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Epilog


 Mit einem müden seufzen erhob ich mich von meinem hölzernen Schreibtischstuhl und klappte das in grobes Leder gewickelte Buch vor mir zu. Dabei flackerte die daneben positionierte Kerze heftig, erlosch jedoch nicht. Mit einem Blick aus dem Fenster versicherte ich mich, dass es noch nicht allzu spät war, raffte meine schweren Röcke und eilte hinaus in den Flur. Meine Schritte hallten laut auf dem kalten Steinboden und mein Atem beschleunigte sich. Ein paar Wachen die an den Wänden standen warfen mir entrüstete Blicke zu, doch ich ignorierte sie. Klar, es war eigentlich total unangemessen von mir so durch die Gegend zu rennen und für meine Mutter war es eh kein Unterschied. Ich kam so oder so zu spät zum Abendessen. Als ob das irgendjemanden sonst interessieren würde. Aber als meine Mutter musste sie ihre Erziehung in Sachen Pünktlichkeit natürlich durchsetzen. Trotzdem, bei Stewin war sie auch nie so streng gewesen. Und das bestimmt nur weil er ein Junge war!

Als ich durch die riesige Doppeltflügeltür stürmte sah meine Mutter erschrocken auf. Hinter mir wurden die Türen wieder geschlossen und ich lies mich recht undamenhaft auf den Stuhl am Kopf der Tafel fallen.

,,Wo warst du denn schon wieder, Keshet? Du musst dir dringend diese Unpünktlichkeit abgewöhnen. Dein Verhalten ist komplett unakzeptabel“, donnerte meine Mutter sofort. ,,Und deine Gestik ist schrecklich! Wenn du dich so bewegst gehst du eher als tölpelhafter kleiner Junge durch als als junge Dame!“

,,Ja Mutter“, ergab ich mich sofort ihren scharfen Worten um einem Streit zu umgehen. Das tödlich wütende Leuchten in ihren braunen Augen ebbte sofort ab und sie lächelte mich an. Ihre hellgrauen Haare waren wie immer elegant hochgesteckt und kleine Saphire baumelten an ihren Ohrläppchen. Durch ihre recht schmale Statur versank sie fast in ihrem braunen, mit goldenen Blumen bestickten Kleid. ,,Nun denn, ich wünsche dir einen guten Appetit. Der Koch hat übrigens hervorragende Arbeit geleistet.“

Ich fügte mich mit einem ,Danke‘ in meine mir vorgedachte, brave Rolle des feinen Mädchens und senkte meinen Kopf. Meine Gedanken schweiften zu den beiden Stühlen, die sonst immer von meinem Vater und meinen Bruder besetzt wurden. Schon seit fast einem Jahr waren sie leer. Die beiden gebürtigen Könige würden nie wieder dort sitzen.

Ich war noch immer in meinen traurigen Gedanken versunken als meine Mutter mich erneut ansprach. ,,Hast du schon die Gästeliste für den Winterball fertig geschrieben? Und die Einladungen?“

Ich seufzte. Die Vorbereitungen für diesen Ball waren jedes Mal eine riesen Sache und seit ich schreiben und lesen konnte musste ich meiner Mutter bei den Vorbereitungen helfen. Doch im Moment fragte ich mich wozu diese ganzen Einladungen überhaupt nötig waren. Schließlich wusste doch sowieso jeder der Eingeladen war dass er kommen durfte. Und die Hälfte würde sowieso wieder aus Angst vor einem rebellischen Akt absagen.

,,Ja, mit den Einladungen bin ich schon fast fertig“, gab ich meiner Mutter die Antwort und genehmigte mir einen Bissen von meiner dampfenden Ofenkartoffel. ,,Sehr schön! Aber ich bin mir unsicher, welche Dekorationen wir für den Saal verwenden sollen. Lilien, Rosen oder doch lieber feine Maiglöckchen. Der Gärtner hat alles für uns angelegt, aber ich kann mich einfach nicht entscheiden. Was meinst du, Schätzchen?“

,,Ich denke Rosen sind eine schöne Idee, sie sind Zeitlos und duften Gut.“

Meine Mutter nickte stolz und Schnitt ein kleines Stück von ihrem Büffelfleisch ab. ,,Gute Entscheidung.“

Und so sah ein normales Tischgespräch zwischen mir und meiner Mutter aus. Ich sollte mich wahrscheinlich glücklich schätzen, dass sie nicht vergaß, dass es mich auch noch gab. Aber selbst wenn, sie interessierte sich auch so nicht für mich.

Ispiral

Ich spazierte mit meinem Status angemessenen, ruhigen Schritten über den ordentlichen Kies im Schlossgarten. Um mich herum blühten weiße Rosen und Wohlriechender Flieder und einige Vögel zwitscherten in ihren Nestern hoch oben in den Zitronenbäumen. Meiner Meinung nach war der Garten recht uninteressant, doch mehr hatte mir mein unfreiwilliges Gefängnis nicht zu bieten. Was sollte ich schon sonst tun? Mir blieb es höchstens noch frei irgendwelche langweiligen Dokumente zu verwalten und unterschreiben oder mit meiner Mutter und ihren Freundinnen über die Unangemessenheit roter Kleider zu unterhalten. Wie meine Mutter alles hasste was auch nur eine annähernd rote Farbe hatte! ,,Blut ist rot, Blut bringt den Tod. Die Farbe der Liebe und Leidenschaft ist rot, und diese beiden Gefühle haben die Fähigkeit ein Herz, eine Familie oder gar ein Leben zu zerstören“, sagte sie mir einmal. ,,Und dein Haar ist es auch, und genau darum musst du auch diese Perücke tragen. Rote Haare gehören sich nicht für eine Prinzessin.“

Gedankenverloren fuhr ich mir durch die Haare. Seit ich mich erinnern konnte trug ich eine Perücke aus langen, perfekten, blonden Haaren, die meine Mutter wahrscheinlich einem armen Mädchen einfach gestohlen hatte. Sie würde alles für gutes Ansehen tun. Vor allem jetzt, wo Vaters Thron in Gefahr war. Das Volk verlangte einen König an seiner Spitze, keine Königin. Doch das Problem war, das in unsere Familie kein männlicher Thronfolger mehr existierte. Die Rebellen hatten sie alle ausgelöscht und meine Mutter war eigentlich schon zu alt um wieder zu Heiraten. So viel dieses Los letztendlich mir zu. Schon seit Monaten versuchte meine Mutter mich unter die Haube zu kriegen, doch es war schwer noch einen Adligen zu finden, der sich in dieses Land wagte, das sich in gewaltigen Unruhen befand. Im Moment besaßen wir noch ein wenig Unterstützung des Königs von Werland, einem weit entfernten Onkels on mir, doch da sich die Lage immer weiter zuspitzte zog sich auch seine Hilfsbereitschaft immer mehr zurück. Eine mehr oder weniger aussichtslose Situation. Doch weshalb waren die Rebellen so sehr darauf versessen uns zu stürzen? Soweit ich wusste, waren wir weder schlechte, noch grausame Herrscher. Einmal hatte ich meine Mutter danach gefragt, doch sie hatte nur geantwortet: ,,Ach, sie wollen den Thron doch nur für sich selbst. Und nenn diese Bande nicht immer Rebellen. Was sollen das schon für Rebellen sein, die nicht einmal einen vernünftigen Namen haben?“

Doch irgendwie hatte ich ihr das nicht so ganz glauben können. Und ich hatte recht gehabt, denn einen Monat später wurde unsere halbe Familie von ihnen umgebracht.

Ich erreichte das große Eiserne Tor, den Ausgang zur Stadt. Vier wachen hielten starr ihren Posten, bereit jederzeit einzugreifen, sollte etwas geschehen. Noch immer schwirrte mir die Frage nach dem Warum im Kopf herum. Kurz entschlossen wandte ich mich zum Tor und wollte es durchschreiten, als eine nervöse Stimme mich aufhielt. ,,Entschuldigt Prinzessin, aber es ist uns verboten euch durch dieses Tor zu lassen.“

Stirnrunzelnd sah ich den Wachmann neben mir an. ,,Wer will euch das denn verboten haben?“, fragte ich nach. ,,Die Königin.“

Nachdenklich entfernte ich mich. Welchen Grund, bis auf meine Sicherheit, sollte meine Mutter haben, mich nicht in die Stadt gehen zu lassen. Und wenn sie um meine Sicherheit besorgt war, war dies unnötig. Schließlich schlichen immer zwei Leibwächter hinter mir im Schatten herum.

Mit einem Haufen voller Fragen betrat ich also das Zimmer meiner Mutter. Sie saß an ihrem Holztisch und brütete über einigen Unterlagen. ,,Mutter, warum dürfen mich die Wachen am Haupttor nicht hinauslassen?“

Die Frau vor mir schüttelte ungeduldig den Kopf, ohne von ihren Unterlagen aufzusehen. ,,Weil mir dein Wohl sehr am Herzen liegt. Sobald du auch nur einen Schritt vor die Tür machst werden sich die Rebellen auf dich stürzen. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit bis das Königreich gestürzt wird.“

,,Aber Mutter, ich habe doch immer zwei Wächter bei mir! Und Stewin hat mir auch ein wenig Selbstverteidigung beigebracht. Mir kann Garnichts passieren.“ Es wiederstrebte mir über meinen Bruder zu reden, doch davon lies ich mir nichts anmerken.

Jetzt sah meine Mutter doch auf und ein wütendes Funkeln trat wie so oft in letzter Zeit in ihre Augen. ,,Egal was dein Bruder dir auch beigebracht haben mag, gegen diese aufsässigen Thronräuber hast du nicht auszusetzen. Du wirst dich nicht vom Schloss entfernen, haben wir verstanden?“

In mir meldete sich der Trotz, doch ich unterdrückte ihn. Es würde e nichts bringen ihn zu unterdrücken. Doch in meinen Gedanken schmiedete ich bereits Pläne um das Gebot meiner Mutter zu umgehen. ,,Dann sag mir wenigstens worauf die Rebellen es wirklich abgesehen haben. Ich glaube einfach nicht das sie nur aus Habgier handeln.“

Meine Mutter pfefferte ihren Füllfederhalter auf den Kirschholztisch und funkelte mich an. ,,Langsam ist es genug, Keshet. Ich dulde deine forschen Fragen nicht länger. Was sollte denn sonst hinter den Angriffen auf unsere Familie stecken? Willst du uns etwa vorwerfen schlechte Herrscher zu sein?“

,,Ich… nein natürlich nicht, aber…“

,,Nichts aber! Du hast meinen Worten gefälligst Glauben zu schenken. Und jetzt raus, ich habe zu tun!“

 

Ich stand an meiner Tür und lauschte in den Flur hinaus. Von dort waren keine Schritte zu hören, was bedeutete die Nachtwache musste gerade um die nächste Ecke verschwunden sein. Hastig öffnete ich die Tür und schlüpfte in den Flur. So leise wie möglich schloss ich die Tür hinter mir, versicherte mich mit einem kurzen Blick dass niemand im Flur war und huschte den Korridor entlang. Meine Schritte waren kaum zu hören, da ich extra flache, weiche Schuhe trug. Im flackern des Kerzenscheins waren bloß wenige Umrisse zu erkennen und ich hätte mich sicher irgendwo gestoßen, hätte ich mich hier nicht ausgekannt. Ich schlich die Treppe hinab und durchquerte die riesige Eingangsalle des Schlosses, das ich mein Zuhause nannte, bis ich die Küche erreichte. Das leise Schrubben hinter der Tür verriet mir, dass Leanna noch dabei war, das Geschirr zu schrubben. Vorsichtig öffnete ich die knarrende Tür. Leanna wirbelte herum und atmete erleichtert aus als sie mich erkannte. Dann jedoch verhärtete sich ihr Blick. ,,Kind, was trägst du denn da? Du hast irgendetwas vor, nicht wahr?“

Ich sah die alte Frau vor mir flehentlich an. Natürlich war ihr mein seltsamer Aufzug, ein schlichtes graues Leinengewand und ein schwarzer Umhang mit weiter Kapuze, aufgefallen. Auch das ich meine Perücke nicht trug und meine feuerroten, hüftlangen und wilden Locken zwar geflochten, aber immerhin öffentlich zur Schau trug war etwas sehr selten gesehenes. ,,Bitte Leanna, stell keine Fragen, hilf mir einfach!“, flehte ich sie an und nahm ihre weichen Hände in meine. Leanna schien mich mit ihren Augen zu durchbohren und meinte dann seufzend: ,,Gut, was hast du vor?“

,,Du musst mich hier raus schmuggeln. Zeig mir einfach den Dienstboteneingang, dann komm ich alleine klar.“

Die Augen der Köchin weiteten sich ungläubig. ,,Das ist doch nicht dein Ernst, Keshet! Du kannst doch nicht ohne Wachen…“

,,Bitte, Lela, hilf mir! Das hier ist mir wirklich wichtig!“, flüsterte ich eindringlich.

,,Gut, komm mit“, gab sie sich geschlagen und zog mich an meiner Hand hinter sich her. Ich folgte ihr schweigend durch eine hölzerne Tür, hinter der sich ein enger, steinerner Gang schlängelte. Schwach leuchtende Öllampen waren an der Decke angebracht und auf dem Boden hatte sich eine dichte Schicht Staub angesammelt, die nun den vorher sauberen Stoff meines Kleides beschmutzte. Nach etlichen Windungen und Kurven des einengenden Durchgangs gelangten wir zu einem Schmiedeeisernen Tor, dessen Streben im schwachen Licht der Lampe über uns schimmerten. Lela zückte einen Schlüssel und öffnete das Tor, während ich eines meiner Messer aus meinem Stiefel zog. Lela betrachtete die Waffe stirnrunzelnd, sagte jedoch nichts. ,,Pass auf dich auf, bitte! Viel Glück“, flüsterte sie und küsste mich sanft auf die Stirn. Ich lächelte sie an und krabbelte nach draußen. Die dort positionierte Wache hatte kaum die Chance sich umzudrehen, da hielt ich dem Mann auch schon die blitzende Schneide meines Messers an die Kehle. ,,Hör gut zu, ich weiß das meine Mutter dir die Anweisung gegeben hat, mich nicht aus dem Schloss zu lassen, aber ich befehle dir es ohne Wiederstand zu tun und kein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren, sonst wird es dir leidtun. Hast du verstanden?“ Die Schuldgefühle, die mich bei diesen harten Worten beschlichen, ignorierte ich. Mein Bruder hatte mir stets eingetrichtert, wenn ich etwas wollte musste ich es mir ohne Rücksicht auf Verluste nehmen. Und ich hatte gespurt, ohne ein einziges Wiederwort. Mir war nichts anderes übrig geblieben.

Der Wachmann nickte heftig, wobei er jedoch drauf achtete, meiner Klinge nicht allzu nah zu kommen. ,,Gut.“ Ich ließ ihn los und er taumelte leicht. Nachdem ich mein Messer sicher in meinem Stiefelinnenfutter versteckt hatte überquerte ich den Rasen auf der Rückseite des Schlosses. Mein Weg führte mich zu der Waldstraße etwa dreihundert Meter entfernt, die zwar direkt zur Stadt führte, die man aber vom Schloss aus nicht sehen konnte. Als ich zwischen den Bäumen verschwand wurde es so dunkel, das ich mich auf meinen reinen Orientierungssinn konzentrieren musste. Kleine Äste und Steinchen unter meinen Sohlen nahm ich dank meiner nun voll ausgefahrenen Sinne umso stärker war und jeder meiner Atemzüge erschien mir unendlich laut. Nur der Halbmond, der sich am Horizont erstreckte, erhellte meinen Weg. So schlich ich mich den Berg, auf dem die Burg ruhte, hinunter ins Tal, nach Savenah. Durch den dichten Laubwald zu rennen entlockte in mir ein ungekanntes Gefühl der Freiheit und ich genoss es in vollen Zügen. Kleine Steine knirschten unter meinen Schuhen und Äste knackten. Der Abhang, dem ich folgte, war recht Steil und ich brauchte etwa eine halbe Stunde um Savenah zu erreichen. Von Bäumen umgeben jagte ich also durch das dichte Gestrüpp.

Doch irgendwann lichteten sich die Bäume vor mir und die ersten Häuser kamen in Sicht. Um auf die Hauptstraße zu gelangen musste ich am Straßenrand hoch krabbeln, Wobei ich mich an Grasbüschel klammerte, was mir ein Kilo Dreck unter den Fingernägeln einbrachte. Doch ich schaffte es unversehrt hinauf. Aufregung nahm Besitz von mir und ich schlich die eher schlecht als recht erleuchteten Straßen entlang. Die Häuser um mich herum waren aus einfachem Stein oder gar aus Holz gebaut und die Fenster waren klein und lagen knapp unter dem Dach, um Wind und Kälte draußen zu halten. Doch trotzdessen musste es gerade jetzt, im Herbst, eisig kalt sein. Leise Stimmen drangen zu mir nach draußen, eine Mutter dir ihrem Kind eine Geschichte erzählte, ein Mann der vor seinen Freunden mit einem guten Geschäft prahlte. Ein leichter Geruch von Fäulnis und Ausscheidungen von Menschen und Tieren schlug mir entgegen.

Ich folgte den Pflastersteinen weiter in die Innenstadt, wo die Häuser höher und instabiler, der muffige Geruch stärker und die Menschen mehr wurden. Einige Tiere waren in den Gassen an einfache Pflöcke gebunden und einige Männer versammelten sich in allerlei Spelunken und scherzten. Desto mehr Leute mir begegneten, desto besorgter war ich das mich jemand erkennen könnte. Doch niemand kümmerte sich um mich und langsam entspannte ich mich.

Irgendwann gelangte ich auf einen Marktplatz, an dem selbst noch um diese späte Abendstunde einige Stände geöffnet hatten. Zudem lungerten viele Jugendliche am Rand des Brunnens mittig des Platzes herum oder auf den Kisten und Fässern darum herum. Ich drängte mich durch die Recht enge Menschenmasse und hatte das Gefühl nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen zu sein. Es gefiel mir. Staunend besah ich die bunten Stoffe und selbstgeschnitzten Figuren um mich herum. Funkelnde Perlen, glänzender Schmuck und wohlriechende Gewürze standen zum Verkauf bereit. Ein leuchtendes Farbenmehr, das mich umhüllte und meine Sinne verwöhnte. Es war wunderschön.

Mit weit aufgerissenen Augen setzte ich meine Erkundungstour fort und blieb vor einem Stand, an dem wohlriechende Gebäcke angeboten wurden, stehen. Ein Handtellergroße, flacher Kuchen mit Äpfeln und Kandiszucker in der Form einer sich öffnenden Blüte strahlte mir entgegen. ,,Drei Stück davon“, bat ich die rundliche Verkäuferin und zog meinen ledernen Geldbeutel hervor. Die junge Dame lächelte mich an, packte das Gewünschte ein und reichte es mir in ein grobes Stofftuch gewickelt. Ich bezahlte mit drei Shevi und schlenderte weiter. Diese Menschen, die hier lebten, waren wirklich wahre Künstler. Solch schöne Handarbeiten wie hier hatte ich noch nie gesehen. Ich war zwar schon des Öfteren in Savenah gewesen, jedoch nur in den vornehmen Vierteln. Jetzt bekam ich auch die ärmeren Viertel zu sehen. Allein die Kleidung der Menschen hier war eine Ausnahme. Man trug zwar bunte, aber abgenutzte Stoffe, und die meisten trugen nur raue, ausgeblichene Kleider. Einen Hut oder edlen Schmuck suchte man hier vergebens. Ich kam mir schon richtig edel vor, mit meinem neuwertigen Kleid.

Vor mir tat sich eine Gasse auf. Die Stände wurden kleiner und nun wurden Lederbänder, Taschen und Haushaltsmaterial feil geboten. Beinahe wäre ich durch die vielen Ablenkungen über ein paar langer Beine gestolpert, hätte ich nicht schnell auf den Boden gesehen. So blieb ich jedoch stehen und musterte die Gestalt vor mir. Eine braune Stoffhose, schwarze Lederstiefel, ein weißes Hemd mit ledernem Wams und ein dunkler Umhang, dessen Kapuze der Mann ebenso tief ins Gesicht gezogen hatte wie ich, um nicht erkannt zu werden. ,,Entschuldigung, aber sie sollten ihre Beine einziehen, sonst tritt noch jemand darauf.“ Ich wartete auf eine Antwort, doch die geheimnisvolle Person rührte sich nicht. ,,Hallo?“ ich wedelte vor seinem unerkennbaren Gesicht herum, erhielt jedoch keine Reaktion. Ich beschloss, dass es sich, nach dem Teller neben ihm, um einen Bettler handeln musste und setzte mich kurzerhand neben ihn. Aus meinem Beutel holte ich die eben gekauften Leckerreihen und hielt ihm eine hin. ,,Sie sind bestimmt hungrig.“

Noch immer bewegte sich der Mann nicht. Schulterzuckend legte ich den Kuchen auf seinen Schoss und machte mich schweigend daran, mein eigenes Exemplar zu verspeisen. Währenddessen betrachtete ich den Sternenhimmel über mir. Der rote Planet zog seine Kreise und der Mond schien sich am Horizont weiter entlang zu bewegen. ,,Kann ich sie eigentlich duzen?“ Wieder wartete ich vergebens auf eine Antwort. ,,Gut, dann tu ich es einfach. Weißt du, das ist mein erstes mal alleine hier.“ Ich wagte einen Blick zur Seite, wurde jedoch noch immer noch nicht beachtet.

Am Hals des Fremden fiel mir eine lederne Halskette auf. Der Anhänger bestand aus einer einfachen runden Metallplatte, in dessen Mitte eine feine Perle eingelassen war. Am unteren Rand waren zwei Federn, die wie Flügel ausgebreitet waren und die Initialen C.S. eingraviert. ,,C.S. Mmh? Bist du das? Hübsche Kette. Du musst ja einen außergewöhnlichen Namen haben. Ich bin übrigens…“ Ich stockte. Ich konnte hier schließlich niemanden meinen wirklichen Namen nennen, sonst würde man mich schleunigst als Prinzessin erkennen. Also musste ich mir ein Pseudonym zulegen. Ich überlegte kurz. Keshet bedeutete auf Hebräisch Regenbogen, das hatte mir mein Vater einmal erzählt. Hebräisch war eine der wenigen Sprachen die je ihren Weg auch zu uns Gefunden hatten. Der Regenbogen hatte viele Farben, leuchtende Farben, so wie mein Haar. Rotes Haar… Rot…Das Wort unsere Sprache, Savenn, war Ispa… ,,Ich bin Ispiral.“ Da mir der Mann ja eh nie antworten würde, sprach ich einfach für mich selber weiter. Seltsamerweise fand ich die Gegenwart dieses Bettlers angenehm. Es war, als könnte ich ihm einfach alles erzählen, was ich jedoch nicht tat, schließlich musste ich aufpassen was ich preis gab. Meine sonst kühle Maske bröckelte, und ich wusste nicht ob mir das gefiel. Während ich mein Essen verspeiste erzählte ich über die vielen Eindrücke, die ich in dieser einen Nacht gewonnen hatte, über ein gutes Buch das ich in der letzten Zeit gelesen hatte und klärte den Fremden darüber auf das ich noch nie so viel künstlerisches Handwerk hatte bewundern können. ,,Es ist unglaublich, man hat schon so vieles gesehen, kunstvolle Buntglasfenster in Kirchen und riesige Fresken, aber diese kleinen, selbstgemachten Dinge sind es, die ich wirklich bewundere. Ist das zu glauben?“ Ich seufzte auf. ,,Ich plappere ganz schön viel, was? Tut einfach mal gut das los zu werden. Ist vielleicht gut das du nicht mit mir sprichst, sonst hätte ich dir ja nicht so viel erzählen können, oder?“ Ich lachte bitter auf. ,,Mir hört man nicht freiwillig zu… was beschwere ich mich überhaupt, es gibt so viele Leute die ärmer dran sind als ich. Jeder ist ärmer dran als ich.“ Ich warf einen weiteren Blick in den Himmel. Der Mond hatte nun fast seine Runde vollendet und die Sonne schob sich schon an ihm vorbei. Ich stand auf und klopfte mir den Schmutz vom Kleid. ,,War schön dich kennenzulernen. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“ Aus meiner Tasche kramte ich vier Shevi hervor, warf sie in seine Schüssel und machte mich auf den Rückweg. Um diese frühe Morgenstunde waren nur wenige Menschen unterwegs. Während ich neben dem Bettler gesessen hatte, hatten viele Händler ihre Stände abgebaut und waren in ihre Häuser verschwunden um auch noch eine Mütze schlaf zu bekommen. Als ich mich zwischen den Bäumen den Berg zum Schloss hochkämpfte überkam mich eine erschreckende Erkenntnis: Für Heute waren meine Tanten und Cousinen eingeladen. Eine illustre Teegesellschaft, wie meine Mutter gesagt hatte. Wörtlich übersetzt ein vollkommen überhobenes, langweiliges Treffen von lästernden Weibern. Klar war es toll sich mit meinen Cousinen wie ein normales Mädchen zu unterhalten, aber es konnte einem den letzten Nerv rauben, wie sie tratschten und darüber fachsimpelten, wer wen demnächst heiraten oder seinen Partner betrügen würde. Die Erinnerung an das letzte Mal, als zwei meiner Cousinen darüber spekulierten ob mein Vater und meine Tante mütterlicherseits ein Verhältnis hatten, lies mich noch immer vor Empörung schaudern. Ich hatte meinen Cousinen ordentlich den Kopf gewaschen, was meine Mutter so sehr aufgebracht hatte das ich den Rest des Tages auf meinem Zimmer bleiben durfte. Der Tag würde alles in allem recht anstrengend werden. Umso mehr hoffte ich, dass ich mich heute Abend wieder aus dem Schloss schleichen konnte.

Ich betrat das Schloss wieder durch den Dienstboteneingang. Zum Glück hielt wieder der gleiche Mann Wache und lies mich Kommentarlos eintreten. Erst als sich das Eisentor hinter mir fast lautlos geschlossen hatte setzte ich meinen Weg fort und schlich mich durch den steinernen Gang zur Küche. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte waren die lauten Stimmen und das Metallgeklappere auf der anderen Seite der Tür. Anscheinend hatten die Angestellten schon damit begonnen das Essen vor zu bereiten. Jetzt hatte ich ein mächtiges Problem. Mist.

So leise wie möglich bückte ich mich und spähte unter der Tür hindurch. Mehrere Paar Füße wuselten herum, Kerzen waren angezündet und ein Geruch nach Brot und Speck wehte mir entgegen. Entweder würde ich jetzt den ganzen Tag in diesem Gang hier hocken oder einfach so tun als gehöre ich hier hin und durch die Menge spazieren. Die zweite Möglichkeit erschien mir doch ein wenig sympathischer, ich hatte schließlich nicht vor hier drin zu versauern. Vielleicht waren die Angestellten ja auch zu beschäftigt um mich zu bemerken?

Entschlossen holte ich also einmal tief Luft, öffnete die Tür und trat in die Küche. Angespannt wartete ich darauf dass mich jemand bemerkte, während ich die Tür hinter mir schloss. Doch es wurde nichts gerufen das auf mich hingewiesen hätte und auch sonst schien ich keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Hastig lief ich also, den Kopf gesenkt, zwischen den Leuten umher und schlüpfte aus der Tür. Jetzt musste ich nur noch den Gang zur Eingangshalle, die große Treppe und den Flur zu meinem Zimmer absolvieren. Dies gestaltete sich jedoch schwieriger als ich gedacht hatte, denn ich musste vor wachen in Deckung gehen, die mich an meine Mutter verraten könnten. Und diese Männer waren echt aufmerksam, verdammt!

Doch zum Glück schaffte ich es unbeschadet in mein Zimmer. Mein Herz hämmerte wie verrückt und ich musste erst ein paar Mal tief durchatmen bis ich mich wieder beruhigt hatte. Sich aus dem Schloss zu schleichen hatte ich mir jedoch eigentlich viel schwieriger vorgestellt. Sollte man auch so schnell hereinkommen, sollte ich mir wahrscheinlich Sorgen machen.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich in einer halben Stunde zum Frühstück einzufinden hatte. Also entledigte ich mich meiner Kleider, wusch mich und setzte meine Perücke auf. Dazu kamen noch ein schweres blaues Kleid und eine Tonne Schmuck. Wahrscheinlich hatte ich alleine wegen dieser schweren Kleidung mehr Muskeln als jeder Krieger. Da sollte nochmal jemand behaupten mein Leben sei einfach.

Nachdem ich also mein Frühstück damit verbracht hatte, meine Mutter, die über Staatsgeschäfte redete, zu ignorieren, legte ich mich in mein warmes und weiches Bett um den Schlaf, den ich nachts nicht hatte nachzuholen. Würde ich demnächst mehrere solcher Ausflüge machen, müsste ich mir wohl etwas einfallen lassen. Vielleicht konnte ich ja immer vormittags meinen ,Schönheitsschlaf‘ halten? Wäre sicher eine Alternative.

Als ich gegen Mittag von meiner Kammerzofe Tima geweckt wurde, musste ich mich direkt für das Treffen mit meiner Verwandtschaft her richten. Natürlich konnte ich nicht in meine ,normale‘ Alltagskleidung tragen, schließlich war ich ja die glorreiche Prinzessin, der ganze Stolz des Landes, natürlich nach meinem toten Bruder. Da hatte ich aber nochmal Glück dass ich schon an zweiter Stelle stand, und das sogar unfreiwillig. Was wollte man mehr?

Tima half mir also in mein Korsett und mein fliederfarbenes mit Schleifen und Blüten übersätes Kleid und flocht mir mein Diadem in das perückene Haar. So und mit unbequemen Schuhen ausgestattet durfte ich mich schließlich sehen lassen.

Meine Mutter wartete schon am Fuße der großen Treppe auf mich und begutachtete misstrauisch meine Erscheinung. Anscheinend zufrieden durfte ich mir noch gefühlte dreihundert Verhaltensfloskeln anhören, bis wir schlussendlich in den Garten zu unserer Verwandtschaft traten. Pflichtschuldig verbeugten sich alle, natürlich bis auf meinen Onkel, König Somun von Werland und seine Frau, die nur höflich den Kopf neigten, ebenso wie wir es ihnen gegenüber taten. Ihre zwei Töchter waren anscheinend nicht anwesend.

Alle Anwesenden waren in ihre prächtigsten Gewänder gekleidet um der Königin zu gefallen. Wie lange man meine Mutter noch als rechtmäßige Königin ansehen würde, stand in den Sternen, schließlich musste ein direkter männlicher Thronfolger den Platz als König einnehmen. Natürlich hätte auch ich Königin werden können, doch meine Kräfte reichten dazu schlicht nicht aus. Denn jeder Herrscher, der Savenah regierte, das zweitgrößte Land dieses Unentdeckten Kontinents, musste auch die Macht haben es zu kontrollieren. Apropos Kontinent, ja, wir waren ein unentdeckter Kontinent der Erde, jedoch hatten wir uns einst, vor vielen tausend Jahren, von der Erdkugel gelöst. Es war eine riesige Explosion im Inneren der Erde daran Schuld, dass unser Stück Land mit einer unglaublichen Wucht in das Al geschleudert wurde. Dort bildete sich so etwas wie ein eigener kleiner Planet, aus diesem Erdteil und schloss die wenigen Menschen, die auf diesem Kontinent gelebt und die Explosion überlebt hatten in diesem Planeten ein. So haben wir unsere ganz eigene Erde bekommen. Jedoch haben wir mit dieser unerwarteten Wendung nicht nur einen eigenen Lebensraum, sonder auch besondere Gaben und Eigenschaften erworben. Man mag es vielleicht Magie nennen, schließlich hat sich bis jetzt niemand damit befasst diese Eigenarten zu erforschen. Jedenfalls wurde uns von den Sternen die Gabe der Magie zugesandt. Es gibt mittlerweile sehr viele Arten dessen Anwendung. Doch eines steht fest: unsere Familie, die, mit der meisten, mächtigsten Magie herrschte nun schon seit hunderten von Jahren. Weshalb ausgerechnet jetzt eine Gruppe von Rebellen formatiert wurde, konnte ich nicht so recht verstehen. Wir hatten schließlich das Recht auf den Thron, wir hatten die stärkste Magie. Und, im eigentlichen Falle, die Gunst des Feuerdrachen. Nur bei mir war dies nicht der Fall. Vielleicht war das auch der Grund der Ungeduld im Volk, denn seit ich geboren worden war, so hatte mein Vater mir erzählt, war der Feuerdrache für seinen Ruf unauffindbar gewesen. Ich wusste, dass man mich hinter meinem Rücken die Drachentöterin nannte, denn viele dachten, ich habe auf irgendeine Weise hinterhältig das Band zwischen den Menschen und dem Feuerdrachen zerstört, wahrscheinlich indem ich das mächtige Tier getötet hatte. Jedoch war das unmöglich, schließlich hatte ich selbst keine Ahnung, wo der Feuerdrache war. Das seltsame an der ganzen Sache war nur, dass ich trotz allem das Kennzeichen der Drachenverbundenheit trug, so wie jedes Mitglied der königlichen Blutlinie. Die rot-orangenen, glänzenden Schuppen, die sich in einem wirbelnden Muster über Wirbelsäule, Hüfte und Dekolleté zogen. Genau wegen diesem Merkmal, das man nicht gerne öffentlich zeigte, außer zu besonderen Anlässen, musste ich immer hochgeschlossene Kleider tragen.

Die Begrüßungsworte meiner Mutter holten mich zurück in die Wirklichkeit. ,,Willkommen in Savenah, meine Geliebte Familie. Wir haben uns heute hier zusammengefunden, um ein schönes wiedersehen zu feiern, jedoch auch um die von uns gegangen zu betrauern. Wir haben viele Geliebte Menschen verloren und dennoch, wir wollen nicht vergessen, dass wir weiter kämpfen müssen. Nun gut, ich wünsche euch ein Frohes zusammentreffen.“ Die Anwesenden verbeugten sich kurz und zustimmend. Dann, als meine Mutter und ich zu ihnen getreten waren, lockerte sich ihre Haltung etwas und leise Gespräche begannen. Meine Mutter steuerte direkt auf König Somun zu und begrüßte ihn strahlend. Ich folgte ich einfach. Ich hatte meinen Onkel schon immer recht gerne gemocht, gerade für seine offene und ehrliche Art. Ich wagte es sogar ihm bis zu einem gewissen Grad zu vertrauen. Dazu kam auch noch, das er ein kleines, gemütliches Land regierte, das stets im Frieden herrschte. Und das obwohl König Somun noch nicht einmal in der Gunst eines Drachen stand. ,,Mein Geliebter Bruder, es ist schön dich hier zu sehen. Du siehst gut aus.“

Mein Onkel lachte herzlich und seine dunkle Stimme klang wie immer freundlich als er antwortete. ,,Mich freut es ebenfalls, Schwester. Und Keshet, welche Freude auch dich mal wieder zu Gesicht zu bekommen. Du wirst ja immer hübscher.“

,,Danke Onkel, ich tue was ich kann“, scherzte ich und umarmte ihn. Er erinnerte mich ein wenig an meinen Vater und meinen Bruder und erweckte so ein schmerzhaftes ziehen in meiner Brust. Er drückte mich fest, ganz so als spüre er meinen Schmerz und lächelte mich dann sanft an. ,,Wie geht es dir?“ Ich zuckte mit den Schultern und lächelte sachte zurück. ,,Den Umständen entsprechend.“

,,Ihr vermisst eure beiden Männer sehr, nicht?“, fragte er nun auch meine Mutter. ,,Ja, es ist schrecklich“, antwortete sie und zum ersten Mal seit dem Tod der beiden sah ich eine echte Spur Trauer in ihren Augen. Bis jetzt hatte sie sich immer gut im Griff. ,,Und das Volk wird immer unruhiger. Sie wollen einen rechtmäßigen König, man will Keshet auf dem Thron sehen, zusammen mit einem Mann. Doch niemand will sich diesen unruhigen Landes hier annehmen. Und der Feuerdrache ist selbst zum Todestag des Königs nicht aufgetaucht.“

Somun tätschelte beruhigend ihre Schulter. ,,Irgendjemand wird schon kommen. Und Keshet wird sicher auch noch ihre Liebe finden. Schließlich, muss es doch kein Hochadeliger sein, oder?“

Meine Mutter seufzte schwer. ,,Eben das ist ja das Problem. Wird es kein Hochadeliger, sinkt unser ansehen. Unsere Macht ist schon so auf dem Tiefpunkt, verlieren wir noch mehr Respekt, werden die Leute sich nicht mehr um uns scheren. Das wäre unser Untergang. Jetzt wo wir nicht mehr in der Gunst des Feuerdrachen stehen, gibt es keinen Grund mehr uns nicht abzuwählen.“

Mein Onkel neigte nachdenklich den Kopf von einer Seite auf die andere. ,,Gut möglich, aber wenn ihr euch schlau benehmt wird das nicht passieren. Überzeugt die Leute davon dass eure Macht nicht schwindet. Statuiert ein Exempel. Ihr könntet einen Volksball geben oder die Armen beschenken, so sichert ihr euch viele Stimmen. Den darauf kommt es schließlich an, aufs Volk.“

Meine Mutter nickte nachdenklich. Auch ich musste erst einmal über das gesagte nachdenken. Ich persönlich fände es wirklich gut etwas für die Armen hier zu tun, aber ob das uns mehr Stimmen bringen würde? Man konnte sich schließlich nicht darauf verlassen das alle diese Menschen sich mit Geld blenden ließen. Zudem war, seit die Gunst des Feuerdrachen sich von uns abgewandt hatte, auch keine Macht mehr in unserem Besitz. Weshalb sollten sich die Leute uns unterordnen, wenn sie mit uns gleichgestellt waren? Wäre da eine Demokratie nicht viel Sinnvoller?

Eines war auf jeden Fall klar, lange würde das Leben wie ich es kannte zusammenbrechen. Und ich wusste bis jetzt nicht damit umzugehen.

Mein Onkel riss mich aus meinen Gedanken indem er wieder begann zu sprechen. ,,Übrigens Sinja, sehe ich eine Möglichkeit, Keshet vor einer frühzeitigen Heirat zu bewahren. Mein Cousin zweiten Grades, ein Reicher Fürst, sucht nach einer reifen Ehefrau. Wäre es nicht vorstellbar dass Ihr Euch mit ihm vermählt?“

Das verblüffte meine Mutter anscheinend, denn sie sah recht fassungslos aus. ,,Ich… ich kann darüber nachdenken. Ihr könnt ihn ja zum Tee laden, Somun. Ich würde Euch und Euren Cousin in unserem Schloss gerne willkommen heißen.“ Ihre Stimme hatte einen sachlichen, höflichen Ton angenommen, wie immer wenn sie etwas nicht an sich ran lassen wollte. Ich wusste das sie meinen Vater wirklich geliebt hatte, doch seit seinem Tod war sie zu mir, ebenso wie zu allen anderen, abweisend, kühl und führte sich wirklich oberflächlich auf. Schon vor Vaters Tod war sie oberflächlich und desinteressiert gewesen, doch nun war sie schier Ausstehlich. Ich selbst erinnerte mich mit negativen Gefühlen an meinen Vater und Stewin. Einst hatte ich sie natürlich geliebt, doch seit ich wusste welche Monster sie sein konnten stand ich ihnen eher mit Hass gegenüber. Jedoch hatte ich mich mit der Zeit mit meinem Schicksal abgefunden und mich ihnen angepasst. Hätte ich es nicht getan hätte ich nicht überlebt und auch wenn nun beide tot waren konnte ich mich nicht einfach on diesem Schema losreisen, denn dann würde meine Mutter mich bestrafen. Sie wirkte zwar immer Schwach und wie die perfekte Frau, aber ich hatte am eigenen Leib erfahren, dass sie keineswegs Schwach war. Und ohne die Gunst meines Drachen hatte ich nichts mit dem ich mich wehren konnte. Geld, Macht, Ansehen. Diese Dinge waren der Stolz meiner Familie und als sie immer mehr davon verlor, waren auf einmal auch die Menschen nicht mehr was sie zu sein schienen. Seit der Drache nicht mehr da war, also seit meiner Geburt, wurde meine Familie immer rachsüchtiger und grauenvoller. Ich selbst hatte das nicht mitbekommen, aber Leanna hatte es mir erzählt.

Mein Onkel bemerkte anscheinend jemanden den er unbedingt sprechen wollte, denn er lächelte uns noch einmal an und verabschiedete sich höflich. ,,Keshet, unterhalte dich doch mit deinen Cousinen, sie werden dich sicher freundlich begrüßen“, wandte sich meine Mutter an mich und ich machte mich daran dies auch zu tun. Sie war in einer Stimmung die ich besser nicht ausreizen wollte. ,,Kronprinzessin Keshet, es ist eine Ehre Euch bei uns begrüßen zu dürfen. Ihr seht wie immer wundervoll aus“, begannen meine Verwandten auch gleich zu schleimen als ich zu ihnen trat. ,,Jora, Solva, schön euch zu sehen. Wie ist es euch ergangen?“

Schon in dem Moment, in dem ich die Frage stellte, wusste ich das meine Cousinen nun einen ewig langen Vortrag darüber halten würden welch schreckliche Qualen sie doch beim Augenbrauenzupfen erleiden hatten müssen. Doch ich hatte Unrecht.

,,Danke der Nachfrage, natürlich den Umständen entsprechend. Seit Vaters Tod… ist es nicht mehr einfach.“ Ein Schatten huschte über Joras Gesicht als sie über ihren Vater sprach. Ich hatte ganz vergessen, dass auch diese beiden Schwestern ihren Vater verloren hatten. ,,Ich glaube der Schmerz wird uns im Schatten vereinen“, sprach ich also die Worte des Mitleids, die in diesem Teil des Landes typisch waren. Die beiden Mädchen nickten und erwiderten meinen Satz. Joza und Solva waren die beiden Töchter meiner einzigen Tante mütterlicherseits. Sie sahen sich recht ähnlich, mit ihrem blonden Haar und den grünen Augen. Solva war im Gegensatz zu Jora sehr untersetzt, was ihrer Schönheit jedoch keinen Abbruch tat. Ihr rundliches Gesicht mit den großen Augen und den vollen Lippen war wirklich hübsch und ich konnte sie mir ohne ihre Fettpölsterchen gar nicht vorstellen.

Nach einem kurzen Schweigen trat ein altbekanntes Glitzern in Solvas Augen. ,,Wusstest du schon Keshet, Jora ist mit dem Sohn eines Heerführers verlobt. Er ist wirklich traumhaft!“, schwärmte sie auch direkt. Dass sie mich dabei duzte, schien ihr gar nicht aufzufallen. Mir sollte es Recht sein.

Ich lächelte Jora an und nahm sie kurz in den Arm. ,,Das sind tolle Neuigkeiten! Wie ist es dazu gekommen?“ Ihre Wangen röteten sich und sie begann mit ihren, in Locken gewickelte Haaren zu spielen. Ein Anzeichen für Nervosität. ,,Naja, Vater traf sich des Öfteren mit diesem Heerführer um Geschäfte zu besprechen. Oft nahm er auch seinen Sohn mit und… wir verstanden uns einfach gut. Vater hat dann die Verlobung arrangiert, kurz bevor er starb.“ Wieder trat eine unangenehme Stille ein. Es war ein großer Liebesbeweis, das mein Onkel eine Verlobung zwischen Jora und dem Mann, den sie offensichtlich liebte, arrangiert hatte. In unseren Kreisen war das ganz und gar nicht selbstverständlich und diese Tat machte den Verlust meines Onkels noch schmerzvoller. ,,Das ist wirklich schön, Jora. Wann Heiratet ihr denn?“ Nun schlich sich auch auf ihr Gesicht ein glückseliges Lächeln. ,,Bereits in einem Monat. Du wirst doch meine zweite Brautjungfer, oder? Wir haben schon ein Brautkleid, es ist wirklich schön. Aus Seide und Chiffon.“ ,,Natürlich, ich bin schon ganz gespannt auf dein Kleid. Es wird bestimmt toll!“

,,Ja und auf der Feier werden auch haufenweise hübsche Generäle und Krieger anwesend sein“, kicherte Solva und zwinkerte mir zu. ,,Schließlich brauchen wir ja auch noch einen hübschen Prinzen für Keshet.“ Nun lag es an mir peinlich berührt zu erröten. ,,Nein brauchen wir nicht. Ich bin gerne noch ein paar Jahre selbstständig.“ Aber Solva lachte nur und legte mir einen Arm um die Schultern. ,,Sieh den Tatsachen ins Auge Liebes, du wirst wahrscheinlich noch vor mir unter der Haube stehen und lauter kleine Thronfolger produzieren.“

 

Den Rest des Tages verbrachte ich zusammen mit Solva und Jora. Die beiden waren irgendwie viel umgänglicher als ich sie in Erinnerung hatte, sogar angenehm. Ich bemerkte voller Staunen, das sie anscheinend in den letzen Monaten erwachsener geworden waren. Trotz der Tatsache, dass Jora ein Jahr älter als ich und Solva genauso alt war wie ich hatten sich die beiden immer sehr unreif für ihr Alter verhalten. Ihre plötzliche Wandlung hatte wahrscheinlich mit dem Tod ihres Vaters zu tun. Auf jeden Fall hatte ich sehr viel Spaß dabei mit den beiden ein wenig herum zu albern und über die neuesten Trends der Modewelt zu tratschen.

,,Nein es ist wirklich so! in höheren Kreisen sind Spitzenhandschuhe gerade der allerletzte Schrei. Und die Haare tragen sie im Moment alle richtig aufwendig Geflochten“, versicherte mir Jora nachdem sie einen Schluck von ihrem Tee genommen hatte.

,,Oh ja, diese Handschuhe sind wirklich schön!“, pflichtete Solva ihr bei. ,,Aber diese neuen Schuhe, High Heels werden sie genannt - es ist schrecklich! Sie sind ja wirklich wunderschön, aber ich bin einfach vollkommen unbegabt darin zu laufen. Jora dagegen ist ein echtes Naturtalent!“

Ich aß ein Stück von meinem Keks und nickte beim Kauen. ,,Ich finde die Dinger auch schön, aber gelaufen bin ich darin noch nie. Meine Mutter würde einen Herzinfarkt bekommen und sie als total unziemlich bezeichnen.“

Meine beiden Cousinen sahen mich mitleidig an. ,,Das ist mal wieder typisch.“

Solche Gespräche führten wir den ganzen Nachmittag und ich konnte ein ums andere mal herzlich lachen. Für mich waren Verabredungen mit Freundinnen im normal Maß unmöglich, vor allem da ich keine hatte die nicht sowieso mit meinen Eltern in Kontakt standen. Zeit mit meinen Cousinen zu verbringen tat darum wirklich gut.

Als sich unsere Gäste wieder verabschiedeten war es bereits so spät abends das die Sonne untergegangen war.

Ich beschloss, trotzdem nachher wieder aus dem Schloss zu verschwinden und betete das meine Mutter nicht noch auf meine Anwesenheit bestand. Und einmal in meinem Leben hatte ich Glück, denn sie schickte mich sofort nach der Verabschiedung zurück in mein Zimmer.

Dort schlüpfte ich wieder in mein graues Kleid und flocht meine Haare zu einem langen Zopf. Dann, nachdem ich mich versichert hatte dass die Wache vor meinem Zimmer gerade außer Sicht war, machte ich mich auf zu Leanna. Sie betrachtete mich wieder mit einem missbilligenden Blick, öffnete jedoch schweigen die Tür des Dienstboteneingangs für mich. Ich bedankte mich und folgte dem langen Weg bis hin zur Außenmauer. Diese Nacht hielt ein anderer Soldat wache, lies sich mit einem Messer aber ebenso wie der erste leicht dazu überreden nichts über mich preis zu geben. Ich nahm den gleichen Weg wie am gestrigen Tag und folgte den beleuchteten Straßen wieder bis zum Marktplatz. Auch heute war viel los und die Gebäcke rochen lecker wie eh und je. Ich bummelte zwischen den Buden umher und versuchte mir auszureden, dass ich nur wegen dem Obdachlosen hier war. Schließlich fand ich ihn seltsam interessant, obwohl er die ganze Zeit geschwiegen hatte. Aber wahrscheinlich war es genau das. Ich hatte mich neben ihm aus einem unerfindlichen Grund wie ein kleines Mädchen gefühlt und hatte ihm all meine Sorgen auf eine solch kindliche Art erzählt, das ich mir nun, wo ich darüber nachdachte, dafür schämte. Aber im Hinterkopf nahm ich doch eine kleine Stimme war, die mir erzählte, dass ich mehr über diesen seltsamen Mann erfahren wollte. Also kaufte ich zwei Blütengebäcke und bog in die Gasse ein, in der ich fast über den Fremden gestolpert wäre. Und tatsächlich saß er dort wieder, oder immer noch. Wieder hatte er die Kapuze so weit ins Gesicht gezogen, dass ich seine Züge nicht erkennen konnte.

Ich lies mich wie das letzte Mal neben ihn sinken und legte ihm ein Blütengebäck auf den Schoss. ,,Hey, da bin ich schon wieder. Wirst mich wohl so schnell nicht mehr los“, scherzte ich und machte mich an meinem eigenen Essen zu schaffen. Natürlich bekam ich keine Antwort, aber das war mir egal.

 

 

 

 

 

 

Vergangenheit

,,Du musst kräftig schlagen! Ich sehe dass du Mitleid hast, aber das darfst du nicht, hörst du? Es würde dich früher oder später umbringen! Und jetzt töte ihn!“ Stewin entfernte sich ein paar Schritte und beobachtete mich abwartend. Ich betrachtete das kalte Schwert in meinen kleinen Händen und Tränen sammelten sich in meinen geweiteten Augen. ,,Aber ich will ihm nicht weh tun.“

Mein Bruder lachte und schüttelte den Kopf. ,,Doch, du willst es. Oder willst du Vater und mich enttäuschen?“ Bei dem Anblick seines leidigen Blickes wurde mir ganz klamm ums Herz und ich schüttelte hastig den Kopf. ,,Nein, nein, ich tu es ja!“

Zitternd positionierte ich mich vor dem wimmernden Jungen vor mir. Er war in etwa so alt wie ich und hatte glänzend schwarze Haare, die ihm fettig ins Gesicht fielen. ,,N…neeeinn B…bit-te nicht!“, weinte er, doch ich durfte meine Familie nicht enttäuschen. Ich hatte sie doch Lieb!

Also hob ich die scharfe Klinge über meinen Kopf und stieß sie so tief ich konnte in seine Brust. Der Junge schrie auf und krümmte sich, jedoch war ich nicht stark genug, sein Herz zu durchbohren. ,,Los Kleine, bring es zu Ende. Töte ihn!“, rief mein Bruder. Durch meinen Tränenschleier hindurch sah ich, wie das Blut des Jungen den Boden tränkte, mein hellblaues Kleid durchweichte. Rot, rot, überall dieses Rot. Wieder und wieder drehte ich die Klinge in seiner Brust, bohrte sie in sein Fleisch. Rot, Rot wie mein Haar. Tod.

Er schrie noch einmal auf, sackte zusammen. Leere braune Augen starten mich an. Hatten sie geleuchtet wenn er gelacht hatte? Hatten sich dann kleine Grübchen in seinen Wangen gebildet? War seine Mutter gekommen und hatte ihm grinsend einen Arm um die Schulter gelegt?

Ich hatte ihn getötet. Schmerz verbrannte mich von innen heraus. Die Tränen waren übermächtig. ,,Sehr gut, das hast du gut gemacht. Ich bin Stolz auf dich, Keshet.“ Mein Vater lächelte mich an und strich mir über die Wange. Ich starte ihn an. Wie konnte er jetzt Stolz auf mich sein? Ich war ein Monster! Hastig wich ich einen Schritt zurück, meine Hände zitterten, mein Herz hämmerte. Dieser Moment, Diese eine Sekunde meines bisher kurzen, zehnjährigen Lebens, veränderte alles. Der Moment in dem ich begriff dass meine Familie grausam, widerlich war. Und die Sekunde in der mir klar wurde, dass ich mich entweder Fügen musste oder den Tod finden würde.

 

 

 

 

Caleb

3.

 

Die folgenden Wochen verliefen einigermaßen Ruhig. Tagsüber besuchte ich Besprechungen, plante den Volksball, für den sich meine Mutter schlussendlich entschieden hatte und spielte meine Rolle als perfekte Kronprinzessin. Jede zweite Nacht jedoch schlich ich mich in die Stadt und setzte mich zu dem Unbekannten. Jedes Mal brachte ich ihm etwas zu Essen mit und redete mit ihm. Manchmal saß ich auch einfach schweigend neben ihm und starte in den Himmel, folgte meinen Gedanken. Etwa zwei Wochen lebte ich so, zwischen Schloss und Stadt, zwischen Keshet und Ispiral. Bis hin zu dem Tag, an dem sich mein Leben um dreihundertsechzig Grad drehte. An dem ich das erste mal seine Stimme hörte.

 

Wie bisher jedes Mal wenn ich zu ihm ging, kaufte ich erst noch Blütengebäck. Während ich es in meine lederne Tasche packte bog ich in die Gasse ein, in der er immer saß. Nur dieses mal nicht. Verwundert blieb ich stehen und suchte zwischen den Menschen nach dem Fremden. Auf einmal sah ich seinen dunklen Kapuzenmantel am anderen Ende der Gasse aufblitzen. Vor Schreck lies ich mein Essen fallen und starte die Gestalt an, die nun nach rechts abbog. Mein Hirn begann blitzschnell zu arbeiten. Sollte ich ihn einfach ignorieren oder ihm folgen. Ich entschied mich für letzteres, größtenteils wegen meiner Neugier, und rannte durch die engen Straßen. Immer wieder sah ich eine dunkle Kapuze aufblitzen und folgte ihr, immer weiter in das Getümmel. Meine Umgebung nahm ich kaum war, nur meine schnelle Atmung dröhnte in meinen Ohren. Ellbogen bohrten sich in meine Seite, doch ich ignorierte sie. Der Obdachlose, mit dem ich in den letzten Tagen so oft geredet hatte, bog eilig immer wieder ab und machte es mir so schwer ihm zu folgen. Jedoch glaubte ich nicht dass er mich bereits entdeckt hatte.

Irgendwann betrat der Fremde ein hohes Holzhaus, dessen Fenster ein mildes Licht ausstrahlten. In der Straße, in der das Haus stand, waren relativ wenige Leute. Vorsichtig schlich ich zu der leicht schrägen Tür. Da sich darüber kein Schild befand musste es sich um ein privates Wohnhaus handeln. Aufmerksam beugte ich mich vor und spähte durch eines der gelblichen Fenster in der Hauswand. Eine Silhouette lief vorbei, griff nach etwas, das aussah wie eine Kanne und verschwand wieder aus meinem Sichtfeld in das nächste Zimmer. Unentschlossen stand ich vor dem Haus und dachte darüber nach, was ich als nächstes tun sollte. Entweder verschwand ich von hier und dachte einfach nicht mehr an den unbekannten in diesem Haus, wartete bis er vielleicht wieder hinaus kam oder klopfte an. Einfach zu gehen erschien mir falsch, schließlich war es das erste Mal dass ich gesehen hatte wie er sich bewegte und vieleicht war das meine einzige Gelegenheit einmal mit dem Mann aus der Gasse zu reden. Und wenn ich wartete würde er vielleicht nicht vor dem Morgengrauen herauskommen. Daraus schloss ich dass es wohl am besten war einfach zu klopfen. Was sollte schon groß passieren?

Also atmete ich einmal tief durch und hämmerte mit der Hand gegen das verwitterte Holz der Tür. Mit angehaltenem Atem und beschleunigten Herzschlag wartete ich, doch niemand kam. Stirnrunzelt klopfte ich noch einmal, dieses Mal nachdrücklicher, doch es öffnete keiner. Entweder wurde ich gerade ignoriert oder nicht gehört. Kurz entschlossen drückte ich die Tür, die glücklicherweise nicht verschlossen war auf und steckte meinen Kopf in den Eingangsbereich. Gedämmtes Licht und dunkles Holz sahen mir entgegen. Eine Treppe führte links ins zweite Stockwerk und mehrere Türen zweigten in andere Zimmer ab. An den Wänden hingen überraschenderweise Bilder und Wandteppiche und auch der Boden war mit Teppichen bedeckt. ,,Hallo?“, rief ich leise, erhielt jedoch keine Antwort. Leise trat ich ein und schloss die Tür hinter mir. Ich wusste nicht, wie ich dazu kam einfach in ein fremdes Haus einzubrechen, jedoch schob ich alle schuldbewussten Gedanken in den Hintergrund. Langsam schlich ich zu der ersten Tür die sich in meiner Reichweite befand und klopfte an. Nachdem ich keine Antwort erhalten hatte öffnete ich sie und trat in ein geräumiges Wohnzimmer, das an eine großmütterliche Küche grenzte. Mehrere Stühle drängten sich um einen Holztisch und ein abgewetztes Sofa stand in einer Ecke. Die der Tür gegenüberliegende Wand war vollständig mit einer riesigen Flagge bedeckt. Ich betrachtete sie genauer. Auf eisig blauem Hintergrund waren zwei goldene, Flügelähnliche Federn abgebildet. Ich trat näher ran und bewunderte den feinen Stoff, als hinter mir etwas klirrend zu Boden fiel. Erschrocken drehte ich mich um und stand einem Jungen gegenüber, der in etwa so alt war wie ich. Sein Kopf war mit hellbraunen Haaren bedeckt und seine Augen besaßen eine seltsame gelbe Farbe.

Er war recht schlank und trug die üblichen Leinenhosen und ein weißes Hemd. Vor ihm auf dem Boden lag ein zerbrochener Krug um den sich Milch verteilt hatte. Ich hatte kaum Zeit ihn zu mustern, da traf mich etwas Hartes am Kopf und mit einem kurzen Schmerz glitt ich in die Bewusstlosigkeit.

 

Mit angespannten Muskeln und pochendem Hinterkopf saß ich auf einem einfachen Holzbett ohne Bezüge und starte auf die gegenüberliegende Tür. Vor, wie es mir schien, ewig langer Zeit war ich schwerfällig wieder zu Bewusstsein gekommen und hatte mich in diesem kleinen Raum wedergefunden. Es gab hier nichts außer dem Bett, der Tür und einem verstaubten Teppich. Schon lange knurrte mein Magen und meine Kehle war vollkommen ausgetrocknet, doch was mir am meisten Sorgen machte war die Tatsache dass ich den starken Verdacht hatte dass die Nacht schon vorbei war, was bedeuten würde das ich nicht rechtzeitig im Schloss war, sodass mein Verschwinden auffallen würde. Kurzgesagt, ich war kurz davor zu hyperventilieren. Sollte mich nicht jemand bald aus diesem Raum lassen würde ich vermutlich alles auseinandernehmen. Was mich zur nächsten Frage brachte; wer hatte mich überhaupt hier eingesperrt? Alles was ich wusste war dass sich der ,,Bettler“ hier im Haus befand und dass auch ein Junge mit gelben Augen da gewesen war. War ich überhaupt noch im selben Haus? Vielleicht hatte man mich auch einfach irgendwo im Wald zurückgelassen damit ich verhungerte. Dumpfe Schritte vor der Tür ließen meine selbstmitleidigen Gedanken verstummen. Ich setzte mich auf und starte wie hypnotisiert die Tür an, in der Hoffnung dass sie sich öffnen würde. Und tatsächlich, es ertönte ein klicken und die Tür schwang auf. Ein junger Mann, vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, trat ein und musterte mich grimmig. Er war so muskulös das ich befürchtete er würde die Klinke der Tür, die er immer noch in der Hand hielt, zerbrechen und hatte kein einziges Haar auf dem Kopf. Seine Züge waren entschlossen und grimmig und er gab mir das Gefühl ein dreckiges Untier zu sein. Automatisch reckte ich mein Kinn nach oben und sah im herausfordernd in die Augen. Noch eine Prinzipe die ich von meiner Familie mitbekommen hatte; bleibe immer stolz aufgerichtet und bewahre Haltung, lasse dich nicht einschüchtern, zeige keine Gefühle. Eines der Dinge, die ich in den Jahren perfektioniert hatte.

Der Mann musterte mich noch einmal scharf, bevor er mit tiefer und rauer Stimme sprach.

,,Komm mit. Und versuch nicht weg zu laufen, es würde eh nichts bringen.“

Langsam und elegant stand ich auf und ging mit gemessenen Schritten auf ihn zu. ,,Glaube mir, ich habe nichts dergleichen vor. Das wäre schlicht dumm.“ Ich folgte ihm hinaus in einen mit Teppichen behangenen Flur, den ich sofort wiedererkannte, also befand ich mich immer noch im selben Haus. Die eisige Spannung zwischen mir und dem Glatzenmann blieb bestehen, was mir jedoch nichts ausmachte. So würde er mir wenigstens nicht zu nahe kommen, und vor allem nicht zu viele Fragen stellen.

Der Fremde führte mich in einen Raum, der ebenso eingerichtet war wie das Wohnzimmer, nur das er von einem riesigen Holztisch und mehreren Stühlen dominiert wurde. An dem Tisch saßen mehrere Männer und Frauen, alle etwa zwischen sechzehn und fünfundzwanzig Jahren alt. Auf der linken Tischhälfte saßen die insgesamt vier Männer und auf der rechten zwei Frauen. Alle sahen mir misstrauisch entgegen. Die beiden Frauen sahen sich sehr ähnlich mit ihren braunen Haaren, den dunklen Augen und der schlanken Figur. Ihre Gesichtszüge waren sehr Mädchenhaft doch ihre Blicke waren dafür umso härter. Einer der Männer war wahrscheinlich mit den beiden verwandt, denn er hatte die gleiche Augen- und Haarfarbe sowie die gleiche Kinnpartie. Die anderen zwei Männer könnten unterschiedlicher nicht sein, der eine war blond, der andere schwarzhaarig. Der Blonde hatte gelbe Augen, es war der Junge aus dem Wohnzimmer, der schwarzhaarige braune. Der Blonde war gut gebräunt, der schwarzhaarige blass. Und der letzte am Tisch trug ein mir sehr bekanntes Wams mit einer mir bekannten Kette. Nur dass der Fremde heute keinen Umhang trug und ich das erste Mal sein Gesicht sah. Schwarze Haare fielen ihm auf die hohe Stirn, die markanten Gesichtszüge waren mit dunkel gebräunter Haut bespannt. Das Kinn war fein säuberlich rasiert worden und die Augen hatten einen scharfen Schwung. Doch das alles war nichts im Vergleich zu seiner Augenfarbe; stechende weiße Pupillen sahen mich an, die Ränder schwarz gefärbt. Es war in solch faszinierender Anblick dass ich einen Moment meine Fassung verlor. Doch ich fasste mich schnell und stellte mich aufrecht hin. Egal was jetzt geschah, ich würde meine Würde behalten.

Der Glatzkopf manövrierte mich zu einem Stuhl am Ende der Tafel, doch als er mich darauf drücken wollte, schlug ich seine Hand weg und setzte mich alleine. ,,Pfoten weg!“ Ich warf meinen roten Zopf über meine Schulter und sah erwartungsvoll in die Runde. Mein Blick blieb an dem ,,Bettler“ hängen, der mit tiefer Stimme zu sprechen begann. ,,Wer bist du?“ Er hat sich auf eine provozierende Art entspannt zurückgelehnt und die Arm vor der Brust gekreuzt. ,,Das weißt du bereits“, antwortete ich ohne mit der Wimper zu zucken. ,,,,Wie ist dein Nachname?“

,,Domini.“ Diesen Namen hatte ich mir kurzerhand aus dem Ärmel geschüttelt. Jetzt konnte ich nur noch hoffen dass er nicht wirklich existierte. ,,Und wie heißen du und deine ,Freunde‘ ?“

,,Das hat dich nicht zu interessieren.“

,,Ach komm, sag mir wenigstens wie du heißt oder willst du auf immer und ewig der Bettler bleiben?“

Ich wurde abschätzig betrachtet bis ich eine Antwort erhielt. ,,Ich bin Caleb. Mehr wirst du nicht erfahren. Also, woher kommst du, Ispiral?“

Oh Mist, jetzt musste ich mir echt was einfallen lassen. ,,Ich lebe auf der Straße. Klaue den Passanten Geld und schlage mich irgendwie durch“, flunkerte ich und arbeitete weiter an meiner kalten Maske.

,,Und weshalb bist du mir hierher gefolgt?“ Ich runzelte die Stirn. Es kam mir seltsam vor dass er das fragte, schließlich war das wirklich nichts allzu schlimmes. Sicher war es seltsam on einem Mädchen erfolgt zu werden, aber deshalb hielt man sie doch nicht gleich bei sich gefangen. Es sei denn er hatte irgendetwas seltsames am laufen, wofür man sich interessieren konnte. ,,Ich bin dir gefolgt weil mich interessiert hat wer du bist. Ich wollte mehr über dich erfahren, du bist… anders.“

Wieder einmal wurde ich misstrauisch gemustert. Dass passierte heute meiner Meinung nach viel zu oft.

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Tag der Veröffentlichung: 26.01.2014

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