es vielleicht doch besser wäre, Mia zu den Männern zu schicken. Schnell entschied er sich dagegen. Solange er dermaßen geschwächt war, durfte er kein Risiko eingehen. Wer wusste schon, ob die Gestaltwandler ihm helfen würden.
„Willst du wirklich alleine auf dem kalten Boden liegen bleiben?“
Geschickt wechselte er das Thema, dabei sah er sie missbilligend an.
„Ich kann jetzt kaum zurück nach Hause oder ins Hauptquartier, ohne mich zu verraten. Meine Leute glauben, dass ich bei den Söldnern schlafe, die Söldner denken, dass ich Daheim bin. Also werde ich wohl hierbleiben.“
Sofort schüttelte er den Kopf. Auf keinen Fall ließ er zu, dass seine Gefährtin sich erkältete, nur weil sie ihm helfen wollte.
„Komm her, ich habe eine hohe Körpertemperatur, die dich wärmen wird.“
Einen Augenblick dachte sie daran, den Befehl zu verweigern, doch dann spürte sie die Kälte, die vom Boden aus durch ihre Decke drang. Niemandem war geholfen, wenn sie krank wurde.
Vorsichtig rückte sie zu ihm rüber, drückte sich eng an seine menschliche Seite und wurde sofort von einer wohligen Wärme umhüllt.
Woher sie plötzlich das Vertrauen nahm, konnte sie sich selbst kaum erklären, trotzdem war sie froh, dass sie nicht alleine in diesem Wald lag.
Jorgan schlang seinen gesunden Arm um Mia. Er genoss es, sie so halten zu dürfen. Es fühlte sich verdammt richtig an. Noch einmal sah er sie eindringlich an, erst dann gestattete er sich, die Augen zu schließen, um in einen unruhigen Schlummer zu fallen.

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Tag der Veröffentlichung: 01.06.2019

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