Cover

Geister-Pub

 

Cassy sah auf, als die Tür des Pubs aufflog, zusammen mit Wind und Regen wehte Peter O´Sullivan in den Raum, einen langen Regenmantel eng um die magere Figur geschlungen. Mit Mühe drückte er die Tür zu und schüttelte sich anschließend.

„Hallo Peter, schön dich zu sehen“, rief sie ihm zu und in ihrem Gesicht erschien ein fröhliches Lächeln.

Er streifte seinen Mantel ab und legte ihn auf die Lehne eines Stuhles zum trocknen, ehe er zur Theke rüberging.

„Dir ebenso einen guten Abend Cassy“, begrüßte er die junge Frau.

Suchend sah er sich um, dann runzelte er irritiert die Stirn.

„Ist deine Großmutter nicht da?“, wollte er wissen.

Cassy lachte auf, als ob ihre Oma auch nur einen Tag ihren Pub im Stich lassen würde.

„Granny ist in der Küche, glaub nicht, dass sie mich hier nur einen Tag alleine lässt“, antwortete sie.

Ehe Peter etwas sagte, stand schon ein großes Ale vor ihm und er strahlte sie an.      

„Du weißt genau, was ein Mann braucht“, murmelte er und nahm einen kräftigen Schluck.

In dem Pub war es heute verhältnismäßig leer, weil das Wetter mit Sturm und Regen die Leute zu Hause hielt. Trotzdem prasselte im offenen Kamin ein fröhliches Torffeuer, das den gesamten Raum wohlig wärmte. Rund um die rustikale Theke standen Barhocker, aber es gab natürlich ebenso bequeme Ledersessel in der Leseecke. Tische und Stühle, an denen man essen konnte und das übliche Dartspiel durften auch nicht fehlen.

Alles in allem handelte es sich um einen urigen, irischen Pub, in dem die Gäste sich wohlfühlten, weil es familiär zuging.

Cassy legte noch ein paar Torfstücke in den Kamin und lächelte den vier Stammgästen zu, die sich um einen großen runden Tisch versammelt hatten. Die älteren Männer erschienen jeden Tag nach der Arbeit, um in Ruhe ihr Ale oder ein Stout zu trinken.

Jetzt Ende November war es gemütlich, da die Touristen fehlten. Diese zog es erst wieder Mitte Dezember in ihre Gegend und im Sommer kamen die Hausbootgäste dazu, die auf dem Shannon ihren Urlaub verbrachten.

Verträumt blickte Cassy ins Leere, sie liebte ihre Heimat und den kleinen Pub in Droichead na Sionainne oder Shannonbridge, wie die meisten Menschen zu ihrem Heimatort sagten.

„Du hast schon nachgelegt, danke mein Schatz“, hörte sie die Stimme ihrer Oma, die sie aus ihren Gedanken zurückholte.

„Ja klar Granny, ist ja nicht viel zu tun“, antwortete sie und schenkte der alten Frau ein liebevolles Lächeln.

Nachdem ihr Bruder und ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, gab es nur noch ihre Großmutter. An manchen Tagen vermisste sie ihre restliche Familie fürchterlich, daher war sie heilfroh, dass sie ihre Oma bei sich hatte.

„Du kannst ruhig ins Bett gehen. Ich schaffe die paar Gäste alleine“, schlug sie vor, als ihr Blick die Uhr streifte.

Orla MacClary blickte sich in dem Gastraum um, sie spürte ihr Alter und war erleichtert, dass ihre Enkelin die meiste Arbeit erledigte, allerdings beschützte sie ihre Kleine immer. Erst als sie sich versichert hatte, dass von den Kerlen bestimmt niemand aufdringlich wurde, stimmte sie zu.

„Danke mein Kind“, murmelte sie, dann sah sie die Leute in ihrem Pub noch einmal an.

„Und du Peter, lässt die Finger von Cassy, sonst bekommst du es mit mir zu tun, verstanden?“, rief sie dem jungen Mann zu.

Er bekam sofort einen hochroten Kopf und nickte hektisch, während die restlichen Gäste laut auflachten.

„Bitte Granny, das ist peinlich“, wies ihre Enkelin sie zurecht, doch auch sie musste grinsen.

„Ich wünsche eine gute Nacht“, damit war die alte Frau durch die Tür in den privaten Bereich verschwunden.

„Es tut mir leid, manchmal ist sie so unmöglich“, entschuldigte Cassy sich bei dem jungen Mann.

Sie kannten sich bereits seit dem Kindergarten und Peter wusste genau, dass er bei ihr keine Chancen hatte. Dieses Thema hatten sie schon vor einigen Jahren geklärt.

„Sag mal, kommt dein Geist heute eigentlich nicht?“, rief John, ein Arbeiter aus dem Dorf herüber.

Die Leute kamen oft, weil es in dem Pub spukte, oft bewegten sich die Aschenbecher, wie von Geisterhand oder die Türen schwangen auf. Ebenso rückten sich die Stühle zur Seite oder Teller schwebten durch den Raum.

Dieses Phänomen lockte immer wieder Gäste in den Pub, was Cassy und ihrer Großmutter nur recht war, allerdings wussten die beiden Frauen genau, dass es kein echter Geist war.

Cassandra MacClary war der Magie mächtig und auch, wenn sie niemals jemandem mit ihrem Können schaden würde, sah sie keinen Grund darin diese Kräfte nicht zu ihrem Vorteil zu nutzen.

„Ich weiß es nicht John. Er meldet sich bei mir weder ab noch an“, rief sie herüber und lachte.

Mitternacht näherte sich und es war eine gute Zeit, den Leuten etwas zum Gruseln zu geben. So ließ Cassy die Toilettentür zuschlagen, dann rückte sie einen Barhocker an seinen Platz, der abseits der Theke gestanden hatte, dazu nutzte sie ihre Gedankenkraft.

„Scheint er hat dich gehört John. Pass nur auf, dass er dir kein Bein stellt, wenn du gehst“, rief sie dem Gast zu, der ein wenig bleich um die Nase geworden war.

„Dass du es hier aushältst, ich wäre schon längst umgezogen“, murmelte Peter, dem die ganze Sache nicht geheuer war.

Lachend blickte Cassy ihn direkt an.

„Er hilft doch nur beim Aufräumen und ist sonst völlig unsichtbar. Ich könnte nicht wegziehen, immerhin ist das das Haus meiner Familie“, antwortete sie und ein trauriger Zug zeigte sich um ihren Mund.

„Tut mir leid“, brachte Peter hervor.

Freundlich legte sie eine Hand auf seine und schüttelte unmerklich den Kopf, ehe sie ein paar benutzte Gläser durch den Raum schweben ließ, die sie auf der Theke absetzte.

„Du bist verdammt spät, ganz ehrlich, du musst nicht jeden Abend herkommen. Granny und ich kommen klar, ansonsten habe ich deine Handynummer“, teilte sie ihm mit, als sie das Geschirr abspülte.

„Ich musste länger arbeiten und nach dem Tag brauchte ich einfach einen Pint“, stieß Peter hervor.

Die älteren Männer mit ihnen John, verabschiedeten sich, sie zahlten, was auf ihren Deckeln stand und Cassy wünschte ihnen fröhlich eine gute Nacht.

„Es ist nicht richtig, dass du dich alleine mit den Kerlen abgibst“, hielt Peter ihr vor.

Sofort wurde sie ernst und baute sich vor ihm auf.

„Peter O´Sullivan wir haben das bereits geklärt. Es ist mein Pub, seit ich ihn von meiner Granny geschenkt bekam und ich werde mich um dieses Geschäft kümmern. Außerdem bist du ein liebenswerter Nachbar, aber nicht mein Ehemann oder fester Freund“, wehrte sie seinen Einwand wütend ab.

Dieses Thema besprachen sie bestimmt einmal im Monat und sie war es müde, dass er nicht akzeptieren konnte, dass sie gut klarkam.

„Es tut mir leid Liebes, ich mache mir doch nur Gedanken. Im Sommer, wenn die ganzen Touristen kommen, ist es nicht sicher und vom Dezember möchte ich gar nicht erst reden“, führte er ihr erneut vor Augen.

In dem Augenblick hätte sie ihm am liebsten von ihren magischen Kräften erzählt, aber dieses Wissen hielt sie wohlweißlich zurück. Keiner wusste, wie die Leute in Shannonbridge es aufnahmen, falls sie erfuhren, zu was sie in der Lage war.

„Es ist nett von dir, nur völlig unnötig. Wir passen schon auf uns auf“, damit lächelte sie ihn an und beendete das Thema.

Peter seufzt leise, liebend gerne würde er sie an seiner Seite sehen, dafür war er sogar bereit, seinen Job als Farmer aufzugeben. Dummerweise hatte Cassy ihm sehr deutlich klargemacht, dass sie nicht auf diese Weise an ihm interessiert war.

„Was bekommst du für den Drink?“, wollte er müde wissen.

„Der geht aufs Haus, allein weil du aus Sorge doch noch reingeschaut hast“, blockte sie freundlich ab.

Auch jetzt sagte Peter nichts mehr, denn er wusste, in einer Diskussion konnte er nur verlieren.

„Danke Liebes und bis morgen“, damit verabschiedete er sich.

Cassy begleitete ihn bis zur Tür, wartete, bis er den schweren Regenmantel übergestreift hatte, und schloss hinter ihm die Tür ab.

Müde setzte sie sich einen Moment lang auf einen Stuhl, während der Wind ums Haus tobte und der Regen gegen die Fenster schlug. Der Oktober meinte es wirklich nicht gut mit ihnen und bald war Samhain, die Nacht in der die Tore zur Anderwelt aufstanden.

Über sich selbst lachend stand sie auf und räumte die restlichen Gläser weg, löschte das Feuer und ging dann in ihr Schlafzimmer.

Hinter der Gaststätte lag die Wohnung der Familie MacClary, die aus einer geräumigen Küche, einem Wohnzimmer mit offenem Kamin, zwei Schlafzimmern und einem Badezimmer bestand.

Immer noch in Gedanken an Samhain streifte sie ihre Sachen ab und schlüpfte in einen kuscheligen Pyjama. Sie wusste, dass gerade an dem Tag viele mystische Gestalten die Schwelle übertraten, doch da sie selbst die Magie beherrschte, war sie relativ sicher. Magische Wesen griffen sich in der Regel eher die normalen Menschen, jedenfalls solange sie sich still verhielt.

Energisch schob sie die Überlegungen zur Seite und legte sich ins Bett. Erschöpft zog sie die Decke über sich und schlief fast sofort ein.

Am nächsten Tag schien die Sonne, allerdings war es kalt und windig, was Cassy bemerkte, als sie ihr Schlafzimmerfenster öffnete. Von diesem Fenster konnte sie direkt auf den Shannon sehen. Heute ritten winzige Schaumwolken auf den Wellen und sie hörte das Rauschen des Flusses überdeutlich.

Zitternd trat sie einen Schritt zurück, dann holte sie sich frische Kleidung und ging duschen.

„Guten Morgen meine Kleine“, begrüßte Orla sie, als sie die Küche betrat.

„Guten Morgen Granny“, antwortete sie und küsste sie auf die Wange.

Ihre Oma hatte das Frühstück vorbereitet und ließ gerade gebratenen Speck auf einen Teller gleiten. Rühreier standen schon bereit, ebenso dampfte in Cassys Tasse der Tee.

„Du solltest mich nicht so verwöhnen“, meinte Cassy lächelnd, als sie sich an den Tisch setzte.

„Solange ich es kann, werde ich es tun, mein Kind. Unsere Zeit ist begrenzt“, widersprach ihre Großmutter.

Davon wollte sie nichts hören, allein der Gedanke, dass ihre Granny sterben könnte, trieb ihr die Tränen in die Augen. Auch wenn sie wusste, dass niemand ewig lebte.

Ohne weiter auf dieses Thema einzugehen, begann sie mit dem Frühstück, dabei besprachen sie, was an dem Tag zu tun war. Im Moment genossen beide die Ruhepause, ehe im Dezember die Touristen wiederkamen.

Die Einheimischen aßen normalerweise zu Hause, aber für die Auswärtigen hatten sie eine kleine Karte, auf der man traditionelles Irish Stew, Steaks und einen Sheperds Pie fand.

„Kannst du gleich mal rüber nach Birr fahren und einkaufen? Ich brauch ein paar Lebensmittel und die Putzmittel sind auch schon wieder aufgebraucht“, fragte ihre Großmutter jetzt.

„Natürlich, ich mach mich sofort nach dem Frühstück auf den Weg. Wenn ich wiederkomme, putze ich den Pub, dann ist für heute Abend alles erledigt. Torf haben wir noch genug, das müsste für die kommenden Monate reichen. Peter hat uns einen ordentlichen Vorrat angelegt“, erzählte Cassy und trank einen Schluck ihres Tees.

„Er ist ein guter Junge, du solltest überlegen, ob du nicht doch etwas mit ihm anfangen kannst“, riet die alte Frau ihr.

Beinahe hätte sie sich an ihrem Tee verschluckt.

„Das ist nicht dein Ernst, Granny. Peter ist alles, was ich nicht möchte. Ein Schafbauer, der mit den Hühnern aufsteht und nicht über den Tellerrand hinausblicken will. Versteh mich nicht falsch, ich mag ihn, nur ist er so altmodisch“, wehrte sie sich vehement.

Ihre Oma hielt sich vor Lachen den Bauch.

„Besser kann man ihn nicht beschreiben und es würde mich wundern, wenn zwischen euch mehr als eine Freundschaft entstünde. Aber dein Gesichtsausdruck war zu gut“, stieß Orla hervor und kicherte immer noch leise.

Missmutig verzog Cassandra das Gesicht, dann lachte sie mit ihrer Großmutter.

Zusammen räumten sie den Tisch ab und anschließend machte Cassy sich auf den Weg, um die Besorgungen zu machen. Es war eine ziemliche Strecke, bis sie in Birr ankam, aber so sah sie auch mal etwas anderes, als ihr kleines Dorf.

Auf der Fahrt überlegte sie, was für einen Mann sie sich wünschen würde. Natürlich wollte sie nicht den Rest ihres Lebens alleine bleiben, allerdings hatte sie mit dreiundzwanzig noch genug Zeit. Außerdem brauchte ihre Granny sie im Moment von Tag zu Tag mehr.

Darren saß in einem bequemen Lehnstuhl vor dem Panoramafenster, das direkt auf den Atlantischen Ozean hinausging, und genoss den ersten Tag seines Urlaubs. Hinter ihm prasselte ein Feuer im Kamin und er beobachtete, wie die Wellen sich hoch auftürmten und mit Gewalt auf den Strand schlugen.

Von hieraus sah er, welche Kräfte dem Meer innewohnten, als ob er das nicht genau wüsste.

Ein lautes Klopfen an der Scheibe holte ihn aus seinen Gedanken zurück. Einen Moment lang starrte er nur auf das Fenster, dann sah er die Möwe, die davor hin- und herflatterte.

Genervt öffnete er das Fenster, ließ den ungebetenen Gast hinein und schloss es anschließend wieder.

„Was?“, knurrte er.

„Manannan MacLir schickt mich“, begann der Vogel und erntete einen bösen Blick von dem jungen Wassermann.

„Ach wirklich? Und was will er?“, wollte er unwillig wissen.

„Wenn Ihr mich nicht ständig unterbrechen würdet, dann wüsstet Ihr es schon“, bemerkte die Möwe ungehalten.

Darren schnaubte nur, ihm waren zwei Wochen Urlaub zugesichert worden und jetzt sandte man ihm bereits während des ersten Tages einen Boten, das durfte doch nicht wahr sein.

„Euer Vater bittet Euch, so schnell es geht, zu ihm zu kommen. Es handelt sich um einen Auftrag, der sehr wichtig ist“, berichtete der Vogel.

„Als ob es jemals nur darum ginge, einen Tee zusammen zu trinken“, murmelte der Wächter, der in diesem Moment seinen Erzeuger, den mächtigen Meeresgott Manannan MacLir und seinen Job verfluchte.

„Eure Majestät trinkt keinen Tee, mein Prinz“, mischte sich der Bote wichtigtuerisch ein.

„Halt einfach den Schnabel, du Federvieh“, schnauzte Darren ihn an, als ob er seinen Vater nicht kennen würde.

„Ich muss doch sehr bitten. Ich bin der direkte Beauftragte Eures Vaters und kann wohl etwas Respekt erwarten. Oder wollt ihr, dass ich dem großen MacLir berichte, was für einen ungehobelten Sohn er hat“, empörte sich der Vogel.

Darren zuckte mit den Schultern und seufzte leise.

„Es ist mir egal, was du ihm erzählst, allerdings hast du Recht, ich habe mich im Ton vergriffen. Entschuldigung“, damit öffnete er das Fenster wieder und verabschiedete den gefiederten Boten.

Einen Augenblick überlegte er, ob er diese Einladung einfach ignorieren sollte, doch dann entschied er sich dagegen. Auf keinen Fall wollte er seinen Vater in seinem Cottage begrüßen, anschließend müsste er alles renovieren lassen. Manannan MacLir war für sein aufbrausendes Temperament bekannt, besonders wenn man sich ihm widersetzte.

Außerdem bestand die Möglichkeit wirklich, dass er unter den mystischen Wesen mal wieder für Ordnung sorgen musste, immerhin war das sein Job. Aber auf diesen Urlaub freute er sich schon fast seit einem Jahrhundert.

Missmutig verließ er sein Heim, schloss die Tür hinter sich und atmete tief ein. Sein Cottage stand auf einer Klippe, sodass er direkt auf das Meer blickte, falls er mal zu Hause war. Es war ein sehr altes Gebäude, aus massivem Stein gebaut und in der letzten Zeit mit modernen Dingen, wie einer Fußbodenheizung und einem Whirlpool ausgestattet.

Bis zum Strand war es ein Fußmarsch von einer knappen halben Stunde, das kam ihm gerade recht, da konnte er seine Wut abbauen. Es war nie gut, wenn er mit seinem Vater aneinandergeriet, da beide das Wasser beherrschten, gab es meistens riesige Seebeben.

An diesem sonnigen Tag peitschte der Wind die See trotzdem auf und die Wellen demonstrierten, welche Macht sie hatten. Ein Lächeln glitt über Darrens Gesicht, als er dieser Naturgewalt zusah, er liebte die See, was für ihn als Wassermann oder besser Meermann normal war.

Am Strand angekommen blickte er noch einmal zu den imposanten Felsen hoch, dann schaut er sich um. Erst als er sicher sein konnte, dass kein Mensch zugegen war, ging er ins Wasser. Kurz darauf besaß er Flossen statt Beinen und schoss wie ein Pfeil durch das Meer.

Manannan MacLir erwartete seinen Sohn im Palast unter dem Meer und schwamm dabei nervös hin und her. Natürlich hatte er ihm Freizeit versprochen, die dieser absolut verdiente, aber dieses Menschenwesen in Shannonbridge gab ihm Rätsel auf.

Endlich klopfte es und auf ein brummiges „Herein“, erschien Darren.

„Mein Bote hat mir erzählt, dass du alles andere als erfreut warst und somit sehr unhöflich“, begann Manannan.

„Ich freue mich auch dich zu sehen, Paps“, unterbrach der junge Wassermann ihn ungehalten.

Er hasste es, wenn sein Vater sich nicht mal die Zeit für eine Begrüßung nahm.

„Du hast Recht, so viel Höflichkeit sollte sein. Schön, dass du gekommen bist. Setz dich doch“, damit bot der mächtige Meeresgott seinem Sohn einen Platz an.

Lächelnd setzte er sich, wobei er seinen Vater nicht aus den Augen ließ. Er wusste genau, dass Manannan MacLir keineswegs so kalt war, wie er sich gerne gab. Aber manchmal musste man ihn einfach daran erinnern, dass es noch etwas anderes gab, als die mystischen Wesen im Zaum zu halten.

„Was kann ich für dich tun?“, wollte Darren wissen.

„Mein Bote hat mir berichtet, dass du ziemlich unhöflich warst. Federvieh sollst du ihn genannt haben“, murrte der Meermann.

Sein Sohn nickte leicht.

„Hat er dir auch gesagt, dass ich mich entschuldigt habe? Natürlich bin ich nicht froh, dass du mich aus meinem Urlaub holst. Meiner ersten freien Zeit seit mehr als einem Jahrhundert möchte ich betonen“, hielt Darren dagegen.

Zum ersten Mal in gut dreihundert Jahren sah Darren seinen Vater verlegen dreinblicken.

„Ja ich weiß, dass ich es dir zugesagt habe, aber es gibt da einen Menschen, der mir Kopfschmerzen bereitet“, begann Manannan.

Erstaunt sah sein Sohn ihn an.

„Ein Mensch? Was gehen uns die Menschen an? Bisher konnte keiner einen echten Schaden anrichten und wenn, ist es nicht unsere Aufgabe. Brigid soll sich darum kümmern, immerhin ist es ihr Volk“, murrte Darren.

Jetzt wurde sein Vater noch verlegener und ihm ging ein Licht auf.

„Du und Brigid?“, wollte er schmunzelnd wissen.

„Na ja, nicht so, wie du vielleicht denkst, aber ja, sie hat mich gebeten, dich zu schicken“, gab Manannan zu.

„Also gut, wo finde ich den Mann? Und was tut er, dass du nicht länger ruhig schlafen kannst?“, erkundigte sich der Wächter.

„Du triffst sie in Droichead na Sionainne, sie betreibt dort einen Pub mit ihrer Großmutter. Um die Leute anzulocken, wirkt sie einen Zauber, der Dinge bewegt“, erklärte sein Vater unbehaglich.

„Wenn sie nicht mehr tut, dann verstößt sie nicht gegen unsere Gesetze. Es kommt ja keiner zu schaden oder?“, warf Darren ein, dem dieser Auftrag immer weniger schmeckte.

„Das weiß ich eben nicht. Brigid meinte, sie wäre ein gutes Mädchen, aber unser verehrter Kriegsgott besteht darauf, dass die Sache geprüft wird. Er hätte zu gerne eine seiner bösartigen Irrlichter oder gar den Dullahan geschickt“, gab Manannan zu.

Jetzt verstand sein Sohn und nickte leicht, sobald Lugh, der Gott der Krieger seine Sheeries schickte, war es meistens sehr unangenehm für die Menschen. Zumal Lugh seine Untertanten selten im Griff hatte, oft genug musste Darren einschreiten und diesen Elfen Einhalt gebieten.

„Gut ich werde nach Shannonbridge gehen und mir die Sache ansehen, danach bekomme ich Urlaub“, forderte er hart.

Lächelnd blickte sein Vater ihn an und stimmte ihm zufrieden zu.

„Ja das verspreche ich. Ich danke dir“, fügte er hinzu.

Vater und Sohn umarmten sich, dann machte der Wächter sich auf den Weg nach Shannonbridge, da dieser Ort direkt am Shannon lag, war es für ihn kein Problem. Er würde gegen Abend dort sein und hoffentlich auch genauso schnell wieder verschwinden können, dummerweise musste er die Situation schon ein paar Tage beobachten.

Auf seiner Reise hielt Darren sich dicht am Boden, damit er nicht gesehen wurde. Gut, dass er sich tarnen konnte, allerdings klappte es nicht, sich unsichtbar zu machen.

Erst in Shannonbridge ging er an Land, verbannte das Wasser aus seinen Kleidern und verwandelte sich komplett in einen Menschen. Das Wetter kam ihm entgegen, denn der Sturm war wieder heftiger geworden, sodass niemand unterwegs war.

Langsam schlenderte er zu dem Pub, aus dem eine alte irische Weise klang.

Cassy sah auf, als sich die Tür öffnete und ein unbekanntes Gesicht erschien. Einen Moment musterte sie den Mann und gab zu, dass er verdammt sexy aussah. Geschmeidig ließ er den Mantel von den Schultern gleiten und ein muskulöser Körper kam zum Vorschein, das sah sie sogar durch das Sweatshirt, welches er trug.

Seine blonden Haare waren verstrubbelt und halblang, gerade so, dass ihre Großmutter ihn zum Frisör geschickt hätte, doch ihr gefiel es.

„Guten Abend Fremder, komm herein und wärm dich am Feuer auf“, ertönte in dem Augenblick die Stimme ihrer Oma und Cassy senkte beschämt den Blick.

So etwas war ihr bisher noch nicht passiert, dass sie einen Gast angestarrt hatte, statt ihn zu begrüßen, wie es sich gehörte.

„Ich danke dir“, antwortete Darren mit einem umwerfenden Lächeln.

Cassy sah das Blitzen in seinen blauen Augen und in dem Moment war ihr klar, wer er war und in ihrem Hals bildete sich ein Kloß.

„Was darf ich denn bringen?“, wollte sie höflich wissen.

Darren sah sie eindringlich an, da er nicht wusste, ob er sich um die junge MacClary oder um die ältere Frau kümmern musste. Natürlich hatte Bridgid sich nicht nehmen lassen und ihm eine Nachricht geschickt, darin stand der Name der Person. Außerdem lobte sie ihre Menschen in den höchsten Tönen und betonte, dass Lugh einfach nur eifersüchtig war.

„Ich hätte gerne einen Irish Coffee bei diesem Wetter“, bat er und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.

„Kommt sofort, es dauert nur einen Moment“, damit verschwand sie in der Küche und überließ es ihrer Großmutter die Gäste zu unterhalten.

Cassy zitterte, als sie das passende Glas aus dem Schrank nahm und einen frischen Kaffee aufbrühte. Als halbmagisches Wesen wusste sie, dass sie alle unter der Aufsicht von Manannan MacLir standen und wer sich etwas zu Schulden kommen ließ, bekam Besuch von seinen Leuten.

In den blauen Augen des Mannes sah sie deutlich, dass er ein Wassermann war und das konnte nur bedeuten, dass man auf ihre kleinen Zaubereien aufmerksam geworden war.

Ihr Vater hatte ihr die Zusammenhänge erklärt, da er ein Elf gewesen war, ebenso wie ihre Großmutter, die jetzt alleine dem Meermann gegenüberstand. Siedend heiß fiel Cassy ein, dass ihre Granny sich schutzlos den Vorwürfen stellen musste, solange sie in der Küche stand. Schnell bereitete sie den Irish Coffee zu und eilte in den Gastraum.

„Ich habe nichts getan, Wassermann“, zischte sie dem Mann zu, als sie ihm das Getränk an den Tisch brachte, an den er sich gesetzt hatte.

Amüsiert sah er sie an, seine Augen blitzten und ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht.

„Das habe ich auch nicht behauptet, trotzdem meint Manannan MacLir, dass ich hier nach dem Rechten sehen sollte“, flüsterte er zurück.

Unsicher sah sie sich um, doch keiner der anderen Gäste beachtete sie und Peter war an diesem Tag nicht anwesend.

„Vielleicht muss ich mich mit dieser reizenden Elfe dort hinten unterhalten“, fügte er noch leiser hinzu, während er auf Orla deutete.

Schnell schüttelte Cassy den Kopf.

„Nein, bitte sie hat nichts damit zu tun. Ihre magischen Kräfte liegen im Heilen, weiter kann sie nichts bewirken“, erklärte sie hektisch und sah den Mann bittend an.

Darren musterte sie, ihr langes schwarzes Haar, die grünen Augen, die ihn jetzt so ängstlich ansahen und ihre schlanke Gestalt. Er musste zugeben, dass diese Aufgabe doch nicht so furchtbar war, wie er erst angenommen hatte.

„Ich beobachte euch beide, dann werden wir ja sehen. Du weißt hoffentlich, dass du nichts vor mir verheimlichen kannst“, bemerkte er mit einem einschüchternden Blick.

„Du wirst hier nichts finden, Meermann“, damit ging sie zum Tresen.

An diesem Tag verzichtete sie darauf ihre Kräfte einzusetzen und die Gäste kehrten unzufrieden nach Hause zurück.

Als der letzte Gast gegangen war, trat Orla zu dem Wassermann an den Tisch und lächelte ihn an.

„Ich habe mich schon gefragt, wann wir Besuch bekommen. Was können wir für dich tun?“, wollte sie wissen.

Darren blickte die alte Dame an und versuchte herauszufinden, was genau in diesem Pub vor sich ging. Es konnte so sein, wie das Mädchen gesagt hatte, es konnte aber auch anders sein.

„Ich wurde geschickt, weil hier magische Kräfte wirken. Als Beobachter werde ich sicherstellen, dass keinem Menschen geschadet wird“, teilte er der kleinen Frau mit.

„Bitte mein Kind hol uns doch die Flasche Kilbeggan und drei Gläser“, bat Orla ihre Enkelin.

Zu gerne würde sie dagegen protestiert. Man stellte sie in ihrem eigenen Pub unter Aufsicht, als ob sie Verbrecher seien und sie sollte diesem arrogant grinsenden Kerl auch noch Whisky bringen? Ein Blick ihrer Großmutter ließ sie gehorchen.

„Setz dich zu uns, dann können wir den Herrn kennen lernen und er uns“, befahl ihre Granny sanft, als Cassy mit der Flasche und drei Whiskygläsern am Tisch stehen blieb.

Missmutig setzte sie sich und sah zu, wie Orla einschenkte.

„Sláinte“, damit hob die alte Frau das Glas und sah Darren und ihre Enkelin aufmunternd an.

„Sláinte“, murmelte Cassy, und als der Wassermann geantwortet hatte, kippte sie den Whisky in einem Zug herunter.

Ihre Großmutter schnalzte missbilligend mit der Zunge und sah sie tadelnd an, doch das interessierte sie im Moment nicht. Sie verstand einfach nicht, warum sie diesen Kerl so höflich bewirtete.

„Deine Enkelin scheint nicht mit deinem Handeln zufrieden zu sein“, wies Darren auf das Offensichtliche hin, dabei grinste er immer noch.

„Sie ist noch jung, da weiß man vieles nicht. Aber jetzt sag, wie können wir dir helfen?“, forderte sie ihn auf.

Der Wächter zuckte mit den Schultern, es kam nicht oft vor, dass Verdächtige ihre Hilfe anboten. Außerdem blieb ihm nichts anderes übrig, als die Vorgänge zu beobachten, vorsichtig in der Gegend herumzuhorchen, ob irgendwem geschadet worden war oder bösartige Dinge passierten.

„Es hilft, wenn ihr genau das tut, was ihr sonst auch tut. Ich kann mir ein Bild machen und werde euch nicht länger behelligen, als unbedingt nötig“, antwortete er ruhig.

Cassy schnaubte leise.

„Als ob das reichen würde, euresgleichen sucht doch nach Beweisen, damit ihr uns unterdrücken könnt“, fauchte sie ihn an.

Erstaunt sah er auf die junge Frau und fragte sich im gleichen Augenblick, wer ihr so einen Unsinn erzählt hatte.

„Wie kommst du auf so etwas?“, wollte er wissen.

„Sei ihr bitte nicht böse, ihre Mutter eine Menschenfrau, wusste nicht, dass mein Sohn ein Elf war. Sie starb fast vor Furcht, als er ihr die Wahrheit gestanden hat. Sie liebte ihn, doch die Angst hielt sie bis zum Schluss fest im Griff“, erklärte Orla und strich Cassy beruhigend über den Arm.

„Wurde mein Großvater etwa nicht von den Wächtern eingekerkert?“, warf die junge Frau ein, die ihre Wut nicht mehr unter Kontrolle hatte.

Orla seufzte leise, die Geschichte mit ihrem Mann gehörte hier eigentlich nicht hin, aber da sie angesprochen wurde, musste sie Farbe bekennen.

„Dein Opa wurde eingesperrt, weil er sich mit Lugh angelegt hat. Er hat ihn herausgefordert und beleidigt. Man muss natürlich dazu sagen, dass er betrunken war. Die Strafe betrug nur zwei Jahre, die uns Elfen nicht wirklich lang vorkommen. Er starb nach einem erfüllten Leben von über sechshundert Jahren“, erklärte sie müde.

So hatte Cassy die Geschichte noch nicht gehört. Ihr Vater und ihre Mutter erzählten nie etwas von einer Beleidigung und auch nicht davon, dass es sich nur um eine so kurze Zeit gehandelt hatte.

Misstrauisch sah sie ihre Großmutter an, doch bisher hatte Orla sie nicht angelogen.

„Meinst du, Kieran hätte jemals ein schlechtes Wort über deinen Großvater verloren? Für ihn war die Ehre der Familie zu wichtig, außerdem tat es niemandem weh, wenn er die Wahrheit ein wenig bog“, erklärte die alte Elfe, als sie Cassys Blick sah.

Darren trank seinen Whisky aus und bedankte sich bei den beiden Frauen.

„Ich lasse euch alleine, damit ihr über diese Familiengeschichte in Ruhe reden könnt. Danke für die Gastfreundschaft, was bin ich dir schuldig?“, wollte er wissen.

„Das geht aufs Haus und beehr uns bald wieder, dann erfahren wir vielleicht auch deinen Namen“, antwortete Orla mit einem verschmitzten Lächeln.

„Es tut mir leid, ich heiße Darren“, beeilte er sich diese Unhöflichkeit auszubügeln.

Cassy räumte die Gläser und die Flasche weg, anschließend sah sie auffordernd zur Tür. In ihr tobten die unterschiedlichsten Gefühle und Gedanken, besonders über die Geschichte ihres Großvaters.

Der Wassermann lächelte ihr noch einmal zu, dann ging er und sie schloss aufatmend die Tür hinter ihm ab.

„Bitte du hast ein falsches Bild von den Wächtern. Sie sind fair und ihre Aufgabe ist es die Menschen zu schützen, damit unsere Anwesenheit geheim bleibt“, teilte Orla ihr müde mit.

Nachdenklich nickte Cassy und seufzte leise, dieser Meermann beeindruckte sie in der Tat sehr, mehr als gut für sie war.

„Also war mein Großvater selbst schuld, dass man ihn eingesperrt hat?“, wollte sie wissen, als sie zusammen mit ihrer Granny in die privaten Räume ging.

„Leider ja, meine Kleine, dein Opa war ein liebevoller und aufrechter Mann, aber wenn er etwas getrunken hatte, dann schoss er gerne mal über das Ziel hinaus. Mach dir keine Sorgen, dieser Wächter hat kein Interesse uns zu schaden. Außerdem sieht er sehr gut aus, das ist mal was anderes als dein Peter“, fügte sie lachend hinzu, ehe sie in ihrem Schlafzimmer verschwand.

Cassy sah ihr hinterher und schüttelte kichernd den Kopf. Allerdings musste sie ihr Recht geben, der Wassermann sah verdammt gut aus und Humor schien er auch zu haben. Schnell schob sie diese Überlegungen zur Seite und ging ins Bett.

Darren stand noch eine ganze Zeit am Ufer des Shannons und ein Lächeln erhellte sein Gesicht. In diesem Fall hatte sein Vater ihm wirklich einen Gefallen getan, denn der Auftrag machte ihm Spaß. Dieser kleine Wildfang beeindruckte ihn und ließ seine Gedanken in eine Richtung wandern, die sie schon lange nicht mehr eingeschlagen hatten. In der Tat konnte er sich vorstellen, sie mit in sein Haus zu nehmen, um einige anregende Stunden zu verbringen.

Vor seinem inneren Auge sah er deutlich die Herausforderung, die sie ihm geschickt hatte und er würde sie lächelnd annehmen. Vielleicht war sie sogar die Frau, die er an seiner Seite haben wollte, aber dazu musste er sie besser kennen lernen. Außerdem gab es noch seine Aufgabe, sollte sie gegen die Gesetze der magischen Welt verstoßen, blieb ihm keine andere Wahl, als sie festzunehmen.

Schnell schob er diese Gedanken von sich, auch wenn er seinen Job nie auf die leichte Schulter nahm.

Endlich ließ er sich ins Wasser gleiten und machte sich auf den Heimweg. Wenigstens konnte er in seinem eigenen Bett schlafen, denn mit seinen außergewöhnlichen Kräften war er in weniger als einer halben Stunde zu Hause.

Cassy stand erst am nächsten Mittag auf, sie fühlte sich wie gerädert und musste zuerst diesen unwirklichen Traum verkraften.

In diesem Traum war sie der gefährlichen Hexerei angeklagt worden, niemand glaubte ihr und keiner hörte zu. Sie wurde zum Tode verurteilt, und kurz bevor das Urteil vollstreckt werden sollte, eilte Darren ihr zur Hilfe.

Unwillkürlich schüttelte sie sich, das hatte ihr gerade gefehlt, dass dieser arrogante Wassermann ihr das Leben rettete.

Immer noch in Gedanken duschte sie und ging dann runter in die Küche, wo ihre Großmutter am Tisch saß.

„Hallo Granny“, begrüßte sie die alte Frau fröhlich.

„Ausgeschlafen, meine Kleine?“, erkundigte Orla sich liebevoll, dabei versuchte sie zu vertuschen, dass sie kaum Luft bekam.

Misstrauisch sah Cassy ihre Oma an und nickte leicht.

„Was ist mit dir?“, fragte sie angespannt.

„Nichts, mach dir keine Sorgen, ich bin alt und nicht mehr so schnell auf den Beinen“, blockte ihre Großmutter ab.

Sie ließ es so stehen, dennoch sah sie erneut besorgt auf die müde Frau an ihrer Seite. Ihr war in der letzten Zeit aufgefallen, dass ihre Bewegungen steifer und langsamer aussahen. Das Alter machte sich bemerkbar, doch wollte sie sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sie ihre letzte Verwandte auch verlor.

Den Nachmittag verbrachte Cassy über der Buchhaltung, dabei sah sie, dass es angefangen hatte zu schneien. Ende Oktober war das nichts Ungewöhnliches, aber sie hätte gerne noch ein paar Tage darauf verzichtet. Zumal sie ungern bei diesem Wetter mit dem Auto fuhr und einmal die Woche mussten sie mindestens ihre Vorräte aufstocken.

Schnell konzentrierte sie sich wieder auf die Zahlen vor ihr, die erfreulicherweise zeigten, dass sich die kleinen Zaubereien lohnten. Die Umsätze stiegen und sie konnten auch diesen Winter gut überstehen.

Lächelnd legte Cassy den Stift zur Seite und klappte das Haushaltsbuch zu, dann machte sie sich auf, um den Gastraum zu putzen.

Der Schnee fiel immer dichter und sie hoffte, dass der unerträgliche Meermann sie heute einfach in Ruhe ließ. Wenn sie allerdings ganz ehrlich war, gefiel es ihr nur nicht, dass sie durch sein Erscheinen die Wahrheit erfahren hatte. Zu gerne würde sie weiter an die Bösartigkeit der Wächter glauben und daran festhalten, dass ihr Großvater zu unrecht eingesperrt war.

Kurz bevor sie den Pub öffneten, rief ihre Großmutter zum Essen.

„Du kannst dich ruhig ausruhen, Granny. Ich denke nicht, dass bei dem Wetter viele Leute kommen. Ich schaffe es bestimmt alleine“, schlug Cassy vor, die bemerkte, dass ihre Oma an diesem Tag irgendwie kraftlos erschien.

„Ich danke dir, mein Kind. Ich glaube auch, dass ich heute einfach eine Pause einlege. Vielleicht hab ich mir eine elfische Erkältung eingefangen“, stimmte Orla zu.

Sie wusste, dass es sich nicht um einen grippalen Infekt handelte, sondern dass ihre Zeit langsam zu Ende ging. Doch im Moment wollte und konnte sie diese Tatsache ihrer Enkelin nicht mitteilen.

Cassy räumte den Tisch ab, stellte die Teller in die Spülmaschine, anschließend gab sie ihrer Oma einen Kuss auf die Wange und verschwand im Gastraum.

Sie hatte die Tür gerade aufgeschlossen, als auch schon Darren kam.

„Guten Abend, Cassy“, begrüßte er sie mit einem strahlenden Lächeln.

„Willkommen“, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Stirnrunzelnd blickte er sie an, dann seufzte er fast lautlos. So wie es aussah, musste er ihr selbst beweisen, dass er kein bösartiger Meergeist war, der es darauf abgesehen hatte, sie einzukerkern.

„Du glaubst deiner Großmutter also nicht?“, fragte er leise, allerdings war es mehr eine Feststellung.

„Natürlich glaube ich ihr, Wassermann“, fauchte sie.

Wie konnte er ihr unterstellen, dass sie das Wort ihrer Oma in Frage stellte? Wütend drehte sie sich um und ging hinter den Tresen, während sie beobachtete, wie der Wächter seinen Mantel sorgfältig an die Garderobe hing.

Nach ein paar Minuten kam er zu ihr, setzte sich auf einen Barhocker und sah sie einfach nur an.

„Kann ich was zu trinken bringen?“, wollte sie wissen, dabei bemühte sie sich nicht mal, besonders freundlich zu klingen.

„Einen Whisky hätte ich gerne, Kilbeggan“, antwortete er.

Darren unterdrückte ein Schmunzeln, diese Wildkatze forderte ihn heraus, wo sie konnte und es würde ihm einen riesigen Spaß machen, ihr die Grenzen zu zeigen. Doch zuerst musste er zweifelsfrei ermitteln, dass die Vorwürfe, die Lugh erhoben hatte, haltlos waren.

„Mit oder ohne Eis“, wollte sie wissen.

„Ohne, aber mit einem Lächeln“, wies er sie an.

Wütend sah sie ihm ins Gesicht und versank sofort in seinen blauen Augen. Allein mit seinem Blick besänftigte er sie, nahm ihr den Wind aus den Segeln, dazu kam sein charmantes Grinsen.

Cassy blickte zum Boden, dann schluckte sie, ehe sie sich ihm wieder stellte.

Schnell holte sie ein Glas, schenkte den gewünschten Whisky ein und setzte es mit einem gezwungenen Lächeln vor ihm ab.

„Danke, auch wenn ich denke, dass du das besser kannst. Ich werde dich zum Lächeln bringen“, versprach er ihr mit dunkler Stimme.

Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken und es war unmöglich, dieses Versprechen an sich abprallen zu lassen.

Zum Glück kamen in dem Moment weitere Gäste, unter ihnen Peter, die ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Trotz des garstigen Wetters wurde die Stimmung immer ausgelassener, die Männer sangen ein paar zottige Lieder und Cassy ließ zu später Stunde den Hausgeist wieder auftreten.

Grade als ein Aschenbecher von einem Tisch zur Theke schwebte, drückte sich ein grauer Nebel unter der Tür durch. Sofort setzte sie den Aschenbecher ab und sah zu Darren rüber.

Doch der Wassermann starrte nur stirnrunzelnd auf den wabernden, dichten Dunst, der einen dumpfen Geruch nach Torf und fauligem Wasser mit sich brachte.

Peter saß vor ihr am Tresen und blickte, ebenso wie die anderen Gäste, auf diese seltsame Erscheinung.

„Cassy, was ist das?“, wollte der junge Mann schaudernd wissen.

Verwirrt hob sie die Schultern, so etwas hatte sie noch nicht gesehen, auch wenn ihr eine Vermutung kam, bei der ihr schlecht vor Angst wurde.

Darren murmelte einen Fluch, dann stand er auf und ging einen Schritt auf den Dunst zu.

Die Menschen in dem Pub starrten bewegungslos auf die angsteinflößende Masse, während der Wassermann leise vor sich hinredete, doch keiner schenkte ihm Beachtung außer Cassy.

Sie hörte genau, dass er einen Befehl aussprach und kurz darauf verschwand dieser Nebel wieder. Zitternd ließ sie sich auf ihren Hocker fallen und atmete einen Moment erleichtert durch.

„Du solltest den Pub jetzt schließen“, riet Darren ihr ernst, dabei sah er ihr tief in die Augen.

Sie wusste, dass er mit ihr alleine reden wollte und das ging eben nur, wenn die anderen Gäste weg waren.

Ergeben stimmte sie zu, immerhin hatte er sie gerade vor was auch immer gerettet.

„So Leute, lasst uns Schluss machen“, rief sie gespielt fröhlich.

Die Männer nickten, nur Peter sah sie fragend an.

„Bist du sicher, dass ich nicht noch hier bleiben soll?“, erkundigte er sich vorsichtig.

Cassy lachte auf und schüttelte den Kopf.

„Bitte Peter, was sollte mir von einem Nebel, den der Wind unter der Tür hindurch gedrückt hat, schon drohen?“, führte sie ihm vor Augen.

„Ich weiß nicht, ob das wirklich nur ein Nebel war“, murmelte der junge Mann, doch als Darren spöttisch grinste, ließ er das Thema fallen.

Eilig zahlten die Leute und machten so schnell sie konnten, dass sie nach Hause kamen. Dabei fiel keinem auf, dass der Wächter sich wieder in eine Ecke gesetzt hatte.

Seufzend schloss Cassy die Tür hinter dem letzten Gast ab, anschließend drehte sie sich zu dem Wassermann um.

„War das der FarLiath?“, wollte sie leise wissen.

In diesem Augenblick erschien sie Darren so verschüchtert und jung, dass er sie am liebsten in seine Arme gezogen hätte. Den Gedanken ließ er schnell wieder fallen, wahrscheinlich kratzte sie ihm dann die Augen aus.

„Ja, es war der Graue Mann und er ist ziemlich aufgebracht“, bestätigte er ihren Verdacht.

Müde schloss sie einen Moment die Augen, ihre schlimmste Befürchtung war gerade wahr geworden. Ihre Großmutter hatte sie gewarnt, dass sie den Zorn anderer magischer Geschöpfe auf sich ziehen könnte, wenn sie aus dem Pub eine Geisterkneipe machte.

„Wieso verstehen diese Wesen nicht, dass wir von irgendwas leben müssen. Ohne diese kleinen Vorführungen würden nicht genug Gäste kommen“, teilte sie dem Meermann mit, dabei füllten sich ihre Augen mit Tränen.

„Sie kennen die Sorgen der Menschen nicht, keiner in der mystischen Welt, benötigt Geld oder Lebensmittel“, erklärte Darren ihr leise.

Als ob sie das nicht wüsste und viele Geister waren auch noch neidische Personen, weil sie nicht mehr lebten und nur ein Schattendasein führten.

Hoffnungslos sah sie den Wassermann an, denn im Moment wusste sie nicht, was sie tun sollte. Mit hängenden Schultern stand sie vor ihm, Tränen in den Augen und einem Blick, der ihm das Herz zerriss.

Fluchend sprang er auf und zog sie, trotz ihres Widerstandes, in seine Arme.

„Er muss sich an die Gesetze halten“, versuchte er sie zu beruhigen.

Einen Augenblick wehrte Cassy sich gegen die Umarmung, dann gab sie den Kampf auf und legte ihren Kopf an seine Brust.

Ein Gefühl der Geborgenheit überflutete sie, während sie seine Nähe genoss.

„Du kannst ihn nicht zufällig zwingen, mich in Ruhe zu lassen?“, murmelte sie.

Seufzend schob Darren sie ein kleines Stückchen von sich.

„Doch kann ich, aber er würde nur warten, bis ich mit einer anderen Aufgabe beschäftigt bin. Bis jetzt hat er noch nichts getan, was gegen das Gesetz verstößt“, bemerkte er leise.

Verstehend nickte sie, dann schlang sie ihre Arme um ihren Oberkörper, weil ihr plötzlich kalt war. Wieso verschwor sich in der letzten Zeit nur alles gegen sie? Orla wollte sie mit diesem Problem nur ungern belasten, besonders im Moment, wo es ihr nicht wirklich gut ging.

„Du musst bestimmt los“, vermutete sie, dabei würde sie ihn gerne bitten, nicht zu gehen.

Irgendwie gab er ihr das tröstliche Gefühl nicht völlig alleine dazustehen, trotzdem war ihr bewusst, dass er absolut nicht auf ihrer Seite stand. Diese Erkenntnis verwirrte sie.

„Wenn du möchtest, bleibe ich heute Nacht hier“, bot Darren ernst an.

So ganz sicher konnte er sich nicht sein, ob der Graue Mann wirklich seinem Befehl gehorcht hatte oder ob er nur wartete, bis die Luft rein war.

Der FarLiath hielt sich selten an Gesetze, sobald er verärgert war, regelte er es auf seine Weise. Darren hatte ihn schon oft in seine Schranken gewiesen, deshalb wusste er auch, dass dieser Geist besonders grausam und leider ebenso listig war.

Auf keinen Fall würde er sich selbst angreifbar machen, dummerweise gab es genug Wesen, die ihm gerne dienten.

Cassy sah ihn an und überlegte eine ganze Weile, dann atmete sie tief durch.

„Das ist nett, aber nicht nötig“, lehnte sie energisch ab.

Darren strich ihr sanft über die Wange und hielt sie mit seinem Blick gefangen.

„Glaub mir, ich bin vieles, aber bestimmt nicht nett“, raunte er ihr zu.

Verlegen senkte sie den Kopf, auch um der Berührung seiner Hand zu entgehen, die sie bis ins Innerste erschütterte.

„Nimm den Grauen Mann bitte nicht auf die leichte Schulter. Er hat bösartige Verbündete, die dir das Leben wirklich zur Hölle machen können“, bat er, dann zog er seinen Mantel über.

Geduldig wartete er, bis Cassy die Tür wieder aufgeschlossen hatte und verschwand in der Dunkelheit.

Schnell warf sie die Tür zu, verriegelte sie und hoffte, dass der Albtraum bald vorüber war.

Mit einem dumpfen Gefühl von Gefahr und Angst ging sie ins Bett, aber auch ihr letzter Gedanke galt Darren. Sie ärgerte sich, dass sie ihn weggeschickt hatte, immerhin musste er alle magischen Wesen gleich behandeln.

In dieser Nacht schlief sie sehr schlecht, wurde von beängstigenden Träumen geplagt, in denen der Graue Mann sie zu packen bekam und in einem dunklen, feuchten Verschlag gefangen hielt. Obwohl er nicht sprechen konnte, wusste sie genau, dass er eine Verbindung wollte, die sie nie eingehen würde.

Nass geschwitzt und zitternd wachte sie im Morgengrauen auf, dabei hatte sie das Gefühl, dass das Unheil erst angefangen hatte

Die Banshee

 

Darren suchte nach dem FarLiath, als er den Pub verließ, doch wie erwartet, war er längst verschwunden. Zu gerne hätte er seinem alten Widersacher in den Hintern getreten. Verwundert stellte er fest, wie extrem sein Beschützerinstinkt anschlug, sobald es um Cassy ging.

Er würde alles tun, damit sie in Ruhe leben konnte, auch wenn er vermutet hatte, dass sie irgendwann mit der Geisterwelt Ärger bekam. Zaubereien zur Belustigung von Menschen fanden die mystischen Wesen nicht gerade spaßig. Natürlich verstand er, dass sie nur ihr Überleben mit diesem Trick gesichert hatte, doch in seiner Welt zählte das nicht wirklich.

Viele Geister und Elfen brachten dafür kein Verständnis auf, zumal sie kein Geld brauchten. Dummerweise wurde er das Gefühl nicht los, dass es hier um mehr ging.

Vielleicht schreckte seine Anwesenheit den Grauen Mann auch ab, aber was passierte, wenn er zurück musste oder ein anderer Auftrag seine Aufmerksamkeit beanspruchte?

Darren schüttelte über sich selbst den Kopf, was kümmerten ihn die Probleme einer Halb-Elfe? Sein Herz verriet ihm die Antwort, die er im Moment noch nicht hören wollte. Schnell machte er sich auf den Weg zu seinem Cottage, den Abstand brauchte er dringend.

Während der Meermann in seinem Haus selig schlummerte, stand Cassy bereits unter der Dusche, um den garstigen Albtraum loszuwerden. Auf keinen Fall würde sie sich einem bösartigen, alten Geist hingeben, nur um seine Wut zu besänftigen.

Energisch schob sie diese Gedanken von sich, es war nur ein Traum, nichts weiter, gespeist von den Erlebnissen des gestrigen Abends.

Die Sonne ging gerade erst auf, als sie in die Küche kam und den Teekessel aufstellte. Es versprach ein kalter, ungemütlicher Tag zu werden, das konnte sie schon an den Nebelschwaden erkennen, die über dem Shannon lagen.

Wieder sah sie den grauen Nebel in ihrer Gaststätte und schüttelte sich. Auf jeden Fall hatten die Gäste jetzt viel zu erzählen und würden sicherlich heute zahlreicher erscheinen, in der Hoffnung, dass sie erneut etwas zu sehen bekamen. Das war allerdings auch das einzige Gute daran.

Unruhig horchte sie auf die Geräusche aus dem Schlafzimmer ihrer Großmutter, denn es war ungewöhnlich, dass die rüstige Dame so lange schlief. Normalerweise stand sie schon im Morgengrauen auf, bereitete das Frühstück vor und sah nach dem Rechten.

Endlich hörte sie ein Husten und kurz darauf ging die Tür auf, doch Cassy erschrak, als sie Orla sah.

„Du meine Güte Granny, geht es dir gut?“, rief sie aus und rannte zu der alten Frau, um sie zu stützen.

„Mach dir keine Sorgen, mein Kind, es ist nichts Schlimmes“, brachte ihre Oma hervor, ehe sie wieder einen Hustenanfall bekam.

Ihre Hautfarbe war bleich und unter ihren sonst so flinken und fröhlichen Augen lagen dicke Ringe. Dazu kam, dass sie sehr unsicher auf den Beinen war und regelrecht schwankte.

„Soll ich dich zum Arzt fahren?“, bot Cassy besorgt an.

Sofort schüttelte die alte Frau den Kopf, einen Elfenarzt gab es in der Gegend nicht und ein Mensch konnte sie nicht heilen.

„Du weißt doch, dass so ein Quacksalber mir nicht ins Haus kommt“, stieß sie hervor und ließ sich auf die Eckbank sinken.

Schnell stellte Cassy ihr eine Tasse Tee hin und setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl.

„Was oder wer ist denn in der Lage zu helfen? Ich weiß zu wenig über deine Welt, bitte sag mir wenigstens, was ich im Notfall machen kann“, bat sie besorgt.

Orla tätschelte ihre Hand und lächelte ihr nach Atem ringend zu.

„Es gibt bei uns Elfen keinen Notfall, wir werden gesund oder gehen in die Anderwelt. Sollte der Fall eintreten, dass ich sterbe, dann ruf die Telefonnummer an, die ich dir vor zwei Jahren gegeben habe. Es ist ein magisches Wesen, dass die Beerdigung inszenieren wird, damit niemand dumme Fragen stellt“, erklärte Orla ihr langsam und leise.

Angstvoll sah Cassy ihre Oma an.

„Ist unsere gemeinsame Zeit schon vorbei? Du kannst mich doch nicht ganz alleine lassen“, presste sie heraus, während Tränen über ihr Gesicht liefen.

Orla legte ihr eine Hand auf die Wange und schüttelte leicht den Kopf.

„Ich weiß es nicht, die Gabe der Vorsehung ist mir nur gegeben, wenn es um andere Menschen geht“, antwortete sie.

Müde ließ sie die Hand sinken und trank von ihrem Tee.

Schnell wischte Cassy die Tränen ab, es war nicht gesagt, dass die Lebenszeit ihrer Oma abgelaufen war.

„Ich mache uns das Frühstück, ruh dich einfach aus und heute Abend kümmere ich mich um die Gäste, dann kannst du gesund werden“, bestimmte die jung Frau energisch.

Vielleicht handelte es sich nur um eine Art Erkältung, die Elfen bekamen und bisher war ihre Granny eben verschont geblieben. So was kam doch in der Elfenwelt ebenso vor, jedenfalls redete sie sich das ein.

Den Tag über kümmerte sie sich rührend um ihre Großmutter und am Abend sah es wirklich so aus, als ob Orla auf dem Weg der Besserung wäre.

Darren machte sich an diesem Tag früher auf, um den Leuten in Shannonbridge einen Besuch abzustatten. Immerhin konnte er sich nicht darauf verlassen, dass Cassy sich genau so benahm, wie sie es tat, wenn er sich nicht in der Nähe herumtrieb.

Am Nachmittag schlenderte er durch den kleinen Ort und suchte das Gespräch mit den Einwohnern. Geschickt fragte er sie aus, ob es unheimliche Vorkommnisse gegeben hätte, dabei tarnte er sich als Tourist, der gruselige Ort liebte.

Wie erwartet bekam er den Rat sich in Cassys Pub umzusehen, dort würde auf seine Kosten kommen. Ansonsten wüsste man nichts, was unnormal sei. Es gab keine ärgerlichen Ereignisse, die nicht mit dem logischen Verstand erklärt werden könnte. Außerdem beschrieb man ihm Cassandra MacClary als eigenwillig, aber sehr liebenswert.

Jeder im Dorf bestätigte, dass sie hilfsbereit war und ebenso freundlich. Darren atmete auf, denn er hätte es mehr als bedauert, wenn er sie festnehmen müsste. Die Vorstellung sie bei sich zu Hause in Gewahrsam zu halten, schlich sich ein und entlockte ihm ein breites Grinsen.

Unter diesen Umständen fiel ihm verdammt viel ein, was er dann mit ihr ausprobieren würde. Als Erstes wollte er ihr ihren Platz zeigen, sie zu seinem Eigentum machen.

Schnell schob er diese Gedanken zur Seite, da sie ihn unkonzentriert werden ließen, außerdem hatte er keine Ahnung, ob die kleine Hexe überhaupt devot war.

Als er am Abend den Pub betrat, bemerkte er schon von der Tür aus, dass  Cassy irgendetwas bedrückte. Vorsichtig sah er sich um, doch die Gäste unterhielten sich wie immer, es gab keine Anzeichen, dass der Graue Mann wieder da gewesen war.

„Guten Abend Cassy“, begrüßte er sie leise.

Erschrocken fuhr sie aus ihren Überlegungen hoch und sah ihn an.

„Entschuldige, dir auch einen schönen Abend“, stieß sie hervor.

Ihre grünen Augen blickten besorgt und ihre Gedanken kreisten um den Gesundheitszustand ihrer Großmutter. So abwesend und bedrückt hatte er sie bisher nicht gesehen.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich.

Schnell nickte sie und stellte ihm ein Glas Whisky hin, dabei lächelte sie ihn gezwungen an.

„Bitte sehr der Herr“, sagte sie bemüht fröhlich.

Der Wächter seufzte leise, dass es ihr nicht gut ging, sah ein Blinder, doch offensichtlich wollte sie ihm nicht sagen, was der Grund war.

Peter saß neben ihm an der Theke und nippte an seinem Ale, er beobachtete Cassy mit Argusaugen, als ob sie verschwinden würde, sobald er nicht hinsah. Ab und zu blickte er unfreundlich zu Darren rüber. Jeder sah, dass er eifersüchtig war, ebenso war bekannt, dass er keine Chance bei der jungen Frau hatte.

Darren setzte sich auf einen Hocker und ließ den Blick durch den Gastraum schweifen, dabei trank er einen Schluck von seinem Whisky. Als auch nach einer Weile nichts von Orla MacClary zu sehen war, wusste er, wieso die kleine Hexe so besorgt wirkte.

„Geht es Orla gut?“, fragte er, als Cassandra mal wieder ein Glas durch den Raum schweben ließ.

Die Frage warf sie so aus der Bahn, dass das Glas mit einem lauten Knall auf dem Boden aufschlug. Wütend blitzte sie ihn an, während die Gäste erschrocken auf die Scherben blickten.

„Du bist mir aber heute keine Hilfe“, rief sie in den Gastraum rein, als ob sie den Geist ausschimpfen würde.

Schnell holte sie ein Kehrblech und einen Handfeger, damit beseitigte sie die Glasscherben.

„Es wäre schön, wenn du mich nicht so ablenkst“, zischte sie dem Wassermann zu, allerdings zog der nur eine Augenbraue hoch.

Eine Antwort bekam er trotzdem nicht, allein daran sah er, dass die Kleine vor Sorge fast starb. Eigenwilliges Biest, sie biss sich eher die Zunge ab, als um Hilfe zu bitten.

Ein zweiter zorniger Blick traf ihn, den er mit einem Lächeln abperlen ließ. Diese Machtspiele gefielen ihm, doch im Moment wollte er wirklich wissen, was sie beschäftigte. Es war eine Sache dem Partner seinen Platz zu zeigen und eine andere, wenn es um echte Probleme ging.

„Du bist mir eine Antwort schuldig geblieben“, erinnerte er sie, als sie wieder hinter dem Tresen stand.

Peter sah ihn wütend an, weil er vermutete, dass die beiden Geheimnisse hätten, in seiner Fantasie lag Cassy schon im Bett dieses aufgeblasenen Idioten.

„Es geht ihr nicht so gut, deshalb ist sie früh schlafen gegangen“, antwortete sie und bemühte sich die Sorge aus ihrer Stimme herauszuhalten.

Darren nickte ernst, in diesem Fall brauchte er nicht weiterzufragen, Elfen wurden nie krank, es konnte also nur einen Hintergrund geben. Aufmerksam sah er Cassy an und versuchte zu ergründen, ob sie wusste, was in den nächsten Tagen unweigerlich passierte.

„Kannst du bitte aufhören, mich so anzustarren?“, fauchte sie ihn wütend an.

Es machte sie wahnsinnig, dass er sie ständig ansah, außerdem erinnerte sie sich zu genau an seine Umarmung, an die Geborgenheit in seinen Armen. Die Versuchung ihm ihre Ängste anzuvertrauen und sich von ihm trösten zu lassen, stellte sie auf eine Probe, dummerweise war er ein verdammter Wächter. Nicht nur das, sie kannte ihn nicht mal wirklich, vielleicht war es am Abend vorher nur ein Akt des Mitleids gewesen. Sein Mitleid allerdings konnte er sich gepflegt dahin stecken, wohin die Sonne nie schien.

„Ich sehe dich aber gerne an, weißt du nicht, wie schön du bist? Außerdem ist es unschwer zu erkennen, dass du Sorgen hast“, gab er zur Antwort, dabei sprach er so leise, dass niemand sonst ihn verstand.

Cassy stieß nur wütend den Atem aus, als ob diesen Wassermann ihre Probleme interessierten, trotzdem wünschte sie sich, dass es wirklich so wäre.

Endlich verabschiedeten sich die Gäste und auch Darren ging. Bedauernd sah sie, dass er keine Anstalten machte, noch ein privates Wort mit ihr zu wechseln. Seufzend schüttelte sie den Kopf und schloss die Tür ab. Auf der einen Seite wollte sie, dass dieser Meermann sich in Luft auflöste, auf der anderen Seite zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen, wenn sie daran dachte, dass er verschwand.

Müde betrat sie das Schlafzimmer ihrer Großmutter. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Bett und sah beruhigt, dass der Brustkorb der alten Frau sich ruhig hob und senkte. Erleichtert verließ sie das Zimmer und fiel in ihr eigenes Bett. Im Moment war ihr Leben alles andere als leicht und zu dem ganzen Chaos kam dieser Wassermann, der ihr nach allen Regeln der Kunst den Kopf verdrehte.

Über diesen Gedanken schlief sie ein, aber auch in dieser Nacht träumte sie von einem kalten, feuchten Verlies und einer Todesangst, die sie schüttelte.

Darren wollte den Machtkampf an diesem Abend nicht fortsetzen, deshalb ging er mit den andren Gästen, obwohl er lieber bei ihr geblieben wäre.

Nachdenklich brachte er seinen Heimweg hinter sich und hoffte, dass er sich in Bezug auf den Gesundheitszustand von Orla getäuscht hatte. Doch ein ungutes Gefühl blieb.

Cassy schreckte hoch, weil ein ungewöhnliches Geräusch sie geweckt hatte. Einen Moment brauchte sie, um den Schrei der Banshee zu erkennen. Das Kreischen fuhr der jungen Frau durch den ganzen Leib und wie von Furien gehetzt jagte sie über den Flur zum Schlafzimmer ihrer Großmutter.

Vorsichtig, um die alte Elfe nicht zu erschrecken, öffnete sie die Tür und betrat das Zimmer. Mit angehaltenem Atem sah sie, dass Orla die Augen geöffnet hatte, doch sie blickten starr an die Decke.

Mit vor Furcht klopfendem Herzen trat Cassy an das Bett, dabei betete sie, dass man ihr nicht noch die letzte Verwandte nahm. Die Wahrheit ahnend berührte sie den Arm ihrer Oma und zuckte zurück, weil sie so kalt war.

Unter Tränen drückte Cassy ihrer Großmutter die Augen zu, dann sah sie sich in dem Raum um. Am Fenster bemerkte sie das Gesicht der Banshee, bleich und traurig.

„Bitte, nimm sie mir nicht. Ich flehe dich an“, flüsterte Cassy, die Hände erhoben.

Doch die Todesfee sah sie nur bedauernd an und schüttelte langsam den Kopf. Sie war nur der Bote, nicht mächtig über Leben oder Tod zu entscheiden.

Noch einmal blickte die junge Frau zu der Erscheinung hinüber, die schon verblasste.

„Bring sie zu meinem Großvater, willst du das wenigstens für mich tun?“, brachte sie heraus.

Jetzt nickte die Banshee und so etwas wie Mitleid zeichnete sich in ihrer Miene ab, dann war sie verschwunden.

Cassy kniete sich weinend neben das Bett ihrer Großmutter, dabei hielt sie die eiskalte Hand ihrer Granny. Tränen rannen über ihr Gesicht, während sie Abschied von ihrer einzigen Verwandten nahm. Wie es weiter gehen sollte, wusste sie nicht, aber das war ihr in diesem Moment egal.

Nach einer kleinen Ewigkeit stand sie auf, faltete die Hände der alten Frau und küsste sie auf die Wange, der letzte Gruß, ehe sie für immer ging. Anschließend holte sie ein weißes Laken aus dem Schrank und breitete es über Orla MacClary, ehe sie in ihr Zimmer zurückging.

Hier packte sie ihr Smartphone und wählte die Nummer, die ihre Granny ihr gegeben hatte.

Eine heisere raue Stimme meldete sich.

„Cassandra MacClary. Ich soll sie informieren, wenn Orla MacClary gestorben ist“, brachte die junge Frau hervor.

Ihr Herz zerriss, als sie die grausame Tatsache aussprechen musste, es war, als ob diese Worte die Situation erst real werden ließen.

„Wir haben den Anruf bereits erwartet. Orla wusste, dass ihre Zeit gekommen war“, antwortete die Person kalt.

„Was kann ich tun?“, flüsterte Cassy, die sich völlig hilflos vorkam.

„Nichts, wir sind gleich bei Ihnen. Sie erkennen uns an dem schwarzen Leichenwagen. Sie lassen uns rein und bringen uns zu Orla, alles andere erledigen wir. Auch um die Beerdigung, die wir für die Menschen abhalten werden, müssen sie sich nicht kümmern“, kam sofort die Antwort.

Ehe Cassy noch etwas fragen konnte, ertönte schon das Zeichen, dass das Telefonat beendet war.

Müde setzte sie sich auf das Bett und legte ihr Smartphone auf den Nachttisch. Traurig starrte sie ins Leere, jetzt war sie ganz allein, der letzte ihrer Familie war gegangen. Tränen tropften auf ihre Hände, weil sie den Kopf gesenkt hatte, aber es interessierte sie nicht. Der Schmerz hielt sie gefangen, erst als es energisch an der Haustüre klopfte, riss sie sich gewaltsam zusammen.

Vor der Tür stand ein kleiner, greisenhafter Kerl in einem langen, schwarzen Mantel, der sie kalt ansah.

„Haben Sie angerufen?“, wollte er wissen.

Schnell nickte Cassy und ließ diese merkwürdige Gestalt herein, ihr folgten noch zwei Männer, die wie gewöhnliche Menschen aussahen. Allerdings erkannte sie sofort, dass es Elfen waren, denn ihre Augen verrieten sie.

Ein weiterer Blick auf den Sprecher sagte ihr, dass es sich um einen Leprechaun handelte. Bisher wusste sie nicht, dass die Kobolde sich auch als Totengräber betätigten, aber sehr tief in die Elfenwelt war sie nie eingedrungen.

„Wenn Sie mich jetzt genug angestarrt haben, würden wir uns gerne um Orla kümmern“, herrschte der Kerl sie an.

Erschrocken zuckte Cassy zusammen, dann brachte sie die seltsame Gesellschaft zum Schlafzimmer ihrer Großmutter. Ehe sie den Raum betreten konnte, schlug einer der Bestatter ihr die Tür vor der Nase zu.

Vielleicht war es auch besser so, denn ihre Oma verlor ihre menschliche Gestalt, sobald die Totenstarre einsetzte. Außerdem wusste sie nicht, wie ein Elf beerdigt wurde.

Langsam ging sie in ihr Zimmer zurück, setzte sich auf ihr Bett und bemerkte erst jetzt, dass sie sich nicht mal einen Morgenmantel übergezogen hatte. Einen Moment hörte sie auf das Gemurmel aus dem Schlafzimmer ihrer Großmutter, dann streifte sie den Pyjama ab und zog sich frische Unterwäsche, schwarze Jeans und einen schwarzen Pullover an.

Anschließend konnte sie nur noch warten. Es dämmerte bereits, als der Leprechaun nach ihr rief.

„Wir holen den Sarg, damit die dummen Sterblichen nicht zu neugierig werden“, teilte er ihr mit.

Cassy nickte nur teilnahmslos, selbst die Bemerkung über die Menschen rüttelte sie nicht auf.

Kurz darauf trugen die drei Gestalten einen schlichten Eichensarg in Orlas Zimmer, den sie einige Momente später auch wieder heraustrugen.

„Es ist alles erledigt, den Termin für die menschliche Beerdigung teilen wir Ihnen noch mit“, damit verschwand der Kobold mit seinen Leuten.

Automatisch zog sie hinter ihm die Tür zu und starrte eine ganze Weile vor sich hin. Der Schmerz wühlte in ihrem Inneren, die Wirklichkeit sickerte langsam in ihr Bewusstsein, trotzdem fühlte sie sich nicht in der Lage, etwas zu tun.

Der Vormittag verging, ohne dass sie irgendetwas bewusst wahrnahm, erst am frühen Nachmittag ließ ein Klopfen sie hochschrecken.

Schnell rieb sie sich über das Gesicht, um die Tränen abzuwischen, auch wenn sie genau wusste, dass man ihr den Kummer ansah. Müde öffnete sie die Tür und überlegte schon, wie sie den Besucher abwimmeln könnte, als sie in Darrens blaue Augen sah.

Zitternd atmete sie aus und drängte mit aller Macht die Tränen zurück.

Ehe sie etwas sagen konnte, packte er sie an den Oberarmen, schob sie in den Gastraum und trat die Tür hinter sich zu.

Besorgt sah er ihr ins Gesicht, registrierte die tiefe Traurigkeit in ihren Augen, die Spuren, die die Tränen hinterlassen hatten und den verlorenen Ausdruck, den ihre ganze Gestalt vermittelte. Es lag keine Herausforderung mehr in ihrem Blick, sondern nur noch Einsamkeit.

Ohne weiter darüber nachzudenken, zog Darren sie fest in seine Arme. Wie Eisenspangen schlossen sich seine Armmuskeln um sie und sie legte ihre Wange an seine Brust und ließ ihren Tränen erneut freien Lauf.

Es tat so unendlich gut, nicht länger alleine zu sein und wieder überflutete sie das Gefühl der Geborgenheit. Ihre Hände krallten sich in den Stoff seines Kutschermantels, den er an diesem Tag trug, gleichzeitig wurde ihr zierlicher Körper vom Weinen geschüttelt.

„Ich bin da“, murmelte Darren, während er ihr einfach nur Halt gab.

Er brauchte nicht zu fragen, was passiert war, es gab nur eine Antwort. Nichts anderes als der Tod von Orla konnte diese kleine Hexe so aus der Bahn werfen.

Nach einer Weile hob er sie auf seine Arme und brachte sie in die Küche, die er mit etwas Glück sofort fand. Hier setzte er sie auf der Eckbank ab, zog den Mantel aus und stellte den Teekessel auf.

Immer wieder streifte sein Blick die zusammengesunkene Gestalt, die mit leeren Augen in die Ferne starrte.

Erst als eine dampfende Tasse Tee vor ihr stand und Darren sich dicht neben sie setzte, sah sie ihn an.

„Wieso tust du das?“, wollte sie wissen.

Er legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie liebevoll an sich.

„Weil du es brauchst“, antwortete er ihr sanft.

„Sie war meine letzte Verwandte, sie war mein Halt in diesem Leben“, stieß Cassy plötzlich hervor.

Es war ihr egal, dass sie mit einem Wächter sprach, der sie regelmäßig verwirrte. Sie schaffte es nicht länger, die Worte zurückzuhalten.

„Ich habe die Banshee angefleht mir wenigstens meine Granny zu lassen, doch sie hat abgelehnt“, erzählte sie zusammenhanglos weiter.

„Die Bean-Sidhe ist eine Botin und nicht für den Tod verantwortlich. Sie konnte nichts tun“, erklärte Darren ruhig.

Oft wurden die Todesfeen zu Unrecht mit dem Tod in Zusammenhang gebracht, viele Menschen glaubten, diese Erscheinungen brachten den Tod, aber das stimmte nicht. Die Banshee kündigte den Tod lediglich an, mehr nicht.

„Sie hat mir versprochen meine Großmutter zu meinem Großvater zu bringen“, stieß Cassy hervor, während erneut Tränen über ihre Wangen liefen.

„Das wird sie getan haben, da kannst du dich drauf verlassen“, bestätigte Darren ihr.

Sie hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen.

„Trotzdem tut es weh und ich fühle mich so alleine“, gab sie traurig zu.

„Ich bin da“, antwortete der Meermann ihr schlicht.

Einen Moment noch hielt er sie fest, dann nötigte er sie, einen Schluck von ihrem Tee zu trinken.

„Ich werde einen Anschlag anbringen, dass der Pub die nächste Zeit geschlossen bleibt“, teilte er ihr mit, doch Cassy wehrte sofort vehement ab.

„Nein, auf keinen Fall, das hätte Granny niemals gewollt“, protestierte sie, wobei sie nicht wusste, ob sie die Kraft aufbringen konnte, die Leute an den kommenden Abenden anzulächeln.

Verstehend nickte Darren, so hatte er Orla auch eingeschätzt.

„Dann bewirten wir die Gäste zusammen, ganz sicher will ich nicht, dass du in den nächsten Tagen alleine bist“, bestimmte er.

„Das kann ich nicht annehmen. Du brauchst dich nicht verantwortlich zu fühlen. Was machst du eigentlich hier, um diese Uhrzeit?“, erkundigte sie sich jetzt.

„Ich wollte dich auf einen Kaffee einladen und ein wenig Zeit mit dir verbringen“, gab er ehrlich zu.

Erstaunen huschte über Cassys Gesicht, anschließend schüttelte sie den Kopf.

„Ich glaube nicht, dass ich eine angenehme Gesellschaft bin“, gab sie leise von sich.

Tief durchatmend stand sie auf, straffte die Schultern und sah den Meermann direkt an.

„Ich danke dir für deine Hilfe, doch jetzt komme ich alleine klar“, damit brachte sie hektisch etwas Abstand zwischen sich und Darren.

Seine Nähe tat ihr gut, aber sie war unsicher, verstand seine Motive nicht, außerdem löste eine MacClary ihre Probleme immer selbst.

Er erhob sich ebenfalls, sah ihr eine gefühlte Ewigkeit eindringlich in die Augen, dann schüttelte er den Kopf.

„So schnell wirst du mich nicht los, kleine Hexe. Alles an dir fleht mich an, dich nicht alleine zu lassen und das habe ich auch nicht vor“, wehrte er ihren Anflug von Sturheit ab.

Sie wollte ihm eine passende Antwort geben, aber er legte ihr sofort seinen Zeigefinger auf die Lippen.

„Jetzt ist es an dir, einfach mal zu gehorchen. Gib dir selbst die nächsten Tage frei, danach kannst du mir gerne wieder die Meinung sagen“, damit küsste er sie zart auf die trockenen Lippen.

Völlig aus der Bahn geworfen, hob Cassy die Finger an den Mund und sah ihn erstaunt an. Mit vielem hätte sie gerechnet, nur nicht, dass er sie küssen würde, allerdings nahm er ihr mit dieser Geste den Wind aus den Segeln.

„Möchtest du dich etwas hinlegen? Ich werde auf dich aufpassen“, fragte er fürsorglich.

Die Idee klang in diesem Moment perfekt, dann bekam sie Zeit ihre Gedanken und Gefühle zu sortieren. Vielleicht verstand sie nach einer Ruhepause auch, wieso der Wassermann das alles für sie tat.

„Das ist bestimmt das Beste“, gab sie zu und drehte sich zur Tür.

Sofort war Darren an ihrer Seite, hob sie auf seine Arme und trug sie bis zu ihrem Zimmer, nachdem er sie nach dem Weg gefragt hatte.

Vorsichtig ließ er sie auf das Bett gleiten.

„Soll ich dir helfen?“, wollte er liebevoll wissen und deutete auf ihre Jeans.

Verschämt schüttelte sie den Kopf, soweit war sie noch nicht.

„Danke, aber das schaffe ich schon“, murmelte sie.

Zärtlich küsste er sie auf den Scheitel und sah ihr noch einmal tief in die Augen. In diesem Moment schwor er sich, dafür zu sorgen, dass sie es gut hatte, und dass diese Traurigkeit aus ihrem Blick verschwand. Erstaunt über seine eigenen Gedanken richtete er sich auf.

„Ich bin da, solange du mich brauchst“, versprach er ihr, dann ließ er sie alleine.

Erschöpft streifte Cassy die Kleider ab und legte sich aufseufzend ins Bett, verzweifelt hoffte sie, dass der Albtraum vorbei war, wenn sie aufwachte und Granny ihr zulächelte. Natürlich wusste sie, dass es nicht so sein würde, aber es tat gut, der Wirklichkeit für eine kurze Zeit zu entfliehen.

Während Cassy schlief, bastelte Darren ein Schild und befestigte es an der Haustüre, auf keinen Fall ließ er zu, dass sie sich heute den neugierigen Blicken der Gäste stellte.

Flüchtig fragte er sich, ob er nicht dabei war, sich in diese faszinierende Frau zu verlieben. Doch dieser Frage wollte er lieber nicht auf den Grund gehen.

Am späten Nachmittag klopfte es und der Wächter öffnete die Tür. Peter stand davor und sah ihn halb zornig, halb fragend an.

„Was ist los? Und wo ist Cassy?“, rief er aufgebracht.

Darren runzelte die Stirn, er war es einfach nicht gewohnt, so unhöflich behandelt zu werden. Ehe er antworten konnte, hörte er auch schon Cassandras Stimme hinter sich.

„Granny ist tot, Peter. Darren ist bei mir geblieben, damit ich nicht alleine bin“, teilte sie ihm leise mit.

Ihr schlanke Gestalt quetschte sich zwischen den Türrahmen und Darrens Arm, sodass sie in der Lage war, den Schulfreund anzusehen.

„Wieso hast du nicht angerufen? Ich wäre sofort hergekommen“, tadelte der Schafhirte sie und sah wieder missbilligend auf den Fremden.

„Tut mir leid, ich bin nicht auf die Idee gekommen, dich anzurufen. Bitte Peter, ich habe sie heute Nacht gefunden, was mich ziemlich mitgenommen hat. Darren wollte mich besuchen, sonst wäre ich bestimmt noch alleine“, erklärte sie und hoffte, dass ihr Kindergartenfreund es damit gut sein ließ.

„Liegt sie oben? Soll ich mit John wiederkommen, um sie einzusargen?“, hakte Peter nach und bemerkte nicht, wie kalt er klang.

„Nein, sie ist nicht mehr im Haus und nein, es muss keiner kommen. Ich kümmere mich um Cassy“, stoppte der Wächter ihn und seine Augen sagten deutlich, dass er jetzt besser ging.

Verstehend nickte der junge Mann und machte einen Schritt zur Seite, dann hielt er noch einmal an.

„Wieso er?“, fragte er zornig.

In diesem Augenblick verlor er die Zuneigung, die Cassy ihm immer entgegengebrachte hatte. Fassungslos schüttelte sie den Kopf und starrte ihn an.

„Peter O´Sullivan bist du wirklich so gefühllos, dass du in so einer Situation nur an deine Eifersucht denken kannst?“, stieß sie enttäuscht hervor.

Erst in diesem Moment bemerkte er seinen Fehler, aber die junge Frau hatte sich bereits umgedreht und war im Gastraum verschwunden.

Hilflos sah er den anderen Mann an, doch dieser zuckte nur mit den Schultern und schloss die Tür.

Normalerweise würde der Wächter dem unsensiblen Kerl gerne noch ein paar Takte erzählen, nur lag es ihm nicht jemanden, der schon verloren hatte, zu demütigen. Stattdessen folgte er Cassy in die Küche.

„Hast du Hunger? Soll ich was kochen?“, bot er fürsorglich an.

Ablehnend schüttelte sie den Kopf, während sie aus dem Fenster auf den Shannon starrte, dabei hatte sie die Arme um den Oberkörper geschlungen. Darren trat hinter sie und zog sie fest an sich.

„Es bringt nichts, wenn du umkippst. Du solltest wenigstens eine Kleinigkeit essen“, riet er ihr sanft.

Das wusste sie selbst, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Langsam neigte sie den Kopf und legte ihre Wange auf seinen Oberarm. Sie brauchte seine Nähe einfach, mehr als jede Nahrung.

Der Wassermann drehte sie in seinen Armen herum und sie steckte die Hände in die Hosentaschen. Sein Blick ging bis auf den Grund ihrer Seele.

„Orla ist in der Anderwelt und wartet auf den Tag, an dem sie zurückkehren kann“, rief er ihr in Erinnerung.

„Ich weiß, trotzdem fehlt sie mir so sehr“, flüsterte Cassy erstickt.

Wieder zog Darren sie fest an sich.

„Das glaube ich dir, aber der Schmerz ebbt ab, je mehr Zeit vergeht. Keine Angst ich lasse dich nicht alleine“, versprach er ihr.

„Danke“, brachte sie über die Lippen, dann verbarg sie ihr Gesicht an seiner Brust.

Sie wollte nicht länger denken, nicht darüber nachgrübeln, warum dieser Wassermann das tat oder ob es gut für sie war.

Darren spürte, wie sie sich ihm für den Moment ergab, und atmete auf. Ihm war bewusst, dass es viele weitere Machtkämpfe geben würde, doch dazu hatten sie später noch genug Zeit. Jetzt war es wichtig, dass sie einen Weg fand, mit ihrer Trauer klarzukommen.

„Komm ich versuche etwas zu kochen, allerdings kann ich nicht versprechen, dass es essbar ist“, schlug er nach einigen Minuten erneut vor.

Schnell schüttelte sie den Kopf.

„Das ist nicht nötig, im Kühlschrank ist ein Rest vom Sheperds Pie. Magst du was mit mir essen?“, fragte sie und sah ihn bittend an.

Auch wenn Darren normalerweise keine Nahrung in dieser Form brauchte, stimmte er jetzt gerne zu.

„Natürlich, ich habe dir versprochen, dass ich dich nicht alleine lasse“, erinnerte er sie.

Schnell befreite sie sich aus seinen Armen, dann holte sie das Gericht aus dem Kühlschrank und wärmte es in der Mikrowelle auf. Automatisch deckte sie den Tisch und stoppte, als sie den dritten Teller in ihrer Hand bemerkt.

Zitternd erstarrte sie in der Bewegung, denn in diesem Moment stürzte alles wieder auf sie ein. Müde starrte sie auf den Teller, der ihr so grausam zeigte, dass ihre Granny tot war.

Sanft nahm Darren ihr den Teller aus der Hand und räumte ihn in den Schrank zurück.

„Setz dich Kleines, ich mache den Rest“, befahl er liebevoll.

Auch wenn sie alle an die Anderwelt und Wiedergeburt glaubten, tat es weh, einen Menschen gehen zu lassen. In Cassys Fall ganz besonders und er verstand sie sehr gut.

Der Schmerz, den sie verdrängt hatte, kehrte mit Macht zurück und betäubte sie. Gehorsam setzte sie sich auf ihren Platz, wartete bis Darren das Gericht aus der Mikrowelle holte und begann mechanisch zu essen.

Mehr als ein paar Bissen bekam sie nicht herunter und so schob sie den Teller angewidert von sich.

„Es tut mir leid, ich kann einfach nicht“, flüsterte sie.

Darren räumte den Tisch ab, entsorgte die Reste, dann überlegte er einen Augenblick.

„Wenn ich das richtig sehe, wirst du heute hier nicht gebraucht und diese Umgebung tut dir nicht gut“, stellte er fest.

„Ich sollte Grannys Zimmer aufräumen, ihre Sachen“, traurig brach sie ab und kämpfte erneut gegen die Tränen an.

„Nein, das hat Zeit, im Moment gibt es nichts für dich zu tun. Pack ein paar Klamotten zusammen, ich nehme dich mit zu mir“, entschied der Wassermann.

Entsetzt sah sie ihn an, schüttelte den Kopf, aber es fiel ihr kein Argument ein, warum sie unbedingt in diesem Haus bleiben musste.

„Der Kobold wollte mir den Termin für die Beerdigung schicken“, stieß sie hervor.

„Das ist kein Problem, du hast doch seine Nummer oder?“, fragte Darren ruhig.

Cassy nickte leicht, dann seufzte sie leise auf.

„Es fühlt sich an, als ob ich meine Familie im Stich lasse. Sollte ich nicht hierbleiben und heute die Gaststätte in Gedenken an meine Großmutter für alle offen halten?“, hakte sie unsicher nach.

„Nein, das musst du ganz bestimmt nicht. Die Leute im Dorf wissen wahrscheinlich schon Bescheid. Niemand kann von dir verlangen, dass du am Todestag deiner letzten Verwandten hinter dem Tresen stehst und lächelst“, damit nahm er ihr die Bedenken.

„Aber du bringst mich morgen wieder her?“, verlangte sie leise.

„Das verspreche ich dir, morgen kommen wir zurück und öffnen auch den Pub, wenn du es willst“, versprach er.

Langsam und gebückt wie eine alte Frau ging sie zu ihrem Zimmer, wo sie eine Tasche mit dem Wichtigsten packte, ebenso holte sie ein paar Dinge aus dem Badezimmer. Als sie an der Tür von Orlas Schlafzimmer vorbeikam, blieb sie kurz stehen. Sie müsste nach dem Rechten sehen, doch sie schaffte es nicht, in den leeren Raum zu blicken. In ihr tobte eine irrationale Angst, dass sie noch einmal den Leichnam ihrer Oma finden würde.

„Weißt du was mit ihr passiert?“, wollte sie wissen, als sie wieder in der Küche stand.

Darren nickte leicht, es gab fast nichts im Reich der magischen Wesen, das er nicht kannte.

„Der Kobold hat zuerst den Blendzauber entfernt, damit sie ihr ursprüngliches Aussehen wiederbekam. Anschließend hat sich ihr Körper langsam in Luft aufgelöst. Deshalb ist es wichtig, dass du ihn gerufen hast“, erklärte er sanft.

Verstehend sah sie ihn an, dann atmete sie tief aus. Sie wusste, dass auch das Grab ihres Vaters leer war, trotzdem zog es sie regelmäßig zum Friedhof, weil sie sich ihrer Familie dort näher fühlte.

„Gib mir die Autoschlüssel, Kleines“, bat Darren und holte sie damit aus ihren Gedanken zurück.

Ohne darüber nachzudenken, nahm sie den Schlüssel vom Schlüsselbrett im Durchgang zum Pub und ließ ihn in seine ausgestreckte Hand fallen.

„Warte hier, ich schau nach, ob alle Fenster zu sind, dann machen wir uns auf den Weg“, teilte er ihr mit.

Der Wassermann eilte durch das stille Haus, überprüfte, ob die Fenster und auch die Türen des Lokals zu waren. Anschließend holte er Cassy, packte ihre Tasche und brachte sie zu ihrem Wagen.

„Wohin müssen wir denn?“, wollte sie wissen.

„Ich wohne in Kerry, direkt am Atlantik“, antwortete er ehrlich.

„Dann können wir gleich hierbleiben, mit dem Auto sind das bestimmt drei Stunden“, begehrte sie auf.

Auf keinen Fall durfte sie den Pub länger als einen Abend zumachen. Außerdem war ihr so schon nicht wohl, irgendwie fühlte es sich wie Flucht an oder als ob sie ihre Granny im Stich ließ.

„Wir fahren nur ein Stück am Shannon entlang, anschließend werde ich dich sicher zu meinem Haus bringen. Vertrau mir einfach“, blockte er weitere Argumente ab.

Unsicher sah sie ihn an, doch dann sank sie im Sitz zurück, während Darren den Wagen startete.

Eine ganze Weile fuhren sie tatsächlich mehr oder weniger am Fluss lang, bis sie am Lough Dergh ankamen. In der Nähe von Portumna Harbour parkte er das Auto und Cassy sah ihn misstrauisch an.

Mit einem beruhigenden Lächeln nahm er ihre Tasche und packte gleichzeitig ihren Ellenbogen, so gingen sie zum Lough Dergh, einem der größten Binnenseen in ihrer Heimat.

Das Wasser sah kalt aus und sie bekam eine Gänsehaut, was wenn dieser Wassermann ihr etwas Böses wollte?

„Keine Angst ich passe auf dich auf“, raunte Darren ihr zu, als ob er ihre Bedenken lesen könnte.

Sie atmete tief durch, falls er sie hier ertränkte, wäre sie in kürzester Zeit mit ihrer Familie vereint. Ein versöhnlicher Gedanke, der ihr gefiel.

Darren ließ sich in den eisigen See gleiten, dann nahm er Cassys Tasche und warf sie über seine Schulter. Sein Blick fesselte sie, und ehe sie sich versehen hatte, zog er sie an sich und tauchte mit ihr bis auf den Grund des Sees.

Der Mantel des Meermannes bildete eine Art Zelt um sie herum und so wurde ihr weder kalt, noch wurde sie nass. Undeutlich konnte sie die Schwanzflosse sehen, die jetzt anstelle seiner Beine war, aber das störte sie nicht wirklich.

Der Wächter hielt sie dicht an sich gepresst, während er durch das Wasser schoss. Seltsamerweise bekam sie genug Luft und für die kurze Zeit vergaß sie sogar ihre Trauer. Alles war wie in einer großen Luftblase, dabei gab Darrens Körper ein leichtes, grünliches Schimmern ab, sonst war es dunkel wie in einem Grab.

Nach einer knappen Viertelstunde tauchten sie wieder auf und Darren schob sie an einen Strand. Anschließend stellte er ihre Tasche neben sie und zuletzt kletterte er aus dem Wasser.

Verwundert bemerkte sie, dass seine Haare ebenso wenig nass waren, wie ihre Kleider oder ihre Sachen.

Vergnügt zwinkerte er ihr zu, nahm die Tasche, legte einen Arm um ihre Schultern und brachte sie zu seinem Haus.

„Es ist ein großer Vorteil, wenn man so reist. Bis zu zwei Personen kann ich auf diese Art mit mir nehmen“, erklärte er, als er die Tür seines Heims aufstieß.

Cassy nickte leicht benommen, betrat das Cottage und war froh, als Darren die Tür hinter ihr schloss, denn der Wind an der Küste war eisig.

Er stellte ihre Tasche im Flur ab, dann half er ihr aus ihrer Jacke, ehe er selbst den Kutschermantel abstreifte und an die Garderobe hing.

„Du siehst ziemlich erfroren aus, komm ich mach uns ein Feuer an“, damit legte er eine Hand in ihren Rücken und schob sie in sein Wohnzimmer.

Auf einer kleinen Couch setzte sie sich, dabei bemerkte sie das riesige Fenster, doch leider konnte sie außer den Sternen nichts sehen, da es schon dunkel war.

Fröstelnd rieb sie die Hände aneinander, zu der inneren Kälte war ihr jetzt auch äußerlich kalt, trotzdem musste sie zugeben, dass es ihr guttat, nicht in ihrem Häuschen zu sein.

Darren zündete das Feuerholz im Kamin an, legte etwas Torf dazu und setzte sich dann neben Cassy auf die Couch.

Liebevoll zog er sie an sich und wunderte sich über sich selbst. Natürlich hatte er davon geträumt sie herzubringen, aber bestimmt nicht, wenn sie vor Trauer außer sich war. Normalerweise waren ihm die Sorgen und Nöte der Menschen herzlich egal, nur diese kleine Hexe hatte sein Herz berührt, wie er sich eingestehen musste. Also würde er sie zumindest im Moment nicht verführen, sondern sich einfach nur um sie kümmern. Alles andere konnten sie später noch nachholen.

„Du fühlst dich wie ein Eiszapfen an“, murmelte er, dann holte er eine Decke und wickelte sie darin ein.

„Danke für alles“, flüsterte sie, als er sie wieder an sich zog.

Nachdenklich starrte sie in das Feuer, das munter prasselte und den Raum nicht nur wärmte, sondern auch in ein sanftes Licht tauchte.

„Ich habe dir versprochen, dass ich dich nicht alleine lasse“, erinnerte er sie.

In der Tat hatte er das, aber sie war es fast gewohnt, dass Versprechen ihr gegenüber gebrochen wurden. Es gab immer nur ihre Familie und zuletzt ihre Granny, auf die sie sich verlassen konnte. Selbst Peter vergaß seine Versprechungen, ein weiterer Grund, warum sie nie etwas mit ihm angefangen hatte.

„Wie wäre es mit einem Tee?“, wollte Darren wissen.

„Ein doppelter Whisky wäre mir lieber“, murmelte sie leise.

Der Gedanke sich zu betrinken und nicht mehr denken oder fühlen zu müssen, erschien ihr im Moment sehr erstrebenswert.

Sofort schüttelte ihr Gastgeber den Kopf.

„Nein meine Kleine, das ist der erste Weg in die Sucht und darin werde ich dich nicht unterstützen“, lehnte er ernst ab.

Frustriert stieß sie die Luft aus, dann nickte sie leicht.

„Einen Tee nehme ich gerne, schwarz mit Milch, falls du welche hast“, bat sie ihn.

Kurz darauf stand eine dampfende Tasse vor ihr und Darren zog sie erneut in seine Arme.

„Auch wenn dir Orla fehlt, glaub mir, für sie war es so besser und eines Tages werden wir sie wiedersehen“, tröstete er sie.

„Ich weiß, der Glaube an die Anderwelt wurde mir ebenso beigebracht, trotzdem war sie meine letzte Verwandte. Der letzte Mensch auf dieser Erde, auf den ich mich verlassen konnte“, hielt sie ihm entgegen.

Während sie ihm diese Wahrheit an den Kopf warf, fragte sie sich selbst, ob sie nicht ein wenig ungerecht war. Immerhin stand Darren ihr zur Seite, gab ihr Halt und Geborgenheit in dieser traurigen Stunde.

Als sie aufblickte, bemerkte sie den enttäuschten Zug in seinem Gesicht.

„Es tut mir leid, aber ich kenne dich kaum und bis vor ein paar Tagen, war ich überzeugt, dass ihr Wächter die Schlimmsten aller magischen Wesen seid. Bitte gib mir Zeit“, bat sie, dabei kuschelte sie sich etwas dichter an ihn.

Darren lächelte, natürlich bekam sie die Zeit, die sie brauchte und er wollte ihr deutlich zeigen, dass sie ihm vertrauen konnte. Wenn es nach ihm ginge, dann würde er die kleine Hexe nicht mehr weglassen. Dummerweise waren sie noch nicht an dem Punkt, außerdem gab es ja noch seine dominanten Vorlieben. Aber hier musste er einen Schritt nach dem anderen gehen.

Ihr Handy ließ sie hochschrecken und erstaunt sah sie ihn an, doch er zuckte nur mit den Schultern.

Nach einer Weile hatte sie das Gerät aus ihrer Hosentasche genestelt und meldete sich.

„Die Beerdigung ist am 30.10., einen Tag vor All Hallows Eve. Anders konnten wir es leider nicht machen, aber ich denke, es passt so“, ertönte die Stimme des Leprechauns.

„Vielen Dank, was bin ich Ihnen schuldig?“, brachte Cassy hervor.

Auf keinen Fall wollte sie den Kobold verärgern, in dem sie ihm seinen Lohn vorenthielt.

„Die Rechnung ist bereits bezahlt“, blaffte der unhöfliche Kerl und legte auf.

Verdutzt sah sie auf ihr Handy, dann auf Darren, der den größten Teil des Gesprächs mitbekommen hatte.

„Ich habe keine Ahnung, wer die Bestattung beglichen hat“, blockte er ihre nächste Frage ab.

Damit schied er aus und Cassy wusste nicht wirklich, was sie davon halten sollte. Es behagte ihr nicht, dass jemand die Beerdigung ihrer Großmutter bezahlt hatte, ohne dass sie auch nur ahnte, wer es war.

„Vielleicht hat sie ihm bereits Geld gegeben?“, vermutete sie, doch es blieb eine Vermutung.

Nervös trank sie einen Schluck von dem Tee, anschließend atmete sie tief durch. Wie gerne würde sie jetzt schlafen, aber durch den langen Mittagsschlaf, war sie dummerweise nicht müde.

Erzähl mir etwas über dich“, bat sie den Meermann.

Darren überlegte einen Augenblick, ehe er zustimmte, da er ihr Vertrauen haben wollte, war das kein schlechter Anfang.

„Was willst du wissen?“, erkundigte er sich.

Unschlüssig zuckte sie mit den Schultern.

„Alles, aber eigentlich möchte ich einfach nur deine Stimme hören“, gab sie verlegen zu.

Es war besser, wenn es nicht zu still wurde, Stille ertrug sie im Moment nicht. Außerdem mochte sie die ruhige Stimme des Wassermanns.

„Mein Vater ist, glaube ich, genau wie jeder Vater. Er macht sich unnötige Sorgen, will ständig informiert werden und tut so, als ob er unnahbar und kalt sei“, begann Darren mit dem ersten Detail, das ihm einfiel.

„Das klingt nicht, als ob ihr euch sehr nahe steht“, murmelte Cassy.

Sofort schüttelte er den Kopf.

„Nein, dann war der Eindruck, den ich dir vermittelt habe falsch. Wir lieben uns, auch wenn es ab und zu anders aussieht. Mein alter Herr würde für mich alles tun und umgekehrt genauso. Nur besitzen wir das gleiche Temperament und da knallen manchmal unsere Meinungen heftig aufeinander“, stellte er die Tatsachen richtig.

„Was ist mit deiner Mutter?“, wollte Cassy wissen.

„Sie lebt schon lange nicht mehr, aber mittlerweile habe ich gelernt, damit umzugehen“, antwortete er ehrlich.

Verstehend nickte sie und trank noch einen Schluck ihres Tees. Langsam wurde ihr wieder wärmer und sie legte den Kopf an Darrens Schulter. Hier fühlte sie sich geborgen und es tat nicht so weh, an Granny zu denken.

„Meine beiden Brüder sind Wächter, so wie ich und meine Schwester ist mit einem Menschen verheiratet. Wir sehen uns leider nicht so oft, wie wir es gerne hätten“, erzählte er weiter.

„Ich wünschte, mein Bruder würde noch leben, aber auch ihn habe ich verloren“, murmelte Cassy und Darren erkannte, dass ein Gespräch über die Verwandtschaft nicht wirklich mitfühlend ausgewählt war.

„Es tut mir leid, meine Kleine. Ich sollte nicht von meiner Familie schwärmen, wenn du gerade deine Leute vermisst“, entschuldigte er sich.

„Ist ja nicht deine Schuld. Was hat es mit deinem Job auf sich?“, wechselte sie geschickt das Thema.

„Wie du sicherlich weißt, stehen alle magischen Geschöpfe unter der Aufsicht von Manannan MacLir“, begann Darren.

Cassy nickte an seiner Schulter.

„Der große MacLir, natürlich wer kennt ihn nicht“, stimmte sie ein wenig abfällig zu.

„Scheint du magst ihn nicht“, stellte der Wassermann erstaunt fest.

Schnell schüttelte sie den Kopf, denn das traf es nicht wirklich.

„Ich kenne ihn nicht mal, aber meiner Meinung nach, sollte niemand so viel Macht über andere Lebewesen bekommen. Er ist unmöglich in der Lage, überall zu sein und alles im Griff zu haben“, erklärte sie ihre Bemerkung.

„Stimmt kann er nicht, deshalb gibt es uns Wächter. Sobald es zu Streitigkeiten kommt oder jemand das Gesetz übertritt, schickt er einen von uns. Dabei handelt es bei weitem nicht immer um Menschen, oft geht es um Meinungsverschiedenheiten zwischen den Elfen oder Feen und anderen Wesen“, erzählte er weiter.

Verstehend nickte sie, so konnte es natürlich klappen, auch wenn sie nicht davon überzeugt war, dass der große MacLir so gerecht war, wie Darren ihn darstellte. Ihr Vater hatte oft auf die Vorschriften und auf Manannan geschimpft, allerdings stammte von ihm ebenso die Information, dass man ihren Großvater zu unrecht verurteilt hatte.

Nachdenklich sah sie den Mann an ihrer Seite an.

„Hast du ihn mal getroffen? Ich meine den Meeresgott MacLir?“, wollte sie schüchtern wissen.

Der Wassermann verschluckte sich beinahe an seinem Tee, als er das Lachen unterdrücken musste. Sie konnte ja nicht ahnen, dass sie gerade über seinen Vater redeten.

„Ja, ich habe ihn öfter gesehen, als mir lieb ist. Aber ich kann dir versichern, dass er gerecht und gütig ist“, antwortete er mit einem Schmunzeln.

„Begleitest du mich bitte zur Beerdigung?“, bat Cassy plötzlich und wechselte das Thema so abrupt, dass Darren sie einen Augenblick verwundert anstarrte.

„Tut mir leid, ich hätte nicht fragen sollen. Es ist schon o.k., du hast bereits mehr getan, als jeder andere“, damit zog sie die Bitte schnell wieder zurück.

„Nein, Kleines, du verstehst meine Reaktion falsch. Ich war nur erstaunt, dass du mich überhaupt dabei haben möchtest. Natürlich komme ich mit“, stoppte er sie.

Cassy atmete auf, denn sie wusste nicht, wie sie diesen Tag ohne ihn überstehen sollte. Als ihr der Gedanke bewusst wurde, blickte sie ihn nachdenklich an. Wann war er eigentlich so wichtig in ihrem Leben geworden?

„Danke“, murmelte sie.

Statt einer Antwort küsste er sie zart auf die Lippen, zog sich aber sofort wieder zurück. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, jetzt brauchte sie einfach nur seine Unterstützung, alles andere musste warten.

Es war spät und langsam wurde sie doch müde, so vieles war auf sie eingestürmt. Als sie zum zweiten Mal gähnte, schälte Darren sie aus der Decke, hob sie auf seine Arme und trug sie in sein Schlafzimmer.

Ihre Tasche stand neben dem Bett, wo er sie vorsichtig absetzte.

„Leg dich hin, ich komme nachher zu dir und bewache deinen Schlaf“, befahl er liebevoll.

Als er schon an der Tür war, hielt Cassy ihn noch einmal zurück.

„Ich denke nicht, dass ich hier bleiben sollte. Die Couch vor dem Feuer reicht völlig aus“, teilte sie ihm ihre Bedenken mit.

Darren lachte leise.

„Du misstrauische, kleine Hexe, ich schlafe neben dir, nicht mit dir, versprochen. Gerade heute würde ich nichts in dieser Richtung versuchen. Aber ich glaube nicht, dass du in dieser Nacht gerne alleine wärst“, vermutete er.

Darin musste sie ihm Recht geben, auf keinen Fall wollte sie alleine sein, das Bild ihrer toten Großmutter verfolgte sie ohnehin. Schüchtern nickte sie und Darren verließ den Raum, damit sie sich umziehen konnte.

Die letzten Stunden rauschten in ihrem Kopf vorbei, angefangen von dem Ruf der Banshee bis jetzt.

Über ihre seltsame Beziehung zu dem Meermann wollte sie im Augenblick bestimmt nicht nachdenken und darüber, dass sie im gleichen Bett schliefen ebenso wenig. Schnell lenkte sie ihre Gedanken auf den nächsten Tag, sie sollte Ordnung im Schlafzimmer ihrer Großmutter schaffen, abgesehen davon fand die Beerdigung bald statt.

Der Leprechaun kümmerte sich um alles, außer um den Leichenschmaus, der auf jeden Fall im Pub abgehalten wurde, dazu musste sie einkaufen. Leise seufzte sie, aber irgendwie würde sie auch das hinter sich bringen, außerdem stand Darren ihr ja zur Seite.

Ihr letzter Gedanke galt doch wieder dem Meermann, der sie so schnell in ihren Kopf und in ihr Herz geschlichen hatte.

Als Darren eine gute Stunde später in sein Schlafzimmer kam, schlief Cassy tief und fest. Eine Weile blieb er vor dem Bett stehen und sah sie einfach nur an, nie hätte er sich träumen lassen, dass er seine Traumfrau ausgerechnet bei einem Auftrag fand.

Er streifte seine Kleider bis auf T-Shirt und Shorts ab und schlüpfte zu ihr unter die Decke. Sanft zog er sie an sich, hüllte sie in seiner Umarmung ein und gab ihr damit die Sicherheit, um ruhig bis zum Sonnenaufgang zu schlafen.

Die Beerdigung

 

Als Cassy am nächsten Morgen erwachte, wusste sie zuerst nicht, wo genau sie war, dann bemerkte sie Darren, der sie fest im Arm hielt. Schlagartig fiel ihr alles wieder ein, auch wie sehr der Meermann sich um sie gekümmert hatte.

Einen Moment sah sie ihn nachdenklich an, dabei hoffte sie, dass sie nicht am Ende eine zu hohe Rechnung zahlen müsste. So ganz überzeugt war sie nicht, dass er es einfach nur aus Nächstenliebe tat.

Als ob ihre Gedanken ihn geweckt hätten, schlug er die Augen auf und lächelte sie an.

„Guten Morgen kleine Hexe, ich hoffe, du hast gut geschlafen“, begrüßte er sie.

Schüchtern nickte sie, denn in der Tat hatte sie nicht mal geträumt. Eine Sekunde ließ sie sich fallen und kuschelte sich noch einmal ganz eng an ihn.

Darren strich ihr liebevoll über den Rücken, gab ihr Geborgenheit und Halt, dann küsste er sie sanft auf die Stirn.

„Wir sollten aufstehen, besonders wenn du heute wirklich den Pub aufmachen willst“, schlug er vor, während er sie besorgt ansah.

Cassy bestätigte ihre Pläne, das war sie den Leuten und vor allem ihrer Großmutter schuldig.

„Du hast Recht und ja, ich werde heute Abend öffnen, ebenso kümmere ich mich um das Schlafzimmer meiner Oma. Ich muss die Kleider aussortieren, das Bett frisch beziehen und ein paar Kleinigkeiten erledigen“, stimmte sie ihm zu, dabei graute ihr vor dieser Aufgabe.

„Nein Kleines, ich gebe nach, wenn du den Laden aufmachen willst, doch alles andere wirst du noch nicht in Angriff nehmen. Es stört niemanden, wenn du den Raum einfach etwas länger verschlossen lässt“, entschied Darren ruhig, aber unnachgiebig.

Halb empört, halb erleichtert sah sie ihn an.

„Und du bestimmst jetzt über mein Leben oder was?“, fragte sie einen Tick zu zickig.

Seine Arme schlossen sich fester um ihre schlanke Gestalt, als er ihr seine Antwort ins Ohr raunte.

„Oh ja, ich übernehme die Kontrolle über dein Leben und über dich“, flüsterte er und bescherte ihr damit eine Gänsehaut.

Fragend sah sie ihn an, das konnte er nicht ernst meinen, oder doch? War sie bereit sich auf ein solches Abenteuer einzulassen? Wollte sie, dass dieser Meermann sich dermaßen in ihre Angelegenheiten einmischte? Diese Überlegungen las er deutlich in ihren Augen und er musste schmunzeln.

Es war ein gutes Zeichen, dass sie zumindest darüber nachdachte, ob sie ihm diese Entscheidungen zugestehen sollte.

„Ich glaube nicht, dass du das Recht dazu hast. Außerdem bin ich bisher immer für mich selbst verantwortlich gewesen“, blockte sie ihn ab, dabei befreite sie sich aus seiner Umarmung.

Der Gedanke ihm die Sorgen zu überlassen war verlockend, aber dass er über ihr Leben bestimmen würde, war doch ein Schritt zu viel für sie.

Darren legte sich zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah ihr zu, wie sie ihre Kleidung für den Tag zurechtlegte.

„Du willst es, das kann ich spüren, es ist nur nicht an der Zeit, dass wir uns darüber unterhalten“, bemerkte er mit einem breiten Grinsen.

Ohne zu antworten, schnappte sie sich ihre Sachen und verschwand im Badezimmer, wo sie die Tür nachdrücklich abschloss.

In ihrem Kopf herrschte Chaos, die Trauer über den Tod ihrer Großmutter, die Angst vor der Zukunft, die so ungewiss erschien und dieser Wassermann tobten durch ihre Gedanken.

Er hatte sogar Recht, tief in ihrem Inneren wünschte sie sich einen Mann, der sie beherrschen konnte, der ihr sagte, wo es lang ging. Natürlich mit Respekt und Liebe, aber nach ihren Erfahrungen mit Darren wusste sie, dass er sie nie rücksichtslos oder lieblos behandeln würde.

Die Dusche entspannte sie etwas und sie schob diese Erkenntnis energisch zur Seite, es gab tausend Dinge, um die sie sich erst einmal kümmern musste.

Als sie das Bad verließ, duftete es bereits nach frischen Scones, die Marmelade stand auf dem Tisch und der Teekessel pfiff fröhlich vor sich hin.

„Komm her kleine Hexe, das Frühstück ist fertig“, forderte ihr Gastgeber sie freundlich auf.

Der Aufforderung folgte sie gerne, zumal sie Scones liebte. Darren stellte ihr eine Tasse Tee hin und schob ihr Butter und Marmelade in Reichweite.

„Greif zu, ich gehe schnell duschen“, damit war er auch schon an der Tür.

„Isst du nicht?“, rief sie ihm nach.

Lachend schüttelte er den Kopf.

„Normalerweise esse ich solche Sachen nicht und vor dem Süßkram graut mir ehrlich gesagt. Aber ich weiß, dass ihr Menschen das mögt“, teilte er ihr mit, dann war er im Bad verschwunden.

Staunend sah Cassy sich auf dem Tisch um, er musste entweder oft Besuch von Menschen haben oder er hatte in Rekordzeit eingekauft. Am Ende war es ihr allerdings egal.

Sie schnitt einen Scone auf und bestrich ihn mit Butter und Marmelade. Genüsslich biss sie hinein, im Moment wollte sie sich der Wirklichkeit nicht stellen, sondern so tun, als ob sich nichts geändert hätte.

Dummerweise war sie nach ein paar Bissen satt, so einfach konnte sie die Gedanken doch nicht zur Seite schieben. Schnell räumte sie die Lebensmittel wieder in den Kühlschrank und stellte ihren Teller in die Spülmaschine, dann nahm sie ihren Tee und ging damit ins Wohnzimmer.

Der Ausblick aus dem riesigen Fenster war traumhaft, genauso wie sie es sich vorgestellt hatte. Das Haus stand direkt an der Klippe und so bewunderte sie die Felsen, die steil ins Meer abfielen, außerdem beobachtete sie die See. An diesem Tag schneite es und man konnte nicht sehr weit sehen, trotzdem erkannte sie die Wellen, die mit Macht auf den Strand schlugen.

Die Schneeflocken tanzten vor der Scheibe und bedeckten die Erde, während Cassy den Ausblick genoss. Völlig in diesem Anblick versunken, bemerkte sie nicht, dass Darren hinter sie getreten war. Erst als seine Arme sich um sie schlossen, schreckte sie hoch.

„Keine Angst, ich bin es nur“, flüsterte er ihr zu und sie beruhigte sich sofort wieder.

„Es ist traumhaft, von hier aus sieht sogar der Schnee toll aus“, murmelte sie.

Darin stimmte er ihr gerne zu, besonders sobald im Kamin ein Feuer loderte und ihnen Wärme schenkte. Einen Moment lang sah er den Wellen zu, bemerkte, wie der Wind über die See peitschte, und genoss dieses Schauspiel der Natur.

„Wann willst du heute öffnen?“, wollte Darren leise wissen.

Cassy seufzte, wenn sie hier so in seiner Umarmung stand, würde sie am liebsten gar nicht an ihr Zuhause denken.

„Wir öffnen immer um achtzehn Uhr, so ist es seit Jahren und so werde ich es auch weiterhin handhaben“, teilte sie ihm mit.

„Gut, dann haben wir noch etwas Zeit, ehe wir aufbrechen müssen. Soll ich dir wegen der Beerdigung zur Hand gehen?“, fragte er weiter.

„Der Leprechaun kümmert sich um die offizielle Bestattung, ich sollte die Totenwache und die Trauerfeier organisieren. Natürlich darf ich die Messe nicht vergessen. Wobei es für die Totenwache eigentlich schon zu spät ist“, fasste sie die Situation zusammen.

„Lass uns heute zwei Stunden vor dem Öffnen des Pubs in die Kirche gehen, dann kannst du für Orla beten“, schlug Darren vor.

Cassy verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

„Du weißt genau, dass ich für meine Großmutter nicht beten muss oder werde. Sie war eine Elfe und Anderwelt liegt nicht im katholischen Himmel“, hielt sie dagegen.

Der Wächter zuckte mit den Schultern, natürlich wusste er das, aber sie hatte von den kirchlichen Ritualen angefangen.

„Traditionell wird der Sarg erst nach zwei Tagen geschlossen, damit die Leute Abschied nehmen können. Grannys Sarg ist schon weg, also brauchen wir uns um das Meiste keine Gedanken machen. Ich bitte Peter, dass er den Nachbarn und Freunden wegen der Beerdigung Bescheid gibt. Anschließend werde ich alle im Pub bewirten“, beschloss sie, dabei hoffte sie, dass keine unangenehmen Fragen aufkommen würden.

Darren nickte leicht, für ihn war das alles Neuland, da er nicht wirklich unter den Menschen lebte.

„Also wird nur die Bestattung und die Trauerfeier danach öffentlich sein?“, versicherte er sich.

„Keine Ahnung, eigentlich müsste ich heute die Totenwache vornehmen, aber was soll denn bewacht werden? Es ist nichts mehr da“, rief sie und Tränen traten ihr in die Augen.

Nicht mal eine traditionelle Beerdigung konnte sie den Leuten bieten und in diesem Moment wurde ihr wieder schmerzhaft bewusst, dass sie ihre einzige Verwandte verloren hatte.

„Hey Kleines, ich stehe das mit dir durch und keiner wird dumme Fragen stellen. Wir machen uns gleich auf den Rückweg, dann können wir diesem Peter Bescheid sagen und den Pub für den Abend herrichten. Sollte jemand wegen dieser Totenwache nachfragen, hat deine Großmutter es eben nicht so gewollt“, sagte er ruhig.

Der Weg war die Lösung, die sie suchte, den letzten Willen ihrer Granny würde jeder akzeptieren. Aufatmend drehte sie sich in seinen Armen um und küsste ihn schüchtern auf die Wange.

„Danke, das ist genau der Plan, den ich gesucht habe“, murmelte sie.

Lächelnd sah er ihr in die Augen.

„Ich habe dir versprochen, dass ich da bin, schon vergessen?“, erinnerte er sie.

Verlegen zuckte sie mit den Schultern, dann befreite sie sich aus der Umarmung und stellte die Teetasse in die Spülmaschine. Sie war es nicht gewohnt, dass jemand Fremdes zu ihr stand, aber es fühlte sich unendlich gut an.

Den Rückweg bewerkstelligten sie genauso, wie den Hinweg und wieder einmal wunderte sie sich, dass weder sie noch ihre Sachen nass geworden waren. Der Wassermann lachte leise und schüttelte den Kopf, wenn er sie nicht trocken durchs Wasser bringen konnte, wer denn dann?

Am Nachmittag kamen sie in Shannonbridge an und Cassy griff vorsichtig nach Darrens Hand, als sie die Tür zum Pub aufschloss. Ihre Jacke streifte sie schon an der Tür ab, doch sie bereute es sofort. Eisige Luft strömte ihr entgegen, so als ob der Tod noch anwesend wäre. Sie fühlte sich in ihrem eigenen Zuhause auf einmal nicht mehr wirklich wohl. Außerdem hing ein modriger Gestank im Gastraum.

Darren fluchte leise und sah sich genau um.

„Was ist los? Du machst mir Angst, wenn du so bist“, gestand sie ihm, als er jeden Raum regelrecht nach etwas absuchte.

„Der FarLiath war hier, du erkennst ihn unschwer am Geruch und dieser eisigen, feuchten Kälte. Ich habe nur geschaut, ob er sich irgendwo verborgen hält“, erklärte er grimmig.

Ängstlich sah Cassy sich um und schlang die Arme um ihren Oberkörper, allein die Erinnerung an den grauen, wabernden Nebel jagte ihr eine Gänsehaut über den Körper.

Als er seinen Rundgang beendet hatte, zog er sie fest an sich, rieb ihr über die Arme und den Rücken, dann legte er ihr seinen Kutschermantel über die Schultern. Anschließend fachte er ein Feuer im Kamin an, dabei ließ er den Torf liegen, den konnte niemand mehr benutzen.

„Dieser Geist hat meine Torfvorräte vernichtet“, brachte Cassy fassungslos hervor, als sie den schimmelnden Haufen sah.

„Ja und das ist bestimmt nicht das Schlimmste, was er mit dir anstellt, falls er dich erwischt“, murrte Darren.

Angstvoll sah sie ihn an.

„Wie meinst du das?“, wollte sie wissen.

Seufzend zog er sie vor das Feuer, dass sie tröstlich wärmte.

„Du hast einen sehr alten Geist verärgert, in dem du diesen Pub in ein Geisterhaus verwandelt hast. Außerdem hat er ein Auge auf dich geworfen, so wie es aussieht. Wenn er dich also in seine Finger bekommt, dann wird er versuchen, dich mit sich zu nehmen. Du würdest in einem kalten, nassen Verlies enden, damit er dich immer für sich hat“, erklärte er.

„Du erzählst mir dieses Schauermärchen, aber ich weiß nicht warum. Der Graue Mann hat gewiss kein Interesse an mir“, blockte sie seine Erklärung ab.

„Bitte Kleines, nimm das nicht auf die leichte Schulter. Gerade dieser Geist wird von Schönheit angezogen“, meinte Darren ernst.

Cassy lachte leise auf, denn dann brauchte sie sich keine Gedanken zu machen.

„Ich bin nicht schön, also droht mir wohl kaum eine Gefahr“, murmelte sie.

Wie gerne hätte er sie jetzt geschüttelt, aber das würde nichts nutzen.

„Glaub mir, du bist wunderschön und in großer Gefahr. Ich werde dich beschützen, allerdings solltest du absolut vorsichtig sein“, warnte er sie erneut.

Davon wollte Cassy nichts hören, dennoch wünschte sie sich, dass sie sich immer noch im Haus des Meermannes befänden. Um sich abzulenken, sah sie die Vorräte durch, dann putzte sie den Schankraum und kontrollierte die Toiletten. Arbeiten, die sie seit etlichen Jahren gewöhnt war und die ihr zurück in den Alltag halfen.

Anschließend ging sie zu Peters Hof, um ihn zu bitten, den anderen Leuten den Termin für die Beerdigung mitzuteilen.

Der Wächter wäre gerne mit ihr gegangen, aber angesichts der Eifersucht, die Peter ihm gegenüber zur Schau stellte, lehnte sie es energisch ab.

Es war nur ein kurzer Fußmarsch bis zu seinem Hof, trotzdem atmete sie auf, als sie vor der Tür stand. Ärgerlich schob sie die Gedanken über den Grauen Mann zur Seite. Es konnte doch nicht sein, dass sie jetzt schon Angst hatte, durch ihr Heimatdorf zu gehen.

Sie klopfte und gleichzeitig hoffte sie, dass ihr weitere Eifersuchtsattacken erspart blieben.

„Oh du bist es“, meinte Peter, als er die Tür öffnete, allerdings machte er keine Anstalten, um sie hereinzubitten.

„Ja ich bin es und ich habe eine Bitte an dich“, antwortete Cassy, wobei sie am liebsten sofort umgekehrt wäre.

Vielleicht war es wirklich besser, wenn sie John bat, sich der Sache anzunehmen.

„Ach dann kann dein neuer Freund wohl doch nicht alles“, höhnte Peter.

Wut kochte in ihr hoch und ihre Augen blitzten vor Zorn.

„Peter O´Sullivan kennst du nur deine eigenen Bedürfnisse? Es war ein Fehler, dass ich hergekommen bin“, fügte sie leiser hinzu.

Ehe sie sich umdrehen konnte, hielt der Schafhirte sie am Arm fest.

„Es tut mir leid Cassy, aber es erstaunt mich, dass du dir gerade jetzt einen Liebhaber zulegst, wo deine Großmutter verstorben ist. Außerdem hab ich gedacht, dass du irgendwann einsiehst, dass du zu mir gehörst“, versuchte er zu erklären.

„Genau darin liegt dein Problem, du dachtest und was du dir denkst, ist natürlich die Wahrheit“, damit riss sie sich los und rannte davon.

Erst vor ihrem Pub hielt sie an, atmete tief durch und hoffte, dass sie Peter so schnell nicht wiedersehen musste. Doch sie war sich sicher, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung ging, er würde bestimmt am Abend in den Pub kommen.

Während Cassy sich um ihre Aufgaben kümmerte, entfernte Darren das Schild an der Tür, bestellte neuen Torf und achtete darauf, dass sie sich nicht zu viel zumutete.

Mit einem Blick erkannte er, dass es zu einer Auseinandersetzung mit dem jungen Schafhirten gekommen war, als sie blass und mit Tränen in den Augen zurück in den Pub kam.

Fürsorglich nahm er ihr die dicke Jacke ab und zog sie dann fest in seine Arme.

„Nimm es dir nicht zu Herzen, er ist eifersüchtig“, versuchte er sie zu beruhigen.

„Nein, das ist eine billige Ausrede. Er hat mir vorgeworfen, dass ich mir ja gerade jetzt einen Liebhaber nehmen musste, wo Granny gestorben ist. Dabei stimmt es doch gar nicht“, brachte sie stockend hervor, auch wenn das nur die halbe Wahrheit war.

Sie wusste, dass sie sich verliebte und die Umstände taten ihr Übriges, eben weil Darren sie nicht im Stich ließ, flog ihm ihr Herz zu.

„Beruhige dich, Kleines. Erstens hat er sich nur etwas zusammengereimt, damit er besser mit der Tatsache klarkommt, dass er dich nie als Frau bekommt. Zweitens passieren meistens in Extremsituationen die seltsamsten Dinge“, führte er ihr vor Augen.

Tiefdurchatmend nickte sie und wischte sich die Tränen von den Wangen, die sie jetzt doch nicht mehr zurückhalten konnte. Natürlich war es auch ihr eigenes schlechtes Gewissen, weil sie sich gerade in diesem Moment eingestehen musste, dass sie sich verliebt hatte.

Nach ein paar Minuten hatte sie sich wieder so weit im Griff, dass sie in der Lage war, John anzurufen. Er versprach ihr, dass er die Freunde und Nachbarn benachrichtigte, außerdem würden sie heute Abend in den Pub kommen.

Als die Gäste kamen, setzte Darren sich fast unsichtbar an das Ende der Theke, immer bereit an ihre Seite zu eilen, falls sie Hilfe brauchte. Lieber hätte er direkt neben ihr gestanden, aber darin gab er ihr Recht, die Leute würden misstrauisch werden, wenn er als Fremder hinter dem Tresen stünde.

Einer der ersten Besucher war Peter, der sie missmutig ansah, dann blickte er sich im Gastraum um und seine Stirn runzelte sich, als er Darren bemerkte.

„Bewacht er dich jetzt etwa?“, wollte der junge Schafbauer wissen.

„Dir auch einen schönen guten Abend Peter. Ich wüsste zwar nicht, was es dich anging, aber er ist für mich eine große Unterstützung“, antwortete Cassy kalt.

Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass ihr Kindergartenfreund so wenig Mitgefühl aufbrachte.

John und seine Freunde traten zu ihr an die Theke und sprachen ihr Beileid aus.

„Wenn du Hilfe brauchst, sag einfach Bescheid“, bot John ihr auf seine raue Art an.

„Vielen Dank euch allen, aber das Leben geht weiter. Granny hätte nicht gewollt, dass wir in Trauer versinken“, rief sie in den Raum, dann spendierte sie jedem einen Pint.

Die Stimmung stieg und bald erzählte jeder eine kurze Episode, die er mit Orla MacClary erlebt hatte. Einige der Gäste sprachen über lustige Szenen, andere berichteten von Ereignissen, bei denen sie ihnen geholfen hatte. Die Dorfgemeinschaft rückte näher zusammen, um das Loch, welches die alte Frau hinterlassen hatte zu schließen.

Selbst Darren wurde in diesen Kreis aufgenommen und je mehr sie sich an die Erlebnisse erinnerten, desto mehr hatte man den Eindruck, dass Orla mitten unter ihnen war.

Verstohlen wischte Cassy sich eine Träne von der Wange, als sie in der Küche einen großen Topf Irish Stew aufwärmte. Sie hatte das Gericht schon am Nachmittag zubereitet, zumal sie wusste, dass es eine lange Nacht werden würde.

Peter stand am Rande und beobachtete sie, dabei sah man ihm an, dass die Eifersucht an ihm nagte. Jedes Mal, wenn sie Darren anlächelte, zuckte er zusammen, als ob man ihn geschlagen hätte. Er war auch der erste Gast, der sich verabschiedete.

Die anderen Nachbarn folgten ihm wesentlich später und viele waren ziemlich betrunken, aber das war ihr Abschied von einer Frau, die sie bereits ihr Leben lang kannten.

Erschöpft schloss Cassy hinter dem letzten Besucher die Tür ab, der Abend war erfreulicher verlaufen, als sie gedacht hatte und das verdankte sie nicht zuletzt Darren. Niemand hatte nach der Totenwache gefragt und jeder akzeptierte, dass es eben nur die Beerdigung gab, besonders als Cassy erwähnte, dass es Orlas Wunsch gewesen sei.

Als sie die Tür abgeschlossen hatte, ging sie mit einem Lächeln zu dem Meermann, legte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn zart auf die Lippen. Sie brauchte diese Zärtlichkeit in dem Moment, außerdem war es ihre Art sich bei ihm zu bedanken.

Sofort schlossen sich seine Arme um sie und er zog sie eng an sich. Seine Zunge strich über ihre Unterlippe, zwang sie mit sanfter Gewalt den Mund zu öffnen.

Als seine Zungenspitze ihre berührte, schoss es wie ein Blitz durch ihren gesamten Körper. Genüsslich seufzte sie und gab sich ganz diesem Kuss hin.

Liebevoll erforschte Darren ihren Mund, streifte über ihre geraden Zähne, kostete ihren Geschmack aus und forderte ihre Zunge zu einem zärtlichen Duell heraus.

Schwer atmend ließ er von ihr ab und sah ihr tief in die Augen.

„Du machst es mir nicht leicht, meine Zurückhaltung zu wahren“, murmelte er rau.

Mit einem verlegenden Lächeln sah sie ihn an.

„Es tut mir leid“, weiter kam sie nicht, weil er ihr den Mund zu hielt.

„Entschuldige dich niemals für einen solchen Kuss, der all deine Gefühle ausdrückt“, verlangte er ernst.

Langsam zog er die Hand wieder weg, als sie gehorsam nickte, dann hob er sie auf seine Arme und trug sie in ihr Schlafzimmer.

„Bitte bleib bei mir“, bat sie schüchtern.

Irgendwas machte ihr Angst und sie wollte nicht, dass er ging. Nein so ganz stimmte das nicht, sie wünschte sich, dass er an ihrer Seite blieb, auch später, nach der Beerdigung.

Ein wenig irritiert sah Darren ihr tief in die Augen, er hatte ihr doch bereits erklärt, dass er sie in dieser Zeit nicht alleine ließ. In ihrem Blick las er jedoch, was genau diese Bitte bedeutete.

„Willst du das wirklich? Willst du, dass ich bei dir bleibe? Ich bin dominanter Sadist. Ich werde dich demütigen, dich erziehen, bestrafen, sobald du ungehorsam bist und belohnen, wenn du dich gehorsam zeigst“, fragt er ernst, dabei ignorierte er, wie schnell sein Herz schlug.

Es war wichtig, dass sie zumindest im Ansatz wusste, auf was sie sich einließ.

Verlegen senkte Cassy den Blick, natürlich hatte sie schon von solchen Praktiken gehört und was er sagte, erzeugte ein Kribbeln in ihrer Mitte. Vielleicht brauchte sie genau so jemanden, der sie beherrschte? Eventuell war das der Grund, warum sie bisher keinen Partner gefunden hatte?

Sanft packte Darren ihr Kinn, hob es an und zwang sie so, ihm ins Gesicht zu sehen.

„Willst du das wirklich?“, wiederholte er seine Frage.

In ihren Augen sah er die tiefe Sehnsucht, den Wunsch danach, sich endlich hingeben zu dürfen. Nur reichte ihm das nicht, sie musste es aussprechen, erst dann würde er die Führung gerne übernehmen.

„Ich weiß nicht, ob ich das will, weil ich es nicht kenne. Aber ich möchte nicht, dass du mich wieder verlässt, auch nicht nach der Beerdigung“, gab sie ehrlich zu.

Langsam schüttelte er den Kopf, diese Aussage bestätigte nicht, was er in ihrem Blick gelesen hatte. Es war ebenso möglich, dass sie einfach nur nicht alleine sein wollte, obwohl ihre Augen und ihr Körper etwas ganz anderes sagten.

Ehe er ihre Bitte ablehnen konnte, sprang Cassy ins kalte Wasser.

„Der Gedanke, dass du mich strafst, erregt mich“, flüsterte sie beschämt.

Wie konnte sie auch nur an Sex denken, wo ihre Granny gerade erst gestorben war? Irgendwas stimmte mit ihr nicht.

„Vergiss es, es war dumm von mir, davon anzufangen“, schob sie schnell hinterher.

Sie wollte sich wegdrehen, die Situation irgendwie retten, doch er hielt immer noch ihr Kinn fest.

„Oh nein, kleine Hexe, so nicht“, murmelte er.

Er ließ ihr Kinn los, dafür legte er beide Hände an ihre Wangen und sah ihr wieder tief in die Augen.

„Du wirst mich nicht mehr los, jetzt nicht mehr. Ich musste nur sicher sein, dass du nicht auf einen faulen Kompromiss eingehst, nur um nicht alleine zu sein“, erklärte er, dann küsste er sie zärtlich.

Erschöpft schloss Cassy die Augen, gab sich diesem Kuss hin und schob jeden anderen Gedanken zur Seite.

Dieser einfache liebevolle Kuss war ein Versprechen, er ließ ihr Herz schneller schlagen und in ihrem Kopf explodierte ein Feuerwerk der Gefühle. Noch nie hatte jemand sie auf diese Art geküsst, so dass sie alles vergaß, was um sie herum passierte.

Wie von selbst schlangen sich ihre Arme um seinen Nacken und sie drückte instinktiv ihren Körper an ihn.

Schwer atmend ließ er von ihr ab und sah sie eindringlich an.

„Nach der Beerdigung werde ich dir deinen Platz zeigen und dieses Angebot gerne annehmen, aber im Moment verzichte ich darauf. Du würdest dich in Grund und Boden schämen, wenn wir jetzt miteinander schliefen“, erklärte er ihr offen.

Sofort färbten sich ihre Wangen tiefrot, sie war einfach ihren Emotionen gefolgt und hatte alles andere vergessen. So schamlos benahm sie sich gewöhnlich nicht.

„Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Normalerweise dürfte ich zu solchen Gefühlen gar nicht fähig sein, nicht in dieser Zeit“, flüsterte sie beschämt.

Darren schüttelte den Kopf, hob sie auf seine Arme, setzte sich auf ihr Bett und rückte sie auf seinem Schoß zurecht.

„Bist du dir sicher, dass du nicht schon etwas gefühlt hast, bevor deine Großmutter gestorben ist?“, wollte er wissen.

Ihre Stirn runzelte sich, als sie über seine Frage nachdachte. Ehrlicherweise musste sie zugeben, dass er sie verwirrt hatte und sie fasziniert von ihm gewesen war.

„Ich bin mir nicht sicher, auf jeden Fall hast du mich ziemlich aus der Bahn geworfen“, gab sie leise zu, während sie sich an ihn kuschelte.

Ein heiseres Lachen antwortete ihr.

„So kann man es natürlich auch nennen. Liebe ist nie verkehrt, Kleines. Niemand ist in der Lage Gefühle zu steuern und gerade im Moment ist es verständlich, dass du jemanden bei dir haben möchtest“, beruhigte er sie.

„Aber ich sehne mich nicht nur jetzt nach dir. Es ist so viel mehr, als ich jemals empfunden habe. Bitte denk nicht, dass ich deinen Bedingungen nur zustimme, weil ich nicht alleine sein will“, bat sie verunsichert.

Ihr Blick hob sich und er las in ihren Augen, dass sie Angst hatte, falsch eingeschätzt zu werden.

„Bedingungen waren es nicht wirklich, es war einfach nur eine Warnung, damit du weißt, wie ich bin“, stellte er grinsend klar.

„Wie auch immer, jedenfalls möchte ich es mit dir ausprobieren. Wenn es nur darum ginge, nicht einsam zu sein, hätte ich ebenso Peters Antrag annehmen können“, warf sie ein.

Sofort spürte Darren, wie es in ihm brodelte, Cassy gehörte ihm und es sollte keiner wagen, sie ihm streitig zu machen.

„Dieser Einfaltspinsel hat dir einen Heiratsantrag gemacht?“, wollte er gefährlich ruhig wissen.

„Ja, hat er oder um es genau zu sagen, er hat mich jedes Jahr zu Beltane gefragt, ob ich seine Frau werden will. Die Antwort war immer gleich, ich habe abgelehnt“, antwortete sie und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

Verstehend nickte er und entspannte sich wieder.

„Trotzdem kleine Hexe warten wir, du würdest dir nicht verzeihen, falls wir heute miteinander schlafen“, teilte er ihr sanft mit.

Sie stimmte ihm zu, darum war es ihr gar nicht gegangen, aber jetzt fühlte sie sich besser. Es war alles geklärt, die Vermutung, dass sie nur nicht alleine bleiben wollte, hatte sie entkräftet und ihre Wünsche geäußert. Ein Gefühl der Zufriedenheit blieb, obwohl die nächsten Tage alles andere als leicht werden würden.

Darren hob sie hoch und ließ sie an sich heruntergleiten.

„Du solltest dich umziehen, es ist spät geworden“, riet er ihr.

Darin konnte sie ihm nur zustimmen, auch wenn sie es in den letzten Jahren gewohnt war, weit nach Mitternacht ins Bett zu gehen und mit wenig Schlaf auszukommen.

Höflich verließ er ihr Zimmer, versprach aber in ein paar Minuten wieder zu ihr zu kommen, somit hatte sie Zeit sich umzuziehen.

Darren brauchte etwas Abstand, um seine Gefühle und seine Lust unter Kontrolle zu bekommen. Diese kleine Hexe heizte ihm ganz schön ein, besonders seit sie ihm gestanden hatte, dass es sie erregte, wenn er von ihrer Erziehung sprach.

Ebenso verwunderte es ihn, dass er so heftig reagierte, sobald die Rede auf einen anderen Mann kam, egal ob dieser ihm gefährlich werden konnte oder eben nicht, wie dieser Peter.

Nach einer Weile hörte er, wie Cassandra das Badezimmer verließ und in ihr Zimmer zurückging. Er putzte sich die Zähne und ging dann zu ihr.

Lächelnd hob sie die Decke ein wenig an, damit er sich zu ihr legte. Geschmeidig glitt er ins Bett und zog sie fest an sich, dabei war er sich bewusst, dass es ihn viel Kraft kostete, sich zu beherrschen. 

Cassy hatte diese Probleme nicht, sie genoss es, in seinen Armen zu liegen und seine Nähe zu spüren. Hier fühlte sie sich sicher, egal was da auf sie zukam.

Der neue Tag zog mit dickem Nebel auf, der es verhinderte, dass man auch nur einige Meter weit sehen konnte.

Missmutig schaute Cassy aus dem Fenster, nachdem Darren sie liebevoll geweckt hatte. Der Wassermann war schon nach ein paar Stunden erfrischt aufgewacht und nutzte die Zeit. Im Kamin prasselte ein Feuer, in der Küche pfiff der Teekessel und zum Frühstück gab es dieses Mal Porridge.

Müde ließ sie sich auf die Eckbank fallen und sah ihn an.

„Sag mal brauchst du keinen Schlaf?“, erkundigte sie sich gähnend.

Darren lachte auf und schüttelte den Kopf.
„Doch brauche ich, aber ich benötige nicht so viel, wie ihr Menschen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich im Moment lieber die Augen offenhalte“, fügte er ernst hinzu.

Cassy schnaubte leise, sie würde am liebsten nicht mehr an die Gefahr denken, wieso musste dieser bösartige Geist sich ausgerechnet auf sie einschießen. Es gab bestimmt andere halbmagische Wesen oder hübsche Frauen. Außerdem war morgen die Bestattung ihrer Oma und da wollte sie noch weniger drüber nachdenken.

„Was liegt denn heute an?“, erkundigte Darren sich.

Cassy überlegte einen Moment, dann atmete sie tief aus.

„Ich werde den ganzen Tag in der Küche verbringen. Nach der Beerdigung erwarten die Leute ein Festessen. Also heißt es Irish Stew, Sheperds Pie und Steaks vorbereiten und natürlich Kuchen backen. Darüber hinaus muss ich die Vorräte überprüfen, es wäre eine Katastrophe, wenn uns der Whisky ausginge oder das Ale“, zählte sie auf.

Vergeblich versuchte sie zu verdrängen, warum sie diese Köstlichkeiten kochen musste. Traurig sah sie wieder aus dem Fenster, doch durch den Nebel erkannte sie nicht mal den Fluss.

Darren nahm sie tröstend in die Arme, mehr konnte er in diesem Moment nicht tun. Mit der Zeit würde sie über den Verlust hinwegkommen und nach der Beerdigung wollte er dafür sorgen, dass sie sich ablenkte. Vielleicht schaffte er es, sie dazu zu bringen, sich Urlaub zu gönnen und sie blieben erst einmal in seinem Cottage.

Diese Vorstellung gefiel dem Meermann, natürlich auch, weil Manannan ihm zugesagt hatte, nach dem Auftrag frei zu haben. Dummerweise musste er vorher seinen Bericht abgeben, damit Lugh Cassy in Ruhe ließ. Der FarLiath genügte schon, da verzichtete er gerne auf einen rachsüchtigen Kriegsgott.

Bei dem Gedanken an den Grauen Mann runzelte er die Stirn, da würde er noch genug zu tun bekommen. Außerdem sollte er mit seinem Vater über diesen Geist sprechen, er wollte sich da absichern. Ein Fehler könnte Cassy die Freiheit kosten.

„Hörst du mir zu?“, fragte sie und riss ihn damit aus seinen Überlegungen.

„Nein Liebes, ich habe dir leider nicht zugehört“, gab er ehrlich zu und milderte die Antwort mit einem Lächeln.

„Ich mache mir Gedanken um den Grauen Mann. Was kann ich tun, um mich gegen ihn zu schützen?“, wiederholte sie ihre Frage.

„Das ist ziemlich schwierig, zumal die überlieferten Medaillons und Kreuze nichts bringen. Es ist wichtig, dass er dich nicht alleine antrifft und wenn doch, dann erinnere ihn an die Gesetze von Manannan MacLir“, riet Darren ihr.

Ungläubig sah sie ihn an und stemmte die Hände in die Seiten.

„Und das hilft? Ihm irgendwelche Verbote vorzubeten? Du nimmst mich auf den Arm“, warf sie ihm vor.

„Nein tue ich nicht, ab und zu reicht es wirklich. Es kommt ganz darauf an, was ihm wichtiger ist und ob er glaubt, dass er sein Verbrechen vertuschen kann“, verteidigte er sich.

„Wenn es nach mir geht, wirst du in der nächsten Zeit nicht viel alleine sein. Sollte ich weg müssen, werde ich dich in mein Haus bringen. Es ist bekannt, dass ich dort wohne, da wird der Miesepeter die Füße stillhalten. Außerdem spreche ich auf jeden Fall mit Manannan, vielleicht hat er eine Idee, wie wir dich wirksam schützen können“, fügte er hinzu.

„Ich will den Pub nicht ständig schließen, Darren, ich lebe davon. Und der große MacLir wird kaum Interesse für die Probleme eines Menschen haben“, warf sie ihm bitter vor.

Gerne hätte er ihr gesagt, dass das so nicht der Wahrheit entsprach, besonders nicht, wenn es sich bei diesem Menschen um seine zukünftige Schwiegertochter handelte, doch er spürte, dass es kein guter Zeitpunkt war.

„Ein Schritt nach dem anderen Kleines, lass uns erstmal die Beerdigung hinter uns bringen“, blockte er die Diskussion ab.

Seufzend stimmte Cassy ihm zu und gemeinsam stürzten sie sich in die Arbeit. Im Laufe des Tages kamen fast alle Frauen aus der Nachbarschaft und brachten Kuchen, Salate und andere Leckereien für die morgige Trauerfeier vorbei. Es war Tradition, dass die Nachbarn und Freunde den Angehörigen halfen.

Der Tag verging für Cassy viel zu schnell und auch die letzte Nacht hatte sie halbwegs gut hinter sich gebracht. Doch als es Zeit wurde zum Friedhof zu fahren, wäre sie am liebsten weggerannt.

Darren sah sie aufmerksam an und bestand darauf, dass er das Auto fuhr. In ihrem langen schwarzen Mantel, der die Blässe in ihrem Gesicht noch hervorhob, sah sie aus, als ob sie gleich zusammenbrechen würde.

„Du musst das nicht tun, Kleines. Ich kann alleine hinfahren und dich bei den Leuten entschuldigen“, schlug er vorsichtig vor.

Empört schüttelte sie den Kopf.

„Auf keinen Fall! Glaubst du, ich könnte meiner Großmutter die letzte Ehre verweigern? Auch wenn der Sarg leer ist, werde ich das Ansehen meiner Familie nicht so in den Dreck ziehen“, fauchte sie.

Er gab nach und so fuhren sie stumm zum Friedhof, wo sie bereits erwartet wurden. Das halbe Dorf hatte sich versammelt und die Tür zur Familiengruft stand offen.

Über dem kleinen Gebäude, das die Überreste der menschlichen MacClarys beherbergte, thronte ein weißer Engel. Die Figur hatte die Flügel weit ausgebreitet, als ob er sie alle vor dem Bösen beschützen wollte.

Schon als Kind hatte sie diesen Engel geliebt, immer wenn sie ihn sah, bekam sie das Gefühl beschützt zu sein.

Dieses Mal begleitete Darren sie bis zur Tür der Gruft, sofort bereit sie zu stützen oder auch wegzubringen, falls es sein musste.

Cassy biss die Zähne zusammen und lediglich die Tatsache, dass sie sich bei ihm anlehnte, zeigte, wie viel Kraft sie diese Zeremonie kostete.

Als der Redner im Namen der Familie und der Freunde Abschied nahm und die Tür des kleinen Mausoleums schloss, rannen ihr die Tränen über die Wangen. Sie war nicht mehr in der Lage etwas zu sagen.

Etliche Bekannte umarmten sie stumm, teilten die Trauer mit ihr oder nickten ihr einfach nur zu.

Darren lud die Leute ein sich später im Pub zu treffen, als er merkte, dass Cassy nicht sprechen konnte, weil sie mit ihrem Schmerz kämpfte.

„Jetzt bin ich die letzte der MacClarys“, flüsterte sie, als sie alleine vor dem großen Engel stand und verloren auf die geschlossenen Türen sah.

Der Meermann zog sie fest in seine Arme, doch in seinem Gehirn arbeitete es, denn diese Bemerkung erinnerte ihn an etwas, nur kam er im Moment nicht darauf.

„Lass uns fahren, der Leprechaun wird den Rest erledigen“, murmelte er.

Ernst nickte sie, natürlich musste der Sarg in dem Familiengrab unter dem Gebäude versenkt werden. Anschließend wurde eine Steinplatte auf dem Boden angebracht, den Schlüssel für die Familiengruft bekam sie wieder, sobald die Arbeiten abgeschlossen waren.

Darren brachte sie nach Hause, wo ihnen noch ein paar Minuten für sich vergönnt waren, ehe die ersten Trauergäste erschienen.

„Cassandra gibt es ein Erbe? Etwas, dass dir erst zugeteilt wird, wenn du die Letzte deines Geschlechts bist?“, wollte er eindringlich wissen, als sie in der Küche standen, um die Vorbereitungen abzuschließen.

Verlegen zuckte sie mit den Schultern, dieser Teil der Familiengeschichte hatte sie nie interessiert. Außerdem nahm sie an, dass es nichts zu erben gab, wieso sonst musste sie all die Jahre im Pub arbeiten und den Geist in den vergangenen Monaten umgehen lassen?

„Ich denke nicht, aber darum habe ich mich nie gekümmert“, gab sie kleinlaut zu.

So etwas in der Art hatte Darren sich beinahe gedacht und er fluchte leise. Er vermutete, dass der Graue Mann den Tod von Orla geahnt hatte und deshalb an Cassy interessiert war. Sollte es wirklich ein Erbe geben, war es für diesen Geist ein weiterer Grund sich eine Sterbliche zu schnappen.

„Warum ist es so wichtig?“, wollte sie wissen und sah ihn mit großen, traurigen Augen an.

„Weil es ein Grund sein könnte, weshalb der FarLiath dich will. Er kann mit Geld nichts anfangen, aber Reichtümer ziehen ihn genauso an, wie die Schönheit. Eine schöne und reiche Geliebte ist für ihn ein erstrebenswertes Ziel“, erklärte er ihr.

Zitternd zog sie die Schultern hoch. Plötzlich erinnerte sie sich an den Traum, den sie vor einigen Tagen hatte, als sie träumte, sie wäre in einem dunklen, nassen Verlies eingesperrt.

„Er wird mich bekommen oder?“, fragte sie tonlos.

„Nicht, wenn er weiter seine Freiheit genießen will. Er ist gut beraten, die Finger von dir zu lassen“, knurrte Darren, dann zog er sie wieder fest an sich.

„Ich habe von ihm geträumt, dass er mich in einen Kerker sperrt. Es war dunkel und kalt, ich war verzweifelt, bis du mich gerettet hast“, erzählte sie stockend.

Solche Träume sollte man ernst nehmen und so nickte der Meermann leicht. Am liebsten würde er sie sofort in sein Haus bringen oder noch besser in die Obhut seines Vaters und Brigid geben, aber so löste er das Problem nicht dauerhaft.

Die Tür des Pubs ging auf und man hörte leise Stimmen, die ersten Trauergäste waren gekommen. Aufmunternd lächelte Darren Cassy zu, jetzt galt es sich zuerst um die Gäste zu kümmern, alles andere musste warten.

Als sie in den Gastraum kamen, versammelte sich bereits ganz Shannonbridge in dem Raum.

„Ich danke euch, dass ihr erschienen seid, um in Gedenken an meine Großmutter Orla MacClary den Abend zu verbringen“, begrüßte Cassy die Leute und umarmte jeden Einzelnen.

Darren hielt sich im Hintergrund, packte an, wo es nötig war und fügte sich völlig unauffällig in diese Gemeinschaft ein. Während er sich um die Getränke kümmerte, wobei ihm John zur Hand ging, trugen die Frauen das Essen auf.

Einige Frauen wischten sich Tränen aus den Augen und auch bei ein paar Männern sah man die verräterischen, feuchten Spuren, was zeigte, dass Orla sehr beliebt gewesen war.

Das Traueressen begann schweigend, bis der Erste aufstand und eine Geschichte über die Verstorbene erzählte. Immer wieder riefen die Leute sich die Erlebnisse, die sie mit Orla geteilt hatten, in Erinnerung, fast so wie am Abend vor zwei Tagen. Doch dieses Mal waren viel mehr Menschen anwesend. Jeder trug eine Anekdote bei und die Stimmung wurde von Stunde zu Stunde ausgelassener, was unter anderem an den alkoholischen Getränken lag.

Die Nachbarn nötigten Cassy mit anzustoßen und auch in ihre Trauer mischte sich die Hoffnung, dass sie irgendwann mit ihren Lieben wieder vereint war. Dazu kam, dass Darren ständig an ihrer Seite stand, sobald sie ihn brauchte. Als ob der Wassermann spüren konnte, wie es ihr ging.

Es dämmerte bereits, als die letzten Gäste nach Hause torkelten und Cassy erschöpft die Tür schloss. Jetzt würde Ruhe einkehren und bald kehrten sie zum Alltag zurück, ein Alltag ohne Orla, der sich zuerst einspielen musste.

„Hör mir zu Kleines, es ist wichtig. Ich gehe morgen Nachmittag zu Manannan MacLir. Erstens wartet er auf den Bericht und ich werde dich entlasten, zweitens möchte ich ihn um seinen Rat wegen des FarLiath bitten. Vielleicht weiß er auch irgendetwas über das Vermächtnis deiner Großmutter“, teilte er ihr ernst mit.

„Mir ist nicht wirklich wohl dabei, dass du mich alleine lässt, Darren. Aber es ist bestimmt besser, wenn ich nicht mehr unter Verdacht stehe, etwas Böses zu tun“, bemerkte sie ehrlich.

Die Vermutung, dass der große Meeresgott sich einen Teufel um ihre Probleme oder ihre Erbschaft scherte, behielt sie bei sich. Es brachte nichts, mit ihrem Wassermann darüber zu streiten. In dem Punkt würden sie sich nie einig werden.

Er packte sie an den Schultern und drehte sie so, dass sie ihn ansehen musste.

„Ich möchte, dass du morgen Abend den Pub nicht öffnest und zuhause bleibst. Es ist Samhain und ich muss gerade dir nicht sagen, was in der Nacht passiert, oder?“, befahl er.

„An Samhain und ebenso an Beltane haben wir immer geöffnet. Granny sprach einen Schutzzauber aus und die Leute waren in unseren vier Wänden sicher“, begehrte sie auf.

Verstehend nickte er, dann blickte er sie wieder eindringlich an.

„Und? Kannst du diesen Zauber auch wirken?“, wollte er wissen.

Verlegen versuchte sie sich aus seinem Griff zu befreien, doch er hielt sie unerbittlich fest.

„Du tust mir weh, Darren“, fauchte sie.

Sofort ließ er ihre Schultern los, stattdessen packte er ihr Kinn und zwang sie ihm in die Augen zu sehen.

„Du kennst ihn nicht mal“, stellte er klar.

„So ganz stimmt das nicht, ich kenne ihn, aber ich habe ihn noch nie gewirkt. Keine Ahnung, ob ich das überhaupt hinbekomme“, gab sie kleinlaut zu.

Seufzend zog er sie in seine Arme und hielt dieses eigensinnige Wesen, die sein Herz gestohlen hatte, fest an sich gedrückt.

„Lass den Pub morgen zu, die Leute werden es verstehen, dass du einen oder zwei Tage für dich brauchst. Wenn ich zurückkomme, wirst du den Schutzzauber üben“, befahl er und seine Stimme sagte ihr deutlich, dass es keine weiteren Diskussionen gab.

„Kannst du nicht einfach später zu Manannan MacLir gehen? An deiner Seite könnten wir den Pub öffnen und die Menschen von Shannonbridge schützen“, fragte sie bittend.

Bedauernd schüttelte Darren den Kopf.

„Nein, es sind nicht nur die Fragen, die dich betreffen. Gerade an Samhain werde ich präsent sein müssen, damit nichts ausartet. Es tut mir leid, aber da geht meine Aufgabe als Wächter vor“, antwortete er ehrlich.

Als ihm klar wurde, dass ausgerechnet dieser Tag in seinen Urlaub fiel, runzelte er die Stirn. Da hatte sein Vater ihn ja grandios ausgetrickst, denn an diesem keltischen Feiertag gab es keine Freizeit für ihn.

„Wolltest du mir überhaupt sagen, dass du hauptsächlich wegen deines Jobs weggehst? Oder hattest du vor mich in dem Glauben zu lassen, dass du es meinetwegen tust?“, erkundigte Cassandra sich mit einem biestigen Unterton.

Sofort wurde sein Griff fester und er blickte ihr mit hochgezogener Augenbraue ins Gesicht.

„Ich denke nicht, dass das der richtige Ton ist“, warnte er sie.

Stur erwiderte sie seinen Blick und wartete auf eine Antwort. So einfach sollte er sich nicht aus der Affaire ziehen, egal ob ihr Ton angemessen war oder nicht.

„Hexe“, stieß er grinsend hervor, dann ließ er ihr Kinn los und nickte leicht. „Du hast Recht, ich wollte es dir nicht sagen, weil ich nicht will, dass du Angst um mich hast. Mein Job ist nicht immer ungefährlich“, erklärte er.

Verstehend runzelte sie die Stirn und in dem Moment hätte sie auf die Information gerne verzichtet, natürlich machte sie sich Sorgen. An Samhain gab es keine Grenze zwischen der Anderwelt und ihrer Welt, es drangen alle möglichen Wesen zu ihnen durch.

Liebevoll hob Darren sie auf seine Arme und trug sie in ihr Schlafzimmer.

„Mach dich nicht verrückt, ich bin dafür ausgebildet, es mit sehr vielen magischen Geschöpfen aufnehmen zu können“, besänftigte er sie.

Ehe er sie auf dem Bett absetzte, küsste er sie zärtlich auf die Lippen. Natürlich würde er lieber bei ihr bleiben oder sie bei seinem Vater in Sicherheit wissen, aber dazu mussten die beiden sich erst einmal kennen lernen.

Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken sie in sein Cottage zu bringen, doch an Samhain brachte das nicht viel. Die meisten Elfen und Geister wussten, dass er an den alten keltischen Feiertagen nicht zu Hause war. Somit hatte sie dort weniger Schutz, hier gab es wenigstens Nachbarn.

Cassy hatte sich bereits umgezogen und kuschelte sich gerade unter die Decke, als Darren sie noch einmal ernst ansah.

„Und morgen früh unterhalten wir uns mal über deinen Ton mir gegenüber“, kündigte er an.

Schläfrig nickte sie, dabei bekam sie nicht mehr mit, dass er vergnügt lächelte, ehe er sich zu ihr legte.

 
Wenn du das vollständige Buch lesen möchtest, dann findest du es exklusiv bei Amazon! 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.12.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /