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Ich bin 25 Jahre alt, mein Name ist unbedeutend.
Ich bin Niemand.
Nicht nur für die Welt, auch für meine Familie, ja sogar für mich selbst.
Ich werde sterben.
Sterben müssen wir alle, werden Sie sagen, aber ich sterbe bald, meinen nächsten Geburtstag werde ich nicht erleben.
Ob das so schlimm ist weiß ich nicht.
Für die anderen, sie werden mich nicht mal vermissen.
Für mich, nun ja mein Leben ist nichts wert. Ich habe nichts vorzuweisen, habe nichts geschafft in meinem Leben, zumindest sagen das die anderen.


Wie es dazu kommt, das mein Leben nichts wert ist, warum ich sterben muss?


So genau kann man das Erste nicht beantworten, das Zweite kann ich Ihnen erzählen:

Als ich 16 Jahre alt war, merkte ich dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich hatte bis dato meine Periode noch nicht, so etwas wie einen Busen konnte man erahnen, es wuchsen Haare an Stellen und vor allen in Mengen die bei einem weiblichen Wesen nicht sein dürften. Ich war immer müde und abgeschlagen.

Es war Freitagmittag ich kam gerade aus der Schule nach Hause, hatte aber noch einen Termin beim Hausarzt.
Also ging ich, in Begleitung meiner Mutter, allerdings auch nur deswegen, weil sie mich fahren musste. Sie wollte außerdem hören was der Arzt mir sagte, damit ich sie nicht anlog.
"Guten Morgen Fräulein, was fehlt ihnen denn?", fragte mich der Arzt. r ging voraus in sein Sprechzimmer, setzte sich auf den Stuhl und gebot mir und meiner Mutter ebenfalls Platz zu nehmen.
Bevor ich antworten konnte, sagte meine Mutter:
"Was der fehlt, gar nichts, die pennt nur den ganzen Tag und macht nichts!"
Ja so ist meine Mutter, alles was nicht mit meinem älteren Bruder oder meiner jüngeren Schwester zu tun hatte, war prinzipiell nichts.
Und ich war oder vielmehr bin immer noch nichts.
Wieder wandte sich der Arzt an mich: "Was ist denn los?"
"Ich weiß es nicht, seit ein paar Monaten wird es immer schlimmer!" sagte ich
"Was wird denn immer schlimmer?"
"Ich bin immer müde. Ich lege mich freitags nach der Schule ins Bett und stehe erst am Montagmorgen wieder auf um zur Schule zu gehen. Ich steh nur auf wenn ich ganz dringend auf Toilette muss, oder meine Mutter mich ausschimpft..."
"Ausschimpfen, ha wenn du nur pennst!" unterbrach mich meine Mutter.
"Noch etwas?", fragte mich der Arzt.
"Ja, ich nehme an Gewicht zu, obwohl ich keine Lust zum essen habe, ich verliere Haare und an anderen stellen wachsen sie wie verrückt. Außerdem habe ich immer noch nicht meine Periode", sagte ich geknickt.
"Also gut, nehmen wir dir mal Blut ab, vielleicht finden wir etwas, außerdem warst du mal beim Frauenarzt?"
"Nein, bis jetzt noch nie"
"Dann schreib ich dir dafür eine Überweisung"
Er stand auf und holte ein Tablett, auf dem alles zum Blutabnehmen gerichtet war.
Er setzte sich wieder vor mich hin: "So nun gib mir mal einen Arm", sagte er. Ich strecke ihm beide Arme hin. Er legte meinen rechten Arm auf den Tisch und legte mir eine grüne, schmale Schlaufe um den Oberarm, die er zuzog.
Damit das Blut in den Venen bleibt und nicht so schnell zurückfliese. So oder so ähnlich erklärt er es mir. Dann sprühte er mir irgendetwas Kaltes auf die Ellenbeuge und begann darauf herum zu klopfen.
Schließlich drückte er seinen Fingernagel auf eine bestimmte Stelle, aber so fest das es einen Abdruck hinterließ. Dann nahm er eine Nadel und stach zu. Ich zuckte kurz zusammen, dachte das sei wohl das schlimmste gewesen. Aber ich täuschte mich, denn er hatte nicht getroffen, also fing er an in meiner Ellenbeuge mit der Nadel herumzustochern, um endlich eine Vene zu finden.
"Aua!" sagte ich und wollte meinen Arm zurück ziehen, aber er hatte wohl damit gerechnet und hielt meine Hand fest: "Nicht wegziehen, sonst muss ich noch mal stechen und das tut dann weh!"
"Mehr wie das wohl kaum", sagte ich sauer, "können sie nicht vom Handrücken nehmen, da steht die Vene soweit heraus, die würde selbst ein Blinder treffen!"
"Es ist gleich vorbei!", sagte er und stocherte weiter. Es war wohl sein Ego was nicht zuließ woanders neu zu stechen, sonder hier etwas finden zu müssen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, meine Hand war schon blau und mein Ellenbogen tat vom Überstrecken bereits weh, hatte er endlich genug meines Blutes abgezapft.
"Siehst du, schon vorbei!", sagte er mit einem Lächeln.
Toll, dachte ich als er mir den Stauschlauch abmachte, das wird morgen ganz blau sein und schreiben werden ich dann bestimmt nicht können.
Ich lies mir ein Pflaster auf das Loch in meiner Ellenbeuge kleben und winkelte den Arm ab. Aber nur kurz den es tat wirklich weh, also begann ich meine Ellenbeuge mit der linken Hand zu reiben.
"Stell dich nicht so an! Sei nicht so zimperlich!", schnauzte meine Mutter mich an.
Ja bei dir hat er ja auch nicht rumgestochert, dachte ich sauer. Das würde ich aber niemals laut aussprechen, das würde nur eine Ohrfeige bedeuten wegen meiner zu großen Klappe.
Der Arzt verabschiedete sich von uns und beim verlassen der Praxis holte ich mir an der Theke die Überweisung zum Frauenarzt ab.
Wir fuhren schweigend nach Hause, dort angekommen fragte meine Schwester meine Mutter: "Und hat die was oder tut sie bloß so?"
"Der Arzt hat nichts gesagt, wahrscheinlich ist da gar nichts!"
"Hab ich doch gleich gesagt"
Ich ging in mein Zimmer, legte mich aufs Bett, dachte mir ein paar Diskussionen auf, die ich mit meiner Mutter führen würde und in denen ich gewann und schlief dann wieder einmal ein.
Ich wurde geweckt von eine ruppigen Stoß in die Hüfte: "Was pennst du schon wieder, los wer nichts schafft kriegt nichts zu essen!" Ob das meine Mutter oder meine Schwester war wusste ich nicht, sie hatten die gleiche Stimme. Ich blieb einfach liegen, ignorierte weiter Stöße. Ich hatte gar keinen Hunger ich wollte nur schlafen. Nach einer Weile hörte ich wie meine Zimmertür von außen zugeknallt wurde und wusste damit hatte ich meine Ruhe für heute.

Ich schlief bis zu nächsten Mittag, als ich wieder unsanft geweckt wurde. "Stehst du vielleicht mal auf! Los beweg deinen Arsch aus dem Bett es ist halb eins durch!" Das war meine Mutter. Ich versuchte sie zu ignorieren, sie zog mir die Bettdecke weg, riss mir das Kopfkissen fort und verlies das Zimmer. Ich drehte mich von links nach rechts und versuchte eine bequeme Position zu finden, was aber angesichts des fehlenden Kopfkissen und der Kälte ohne Decke schwer fiel. Also stand ich auf, stapfte noch halbschlafend ins Badezimmer. Keine Lust, dachte ich wie jedes Mal wenn ich aufgestanden bin. Dann kann doch nicht sein.
So erging es mir jeden Morgen, auch die nächsten zwei Wochen, die ich auf die Ergebnisse meines Arztes wartete. Jedes Mal aus dm Bett quälen, wozu aufstehen, in die Schule gehen, bringt doch alles nichts. Muss mich anziehen, später umziehen, wenn ich zu Hause bin, dann abends wieder ausziehen. Ich war schon nach der ersten Stunde reif fürs Bett. Abends weg gehen, keine Lust. Mit Freundinnen, deren Anzahl sehr überschaubar war, nach der Schule was unternehmen, oh nein.
Mein Leben bestand aus schlafen, ab und zu was essen, dösen, Hausaufgaben machen, mich mit meiner Mutter streiten und ins Bett gehen, wenn ich mal wieder verloren hatte.
Mein Leben zog kurz gesagt an mir vorbei. Was soll’s ich habe ja noch ewig Zeit, dachte ich damals. Wenn ich damals das gewusst hätte was ich heute weiß, hätte ich mich mehr in den Arsch getreten.
Nach zwei Wochen kam der Anruf meines Hausarztes, er machte einen Termin mit mir aus. Meine Muter musste natürlich mitkommen. Ich wäre auch mit dem Bus gefahren.
Also fuhren wir zusammen, schweigend zum Arzt. Ich meldete mich an und wir konnten direkt ins Sprechzimmer gehen. Der Arzt saß am Schreibtisch, begrüßte mich und meine Muter und holte dann meine Akte hervor: "Also, ich weiß nicht was ihre Tochter hat", sagte er zu meiner Mutter "aber eine Krankheit ist es nicht. Das Labor hat nichts gefunden. Es ist alles ok!" Mir fiel fast die Kinnlade nach unten, das kann doch nicht sein, ich merke doch das was nicht stimmt.
"Meine Tochter ist also schlichtweg stinkend faul!" sagte meine Mutter. Der Arzt sagte nichts.

Ab diesem Tag wurde es zu Hause nur noch schlimmer. Ich wurde von der Familie getriezt, schikaniert. Man schloss mir mein Zimmer zu mit der Begründung, wenn ich nicht ins Bett käme, könne ich auch nicht schlafen. Ich hatte in der Schule noch mehr Probleme, meine Noten sackten ab, ich konnte dem Unterricht kaum folgen.
Es wurde Monat zu Monat, Jahr für Jahr schlimmer.
Es heißt ein Mensch verliert pro Tag ca 100 Haare, nach dem kämmen am Morgen war mein Soll für die nächsten Tage erfüllt.
Mit 18 Jahren ging ich zum ersten Mal dann doch zum Frauenarzt, ich hatte so lange gewartet bis meine Mutter nicht mehr über alles informiert werden würde.
Ich hatte so gesehen nichts zu verbergen, Jungs bin ich bis dato nie näher gekommen wie wenn sie in der Schule oder im Bus neben mir saßen. Aber ich wollte sie nicht dabei haben und ich ging auch nur zum Frauenarzt weil wir in der Schule Hormone durchgenommen hatten, also hoffte ich das das wohl der Grund für alles sei.

Ich saß also nervös im Wartesaal der Gynäkologin und wartete bis ich an der Reihe war. Sie rief mich zu sich und wir unterhielten uns erst eine Weile. Na ja war wohl ehern eine Frage-Antwort-Spiel.
"Wie alt sind sie?"
"18"
"Waren sie schon mal beim Frauenarzt?"
"Nein"
"Hatten sie schon Sex?"
"Nein"
"Ok, was genau führt sie zu mir?"
"Ich glaube mit meinen Hormonen stimmt was nicht. Ich bin immer müde, verliere Haare, nehme zu, meine Periode kommt wann sie will. Manchmal habe ich drei, vier Monate gar keine, dann wieder zweimal im Monat."
"Die Ultraschalluntersuchung, werden wir vorsichtig machen, dann die Brust abtasten und danach werde ich ihnen Blut abnehmen."
Ich nickte nur.
"Also dann dürfen sie sich hinter dem Wandschirm unten rum freimachen"
Was soll ich machen, dachte ich entsetzt, wieso das?
Sie sah meine Irritiertheit und sagte: "Ich möchte einen Vaginalultraschall machen dadurch kann ich die Eierstöcke besser untersuchen.
Oha, davon hat mir keiner was gesagt, jetzt bekam ich Panik. "Aber.. aber. ich hatte doch noch gar.. keinen Freund" sagte ich stotternd.
"Das macht nichts soweit muss ich gar nicht und das Gerät ist sehr schmal"
Alles klar ich geh wieder, war mein einziger Gedanke.
"Nur keine Angst passiert schon nichts", sagte die Ärztin die mir wohl ansah was ich dachte.
Ich ging hinter den Wandschirm und zog mir die Jeans und die Unterhose aus, ich kam mir irgendwie doof vor nur im Pulli und mit Socken quer durch das Behandlungszimmer zu laufen.
"Bitte setzen sie sich einfach bequem hin!", sagte die Ärztin noch dabei etwas zu schreiben. wie soll man sich darauf bequem setzen können, dachte ich. Ich setzte mich auf diesen komischen Stuhl, ließ aber beide Beine zwischen diesen komischen Halterungen nach unten baumeln, so war das ja noch bequem. Die Ärztin sah mich an, lächelte mir zu: „So jetzt legen sie einfach die Beine da hoch!"
Ich tat was sie sagte und fühlte mich augenblicklich unwohl. "Jetzt geht das Stück wo sie drauf gesessen sind unter ihnen weg", warnte sie mich vor. Das war jetzt alles, aber nicht bequem. Ich fühlte mich völlig hilflos und ausgeliefert. Ich sah wie die Ärztin sich Handschuhe anzog. Das machte alles nicht wirklich besser, dachte ich, ich hoffe das das alles etwas bringt. Sie fing an mich abzutasten, ich war es nicht gewöhnt so angefasst, geschweige denn DA angefasst zu werden, ich verkrampfte mich automatisch.
"Locker lassen", sagte sie zu mir, "entspannen sie sich". Die hat gut reden, dachte ich, die sitz auf der anderen Seite dieses dämlichen Stuhls. "Reden sie mit mir" sagte sie erneut. Das war das letzte was ich tun wollte, auch noch reden, und vor allem nicht in dieser Position.
Ich merkte wie sie ihre Finger zurückzog und war der Meinung das wäre alles. Sie drehte sich ein Stück weg von mir und holte einen großen Apparat mit Bildschirm und vielen Kabeln.
Sie holte eine hohe Flasche hervor und spritze irgendeine zähe Flüssigkeit in eine Art Kondom. Dann stülpte sie das ganze über einen Ultraschallkopf, dem man ansah wozu er diente. Jetzt verkrampfte ich mich schon im Voraus. Ich schloss die Augen, wollte gar nicht wissen was sie als nächstes tat.
Ich brauchte es auch gar nicht zu sehen, ich merkte es und war alles außer angenehm. Ein ziehender, fast stechender Schmerz durchzog meinen Unterleib bis in den Rücken.
"Entspannen sie sich, es wird nicht schlimmer wie jetzt!"
Das war momentan keine Hilfe, es fühlte sich an als ob sie irgendetwas versuchte umzurühren. Was auch immer sie tat, es ließ mir die Tränen in die Augen steigen, kein starker Schmerz aber ein hoher schmerz, wie kurz nach eine Ohrfeige, na ja fast so.
Nach einer Weile zog sie den Ultraschallkopf heraus.
"Also ich sehe nichts, keine Veränderungen, soweit alles ok!"
Ich sagte nichts.
"Sie dürfen sich wieder anziehen. Da hinten liegen irgendwo Waschlappen."
Ich rutschte vom Stuhl runter und war froh mich wieder anziehen zu können.
Als ich wieder bei ihr am Schreibtisch war, sagte sie "Jetzt ziehen sie gerade ihr Hemd kurz hoch, damit ich die Brust abtasten kann."
Was für eine Brust, dachte ich, selbst Körbchengröße A war zu groß für mich.
Ich tat was sie sagte, sie tastete nach Knoten, fand keine und sagte." Da ist auch alles ok!"
"Bis auf die Größe", entgegnete ich. Sie sah mich an: "Nicht jeder hat C oder D Körbchen"
"Aber bei einer Kleidergröße von 42 44 passen die Proportionen aber nicht", widersprach ich ihr.
Sie sah mich wieder eine Weile an, las nochmals meine Akte und sagte dann: "Ich werde ihnen die Pille verschreiben, sie sind 18, dadurch reguliert sich auch die Periode. Aber zuerst nehmen wir noch Blut ab"
2Aber da wo ich will!", sagte ich schnell.
Sie sah mich an und nickte: "Ok, gehen sie bitte ins Nebenzimmer meine Assistentin wird dann gleich kommen und wenn sie gehen nehmen sie das Rezept mit."
Ich stand auf gab ihr die Hand und ging aus dem Zimmer. Eine junge Sprechstundenhilfe kam auf mich zu. "Hallo, ich werde ihnen noch kurz Blut abnehmen", sagte sie fröhlich. Sie zeigte mir im Zimmer einen Stuhl auf dem ich Platz nehmen sollte, Holte ein Tablett mit allem Notwendigen und legte mir einen Stauschlauch um meinen Oberarm. Als sie den Schlauch anzog, drehte sie meinen Arm herum und begann in meiner Ellenbeuge eine Vene zu suchen.
"Nicht da", sagte ich leicht gereizt.
"Wo dann?", fragte sie mich immer noch freundlich.
"Hier!" Ich drehte ihr meinen Handrücken zu, die Vene dort war bereits wieder gut sichtbar.
"Aber da tut es mehr weh" sagte sie zu mir.
"Glauben sie mir da oben finden sie auf Anhieb nichts und dann wird das Gesuche schmerzhafter!"
"In Ordnung, kann ich mache." Sie war immer noch freundlich. Sie sprühte meinen Handrücken ein, ließ das Mittel trocknen und stach eine kleine Nadel ein. Sofort kam Blut und es tat weniger weh wie je zuvor.
"Ha" sagte sie "das ging aber schnell!" Das klang schon fast verwundert.
"Sag ich doch!", meine Stimme war wieder freundlicher. Sie klebte mir ein Pflaster auf die Hand und beklebte die Blutröhrchen mit meinem Namen. "Das war´s schon!" sagte sie“, vergessen sie nicht ihr Rezept" Sie stand auf und verließ mit einem freundlichen "Tschüss" den Raum.
Ich ging an der Theke vorbei, nahm mein Rezept und verließ mit einem mehr oder weniger freundlichen "Tschüß" die Praxis.
Warum ich mich daran so gut erinnere, das war das erste und letzte Mal das ich bei einem Frauenarzt war.
Jetzt muss ich wieder warten bis das Labor die Werte hat, aber es muss doch irgendwas sein, dachte ich auf dem Weg zur Bushaltestelle.
Zu Hause war mal wieder eine Stimmung zum schneiden, ich war kaum in der Haustür als meine Mutter mich schon wieder anfuhr: "Wo kommst du denn eigentlich her?"
Ich ignorierte sie, so wie die meiste Zeit. Ich hatte keine Lust zu diskutieren, schon allein weil ich immer den Kürzern zog, so war ich hat jahrelang erzogen worden. Meine Meinung zählt nicht, genauso wenig wie ich selbst, ich war halt weder der Erstgeborene, noch das Nesthäkchen, ich war nur das ungewollte Mittlere. Was sagte meine Mutter als, wenn wir uns mal wieder stritten: "Ich hätte auf deinen Vater hören sollen und dich abtreiben, dann wäre ich dich losgeworden und hätte mir den ganzen Ärger erspart!"
Ja mit solchen und noch ganz anderen Worten schaffte es meine Mutter mich immer mehr an mir zweifeln zu lassen. Am Anfang taten diese Worte noch weh, im Lauf der Jahre gewöhnt man sich daran und stumpft dagegen ab. Ich ignorierte diese Art der Beleidigungen und versuchte irgendwo, meist in meinen Träumen, die ich im Lauf der Zeit sehr gut zu steuern gelernt hatte, mir ein anderes Leben aufzubauen.
Nach ca drei Wochen bekam ich Nachricht von der Frauenärztin, es war alles ok ein paar männliche Hormone zu viel aber nichts Schlimmes.
Daran konnten meine Beschwerden auch nicht kommen.
Ich nahm die mir verschriebe Pille, das ganze hatte nur den Effekt, dass meine Periode in dem halben Jahr in der ich die Pille nahm, ganz pausiert hatte. Außerdem hatte ich mittlerweile Hosengröße 46/48. Nun konnten meine Mutter und vor allem meine Schwester erst richtig loslegen. Sätze wie: " Jetzt pennt sie nicht nur den ganzen Tag, jetzt frisst sie auch noch wie blöd und wird noch fetter" und ähnliche hörte ich fast jeden Tag.
Ich fühlte mich in dem halben Jahr wirklich wie schwanger, wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich mir Sorgen darüber gemacht.
Nicht nur Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Depressionen machten meinen Tag aus, sondern nun auch noch Heißhunger und Fressattacken. Also setze ich die Pille kurzerhand selbst ab, geholfen hatte sie eh nicht. Ok immerhin hatte ich Körbchengröße B aber wie gesagt das war nicht das einzige was zugenommen hatte.

Ich überlebte noch ein paar Jahre zu Hause, schaffte meinen Abschluss mehr schlecht wie recht und ging in die Ausbildung zur Krankenschwester. Auch diese Ausbildung lang hatte ich die bekannten Probleme. Dieses Mal trat ich mir aber selbst in den Arsch, denn ich wusste das nur wenn ich mein Examen mit guten Noten ablegte ich überall, vor allem weit weg, einen Job bekommen würde. An diese Hoffnung klammerte ich mich die drei Jahre.
Meine Schwester absolvierte übrigens die gleiche Ausbildung aber da lagen zumindest laut meiner Mutter Welten dazwischen. Meine Schwester bekam, genauso wie mein Bruder seinen Führerschein mit 18, ich war mittlerweile 22 und bekam ich nur, weil ich ihn für meine Ausbildung benötigte. Allerdings musste ich einen Großteil selbst bezahlen.
Die Noten von mir und meiner Schwester waren fast immer gleich, und auch das Examen schlossen wir mit identischen Noten ab. Es steht leider nur die `2´ als ganze Note das ich eine gute 2 und meine Schwester fast eine 3 bekommen hätte zählte nicht. Es hieß immer: "Deine Arbeiten waren leichter, deine Ausbildung war einfacher." Als ob sich in zwei Jahren soviel änderte. Brachte meine Schwester eine 1 mit nach Hause wurde sie über den grünen Klee gelobt, bei mir hieß es nur: "Du machst ja eh nichts, dann kannst du auch lernen!"
Ich wohnte immer noch zu Haus, war fast 23, warum ich nicht auszog ist einfach zu erklären:
Ich hatte nicht den Mut, nicht das Rückrat um auf eigenen Beinen zu stehen. Zumindest wurde mir das oft genug gesagt. Und wenn man etwas oft genug hört glaubt man es auch.
Mit meinem Examen in der Tasche bewarb ich mich so ziemlich überall, ich wurde in einem kleinen Krankenhaus fast 8 Stunden Fahrt von zu Hause angestellt. Ich musste ausziehen, es fiel mir schwere als ich dachte.
Familie ist halt Familie auch wenn meine zur wahrscheinlich schlechtesten überhaupt gehört. Ich hatte alle Verwandtschaft in der Nähe: Oma, Opa, Onkel, Tante, Cousinen und Cousin mit ihren Kindern.
Aber jeder war für sich, jeder miteinander verstritten, keiner redete mit einander, wenn es nicht sein musste. Aber trotzdem...


Ich zog also fort, mietete eine kleine Ein-Zimmerwohnug.
Aber die Probleme blieben, mein Leben bestand aus arbeiten und schlafen, nach dem Dienst legte ich mich ins Bett, sah noch etwas fern und schlief alsbald ein. Tag für Tag, Woche für Woche. Hatte ich mal ein paar Tage am Stück frei blieb ich einfach im Bett liegen. Einkaufen ging ich dann wenn es unbedingt sein musste, so einmal im Monat, wenn ich nichts zu essen hatte, bestellte ich mir etwas.
So konnte das nicht weiter gehen, so wie andere nach dem Dienst noch weg, ins Kino oder auf eine Party, war nicht machbar.
Irgendwann wurde ich krank, meine Kollegen und die Ärzte rieten mir mit dieser Erkältung zum Arzt zu gehen. Also suchte ich mir einen neuen Hausarzt.
Ich machte einen Termin, nahm den Arzt der am ehesten etwas frei hatte, da ich eine Krankmeldung brauchte.
Ich saß also in einem kleinen Wartezimmer und versucht irgendwie so gut es ging zu atmen ohne gleich so zu husten das mir die Lunge weh tat.
Der Arzt bat mich zu sich ins Zimmer hörte mir die Lunge ab, klopfte auf mir herum, schaute mir in den Rachen und fragte:
" Wie lange haben sie das schon?"
"Fast eine Woche", sagte ich leise um nicht so tief Luft holen zu müssen."
"Ich muss ihnen Antibiotika verschreiben sonst bekommen sie das nicht weg!"
"Ok", sagte ich. Ich hasse Antibiotika.
"Ich schreibe ihnen noch etwas anderes auf und sie müssen mindestens eine Woche zu Hause bleiben!"
Na ganz toll, dachte ich sarkastisch. Aber immerhin ein plausibler Grund im Bett zu bleiben.
Er sah mich eine weile an und fragte ob sonst noch etwas wäre.
Ich schüttelte den Kopf, wozu etwas sagen er wurde Blut abnehmen und sagen dass er nichts findet. So wie die anderen auch.
Er verabschiedete sich von mir, sagte ich könne mein Rezept an der Theke holen.
Ich ging an die Theke, die Arzthelferin stellte mir das Rezept aus, sagte mir ich könne das alles gleich unten in der Apotheke holen und wünschte mir gute Besserung.
Ich holte alles, kam mit einer Tüte voll allen möglichen Arzneimitteln nach Hause und warf die Hälfte in eine Schublade. Ich war Krankenschwester und mit einer Erkältung werde ich schon fertig, nur das Antibiotika nahm ich wie verschrieben.
Nach knapp einer Woche ging es mir wirklich besser, auch wenn es nur von den Antibiotika so schien. Aber ich ging wieder arbeiten, ich hatte das Gefühl die Decke fällt mir auf den Kopf, auch wenn ich sonst auch viel im Bett lag, war es anders als wenn man muss bzw. sollte.
Es vergingen wieder ein paar Wochen, bis ich mich entschied mein Glück mit diesem Arzt zu versuchen.
Also machte ich einen Termin aus.
Wieder saß ich im Wartezimmer, gespannt was er wohl sagen würde. Er öffnete die Tür zu seinem Sprechzimmer begrüßte mich und bot mir an mich zu setzten.
"Also was gibt es?" fragte er mich. Jetzt geht das wieder los, dachte ich die ganze Leier von vorne. Also erzählte ich ihm alles was seine Vorgänger getan hatten.
"Wissen sie welche Laborparameter abgenommen wurden?"
"Nein, und nachdem ich meine Ausbildung begonnen hatte, war mein anderer Hausarzt der Meinung ist sei nur ein Hypochonder. Er meinte es sei wie wenn man von Flöhen oder Läusen spricht, da fangen sich auch alle an zu kratzen. Und so sei das auch bei mir, ich bilde mir nur alles ein."
"Er hat also kein Blut abgenommen?"
"Nein, auch als ich ihm sagte, das ich glaube das es bei den ganzen Symptomen um Probleme mit der Schilddrüse handelt, meinte er das sei nur ein fixe Idee von mir!"
"Aber bei dem was sie beschreiben könnte es eine Unterfunktion sein. Ich werde ihnen Blut abnehmen. Spezielle Parameter für die Schilddrüse."
Er gab die entsprechenden Parameter in seinen Computer ein, drehte sich wieder
zu mir und sagte: "Meine Assistentin wird ihnen dann Blut abnehmen."
Er stand auf und sagte weiter: "Bitte folgen sie mir. Ich werde sie in den Nebenraum bringen"
Er lief vor mir aus dem Zimmer und brachte mich in einen kleineren Raum in dem nur ein Tisch, ein Stuhl und eine Liege standen.
"Haben sie noch einen Augenblick Geduld, es wird gleich jemand kommen. Nehmen sie schon mal Platz oder möchte sie lieber liegen?"
"Nein, ich bleibe sitzen, das geht schon"
"In Ordnung, also dann auf Wiedersehen!", sagte er mit einem freundlichen Lächeln.
Ich saß also da und wartete. Ein junges Mädchen, wenn überhaupt so alt wie ich kam nach einer Weile, stellte ein Tablett auf den Tisch und sagte: "Hallo, ich soll ihnen Blut abnehmen. Ist es egal wo?"
Die Erste die mich das fragt. " Nicht unbedingt. Am besten geht es am Handrücken" sagte ich ihr.
Sie sah mich an, nahm den Stauschlauch und band ihn mir in der Mitte meines linken Unterarmes herum, zog zu und wartet eine Weile. Die Vene braucht nicht lange bis sie gut gefüllt war. Erstaunt sagte sie: "Das wird ja ein Kinderspiel. Die trifft ja selbst ein Blinder!" Plötzlich sah sie mich verlegen an, ich musste grinsen, endlich mal jemand der das genauso sieht.
Sie nahm eine sogenannte Butterfly-Kanüle, eine Nadel an der ein kleines Stückchen Schlauch befestigt war, stach zu und füllte die benötigten Röhrchen schnell und ohne Probleme mit meinem Blut. Als wir fertig waren sagte sie zu mir das ich ruhig noch etwas sitzen bleiben dürfe. Ich antwortete ihr das schon alles ok sei.
"Also gut, dann dürfen sie gehen. Auf Wiedersehen. Ach ja, wir rufen an wenn wir die Ergebnisse haben"
Ich stand auf, verabschiedete mich von ihr und den anderen die noch in der Praxis waren im vorbei gehen und ging nach Hause.
Es dauerte ungefähr eine Woche, als ich einen Anruf von meinem Hausarzt bekam mit der Bitte um einen weiteren Termin.
Ich mache gleich einen aus und saß drei Tage später wieder im Wartezimmer.
Nach einer Weile rief er mich zu sich. Er begrüßte mich, gab mir die Hand und bat mich Platz zu nehmen.
"Sie hatten Recht!", sagte er zu mir.
Ich sah ihn verwirrt an: "Mit was?"
"Mit ihrer Idee, dass alles mit der Schilddrüse zusammenhängt. Eine Unterfunktion löst ihre Symptome aus!"
Hatte ich gerade richtig gehört, es war alles keine Einbildung, ich war weder Hypochonder noch einfach nur faul? Ich hatte Recht, das etwas nicht stimmt. Das Hochgefühl endlich nicht mehr als sonst was hingestellt zu werde, wich allerdings schnell Sorge.
"Was heißt das jetzt?"
2ich kann leider nicht genau alles sagen. Es ist laut Labor etwas aber um es genauer zu prüfen möchte ich sie zu einer Spezialistin schicken. Sie wird ein Ultraschall, vielleicht ein Szintigramm machen und dann werden wir besser bescheid wissen"
"Oh Ok", war alles was ich sagen konnte.
"Ich werde ihnen die Telefonnummer und eine Überweisung mitgeben. Machen sie alsbald einen Termin!"
"Ja werde ich"
"Also gut, das ist alles was ich im Moment machen kann. Ich hoffe ich habe sie nicht zu sehr verunsichert"
"Verunsichert? Nein endlich jemand der mir glaubt, das da was nicht stimmt" sagte ich. Es musste wohl erfreuter klingen als ich dachte, denn er lächelte mich an, stand auf und gab mir die Hand: "Auf Wiedersehen"
Ich stand auf und nickte ihm zu, drehte mich dann um und verließ den Raum.
An der Theke holte ich meine Überweisung und die Nummer der Ärztin, zu Hause angekommen rief ich sofort da an und machte für die kommende Woche einen Termin aus.


Als der Tag gekommen war fuhr ich mit dem Bus in die Ortschaft wo die Ärztin ihre Praxis hatte, es dauerte eine Weile bis ich sie gefunden hatte. Aber ich wusste das schon irgendwie und war deshalb eine Stunde vor dem eigentlichen Termin losgefahren.
Am Empfang musste ich noch diverse Blätter, wegen Unverträglichkeiten, Allergien, Vorerkrankungen ausfüllen. Dann bekam ich einen Aufklärungsbogen, den ich durchlesen sollte und nach Wissen ausfüllen sollte. Alles zusammen gab ich dann ab und wartete. Nach ca einer halben Stunde wurde ich in einen kleinen Raum begleitet wo eine Ärztin mittleren Alters hinter einem Schreibtisch saß. Sie sah mich an: "Guten Morgen. Bitte setzten sie sich. Ihr Hausarzt hat schon mit mir telefoniert. Wie geht es ihnen?"
"Im Moment noch ganz gut", sagte ich " ich möchte nur endlich genau wissen was los ist mit mir"
Sie sah mich freundlich an: "Das versuchen wir heraus zu finden!" Sie schwieg eine Weile, wartete vielleicht auf eine Reaktion von mir. Als ich nichts sagte, sprach sie weiter: "Ich werde bei ihnen zuerst eine Ultraschallaufnahme der Schilddrüse machen. Dazu müssten sie sich kurz auf die Liege legen"
Ich drehte mich in die Richtung in die sie zeigte. Mir war weder die Liege noch das Ultraschallgerät aufgefallen.
Ich stand auf und setzte mich auf die Liege.
"Einfach bequem auf den Rücken legen", sagte sie.
Ich legte mich hin, den Kopf überstreckt, wegen einer Nackenrolle, die ich zuerst verschieben wollte.
"Nein, nein, die liegt mit Absicht so im Genick", sagte die Ärztin und zog die Rolle wieder in die entsprechende Position.
Ich schloss die Augen, merkte dann etwas kaltes, schmieriges an meiner Kehle und den Druck, den sie mit dem Schallkopf auslöste.
Ich hörte sie etwas murmeln und hörte jetzt auch eine zweite Stimme leise reden. Ich verstand nicht alles was sie sagte, nur "Zyste" und "kleine Knoten" auch das Wort "Szintigramm" fiel in ihrer Unterhaltung.
Angst macht sich in mir breit. Sie wussten nicht dass ich Krankenschwester war und wusste was das alles schlimmstenfalls bedeutete. Ich wusste was heiße und kalte Knoten sind, das sie entarten, sprich bösartig werden konnten, das man die Schilddrüse operativ entfernen musste, wenn es nötig wäre.
Als die Ärztin fertig war, wischte sie mir den Hals trocken und sagte nachdem ich wieder saß zu mir: "Ich bin mir nicht sicher was ich sehe. Ich würde gerne ein Szintigramm machen, nur um sicher zu sein."
Ich nickte nur, ich hatte jetzt wirklich Angst.
"Sie bekommen dafür radioaktives Jod gespritzt. Wurde so etwas schon mal bei ihnen gemacht?"
Ich schüttelte nur den Kopf, den Klos den ich im Hals hatte, der es mir untersagte zu sprechen, konnte ich nicht runterschlucken.
"Also, meine Kollegin wird ihnen das jetzt spritzen und dann müssen sie etwas warten."
Ich nickte wieder nur. Eine Assistenzärztin kam auf mich zu, staute mir wieder den Oberarm. Bevor sie anfing meine Ellenbeuge zu beklopfen, brachte ich heißer zustande: "Nicht da, wenn es geht in den Handrücken, da oben findet man nichts."
Die junge Ärztin sah mich an, nickte und drehte meine Hand so, das sie sanft auf den Handrücken klopfen konnte. Sie setzte die Spritze an und ich hatte das Gefühl als ob ich jeden Milliliter spürte den sie mir injizierte.
Jetzt hieß es warten, fast eine halbe Stunde verging, bis mich eine Arzthelferin zu sich rief: "Hier entlang"
Ich folgte ihr in einen kleinen kargen Raum in dem etwas stand, was aussah wie diese Schnellphoto- Automaten, die man an Bahnhöfen und so findet.
"Bitte setzten sie sich. Den Kopf hier oben hinlegen, gerade und ruhig halten. Das dauert eine Weile bis das Gerät die Schichtaufnahmen gemacht hat."
Ich tat was mir gesagt wurde und wieder verstrich die Zeit, das Gerät surrte und murrte eine ganze weile. In dieser Zeit las ich mehrmals das Aufklärungsblatt, das vor mir als Poster an der Wand hing.
Irgendwann kam die Arzthelferin zu mir und sagte: "So sie sind fertig. Das war´s"
Ich stand auf sah sie eine Weile an und fragte: "Brauch jetzt noch jemand was? Muss ich warten? Muss ich noch mal zur Fr. Dr.?"
"Nein, nein. Sie sind fertig, die Ergebnisse schicken wir ihrem Hausarzt. Ende der Woche sollte sie sich bei ihm melden wegen einem Termin!"
"Ok, also dann Tschüss"
"Ja tschüss, alles Gute"
Wie war das jetzt gemeint, schoss es mir durch den Kopf. Die hat doch bestimmt die Aufnahmen gesehen. Die muss doch kontrollieren ob alles drauf ist. Was weiß die, was sie mir nicht sagt?
Beim verlassen der Praxis bekam ich nur ein gemurmeltes "Tschüss" über die Lippen.
Ich fuhr wieder nach Hause, den restlichen Tag hatte ich frei. Ich durfte ja nicht arbeiten gehen, wegen dem radioaktiven Jod.
Ich ging nach Hause legte mich ins Bett und sofort fingen meine Gedanken an zu kreisen.
Was ist wenn es doch was ist?
Was soll ich machen? Was werden die Ärzte vorschlagen? Wollen sie operieren? Wenn ja lass ich es machen?
Mir wurde immer übler, je mehr Fragen mein Verstand aufwarf. Ich krümmte mich im Bett zusammen, mein Magen rebellierte. Wie soll´s weitergehen?
Plötzlich schaltete mein Verstand um. Blödsinn was soll schon sein, viele Menschen haben Zysten irgendwo und mit den heißen oder kalten Knoten wird sich schon was machen lassen.
Mein Verstand versucht mich aufzumuntern, ohne das es mir bewusst war. Meine Verzweiflung und Angst wurde schwächer, Hoffnung keimte. Jetzt lass erst mal die Ergebnisse kommen, dann sehen wir weiter, sagte ich zu mir selbst. Aber wiederum, dachte ich, wenn man das Schlimmste annahm war selbst das Zweitschlimmste schon besser. Diese Lebenseinstellung hatte ich schon lange und war außer meiner Selbstmaterung eigentlich bis jetzt ganz gut damit gefahren.
"Schluss jetzt!" sagte ich laut zu mir selbst. "Schluss damit es reicht! Du kannst dich verrückt machen, wenn du das Ergebnis hast! Vorher nicht!" Das war meine Ansage für mich selbst und damit Schluss jetzt.
Ich lag noch eine Weile einfach nur im Bett, bemüht meinen Verstand ausgeschaltet zu lassen.
Irgendwann schlief ich ein.

Wieder verstrichen scheinbar endlose Tage, bis ich meinen Hausarzt anrufen konnte. Je öfters ich es läuten hörte, umso schlimmer wurden meine Magenschmerzen. Ich hatte die letzten Nächte schon Albträume über das was er mir wohl sagen würde und immer wieder ermahnte ich mich, wenn ich mit rasendem Herzen aufwachte, erst einmal Ruhe zu bewahren.
Als sich die Arzthelferin meldete fragte ich sie ob meine Ergebnisse schon da wären. Sie sagte das ich bitte einen Termin mit dem Arzt machen sollte, sie dürfe mir am Telefon keine Auskunft geben. Ich fragte sie erneut, ob die Ergebnisse da wären, ich wollte ja von ihr nicht wissen was heraus gekommen sei.
Sie sagte das die Ergebnisse da wären und ich gleich nächsten Montag, wenn es mir möglich wäre, vorbei kommen könne.
Ich antwortete ihr, dass ich aber erst nach 15 Uhr kommen könne. Sie meinte das dies Möglich wäre. Also machte ich für 16 Uhr einen Termin aus.
Das Wochenende verging, zumal ich arbeiten musste, viel zu schnell. Ich lag nachts wach, obwohl ich hundemüde war. Meine Phantasie überschlug sich, mein Verstand versuchte zu beruhigen und mein Bauchgefühl rebellierte immer stärker. Ich hatte große Angst als ich Montagmorgen nach der Arbeit zum Arzt ging.
Die Sprechstundenhilfe sagte mir das ich im Sprechzimmer Platz nehmen durfte, der Arzt würde bald kommen.
Ich saß also vor diesem Schreibtisch und starrte Löcher in die Luft, es schien eine Ewigkeit zu dauern bis die Tür aufging und der Arzt hereinkam.
"Guten Morgen! Wie geht es ihnen?"
"Ganz ehrlich, ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen. Ich fühle mich wie gerädert."
Er lächelte mich an: "Nur keine Sorge! Es sind wohl kleinere Auffälligkeiten zu sehen aber laut der Spezialistin kann man das mit Schilddrüsenhormonen und Jodtabletten einstellen!"
In diesem Moment hatte ich das Gefühl als ob mein Herz wieder anfing zu schlagen, meine Lunge schien wieder zu arbeiten. Ich hatte das Gefühl wieder atmen zu können. Die Anspannung der letzten Tage fiel mit jedem Atemzug von mir ab.
Der Arzt sah mir wohl an was in mir vorging:
"Es ist soweit alles ok. Es sind kleine Zysten zu sehen, auch kleinere Knoten, die aber momentan keine Probleme machen. Ich werde ihnen ein Kombipräperat verschreiben, davon nehmen sie jeden morgen nüchtern eine und sie werden merken wie es ihnen besser geht. Es kann sein das sie sich am Anfang etwas aufgedreht fühlen, das legt sich aber nach ein paar Wochen."
"Das heißt es ist soweit medikamentös einstellbar?" fragte ich unsicher. Ich konnte es kaum fassen. Es wurde was gefunden, was man beheben kann, dachte ich und war den Tränen nahe.
Der Arzt sah mich an und fragte mich etwas, ich reagierte im Moment gar nicht darauf. Erst als er mich eine Weile ansah, begriff ich das er mit mir sprach. "Was haben sie gesagt?", brachte ich mit leiser Stimme hervor.
"Ich habe gefragt ob das niemand zuvor kontrolliert hat?"
"Nein! Halt doch, als Kind musste ich Jodid-Tabletten nehmen aber als ich 9 Jahre alt war, hat der Arzt gesagt, es sei alles ok. Dann hat keiner mehr danach geschaut!"
"Mmh", machte er "wenn man das ehern kontrolliert hätte, hätte man das früher gesehen und es wäre gar nicht soweit gekommen. Dann bräuchten sie nicht so eine hohe Dosis einnehmen."
"Es ist mir egal wie hoch die Dosis ist. Hauptsache es hilft und vor allem glaubt mir jemand das mit mir was nicht stimmt"
"Also gut, sie holen sich die Tabletten und in 3 Monaten machen sie einen neuen Termin, dann kontrollieren wir die Parameter erneut. Die Packung reicht für 3 Monate, so dass sie sowieso kommen müssen, um sich neue verschreiben zu lassen!"
Ich bedankte mich bei ihm, verabschiedete mich, holte mein Rezept und ging gleich in die Apotheke um die Tabletten zu holen.


Unter diesen Tabletten ging es mir fast ein ganzes Jahr besser, die Symptome nahmen ab.
Ich konnte mehr wie zwölf stunden am Tag wach bleiben, der Haarverlust wurde weniger, ich nahm ein paar Kilo ab, obwohl ich mein Essverhalten nicht änderte. Die Laborwerte waren soweit im Normbereich.
Mir ging es gut. Ich konnte abends weggehen, mein Leben leben.

Als ich 24 Jahre wurde, nahmen die Symptome wieder zu. Ich ging zum Arzt, dieser erhöhte die Tagesdosis der Tabletten und meinte das mein Körper sich wohl daran gewöhnt hätte und er jetzt mehr bräuchte.
Also nahm ich fast die doppelte Dosis am Tag, ich hatte Nachtdienste, konnte tagsüber nicht schlafen. Ich wurde hypernervös, konnte keine 5 Minuten irgendwo sitzen, kaum mehr schlafen, war so aufgedreht, dass meine Arbeitskollegen sich wunderten. Nach fast 3 Monaten ging ich wieder zum Arzt. Dieser meinte ich müsse dann wohl noch mal zur Untersuchung zur Spezialistin.
Er habe nicht diese ausgereiften Geräte um eine gleichwertige Untersuchung zu machen, erklärte er mir.
Ich machte also wieder einen Termin aus, bekam die gleichen Untersuchungen wie schon beim ersten Mal. Wieder radioaktives Jod und wieder musste ich auf die Ergebnisse warten.
Nach ungefähr einer Woche konnte ich bei meinem Hausarzt einen Termin machen.
Ich wartete wieder, immer noch aufgedreht von den Tabletten, im Wartezimmer bis mich der Arzt hereinrief.
Diesmal sah sein Gesicht nicht so entspannt aus wie beim letzten Mal. Ihm stand Sorge ins Gesicht geschrieben. Er sagte das ich Platz nehmen solle. Was ist jetzt los, fragte ich mich selbst in Gedanken. Dieses Mal hatte ich keine Angst gehabt, hatte nachts schlafen können, keine Panik, keine zermürbenden Gedanken.
"Im Szintigramm sieht man etwas", sagte er ohne Ausflüchte. aber da hat man doch vorher auch was gesehen, sagte mir mein Verstand.
"Was sieht man?", fragte ich.
"Meine Kollegin ist der Meinung das sie um eine OP nicht herum kommen. Sie ist sich nicht ganz sicher, aber sie rät mir, das sie sich die Schilddrüse entfernen lassen sollten!"
"Warum was sieht sie denn?", fragte ich wieder. Mein Verstand schob Panik, meine Gedanken jagten unkontrolliert durch meinen Kopf.
"Sie kann es nicht genau sagen", antwortete er mir erneut.
"Ich muss operiert werden, aber ich dachte mit den Tabletten würde es gehen?"
"Es scheint zu spät diagnostiziert worden zu sein. Wir können nicht sagen was, aber es ist eine Raumforderung, die Dreiviertels ihrer Schilddrüse einnimmt!"
Ich fühlte wie mir das Blut aus dem Gesicht wich, ich fühlte als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.
"Es muss nichts Schlimmes sein", versuchte er mich zu beruhigen, " aber wir wollen sicher gehen. Eine Biopsie würde zwar helfen, aber ihre Schilddrüse arbeitet nicht mehr annähernd so viel wie vor einem Jahr. Es würde keinen Sinn machen sie drin zu lassen!"
Ich sah durch ihn hindurch, verstand ihn kaum weil mir das Blut in den Ohren rauschte. Ich registrierte eine Bewegung vor meinen Augen und bemerkte dass es der Arzt war der mir vor den Augen mit der Hand fuchtelte: "Hallo? Alles ok? Geht es ihnen gut?"
"Was?" Ich fühlte mich wie in einem Traum.
"Sie sollten einen Termin im Krankenhaus machen. Ich schreibe ihnen eine Überweisung. Dieser Termin sollte aber sehr bald sein. Haben sie mich verstanden?"
Ich nickte und wiederholte wie in Trance:
"Ja, Termin... Krankenhaus... bald."
Wir saßen noch eine ganze Weile schweigend voreinander, bevor er sich entschuldigte das er noch Patienten hätte. Wieder nickte ich wie in Trance, stand auf und verließ mit einem leisen "Tschüß" das Sprechzimmer. Draußen hielt mich die Sprechstundenhilfe auf: "Sie brauchen doch noch ihre Überweisung!"
"Ach so, ja genau" war das einzige was ich zu stande brachte. Mein Verstand weigerte sich vehement dagegen, diese Nachricht richtig zu verarbeiten. Es war immer noch wie im Traum, ich hoffte zumindest das es ein Traum war.
Wie ich nach Hause kam weiß ich bis heute nicht genau, ich musste über Kreuzungen, stark befahrene Strassen und kam doch irgendwie zu Hause an.


Zu Hause angekommen setzte ich mich auf meinen Sessel und hielt krampfhaft die Überweisung in meinen Händen, hoffte das ich wach werden würde und sie verschwunden sei.
Wie lange ich dort saß weiß ich nicht, ich erwachte aus meiner Trance, aber nur weil ich anfing zu frieren. Es war bereits dunkel draußen, das heißt ich saß bestimmt mehr als 3 Stunden hier.
Nun fing mein Verstand an zu arbeiten, er überschlug sich fast:
Was wird jetzt passieren? Was soll ich tun? Was jetzt? Ich mach einfach keinen Termin, das regelt sich schon alles alleine! Vielleicht geht es ja von selbst wieder weg! Was ist wenn nicht? Ich will mich nicht operieren lassen! Ich warte einfach! Ich weiß ja auch gar nicht wo ich einen Termin ausmachen soll? Welches Krankenhaus?
Ich versuchte mir noch weitere Aspekte einfallen zu lassen um einfach alles zu vergessen.
"So", sagte ich laut zu mir selbst" jetzt muss ich erst mal was essen. Aber eigentlich habe ich gar keinen Hunger. Außerdem..", stellte ich nach dem ich aufgestanden war fest, "..habe ich ja gar nichts zu Hause und jetzt habe ich keine Lust noch einkaufen zu gehen. Also gibt es nichts!"
Ich legte mich aufs Bett, mich umzuziehen hatte ich keine Lust, rollte mich zusammen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich immer noch die Überweisung in der Hand hatte. Ich ließ sie einfach fallen, dabei trennte sich ein weiteres Blatt ab, welches ich zuvor gar nicht bemerkt hatte, hob es auf. Darauf stand die Adresse einer Klinik, mitsamt Telefonnummer, welche sich wohl auf derartige OPs spezialisiert hatte.
Jetzt merkte ich das ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Fast lautlos liefen sie mir in strömen über die Wangen. Nach einer Weile schlief ein. Ein tiefer, traumloser aber sehr unruhiger Schlaf.
Wie lange weiß ich nicht, die Sonne stand bereits hoch am Himmel als ich die Augen aufmachte. Ich fühlte mich schrecklich, ich wollte nicht aufstehen, also blieb ich einfach so lange liegen bis ich so dringend auf Toilette musste das ich es nicht mehr aushielt. Also quälte ich mich aus dem Bett ging auf die Toilette und verkroch mich danach wieder unter die Bettdecke. Ich hatte übers Wochenende frei, daher war mein Tagesablauf für die nächsten Tage genauso.
Ich wollte mit niemanden reden oder auch nur aus der Wohnung gehen.
In meinem Kopf jagten kuriose Träume irritierende Gedanken, so dass ich nicht wirklich über alles weiter nachdenken konnte.
Wird es jemanden kümmern was mit mir ist? Wird jemand nach mir schauen? Interessiert es überhaupt jemanden? Diese Gedanken schwirrten immer wieder durch meinen Kopf. Das war aber auch alles was ich denken konnte. Die meiste Zeit schlief ich, wurde immer wieder wach, wegen Träume an die ich mich aber nicht mehr erinnern konnte, war entweder nass geschwitzt oder am weinen. Mir ging es immer schlechter.
"Reiß dich zusammen!", sagte ich laut zu mir selbst, "du musst am Montag wieder arbeiten gehen"
Ich entschied mich am Sonntagabend mich krank zu melden, eine Magen-Darm-Grippe schob ich als Grund vor. Irgendwie stimmte das ja auch, bei allem was ich aß wurde mir schlecht, mein Magen rebellierte bei allem und schrecklich fühlte ich mich alle Mal. Meine Kollegin, bei der ich angerufen hatte, wünschte mir baldige Genesung, und ich musste mir ein zynisches Lachen verkneifen.
"Du weißt doch gar nicht was genau los ist, es kann gar nichts schlimmes sein!", schnauzte ich mich selbst an als ich wieder im Bett lag: "und nur im Bett liegen, bringt auch nichts. Davon wird es nicht besser, du machst dich nur selbst fertig."
Aber selbst das alles half nichts, mir war nicht nach aufstehen, ich wollte mich verkriechen und alleine sein.
Nach zwei weiteren Tagen Magen-Darm-Grippe, ging ich wieder zur Arbeit.

Ich verdrängte die Überweisung und den Termin den ich ausmachen sollte, so gut es ging aus meinem Verstand, denn was man nicht weiß, macht einen bekanntlich nicht heiß.
Auf Frage meiner Arbeitskollegen, wie es mir ginge und ob alles ok sei, nickte ich freundlich und machte gute Miene zum bösen Spiel. Jeder hörte nur ein "Ach es geht schon!" oder "Ja ja, alles ok" von mir.
Nach einer Woche hatte ich das meinen Kollegen und vor allem mir gut genug eingeredet, dass ich wirklich glaubte alles sei ok.

Als ich am Dienstagmittag der darauffolgenden Woche nach Hause kam, blinkte mein Anrufbeantworter. Ich wunderte mich wer das wohl sein könne und rief ihn ab:
"Guten Morgen,..." oh Gott dachte ich das ist mein Hausarzt, was will der denn ".. habe gestern in der Klinik angerufen, wegen ihrer Patientenakte. Dort wurde mir aber gesagt, dass sie von ihnen gar nichts wissen, das auch kein Termin ausgemacht wurde. Ich möchte sie ja nicht drängen, aber sie sollten den Termin alsbald machen. Das habe ich ihnen aber gesagt. Bitte rufen sie dort an, damit endlich festgestellt werden kann, was es ist!" In seiner stimme war die Aufforderung deutlich heraus zuhören. Jetzt brach die Mauer, die ich um dieses Thema herumgebaut hatte, komplett zusammen. Wenn schon mein Hausarzt mich drängt, dachte ich, muss es irgendetwas schlimmes sein. Mein Magen begann wieder zu rebellieren, diesmal stark genug, dass ich ins Bad rannte und es gerade noch schaffte den Toilettendeckel hochzuheben, bevor ich mein gesamtes Essen, zumindest nach meinem Gefühl, der letzten Tage hervorbrachte.
Es gibt kein Entkommen, dachte ich melancholisch, ich muss einen Termin ausmachen. Ich muss in diese Klinik und mich operieren lassen. „Aber dann“, sagte ich zu mir selbst“ ist bestimmt alles ok. Es wird danach besser. Die Tabletten werden wieder helfen und alles ist gut!“ Ich war immer schon gut, mir selbst einzureden das alles irgendwie gut wird, wenn man auch dafür kämpfen muss. Genau an diesem Punkt ist meist alles gescheitert, ermahnte ich mich selbst. Du kannst alles, außer für das kämpfen was du willst. Die anderen haben dir immer gesagt was du zu tun und zu lassen hast. Du brauchtest nie kämpfen, weil du gar nicht den Mut dazu hattest, dich gegen andere aufzulehnen. Ja, auch im Mich-selbst-niedermachen war ich schon immer Meister meines Faches. Ich lernte es von anderen, wie man mich fertig macht und übernahm es. Denn wenn man keine Erwartungen an etwas oder jemanden, selbst an sich selbst, hat, kann man nicht Enttäuscht werden. Ein einfaches, wenn auch Selbstzerstörerisches Prinzip.


Mit stärksten Magenschmerzen und unbeschreiblicher Übelkeit, kramte ich noch an diesem Nachmittag die Überweisung aus einer Schublade hervor, suchte den Zettel mit der Telefonnummer und wählte mit zitternden Fingern die Nummer.
Ich wurde nach kurzer Erläuterung, warum ich anriefe, mit der dementsprechenden Stelle verbunden. Dort wurde mir gesagt, das mein Hausarzt bereits angerufen habe und ihnen das nötigste erklärt hatte. Dann wurde ich gefragt wann ich es denn einrichten könnte zu kommen und mir wurde erklärt das ich mindestens eine Woche stationär bleiben müsste.
Ich machte einen Termin in einem Monat aus, da ich ab da sowieso zwei Wochen Urlaub hatte. Die Stimme an der anderen Seite der Leitung, sagte mir daraufhin, dass ich eh krankgeschrieben werden würde und ich nicht bis zu meinem Urlaub warten musste. Ich erklärte ihr, das es schwieriger sei eine Vertretung zu finden die für mich arbeiten könne und wenn ich Urlaub habe ich ja nicht eingeplant wäre. Ich sagte ihr nicht das ich Krankenschwester bin, es musste ihr reichen das es nicht anders ging in einem Schichtbetrieb. Ich wusste aus Erfahrung, das man wenn der Gegenüber weiß das man vom Fach ist, man ganz anders behandelt wird, man bekommt nicht mehr alles erklärt, selbst wenn man von bestimmten Fachrichtungen nicht mehr alles oder gar nichts weiß.
Alles behielt ich das für mich, die würden es schon früh genug erfahren.
Die Zeit bis zu dem Termin raste förmlich dahin, sonst vergehen Wochen bis zum Urlaub manchmal langsam, schleppend voran aber diesmal hatte ich das Gefühl, es seien keine Wochen sondern Tage gewesen.

Alle verabschiedeten sich mit einem fröhlich, fast neidisch klingenden "Tschüß, schönen Urlaub. Erhol dich gut" Sie wussten ja nicht was mir bevorstand. Ich hatte es keinem gesagt, wozu auch außer meiner Pflegedienstleitung würde es womöglich sowieso niemand erfahren das ich krank geschrieben war und wenn doch würden sie keinen Grund erfahren. Das einzige was mich verraten würde, wird die große lange Narbe sein, die sich wie eine Kette, um meinen Hals schlängeln würde. Aber bis dahin wäre ich sicher so weit wieder gut drauf, dass ich keine Probleme mit einem kleinen Frage-Antwort-Spiel hätte.


Als der Tag gekommen war, packte ich das notwendigste ein. Handtücher, Zahnputzzeug, Dusch- und Kopfwaschmittel, Bürste, Schlafanzüge, meine Papiere sowie meine Tabletten, da ich mir sicher war nicht mehr zu wissen wie sie heißen, wenn ich danach gefragt werden würde.
Ich lief zum Bahnhof kaufte mir ein Ticket und fuhr los. Die Fahrt war leider kürzer wie ich erhofft hatte, meine Galgenfrist zog dahin und ich konnte nichts dagegen machen. Am Bahnhof rief ich mir ein Taxi, welches mich zur Klinik fuhr, umso näher wir dem Zielort kamen umso schlechter wurde mir. Der Taxifahrer sah mehrmals nervös in den Rückspiegel, ich sah wohl genauso aus wie ich mich fühlte denn er fragt mich ob alles ok sei. Ich nickte nur, er schien davon nicht beruhigt zu sein, er sah sich wohl schon sein Auto putzen. Am Klinikum angekommen, half er mir sichtlich erleichtert aus dem Taxi. So wie seine Erleichterung wuchs, wurde mir immer schlechter. Ich fühlte nahezu gerade wie mein Blutdruck abstürzte und hielt mich gerade so auf den Beinen. Der Pförtner sah mir wohl sehr deutlich an wie es um mich bestellt war, der er zeigte mir gleich einen Stuhl, auf dem ich Platz nehmen sollte.
Der Pförtner nahm mich auf, fragte diverse Sachen, die er nicht von meiner Versicherungskarte ablesen konnte und rief dann auf der Station an, damit einer von dort mich abholen sollte. Er traute mir wohl nicht zu alleine dorthin zu laufen.


Auf der Station angekommen, zeigte mir der Zivi mein Zimmer, mein Bett und erklärte mir kurz wo ich alles finden würde und wie ich die Schwester rufen konnte. Erleichtert stellte ich fest, das ich wohl noch alleine in dem Zweibett-Zimmer lag. So hatte ich wenigstens noch etwas Ruhe.


Aber gerade ich hätte es besser wissen müssen. Patienten haben gerade am ersten Tag alles, aber keine Ruhe.
Ich war gerade dabei mein ganzes Zeug in den Schrank zu räumen, als schon die erste Schwester zu mir hereinkam.
"Guten Morgen, wie geht es ihnen? Ich bin der Frühdienst und ihre zuständige Schwester. Kann ich kurz bei ihnen Blutdruck, Temperatur und Puls messen.
Bevor ich antworten konnte, hatte sie mir schon das Ohrthermometer ins Ohr gesteckt. Dieses zeigte durch ein hörbares hohes Piepsen an, das es fertig war. "Gut", sagte sie.
Jetzt wurde mir eine Blutdruckmanschette um den Oberarm gelegt und das elektronische Teil begann sich aufzupumpen. Und zu pumpen, und pumpen. Ich dachte schon mein Arm fällt gleich ab und war erleichtert als es die Luft ganz abließ.
"So und nun der andere Arm", sagte die Schwester zu mir. Und das gleiche Spiel noch mal.
" So, alles ok. Werte normal. So wie groß sind sie? Wie viel wiegen sie?" Das waren nur die ersten Fragen von einer ganzen Liste, die ich selbst so oft abgearbeitet hatte. Nur diesmal ging mir das echt auf die Nerven. Auf der anderen Seite dieser Krankenbetten zu sein, war im Vergleich hierzu doch einfacher. Nachdem sie mit ihrem Fragenmarathon fertig war, verabschiedete sie sich und die Tür war schon hinter ihr zu. Also versuchte ich aufs Neue meine Klamotten wegzuräumen, da klopfte es schon wieder und der Zivi kam erneut herein.
"Ich soll sie kurz zum EKG und Röntgen bringen", sagte er freundlich. "Können sie laufen oder soll ich sie fahren?"
So weit kommt es noch, dachte ich, mit dem Rollstuhl durchs Krankenhaus gefahren zu werden.
"Nein, das geht schon. Ich kann laufen", sagte ich bemüht freundlich zu ihm. Er war schließlich nur der Laufbursche. Zumindest ging es manchmal unseren Zivis so, mach dies, tu jenes, bring den dorthin, hol die dort ab. Irgendwie konnten sie einem schon leidtun.
Wir gingen zum Aufzug fuhren ein paar Stockwerke tiefer, dann gingen wir einmal nach links, dann nach rechts und standen schon vor dem EKG.
"Sie werden dann zum Röntgen gebracht. Dort hole ich sie wieder ab!" sagte er zu mir.
"Ach ich denke ich finde alleine wieder hoch, so alt und vergesslich bin ich auch wieder nicht!" sagte ich mit einem fröhlicherem Tonfall als ich geglaubt hatte fertig zubringen.
"Sind sie sicher? Das hier ist ziemlich verwinkelt!"
"Ja wirklich. Ich find schon zurück."
Ich schien ihn überzeugt zu haben, denn er ging.
Ich ließ mir das EKG und die Röntgenaufnahme machen und ging zurück zum Aufzug, fuhr damit nach oben und als ich auf dem Flur war, kam mir der Zivi entgegen. "Gefunden!" sagte ich zu ihm. Er lächelte mich nur an und fragte dann: "Wissen sie auch noch welches Zimmer?"
"Hah, erwischt. Keine Ahnung", gestand ich ihm.
Diesmal wurde das Lächeln breiter: "Ich wusste doch, ohne mich läuft hier gar nichts!"
"Doch", sagte ich "Alle blindlings durch die Gegend" Jetzt wurde das Grinsen extrabreit. Ja das tut einer armen Ziviseele gut, dachte ich bei mir und war, nachdem ich wieder in meinem Zimmer war, verwundert über meine fast schon gute Laune. Ich hatte mich dem Unausweichlichen gestellt und machte anscheinend das Beste daraus.
Ein drittes Mal versuchte ich meine wenigen Habseligkeiten weg zuräumen, als es wieder klopfte. Ein junger Assistentsarzt kam herein.
"Ich soll ihnen Blut abnehmen", sagte er zu mir.
"Aber bitte vorne am Handrücken!", sagte ich schnell.
"Aber ich muss ihnen gleich eine Viggo legen!"
Er meinte einen venösen Zugang für Infusionen.
"Die kann man auch da vorne legen", sagte ich ihm.
"Also gut. Da vorne stört es zwar, aber wenn sie darauf bestehen, mach ich das!"
"Ja, ich bestehe darauf!" sagte ich fast trotzig.
Also wurde mir erneut Blut abgenommen, diesmal auch noch eine Viggo gelegt, die er dann vorsichtig mit einem Spezialpflaster und einer Mullbinde fixierte. "Damit sie nirgendwo hängenbleiben und sich das Ding herausziehen!", erklärte er mir.
Dann war er ebenfalls mit einem "Tschüß" verschwunden.
Wieder war ich alleine und hoffte diesmal meine Sachen wegräumen zu können.
Aber auch bei diesem Versuch wurde ich gestört. Es klopfte wieder und ein älterer Arzt kam herein.
"Hallo. Ich bin der Narkosearzt. Sie werden ja morgen operiert und ich werde sie in dieser Zeit schlafen legen!" Sein Tonfall klang sehr amüsiert, ich war es weniger. Erstens konnte ich wieder nichts wegräumen, also nahm ich meine komplette Tasche und warf sie in den Schrank und zweitens, und das machte mir im Moment mehr Sorgen, hatte keiner gesagt das ich morgen schon meine OP haben sollte. Das war nicht gut, das war nicht fair, dachte ich sauer und ängstlich zugleich.
"Bitte setzten sie sich", sagte der Narkosearzt, "ich habe noch ein paar Fragen an sie die ich zuerst klären muss." Ich setzte mich an den Tisch ihm gegenüber.
Und wieder wurde mir eine ganze Reihe von Fragen gestellt, angefangen von irgendwelchen Erkrankungen, über Medikamente bis hin zu eventuellen Operationen bei denen Komplikationen aufgetaucht waren.
Ich beantwortete seine Fragen wahrheitsgemäß und dadurch endlich Ruhe zu bekommen. Nach fast einer halben Stunde hatte er alle Informationen zusammen, die er brauchte, stand auf und verließ mein Zimmer mit einem freundlichen: "Also bis morgen dann!"
Wieder war ich alleine aber ich hatte keine Hoffnung das es lange so bleiben würde, also unternahm ich gar keinen Versuch mehr auszupacken. Die Tasche stand gut so im Schrank, beschloss ich.
Meine Erwartungen sollten sich bewahrheiten. Kaum den Gedanken zu Ende gedacht, klopfte es wieder. Wieder öffnete ein älterer Arzt die Tür: "Hallo, ich bin der Chirurg der sie morgen operiert und ich hätte ..."
Ich fiel ihm ins Wort: ".. noch ein paar fragen an sie!"
Er sah mich an, ihm war mein genervter Tonfall wohl nicht entgangen, und lächelte freundlich: "Genau, wir wollen einfach nur alles wissen. Diese Weißkittel sind immer so neugierig!" Er schaute auf meine Papiere, lächelte noch mehr und sagte dann sehr vergnügt: "Also wir zwei haben morgen das Vergnügen miteinander. Aber zuerst noch ein ..."
"..paar Fragen!" Vollendete ich seinen Satz.
Und ein drittes Mal musste ich Fragen beantworten, wobei ich die Hälfte schon zweimal beantwortet hatte, natürlich bei jemand anderem.
Nachdem alle fragen seiner und auch meiner Seits geklärt waren, verließ er mir winkend das Zimmer: "Ich glaube wir haben jetzt alles. Ab jetzt müssten sie eigentlich etwas Ruhe haben!"
"Wer´s glaubt!", gab ich bissig zurück. Er schloss die Tür und ich war abermals alleine. Ich legte mich auf das Bett und starrte an die Decke.
Ich hasse Krankenhäuser, dachte ich, alles weiß, alles steril, ich glaub ich hab den falschen Job.
Ich starrte noch eine Weile an die weiße, kalt wirkende Decke und sah mich dann im Zimmer um. Der Boden sah komisch aus, irgendwie schmutzig-grau, vielleicht ein Versuch das Weiß zu unterbrechen. Die Wände waren weiß, ja selbst die Vorhänge, die Bettwäsche.
Mir ist nie aufgefallen wie trostlos so ein Patientenzimmer ist, stellte ich fest, meist ist man wenn man darin ist, mit anderen Sachen beschäftigt und schaut sich gar nicht um. Aber wenn ich hier lang liege, krieg ich einen Koller, prophezeite ich mir selbst. Ich setzte mich auf und schaute eine Weile aus dem Fenster. Naja wenigstens eine Aussicht ins Grüne, sagte ich mir. Die Zeit verging nicht, ich hörte auf dem Flur eilige Schritte von links nach rechts laufen und wäre zu gerne hinaus gegangen um zu sehen was los ist. Nach kurzer Zeit war aber wieder Ruhe und es herrschte wirklich Ruhe. Man hörte nichts, überhaupt nichts. Oh Gott, ist das furchtbar, sagte ich zu mir selbst, aber ich wollte ja meine Ruhe. Aber so ruhig, man fühlt sich wie auf dem Friedhof.
Das hätte ich nicht denken dürfen, denn jetzt fing mein Verstand wieder an zu arbeiten. Ich malte mir aus was Morgen alles schiefgehen könnte: Vielleicht dosiert er die Narkose zu hoch und ich wache nicht mehr auf. Vielleicht schneidet er irgendetwas durch und ich verblute.
Vielleicht, vielleicht, was wäre wenn. Alles Mögliche zog mir durch den Kopf, die obskursten Dinge, die chaotischsten Vorstellungen hatte ich vor Augen. Ich mach mich wieder selbst verrückt, versuchte ich mich zu ermahnen. Es funktionierte nicht. Ich beschloss den Fernseher anzumachen, in der Hoffnung etwas zu finden was mich ablenkte, etwas wo man nicht denken muss. Also schaltete ich den Fernseher ein und war froh über stumpfsinnige Zeichentrickfilme, die nachmittags auf vielen Programmen gesendet wurden. Die Zeit verging etwas schneller und ich hörte eine Weile später wie auf dem Flur das Abendessen verteilt wurde.
Eine Schwester, wohl mein zuständiger Spätdienst, die ich vorher aber noch gar nicht gesehen hatte, kam mit einem Tablett mit zwei Suppenschüsseln herein, stellte es mir auf den Tisch und sagte: "Abendessen. Sie bekommen heute Abend nur Suppe wegen der OP morgen!" Damit verließ sie auch schon das Zimmer.
Oh je, dachte ich, bin ich genauso? Ein Hallo wäre wohl zuviel verlangt gewesen. Die mag ich nicht, beschloss ich. Ich stand auf und ging zum Tisch, hob den Deckel der zwei Schüsseln an und stellte fest das Suppe wohl das falsche Wort für das war, was sich da in den Schüsseln befand. Sieht aus wie schon mal gegessen, sagte ich zu mir selbst, das ess ich bestimmt nicht. Außerdem hab ich gar keinen Hunger, mir ist irgendwie schlecht.
Ich legte mich wieder aufs Bett und sah weiter fern. Nach ungefähr einer halben Stunde kam die Schwester wieder herein, nahm ohne Worte das Tablett vom Tisch und ging.
Blöde Kuh, dachte ich, wäre mir aufgefallen das das Tablett immer noch so schwer wäre, hätte ich nach gesehen ob überhaupt was gegessen wurde und hätte dann gefragt was los ist, wenn ich gesehen hätte das nichts angefasst wurde.
Später kam sie nochmals durch, fragte ob alles in Ordnung sei und nachdem ich das bestätigt hatte, ging sie wieder.
Die Nacht brach herein und mit ihr die Angst vor Morgen. Ich ließ den Fernseher laufen, sah aber gar nicht hin. Meine Gedanken schweiften immer wieder auf Morgen ab, ich konnte mich nicht ablenken. Gegen 22Uhr ging erneut die Tür auf. Eine etwas rundliche, aber freundlich schauende Schwester sah mich an:
"Hallo, ich bin Schwester Michaela. Ich bin für die nächsten 6 Nächte ihr Nachtgespenst! Brauchen sie noch irgendetwas?" Sie sah auf den Fernseher: "Aha, was schauen sie denn da an?" fragte sie mich. Ich sah sie an und sagte: "Ehrlich gesagt hab ich keine Ahnung was das ist. Ich hab ihn einfach nur laufen, kommt ja eh nichts g´scheits!"
"Können sie nicht schlafen? Möchten sie etwas?"
"Nein danke. Ich werde morgen noch lange genug schlafen."
"Also gut! Falls sie doch etwas möchten sagen sie mir bescheid. Ansonsten wünsche ich eine gute Nacht!"
Und damit war sie verschwunden. Die Erste, dachte ich, die sich mir mit Namen vorstellt. Ist das hier ein Laden, ich hoffe das die Ärzte anders sind wie die Schwestern.
Ich lag noch eine Weile wach, schlief aber dann gegen Morgen doch ein.
Wieder eine kurze Nacht mit vielen verwirrenden Träumen.


Am nächsten Morgen kam wieder eine andere Schwester, sie brachte mir Sachen die ich für die OP anziehen sollte: Ein Flügelhemd, eine Unterhose und eine OP-Haube.
Dann räumte sie noch in meinem Bett herum und fuhr mich dann mit Hilfe des Zivis, der mich mit einem fröhlichen "Guten Morgen!!", begrüßt hatte in den OP. Ich lag auf dem Rücken und schaute an die Decke, eine weiße Decke mit immer wiederkehrenden weißen, hellen Neonlichtern. Ich hatte zuvor eine Tablette erhalten, die mich müder machen sollte, diese fing schon gut an zu wirken, zumal ich noch nie etwas zum schlafen gebraucht hatte. Die Lichter und stimmen um mich herum verschwommen zu einem einzigen Wirrwarr. Im OP angekommen wurde ich von zwei Schwestern auf diesen harten, unbequemen OP-Tisch umgelagert. Hier war noch alles viel weißer und vor allem steriler. Mir war nie aufgefallen wie beängstigend so ein OP-Saal war.
Ein freundliches Gesicht, zumindest sah ich die Augen, beugte sich über mich: "Na, die ist ja schon halb außer Gefecht gesetzt!" Es war der Narkosearzt von gestern, bildete ich mir zumindest ein, die Stimme könnte passen. "So", sagte er mir zugewandt, "jetzt such dir mal einen hübschen Traum aus!" Und schon spürte ich etwas warmes, leicht Brennendes in meinem Handrücken. Bevor ich auch nur zucken konnte wurde die Welt um mich herum Schwarz.


Als ich wieder etwas realisierte, hörte ich neben mir ein schwaches Piepen, ein Summen und Rauschen.

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Tag der Veröffentlichung: 09.10.2010

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