Hans’ Opa war schon lange Jäger. Um Hans eine Freude zu machen, brachte er ihm seit einiger Zeit ausgestopfte Tiere mit, die er selbst erlegt hatte. Und im Stillen hoffte er, damit auch Hans’ Begeisterung fürs Jagen zu wecken. Die letzten Male jedoch hatte Hans die Jagdtrophäen ohne das für ihn so übliche Lachen aufs Zimmer getragen – das war auch dem Groß-vater nicht entgangen. Und während Hans früher die Sonntagsbesuche des Opas kaum abwarten konnte, verschwand er häufig nach einer kurzen Be-grüßung schnell wieder in seinem Zimmer.
Und als an diesem Sonntag der Großvater mit einem ausgestopften Au-erhahn unterm Arm an der Tür schellte, öffnete nicht Hans, sondern unge-wohnter Weise die Mutter, um ihn herein zu lassen. Ein wenig verwundert darüber, dass es nicht Hans war, der vor ihm stand, fragte er schließlich nach kurzem Zögern: „Ist Hans da?“ Als die Mutter nickte, fügte er hinzu: „Ich habe doch hier etwas Besonderes für ihn“, und er hielt ihr stolz den ausgestopften Auerhahn hin.
Insgeheim wünschte sich die Mutter, dass der Großvater nicht noch mehr dieser Staubfänger, wie sie die Tiere nannte, mitbringen sollte, doch wagte sie es nicht, ihm dies zu sagen und den Spaß zu nehmen. Auch, dass all diese Geschenke nach kurzer Zeit auf dem Dachboden landeten, behielt sie lieber für sich. Stattdessen nahm sie den Mantel des Opas ab und rief die Treppe zu Hans’ Zimmer hinauf: „Hans, Opa ist da!“
Während der Großvater auf seinen Enkelsohn wartete, schaute er der Mutter bei den Vorbereitungen für das Sonntagsessen zu. Den Auerhahn hatte er auf den schweren Tisch im Nebenzimmer gestellt. Als er sich nun umdrehte, stand Hans schweigend vor dem toten Tier und betrachtete die-sen. „Ist er nicht prachtvoll?“ fragte der Großvater lächelnd, und seine Au-gen glänzten vor Stolz, einen derart seltenen, schön gewachsenen Vogel erlegt zu haben. „Er gehört dir!“
Als Hans seinen Opa daraufhin mit weit geöffneten Augen anschaute und dann heftig den Kopf schüttelte, sprach sein Großvater ein wenig verärgert: „Weißt du überhaupt, wie lange ich darauf gehofft habe, einmal einen Auer-hahn zu schießen? Solche Vögel sind bei uns äußerst selten geworden, und man muss schon verdammt viel Glück haben, einen zu sehen, ge-schweige denn, einen mit dem Gewehr zu erwischen.“ Aber Hans fing an zu weinen.
„Mein Junge, ich wollte dich nicht ausschimpfen! Es tut mir leid, dass ich eben so böse geklungen habe. Ich dachte nur, dass du dich nicht über mein kleines Geschenk freust. So wein’ doch nicht, Hans!“ sagte der Großvater verlegen und bereute es zutiefst, Hans so heftig angeschnauzt zu haben. Er hatte ihn doch lieb und wollte ihm nur eine Freude bereiten. Er kniete sich nieder vor Hans, stellte den Auerhahn neben sich auf den Boden und legte seine Hände auf die Schultern des Jungen: „Gefallen dir die Tiere denn nicht, die ich dir mitbringe?“ fragte er. Hans, der schluchzend auf den Boden starrte, flüsterte: „Doch“, und hob nun den Kopf, um seinen Großva-ter anzuschauen, der erleichtert lächelte. „Aber sie sind doch tot“, fügte Hans hinzu. Da sein Opa nicht zu verstehen schien, fuhr Hans fort: „Ver-stehst du denn nicht?“ und der Großvater schüttelte den Kopf. Hans sagte: „Wenn ich irgendwann Enkelkinder habe, und ich diesen erzähle: ‚Als ich einmal jung war, da lebten in unseren Wäldern leuchtend rote Füchse, mit bauschigen Schwänzen; es gab Eulen, die meistens nur nachts zu sehen waren und deshalb ganz große Augen hatten, damit sie in der Dunkelheit überhaupt etwas sehen konnten; dann gab es noch Rehe, Hirsche; und auch Eichhörnchen, die die Bäume rauf und runter kletterten, um Tannen-zapfen zu finden; und es gab Marder, Waschbären, Dachse und noch viele, viele andere Tiere im Wald’“, der Großvater lächelte verlegen, da er nicht wusste, worauf sein Enkel anspielte. Hans erzählte weiter: „Was ist, wenn sie sagen: ‚Das muss eine schöne Zeit gewesen sein: Füchse, Eulen, Rehe und all die anderen Tiere, von denen du uns berichtet hast. Aber warum gibt es die denn jetzt nicht mehr?’“ Hans zögerte, ließ seinem Großvater Zeit, das Gesagte zu überdenken, und fragte schließlich: „Verstehst du, Opa, was soll ich ihnen denn dann antworten?“
Tag der Veröffentlichung: 06.01.2009
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