„`PENG! PENG!’, meine Mutter schrie, mein Vater warf sich nach vorne um meine Mutter weg zu reißen, die schon los gesprungen war. Doch er schaffte es zum Glück sie auf zu halten.
Wir gingen wieder in unser Haus, darüber zu reden was passiert war hätte nichts gebracht, wir waren schon wütend genug, als das wir noch darüber reden brauchten, das hätte uns nur noch wütender gemacht. Meine Mutter schickte mich raus, die Hühner füttern, ein Wunder das sie noch überlebt hatten. Der Hühnerstall stand etwas weiter weg vom Haus, er war wie alles aus Wellblechen hergestellt. ich füttere sie ruhig, natürlich hatte ich Angst, aber ich war damit vertraut, es war Alltag.
Plötzlich hörte ich einen Schrei, er war verdammt nah. Ich sah rüber zum Haus, meine Mutter stand da, man hielt ihr eine Waffe an die Brust. Sie riefen nach meinem Vater, er kam mit seinem Gewehr in der Hand aus der Tür gesprungen und wollte abdrücken, doch als er meine Mutter mit der Waffe an der Brust da zitternd stehen sah, drehte er sie um und erschoss sich kurzer Hand selbst. Es war klar was sie von ihm wollten. Doch nun war er tot und konnte nicht mehr zeuge sein, ob meine Mutter nun auch getötet wurde oder nicht. Der eine fragte was sie denn jetzt machen wollten. Anstand einer Antwort gab es nur zwei laute PENGs, einen an ihn selbst und einen gegen meine Mutter. Sie waren immer sehr schlagfertig und Gespräche waren ihnen zu viel des Guten. Deswegen allein war auch dieser Krieg ausgebrochen, man könnte es auch das Abmetzeln oder Schlachten nennen, es würde sogar noch besser passen. Sie ließen meine Mutter und meinen Vater einfach achtlos liegen und zogen weiter zum nächsten Haus. Ich lief schnell zu ihnen hin. Ich nahm Papas rechte und Mamas linke Hand in meine Hände. Diesmal kullerten mir Tränen die Wangen hinunter, es war ja niemand mehr da, der es mir verbieten konnte, leider. Plötzlich spürte ich etwas Hartes unter mir. Ich sprang auf, es war Papas Gewehr, da kam mir eine die, ich hob es auf und überprüfte ob es noch genug Ladung hatte, ich hatte dies schon oft für meinen Vater getan, dann legte ich es mir, wie bei Mama an die Brust, es war sehr schwer, doch hielt ich es mit Fassung und Ernst, auch wenn meine Augen immer noch aus Tränen bestanden, doch allein zu Leben brachte nichts.
Langsam hob ich meine Zeigefinger an um danach mit aller Kraft zu zudrücken. Er zitterte bedenklich, es war gar nicht so einfach sich selbst zu töten. Man hatte doch etwas Angst vorm Tod, auch wenn man wild entschlossen war, wie schaffen sie das nur? Zögernd legte ich es wieder auf den Boden. Ich musste Decken holen, für Mama und Papa und die alte Schubkarre um sie zu meinen Schwestern in das alte Brunnenbecken zu werfen. Ich kramte die Decken aus dem Schuppen hervor, die Hühner gackerten fröhlich, es schien als würden sie mich auslachen. Als ich mit Schubkarre und Decken wieder kam stand eine Frau neben meinen Eltern, diese waren schon zu gedeckt, sie rief meinen Namen. Eigentlich hätte ich da bleiben sollen, es hätte eine der Frauen der Senatoren sein können, die einen ins Waisenhaus stecken wollten, aber sie hatte einen so ruhigen und lieben Blick, ihre Stimme war so sanft und seicht, dass ich nicht anders konnte als mich in ihre Arme zu werfen. Nach der langen Zeit der Trauer war es fast wie eine Erlösung, sie nahm mir meine Angst, meinen Schmerz und verdrängte sogar meine Trauer für einen Augenblick. Sie strahlte Wärme und Frieden aus, Glück und Liebe. Sie hob mich an und Trug mich wie ein kleines Baby im Arm, ich kuschelte mich an sie, das leise Peng von den Nachbarn drang nur noch an mein Gehör, nicht an mein Herz, es berührte mich nicht mehr. Gleich darauf war ich eingeschlafen. Ich wachte erst wieder auf als die Sonne schien. Die Frau hatte mich nicht mehr auf dem Arm, ich konnte sie auch sonst nirgendwo erblicken. Ich saß im Flugzeug, über mir war der blaue unberürte Himmel und unter mir lag die zertrümmerte Stadt. Meine Eltern waren nun allein dort. Mir war es plötzlich egal, wo ich hinfliegen würde, es konnte nur besser sein, als da wo ich herkam. Ich war zu schläfrig, um einen richtigen Gedanken zu fassen, Also zog ich das Rollo zu und schlief wieder ein. Ein lautes Brummen weckte mich. Es war ein rotes Auto, das angerollte kam. Die Frau war wieder da, sie trug mich auf ihrem Arm. Ich wollte mich an sie kuscheln, doch sie hielt mich irgendwie abwehrend von sich weg. Wo war sie denn im Flugzeug gewesen? Ich hatte sie gar nicht gesehen. Zwei Personen stiegen aus dem roten Auto, eine Frau mit langen blonden Haaren und ein Mann mit kurzen braunen Locken. Sie sahen sehr hübsch aus, doch die Frau, die mich auf dem Arm hatte, war so viel wärmer und lieber, ich wollte bei ihr bleiben. Doch sie übergab mich schließlich den Beiden. Ich wollte mich wehren, konnte aber nicht, denn ich war immer noch sehr müde.
Die Frau und der Mann wurden meine Eltern, sie waren sehr nett und gaben sich Mühe. Doch irgendwie fehlte bei ihnen das warme Gefühl der Geborgenheit, das man – egal was man getan hat – in den Arm genommen wird und dann wird einem warm.
Jede Nacht hatte ich Albträume, die sie versucht haben zu lindern. Mit 18 Jahren bin ich schließlich ausgezogen, meine Albträume waren nicht mehr so schlimm und nun lebe ich immer noch allein, ganz ohne Wärme.“
„Wie alt warst du da?“, er sah mich nicht so ängstlich an wie ich erwartet hatte, eher lieb.
„Ich war 4, als ich nach Deutschland kam.“
„Hast du die Frau jemals wiedergesehen, oder wenigstens eine Nachricht von ihr bekommen?“ Ich schüttelte nur stumm den Kopf und seine Hoffnung zerbrach, wenigstens etwas zu haben, um sie suchen zu können.
„Ich habe einen alten Brief gefunden, im Keller, dort stand ihre Adresse. Ich hatte zwar nicht gewusst wie sie hieß, aber als ich den Brief mit ihrer Adresse berührt hatte, hatte ich zum ersten Mal wieder ein bisschen Wärme gespürt. Da wusste ich, was ich tun musste, um Wärme zubekommen, einfach suchen.“
„Hat auf dem Brief denn sonst noch was gestanden?“, diesmal war er nicht gleich so hoffnungsvoll. „Nein, aber ich weiß, dass es ihre Adresse ist.“ Zum Glück fragte er nicht weiter nach, woher ich das wusste, ich wusste nämlich auch nicht, wie ich es ihm hätte erklären können, stattdessen saß er unschlüssig da.
„Bitte, du musst mir helfen, sie zu suchen!“
Er seufzte erleichtert, wahrscheinlich hatte er nur darauf gewartet, dass ich das fragte.
Er blieb noch bei mir, doch wir redeten nicht mehr viel. Wir schwiegen lieber und hingen unseren Gedanken hinterher.
Am nächsten Morgen machte ich mich auf zum Flughafen. Sie sollte in München wohnen, so stand es auf dem Blatt, es knisterte in meiner Hand und wärmte sie so, dass ich begann zu schwitzen.
Er wartete schon am Gate, seine blonden Haare leuchteten auf und seine fast weißliche Haut reflektierte das Sonnenlicht..
Um 12.30 Uhr hoben wir ab. Es lag immer noch dieses Schweigen zwischen uns, unausgesprochene Fragen und Antworten.
Er räusperte sich neben mir: „Ähm, war es damals wirklich so schlimm?“
Ein kleines Stückchen des Schweigens wurde gebrochen. „Ja“ , ich antwortet mit ganz benebelter Stimme, so etwas hatte mich noch nie Jemand gefragt, „die „PwW“- „Peace with Words“, sollten eigentlich erst für Frieden zwischen Senatoren und Bevölkerung da sein, die Aufgabe machten sie sogar sehr gut, es schlossen sich immer mehr an. Doch eigentlich regelte alles nur der oberste Herr, den neuen Anhängern hat es viel zu lange gedauert, dass Menschen folgsam waren und sich versöhnen, also probierten sie es kurzerhand anders. Sie erschossen den obersten Herrn vor seinem Haus und liefen dann weiter, um Senatoren umzubringen. Das gab ihnen Spaß am Töten, sie töteten erst nur Politiker und die, die einmal einer werden wollten und deren Familien. Schnell war es ihnen aber egal, wer wer war, sie schossen auf Gläubige, Priester und das ganz normale Volk, sie schossen auf alle, die mindestens einmal etwas Falsches, was ihnen nicht passte, gesagt oder getan hatten und das waren im Grunde alle.“
Schockiert über dies Nachricht fuhr er etwas leiser fort: „Und warum wurdet ihr getötet, was habt ihr getan?“
„Mein Großonkel wollte Bürgermeister werden und wurde ermordet, genauso wie seine Familie. Uns hatten sie dabei zum Glück nicht ausfindig gemacht. Mein Vater stieg zur Armee über und meine Mutter demonstrierte anfangs gegen sie. Das hatten die „PwW“ dann doch irgendwie mitbekommen und wie es weiter ging weißt du ja.“
Er starrte mich entgeistert an. Wir landeten, die Sonne verschwand hinter den grauen Wolken und das Schweigen setzte wieder ein, gleich darauf fühlte ich mich irgendwie bedrückt.
Wir führen mit dem Bus in die Milanstraße, die Frau sollte in Nummer 38b wohnen.
Wir standen still vor der Tür, ich traute mich nicht zu klingeln, denn innerlich zuckte alles in mir. Er hob den Finger an, ganz langsam. Das Gesicht der Frau kam mir in den Sinn; sie hatte eine freundliche Mine, aber trotzdem lächelte sie nicht, sie war ganz ernst. Dann klingelte er, er klingelte wieder und wieder, doch Niemand kam und machte auf. Nur eine schwarzweiß gestreifte Katze kletterte aufs Fensterbrett, sah uns hoheitsvoll an und schleckte dann genüsslich ihre Pfoten ab. Sie passte gar nicht zu der lieben Frau, wahrscheinlich war dies doch die Adresse einer uralten bekannten mit Hörgerät, die nur darauf wartete, eine Enkeltochter zu haben, die sie anmeckern konnte. Meine Aufregung stoppte schlagartig und mir wurde klar, dass das alles nur eine dumme Schnapsidee war. Ich drehte mich traurig zur Straße um, da öffnete sich die Tür. Mein Herz begann zu rasen, sie war da, ich hatte das Gefühl, ihre Wärme zu spüren. Dann drehte ich mich langsam um, ich streifte die Katze im Fenster mit einem kurzen Blick, es schien so, als würde sogar sie lächeln. Mein Atem war unregelmäßig und dann hörte er abrupt auf. Mir gegenüber stand genauso eine Frau, die ich mir eben noch vorgestellt hatte, gleich darauf verschwand die Wärme wieder.
Doch er blieb ganz souverän: „Hallo, wohnen Sie hier ganz allein?“ schrie er, er hatte wohl das gleiche gedacht wie ich.
„Nein, warum schreien Sie denn so? Meine Tochter ist im Urlaub in der Nähe Afghanistans! Schönen Tag noch!“ Dann schlug sie die Tür zu, unhöflich war sie auch noch, doch das war jetzt auch egal.
„Mist“, stöhnte er. Doch ich nahm blitzschnell seine Hand und zog ihn in den nächsten Bus zum Flugplatz. Ich war ganz aufgeregt, mein Puls raste, ich wusste ganz sichert, wo sie war. Denn mit jedem Meter, den wir fuhren, wurde mir immer wärmer.
„Ich weiß, wo sie ist! Ich weiß es!“ ich schrie vor Freude, Alle Sahen mich an. Doch das war mir egal.
„Und was, wenn es da noch so ist wie früher?“, er klang ernst, nicht beruhigend. Daran hatte ich nicht gedacht, ich sackte auf meinem Sitz zusammen, mein Herz setzte aus. Ich konnte doch nicht nach Hause zurück, dort, wo alles Schlimme in meiner Kindheit stattgefunden hatte, der Grund meiner Albträume. Dort, wo finstere Menschen hausten, meine Vergangenheit weiterlebte. Ich wollte nicht zurück. Ich sah meine Eltern unter mottenzerfressenen Decken liegen, neben ihnen das Gewehr, das Haus war zerstört. Der Himmel war grau und vernebelt von Staub.
Der Bus hielt an, ich klammerte mich reflexartig an eine Stange. Er gab dem Busfahrer ein beruhigendes Zeichen, dieser nickte kurz und schlürfte einen Schluck seines Kaffees.
„Hey, du bist schon so weit gekommen!“
Ich schrie auf, die Erinnerungen waren wieder so nah, meine Eltern und die Männer, sie wurden erschossen.
„Sieh mich an, willst du für immer so weiterleben?“
Ich hob meinen Kopf und wollte wieder kläglich schreien, als mein Schrei mir im Hals stecken blieb. Hinter ihm tauchte eine Frau mit roten Haaren auf. Ich hob einen Finger an und deutet mit offenem Mund auf sie. Er drehte sich langsam um und flüsterte: „Ist sie das?“
Ich nickte. Die Frau hob nun ihren Kopf von ihren etlichen Koffern hoch und sah in meine Richtung. Langsam tat ich einen Schritt vor den anderen. Als ich fünf Meter von ihr entfernt war, entdeckte sie mich. Ihre Augen öffneten sich weit, dann lächelte sie, es war das gleiche warme Lächeln wie damals. Mir fuhr ein angenehmer warmer Schauer über den Rücken. Ich fühlte mich wie mit vier Jahren und lief auf sie zu. Sie nahm mich in ihre Arme und die ganze Wärme kehrte zurück. Wir standen noch lange Zeit so da. Da räusperte sich jemand neben uns. Ich bemerkte erst jetzt, dass er die ganze Zeit hinter mir gestanden hatte. Ich hob einen Arm an und legte ihn ihm um die Schulter. „Danke!“ flüsterte ich. In diesem Moment fiel endlich alles von mir ab.
Tag der Veröffentlichung: 10.04.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
An alle, die 2010 mit auf Schreibwerkstatt waren und an meine Mom, die alles so schnellabgetippt hat.