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Kapitel 1

Kapitel 1

Zóltan knöpfte nachdenklich seine Hose zu, dabei sah er auf die Frau, mit der er die letzten Stunden auf angenehme Art verbracht hatte.
Ihre milchweiße Haut schimmerte im Mondlicht, das zum Fenster hereinschien.
Caroline, Gräfin von Hunyady, liebevoll Lilly genannt war in seinen Augen die schönste Hofdame, in der Schar, die sich um Kaiserin Elisabeth von Österreich befand. Ein wenig verwunderte es ihn, dass sie sich ausgerechnet auf ihn eingelassen hatte. Immerhin nannte man ihn nicht ohne Grund das Ungeheuer von Ungarn.
Nicht nur seine direkte Verwandtschaft zu Elisabeth Báthory, der Blutgräfin, sondern viel mehr die Spuren, die er bei einem Kutschenunfall vor zehn Jahren davon getragen hatte, brachten ihm den Spitznamen ein.
Damals war die Kutsche mit ihm und seinen Eltern vom Weg abgekommen. Seine Mutter starb noch am Unfallort, sein Vater erlag seinen Verletzungen einige Tage später, nur der junge Zóltan hatte Glück.
Bei diesen Gedanken stieß er spöttisch die Luft aus. Immerhin verunstalteten tiefe Narben seinen Oberkörper so wie sein Gesicht, außerdem hatte er das linke Auge eingebüßt und sein rechtes Bein blieb steif.
„Nie bleibst du die ganze Nacht.“
Die vorwurfsvolle Stimme von Lilly holte ihn aus seinen Überlegungen zurück, gleichzeitig angelte er nach seiner restlichen Uniform.
Seine Geliebte drehte sich zu ihm herum, um ihn schmollend anzusehen, dabei präsentierte sie ihm ihren nackten Körper.
Mit einem großen Schritt war er am Bett, strich mit den Fingerkuppen sanft über ihre Schulter, ehe er ihr Kinn leicht anhob.
„Natürlich nicht. Du bist Hofdame der Kaiserin, wenn ich dich dran erinnern darf.“
Spöttisch musterte er sie. Immer wieder versuchte sie ihn zum Bleiben zu überreden, aber er machte ihr unmissverständlich klar, dass sie für ihn nur ein netter Zeitvertreib war.
„Die Leute reden schon. Vielleicht solltest du dich von mir fernhalten.“
Jetzt lachte Zóltan leise auf, ließ sie los und zog sich endgültig an.
„Jedes Mal die gleiche Ansprache. Entscheide dich! Wenn ich nicht mehr zu dir kommen soll, dann akzeptiere ich deinen Wunsch selbstverständlich.“
Kalt sah er sie an, während er sich den Uniformrock überzog.
„Du bist ein Ungeheuer. Ständig spielst du mit meinen Gefühlen! Dabei möchte ich doch nur von dir geliebt werden.“
Erneut schob Lilly die Unterlippe nach vorne, um ihn mit ihrem einstudierten Schmollmund zu beeindrucken.
„Du wusstest vorher, dass es hier nur um Leidenschaft geht. Lilly, ich gebe dir, was du körperlich brauchst, für alles darüber hinaus musst du dir jemand anderen suchen.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ ihr Gemach in der Hofburg, wo sie als Hofdame untergebracht war.
Ihm war bewusst, dass er mit dem Feuer spielte, denn die Kaiserin würde ihn persönlich entmannen, sollte sie mitbekommen, dass er ihre Vertraute verführte und das Nacht für Nacht.
Schnell hinkte er über den Innenhof an den Ställen vorbei, ließ die Hofburg hinter sich, um zu seinem Stadthaus zu gelangen. Durch seine Abstammung sowie die guten Beziehungen, die seine Eltern zum Adelsgeschlecht der Wittelsbacher unterhalten hatten, besaß er heute eins der prachtvollen Häuser in der Nähe der Kaiserresidenz.
Wobei es ihm erleichterte seinen Dienst zu versehen, denn trotz seines steifen Beines, war er Oberstallmeister der Spanischen Hofreitschule zu Wien. Rittmeister Zóltan Andrasch Graf Báthory!
Gedankenverloren rieb er sich über sein schmerzendes Knie, als er die Tür seines Domizils aufschloss. Auch das war ein ständiges Thema zwischen ihm und Lilly: Sie verlangte ihn in seinem Zuhause treffen zu dürfen, was er vehement ablehnte.
So schön sie war, so oberflächlich und intrigant war sie, deshalb befriedigte er ihrer beider Lust, doch niemals wollte er sich auf eine tiefere Beziehung zu ihr einlassen.
Einen Moment sah er aus dem Fenster. Noch herrschte finstere Nacht, die nur von einem, immer blasser werdenden Mond unterbrochen wurde, aber er verspürte keine Müdigkeit. Außerdem würde das Morgengrauen bald einsetzen, sodass es sich kaum mehr lohnte, sich hinzulegen. Im Gegenteil er sollte seine Untergebenen für die kommende Vorführung zu Ehren Franz-Josefs von Österreich drillen.
Es war eine große Quadrille zum Geburtstag des Kaisers geplant, bei der seine Leute zeigen durften, was sie konnten. Und das war eine ganze Menge!
Trotzdem hinkte Zóltan ins Bad, streifte die Halbschuhe von den Füßen, ehe er die Uniform ablegte, um sich zu waschen, gleichzeitig zog er sich die Augenklappe vom Kopf.
In der Öffentlichkeit trug er grundsätzlich entweder eine Klappe vor dem fehlenden Auge oder eine Maske, die sein Gesicht mal komplett, mal nur zur Hälfte bedeckte.
Kaiserin Elisabeth hatte sich bei ihm beschwert, dass sie ihre Gesprächspartner gerne direkt ansah, was bei ihm unmöglich sei.
Das Wort seiner Souveränin war Gesetz für ihn, deshalb wählte er seine Verkleidung mit Bedacht. Allerdings legte er es unter Umständen auch darauf an, die Menschen in seiner Umgebung zu schockieren, dann trug er lediglich die Augenklappe, sodass die tiefen Narben in seinem Gesicht für jeden sichtbar wurden.
Bei der Arbeit mit den Pferden brauchte er möglichst freie Sicht, daher kam hierbei keine Maske infrage.
Nachdenklich betrachtete er sich im Spiegel, musterte die leere Augenhöhle, die ihm entgegenstarrte und bei der er sich nur schwer daran gewöhnen konnte, dass sie wirklich zu ihm gehörte.
Lilly hatte sich genau deshalb auf ihn eingelassen: Sie wollte die Gefahr, das Prickeln, wenn sie mit dem Ungeheuer von Ungarn schief.
Bitter lachte er auf, denn die gleichen Umstände, die ihm seine Geliebte beschert hatte, verhinderten, dass er eine Ehefrau fand.
Kein ehrbares Fräulein würde sich mit einem entstellten Mann, wie ihm verheiraten.
Schnell schob er diese Gedanken zur Seite. Im Großen und Ganzen liebte er sein Leben. Durch seine Vorfahren besaß er genug Geld, dazu kam sein Sold, der keinesfalls zu verachten war. Darüber hinaus lebte er für seine Aufgaben als Stallmeister. Ihm oblag die Auswahl der Bereiter-Anwärter, außerdem war er dafür zuständig, die Ausbildung der Pferde zu überwachen.
Ein ehrliches Lächeln flackerte über seine Miene, als er an seinen Hengst dachte, der im Stall der Hofburg sein Zuhause gefunden hatte.
Maestoso Arabella war sein ganzer Stolz, der auch bei den Paraden und Vorführungen die Blicke der Kenner auf sich zog.
Oft genug hatte man ihm Unsummen für dieses Tier angeboten, allerdings lehnte Zóltan immer mit einer spöttischen Bemerkung ab.
Einen Freund verkaufte man nicht!
Er hatte hart gearbeitet, sodass er heute als Ausbilder in der Spanischen Hofreitschule zu Wien sein Können weitergeben durfte.
Er goss kaltes Wasser aus einer Kanne, die sein Diener ihm bereitgestellt hatte in eine dafür vorgesehene Schüssel, in der er sich ausgiebig wusch. Für ein Bad würde später genug Zeit sein, außerdem machte es keinen Sinn, vor der Arbeit in der staubigen Reithalle zu baden.
Ein wenig wacher als noch vor ein paar Minuten, trocknete er sich mit einem Leinentuch ab, ehe er die Bliesenhosen seiner Offiziersuniform mit der weißen Reithose tauschte. Anschließend zog er ein weißes Hemd über, dem der dunkelbraune Reitrock der traditionellen Empire-Uniform folgte.
Zu offiziellen Anlässen wählte er die Ausgehuniform der Husaren, denen er als Oberst im Kriegsfall zur Verfügung stand. Während des Aufenthaltes in der Hofreitschule gab es genaue Vorschriften.
Sein steifes Bein bereitete ihm, wie immer Probleme, als er die hohen ledernen Reitstiefel anziehen wollte.
Wütend humpelte er aus dem kleineren Badezimmer, ließ sich auf sein Bett fallen und fluchte laut.
Sofort war sein persönlicher Kammerdiener zur Stelle.
„Wieso rufen Herr Graf mich nicht?“
Tibor war schon so lange in den Diensten der Familie, dass er sich diesen Vorwurf ohne Reue erlauben konnte, dabei sah er seinen Vorgesetzten missbilligend an.
„Weil ich es satthabe, ständig Hilfe beim Anziehen anzufordern.“
Zóltans Stimme glich einem Knurren, allerdings hörte man deutlich die Verzweiflung darin.
Die Reitstiefel waren unerlässlich bei seiner Arbeit, doch sie stellten auch die einzigen Kleidungsstücke dar, die ihn immer wieder aus dem Gleichgewicht warfen.
Natürlich schaffte er es mittlerweile sich ohne Unterstützung anzukleiden, nur an diesem Morgen schien alles ein wenig schwerer zu gehen.
Tibor lächelte leicht.
„Aber es ist meine Aufgabe Herr Graf, Ihnen behilflich zu sein.“
Zóltan verdrehte ungeduldig das Auge. Selbstverständlich waren ihm die Pflichten seines Dieners geläufig!
„Vergiss es und hilf mir einfach.“
Ergeben ließ er sich von seinem Kammerdiener in die Reitstiefel helfen, ehe er aufstand und zur Tür ging.
„Möchten Sie ihren Kaffee im Wohnzimmer einnehmen?“
Aufmerksam lächelte Tibor ihn an, doch Zóltan schüttelte bereits den Kopf.
„Danke, aber ich frühstücke heute nicht.“
Damit verließ er den Raum, um von einer Kommode seinen Zweispitz zu nehmen, der genauso vorgeschrieben war, wie der dunkelbraune Reitrock.
So gerüstet lief er zur Hofburg zurück, die er erst vor etwa einer Stunde verlassen hatte.
Mittlerweile dämmerte es, als er auf den Stall zuhinkte. Ein Stallbursche schob schnell die Tür auf, als er den Rittmeister ankommen sah.
„Guten Morgen Herr Oberst.“
Der Junge machte sich so klein wie möglich, was Zóltan einen Stich ins Herz gab. Er würde sich nie an Schwächeren vergehen, sodass die Angst des Burschen völlig unbegründet war.
„Guten Morgen, Ferdinand.“
Erstaunt, dass so ein hoher Offizier seinen Namen kannte, sah der Knabe dem Mann hinterher, der ihm noch ein Lächeln schenkte, ehe er weiter zu den Stallungen ging.
Zuerst begrüßte Zóltan seinen Hengst, der ihm bereits ungeduldig entgegen wieherte.
„Na, mein Bester.“
Sanft strich er über die feinen Nüstern, die ihn unsanft anstupsten. Normalerweise hätte er das respektlose Verhalten unterbinden müssen, aber diese Begrüßung genoss er viel zu sehr.
„Soll ich Ihnen Maestoso fertigmachen, Herr Rittmeister?“
Ein Bereiter-Anwärter stand neben ihm, auch dem jungen Mann sah man die Furcht an.
„Nein, das erledige ich selbst. Nehmen Sie sich ihren Hengst und üben Sie die Versammlungen, die ich Ihnen gestern gezeigt habe.“
Sofort wollte der Untergebene sich an seine Aufgabe machen, als Zóltan ihn noch einmal zurückpfiff.
„Und Paul? Sehen Sie mich nicht ständig an, als ob ich Sie fressen würde! Ich teile die Gelüste meiner Vorfahrin keineswegs.“
Stammelnd entschuldigte sich der Angesprochene, dabei übersah er das Grinsen in Zóltans Gesicht.
Die Blutgräfin hatte vor fast zweihundert Jahren gelebt, doch ob sie die Verbrechen wirklich begangen hatte, die man ihr zur Last legte, darauf konnte man sich nicht einigen. Nur die Gerüchteküche kochte weiter, formte aus den Vorwürfen eine Legende, in der von Vampiren die Rede war.
Aber egal ob Elisabeth Báthory eine irre Massenmörderin gewesen oder einer politischen Intrige unterlegen war, mit ihm hatte das alles kaum etwas zutun.
Eilig holte Zóltan sich die Putzutensilien für seinen Hengst, anschließend machte er sich daran, Maestoso für den Tag vorzubereiten. Diese Arbeit würde er sich nie abnehmen lassen, zumal er die Nähe zu seinem Tier genoss. Er gab ihm die Gelassenheit, sich später wieder mit der Gleichgültigkeit der Menschen auseinandersetzen zu müssen.
„Guten Morgen, Zóltan. Sag mal leidest du unter Schlaflosigkeit oder gibt es bei dir Bettläuse? Du bist jeden Tag früher im Stall.“
Bei der vergnügten Stimme, die ihn aus seiner Beschäftigung riss, hob er den Kopf.
„Ganz schön frech, wenn man mal bedenkt, dass ich dein Vorgesetzter bin, Otto.“
Mit einem breiten Grinsen legte er die Kardätsche, die weiche Bürste, zurück in den Putzkasten, verließ die Box seines Hengstes und umarmte den Vertrauten.
Otto Graf Sándor war der Erste in Wien gewesen, der ihm offen und ohne Vorurteile entgegentrat. Bereits vor seinem Unfall vor zehn Jahren verband die beiden Männer eine enge Freundschaft, die bis heute an Tiefe gewonnen hatte.
Oft genug stand Otto Zóltan zur Seite, wenn man ihn abfällig oder gar bösartig angegangen war. Ohne die Unterstützung seines Freundes würde Zóltan sein Quartier wohl kaum noch verlassen.
„Wir müssen uns ernsthaft unterhalten, mein Lieber.“
Eindringlich sah Otto seinen Vorgesetzten an, der seinen Blick nur fragend erwiderte.
„Worum geht es?“
Genervt verdrehte Graf Sándor die Augen.
„Um deine Liebschaft mit der Gräfin von Hunyady. Alle Welt redet darüber und ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn unserer Kaiserin die Gerüchte zu Ohren kommen. Musstest du unbedingt ihre beste Freundin und Vertraute in dein Bett holen?“
Einen Moment überlegte Zóltan, dann lachte er hintergründig.
„Aber das habe ich keineswegs getan.“
Otto wollte schon aufatmen, als er das Blitzen in den Augen des Freundes bemerkte.
„Es ist ihr Bett, in dem wir uns vergnügen“, fügte Zóltan leise hinzu.
Er bückte sich zu seinem Putzkasten, um sich weiter um seinen Hengst zu kümmern, doch Otto hielt ihn am Arm zurück.
„Mensch Zóltan, sei kein Idiot. Diese Liebschaft ist es nicht wert, im Kerker zu landen.“
Das war ihm klar, keine Frau der Welt war es wert sich einsperren zu lassen, allerdings hatte er Lilly wohl kaum mit Gewalt genommen.
„Es war und ist ihre Entscheidung, außerdem weiß niemand etwas Genaues! Die Leute reden, weil ihnen langweilig ist. Darüber hinaus muss es doch was geben, was ich verbrochen habe, so wie ich aussehe.“
Jetzt schwang die Bitterkeit in seiner Stimme mit.
In der Tat wurde er zu oft nach seinem vernarbten Gesicht und seinem hinkenden Gang beurteilt.
Otto seufzte leise, gerne hätte er den Freund zur Vernunft gebracht, aber er kannte ihn gut genug. Im Moment konnte er kaum etwas anderes tun, als ihn eindringlich zu warnen. Zóltan liebte das Spiel mit dem Feuer zu sehr, darüber hinaus hing er nicht so sonderlich an seinem Leben.
„Du solltest deinen Hengst vorbereiten, das Morgentraining fängt in gut fünfzehn Minuten an. Glaub nicht, dass ich ein Auge zudrücke, nur weil wir befreundet sind“, rief ihm sein Vorgesetzter über die Schulter zu.
In dem Punkt waren sie sich einig, Arbeit und Freundschaft wurden getrennt, denn immerhin war Otto der Untergebene. Ohne Neid gestand er sich ein, dass er seinem Freund, was den Reitsport anging, kaum das Wasser reichen konnte.
Kurz darauf trafen sich die Bereiter, Bereiter-Anwärter und die Stallmeister in der großen, luftigen Halle zum Morgentraining, bei der Zóltan die Führung übernahm.
Wie jeden Morgen gab es eine Menge Zuschauer, die die Darbietungen der Reiter genossen. Unter den vielen Menschen erkannte Zóltan auch Lilly, die ihm verstohlen zuwinkte, was er geflissentlich ignorierte.
Auf gar keinen Fall wollte er die Gerüchteküche noch anheizen, außerdem verlangten die morgendlichen Übungen seine komplette Aufmerksamkeit.
Gerade als er das Training für beendet erklärte, wurde er von einem Boten an den Rand gewunken.
Missmutig ritt er zum Tor, dabei bemühte er sich kaum, ein wenig freundlicher zu schauen.
Wie erwartet, wich der Mann einen Schritt zurück, ehe er sich fing.
„Ihre Majestät Kaiserin Elisabeth bittet Sie in ihren Salon.“
Einen Moment dachte Zóltan, dass er sich verhört hätte, denn jeder wusste, dass er zu dieser Stunde in der Reithalle unabkömmlich war. Außerdem schickte es sich gewiss nicht, verdreckt und staubig vor seine Souveränin zu treten.
„Richtet ihrer kaiserlichen Hoheit aus, dass ich ihrem Wunsch nachkomme, sobald ich meinen Hengst versorgt und mich gewaschen habe.“
Damit wollte er den jungen, verschreckten Mann stehen lassen, doch der hob schnell eine Hand.
„Es tut mir leid, aber mir wurde aufgetragen, Euch sofort zu ihr zu bringen. Bitte, folgt mir.“
Den Befehl seiner Kaiserin missachtete man nicht, auch wenn man ein paar Privilegien besaß! Daher stieg Zóltan ab, rief einen Stallburschen herbei, dem er unwillig seinen Hengst anvertraute.
„Führ ihn herum, bis Graf Sándor Zeit für ihn hat.“
Mit den Augen suchte er den Freund, der ihm bereits signalisierte, dass er sich um Maestoso kümmern würde.
Jeder wusste, dass der Rittmeister die Halle normalerweise als Letzter verließ, genau, wie er sich immer um sein Pferd kümmerte.
Gemeinsam mit dem Bediensteten ging Zóltan zu den Empfangszimmern der Kaiserin, dabei beschlich ihn ein sehr ungutes Gefühl.
Auf dem Weg durch die Hofburg versuchte er den Staub von den Kleidern zu klopfen, allerdings sah man ihm zu deutlich an, dass er gerade aus einer Reithalle kam.
Der Diener klopfte, öffnete die Tür, nachdem man ihm geantwortet hatte, und ließ den Besucher herein.
„Eure Majestät!“
Ein wenig schwerfällig kniete er sich vor die Kaiserin, wartete, bis sie sich näherte, ehe er sich wagte, den Blick zu heben.
„Graf Báthory, ich habe etwas Wichtiges mit Euch zu besprechen. Erhebt Euch und setzt Euch zu mir.“
Da sie bei ihren Worten auf eine kleine Sitzgruppe deutete, atmete Zóltan auf, denn wäre Elisabeth wirklich böse gewesen, hätte sie ihn knien gelassen.
Ohne eine Miene zu verziehen, erhob er sich, gleichzeitig unterdrückte er ein missmutiges Seufzen. Sein Bein machte ihm zu schaffen, besonders, wenn man ihn zwang sich hinzuknien.
„Graf, mir sind äußerst ärgerliche Gerüchte zu Ohren gekommen. Man trug mir zu, dass Ihr regelmäßig meine Hofdame Gräfin von Hunyady verführt.“
Abwartend sah Elisabeth ihren Untertanen an, dabei musterte sie ihn nachdenklich.
Zóltan hielt es für klüger, im Moment nichts zu sagen. Es konnte fatale Folgen nach sich ziehen, seine Souveränin anzulügen, aber die Wahrheit würde ihm in dem Fall unter Umständen genauso schaden.
„Caroline hat mir ihr Leid geklagt. Sie findet euch amüsant, allerdings belasten die Gerüchte ihren guten Ruf. Daher habe ich beschlossen, dass Ihr Therese Zeillern, Gräfin von Starhemberg heiratet. Ein Bote ist bereits zu ihrem Vater unterwegs, um dem Grafen meinen Wunsch mitzuteilen.“
Einen Augenblick war Zóltan versucht aufzulachen, doch dann sah er, dass Elisabeth absolut keine Scherze mit ihm trieb!
„Bitte, Eure Majestät! Schaut mich an. Das Küken ist gerade erst volljährig geworden. Sie wird mit meinem Anblick keinesfalls zurechtkommen. Ihr wollt das Kind bestimmt nicht ins Unglück stürzen.“
Ihm war bekannt, dass Therese von Starhemberg zur direkten Verwandtschaft der Kaiserin gehörte. Natürlich stellte diese Ehe eine große Ehre für ihn dar, allerdings konnte er sich kaum vorstellen, dass die junge Frau, der er vor gut fünf Jahren mal begegnet war, sich an ihn gewöhnen würde!
„Glaubt Ihr, dass ich jedem dahergelaufenen Adeligen meine Großcousine zur Ehefrau gebe? Therese ist bestens erzogen, eine wahre Augenweide und ich hoffe, dass sie es schafft, Euch ein wenig Umgänglichkeit beizubringen.“
Versöhnlich lächelte Elisabeth ihren Gesprächspartner an.
„Habt Ihr an meinem Benehmen etwas auszusetzen, Eure Majestät?“
Jetzt hielt Zóltan die Luft an, denn auch er war in den Genuss erstklassiger Lehrer gekommen.
„Nein, Ihr versteht mich falsch, Graf. Aber ich weiß, dass es viele hier am Hof gibt, die einfach Angst vor Euch haben. Es scheint, dass Ihr kaum in der Lage seid, die Vorurteile aus der Welt zu räumen. Mit einer bezaubernden, hübschen Frau an Eurer Seite dürfte es um ein Vielfaches leichter sein.“
Einen Moment überlegte er, wie er den Befehl umgehen konnte. Auf gar keinen Fall wollte er ein junges Mädchen heiraten, die er erst einmal gesehen hatte. Außerdem vermutete er, dass seine Narben Therese abgestoßen würden.
„Ich fühle mich geehrt, aber ich bitte Euch, auch an das arme Kind zu denken. Seht mir ins Gesicht, glaubt Ihr, dass eine so unschuldige Person sich an diesen Anblick gewöhnen wird? Sie wird darüber hinaus die Bösartigkeit der Menschen zu spüren bekommen, nur weil sie an meiner Seite ist. Wollte Ihr das wirklich?“
Mit einem charmanten Lächeln sah er die Kaiserin an, dabei fluchte er innerlich, dass er nur die Augenklappe trug.
„Ihr wagt es, mir zu widersprechen? Graf Báthory, das ist kein Wunsch, sondern ein Befehl. Heute Abend erwarte ich Euch zu meinem Bankett und Morgen werdet Ihr Euch nach Schloss Zeillern aufmachen, um Eure Braut kennenzulernen.“
Elisabeth stand auf und hielt ihm die Hand hin, damit er einen Handkuss andeuten konnte, ehe er den Raum verließ.
Seufzend folgte Zóltan der Aufforderung, obwohl er davon überzeugt war, dass weder ihm noch der unerfahrenen Gräfin ein Gefallen getan wurde. Darüber hinaus musste er seine Wut verstecken, denn ihm war klar, dass Lilly ihm das antat! Er wusste nur nicht, warum sie diese Intrige spann. Hoffte sie, dass er ihr mehr Zugeständnisse machte, sobald er unglücklich verheiratet war? Oder glaubte sie wirklich, dass die Gerüchte verstummten, nur weil ein unschuldiges Mädchen gezwungen wurde, das Ungeheuer von Ungarn zu heiraten?
So schnell er es schaffte, verließ er die Gemächer der Kaiserin, vergewisserte sich, dass man seinen Hengst gut versorgt hatte, ehe er sich in sein Stadthaus zurückzog. Erst hier ließ er seiner schlechten Laune freien Lauf.
Er sollte so ein Küken ehelichen! Ein halbes Kind, das siebzehn Jahre jünger war und keine Ahnung hatte, was genau da auf sie zukam!
Natürlich konnte er sich weigern, doch in dem Fall zog er sich lieber augenblicklich auf eins seiner Schlösser in Ungarn zurück, denn wenn Elisabeth etwas verabscheute, dann war es Ungehorsam.
Tibor hörte ihn schon, als er die Tür zuschlug, sodass er sofort zu ihm eilte, um ihm aus den Stiefeln zu helfen.
„Ich soll heiraten. Stell dir das vor. Ich! Das Ungeheuer von Ungarn!“
Zóltan schrie es fast heraus, so sehr ärgerte ihn dieser Befehl.
„Ihr habt das richtige Alter, das passende Vermögen und seid ein Mann, der langsam an Nachkommen denken sollte. Ich sehe das Problem nicht.“
Ruhig hielt der ältere Diener dem zornigen Blick seines Dienstherren stand.
„Die Frau, wenn man sie so nennen will, ist gerade erst großjährig geworden. Sie weiß wahrscheinlich nicht mal, wer ich bin. Außerdem schau mir ins Gesicht und sag mir, dass sie sich darauf freut.“
Ohne nachzudenken, riss er sich die Augenklappe vom Kopf, während er den Kammerdiener bösartig anstarrte.
Auch jetzt zuckte Tibor lediglich mit den Schultern, da er seinen Herrn oft genug so gesehen hatte.
„Das ist in der Tat ein unerfreulicher Anblick, allerdings ändert er keineswegs etwas an Eurem Wesen. Wie Ihr wisst, kenne ich Euch seit Eurer Geburt, sodass ich mir einbilde, Euch einschätzen zu können.“
Einen Moment musterte der Diener den Grafen, dann seufzte er leise. Sein Herr tat so, als ob diese Narben von ihm verschuldet seien.
„Die Dame kann froh sein, einen treuen, liebevollen, reichen und fürsorglichen Mann zu bekommen. Ich weiß, dass Ihr alles tun werdet, um sie glücklich zu machen. Außerdem hat bisher noch jede Frau ihr Vergnügen in Eurem Bett gefunden, wenn ich das so offen sagen darf.“
Warnend sah Zóltan seinen Kammerdiener an.
„Nur, weil du von meiner Neigung weißt, solltest du aufpassen, was du sagst.“
Seine Stimmung war bei Weitem nicht mehr so düster und zornig, wie er tat, denn Tibor hatte recht. Im Grunde war er genauso, wie der Diener ihn beschrieb, darüber hinaus lag ihm das Wohl der Dame am Herzen, der er sich gerade widmete. Seinen Sadismus lebte er aus, wenn es passte, aber auch hier achtete er darauf, dass seine Gespielin auf ihre Kosten kam.
Lilly war erst nach einiger Zeit auf diese besondere Art der Liebe eingegangen, doch jetzt gierte sie förmlich nach einem glühenden, roten Hintern.
Den restlichen Tag verbrachte Zóltan zum Teil im Stall, zum Teil in seiner Wohnung, so wie es seine Aufgaben verlangten. Außerdem nahm er sich fest vor, am Abend ein ernstes Wörtchen mit seiner Geliebten zu sprechen!

~~°~~

Zóltan betrat als einer der letzten Gäste den Saal, dabei ärgerte er sich ein wenig, weil er nicht mal nach dem Anlass gefragt hatte. Natürlich trug er seine Uniform, die ihn als Oberst der kaiserlichen Husaren auswies. Die Empire-Uniform des Oberstallmeisters gehörte zur Spanischen Hofreitschule, sodass sie hier unpassend gewesen wäre.
„Wie schön, dass Ihr endlich da seid, Graf Báthory, dann können wir ja beginnen.“
Die Kaiserin lächelte ihm hoheitsvoll zu, als er an ihre rechte Seite geführt wurde. Eine Ehre, mit der er kaum gerechnet hatte. Seine Tischdame war eine ältere Baronin, die auch zu den Gesellschafterinnen Elisabeths gehörte.
Höflich begrüßte er sie, nickte den restlichen Gästen in seiner Nähe zu, ehe er sich setzte.
Gespannt wartete er darauf, dass die Ansprache gehalten wurde, denn dann erfuhr er erst den Anlass.
„Meine Lieben ich freue mich, dass ihr so zahlreich erschienen seid, um die Verlobung unseres Freundes Graf Báthory zu feiern. Ich darf mitteilen, dass unser geschätzter Oberstallmeister sich in Kürze mit meiner Großcousine Therese von Starhemberg verheiraten wird.“
Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck hob Elisabeth ihr Glas, um dem verdutzten Zóltan zuzuprosten, der nur mühsam einen zornigen Blick unterdrückte.
Mit einem gezwungenen Lächeln erwiderte er den Gruß der Kaiserin, ehe er die Glückwünsche der versammelten Gäste entgegennahm, dabei entging ihm keinesfalls das hinterhältige Grinsen seiner Geliebten.
Das Essen wurde aufgetragen und die adeligen Herrschaften unterhielten sich über die neuste Mode, die Nachrichten über einen Massenmörder oder über die letzte Aufführung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“.
Die Gespräche zogen nur so an Zóltan vorbei, ihn interessierte es kaum, welche Farbe gerade angesagt war, wenn es um die neuen Kleider der Damen ging. Genauso wenig beteiligte er sich an den Spekulationen darüber, wer dieser Mörder in England war, den alle nur Jack the Ripper nannten.
Er fragte sich nur, warum Caroline so versessen darauf war, ihn zu verheiraten, deshalb sehnte er das Ende des Essens herbei, damit er mit ihr sprechen konnte.
Endlich hob die Kaiserin die Tafel auf und lud ihre Gäste ein, sich im großen Salon bei einem Kaffee, Tee oder einem Brandy zu entspannen.
„Ich bin sicher, Ihr werdet von Therese begeistert sein, Graf Báthory. Ich habe sie erst vor zwei Jahren gesehen und kann sagen, dass sie bildhübsch ist.“
Elisabeth legte eine Hand auf den Unterarm ihres Untertanen, der sie nur gequält anlächelte. So ließ sie sich von ihm in den nächsten Raum begleiten, dabei plauderte sie weiter über die Vorteile seiner zukünftigen Ehefrau.
Der Abend ging seinen gewohnten Gang, im Hintergrund saß ein kleines Orchester, das hauptsächlich Werke von Mozart zum Besten gab. Diener liefen mit Tabletts voller Getränke herum, während die Gäste sich angeregt unterhielten.
Endlich sah Zóltan, dass Lilly sich bei ihren Gesprächspartnern entschuldigte und eilig auf die Tür zustrebte. Das war seine Chance! So schnell er es schaffte, ohne auffällig zu wirken, folgte er ihr.
Im Flur sah er sich kurz um, ehe er sie hart am Arm packte, doch sie grinste ihm bereits auffordernd zu.
„Ich wusste, dass du darauf brennst, zu mir zu kommen.“
So viel Frechheit verschlug ihm fast den Atem, aber er verstärkte lediglich den Griff um ihren Oberarm.
„Was sollte das? Wieso hast du der Kaiserin erzählt, dass man über uns tratscht?“
Wütend starrte er sie mit seinem gesunden Augen an, während das andere von einer weißen Maske verdeckt wurde, die in dem dämmrigen Licht des Flurs unheimlich leuchtete.
„Ach komm schon, Zóltan! Wenn du erst mal verheiratet bist, wird sich kaum noch einer darum scheren, was du machst. Die Gerüchte werden immer lauter und ich habe keine Lust, zu warten bis Sissi mich vom Hof verstößt, weil sie hinter unsere Affäre kommt. Außerdem wirst du dich nicht so schnell bei mir verabschieden, sobald du eine säuerliche Jungfrau im Bett hast. Im Gegenteil du lernst eine erfahrene Geliebte bestimmt zu schätzen, da du dann ständig Rücksicht auf deine zerbrechliche, junge Ehefrau nehmen musst.“
Mit einem hämischen Lächeln musterte sie ihn.
„Du vergisst nur eine Tatsache: Ich bin treu. Sollte man mich wirklich zwingen Therese zu heiraten, werde ich sie keinesfalls noch betrügen. Sie wird so schon genug unter Leuten wie dir zu leiden haben. Im Falle einer Hochzeit wirst du dir einen anderen suchen müssen, der dir den Hintern haut.“
Fast angewidert ließ er sie los, drehte sich um und kehrte in den Salon zurück.
Was bildete sich dieses Weibsbild eigentlich ein? Glaubte sie ernsthaft, dass er ein Heiratsversprechen so auf die leichte Schulter nahm, wie sie es offensichtlich erwartete? Oder hoffte sie, dass er wie ein verzweifelter Jüngling zu ihr gerannt kam, um Erleichterung zu bekommen? Da konnte sie lange warten!
Kurz nach der unerfreulichen Unterredung verabschiedete sich der Graf, da er ja am kommenden Morgen zeitig aufbrechen wollte.

Kapitel 2

 

Kapitel 2

„Therese, weißt du schon, wer zu uns kommt?“
Völlig außer Atem rannte Vroni, die Tochter des Stallknechtes, auf ihre Freundin zu.
„Beruhige dich, aber vor allem schrei nicht so. Was ist denn so aufregend?“
Lachend drehte die junge Gräfin sich um, doch sofort beschlich sie ein ungutes Gefühl, als sie die angstvoll aufgerissenen Augen der Dienerin sah.
Gerade als Vroni sich ihr anvertrauen wollte, kamen auch ihre anderen Gefährtinnen Adelheid und Katharina auf sie zugelaufen.
„Hast du es ihr schon erzählt?“
Adelheid sah die kleine Gruppe genauso furchtsam an.
Vroni schüttelte schnell den Kopf, aber ihr Blick warnte die Freundinnen, dass sie ihr nicht in die Parade fahren sollten.
„Was ist eigentlich los? Wer kommt uns besuchen und warum seid ihr so ängstlich?“
Skeptisch musterte sie die jungen Frauen, die sich offensichtlich vor irgendetwas fürchteten, gleichzeitig bemerkte sie, dass die Mädchen sie teilweise mitleidig betrachteten.
„Oberst Zóltan Andrasch Graf Báthory wurde gerade angekündigt. Er wird morgen hier auf Schloss Zeillern eintreffen.“
Vroni machte eine theatralische Pause, aber der erwartete Einwand kam nicht, stattdessen sah Therese sie fragend an.
„Und? Was ist an diesem Herrn so besonders, dass ihr euch so aufregt? Wir bekommen immer mal wieder hohen Besuch, was daran liegt, dass wir direkt mit Kaiserin Elisabeth verwandt sind.“
Verständnislos blickte Therese von einer zur anderen. Sie konnte nicht verstehen, was ihre Vertrauten so in Panik versetzt hatte.
„Aber Reserl, er ist der Nachfahre der Blutgräfin! Außerdem erzählt man sich, dass er fürchterlich entstellt ist. Sein Gesicht ist völlig vernarbt, sein Bein ist steif und ihm fehlt ein Auge.“
Adelheid flüsterte ihr diese Details zu, dabei sah sie, dass ihre Freundin sich zusammennehmen musste.
„Wer sagt das?“
Therese dämpfte jetzt auch ihre Stimme. Man hörte deutlich ihre Angst, zumal sie sich ein Stück vom Schloss entfernt hatten, außerdem dämmerte es bereits.
Die Geschichte von Elisabeth Báthory, der Blutgräfin, kannte jeder hier. Darüber hinaus wurde gemunkelt, dass sie im Blut ihrer Opfer gebadet hatte, um jung zu bleiben. Der Legende nach schlachtete sie kleine Kinder ab und kehrte später nach dem sie gestorben war, als Vampir zurück.
„Der Sohn vom Verwalter hat gehört, wie dein Vater den Boten der Kaiserin empfangen hat.“
„Das mit dem Besuch ist ja in Ordnung. Aber wer hat gesagt, dass dieser Mann so grauenhaft aussieht?“
Unruhig musterte Therese die Mädchen, die sie umgaben, seit sie denken konnte. Sie stellten ihre Freundinnen, ihre Vertrauten dar, obwohl es sich bei ihnen um einfache Bürgerliche handelte.
„Jeder weiß, dass er bei einem Kutschenunfall beinahe ums Leben gekommen wäre. Danach kämpften etliche Ärzte darum, dass er überlebte, nur die Narben blieben. Wahrscheinlich ist es eine Strafe von Gott, weil er sich an schwarzen Messen beteiligt hat. Außerdem munkelt man, dass er Spaß daran findet, Frauen an ihren Brüsten aufzuhängen und fürchterlich auszupeitschen.“
Vroni schüttelte sich leicht bei ihrer Erzählung. Die Gerüchte, die sich um die Familie Báthory rankten, vermehrten sich von Jahr zu Jahr.
„Aber was will er denn hier?“
Erneut musterten ihre Freundinnen sie so seltsam mitleidig, dass Therese eine ganz böse Ahnung beschlich!
Ehe ihr jemand antworten konnte, hörte sie den Grafen nach ihr rufen.
Schnell drehte sie sich um und rannte zum Schloss zurück, wo sie bereits erwartet wurde.
„Wo treibst du dich nur wieder herum? Kind, so wirst du deinen Ruf, eine Wilde zu sein, nie los!“, tadelte ihr Vater sie, dabei sah er sie allerdings so liebevoll an, dass der Rüffel die Schärfe verlor.
„Ich bin ein wenig mit meinen Freundinnen spazieren gegangen, Vater. Aber was ist denn passiert? Das ganze Schloss scheint in Aufruhr zu sein.“
Fragend sah sie den alten Mann an, der einen Arm um sie legte.
„Es hat sich hoher Besuch angekündigt“, begann er mit einem Lächeln.
„Ja, ich weiß. Graf Báthory, der Urahn der Blutgräfin. Doch was ist so Besonderes an ihm? Selbst als der Kaiser erwartet wurde, waren die Leute nicht so aufgeregt.“
Bedächtig führte Alois seine Tochter in die Wohnstube, wo auch ihre Schwestern, ihr jüngster Bruder und ihre Mutter auf sie warteten.
Folgsam setzte Therese sich, als ihr Vater auf einen Stuhl deutete.
„Ich habe euch hergebeten, weil es großartige Neuigkeiten gibt. Die Kaiserin hat einen Ehemann für unsere Reserl gefunden. Er wird morgen bei uns eintreffen. Wie ihr wisst, sind die Geschäfte in der letzten Zeit sehr schlecht gelaufen, sodass ich keine große Mitgift beisteuern kann.“
Der Rest dieser Ansprache ging in dem lauten Rauschen unter, das jetzt in Thereses Ohren einsetzte.
Sie sollte den Grafen ehelichen? Einen Mann, der aussah wie ein Monster und darüber hinaus mit einer Frau verwandt war, der man nachsagte, eine Vampirin zu sein?
Fassungslos schüttelte sie den Kopf, versuchte zu widersprechen, aber sie bekam keinen Ton heraus. Angst lähmte sie. Sie wollte das nicht!
„Stopp! Ich werde dieses Ungeheuer keinesfalls heiraten.“
Mit einem Schrei presste sie die Widerworte hervor, fast gleichzeitig wurde alles schwarz um sie herum.

~~°~~

Als sie wieder aufwachte, lag sie in ihrem Bett und schaute direkt in das besorgte Gesicht ihrer Mutter.
„Bitte, sag mir, dass ich den Mann ablehnen darf“, flüsterte sie mit Tränen in den Augen.
„Kind, nimm dich zusammen. Es ist eine so große Ehre, denn Oberst Báthory ist ein guter Bekannter der Kaiserin. Er ist Oberstallmeister der Spanischen Hofreitschule. Stell dir vor, du wirst am kaiserlichen Hof ein- und ausgehen. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass unsere Souveränin dich niemals in seine Hand geben würde, wenn er so ein Ungeheuer wäre, wie man sagt.“
Beruhigend strich die Gräfin ihrer Tochter über die Wange, gleichzeitig versuchte sie, ihre eigene Angst aus der Stimme zu halten.
In der Tat gab es einige Gerüchte über den Mann, die ihr Sorgen bereiteten, dabei ging es kaum um das lächerliche Gerede über Vampire!
„Ich will das nicht. Mama bitte hilf mir“, flehte Therese, aber ihre Mutter schüttelte nur leicht den Kopf.
„Es ist ein Befehl unserer Souveränin. Außerdem ist Oberst Báthory bereits auf dem Weg hierher. Der Bote hatte lediglich einen Tag Vorsprung. Ich erwarte von dir, dass du Haltung bewahrst. Immerhin bist du aus dem Hause Wittelsbach. Wir besitzen Stolz! Kaiserin Elisabeth hat sich bestimmt etwas dabei gedacht, da wir in direkter Verwandtschaft zu ihr stehen.“
Mit diesen harten Worten stand die Gräfin auf, streckte sich und verließ den Raum, allerdings mehr, weil sie kaum in der Lage war, ihre eigenen Ängste zu unterdrücken. Graf Báthory war alles andere, als jemand dem sie ihr Kind anvertrauen wollte, aber auch ihr fiel keine rettende Lösung ein.
Therese weinte sich in den Schlaf, nachdem sie verzweifelt überlegt hatte, wie sie ihrem Schicksal entkommen könnte. Auf gar keinen Fall würde sie einen Mann heiraten, der ihr die Hölle auf Erden breitete!

~~°~~

In der Nacht träumte Therese von einem Ungeheuer, das sie lachend verschlang. Immer wieder rannte sie davon, aber es tauchte stets direkt vor ihrer Nase auf. Mit einer verzehrten Stimme raunte es ihr zu, dass sie niemals entkommen könne.
Endlich wachte sie schweißgebadet von ihrem eigenen Schrei auf. Verwirrt sah sie sich in ihrem Zimmer um, das sie voraussichtlich bald verlassen musste. Hilfe von ihren Eltern oder Geschwistern durfte sie kaum erwarten, daher überlegte sie fieberhaft, wie sie diesem grausamen Schicksal entgehen könnte.
Eine Möglichkeit wäre sich vorher entehren zu lassen, aber woher sollte sie einen Mann nehmen, der sie bis zum Eintreffen des Grafen Báthory zu sich ins Bett nahm? Außerdem traute sie sich keinesfalls, ihrer Familie solche Schande zu bereiten.
Der Gedanke an Flucht kam ihr, allerdings gab es keinen Ort, an dem sie Zuflucht fand und sich auf eigene Faust durchschlagen? Alleine, als Frau, ohne Schutz? Hier auf dem Land kannte man sie, sodass man sie zu schnell einfangen würde.
Immer wieder überlegte sie, ob es nicht doch eine Lösung gab, bis sie zu dem Schluss kam, dass sie wohl erst einmal abwarten musste.
Zitternd rieb sie sich über die bloßen Arme, denn der Angstschweiß war getrocknet und sorgte dafür, dass sie fürchterlich fror.
Eine junge Dienerin kam ins Zimmer.
„Das Bad steht für Sie bereit, Herrin.“
Mit einem aufmunternden Lächeln deutete sie einen Knicks an, ehe sie das Schlafzimmer wieder verließ.
Das gesamte Schloss sprach über das grausame Schicksal, das Therese an der Seite des Ungeheuers erwartete. Genau aus diesem Grund würde man ihr die letzten Stunden in ihrem Zuhause so angenehm wie möglich gestalten.
Seufzend stand Therese auf, streckte sich, ehe sie sich in einen Morgenmantel hüllte, um in das Badezimmer zu gehen, wo die Badewanne für sie bereitstand.
Therese streifte ihre Kleider ab und ließ sich ins heiße Wasser sinken, dabei seufzte sie leise auf. Sie war unendlich dankbar dafür, dass ihr Vater diesen Raum hatte einrichten lassen, obwohl die finanziellen Mittel in dem Zweig der Familie Starhemberg mehr als besorgniserregend aussahen.
Für einen Moment schloss Reserl die Augen, ihren Kopf lehnte sie an den Wannenrand, um ein wenig zu entspannen.
Das Bad duftete nach Rosenblüten, was an dem Badezusatz lag, den die Dienerin zugefügt hatte. Der Duft beruhigte sie etwas, sodass sie die Gedanken an das Ungeheuer von Ungarn zur Seite schieben konnte.
Erst als es im Gebäude unruhig wurde, wusch sie sich mit einem Waschlappen ab, ehe sie sich um ihre langen, blonden Haare kümmerte. Anschließend kletterte sie aus der Wanne, hüllte sich in ein großes Tuch und beendete ihre Morgentoilette, dabei wurde ihr wieder bewusst, dass dieser Aufwand nur dem angekündigten Besuch geschuldet war.
Normalerweise badeten sie nur am Sonntag und auch das war schon Luxus pur, aber heute erwartete die Familie, dass sie sich von ihrer besten Seite zeigte!
Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Was, wenn sie sich so ungebührlich benahm, dass der Graf die Flucht ergriff? Einen Moment überlegte sie, ob das wirklich eine Lösung war, doch dann schob sie die Überlegungen schnell von sich.
Obwohl ihr der Ruf nachhing, dass sie eine kleine Wilde sei, brachte sie keinesfalls den Mut auf, gegen ihre Erziehung zu rebellieren.
Seufzend streifte sie den Morgenmantel wieder über, ging in ihr Zimmer zurück, um sich anzuziehen.
In ihrem Kleiderschrank befanden sich ein paar Alltagskleider, die für den besonderen Anlass kaum infrage kamen, aber ihre Festtagsgewänder saßen extrem eng. Geld für neue Kleider gab es leider nicht.
Noch einmal holte sie tief Luft, dann entschied sie sich für ein gelbes Kleid mit einem weiten Rock, dessen Taille eng geschnürt wurde. Orangefarbene Rosen prangten auf dem hellen Stoff, der sie jünger aussehen ließ, als sie war.
Ihre Zofe erschien, um ihr die Haare aufzustecken, denn an diesem Tag bemühte man sich, um dem Grafen zu gefallen, obwohl er nicht mal angekommen war.
„Mach nicht so ein Gesicht, Therese. Gerüchte sind meistens übertrieben. Drüber hinaus ist er reich. Du wirst alles bekommen, was dein Herz begehrt.“
Margot versuchte sie aufzuheitern, allerdings sagte die Miene ihrer Herrin deutlich, dass der Versuch missglückte.
„Ja, ich werde alles besitzen, nur keine Liebe. Außerdem habe ich schreckliche Angst“, gab Reserl leise zu.
In einem Anflug von Mitleid legte die ältere Kammerdienerin ihre Arme um sie.
„Die Kaiserin wird dich kaum mit einem schlechten Mann verheiraten.“
An diesen Gedanken klammerte Therese sich auch, denn sonst würde sie vor dem Grafen auf die Knie sinken, um ihn um Gnade anzuflehen.
„Deine Mutter hat mir vorhin mitgeteilt, dass ich dich begleiten werde. Ich sehe Wien zum ersten Mal und bin fürchterlich aufgeregt.“
Schnell plapperte die Frau weiter, da sie sah, wie blass ihre Herrin wurde. Vielleicht schaffte sie es, Resi ein wenig abzulenken.
„Dann müssen wir beide stark sein.“
Den Rest des Tages verbrachte Therese in einem Zustand, der zwischen Panik und Fluchtgedanken wechselte. Keiner wusste so genau, wann Graf Báthory auf Schloss Zeillern ankam.

 

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Tag der Veröffentlichung: 27.08.2018

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