„Super, einen früheren Flug hättest du auch nicht bekommen können, oder?“, schimpfte Matthias Richter, der hinter seiner Ehefrau auf den Check-in-Schalter zustapfte.
„Das ist eine Pauschalreise, da hatte ich kaum einen Einfluss auf die Zeiten“, erinnerte Kira ihn leise.
Murrend reichte er dem Mann hinter dem Schalter seinen Personalausweis, dabei sah er seine Frau wütend an. Diese Reise ging ihm gehörig gegen den Strich, zumal er den Sinn dahinter nicht verstand.
Matthias ließ die letzten Tage noch einmal Revue passieren. Kira hatte ihm diesen Zwangsurlaub aufgedrängt, weil sie Eheprobleme befürchtete. Sie waren jetzt seit fünf Jahren verheiratet, da war es doch verständlich, dass er mal Abwechslung brauchte und die fand er eben bei seiner hübschen Sekretärin. Außerdem hatte er ihr erklärt, dass sie völlig falsch mit ihren Verdächtigungen lag. Wo kam man denn hin, wenn die eigene Ehefrau einem misstraute?
Angelika hing ihm darüber hinaus auch nicht ständig in den Ohren, dass ihre biologische Uhr ticke und sie ein Kind wolle. Er aber fühlte sich unwohl, bei dem Gedanken Vater zu werden.
Kira blickte den Mann hinter dem Schalter entschuldigend an, dann reichte sie ihm die Reiseunterlagen sowie ihren Personalausweis, anschließend wuchtete sie den schweren Koffer und die Reisetasche auf das Fließband.
„Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub.“
Der Typ lächelte sie freundlich an, ehe er sich dem nächsten Paar zuwandte.
„Was jetzt?“
Matthias bemühte sich kaum, seine schlechte Laune zu verbergen, immerhin war diese Reise keineswegs auf seinem Mist gewachsen.
„Wir gehen gleich durch die Sicherheitskontrollen, dahinter können wir einen Kaffee trinken, wenn du möchtest“, erklärte Kira versöhnlich.
Es war ihre Idee gewesen. Sie versuchte, auf diese Weise ihre Ehe in die richtige Bahn zurückzulenken, da sie bemerkt hatte, was da zwischen ihrem Mann und seiner Sekretärin lief.
Irgendwie gab sie sich die Schuld, denn ihr Job ließ ihr nur beschränkt Zeit, sich um die Bedürfnisse ihres Ehemannes zu kümmern. Als Übersetzerin musste sie oft Terminarbeiten annehmen, an denen sie auch nachts arbeitete.
Dazu kam sein Posten im Aufsichtsrat einer großen Automobilfirma, da blieb in der Tat wenig Gelegenheit für Zweisamkeiten. Deshalb hatte sie kurzerhand einen All-inclusive-Urlaub am Schwarzen Meer gebucht.
Vor einer knappen Woche dachte sie noch, dass das eine gute Idee wäre, aber im Moment bezweifelte sie es. Allein der missbilligende Blick ihres Mannes zeigte ihr, dass er am liebsten nach Hause zurückfahren würde.
„Einen Kaffee? Morgens um fünf Uhr? Bist du irre? Ich wollte keinen Herzinfarkt bekommen“, giftete er sie an.
Genervt blieb sie stehen, stemmte die Hände in die Seiten und sah ihn wütend an.
„Du hast mir zugestimmt, dass wir dringend etwas für unsere Ehe tun sollten. Wir waren einer Meinung, dass ein gemeinsamer Urlaub uns guttun würde“, hielt sie ihm vor.
„Ja, ja und wenn ich was anderes gesagt hätte, hättest du mir ständig damit in den Ohren gelegen.“
Ohne ihre Erwiderung abzuwarten, ging er zu den Sicherheitskontrollen.
Mit offenem Mund starrte Kira ihm hinterher. Matthias war ihre große Liebe gewesen, aber in den letzten Monaten entfremdeten sie sich immer mehr. Fast jeden Tag entschuldigte er sich mit Überstunden, saß auch am Wochenende an seinem Laptop und kümmerte sich überhaupt nicht mehr um sie.
Anfangs glaubte sie seinen Lügen noch, doch dann bekam sie eine E-Mail seiner Sekretärin, die sich scheinbar in der Mail-Adresse geirrt hatte. Kira erinnerte sich ziemlich genau an den schlüpfrigen Wortlaut, den sie fassungslos gelesen hatte.
„Mein Geliebter, ich vermisse unseren wilden Sex. Am liebsten würde ich dich jetzt sofort in mir spüren. Das Gefühl deines harten Schwanzes in meiner heißen Grotte macht mich süchtig. Wann hast du denn endlich Zeit, immerhin ist das letzte Mal schon fast vierundzwanzig Stunden her? Ich warte auf dich in deinem Büro, so wie immer. Deine Angelika.“
Tränen des Zorns stiegen ihr auch heute wieder in die Augen, wenn sie an seinen Betrug dachte.
Als sie Matthias mit der Mail konfrontierte, leugnete er die Affaire. Er behauptete sogar, dass die Nachricht gar nicht für ihn gewesen sei. Danach schwieg er sich über diese Sache aus.
Kira weigerte sich an das Ende ihrer Ehe zu glauben, also tat sie alles, um ihn zurückzuerobern, aber ihre Bemühungen verliefen im Sande.
Der Urlaub war ihr letzter Versuch. Sollte sie dieses Mal auch wieder versagen, würde sie sich trennen. Es kam überhaupt nicht infrage, einem Leben ohne Herzlichkeit und Zuneigung zuzustimmen.
Bei dem Thema Scheidung war ihr Ehemann komplett ausgerastet. Er schrie sie an, dass er sich von ihr keinesfalls die Karriere kaputtmachen ließe und eine Trennung käme überhaupt nicht infrage.
Natürlich wusste Kira, dass er für eine sehr konservative Firma arbeitete, die auf geordneten Verhältnissen bestand. Ehescheidungen sah man dort nicht gerne.
Seufzend brachte sie die Sicherheitskontrolle hinter sich, dabei keimte in ihr der Verdacht auf, dass dieser Urlaub eine ziemlich blöde Idee war. Es würde sich wahrscheinlich nichts ändern!
Matthias wartete ungeduldig auf sie. Schweigend liefen sie durch die Duty-free-Zone, bis sie ihren Flugsteig gefunden hatten, wo sie sich auf eine Wartebank setzten.
Kira war die Lust auf den gemeinsamen Urlaub bereits vergangen, allerdings war sie stur genug, um an ihrem Plan festzuhalten.
„Ich dachte, hier gäbe es wenigstens einen Kaffee“, knurrte Matthias feinselig.
Seine Frau sah ihn ungläubig an.
„Du hast doch gesagt, dass du keinen Kaffee möchtest. Weißt du eigentlich, dass du dich wie ein kleines, quengeliges Kind benimmst?“, fauchte sie zurück.
„Ändere deinen Ton! Ich sagte, dass ich keinen Herzinfarkt haben will“, wies er sie kühl zurecht.
„Hol dir den Kaffee selbst. Ich bin nicht deine Sekretärin.“
Kira wollte das belastende Thema ursprünglich aussitzen, zumal sie hoffte, dass diese Schnepfe nach dem Urlaub Geschichte sein würde, aber sein Verhalten reizte sie bis zur Weißglut.
„Lass Angelika aus dem Spiel, sie tut nur ihre Arbeit. Ich weiß nicht, was du immer mit ihr hast.“
Matthias verschluckte sich fast an seiner Lüge, allerdings tat er lieber so, als ob Kira das unwissende Dummchen sei.
„Und zu ihren Aufgaben gehört es, deinen harten Schwanz in ihrer heißen Grotte zu spüren? Du kannst mich kaum für so dämlich halten, dass ich diese Ausrede glaube.“
Ihr fiel es unendlich schwer, ihre Stimme zu kontrollieren und ihn nicht hier vor allen Leuten anzuschreien. Lautstark stieß sie die Luft aus, dann nahm sie sich vor, ihn zu ignorieren, bis er endlich offen mit ihr redete.
„Reitest du immer noch auf der fehlgeleiteten Nachricht rum? Ich habe dir doch erklärt, dass sie die falsche Mail-Adresse genommen hat“, versuchte Matthias, sich aus der Affaire zu ziehen.
„Die Adresse hat sie in der Tat verwechselt, aber das war kein Versehen. Deine liebe Angelika hat mir nämlich mitgeteilt, dass du beabsichtigst, dich zu trennen, um sie zu heiraten. Wir hatten vor gut zwei Wochen ein sehr aufschlussreiches Gespräch.“
Als sie an das Treffen mit der Sekretärin dachte, kochte sie erneut vor Wut. Diese Schlampe hatte sie angegriffen, ihr vorgeworfen, dass sie ihren Mann im Bett kaum befriedigte und er eine echte Frau bräuchte. Die Wortwahl der Hetztirade war mehr als blumig gewesen.
„Ich habe dir bereits etwas zu einer Trennung gesagt und ich pflege mich nicht zu wiederholen! Außerdem, wer arbeitet denn die halbe Nacht? Du stürzt dich in deine Aufträge, als ob wir am Hungertuch nagen würden“, warf er ihr zornig vor.
„Ich bin ein Mann, wir brauchen Abwechslung.“
Bei diesem Nachsatz blieb ihr die Spucke weg. Nicht mal bei einem Egoisten wie ihm hätte sie so eine Aussage vermutet.
Darüber hinaus stimmte es, dass sie in der letzten Zeit extrem viel arbeitete. Ihr Beruf als freier Übersetzer machte ihr Spaß, außerdem bekam sie hier die Anerkennung, die ihr Ehemann ihr verweigerte. Aber das waren nur geringfügige Gründe, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, flüchtete sie vor den Eheproblemen und das, in dem sie bis zur Erschöpfung arbeitete.
Kira rang noch nach einer Antwort, als ihr Flug aufgerufen wurde, was sie heimlich aufatmen ließ. Diese Reise entpuppte sich schon vor Beginn als ein riesiger Fehler.
Matthias ging mit verkniffenem Gesicht mit ihr zum Flieger, nachdem sie die letzte Kontrolle hinter sich gebracht hatten. Schnell fanden sie ihre Plätze, schnallten sich an, anschließend schwiegen sie sich an.
Die obligatorischen Anweisungen folgten, die Stewardessen kontrollierten, ob alle angeschnallt waren, dann rollte das Flugzeug auf die Startbahn.
Kira saß am Fenster, da ihr Mann sich kaum für irgendetwas anderes, als seinen Laptop interessierte, der natürlich noch zugeklappt in der Tasche zu seinen Füßen steckte.
Mittlerweile war die Sonne aufgegangen, sodass sie die triste Flughafenlandschaft sehen konnte. Grauer Beton wechselte sich mit kurz geschnittenen Grasflächen ab, denen man ansah, dass die Abgase der Flugzeuge ihnen zusetzten.
Die Beschleunigung der Maschine faszinierte die junge Frau, die begeistert aus dem winzigen Fenster sah. Immer schneller rauschte die Umgebung an ihr vorbei, bis sie langsam abhoben. Man sah deutlich, dass sie steil in den Himmel stiegen, dabei fühlte sie das Adrenalin in sich ansteigen. Kira liebte es zu fliegen, obwohl sie nur noch selten dazu kam.
Die Landschaft unter ihr wurde ständig kleiner, trotzdem erkannte sie eine Autobahn, auf der die Autos wie Ameisen wirkten. Die Gebäude ähnelten Spielzeugen, dann stießen sie durch die dichte Wolkendecke.
Auf dem Weg zum Flughafen war es regnerisch und kühl gewesen, aber hier, über den Wolken, erwartete sie strahlend blauer Himmel.
Die Masse unter dem Flugzeug erinnerte sie an Watte, nur ab und zu entdeckte sie eine Lücke, die ihr die Sicht auf die Häuser einer Stadt oder die Landschaft erlaubte.
Kaum erlosch die kleine Leuchte mit dem Anschnallen-Symbol, als Matthias auch schon erleichtert ausatmete, gleichzeitig packte er seinen Laptop aus. Mit einem Lächeln öffnete er eine Datei, dabei achtete er darauf, dass seine Frau nicht auf den Bildschirm sehen konnte.
Angelika hatte ihm zum Abschied eine erotische Geschichte, über ihre Vorstellungen eines perfekten Treffens, geschickt. Er liebte ihre schlüpfrige Sprache, die direkte, etwas vulgäre Wortwahl sowie natürlich ihre Ideen.
Mit einem Seitenblick musterte er seine Ehefrau, stellte heimlich Vergleiche an.
Kira war fülliger als seine Geliebte, darüber hinaus gab sie sich bei Weitem nicht so experimentierfreudig wie seine Sekretärin. Abgesehen davon, dass sie sich eher schüchtern verhielt, sobald es um Sex ging. Abwertend sah er auf die Speckröllchen an ihren Hüften, musterte den kleinen Bauch, der sich deutlich unter ihrer Bluse abzeichnete. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sie die Jacke anbehalten hätte, aber im Flugzeug war es dummerweise gut geheizt.
Seine Ehefrau arbeitete viel, kümmerte sich nebenbei um den Haushalt und wusste, wie man sich benahm. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo sie seine Arbeitskollegen traf, hielt sie sich im Hintergrund. Sie sagte das, was man von ihr erwartete, dabei brachte sie an den richtigen Stellen ein Lächeln hervor.
Alles in allem war sie genau das, was der Vorstand seiner Firma sehen wollte. Deshalb kam auch eine Trennung für ihn keinesfalls infrage, obwohl er sich bereits in fremden Betten vergnügte.
Für ihn war Sex eine Sache, die Ehe eine ganz andere. Kira war gut versorgt, konnte ihren Beruf ausüben, darüber hinaus hatte sie ihre Freiheit, solange sie ihm das Umfeld gab, das er brauchte.
Schnell lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Geschichte seiner Geliebten, dabei merkte er gar nicht, dass sich ein lüsternes Grinsen auf sein Gesicht schlich.
Kira bemerkte es sehr wohl, gleichzeitig spürte sie den Stich in ihrem Inneren. Nicht mal jetzt, wo es doch wirklich schon genug Probleme zwischen ihnen gab, verzichtete er auf seine Sekretärin!
Ihr Ehemann sah gut aus, besaß eine sportlich, schlanke Figur, eine akkurate Frisur sowie manikürte Fingernägel. Er erhob nur selten die Stimme, benahm sich immer, und wenn sie ehrlich war, glaubte sie, dass ein Stock in seinem Hintern steckte.
Sie konnte sich kaum daran erinnern, wann sie das letzte Mal Spaß gehabt hatten, irgendwo herumgetollt waren oder laut lachten. Matthias achtete auf die Etikette, das schuldete er sich selbst als Mitglied des Aufsichtsrats.
Noch einmal musterte sie ihn aus den Augenwinkeln. Die schwarzen Haare wiesen keine grauen Fäden auf, ebenso wenig fand man Falten in seinem Gesicht. Mit einer Größe von einem Meter achtzig überragte er sie um knappe zehn Zentimeter.
Früher beugte er sich oft zu ihr herunter, um sie zu küssen, aber auch das war mittlerweile eine Seltenheit geworden.
Müde lehnte sie sich im Sitz zurück, schloss die Augen, dabei versuchte sie, den Gesichtsausdruck ihres Mannes zu vergessen, da sie genau wusste, dass er an seine Sekretärin dachte.
Kira brachte den Flug mehr schlecht als recht hinter sich. Hauptsächlich gab sie vor, zu schlafen, während Matthias teilweise vor sich hin lachte. Als sie ihn darauf ansprach, schüttelte er nur den Kopf und sah sie erstaunt an.
„Ich habe keineswegs gelacht. Bei dem Bericht, den ich mir gerade durchlese, ist mir kaum zum Lachen“, blockte er schnell ab.
Sie verzichtete auf einen weiteren Streit, zwang sich ihn anzulächeln, ehe sie erneut die Augen schloss.
Als das Flugzeug landete, fühlte sie sich hoffnungslos und zu allem Überfluss auch wertlos. Nicht mal jetzt schaffte sie es, die Aufmerksamkeit ihres Ehemannes auf sich zu ziehen. Mühsam drängte sie die Tränen zurück, noch wollte sie kämpfen!
Während Kira auf ihren Koffer wartete, ging Matthias schon einmal zur Zollabfertigung, um sich anschließend einen Kaffee zu gönnen. Immerhin war das hier keinesfalls seine Idee gewesen, also sollte sich seine Frau um das Gepäck kümmern.
„Ich warte vor dem Ausgang auf dich“, damit drehte er sich um.
Kira sah ihm fassungslos hinterher. Was war er doch für ein Arsch! Ihn interessierte es nicht mal, dass sie sich mit einer großen Tasche und einem schweren Koffer abmühen musste.
So langsam bekam sie Zweifel, ob es sich lohnte, sich um so einen Egozentriker zu bemühen. Normalerweise sollte sich der Mann um die Frau kümmern oder zumindest Interesse zeigen.
Seufzend zog sie erst den Koffer, dann die Reisetasche vom Band, schleppte beides zur Zollabfertigung, um in die riesige Wartehalle zu stolpern. Hier wurde sie von der Reiseleitung begrüßt.
„Guten Morgen Frau Richter. Ihr Ehemann ist bereits zum Bus gegangen. Darf ich Ihnen mit dem Gepäck helfen?“, bot ein junger Angestellter höflich an, als sie ihm die Reiseunterlagen zeigte.
„Vielen Dank, das wäre wirklich toll.“
Kira übergab ihm den Koffer und die Reisetasche, die er auf einen Gepäcktrolley wuchtete, auf dem schon weitere Gepäckstücke lagen. Noch einmal lächelte sie den Reiseleiter freundlich an, dann holte sie Luft, um ihn nach dem Weg zu fragen, als hinter ihr eine Stimme laut wurde.
Erschrocken drehte sie sich um, wo eine Gruppe aus vier Männern stand, die vorsichtig ausgedrückt sehr eindrucksvoll aussahen.
Drei der Kerle waren bestimmt zwei Meter groß, mit Muskeln bestückt, die man trotz der Kleidung sah und die einen grimmigen Gesichtsausdruck präsentierten. Einer von ihnen hatte eine Glatze, dabei sah man ihm die russische Abstammung an.
Die Aufschrift auf dem Muskelshirt des Typen verriet ihr, dass er in der Tat Russe war. Zum Glück sprach sie fließend Russisch, somit las sie mühelos, den kyrillischen Text auf dem Kleidungsstück. Der informierte sie darüber, dass es sich bei dem Herrn um ein Mitglied eines Boxstalls handelte.
Der Spruch, der sich über seinen rechten Arm schlängelte, beruhigte sie allerdings nicht, ganz im Gegenteil.
„Ups, von diesen Herren sollte man sich besser fernhalten“, murmelte sie.
„Falls Sie sich belästigt fühlen, wenden Sie sich bitte an die Hotelleitung. Es sind Profiboxer aus St. Petersburg. Aber ich bin überzeugt davon, dass Sie diese Gäste kaum bemerken werden“, entschuldigte sich der Reiseführer augenblicklich.
„Ich hoffe es.“
Kira drehte sich noch einmal zu der kleinen Gruppe um, was sie sofort bereute, denn der Glatzkopf grinste sie spöttisch an.
Was sollte man auch von einem Mann erwarten, der „Tot meinen Feinden“ auf dem Oberarm stehen hatte? Abgesehen von dem Bullenkopf und dem zähnefletschenden Pitbull, die sich auf dem anderen Arm befanden. Den Rest wollte sie gar nicht erst sehen.
Verlegen wandte sie sich ab, was von lautem Gelächter begleitet wurde. Kurz darauf diskutierten die vier Kerle erneut mit jemandem vom Flughafen, dabei ging es offensichtlich darum, dass der Koffer des kleineren Mannes vermisst wurde.
Hilfsbereitschaft war eine von Kiras Charaktereigenschaften, die sie nur selten unterdrücken konnte, obwohl es sie danach oft genug mit Undankbarkeit oder gar Feindseligkeit zu kämpfen hatte. Allerdings gab es hier in Burgas, Bulgarien, genug Leute, die russisch sprachen, da brauchte sie sich kaum einzumischen.
„Zeigen Sie mir bitte den Weg zum Bus?“
Kira lächelte den Reiseleiter freundlich an, gleichzeitig versuchte sie, das Gespräch hinter sich auszublenden. Sie nahm sich fest vor, den Typen aus dem Weg zu gehen.
„Es tut mir leid, aber ich muss noch auf die restlichen Gäste warten. Der Bus steht gleich vor dem Ausgang. Er hat die Nummer dreiundzwanzig. Einen schönen Urlaub.“
Der junge Mann lief bereits auf die nächsten Ankömmlinge zu, sodass ihr nichts anderes übrigblieb, als alleine den Weg zum Shuttlebus zu finden.
Als sie das Flughafengebäude verließ, blieb sie einen Moment stehen und blinzelte in die plötzliche Helligkeit. Obwohl es Mitte September war, schien die Sonne und es war fast dreißig Grad, wie eine Infotafel ihr mitteilte. Schnell streifte sie die Jacke wieder ab, die sie kurz vor dem Aussteigen angezogen hatte.
Langsam schlenderte sie zum Bus, stieg ein und setzte sich wortlos neben ihren Mann, der sie grimmig ansah.
„Selbst eine Klimaanlage fehlt in diesem Vehikel“, maulte er.
Kira ging nicht darauf ein, sondern blickte starr aus dem Fenster, dabei beobachtete sie, wie die restlichen Urlauber am Bus ankamen. Darunter auch die vier Russen, deren Gepäck offensichtlich aufgetaucht war, da jeder einen großen Seesack bei sich trug.
Lachend neckte der Glatzkopf seinen Nachbarn, dass er nur auf ein Sexabenteuer aus sei, ehe er seine Tasche von der Schulter hob und im Bus verstaute. Genau in dem Moment hob er den Kopf, sodass er Kira direkt ansah.
Verlegen wandte sie den Blick ab, aber sah aus den Augenwinkeln noch, wie er breit grinste. Kurz darauf betraten sie den Bus und er ließ sich in den Sitz hinter ihr fallen.
„Was hast du für ein Hotel gebucht? Müssen wir etwa mit so einem Abschaum unter einem Dach leben?“
Matthias sah sie vorwurfsvoll an, dabei deutete er auf die Kerle in der nächsten Sitzbank.
„Du weißt doch gar nicht, was das für Leute sind. Außerdem wollten wir die Zeit miteinander verbringen und keine Freundschaften knüpfen, oder?“
Obwohl sie eben selbst noch geplant hatte, Abstand von diesen Männern zu halten, verteidigte sie die Gruppe impulsiv.
„Das Männchen hat ein Problem mit unserer Anwesenheit!“
Erschrocken hörte sie den Satz aus dem Mund des Glatzkopfs. Offensichtlich sprach er deutsch oder verstand es zumindest.
„Super, jetzt hast du ihn beleidigt“, fauchte sie Matthias an, dann drehte sie sich seufzend um.
„Es tut mir leid, aber so hat mein Ehemann das bestimmt nicht gemeint. Ich bitte um Entschuldigung für seine Aussage.“
Sie redete mit den Männern russisch, gleichzeitig setzte sie ihr professionellstes Lächeln auf. Es brachte kaum etwas, diese Leute schon im Vorfeld gegen sie aufzubringen.
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Du hast uns keineswegs beleidigt, Daragaja.“
Mit einem breiten Grinsen antwortete er ihr, dabei strotzte er nur so vor Selbstbewusstsein.
„Ich muss doch sehr bitten. Ich bin bestimmt nicht ihr Liebling“, blockte Kira ihn energisch ab.
„Sag dem Zwerg, dass er vorsichtig mit seinen Äußerungen sein soll. Ich kann über so was hinweghören, aber meine Freunde hier sind da empfindlich.“
Eindringlich musterte er sie, ehe sie sich umdrehte und sich fast im Sitz versteckte.
„Will er mich jetzt wegen Beleidigung anzeigen oder was?“, erkundigte Matthias sich spöttisch.
„Könntest du das Thema bitte lassen? Ich glaube kaum, dass die Herren sich mit Anwälten aufhalten.“
Kira sah ihren Mann warnend an. Sie hatten genug Probleme mit ihrer Ehe, da brauchten sie nicht noch einen aufgebrachten russischen Bullen, der auf sie losging.
Endlich verstand er, was sie ihm mitteilen wollte und hielt den Mund, doch er wischte sich vielsagend den Schweiß von der Stirn.
„Ich begrüße Sie hier in Bulgarien! Ich hoffe, dass Sie einen erholsamen Urlaub in unserem schönen Land verbringen. Die Fahrt zum Hotel dauert ungefähr vierzig Minuten, vor Ort können Sie direkt in ihre Zimmer. Alles andere erfahren Sie vom Hotelpersonal.“
Der Reiseleiter nickte ihnen noch einmal zu, dann stieg er aus und der Bus fuhr ab.
„Begleitet uns niemand?“
Matthias sah seine Frau an, als ob sie unfähig wäre, einen einfachen Urlaub zu buchen. Ihm gefiel die ganze Sache nicht, darüber hinaus hatte er deutlich gesehen, wie dieser Russe Kira angrinste. Obwohl er sich regelmäßig mit Angelika vergnügte, akzeptierte er so ein Verhalten bei seiner Ehefrau auf gar keinen Fall.
„Im Hotel sprechen sie Deutsch, da ist es wohl kaum nötig, uns zu begleiten. Außerdem bin ich Übersetzerin für Russisch, Englisch sowie Französisch, da kann ich bestimmt helfen, sollten Fragen aufkommen, oder?“
Genervt verdrehte sie die Augen. Wieso musste er an allem etwas zu nörgeln haben?
Die restliche Fahrt behielt Matthias seine Meinung für sich, auch weil er befürchtete, dass die ungehobelten Kerle hinter ihm, auf ihn aufmerksam würden.
In der Hotelanlage gab es kostenloses Wi-Fi, das war sein einziger Trost, so konnte er wenigstens den Kontakt zu Angelika halten.
Kira verfluchte sich selbst, dass sie die Idee zu diesem idiotischen Urlaub gehabt hatte. Offensichtlich interessierte sich ihr Ehemann absolut nicht dafür, eine Lösung für ihr Eheproblem zu finden. Ganz im Gegenteil, er provozierte die Männer, die schon von Weitem nach Ärger aussahen.
Schnell rief sie sich innerlich zurecht, es war unfair Menschen nach ihrem Aussehen oder ihrem Beruf zu beurteilen. Obwohl sie die dunkle, gefährliche Aura des Boxers durchaus spürte.
~~°~~
Vor dem Hotel hielt der Bus und erleichtert stiegen die verschwitzten Urlauber aus. Es war wirklich kein Genuss fast eine Stunde in einem überhitzten, vollen Bus zu sitzen.
„Ich gehe rein. Hoffentlich funktioniert drinnen die Klimaanlage“, teilte Matthias seiner Frau mit, als sie ebenfalls ausgestiegen waren.
Ehe sie etwas antworten konnte, verschwand er auch schon im Gebäude. Enttäuscht und wütend sah sie ihm nach, dabei wurde ihr immer bewusster, dass es sich kaum lohnte, um so einen Egoisten zu kämpfen.
Sie hatte ihn kennengelernt, als er noch den Posten eines kleinen Autoverkäufers innehatte. Damals trug er sie regelrecht auf Händen, nahm ihr oft genug Aufgaben ab oder half ihr bei allen möglichen Dingen. Mittlerweile überließ er ihr unangenehme Arbeiten, indem er sich einfach nicht drum kümmerte. So wie er es in dem Moment auf sie abschob, das Gepäck ins Gebäude zu schaffen.
Seufzend ging Kira auf die andere Seite des Busses, um die Reisetasche sowie den schweren Koffer zu holen, den der Fahrer auf den Bürgersteig gestellt hatte.
Vor ihr standen die Russen, was ihr die Angelegenheit keineswegs erleichterte, da sie sich vorgenommen hatte, diesen Männern einfach aus dem Weg zu gehen.
Gerade als sie nach dem Koffer griff, trat der Glatzkopf zu ihr, nahm ihr das Gepäckstück aus der Hand, dabei sah er sie fragend an.
„Ist das deiner?“
Verlegen nickte sie, schnell wollte sie die Tasche nehmen, aber ihr Gegenüber schnalzte nur missbilligend mit der Zunge.
„Nimm die Reisetasche, Alexej.“
Der Angesprochene tat, was man ihm gesagt hatte und ohne Kiras Einwand abzuwarten, gingen sie ins Hotel.
Das fing ja gut an! Ihr Ehemann würde durchdrehen, wenn er sah, wer ihr half. Dummerweise konnte sie es kaum ändern. Aber insgeheim war sie heilfroh, dass sie die schweren Sachen nicht selbst schleppen musste.
Vor der Rezeption stellten die zwei Männer das Gepäck ab und ließen ihr höflich den Vortritt.
„Danke schön.“
Ihre russischen Worte zauberten ein Lächeln auf die Gesichter der beiden Helfer, was sie gleich sympathischer machte, außerdem sahen sie jetzt wesentlich weniger gefährlich aus.
„Gern geschehen, Daragaja. Sag Bescheid, wenn du uns brauchst.“
Schnell drehte sie sich zu dem Tresen um, wo ihr Mann ungeduldig auf sie wartete.
Matthias hatte schon das obligatorische Band am Handgelenk, welches ihn als Hotelgast auszeichnete und ihm den Zugang zu allen Bereichen ermöglichte. Mit hochgezogener Augenbraue musterte er Kira, die dem Bediensteten an der Rezeption die Reiseunterlagen reichte.
„Guten Tag Frau Richter. Ihren Ehemann durften wir bereits über unser Hotelangebot informieren. Ein Page bringt ihre Koffer gleich in ihr Zimmer und hier ist ein Plan der gesamten Anlage. Falls Sie noch Fragen haben, stehen wir Ihnen vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung.“
Dankend nickte sie dem Hotelier zu, anschließend streckte sie den Arm aus, damit er das All-inclusive-Bändchen auch an ihrem Handgelenk befestigen konnte.
„Vielen Dank. Ich sehe mich gerne erst einmal um, sobald ich unsere Sachen ausgepackt habe.“
Verständnisvoll lächelte der Bedienstete, dann winkte er einem Pagen, der sich sofort um die Koffer kümmerte.
Matthias packte sie hart am Arm und brachte sie so zum Aufzug. Kurz darauf schob er sie hinter dem Hotelangestellten in ihr reserviertes Zimmer, zog sein Portemonnaie aus der Tasche, um dem Mann ein mickriges Trinkgeld zu geben.
„Was sollte denn der Auftritt?“
Wütend taxierte er seine Ehefrau, die es wagte, Hilfe von den Kerlen anzunehmen, die ihn so unverschämt bedrohten.
„Nachdem du es vorgezogen hast, mir nicht zu helfen, haben die russischen Boxer das erledigt. Ich bin ihnen deshalb jedenfalls dankbar. Zu deiner Information, die Tasche und der Koffer sind ziemlich schwer.“
Kira funkelte ihn bösartig an. Sie hatte die Leute kaum angesehen, darüber hinaus konnte sie keineswegs etwas dafür, dass die Männer ihr geholfen hatten.
„Mir ist schon klar, was du vorhast. Nur ein Schäferstündchen mit so einem Muskelprotz kannst du dir von der Backe schminken. Denen bist du sowieso viel zu fett.“
Die Bemerkung saß und sie zuckte getroffen zusammen. Sie wusste, dass sie ein paar Kilo Übergewicht besaß, aber es gab überhaupt keinen Grund, sie so zu demütigen.
„Du solltest nicht immer von dir auf andere schließen“, flüsterte sie, während sie verzweifelt die Tränen zurückhielt.
Schnell drehte sie sich um, hievte den Koffer auf das Bett, um die Kleidungsstücke auszupacken.
Wieso wollte sie diese unselige Ehe noch mal retten? Warum nahm sie nicht ihre Sachen und flog augenblicklich nach Hause zurück? Die Frage tobte durch ihren Kopf, aber in dem Augenblick fand sie einfach keine Antwort.
Matthias setzte sich an einen kleinen Schreibtisch, packte seinen Laptop aus, dabei seufzte er erleichtert, weil er eine Internetverbindung bekam. Als Erstes rief er das Mailprogramm auf und grinste bereit, als er die Nachricht seiner Geliebten sah. Schnell warf er einen Blick über die Schulter, um zu sehen, dass seine Ehefrau noch mit dem Auspacken beschäftigt war, dann öffnete er die Mail.
Leise räumte Kira die Sachen in den Schrank. Sie stellte die Zahnbürsten, die Zahnpasta sowie die Utensilien zum Duschen ins Bad, anschließend fühlte sie sich stark genug, um sich ihrem Ehemann zu stellen.
„Es tut mir ...“, begann sie, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Offensichtlich war Matthias so in seiner Nachricht versunken, dass er alles um ihn herum vergaß, unter anderem auch seine Ehefrau.
Kira stand direkt hinter ihm, wo sie die ersten Sätze von Angelika problemlos lesen konnte.
Hektisch klappte er den Laptop zu, drehte sich zu ihr um und sah sie fragend an.
„Was wolltest du mir sagen?“
„Ich gehe mich umsehen“, stieß sie hervor, zu mehr fühlte sie sich gerade nicht in der Lage.
„Das ist eine gute Idee, aber du solltest dich umziehen. Die Sachen, die du trägst, sind bestimmt zu warm. Ich sehe noch meine Geschäftsmails durch, anschließend komme ich nach.“
Matthias ging über ihren schockierten Gesichtsausdruck hinweg, so als ob er ihn nicht bemerkt hätte. Auf keinen Fall würde er ihr etwas erklären oder überhaupt über die Mail reden, die sie gesehen haben musste.
Ohne ihre Antwort abzuwarten, drehte er sich wieder um und öffnete den Laptop. Nur wartete er nun, bis seine Ehefrau sich bewegte, ehe er sich erneut dem Mailprogramm zuwandte.
Enttäuscht, verletzt und fassungslos, weil er sie selbst jetzt so dreist anlog, nahm Kira ein luftiges Kleid aus dem Schrank, welches ihre Figur ein wenig kaschierte. Wie in Trance zog sie sich um, schlüpfte in lederne Zehentreter und verließ das Zimmer.
Auf den Aufzug verzichtete sie, dafür blieb sie im Treppenhaus einen Moment stehen, um ihre Fassung wieder zu finden. Tränen brannten in ihren Augen, aber sie fing bestimmt nicht, an zu heulen.
Zu allem Überfluss hörte sie auch noch Gesprächsfetzen, die ihr anzeigten, dass jemand auf sie zukam. Schnell lief sie den Gang entlang, in der Hoffnung, dass die Leute einfach nach unten zur Bar oder zum Strand gingen, leider täuschte sie sich. Hinter ihr wurde ein Gespräch immer lauter und sie erkannte deutlich die Stimme des Boxers.
Als sie um eine Ecke bog, stand sie vor dem Eingang des hauseigenen Fitnessstudios. Verzweifelt sah sie sich um, doch es gab nur die Option ins Studio zu gehen oder zurückzulaufen, nur dann begegnete sie den Männern auf jeden Fall.
„Daragaja, was tust du denn hier? In dem Kleid wirst du wohl kaum trainieren wollen.“
Genervt drehte sie sich um, damit sie dem unverschämten Kerl ins Gesicht sehen konnte. Von allen Menschen auf der Welt war er derjenige, dem sie keinesfalls begegnen wollte, aber sie musste ja in diese Sackgasse rennen.
„Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich nicht ihr Liebling bin. Ich bin eine verheiratete Frau“, giftete sie ihn an, dabei legte sie den Kopf in den Nacken, um ihn anzusehen.
„Verhochzeitet mit einem Idioten, ich weiß. Trotzdem bist du falsch angezogen, wenn du trainieren willst.“
Breit grinsend blickte er auf sie runter, gleichzeitig sah er die Traurigkeit in ihren Augen, das Zittern ihrer Unterlippe und das verzweifelte Bemühen sich unter Kontrolle zu halten.
„Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig! Bitte gehen Sie mir aus dem Weg!“
Ihre Stimme klang leider nicht halb so fest, wie sie hoffte, dazu hatte sie die Reaktion ihres Ehemannes zu sehr aus der Bahn geworfen. Obwohl sie wusste, dass Matthias sich eine Geliebte hielt, traf sie es, dass er selbst in ihrem gemeinsamen Urlaub mit ihr flirtete, wenn man das so nennen konnte. Mail-Sex wäre der bessere Ausdruck.
Schnell schob sie diese Gedanken zur Seite, genau wie die Bemerkung, dass sie zu fett sei, um die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen, die ihr den Weg versperrten. Diese Beleidigung kam ihr natürlich ausgerechnet in der Situation in den Sinn. Verzweifelt hob sie den Kopf ein wenig höher, um zu zeigen, dass sie ihrem Gegenüber gewachsen war. Dummerweise verhinderte ihr angeknackstes Selbstbewusstsein, dass sie dem Typen mit Gleichgültigkeit begegnete.
„Ich möchte aber eine Antwort, Daragaja. Es interessiert mich, wieso du alleine unterwegs bist. So kurz nach der Ankunft sollte dein Ehemann bei dir sein, um dich vor den bösen Russen zu schützen.“
Spöttisch betonte er das Wort Ehemann, dabei verschränkte er die Arme vor der breiten Brust, was ihn eindrucksvoller erscheinen ließ.
„Bitte lassen Sie mich gehen“, forderte Kira erneut, doch jetzt zitterte auch noch ihre Stimme, gleichzeitig schluckte sie schwer.
Weitere Demütigungen ertrug sie nicht und sie war davon überzeugt, dass der Kerl bestimmt keine Komplimente über ihr ausschütten würde. Matthias hatte recht, sie war zu dick, um so einen Mann zu beeindrucken!
„Wir sehen uns wieder, Daragaja! Man nennt mich übrigens Nikolaj.“
Damit trat er einen Schritt zur Seite und Kira rannte los. Sie wollte so schnell wie möglich weg von diesem Menschen. Irgendwohin, wo sie für einen Augenblick alleine sein konnte.
Ohne zu überlegen, stürmte sie die Treppe runter, durch die Aufenthaltshalle, an der Außenbar vorbei, bis ihre Füße im Sand versanken.
Irritiert blieb sie stehen, streifte die Schuhe ab, um sie gleich wieder anzuziehen. Der Boden war so heiß, dass sie sich die Fußsohlen verbrannte, außerdem liefen hier auch überall Menschen herum. Was bei dem schönen Wetter kein Wunder war.
Vor ihr erstreckte sich ein kurzer Sandstreifen, dann folgten Sonnenschirme sowie Sonnenliegen, die man mieten konnte. Dahinter sah sie das tiefblaue Meer.
Langsam schlenderte sie hinter den Liegen entlang, überhörte das Lachen der Kinder und die Scherze, der Urlauber, die sich offensichtlich prächtig amüsierten.
Hier reihte sich Hotel an Hotel, dazu kamen kleine Strandrestaurants und natürlich die obligatorischen Jetski-Verleihe. Der Strand wurde von mehreren Bademeistern bewacht, die fleißig von ihren Trillerpfeifen Gebrauch machten, sobald eine Person zu tief ins Wasser ging. Allerdings beachtete kaum jemand die Anweisungen der Strandwächter.
Die Wellen türmten sich an dem Tag recht hoch auf, was viele Leute anlockte, sich in die Fluten zu stürzen. Einen Moment sah Kira dem lustigen Treiben zu, was ihr noch deutlicher vor Augen führte, wie alleine sie war.
Ein Schild teilte ihr mit, dass der Strand und somit der Verleih der Liegen sowie der Sonnenschirme ab achtzehn Uhr geschlossen wäre. Da sie keine Armbanduhr besaß, nutzte ihr diese Information herzlich wenig, allerdings wollte sie im Augenblick bestimmt keine Sonnenliege mieten.
Langsam bahnte sie sich einen Weg zum Wasser. Hier zog sie die Schuhe nun doch aus, um durch die Wellen zu laufen, die ihre Füße umspülten.
Gerne wäre sie mit ihrem Mann am Meer spazieren gegangen, Hand in Hand, aber der chattete ja lieber mit seiner Geliebten!
Wieder brannten Tränen in ihren Augen, die sie mühsam zurückdrängte. Irgendwie verlief ihr Leben so gar nicht, wie sie es sich vorstellte.
Nach einer Weile drehte sie um, schlenderte den Weg zurück, den sie gekommen war.
Am Eingang zu ihrer Hotelanlage stand Matthias, was sie freuen sollte, doch als sie seinen Gesichtsausdruck sah, verging ihr jede Freude.
„Wieso treibst du dich alleine am Strand rum? Denkst du irgendwann mal an etwas anderes als an dein Vergnügen? Wie leicht hätte was passieren können?“
Zu gerne würde sie glauben, dass er sich wirklich Sorgen um sie gemacht hatte, aber dazu kannte sie ihn zu gut.
„Was soll ich denn den restlichen Vorstandsmitgliedern sagen, wenn ich ohne dich aus dem Urlaub zurückkomme? Meinst du vielleicht, dass es mein Ansehen steigert, zugeben zu müssen, dass meine Frau in Bulgarien verschwunden ist?“, zeterte er weiter.
Kira war ja klar, dass es ihm kaum um ihr Wohlergehen ging, sondern nur um seinen Ruf.
„Ich bin ein wenig spazieren gegangen, was sollte da wohl passieren? Der Strand ist bewacht, außerdem sind so viele Leute dort unterwegs, dass ich bestimmt Hilfe gefunden hätte, falls ich verunglückt wäre. Und wie du eben so treffend festgestellt hast, bin ich doch eh zu fett, um die Aufmerksamkeit fremder Männer auf mich zu ziehen“, hielt sie ihm entgegen.
„Ich will nicht, dass du alleine hier herumstreunst. Das macht keinen guten Eindruck.“
Damit war das Gespräch für ihn beendet und Kira überlegte wieder einmal, warum sie überhaupt an dieser Ehe festhielt.
Fünf Jahre strich man keinesfalls einfach so aus seinem Leben, außerdem erinnerte sie sich gerne an die Zeit, in der sie mit ihm glücklich war. Damals zeigte er ihr mit kleinen Geschenken, Gesten oder Worten, wie sehr er sie liebte, leider war davon nichts mehr übrig.
Gemeinsam gingen sie zur Poolbar des Hotels, wo Matthias sich in den Schatten setzte.
Kira bevorzugte es, die Sonne auf der Haut zu spüren. Ihr Kleid war so geschnitten, dass es die Schultern und Arme freiließ, lediglich ein dünnes Bändchen hielt das Oberteil an seinem Platz. Auch der Rock war mit einem Schlitz versehen, sodass sie ihn zurückschlagen konnte, um ihren Beinen ebenfalls etwas Bräune zu gönnen.
Geschickt nahm sie ihre langen, dunkelbraunen Haare zu einem Knoten hoch, befestigte sie mit einem Gummiband, das sie am Handgelenk trug, anschließend drehte sie ihr Gesicht zur Sonne.
„Hol mir bitte ein Gin-Tonic“, ertönte jetzt Matthias Stimme.
Einen kurzen Augenblick überlegte sie, ob sie ihm die Meinung sagen sollte, doch dann entschied sie sich dagegen. Immerhin plante sie ihre Ehe zu retten und keinesfalls noch mehr zu zerstören, da konnte sie ihm diesen Gefallen schon tun.
Schnell stand sie auf, ging die paar Schritte zur Bar, bestellte auf Russisch ein Glas Gin-Tonic sowie ihren Lieblingscocktail, Sex-on-the-Beach.
Ohne ein Wort nahm Matthias ihr den Drink ab, trank einen Schluck, anschließend schloss er die Augen. Offensichtlich verzichtete er lieber darauf, sich mit ihr zu unterhalten.
Kira seufzte unhörbar, dann drehte sie sich erneut der Sonne zu. So hatte sie sich den Urlaub gewiss nicht vorgestellt, aber vielleicht war sie auch zu ungeduldig und die nächsten Tage würden das Verhalten ihres Mannes ändern.
„Ich habe gelesen, dass es ab achtzehn Uhr Abendessen gibt. Wir sollten auf keinen Fall später essen, sonst nimmst du nur zu. Außerdem besitzt die Anlage ein Fitnessstudio, dort kannst du dich ein wenig in Form bringen.“
Wut kochte in ihr hoch, als sie ihren Ehemann hörte, der so tat, als ob sie ein Elefantenweibchen sei. Aktuell hatte sie neun Kilo zu viel, was man natürlich sah, aber sie war ganz gewiss nicht so fett, wie er es darstellte. Darüber hinaus bestimmte sie immer noch, was sie für ihre Figur tat.
„Und was hast du in dieser Zeit vor?“, fragte sie mit geheuchelter Freundlichkeit.
Matthias brauchte kaum auf seine schlanke Linie zu achten, er konnte einfach alles essen, ohne zuzunehmen. Das war ungerecht, nur nicht zu ändern.
„Mach dir um mich keine Sorgen. Die Internetverbindung ist grandios. Ich kann auf sämtliche Programme zugreifen und werde ein wenig arbeiten.“
Spöttisch verdrehte Kira die Augen, was ihr Mann übersah, da er genau in dem Augenblick zur Bar hinübersah, wo sich die russischen Boxer aufhielten. Diese Kerle schüchterten ihn ein, deshalb lenkte er seine Aufmerksamkeit auf seiner Ehefrau.
„Wir sollten unsere Zeit hier zusammen verbringen. Das ist Sinn der Sache. Spürst du denn nicht, dass wir uns immer weiter in entgegengesetzte Richtungen entwickeln? Wir finden kaum noch Gemeinsamkeiten, von Zärtlichkeiten oder Sex mal ganz zu schweigen.“
Kira sah ihn bittend an, weil sie hoffte, dass er endlich mal auf sie einging. Wenn ihm etwas an ihr lag, dann würde er diese Chance nutzen.
„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Wir gehen anstrengenden Jobs nach, außerdem ist es unnormal, ständig aufeinander zu hocken. Was den Sex angeht, da bist du die treibende Kraft, immerhin arbeitest du immer öfter nachts.“
Matthias sah sie kopfschüttelnd an. Glaubte sie wirklich, dass sie das verliebte Pärchen blieben? Liebe verschwand nun mal im Alltag, das war der Lauf der Dinge und dann arrangierte man sich eben. Sie führte doch kein schlechtes Leben!
Seufzend widmete Kira sich ihrem Cocktail. Ihr Mann sah ja nicht mal ein, dass sie ein enormes Eheproblem hatten. Abgesehen von seiner Affaire, redeten sie tatsächlich nur noch über das Nötigste. Gemeinsame Unternehmungen lehnte er kategorisch ab, zumal es keine Interessen gab, die sie teilten.
So stellte sie sich keinesfalls eine intakte Ehe vor. Ihr fehlten die Zärtlichkeiten, das Verständnis füreinander und auch die Gespräche, die sie früher nächtelang geführt hatten. Jetzt fühlte sie sich wie ein Möbelstück, ein Gegenstand, der funktionieren musste.
„Lass uns was essen gehen, es ist gleich achtzehn Uhr. Außerdem bekommt dir der Alkohol auf fast nüchternem Magen nicht“, bestimmte Matthias, als er sein Glas austrank.
Resignierend stimmte sie ihm zu, eine Diskussion war ihr im Moment einfach zu anstrengend. Darüber hinaus sah er sein Fehlverhalten nie ein.
Das Angebot im Speisesaal sah verlockend aus, angefangen bei den Antipasti über die verschiedenen Hauptgerichte bis zum Nachtisch, war alles reichlich vorhanden. Die Kellner sorgten dafür, dass die Speisen sofort nachgefüllt wurden, außerdem räumten sie die schmutzigen Teller und das Besteck ab.
Trotzdem rümpfte Matthias die Nase, weil es keine Karte gab, sondern jeder sich sein Abendessen selbst holen musste. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn man ihn bedient hätte.
Kira behielt ihre Meinung für sich, zumal sie wusste, dass sie ihn ganz bestimmt nicht umstimmen konnte.
Beim Essen achtete sie darauf, dass sie kleine Portionen wählte, die größtenteils aus Salat und Früchten bestanden. An dem verlockenden Kuchenbüffet ging sie standhaft vorbei, ebenso ließ sie die gegrillten Schweinehaxen liegen, die so verführerisch dufteten.
Aus den Augenwinkeln sah sie die Russen, die sich heißhungrig über ihr Abendessen hermachten, dabei lachten sie und unterhielten sich angeregt. Offensichtlich hatten sie eine Menge Spaß miteinander.
„Was schielst du denn ständig zu diesem Abschaum rüber?“
Die harsche Stimme ihres Ehemannes lenkte sie von ihrer Beobachtung ab, sodass sie ihn abweisend ansah.
„Erstens schiele ich nicht, zweitens sind das dort genauso Gäste wie wir und drittens solltest du mit deinen Bemerkungen vorsichtiger sein, immerhin kann dich zumindest einer von ihnen verstehen“, teilte sie ihm leise mit.
Auf keinen Fall wollte sie, dass Matthias noch einmal mit diesen Männern aneinandergeriet. Es reichte, dass sie ständig über den Glatzkopf stolperte!
Schweigend beendeten sie ihr Abendessen, standen auf, anschließend verließen sie den Speisesaal.
„Trinken wir etwas zusammen?“
Kira sah ihren Ehemann bittend an, doch der schüttelte schon ablehnend den Kopf.
„Nein, geh du alleine. Ich werde mich hinlegen, der Tag war lang genug.“
Ohne ihre Erwiderung abzuwarten, drehte er sich um und ließ sie in der Lobby stehen.
So hatte sie sich den ersten Urlaubstag bestimmt nicht vorgestellt! Bitter enttäuscht ging sie zur Bar, bestellte einen Long-Island-Eistee, damit sie ihren Frust möglichst schnell ertränken konnte.
Der Barkeeper sah sie bedauernd an.
„Tut mir leid, aber den Cocktail kenne ich nicht.“
Lächelnd blickte Kira ihn an.
„Kein Problem, ich habe das Rezept im Kopf. Gin, Wodka, Rum, Cola, Orangensaft.“
Beeindruckt mixte der Mann ihr den Drink, dann stellte er das Glas mit einem zweifelnden Blick vor sie.
„Sicher, dass man das trinken kann?“
„Ja, es schmeckt sogar. Sollten Sie auch mal probieren“, antwortete sie grinsend, anschließend drehte sie sich um und ging einen Schritt in den Aufenthaltsraum hinein, der eher einer riesigen Halle glich.
An den Wänden standen die verschiedensten Sessel, Sofas und Tische, wo man sich einen vergnüglichen Abend machen konnte, wenn man nicht gleich die Sonnenterrasse bevorzugte. Große Fenster ermöglichten den Ausblick auf den Außenbereich, wo bereits etliche Leute saßen.
Aus den Lautsprechern über ihr dudelte leise Musik, die allerdings kaum bei einem Gespräch störte. Nur gab es niemanden, mit dem sie reden wollte.
Langsam ging sie auf die Terrasse, sah sich kurz den kleinen Pool an, der von Liegen umsäumt war, anschließend drehte sie sich zu der Bar. Auch hier gab es überall Sitzgelegenheiten, damit die Gäste ausgiebig feiern konnten.
Ein gepflasterter Weg führte an der Theke vorbei, hinter das Hotelgebäude.
Neugierig folgte Kira dem Pfad, um zu einer Bühne zu kommen, auf dem gerade ein bulgarischer Tanz dargeboten wurde. Einige Leute saßen auf Holzbänken und klatschten begeistert mit.
Einen Moment sah sie sich die Darbietung noch an, dann forderte einer der Männer die Zuschauer auf mitzumachen, was sie die Flucht ergreifen ließ. Auf Animation hatte sie überhaupt keine Lust.
In der Nähe der Poolbar suchte sie sich ein freies Plätzchen an einem der Tische, trank ihren Cocktail, dabei überlegte sie, ob sie ebenfalls ins Bett gehen sollte. Aber der Gedanke, dass ihr Ehemann sich gerade mit seiner Geliebten im Chat vergnügte, hielt sie davon ab, jetzt schon in ihr Zimmer zurückzugehen.
Erstaunt bemerkte sie, dass ihr Glas bereits leer war und so ging sie zur Theke, bestellte sich einen zweiten Long-Island-Eistee. Auch an dieser Bar musste sie dem Barkeeper das Rezept nennen.
„Vielen Dank für die neue Kreation. Damit werde ich weitere Gäste beeindrucken können. Ich arbeite in der Frühschicht im Nachbarhotel“, teilte er ihr freundlich mit.
„Herzlich gerne. Ich hoffe, dass Sie mit dem Drink Erfolg haben.“
Sie wollte sich gerade umdrehen, als sich eine große Gestalt neben sie schob.
„Long-Island-Eistee ist kein Getränk für Frauen.“
Die Stimme erkannte sie auf Anhieb! Wieso konnte ihr das Glück an dem verkorksten Tag nicht einmal hold sein, dann wäre sie dem Russen wohl kaum schon wieder begegnet.
„Und warum sollten Frauen die Finger davonlassen?“
Mit einer klaren Herausforderung sah sie ihm in die Augen. Es reichte, wenn Matthias ihr ständig vorschrieb, wie sie zu leben hatte. Diesem Kerl hier würde sie jetzt sofort die Grenze zeigen.
„Weil sie betrunken zur leichten Beute werden, Daragaja.“
„Vier Wodka-Cola“, bestellte er bei dem Barkeeper, der sich nur schwer ein Grinsen verkneifen konnte.
„Danke für ihre Warnung“, damit wollte Kira ihn stehen lassen, dummerweise hielt er sie am Arm fest.
„Möchtest du dich zu uns setzen? Ist doch bestimmt langweilig so alleine“, bot er ihr freundlich an.
Von dem überheblichen Lächeln war plötzlich nichts mehr zu sehen.
„Danke, aber nein danke. Wie Sie selbst eben gesagt haben, werden Frauen zur leichten Beute, wenn sie Alkohol trinken“, lehnte sie energisch ab.
„Ganz wie du willst, Daragaja.“
Enttäuscht musste sie feststellen, dass er ihre Antwort so einfach hinnahm, dabei hatte sie gehofft, dass er sich auf einen verbalen Kampf mit ihr einließ. Schnell scheuchte sie diese Gedanken aus ihrem Kopf. Auf keinen Fall wollte sie sich mit dem Kerl abgeben.
„Ich bin nicht ihr Liebling, verdammt noch mal. Mein Name ist Kira“, sprudelte sie hervor, ehe sie es sich überlegen konnte.
Der Mann hatte recht, sie sollte die Finger vom Long-Island-Eistee lassen, sie wurde wirklich unvorsichtig.
„Geht doch, Kira. Möchtest du jetzt vielleicht bei uns sitzen?“, bot Nikolaj ihr erneut an, dabei sah er ihr eindringlich in die Augen.
Sein Blick schickte eine Gänsehaut über ihren Körper, die sie lieber nicht analysierte. Wieso war er plötzlich so anders? Und warum spürte sie die gefährliche Aura in dem Moment nur unterschwellig? Es musste am Drink liegen!
Ohne ihm zu antworten, drängte sie sich an ihm vorbei, um ins Hotel zu rennen, wo sie sich schleunigst in ihrem Zimmer verkroch.
Nikolaj sah ihr nachdenklich hinterher. Diese Wildkatze reizte ihn, denn das war endlich mal eine Frau und keine von den willigen Weibchen, die ihm in Scharen nachliefen! Aber noch wollte er ihr Zeit geben, sonst würde er sie komplett verscheuchen.
„Träumst du, Kolja?“
Sein Bruder Alexej riss ihn aus seinen Gedanken, er war neben ihn getreten, um zu sehen, wo die Drinks blieben. Schnell schüttelte er den Kopf, drückte ihm zwei der Wodka-Cola in die Hand, anschließend ging er mit ihm zu einem Tisch in der Nähe des Pools.
„Dir hat die Kleine es wohl angetan oder?“, erkundigte sich sein Trainer Kyrill.
„Irgendwas hat sie an sich. Außerdem glaube ich, dass sie unglücklich ist“, antwortete Nikolaj nachdenklich, dann hob er sein Glas und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter.
Matthias war alles andere als glücklich, sie so früh im Zimmer zu sehen. Allerdings konnte er sie kaum bitten, ihn alleine zu lassen. Es war peinlich genug, dass er mit heruntergezogener Hose am Laptop saß. Nur würde er sich dazu keinesfalls äußern, das klappte immer noch am besten.
Kira würdigte ihn keines Blickes, denn sie hatte damit gerechnet, dass er sich um seine Geliebte kümmerte.
„Lass dich nicht stören“, fauchte sie ihn an, ehe sie im Bad verschwand.
Der Alkohol lockerte ihre Zunge, darüber hinaus stellte er seltsame Dinge mit ihrem Kopf an. Sie glaubte doch tatsächlich, dass der russische Boxer Interesse an ihr gezeigt hatte. Die Erinnerung an seine braunen Augen, die sie so eindringlich musterten, beschleunigte ihren Puls. Schnell gab sie den Cocktails die Schuld an diesen Träumereien, dabei wusste sie genau, dass sie bei Weitem nicht genug getrunken hatte. Vielleicht sollte sie das Abenteuer mit dem Russen, mit Nikolaj, verbesserte sie sich in Gedanken, eingehen?
Sofort schob sie die Idee von sich. Erstens war sie verheiratet und zweitens würde er sie kaum wollen ... mit ihrer Figur. Bestimmt liefen ihm die Frauen in Scharen hinterher; da konnte sie nur verlieren. Eine kleine Stimme in ihrem Kopf fragte sie allerdings hartnäckig, wieso er sie immer wieder ansprach, wenn er sie doch unattraktiv fand?
Energisch verbot sie sich weitere Spekulationen, putzte sich die Zähne, kämmte sich und schlüpfte in ihren Schlafanzug, der im Bad bereitlag.
Ohne ihren Mann zu beachten, ging sie ins Bett, wo sie fast sofort einschlief.
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„Wir müssen reden“, bemerkte Matthias am nächsten Tag, als sie aus dem Bad kam.
Kira hatte sich nach dem Duschen in einen Bademantel gehüllt und trocknete sich gerade die Haare ab.
Fragend sah sie ihn an, da sie mit so einer Ansage kaum gerechnet hatte, gleichzeitig überlegte sie, was er wohl von ihr wollte. Die Szene am vergangenen Abend war eindeutig gewesen.
„Bitte, ich stehe dir zur Verfügung.“
Ihre Stimme erinnerte an einen Gefrierschrank, ihr Blick war gelangweilt und ihre gesamte Haltung verriet, dass sie dieses Mal auf keinen Fall einfach über seine Untreue hinwegsah.
„Das mit gestern tut mir leid“, würgte ihr Ehemann hervor.
Desinteressiert sah sie auf ihre Fingernägel, tat so, als ob sie diese kontrollierte, dabei ignorierte sie ihn.
Als das Schweigen für sie zu unangenehm wurde, ließ sie sich zu einer Antwort herab. Allerdings beschwichtigte sie diese halbherzige Entschuldigung keineswegs, zumal sie fast schon erwartete, dass er später wieder mit Angelika chatten würde.
„Gut, dann können wir ja jetzt frühstücken gehen.“
„Bitte rede mit mir. Ich will dich nicht verlieren“, bat Matthias, als sie sich zur Tür umdrehte.
„Bin ich auf einmal nicht mehr zu fett? Oder hat deine Sekretärin genug von dir? Vielleicht liegt es auch daran, dass es durchaus Männer gibt, die sich für mich interessieren“, hielt sie ihm vor, während sie ihn über die Schulter hinweg ansah.
Beschwichtigend hob er die Hände, dann packte er sie am Arm und drehte sie herum.
„Gestern ist mir eine Sicherung durchgebrannt. Zuerst lässt du dir von diesen ungehobelten Kerlen helfen, anschließend verschwindest du plötzlich und ständig wirft dir der Prolet schmierige Blicke zu. Nenn es Eifersucht.“
Sein Versuch sich zu rechtfertigen stachelte ihre Wut nur noch mehr an. Statt sich ehrlich zu entschuldigen oder ihr zu versprechen, dass er sich änderte, zählte er ihre angeblichen Vergehen auf.
„Und das ist Grund genug, sich vor der Webcam einen runter zu holen? Natürlich, während die liebreizende Angelika zusieht.“
Spöttisch hob sie die Augenbrauen, dabei verzog sie das Gesicht, als ob sie in eine Zitrone gebissen hätte.
„Was willst du denn hören? Ich bin ein Mann! Du hast in den letzten Monaten nur gearbeitet.“
Ehe sie antworten konnte, zog Matthias sie in seine Arme, strich ihr die dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht und küsste sie liebevoll.
Überrascht von dieser Zärtlichkeit vergaß Kira völlig sich zu wehren, stattdessen schmiegte sie sich an ihn. Das war es doch, was sie mit dem Urlaub bezweckte!
„Ich ändere mich, allerdings musst du auch etwas für dich tun.“
So ganz gefiel ihr die Aussage zwar nicht, aber wenn das der Weg war, um ihre Ehe zu retten, würde sie ihn gerne in Kauf nehmen.
„Du ziehst dich um, trainierst eine Stunde, anschließend kannst du eine Kleinigkeit essen. Ich gehe alleine zum Frühstücksbüffet, so kommst du erst gar nicht in Versuchung. Später arbeite ich noch ein paar Anfragen ab.“
Mit der Anordnung schob Matthias sie von sich, öffnete die Tür und war im nächsten Moment verschwunden.
Sollte sie darauf eingehen? Sie konnte sich nur undeutlich daran erinnern, wann er sie zuletzt so geküsst hatte, da war es ein wenig Anstrengung bestimmt wert. Eine Stunde Sport, um ihren Ehemann zurückzubekommen, war keinesfalls zu viel verlangt, zumal sie ja wusste, dass sie dringend etwas tun musste, um abzunehmen.
Hin- und hergerissen lief sie durch das Zimmer. Auf der einen Seite wollte sie ihrer Ehe eine Chance geben, auf der anderen schien es ihrem Mann nur um ihre Figur zu gehen.
Sie gab sich einen Ruck, zog sich Leggins, T-Shirt und Sportschuhe an, dann machte sie sich, mit einem Handtuch bewaffnet, auf den Weg ins Fitnessstudio. Eventuell hatte sie Glück, sodass sie den Raum für sich hatte; immerhin war es gerade mal acht Uhr.
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend schob sie sich durch die Milchglastür, um gleich dahinter stehen zu bleiben. Natürlich musste sie das Pech haben und den Russen gegenüberstehen.
„Guten Morgen Daragaja, komm rein“, begrüßte Nikolaj sie mit einem spöttischen Unterton.
Kira verzichtete darauf, ihn erneut wegen des Kosenamens zurechtzuweisen, trotzdem schüttelte sie leicht den Kopf.
„Nein danke, ich störe lieber nicht.“
Hektisch drehte sie sich um, aber im gleichen Moment schlug der Kerl die Tür zu und drückte eine Hand fest dagegen. Wie zum Teufel hatte er es geschafft, so schnell zu ihr zu kommen? Ihn so nah hinter sich zu spüren, brachte sie enorm aus der Fassung, deshalb atmete sie erst ein paar Mal tief durch, ehe sie sich umdrehte.
Nikolaj stand so dicht, dass seine Nasenspitze sie fast berührte, dabei sah er sie herausfordernd an.
„Du wolltest doch trainieren, oder?“, erkundigte er sich gefährlich leise.
Jetzt spürte sie diese dunkle Aura, die ihr riet, sich von ihm fernzuhalten, extrem deutlich.
„Eigentlich schon, aber ...“, verlegen brach sie ab.
Was sollte sie auch sagen? Dass sie sich vorgenommen hatte, ihm aus dem Weg zu gehen? Dass er sie irritierte? Dass ihr Ehemann sie zu dem blöden Training zwang? Mit jedem Satz spielte sie ihm nur diverse Trümpfe in die Hände oder sie vergrößerte das Risiko, ihn zu verärgern.
„Könnten Sie bitte die Tür freigeben? Ich habe es mir anders überlegt“, fauchte sie ihn an.
Angriff war immer noch die beste Verteidigung, außerdem ging es ihn einen feuchten Kehricht an, warum sie ihre Meinung änderte.
„Und ich möchte eine Antwort. Ist dir unsere Gesellschaft vielleicht nicht fein genug?“
In seinen Augen stand eine Warnung, die sie ganz bestimmt nicht missachten würde. Allerdings sorgte ein anderer Gedanke dafür, dass sie mit dem Kopf schüttelte: Sie war kein Snob und verurteilte niemanden für sein Aussehen!
„Nein, ich will nur verhindern, im Weg zu sein. Ich habe keine Ahnung von einem Fitness-Training“, gab sie kleinlaut zu.
Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber sie würde den Teufel tun und ihm auch noch gestehen, dass er sie regelmäßig aus der Bahn warf.
„Das ist doch kein Problem. Komm, ich zeige dir, was du tun musst.“
Fast schon galant hielt er ihr die Hand hin, die sie widerwillig nahm, dann brachte er sie zu dem Trimmrad.
„Fang mit dem Aufwärmen an. Es reicht, wenn du zehn Minuten dafür sorgst, dass dein Puls auf Touren kommt“, erklärte er ihr.
„Er meint, dass du in einem Tempo strampeln sollst, in dem du normal atmen kannst“, mischte sich der kleinere Mann mit einem freundlichen Lächeln ein.
„Kolja, als Trainer eignest du dich überhaupt nicht. Lass mich das besser machen und stemme deine Gewichte“, fügte er an Nikolaj gewandt hinzu.
Ehe Kira protestieren konnte, stand er auch schon vor ihr, stellte das Trimmrad für sie ein, dann sah er sie verschmitzt an.
„Ich bin übrigens Kyrill, der Trainer der Jungs. Wenn sie dir also auf die Pelle rücken, sag mir Bescheid. Ich weiß, wie man sie in den Griff bekommt.“
Jetzt schaffte sie nicht länger, sich ein Lächeln zu verkneifen. Dankbar nickte sie ihm zu, legte ihr Handtuch auf den Lenker des Ergometers, um mit der Aufwärmphase zu beginnen.
Nikolaj sah sie fasziniert an, dieses Lächeln ging ihm durch und durch. Es störte ihn nur enorm, dass es nicht für ihn bestimmt war.
„Mach den Mund zu, Junge. Ich bin ein paar Jahre älter als du, also habe ich auch mehr Erfahrung, wie man mit einer Dame umgeht.“
Kyrill sah seinen Schützling auffordernd an, sodass der sich augenblicklich wieder seinem Training widmete.
Erstaunt stellte Kira fest, dass der einschüchternde Riese sofort auf seinen Trainer hörte. Die Demütigungen, die sie automatisch erwartete, da Matthias keine Gelegenheit ausließ, an ihr herumzumäkeln, blieben aus.
Bei dem Gedanken an ihren Ehemann bekam sie ein schlechtes Gewissen, da sie genau wusste, dass er diese Gesellschaft keineswegs guthieß. Andererseits hatte er sie hergeschickt und so kam sie auch noch in den Genuss eines Profitrainers, der sie bestimmt besser betreute, als jeder andere.
Eine Weile hörte man nur das konzentrierte Atmen der Männer, die auf den Hantelbanken ihre Gewichte stemmten sowie das leise Quietschen des Ergometers.
„Das reicht, Mädchen. Komm mal her“, forderte Kyrill sie auf, der gerade von einem Butterfly-Trainer aufstand.
Gehorsam stieg Kira von dem Rad, ging die zwei Schritte zu dem Gerät, dabei sah sie ihn unsicher an.
„Ich beiße nicht, aber ich muss wissen, was du erreichen willst und was man dir zumuten kann“, erklärte er lachend, als er sie musterte.
„Ich sollte mich in Form bringen, abnehmen und Muskeln aufbauen. Allerdings möchte ich keinesfalls aussehen, wie ein Mannweib.“
Sie schluckte, denn die Situation war ihr unheimlich peinlich. Gerade vor diesen Männern ihre Unzulänglichkeiten zuzugeben, trieb ihr die Schamröte ins Gesicht. Immerhin waren alle vier Russen eine Augenweide, durchtrainiert, muskulös und eindrucksvoll.
„Warum willst du das? Du siehst kaum so aus, als ob dir das Training hier Spaß macht.“
Nikolajs Stimme dröhnte durch den Raum, sodass sie ihn sofort herausfordernd ansah.
„Du glaubst wohl, dass ich das nicht schaffe, oder was? Denkst, dass ich zu unsportlich bin?“
Aufgebracht ging sie einen Schritt auf ihn zu, weil sie in seinen Worten Ironie vermutete oder einen Hinweis darauf, dass sie eben zu bequem sei.
Reflexartig hielt Kyrill sie am Arm fest, schüttelte den Kopf und atmete tief aus.
„Was? Der da glaubt doch, dass er ein Geschenk an die Frauenwelt ist und sich alles erlauben kann“, damit deutete sie auf Kolja, der sie herausfordernd angrinste.
Ihr Zorn richtete sich auf den Trainer, der sie immer noch festhielt, jetzt aber ein breites Grinsen unterdrückte.
Die Kleine hatte Temperament, außerdem warf sie sich Kolja nicht direkt an den Hals, was mal eine erholsame Abwechslung bedeutete. Bei ihr musste sich sein Schützling endlich mal anstrengen.
„Ich bin ein Geschenk an die Frauen!“
Provozierend hob Nikolaj einen Arm und ließ seine Muskeln spielen, was ihm ein abwertendes Schnauben von Kira einbrachte.
„Wenn das alles ist, was du zu bieten hast, tust du mir ordentlich leid“, konterte sie spöttisch.
„Kinder, wir sind hier, um zu trainieren! Du hast ihr deine Hilfe angeboten, also benimm dich wenigstens.“
Kyrill schob Kira jetzt auf ein Trainingsgerät zu, auf dem man die Bauchmuskeln trainierte. Schnell erklärte er ihr, wie sie die Bewegungen ausführen musste, kurz darauf regulierte er das Trainingsgewicht.
„Probier es aus, falls es zu schwer ist, sag mir Bescheid.“
In dem Augenblick, in dem er den Satz ausgesprochen hatte, wusste er, dass sie zu stolz war, um zuzugeben, wenn er das Gewicht zu hoch eingestellt hatte. Seufzend stand er neben dem Bauchtrainer und wartete, bis er sicher sein konnte, dass sie klarkam, anschließend schlenderte er zu Nikolaj.
„Willst du sie für dich gewinnen, dann solltest du aufhören sie zu provozieren. Jetzt fang endlich mit deinem Training an.“
Kyrill gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf, damit ging er zu der letzten freien Hantelbank.
Nach einer Weile forderte der Trainer sie auf, das Gerät zu wechseln. Geduldig erklärte der er ihr immer wieder die Funktionen der Geräte, stellte für sie das Gewicht ein und setzte sich für sie ein, wenn sie sich mit seinem Schützling stritt. Genauso erinnerte er sie gelegentlich daran, einen Schluck zu trinken. Was sie beschämte, da sie auch hier auf die Reserven der Russen zurückgreifen musste. Sie hatte vergessen, sich etwas einzupacken.
Natürlich ließ Kolja es sich nicht nehmen, sie weiter zu ärgern. Dabei verkniff er sich das Grinsen, denn ihm machten die kleinen Machtkämpfe enorm Spaß.
„Ich danke dir, Kyrill, aber jetzt muss ich mich langsam verabschieden.“
Kira war vollkommen fertig, doch das würde sie keinesfalls zugeben, jedenfalls nicht, solange der aufgeblasene Muskelprotz Nikolaj sie hören konnte.
„Wenn du magst, treffen wir uns morgen um die gleiche Zeit wieder. Es sei denn, du hast so einen Muskelkater, dass du kaum noch aus dem Bett kommst. Oder du drückst dich lieber.“
Koljas Stimme sorgte dafür, dass sie regelrecht Haltung annahm. Wieso musste dieser Angeber sie ständig herausfordern?
„Darauf kannst du lange warten“, schoss sie sofort zurück.
„Worauf? Dass du weiter trainierst? Hätte ich mir ja denken können, dass du kneifst.“
„Nikolaj Konstantinowitsch Kasakow bist du eigentlich als Idiot auf die Welt gekommen? Oder bist du so unausstehlich, weil du die Kleine gut findest?“
Bei den Worten seines Trainers stieß Kolja eine Reihe übler Flüche auf Russisch aus, erst dann tippte er sich an die Stirn.
„Danke, so weit wollte ich mein Vokabular keinesfalls erweitern“, bemerkte Kira sarkastisch.
„Du kannst noch viel mehr lernen, wenn du den Mut hast.“
Nikolaj schaffte es nicht den Mund zu halten, außerdem versuchte er, auf diese Weise zu verhindern, dass sie sich ihm jetzt schon entzog. Wer wusste denn, ob er sie an dem Tag wiedersah oder vielleicht wirklich bis zum Morgen warten musste?
„Was zum Beispiel? Wie ich besonders vulgär fluche? Danke, darauf verzichte ich gerne.“
Kira hielt sich unauffällig an dem Lenker des Trimmrades fest, weil ihr schwindelig wurde. Sie hätte alles Mögliche getan, um endlich duschen und sich einfach nur hinsetzen zu können, aber das kam im Augenblick auf keinen Fall infrage.
„Für den Anfang könntest du lernen, wie ein vernünftiges Training aussieht. Eins bei dem man sich nicht so verausgabt, dass man kaum noch stehen kann.“
Genau bei diesem Satz gaben ihre Beine nach, doch ehe sie auf dem Boden aufschlug, war Kolja bei ihr und fing sie auf.
„Jemand sollte dir dringend beibringen, wie man Provokationen an sich abprallen lässt, statt darauf einzugehen. So schadest du dir nur selbst“, teilte er ihr mit, anschließend setzte er sie auf die Hantelbank, von der er gerade aufgesprungen war.
Mit sanfter Gewalt drehte er sie so, dass sie mit dem Rücken an seiner Brust lehnte, dann legte er einen Arm um sie. So hielt er sie fest, bis sie nachgab und sich ein wenig entspannte.
„Toll gemacht, Kyrill. Ich dachte, du passt auf, dass sie sich beim ersten Training nicht übernimmt.“
Wütend blitzte Kolja seinen Trainer an, der sichtlich verlegen vor ihnen stand.
„So was ist mir noch nie passiert. Keine Ahnung, wieso ich sie so falsch eingeschätzt habe“, murmelte er betroffen.
„Das ist doch keine große Sache. Ich gehe gleich frühstücken, danach wird sich auch mein Kreislauf wieder beruhigen“, versuchte Kira, die beiden zu stoppen.
Sofort hatte sie die volle Aufmerksamkeit der Männer.
„Du trainierst ohne was im Magen?“, erkundigte Kolja sich fassungslos.
„Mein Ehemann meinte, es sei effektiver, wenn ich erst was für meine Figur tue, ehe ich was esse.“
Verlegen musterte sie die Hantelbank, auf der sie saß. So im Mittelpunkt zu stehen war ihr peinlich, außerdem wollte sie den Fremden kaum einen Einblick in ihr Eheleben geben.
„Was für ein Idiot! Er hat dir gesagt, dass du abnehmen sollst, oder?“
Nikolaj stellte sich an ihre Seite, hielt sie mit einem Arm fest, gleichzeitig packte er mit einer Hand ihr Kinn. Sanft zwang er sie ihn anzusehen, obwohl er merkte, dass sie sich verzweifelt wehrte.
„Hör auf mit dem Widerstand und antworte mir“, verlangte er herrisch.
„Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Lass mich sofort los, anschließend sehen wir uns nie wieder“, fauchte Kira, die die Gegenwart dieses Mannes so gar nicht kalt ließ.
Ausgerechnet jetzt, wo Matthias endlich einen Schritt auf sie zuging, musste der Kerl ihr das Gefühl geben, dass er sich ehrlich um sie sorgte.
„Nein, Daragaja, darauf gehe ich bestimmt nicht ein. Gestern warst du völlig verzweifelt, heute trainierst du bis zur Erschöpfung, weil dein Ehemann es so gewollt hat. Und im Augenblick wehrst du dich gegen mich aus Angst vor weiteren Enttäuschungen. Hat er dich gezwungen?“
Seine Stimme klang so sanft, darüber hinaus zeigte er, dass er von ihr mehr verstand, als Matthias.
„Woher willst du wissen, dass ich verzweifelt war? Und überhaupt, was geht es dich an? Es ist meine Ehe, meine Entscheidung und mein Leben.“
Wütend schlug sie seine Hand weg, rutschte von der Hantelbank, schnappte sich ihr Handtuch, kurz darauf verließ sie den Raum.
„Geh ihr nach, Aljoscha. Ich möchte sicher sein, dass sie in ihrem Zimmer ankommt“, befahl Nikolaj seinem Bruder.
„Wieso läufst du ihr nicht selbst hinterher“, begehrte dieser auf, aber ein Blick aus harten, braunen Augen scheuchten ihn hinter ihr her.
„Du gehst zu schnell vor. Vielleicht liebt sie ihren Ehemann auch“, mischte sich Rodion ein, der sich langsam den Schweiß von der Stirn wischte.
Sie kannten sich schon so lange, waren Freunde, nur deshalb durfte er es wagen, sich in der Situation einzumischen.
„Das will ich nicht glauben. Ich spüre, dass da was im Argen liegt. Was ist das denn für ein Mann, der seine Ehefrau die Koffer schleppen lässt? Sie hat gestern mit den Tränen gekämpft, als sie uns hier begegnet ist. Nein, sie ist unglücklich und er hat daran einen entscheidenden Anteil.“
Nachdenklich blickte Nikolaj aus dem großen Panoramafenster, durch das man auf den Pool, die Poolbar und den Strand sehen konnte.
„Rodja hat recht. Sie ist eine verheiratete Frau, vergiss das nicht“, mischte sich jetzt auch Kyrill ein.
„Das ist mir bewusst. Es ist ein Grund, aber kein Hindernis“, murmelte Kolja, dann ging er zu der Hantelbank zurück.
~~°~~
Kira lief wie von Hunden gehetzt zu ihrem Zimmer, dabei stolperte sie mehr als einmal, konnte sich jedoch immer im letzten Moment fangen. Ihre Beine zitterten; sie fühlte sich komplett erschöpft und verfluchte sich selbst.
Wieso war sie auch auf das harmlos erscheinende Angebot eingegangen? Endlich stand sie vor dem Raum, zog die Plastikkarte durch das Lesegerät, um erleichtert ins Innere zu taumeln.
Die ganze Zeit hatte sie übersehen, dass Alexej ihr folgte, was diesem gerade recht war.
Völlig außer Atem zog sie die Tür hinter sich zu, um gleich darauf fassungslos auf Matthias zu sehen. Er saß vor dem PC, die Hose heruntergezogen und hatte seinen Penis in der Hand.
Mit geschlossenen Augen massierte er sich, während aus dem Lautsprecher eine weibliche Stimme tönte, die ihm erzählte, was sie alles mit ihm anstellen wollte.
Er war so weggetreten, dass er Kira gar nicht hörte. Als sie ebenfalls von der Webcam erfasst wurde, machte Angelika ihn lautstark darauf aufmerksam, dass seine Ehefrau im Zimmer stand. Getroffen zuckte er zusammen und sah sich verwirrt um.
„So, du siehst also nach deiner Arbeit? Gehört sie vielleicht dazu?“, fauchte Kira.
Sie hätte sich ja denken können, dass sein Verhalten am Morgen nur gespielt war und sie, die blöde Kuh, war auch noch auf sein Theater hereingefallen!
„Schalten Sie endlich die Webcam aus. Ich für meinen Teil habe mehr als genug von ihnen gesehen“, herrschte Kira die Frau durch das Mikro an.
Angelika saß nur mit einem Body Ouvert bekleidet vor der Kamera, dabei hielt sie die Beine weit gespreizt. Ihre Finger glänzten genauso vor Nässe, wie ihre Schamlippen, ein Anblick, auf den Kira gerne verzichtet hätte.
Für einen Augenblick produzierte ihr Körper so viel Adrenalin, dass sie ihre Erschöpfung vergaß, doch jetzt stürzte alles doppelt auf sie ein. Entsetzt spürte sie, wie die Tränen sich in ihren Augen sammelten, was sie ins Bad stürzen ließ. Auf gar keinen Fall würde sie vor der Schlampe anfangen zu heulen!
Desillusioniert, verletzt und durcheinander setzte sie sich auf den Toilettendeckel, um zu Atem zu kommen.
„Mach die verdammte Tür auf“, rief Matthias, während er gegen die verschlossene Badezimmertür hämmerte.
„Du kannst mich mal gerne haben.“
Kira wollte den Mistkerl auf keinen Fall sehen. Zum Teufel mit dem scheinheiligen Lügner. Dieses Mal war er einfach zu weit gegangen. Dummerweise hatte sie sofort den besorgten Blick von Nikolaj vor Augen, was die Situation kaum besser machte.
Langsam streifte sie die Sportsachen ab, stand mühsam auf und hievte sich unter die Dusche. Sie fühlte sich, als ob sie bereits achtzig Jahre alt wäre und nicht erst siebenundzwanzig.
Das heiße Wasser tat ihren geschundenen Muskeln gut, allerdings spürte sie, wie ihr erneut schwindelig wurde. Zu gerne hätte sie sich noch länger unter dem warmen Wasserstrahl entspannt, aber sie brauchte dringend etwas zu essen. Ihre Wut auf Matthias kocht wieder hoch, als sie daran dachte, dass er sie überredet hatte, mit leerem Magen zu trainieren. Wenigstens hatte die Dusche bewirkt, dass sie sich halbwegs normal bewegen konnte.
Schnell trocknete sie sich ab, wickelte sich in das Badetuch, auch weil sie keinesfalls nackt durch das Schlafzimmer laufen wollte, solange sie nicht sicher war, ob Angelika sie sah. Entschlossen riss sie die Tür auf.
Ohne ihren Ehemann anzusehen, öffnete sie den Kleiderschrank, nahm Shorts, BH, Slip sowie ein T-Shirt heraus, anschließend verschwand sie wieder im Bad.
Hier zog sie sich an, dabei überlegte sie, was sie tun sollte. Natürlich könnte sie nach Hause fliegen und sich eingestehen, dass ihre Ehe endgültig gescheitert war oder sie kämpfte weiter. Eine kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte ihr zu, dass es noch eine Option gab, aber die schob sie sofort zur Seite. In das Mitleid des Boxers durfte sie keine romantischen Gefühle interpretieren!
Ihre langen Haare rubbelte sie mit dem Handtuch ab, dann kämmte sie die Locken durch, den Rest würde die Sonne erledigen.
„Wo willst du hin?“
Matthias stellte sich ihr in den Weg, als sie aus dem Bad kam, in ihre Sandalen schlüpfte und auf die Tür zuging.
„Geh mir aus dem Weg“, zischte sie ihm zu.
Unwillig schüttelte er mit dem Kopf.
„Du antwortest mir, sofort!“
Drohend sah er sie an, dabei trat er einen Schritt auf sie zu.
„Willst du mich bedrohen? Du? Wer hat denn hier einen Fehler nach dem anderen gemacht? Heute Morgen hab’ ich dir geglaubt, dass dir wirklich etwas an unserer Ehe liegt! Aber du wolltest mich einfach nur aus dem Weg schaffen, damit du dich mit Angelika vergnügen kannst. Kein Problem, da stehe ich dir doch nicht länger im Weg. Und jetzt geh mir aus dem Weg, ehe ich mich vergesse.“
Kira kochte vor Wut, ihre Augen blitzten und ihre Wangen färbten sich hochrot. Nur ihre Stimme klang so eiskalt, dass selbst Matthias unsicher wurde.
„Es tut mir leid, Baby. Ich wollte wirklich nur nach meinen Mails sehen, als Angelika mich anschrieb. Sie hat mich verführt.“
Sein Blick bat um Verständnis, dabei lächelte er sie entschuldigend an. Also ob er damit aus dem Schneider wäre.
„Zum Verführen gehören immer noch zwei oder willst du mir sagen, dass sie dich gezwungen hat?“, höhnte Kira.
Sie war so unendlich verletzt, dass sie ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt hätte.
„Natürlich nicht. Aber du musst verstehen ...“, weiter kam er nicht.
„Ich muss? Wer sagt das? Jetzt geh mir aus dem Weg, ehe ich etwas tue, was ich bereue“, schrie sie aufgebracht.
„Vielleicht gehst du was essen, anschließend können wir uns unterhalten.“
Matthias gab scheinbar verständnisvoll nach, trat einen Schritt zur Seite, sodass sie die Tür öffnen konnte, dabei lächelte er sie an.
Kira atmete tief durch, damit sie ihre Fassung wiedererlangte. So schnell es ihre angeschlagene Verfassung zuließ, verließ sie das Zimmer, lief die Treppe runter, nur um zu sehen, dass der Speisesaal längst geschlossen war. Deshalb also sollte sie vorher trainieren!
Jetzt blieb ihr nur die Poolbar, wo Salate sowie ein paar Früchte gereicht wurden.
Lustlos nahm sie ein Schälchen mit einem gemischten Salat, ließ sich ein Mineralwasser geben und setzte sich an einen Tisch. Das Wasser trank sie fast in einem Zug. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie durstig sie gewesen war. Schnell holte sie sich ein weiteres Glas. Nur in dem Grünzeug stocherte sie angewidert herum, der Appetit war ihr gründlich vergangen.
„Du musst was essen, Daragaja.“
Genervt schloss sie die Augen, weil sie Nikolaj jetzt auf gar keinen Fall sehen wollte. Wieso mischte er sich ständig ein?
„Und wenn ich keinen Hunger habe?“
Ihre Stimme klang müde, so als ob sie aufgeben würde, dabei vermied sie, ihn anzusehen.
Warme Finger legten sich um ihr Kinn, zwangen ihren Kopf in den Nacken, bis sie ihn endlich ansah. Selbst als er vor ihr saß, beeindruckte er mit seiner Größe.
„Was ist los?“
Wieso musste er in diesem Moment so verständnisvoll klingen? Konnte er nicht bei seinem provokanten, arroganten Verhalten bleiben? Gerade in ihrer Verfassung kostete es sie zu viel Kraft, ihm zu widerstehen.
Tränen glitzerten in ihren Augen, gleichzeitig kämpfte sie krampfhaft um ihre Haltung.
„Ich bin einfach müde. Euer Training hatte es in sich“, brachte sie leise hervor.
Seine Hand verhinderte, dass sie den Blick abwandte, während er ihr Gesicht studierte. Verständnisvoll, fast würde sie es liebevoll nennen, sah er sie an, dabei strich sein Daumen leicht über ihre Wange. Allein diese unschuldige Zärtlichkeit schubste sie völlig aus der Bahn.
Einen langen Augenblick versank sie in den Tiefen seiner braunen Augen, erlaubte sich zu glauben, dass er ehrliches Interesse an ihr hatte.
„Iss, sonst füttere ich dich.“
Damit zerstörte er die Magie des Moments und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Wie konnte sie sich auch so in ihren Träumen verlieren? Er hatte bestimmt genug Fans, die sich ihm an den Hals warfen. Schlanke, hübsche Frauen, die alles für ihn taten.
„Lässt du mich dann endlich in Ruhe?“
Wie gerne hätte sie diese Worte zurückgenommen, als er sie losließ und der bekannte arrogante Gesichtsausdruck zurückkehrte.
„Natürlich. Ich will nur sichergehen, dass du nicht durch unsere Trainingseinheit krank wirst. Sollte so was an die Presse dringen, schadet es meinem guten Ruf.“
Getroffen zuckte sie zusammen, damit bestätigte er ihr genau das, was sie sich selbst schon die ganze Zeit vorbetete. Er wollte sie nicht, sie interpretierte in seine Hilfsbereitschaft zu viel hinein.
„Iss“, forderte er sie erneut auf.
Schnell spießte sie einige Salatblätter auf, steckte sie in den Mund und kaute. Es schmeckte, als ob sie Pappe essen würde, besonders als Nikolaj aufstand, um zu seinen Kameraden zurückzugehen.
Jetzt fühlte sie sich noch mieser, wenn das überhaupt ging. Wieso musste sie sich auch so von ihm beeindrucken lassen? Sie hatte doch genug Probleme an der Backe! Außerdem zeigte ihr Ehemann ihr gerade deutlich, was sie wert war.
Als ob ihre Gedanken ihn hergezaubert hätten, erschien in dem Augenblick Matthias in der Tür zum Hotel. Er sah sich um, dann kam er zielstrebig auf sie zu.
Auf ihn würde sie gerne verzichten, aber hier in der Öffentlichkeit wollte sie keine Szene machen, also aß sie ruhig weiter.
Gezielt wich sie seinem Blick aus, konzentrierte sich auf den Salat und tat so, als ob er Luft sei.
„Willst du mich für den Rest des Urlaubs ignorieren? Glaub mir, das werde ich keinesfalls zulassen.“
Als er die Hand hob, um sie anzufassen, zuckte sie misstrauisch zurück. Auf keinen Fall duldete sie es, dass er sie berührte; nicht nach dem, was sie vorhin in ihrem Zimmer erleben musste.
„Du tust gerade so, als ob ich dich geschlagen hätte. Du meine Güte, es war ein Ausrutscher, ich bin auch nur ein Mann. Angelika hat sich mir in diesem aufregenden Teil präsentiert. Vielleicht würde ich mich besser beherrschen können, wenn du dich mal um mich bemühst.“
Wieder kam er mit Anklagen, statt sich zu entschuldigen oder die Schuld bei sich zu suchen.
„Ich werde mich bestimmt nicht so anbiedern.“
Mehr sagte sie nicht, sondern stopfte sich weitere Salatblätter in den Mund. Zu allem Überfluss bemerkte sie erst jetzt, dass Nikolaj jedes Wort verstand, da er mit einem Gesichtsausdruck zu ihnen rüber sah, der seine Wut deutlich zeigte.
Es fehlte ihr noch, dass dieser Muskelprotz auf Matthias losging. Schnell stand sie auf, nahm ihren Teller sowie das Glas, um sie zur Theke zu tragen.
„Das kann doch der Kellner machen. Setz dich, wir müssen reden“, wies Matthias sie zurecht.
„Erstens möchte ich meinen Mist selbst wegräumen und zweitens verzichte ich darauf, mit dir zu sprechen. Ich habe genug gesehen, als ich ins Zimmer kam“, blockte sie ihn hart ab, dann drehte sie sich um und ging zur Bar.
Natürlich ließ sich ihr Mann nicht abschütteln, aber das erwartete sie sogar. Sie wollte ihn von dem Russen weglocken.
~~°~~
Kolja sah ihr hinterher, dabei musste er sich zusammenreißen, um den Mistkerl nicht einfach umzuhauen. Dieser Idiot verletzte seine Frau, ohne es zu merken!
Am Rande bekam er mit, dass Kyrills Handy eine SMS anzeigte, doch das war ihm im Moment völlig egal. Er überlegte wirklich, sie vor dem Kerl zu schützen, und natürlich vor ihrer eigenen Dummheit. Wieso war sie immer noch mit dem Widerling zusammen? Offensichtlich hatte sie ihn ja beim Fremdgehen erwischt.
„Du solltest die Finger von der Kleinen lassen“, riet sein Trainer ihm jetzt.
Widerwillig lenkte er seine Aufmerksamkeit auf seinen Freund und Mentor vor ihm.
Ich weiß, dass sie mit dem Deppen verheiratet ist, aber diesen Fehler kann man beheben“, erwiderte er, dabei knurrte er leise.
Stumm hielt Kyrill ihm das Handy hin, sodass er in der Lage war, die Nachricht zu lesen.
Koljas Hände ballten sich zu Fäusten, während er die Zähne fest aufeinanderbiss.
„Du hast recht. Trainierst du sie bitte morgen? Achte darauf, dass sie sich nicht wieder überanstrengt und hilf ihr, falls der Depp zu weit geht. Ich suche mir vorerst eine andere Möglichkeit in Form zu kommen.“
Damit stand er auf, doch ehe er auch nur einen Schritt tun konnte, stoppte Alexej ihn, in dem er eine Hand auf seinen Arm legte.
„Warte Bruderherz, ich denke mal, dass mich die Nachricht etwas angeht, oder?“
Zu gerne hätte Nikolaj verneint, aber er nickte nur stumm.
„Ich habe Mist gebaut, daher ist es unfair, wenn du dafür blutest. Ich werde meinen Rücktritt bekannt geben. Bestimmt finde ich einen anderen Job, dann ist der Albtraum endlich zu Ende.“
Alexej sah seinen Bruder eindringlich an. Es konnte nicht sein, dass dieser ständig sein Leben riskierte, um ihn zu schützen.
„Das kommt keinesfalls infrage. Meine Karriere ist so gut wie beendet, mir fällt es immer schwerer, zu gewinnen. Aber du stehst am Anfang und du bist verdammt begabt. Also misch dich nicht in diese Angelegenheiten ein, sondern sieh lieber zu, dass du mich stolz machst“, blockte Kolja hart ab.
Kyrill sah ihn seufzend an. Für ihn war die Situation unerträglich, da beide Männer ihm wie leibliche Söhne ans Herz gewachsen waren.
„Bitte Kyrill, du weißt, dass ich mit fast sechsunddreißig Jahren an das Ende meiner Box-Karriere denken muss. Aljoscha ist erst dreiundzwanzig, da hat er noch alle Chancen. Ich werde den Forderungen nachkommen und mich von der Kleinen fernhalten. In dem Punkt hast du recht, ich darf sie auf keinen Fall in den Scheiß hineinziehen.“
Schnell drehte er sich um, verließ den Poolbereich und Alexej setzte sich wieder. Sie wussten, dass es nichts brachte, ihm nachzulaufen.
„Tu was Trainer. Was, wenn sie ihn dieses Mal umbringen?“, rief Alex aufgebracht.
„Bleib ruhig Junge, niemand wird ihn töten. Dazu bringt er zu viel Geld ein. Sieh du lieber zu, dass du den nächsten Kampf gewinnst“, beruhigte Rodja ihn, doch man sah, dass er sich ebenfalls Sorgen machte.
„Denkst du, er schafft es wirklich, sich von der kleinen Deutschen fernzuhalten?“, erkundigte er sich bei Kyrill, auch um von dem anderen Thema abzulenken.
Der ältere Mann grinste breit, ehe er den Kopf schüttelte.
„Nein, das glaube ich nicht, aber es wird amüsant werden, zu beobachten, wie er es versucht.“
Sie brachen in lautes Lachen aus, was Alexej fast rotsehen ließ.
„Mir ist es völlig egal, ob er sich an eine Frau ranmacht oder es lässt. Ich will, dass du ihn von diesem Irrsinn abhältst. Ich habe einen Fehler gemacht, dafür muss ich geradestehen.“
Seufzend drehte der Trainer sich zu dem jungen Kerl.
„Er wird sich davon kaum abhalten lassen. Außerdem werden die Typen keine Ruhe geben, selbst wenn du dich vom Boxsport zurückziehst. Da hat Rodja recht, sie verdienen zu viel Geld mit ihm.“
Alexej sprang so wütend auf, dass der Stuhl umkippte, aber bevor jemand etwas sagen konnte, stürmte er auch schon ins Hotel.
Ruhig stellte Rodion den Stuhl wieder auf, holte zwei Gläser mit Cola und setzte sich zu Kyrill an den Tisch zurück.
„Glaubst du, dass sie ihn jemals vom Haken lassen?“
Damit sprach der junge Boxer die schlimmsten Befürchtungen des Trainers aus.
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Im Moment bringt er verdammt viel Geld ein, aber lange wird er das kaum noch durchhalten. Er hat die Zeichen der Zeit bereits erkannt. Nur ob sie auf Kolja verzichten, falls er in Ruhestand geht?“
Kyrill trank nachdenklich einen Schluck. Seine Schützlinge waren da in eine üble Sache verstrickt, dummerweise wusste er auch keinen Ausweg.
„Leider können wir nicht in die Zukunft sehen, doch ich wette, dass er seinem Vorsatz sich von der Kleinen fernzuhalten schneller untreu wird, als wir denken.“
Rodja grinste breit. Er kannte Kolja jetzt schon seit fast zehn Jahren. Sie hatten einige Trainingskämpfe hinter sich, etliche Partys, bei denen er ihn öfter nach Hause bringen musste und umgekehrt genauso. Bei Nikolajs Sieg zum Weltmeister stand Rodion an seiner Seite. Man konnte gut behaupten, dass sie enge Freunde waren.
„Gegen Gefühle ist auch unser Goldjunge machtlos, außerdem spricht sie seinen Beschützerinstinkt an. In einem Punkt gebe ich ihm recht, sie hat ein echtes Arschloch an der Backe.“
Kyrill deutete auf den Hoteleingang, wo Matthias und Kira gerade auftauchten. Man sah deutlich, dass sie ihn abblockte.
~~°~~
„Geh an deinen Computer, Angelika wartet bestimmt schon auf dich. Ich komm auch ohne dich klar“, fauchte sie, als sie am Tisch der Russen vorbeikam.
Die zwei Boxer verstanden zwar kein Deutsch, aber an ihrem Ton hörte man deutlich, dass sie wütend war.
Als Matthias sie am Arm packte, sprangen die beiden Männer auf.
„Brauchst du unsere Hilfe?“, erkundigte der Trainer sich auf Russisch.
Schnell zauberte Kira ein Lächeln auf ihre Lippen.
„Danke Kyrill, bei dem Herrn hier handelt es sich um meinen Ehemann“, blockte sie hektisch ab.
„Das ist übrigens der Trainer von Nikolaj. Er heißt Kyrill und ist ein sehr zuvorkommender, höflicher Mensch.“
Kira deutete auf den Mann, der ihren Angetrauten um einen Kopf überragte, obwohl er der Kleinste in der Gruppe der Boxer war.
„Das ist Matthias“, stellte sie ihn den Russen vor.
Demonstrativ verschränkten die beiden Kerle die Arme vor der Brust und sahen abweisend auf ihr Gegenüber.
„Das ist also der Idiot, der dich zum Abnehmen zwingen will. Der Gleiche, der dich ohne Essen ins Training schickt?“, erkundigte Rodja sich kalt.
„Er kennt sich damit nicht wirklich aus und hat es nur gut gemeint“, verteidigte Kira ihn.
In der jetzigen Situation hätte sie ihn am liebsten ins Messer laufen lassen, dummerweise stoppte ihre Erziehung sie, sodass sie eine Schlägerei hier an der Poolbar verhindern wollte. Schnell schenkte sie den beiden Männern ein unverbindliches Lächeln, zwang sich nicht nach Nikolaj Ausschau zu halten, gleichzeitig drängte sie ihren Ehemann von den Boxern weg.
„So, du bist also schon per Du mit den Proleten? Kennst bereits ihre Vornamen, aber mir wirfst du vor, dass ich mit Angelika rede?“
Matthias baute sich drohend vor ihr auf, sackte jedoch gleich wieder zusammen, als er ein warnendes Knurren von Kyrill hörte.
„Sie waren so freundlich mir Tipps für das Training zu geben. Außerdem kann man das wohl kaum vergleichen, immerhin habe ich meine Hose anbehalten“, zischte Kira ihm verletzt zu.
Schweigend gingen sie ein Stück, auch um Abstand zu den Russen zu bekommen. Vor allem Matthias wollte den Typen ungern ein weiteres Mal begegnen.
„Bitte, lass uns den Streit vergessen. Ich habe einen Fehler gemacht, aber verdiene ich keine zweite Chance?“
Vorsichtig hielt er seine Frau an der Schulter fest, drehte sie herum und sah sie bittend an.
Nachdenklich musterte Kira ihn. Meinte er die Entschuldigung dieses Mal wirklich ernst? Oder würde sie heute Abend erneut alleine in der Hotelbar sitzen? Woher kam der plötzliche Sinneswandel?
„Wie oft soll ich dir verzeihen? Denkst du, du kannst mich betrügen und mit einem einfachen - es tut mir leid - ist es wieder gut?“
Enttäuscht sah sie ihm in die Augen. Das Vertrauen war vollkommen zerstört. Außerdem wusste sie im Moment nicht, ob sie ihn überhaupt noch liebte. Die vielen Demütigungen hatten ihren Gefühlen sehr zugesetzt.
„Ich glaube nicht, dass mit einer Entschuldigung alles vergessen ist, aber ich möchte dir beweisen, dass ich es ernst meine. Du wirst in den nächsten Tagen ja sehen, dass ich mich ändere.“
Seine Stimme wurde drängend, was sie alarmiert die Stirn runzeln ließ. „Das letzte Mal, als ich von einer Trennung gesprochen habe, bist du fast ausgerastet und jetzt willst du mir zeigen, dass du dich änderst? Ich dachte, eine Scheidung kommt auf gar keinen Fall infrage?“
Kira wollte ihm auf der einen Seite gerne glauben, andererseits gingen ihr die braunen Augen des Russen kaum noch aus dem Sinn. Wieso musste er vorhin auch so gefühlvoll reagieren?
Schnell verbot sie sich diese Gedanken. Sie kannte den Mann nur oberflächlich und interpretierte eine Menge Unsinn in sein Verhalten hinein.
„Nein, eine Scheidung kommt keinesfalls infrage, aber ich sehe ein, dass ich einen Fehler gemacht habe. Bitte gib mir diese eine Chance.“
Wieder sah er sie fast schon flehend an, bis sie schließlich nickte, dabei war sie sich sicher, dass sie diese Entscheidung bereute.
„Magst du ein wenig am Strand spazieren gehen?“, schlug Matthias vorsichtig vor.
Erfreut stimmte sie ihm zu. Vielleicht konnten sie ihre Ehe gemeinsam retten?
Er legte ihr einen Arm um die Schultern und ging so mit ihr ans Meer, wo er sie nicht von seiner Seite ließ.
Langsam schlenderten sie durch das Wasser, sahen den Touristen zu, die sich in die Wellen stürzten, gleichzeitig versuchte Kira, verzweifelt zu vergessen, was zwischen ihnen stand.
„Sollen wir auch schwimmen?“, schlug sie nach einer Weile vor, doch ihr Mann schüttelte nur angewidert den Kopf.
Allein die Vorstellung, dass er sich neben seiner Frau zeigen musste, während diese nur einen Badeanzug trug, ekelte ihn an. Hätte sie wenigstens vor dem Urlaub abgenommen!
„Nein, das ist wirklich nichts für mich, aber wenn du gerne möchtest, warte ich im Hotel auf dich.“
Höflich lächelte er sie an, darauf bedacht sie nicht merken zu lassen, wie sehr ihn ihre Idee abstieß.
Er konnte es sich keinesfalls erlauben, sie zu verlieren. Gerade heute Mittag war eine Nachricht seines Chefs gekommen, die ihm mitteilte, dass er für eine Beförderung vorgesehen war. Darin erwähnt man, dass er bevorzugt wurde, weil er eben ein vorbildliches Leben führte. Natürlich wusste niemand im Vorstand, wie es um seine Ehe stand. Eine Trennung in der entscheidenden Phase schadete ihm enorm!
„Es war nur ein Vorschlag, aber wenn du darauf keine Lust hast, ist es auch in Ordnung. Ich wollte mit dem Urlaub erreichen, dass wir einander wieder näherkommen“, blockte Kira leise ab.
Vorsichtig küsste er sie auf die Stirn, vor allem weil er keine Ahnung hatte, was er antworten sollte.
„Du bist misstrauisch, was die russischen Boxer angeht, daher sage ich dir ehrlich, dass wir uns morgen zu einem weiteren Training verabredet haben. Wenn du willst, lass ich den Termin ausfallen.“
Kira wollte ihm gerade die Tatsache nicht verheimlichen, da er so empfindlich auf diese Männer reagierte. Zumal es ihre gesamten Bemühungen wieder zunichtemachen würde.
„Findest du es in Ordnung dich mit der ungebildeten Unterschicht Russlands abzugeben?“
Matthias blieb stehen und sah sie eindringlich an. Für ihn standen diese ungehobelten Kerle in der Rangliste weit unter ihm.
„Unterschicht? Ich glaube, du täuschst dich. Es handelt sich um Profisportler und so wie ich mitbekommen habe, sind sie alles andere als erfolglos. Immerhin reisen sie mit ihrem eigenen Trainer. Was stört dich denn an ihnen?“
Natürlich konnte sie kaum beurteilen, wie gut diese Leute in ihrem Job waren, aber es ging ihr erheblich gegen den Strich, dass ihr Ehemann jemanden verurteilte, ohne ihn zu kennen.
„Was mich an ihnen stört? Hast du sie dir mal angesehen? Tätowiert bis unter die Augenbrauen, provokant und darüber hinaus sind sie Russen! Man weiß doch, dass die sich nicht gesittet benehmen können.“
Abwertend stieß er die Luft aus, dabei sah er seine Frau an, als ob sie etwas total Ungehöriges gesagt hätte. Auf gar keinen Fall würde er sich mit solchen Menschen abgeben. Außerdem wollte er verhindern, dass Kira sich weiterhin in deren Gesellschaft aufhielt, nur gestaltete sich das in dieser Hotelanlage schwierig.
„Du bist ungerecht. Zu mir waren sie höflich, zuvorkommend und extrem hilfsbereit. Ich möchte das Training morgen ungern absagen, zumal Kyrill genau weiß, was mich weiterbringt“, teilte sie ihm mit.
„Ich glaube kaum, dass er der richtige Mann dafür ist. Denkst du, ich bemerke nicht, dass du dich völlig steif bewegst und immer wieder zusammenzuckst? Ich erkenne doch, dass er es total übertrieben hat. Gott sei Dank hast du dir keine Verletzung zugezogen“, hielt Matthias dagegen.
In der Tat spürte Kira ihre Muskeln überdeutlich, aber den Vorwurf, dass sie sich drückte, würde sie keinesfalls auf sich sitzen lassen. Nur wie sollte sie das ihrem Ehemann erklären, ohne den labilen Frieden gleich zu zerstören?
„Wir können ja an der Rezeption einen Personal-Trainer buchen. Der bringt dich in Form, ohne dass du Schaden nimmst“, schlug er vor.
Widerwillig stimmte sie ihm zu, dabei kam ihr der Gedanke, dass sie gar nicht mit einem Fremden trainieren wollte. Die Russen fanden sie gut so, wie sie war und das ließen diese Leute sie spüren. Wer wusste schon, wie der andere Kerl sich ihr gegenüber benahm?
„Dann lass uns ins Hotel gehen, damit ich das für dich klären kann.“
Fröhlich drehte Matthias um, nahm ihre Hand und brachte sie zurück. Allerdings bekam seine fantastische Laune einen harten Dämpfer, als sie an der Rezeption nach einem Trainer fragten.
„Es tut mir leid, aber mit einem Fitnesstrainer können wir nicht dienen. Wir haben lediglich das Fitnessstudio, was sie natürlich zu jeder Zeit benutzen dürfen“, teilte die Dame an der Rezeption ihnen bedauernd mit.
In dem Moment kam auch noch Nikolaj an ihnen vorbei, der ihre Bitte deutlich hörte.
„Das ist doch wohl kaum ihr Ernst. Wo sind wir denn hier gelandet? Ich dachte, dass Bulgarien ein halbwegs zivilisiertes Land wäre“, wetterte Matthias, ehe er sich wütend umdrehte, um direkt in das verächtliche Gesicht des Boxers zu sehen.
„Was ist los, Daragaja? Wieso willst du einen anderen Trainer? Kyrill wird dein Pensum anpassen, außerdem lag es nicht an ihm, sondern an deinem Sturkopf. Du wolltest mir unbedingt beweisen, dass du kein Schwächling bist! Und natürlich an dem fehlenden Frühstück.“
Kolja sprach russisch, damit sie ihm offen sagen konnte, was passiert war. Irgendwie glaubte er nicht, dass diese Idee von ihr kam.
„Nikolaj darf ich dir meinen Mann vorstellen?“, lenkte Kira schnell auf Deutsch ab, dabei deutete sie auf Matthias, der betont gelangweilt aus der Wäsche blickte.
„Ich verzichte gerne, aber wenn es dir so viel bedeutet, stell uns halt vor.“
Er stieß diese Worte mit einem Lächeln hervor, dass man als bissig bezeichnen konnte.
„Bitte, er kennt euch nicht und ist misstrauisch“, versuchte sie zu vermitteln, doch an seinem abschätzig verzogenen Gesicht las sie problemlos ab, dass er ihr da keineswegs entgegenkam.
„Du willst nicht, dass mein Trainer deine Frau trainiert? Dumm bist du also auch noch. Einen Besseren als Kyrill wirst du kaum finden. Immerhin hat er mich zum Weltmeister im Schwergewicht, nach WBO, WBA und IBO, gemacht. Da ich davon ausgehe, dass du keine Ahnung von dem Sport hast, sage ich dir gleich, dass die Abkürzungen für die angesagten Verbände stehen.“
Natürlich wechselte er jetzt ins Deutsche, damit Matthias ihn verstand. Provozierend stellte er sich dem Paar in den Weg, dabei sah er kalt auf den Typen vor sich, der zu schrumpfen schien.
Kira sah, wie die Hotelangestellte die Luft anhielt, aber offensichtlich würde sie darauf verzichten sich einzumischen, es sei denn, Nikolaj griff jemanden körperlich an. Schnell schob sie sich vor ihn, sodass sie Matthias abschirmte.
„Könntest du das Platzhirschgehabe lassen? Mein Mann hat gesehen, dass ich mich heute übernommen hab und sich Sorgen gemacht“, mischte sie sich energisch auf Russisch ein.
Eindringlich sah sie dem Boxer direkt in die Augen, was sich als riesiger Fehler entpuppte. Sie versank einen Moment in den Tiefen seiner braunen Iriden, bis Matthias sich lautstark räusperte.
Wieso beeindruckte dieser Kerl sie so dermaßen, wenn ihr Ehemann neben ihr stand?
Ein Grinsen machte sich auf Koljas Gesicht breit, dann streckte er den Arm aus, schob sie zur Seite, um sich vor dem Idioten aufzubauen, der seine Frau zum Abnehmen zwang.
„Du hast so ein Rasseweib überhaupt nicht verdient. Pass auf, dass du sie gut behandelst, sonst bringe ich dir gerne Benehmen bei“, zischte er seinem Gegenüber zu.
Ehe dieser seine Contenance wiedergefunden hatte, drehte sich Nikolaj um, zwinkerte Kira zu und ging auf den Aufenthaltsbereich zu.
„Kyrill wartet morgen auf dich“, rief er ihr zu, ehe er endgültig verschwand.
„Du wirst dort keinesfalls hingehen. Der hat mich bedroht! Ich werde ihn anzeigen. So geht man nicht mit mir um“, wetterte Matthias los, der sich langsam wieder sicher fühlte.
Aufgebracht deutete er auf die Hotelangestellte.
„Sie haben das doch alles gehört. Sie können bezeugen, dass er mir gedroht hat. Rufen Sie die Polizei, sofort“, verlangte er.
Kira verdrehte die Augen, so überzogen reagierte auch nur ihr Ehemann.
„Bitte, lass es gut sein. Er wollte mich nur unterstützten. Außerdem machst du dich mit einer Anzeige völlig lächerlich.“
Vorsichtig legte sie ihre Hand auf seinen Arm, um ihn zu beruhigen.
„Es tut mir leid, aber so gut ist mein Deutsch nicht, dass ich da eine Aussage hinbekäme. Bestimmt war es anders gemeint“, bemerkte die Hotelangestellte in diesem Moment kleinlaut.
Schnaubend stieß Matthias die Luft aus, dann drehte er sich um und rannte zum Aufzug. Noch nie in seinem Leben war er dermaßen herablassend behandelt worden, immerhin war er Aufsichtsratsvorsitzender und kein Lakai.
Seufzend sah Kira ihm nach. Das hatte ihr gerade gefehlt, zumal sie sich auf Nikolajs Verhalten so gar keinen Reim machen konnte. Warum stürzte er sich so auf ihren Mann? Eine kleine Hoffnung keimte in ihr auf, aber die zertrat sie sofort.
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2017
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