Kapitel 1
Anne-Sophie packte missmutig ihren Koffer. Sie hasste es, wieder ins Internat nach Saint-Germain-en-Laye zu müssen, aber sie stand kurz vor dem Abitur und ihre Eltern bestanden darauf.
Sehnsüchtig strich sie noch einmal über die Petticoats und die Korsagen, die in ihrem Schrank hingen. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie daran dachte, wie unschicklich ihre Mutter diese Kleidung fand. Allerdings ging sie als Pariserin natürlich mit der neusten Mode, das war etwas, was sie sich nicht nehmen ließ.
Da sie eine direkte Nachfahrin des Grafen von Berry war, hatte sie selbstverständlich besondere Verpflichtungen. Obwohl der Adel schon seit etlichen Jahren keine wirkliche Rolle mehr in der Gesellschaft spielte, lebten die meisten Adeligen in Paris immer noch nach ihren eigenen Regeln. Nach außen sah alles ganz normal aus, aber Anne-Sophie wusste, dass sie die beste Erziehung genoss, allerdings würden ihre Eltern ihr einen Mann aussuchen. Natürlich aus ihren Kreisen, etwas anderes war kaum denkbar!
Noch einmal ließ sie ihren Blick durch ihr Zimmer schweifen. Es gab ein Sideboard mit den typischen schmalen Beinen, in dem sie ihre Schallplatten, ihre Bücher sowie ein paar Stifte aufbewahrte. Außerdem gab es drei Cocktail-Sessel, einen Nierentisch und einen einfachen Kleiderschrank.
„Man sollte nicht meinen, dass wir schon in den 50igern sind“, schimpfte sie vor sich hin.
Viel einpacken musste sie sowieso nicht, da im Internat nur die Schuluniform getragen werden durfte.
Seufzend schloss sie ihren Schrank, in dem außer den Petticoats einige sehr exklusive und teure Cocktailkleider von Dior hingen. Es würde jetzt noch ein halbes Jahr dauern, dann konnte sie entweder studieren, heiraten oder beides zusammen.
Glücklicherweise hatte sie keine Probleme in der Schule. Im Gegenteil, sie kam gut mit, daher hatte sie ausgezeichnete Noten.
In ihre Gedanken hinein ließ ihr Vater nach ihr schicken. Es wurde Zeit sich auf den Weg zu machen!
Sie verabschiedete sich von ihrer Familie und der Butler hielt ihr die Tür des Citroën Traction Avant auf. Ihr Vater Rainer du Berry war stolz darauf, dieses Auto zu besitzen. Ein Statussymbol, von dem einige seiner Bekannten träumten. Überhaupt einen eigenen Wagen zu fahren, war Luxus, den sich die meisten Bürger von Paris kaum leisten konnten.
Ihr Leibwächter, Vertrauter und bester Freund Jean lächelte ihr zu. Er begleitete sie ins Internat. Manchmal fungierte er als Chauffeur, wenn Peter, der jetzt den Motor startete, freihatte.
Langsam rollten sie durch die Straßen des Stadtviertels Marais. Sie fuhren am Place des Vosges vorbei, den sie schon als Kind geliebt hatte. Sophie sah verträumt auf den bemerkenswerten Springbrunnen, anschließend bewunderte sie die prächtigen Bauten, die den fast quadratischen Platz umsäumten.
Kurz darauf passierten sie das Museum Carnavalet. Auch hier war sie bereits etliche Male gewesen, daher erkannte sie das große Portal, das den Eingang zierte von Weitem. Genau wie das alte Rathaus, welches sie immer wieder begeisterte.
Dieses Gebäude erinnerte an ein prunkvolles Schloss, mit seinen 146 Statuen, den vielen bunten Glasfenstern und den kleinen Türmchen. Aus dem Geschichtsunterricht wusste sie, dass früher eine Guillotine auf dem Rathausplatz stand. Vor der Französischen Revolution verbrannte man hier vermeintliche Hexenmeister, die entweder dem König oder den einflussreichen Nachbarn im Weg waren.
Seufzend lehnte Sophie sich zurück, als sie das Marais verließen. Das Wissen, das ihre Eltern ihr in Kürze einen Ehemann aussuchen würden, lastete enorm auf ihr. Wie gerne hätte sie auf ihren Adelstitel verzichtet, um dafür ein ganz normales Leben zu führen!
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Im Internat begrüßten die Lehrer sie freundlich, doch Sophie hasste die aufdringliche Aufmerksamkeit. Diese Leute behandelten sie nur so, weil ihre Eltern Geld besaßen, was in ihrer Zeit, besonders bei ihresgleichen nur selten vorkam. Natürlich würde sie den Reichtum irgendwann erben. Dazu kamen ihre adelige Vorfahren, die das Benehmen der angeblichen Respektspersonen noch einmal verstärkte.
Sophie, wie sie sich von ihren Freunden nennen ließ, ging, ohne zu grüßen, an den Erziehern vorbei. Ihr war bewusst, dass es eine Frechheit von ihr war, aber sie konnte es sich leisten.
In ihrem Zimmer traf sie auf ihre Leidensgenossinnen. Marie du Mercier, Coralie de Rohan und Manon de Beauchamp, alle drei hatten mächtige Namen und sie litten genau wie Sophie unter ihrer Abstammung, die ihnen die Freiheit nahm.
Seufzend ließ sie ihren Koffer fallen, fast gleichzeitig warf sie sich auf das Bett.
„Na Mädels, was gibt es Neues?“
Erst jetzt bemerkte sie, wie bleich Cora war.
„Cora, stimmt was nicht?“
Besorgt sah sie die Freundin an, dabei konnte sie sich schon denken, was ihr zu schaffen machte.
Der jungen Frau standen die Tränen in den Augen.
„Meine Eltern haben einen Mann für mich bestimmt. Es ist einfach ekelhaft. Ich verabscheue ihn. Es ist der Duc de Lebrun.“
Sophie schluckte. De Lebrun war bekannt für seine sadistische Ader, außerdem war er fast fünfundzwanzig Jahre älter als Coralie.
„Das ist ja schrecklich“, flüsterte Manon, aber eine Handbewegung von Sophie ließ sie verstummen.
„Cora, vielleicht ist er gar nicht so schlimm, wie sein Ruf. Wer weiß, eventuell verliebt ihr euch ja und werdet glücklich.“
Zweifelnd sah die verängstigte Frau ihre Freundin an.
„Während der Ferien habe ich ihn zur Genüge kennengelernt.“
Stumm umarmte Sophie Coralie.
„Wir wollen es erst mal vergessen. Uns bleibt noch ein halbes Jahr, okay?“
Die Mädchen blickten sich an, nickten vorsichtig, denn etwas anderes blieb ihnen kaum übrig.
„Habt ihr den neuen Film mit Jean Gabin gesehen? Wenn es Nacht wird in Paris?“
Marie wechselte das Thema zwar ziemlich abrupt, aber die Ablenkung gelang, da die Freundinnen im nächsten Moment über den angesagten Kinofilm diskutierten.
In einem Punkt waren sie sich einig: Jean Gabin gehörte zu den ansehnlichsten Männern, die Frankreich zu bieten hatte.
„Obwohl keiner so toll aussieht, wie Montgomery Clift. Letzten Sommer in Verdammt in alle Ewigkeit hat er so sexy ausgesehen!“, bemerkte Manon.
Sophie lachte leise, die Aussage war so typisch für ihre Freundin, die seit einem guten Jahr für diesen Schauspieler schwärmte.
„Du kannst ihn ja heiraten, deinen Montgomery, allerdings glaube ich, dass deine Eltern etwas dagegen haben“, neckte Marie sie und warf ein Kissen nach der jungen Frau.
Am Abend gingen sie früh zu Bett, da am kommenden Tag der Endspurt auf das Abitur beginnen würde. Sie hatten immerhin eine Menge zu lernen. Der folgende Morgen begann hektisch, so wie immer, wenn die Schülerinnen nach dem Wochenende ins Internat zurückkehrten.
Lachend liefen sie den Säulengang entlang, bis zu dem gemeinsamen Speisesaal, in dem sie ihr Frühstück einnahmen.
Sophie setzte sich zu ihren Freundinnen, die erneut über den Film mit Jean Gabin diskutierten, dabei überlegte sie, wie es sich anfühlen würde, wenn ihre Eltern ihr einen passenden Ehemann präsentierten. Irgendwie hoffte sie, dass der Krug an ihr vorbeiging.
Der große Raum summte von den vielen Stimmen, bis der Rektor eintrat und um Aufmerksamkeit bat.
Gelangweilt sah Sophie auf den dicken Mann, dessen Haare nur noch an den Schläfen vorhanden waren. Seit sie ihn davon abgehalten hatte, eine Schülerin aus der fünften Klasse zu schlagen, brachte sie keinerlei Respekt mehr für den Kerl auf. Sie verabscheute Gewalt in jeder Form und das Kind war nicht mal frech geworden, sondern hatte nur ein Buch vergessen!
„Mesdames, ich darf Ihnen mitteilen, dass unsere Deutschlehrerin diese Woche ausfällt, da sie krank ist. Die Vertretung übernimmt Madame Chagall. Außerdem möchte ich die Abiturklassen noch einmal darauf hinweisen, dass sie keinen Freifahrtschein besitzen, obwohl sie bereits volljährig sind. Ich dulde kein abendliches Herumstreunen. Haben wir uns verstanden?“
Auffordernd sah der Mann zu Sophie und ihren Gefährtinnen, doch sie zuckte nur gelangweilt mit den Schultern. Sie war Pariserin, daher würde sie sich den Spaß am Leben bestimmt nicht von diesem Miesepeter verderben lassen!
Nach dem Frühstück gingen sie in ihre Klassen, der Alltag hatte sie wieder.
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Die ersten Wochen verflogen so schnell, dass die Freundinnen kaum zum Nachdenken kamen.
Langsam wurde es wärmer, sodass sie ihre freie Zeit lernend im Park des Internats verbrachten. Es gab mehrere Steinbänke, auf denen sich besonders die älteren Schülerinnen ausbreiteten. Der Rasen war gepflegt und wurde von Blumenbeeten unterbrochen. Ein wenig erinnerte es an die großen Gärten von Versailles, aber nur, wenn man ausreichend Fantasie besaß.
Das gesamte Gelände umschloss ein schmiedeeiserner Zaun, der ungebetene Gäste draußen halten sollte. Allerdings waren die Abstände zwischen den einzelnen Stäben weit genug, sodass ein Neugieriger durchaus einen Blick auf die Schülerinnen werfen konnte.
Sophie büffelte gerade Bio-Chemie, als ihre Aufmerksamkeit von einem Mann angezogen wurde, der vor dem Eisenzaun stand, um sie offensichtlich zu beobachten.
Er sah verdammt gut aus. Sie schätzte ihn auf ungefähr 1,80 m. Seine Haut war braun gebrannt, das schwarze Haar kurz gestutzt. Seine Augenfarbe erkannte sie auf diese Entfernung nicht. Sie bemerkte nur den dunklen Schnurrbart, der wie ein Strich über seiner Oberlippe verlief.
Als er jetzt lächelte, sah sie, dass seine weißen Zähne im Sonnenlicht blitzen. Irgendetwas hatte der Besucher an sich, das sie faszinierte. Wie hypnotisiert stand sie auf, um zu ihm zu gehen, aber Manon fragte sie etwas, und als sie sich erneut umdrehte, war er verschwunden.
Enttäuscht widmete Sophie sich ihren Büchern, doch sie schaffte es nicht, diesen Mann aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Immer wieder ertappte sie sich dabei, wie sie von ihm träumte, auch wenn sie ihn auf mindestens Ende zwanzig schätzte. Selbst während der Unterrichtsstunden glitten ihre Gedanken ständig zu der beeindruckenden Erscheinung, obwohl sie ihn nur kurz gesehen hatte!
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„Was hat dieser Kerl nur an sich, dass ich ihn einfach nicht vergessen kann?“, überlegte Sophie nach einer Woche, als sie erneut an den intensiven Blick dachte, mit dem er sie gemustert hatte.
Er hatte sich nicht wieder sehen lassen, trotzdem linste sie ständig zum Zaun rüber.
„Sophie? Träumst du? Du starrst jetzt schon seit fast einer Stunde auf dieselbe Stelle.“
Manon stupste sie vorsichtig an.
Sophies Wangen färbten sich rot, doch sie richtete ihre Aufmerksamkeit nur unwillig auf die Freundin.
„Ich habe nachgedacht.“
Ihre Freundinnen grinsten breit, da alle wussten, dass sie zu einer Notlüge gegriffen hatte.
„Ach so nennt man es jetzt. Möchtest du uns denn gar nicht einweihen?“
Sofort schüttelte die Angesprochene den Kopf und der Rest sah sie enttäuscht an.
„Ich will mir keine falschen Hoffnungen machen. Genauso wenig werde ich euch in meine Hirngespinste hineinziehen. Wir wissen es doch genau: Es gibt keinerlei Alternativen, unsere Eltern entscheiden. Ich wollte es nicht erzählen, aber mein Vater hat mir drei Männer zur Wahl gelassen.“
Die jungen Frauen blickten sie entsetzt an.
„Ja, dabei ist keiner davon auch nur einen Deut besser als dein Verlobter, Cora. Der Erste ist der Duc de Soubise. Er ist 50 Jahre alt und ein perverser Lüstling.“
Marie schluckte.
„Ich kenne ihn. Du darfst ihn auf keinen Fall heiraten, Sophie. Nimm einen der anderen.“
Doch die Angesprochene hob die Hand, um ihr Einhalt zu gebieten.
„Es kommt noch schlimmer. Der Zweite ist der Marquis du Plessis-Beliere. Gut, er ist jung und hübsch, nur hasst er alle Frauen. Er ist brutaler als de Lebrun. Als wir uns in den Ferien trafen, hat er versucht, mich zu vergewaltigen. Ich wehrte mich, er schlug zu ...“
Sophie brach mit Tränen in den Augen ab, sofort legte Manon einen Arm um sie, in dem Versuch sie zu trösten.
Aber sie wollte ihren Freundinnen die ganze Wahrheit erzählen, deshalb straffte sie die Schultern, gleichzeitig schüttelte sie leicht mit dem Kopf.
„Der Dritte ist der Comte de Solignac.“
Jetzt erschraken die Mädchen wirklich. Dieser Mann war brutal, gewissenlos, alt und geizig.
„Meine Eltern geben dem Marquis du Plessis-Bellier den Vorzug. Ich teile ihre Meinung“, sagte Sophie plötzlich.
Sie wischte sich mit einem Taschentuch über die Augen, dabei lächelte sie tapfer.
„Ich bin eine du Berry, deshalb werde ich es ertragen. Ich lasse mir weder meine Würde noch meinen Stolz nehmen. Vielleicht kann ich ja nach außen hin die Stellung einer Ehefrau einnehmen.“
Manon sah sie beeindruckt an.
„Deine Haltung und dein Mut sind beispiellos. Ich wünschte, ich könnte das von mir genauso sagen.“
Die anderen Frauen nickten, während Cora einsah, dass sie einer glücklicheren Zukunft entgegenging, als ihre Freundin.
Der Marquis war ein Teufel: Reich, hübsch, jung, gewissen- und skrupellos. Sophie würde in dieser Ehe nur gehorchen müssen, dabei war sie seiner Brutalität ausgeliefert.
De Lebrun hingegen liebte es Leute zu quälen, aber er konnte auch zärtlich und mitfühlend sein.
„Lasst uns endlich weiterlernen, sonst verschenken wir am Ende noch ein Jahr“, ermahnte Sophie die Freundinnen.
Sie nahm ihr Biologie-Buch, automatisch sah sie zum Zaun.
Dieses Mal stand ER wieder dort. Ihr Herz machte einen Satz, als er sie lächelnd ansah.
Seine Augen zogen sie in ihren Bann, sodass sie in seinem Blick versank, der ihr alles versprach, was sie sich ersehnte.
Jetzt sah sie auch, dass er braune Iriden besaß. In dem Moment schimmerten sie beinahe schwarz. Sie erhob sich, um zu ihm zu gehen, aber ein fast unmerkliches Kopfschütteln ließ sie innehalten.
Verwundert sah sie sich um und bemerkte ihren Chemie-Lehrer, der dicht hinter ihr stand. Sie fluchte innerlich.
Als sie erneut zum Zaun sah, war der Mann verschwunden. Eine unbeschreibliche Leere machte sich in ihr breit. Sie wusste, dass ihr keine Wahl blieb, doch sie wollte wenigstens so viel mitnehmen, wie sie es ging. Sei es nur eine kleine Romanze, ein paar zärtliche Worte oder Berührungen, aber scheinbar, war ihr nicht einmal das vergönnt.
Seufzend widmete sie sich der Genetik, so schaffte sie es, die sehnsüchtigen Gedanken an diesen geheimnisvollen Fremden, bis zum Abendessen zu verdrängen.
Kapitel 2
„Lasst uns heute Abend ins Café Beautreillis gehen. Ich muss unbedingt hier raus“, schlug Coralie vor, die seit dem letzten Gespräch mit ihren Freundinnen wieder ganz die Alte war.
Die anderen Mädchen nickten, also stürmten sie die Duschen, anschließend zogen sie die sogenannte Ausgehuniform an.
Als sie die Treppe herunterkamen, stellte sich die Kunstlehrerin in ihren Weg.
„Mesdames, ich kann es nicht zu lassen, dass Sie ohne Begleitung jetzt noch ausgehen.“
Sophie sah die ältere Frau hochmütig an.
„Sie werden, Madam. Wie Sie wissen habe ich meinen eigenen Leibwächter und Jean wird schon auf uns aufpassen.“
Damit gingen sie an der Lehrerin vorbei, die der kleinen Gruppe empört nachsah.
In der Tat hatte ihr Vater darauf bestanden, dass sie nie ohne einen Personenschutz ausging. Bei dem Reichtum der Familie du Berry war das kaum verwunderlich.
Aber Jean hatte sie noch nie gestört, außerdem verhielt er sich so diskret, dass er nicht mal ihren Eltern etwas erzählte.
Gut gelaunt schlenderten die Freundinnen das Stückchen bis zu dem Café, das eigentlich ein Treffpunkt für junge Leute darstellte. Hier konnten sie ein wenig abschalten, sich von den Vorbereitungen für das Abitur erholen.
Jean flirtete mit Marie, doch Sophie gönnte ihnen die seltenen glücklichen Momente. Coralie diskutierte mit Manon über ein Matheproblem, so war Sophie sich selbst überlassen.
Sie sah sich in dem kleinen Raum um. Ihr Herz machte einen Satz, als ihr Blick zur Tür glitt.
Der Mann mit dem schwarzen Haar und dem sinnlichen Lächeln stand im Türrahmen. Er nickte ihr vorsichtig zu, als er sich an die Theke setzte. Eine ganze Zeit lang ließ er sie nicht aus den Augen, während sie verzweifelt überlegte, wie sie sich ihm unbemerkt nähern könnte. Sie würde sich so gerne einmal mit ihm unterhalten!
Nach ein paar Minuten ergab sich die Gelegenheit, als er den Platz wechselte, um sich dicht an die Musikbox zu setzen.
Langsam und so unauffällig wie möglich ging sie zu dem Gerät.
„Wie schön endlich mit Ihnen sprechen zu können! Sagen Sie mir bitte ihren Namen?“
Sophie lächelte, blieb allerdings distanziert.
„Ich weiß ja auch nicht, mit wem ich das Vergnügen habe. Aber warum wollten Sie mich denn treffen?“
Ihr Gegenüber sah sie verlangend an.
„Sie sind die hübscheste, charmanteste und gleichzeitig natürlichste Frau, der ich bislang begegnet bin. Ich heiße übrigens Maurice de Bourbon.“
Leise lachend schüttelte sie den Kopf.
„Sie hatten bisher nur die Möglichkeit, mich anzusehen, woher wollen Sie wissen, ob ich Ihren Vorstellungen entspreche? Außerdem glaube ich Ihnen kein Wort, da ich die Familie de Bourbon kenne, seit ich denken kann.“
Er erwiderte ihr Lächeln, dabei nahm er vorsichtig ihre Hand.
„Ich habe Sie beobachtet und hoffe, Sie verzeihen mir die Unhöflichkeit. Doch ich werde von Ihnen angezogen, wie eine Motte vom Licht.“
Es entstand eine kurze Pause, in der Sophie überlegte, wie sie mit dem Kompliment und mit der Tatsache umgehen sollte, dass er sie offensichtlich besser kannte, als sie gedacht hatte.
„Meine Leute sind nicht so besonders stolz auf mich, deshalb wird meine Existenz lieber verschwiegen. Aber ich kann Ihnen alles über meine Eltern oder Geschwister erzählen.“
Sophie erinnerte sich dunkel an einen Skandal um ein Mitglied der Familie.
„Haben Sie etwas mit diesem Einbruch von damals zu tun?“
Ohne zu überlegen, platzte sie mit ihrer Vermutung heraus.
Maurice nickte traurig lächelnd.
„Es war eine Mutprobe. Ich sollte nachts in den Louvre einsteigen, ohne den Alarm auszulösen. Dummerweise hatte mich keiner meiner Kameraden vor den neuen Sicherheitsmaßnahmen gewarnt. So bekam ich eine Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten, was meine Familie dazu brachte, mich zu verstoßen.“
Sophie sah ihn fassungslos an. Wie konnten Eltern einen dummen Streich so hart bestrafen?
Seine Stimme riss sie aus ihren Überlegungen.
„Aber lassen wir doch bitte diese alten Geschichten. Mit wem habe ich denn jetzt das Vergnügen?“
Lächelnd schluckte sie ihre Bedenken herunter.
„Marquise Anne-Sophie du Berry. Ich erspare Ihnen sämtliche Beinamen.“
Lachend sah sie ihn an, dabei legte sie den Kopf schief.
„Ich hoffe, Sie nehmen mir meine neugierige Frage nicht übel.“
Sie sah ihn bittend an.
„Aber nicht doch meine Liebe. Ich mag offene Menschen.“
Er lächelte, anschließend sah er sich vorsichtig um.
„Ich denke, ihre Freundinnen vermissen Sie, Madame. Sie sollten sich wieder zu ihnen gesellen.“
Sophie kehrte desillusioniert in die Wirklichkeit zurück. Für ein paar kurze Momente hatte sie die Umgebung und alles andere vergessen. Es zählt nur, dass ihr Phantom endlich einen Namen bekommen hatte.
Zu genau wusste sie, dass er recht hatte, so schickte sie sich an, zu gehen.
„Werden wir uns wiedersehen?“, fragte der verstoßene Adelige im letzten Augenblick.
„Ich wäre enttäuscht, wenn nicht, nur kann ich mir kaum vorstellen wie und wann, Monsieur de Bourbon.“
Maurice grinste verschmitzt.
„Ich finde Sie auf jeden Fall. Aber bitte nennen Sie mich Maurice.“
Sophie lächelte, als seine Augen sie für einen kurzen Moment gefangen nahmen. Sie konnte sich nicht von ihm lösen, tauchte völlig in diesem Blick ein, der ihr bis auf die Seele zu gehen schien.
„Ihr müsst Euch jetzt von mir fernhalten, Madame. Ich will keinesfalls, dass Euer guter Ruf Schaden nimmt.“
Sie nickte, anschließend kehrte sie seufzend an ihren Tisch zurück, während „Catarina Valente“ den Song „Ganz Paris träumt von der Liebe“ sang. Irgendwie passte das Lied durchaus. Sie sehnte sich nach wahren Gefühlen, nur was, wenn ihr Vater von ihrem Treffen mit dem Duc de Bourbon erführe?
In der Tat war das ein großer Name, aber mit einem Skandal besudelt. Mit solchen Leuten gab man sich nicht ab, ihre Eltern wären entsetzt, gleichzeitig würden sie dafür sorgen, dass sie ihn nie wiedersah.
Doch Sophie fühlte nach wie vor seine warme Aufmerksamkeit auf sich, dabei genoss sie seine Gegenwart, obwohl er ein ziemliches Stück von ihr entfernt saß.
Immer wieder trafen sich ihre Blicke und sie stellte erstaunt fest, wie viel Gefühl und Kraft in Maurice Augen lag.
Manon beobachtete sie einen Moment, dann bemerkte sie, woran ihre Gefährtin so ein großes Interesse hatte.
„Hübsch, wenn man die Gascogner oder die Toulouser mag“, meinte sie schmunzelnd.
Ihre Freundin sah sie an.
„Du irrst dich.“
Manon lächelte.
„Die Hautfarbe, diese Augen, nein ich kann mich nicht irren.“
Jetzt beobachtete Sophie ihn ihrerseits, was sie dazu brachte, ihrer Kameradin recht zu geben. Aber was spielte es für eine Rolle, woher er kam?
Es wurde Zeit für die Mädchen zu gehen, so schickte Sophie dem Duc noch schnell einen sehnsüchtigen Blick, bevor sie das Café verließ.
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Im Internat erwartete der Direktor sie bereits, dabei stürzte er sich direkt auf die angebliche Rädelsführerin.
„Madame du Berry, kommen Sie bitte einen Moment mit“, befahl der Rektor um Höflichkeit bemüht.
Marie wollte ihre Freundin verteidigen, denn es war recht spät geworden, doch diese schüttelte den Kopf.
„Lass es gut sein, Marie.“
Sie folgte dem Lehrer mit gleichgültiger Miene, behielt jedoch ihren Leibwächter bei sich.
„Ich denke, hier können Sie auf ihren Schutz verzichten“, meinte der Mann, als sie das Büro betraten.
Jean stand direkt hinter seiner Schutzbefohlenen, die Arme bedrohlich verschränkt, was ihr ein Gefühl der Macht gab.
„Ich werde Madame auf jeden Fall begleiten. Das ist mein Job, Monsieur le Directeur.“
Der Leibwächter grinste den Rektor an. Er hielt immer zu der jungen Frau, die er zu seinen Freunden zählte.
Ohne Vorwarnung schrie der Lehrer seine Schülerin an.
„Würden Sie die Güte haben und den Gorilla aus dem Zimmer schicken? Außerdem erzählen Sie mir augenblicklich, wo Sie um die Uhrzeit herkommen.“
Sophie gähnte, kurz darauf sah sie den Mann hochmütig an.
„Jean bleibt und Sie werden ihren Ton ändern. Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig, da ich bereits volljährig bin.“
Am liebsten hätte der Rektor diese unerträgliche Person sofort von der Schule verwiesen, nur konnte er auf die Spenden ihrer Familie nicht verzichten.
„Sie missachten die Regeln, Madame. Ich sehe mich gezwungen, es Ihrem Vater zu berichten.“
Sophie sah gelangweilt um sich, dann stand sie auf, um zur Tür zu gehen.
„Tun Sie das, mein Lieber, aber ich kann es ihm auch selber erzählen, da ich das Wochenende in Paris verbringen werde. Mein Verlobter, der Marquis du Plessis-Bellier wird mich am Freitag gegen 15:00 Uhr abholen.“
Der Direktor erstarrte, zwei so mächtige Namen vereint und er hatte die Stirn diese Frau tadeln zu wollen!
Sophie war müde, daher war sie froh, dass ihr Leibwächter sie jetzt am Arm packte, um sie aus dem Raum zu schieben.
„Ich danke dir, Jean. Du bist mein bester und einziger Freund.“
Der Mann lächelte.
„Du weißt, dass ich immer für dich da bin.“
Sie umarmte ihn kurz, dann ging sie in ihr Zimmer. Erschöpft erstattete sie ihren Freundinnen einen schnellen Bericht, wie sie den Rektor mithilfe zweier Namen mattgesetzt hatte.
Texte: Merlins Bookshop
Cover: Merlins Bookshop
Lektorat: Merlins Bookshoü / Dietmar Noss
Tag der Veröffentlichung: 02.04.2018
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