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AUTOEXIL



"we need hints
before we get tired
and we need hints
before we lose the right track"
[ "hints" - josé gonzalez ]




In meiner Jugend

liebte ich ein Mädchen. Ich lernte sie kennen, da war ich elf Jahre alt. Sie war ein Jahr jünger, ging auf dieselbe Schule wie ich und war beliebt. Im Gegensatz zu mir. Ich hatte schlechte Noten, schlechte Eltern und kaschierte meine Schüchternheit mit Arroganz.
Mein Vater arbeitete als Pfleger im Altenheim. Er gehörte zu jenen Personen, die ein Alter über siebzig Jahren für höchst unanständig hielten. Er sprach schlecht von den Bewohnern des Altenheims, nannte sie "Sozialschmarotzer" oder "debilen Kompost". An schlimmen Tagen sprach er von "Altlasten aus der Nazi-Zeit". Er hatte sich früh mit seinen Eltern überworfen, die eine Fabrik in Nürnberg hatten während des Krieges. Er hatte ihnen seit seiner Jugend immer wieder alle möglichen Verbrechen des Krieges vorgeworfen, hatte ihre Fabrik ein KZ genannt und seinen Vater "Judenschinder". Er selbst rannte sein Leben lang im Army-Parka rum und erzählte jedem, ob er ihn nach seiner Meinung gefragt hatte oder nicht, dass alle Soldaten Mörder seien. Er kannte auch ansonsten alle Parolen der kleinen Antifa-Bibel. Ich hatte ihm eines Tages bei einer unserer zahlreichen Streitereien alle Verbrechen der R.A.F., die er heimlich als Freiheitskämpfer verehrte, vorgeworfen. Ich war nicht besser als mein Vater.
Meine Mutter arbeitete bei der Kirche, irgendein Hilfsjob, glaube ich, ich habe mich nie dafür interessiert, und sie sprach nie davon, schon gar nicht in der Gegenwart meines Vaters, der der Kirche noch immer die Kreuzzüge übel nahm und eines Tages zur Taufe meiner Cousine mit Intifada-Schal im Gottesdienst auftauchte. Er hatte bis zu seinem Tod nicht verwunden, dass es niemanden interessierte.
Ich hörte einmal eine alte Frau im Supermarkt über meine Mutter sagen, dass sie ein herzensguter Mensch sei. Ich habe davon wenig erfahren dürfen. Sie schämte sich für meine schlechten Leistungen in der Schule und im Sportverein und auch für ihren Mann, auch wenn sie es nie so deutlich gesagt hatte.
Das Mädchen, das ich liebte, hieß Annalena, kein seltener Name, aber sie war etwas besonderes und nicht nur deshalb, weil ihr halber Freundeskreis auf sie stand. Ich gehörte zu ihrem Freundeskreis, auch wenn ich nie wirklich verstand warum. Ich kam mit ihr sehr gut aus, konnte mit ihr reden, mich mit ihr treffen. Doch Hoffnungen machte ich mir nie. Zumindest keine ehrlichen. Ich konnte mit ihr über ihre Beziehungen sprechen, über ihre Freunde, die kamen und gingen, doch selber kam und ging ich nie. Ich blieb immer dort auf der Stelle...

Der Regen hatte München

fest im Griff, schon den ganzen September über. Die wartenden Menschen am Promenadenplatz drängten schnell durch die sich öffnenden Türen der gerade angekommenen Tram. Durch die beschlagenen Scheiben warf Mark Wittmann einen Blick zurück auf den Bayrischen Hof, in dem er geschäftlich zu tun hatte. Er versuchte sich auf den Feierabend zu freuen, doch irgendwie wollte es ihm nicht gelingen. Es war Samstag Abend, und am nächsten Morgen wurde er erneut hier erwartet. Er konnte sich besseres vorstellen als Sonntags zu arbeiten, andererseits machte es kaum einen Unterschied, wann er frei hatte, er wohnte alleine und musste sich nach niemandem richten.
Das kleine blaue Kästchen vor ihm klackte, als ein weiterer Fahrgast seine Fahrkarte entwertete. Mark sah auf. Ein älterer Herr steckte umständlich sein Portemonnaie ein und griff nach einer Stange, als die Tram sich in Bewegung setzte. Es ratterte leise und der Zeitstempel in dem blauen Kästchen setzte um eine Markierung vorwärts.
"Entschuldigung, ich..." erklang eine Stimme neben Mark. Er rutschte automatisch auf den Sitz am Fenster. Eine Frau setzte sich neben ihn. Es dauerte fast eine ganze Minute bis Mark merkte, dass die Frau ihn anstarrte. Nun sah auch er auf. Und erschrak. Er kannte die Frau...

Ich erreichte München

am späten Nachmittag und schleppte mich und meinen Koffer direkt in den Burger King. Mit einer Tüte Chicken Wings ging ich kurz darauf ziellos einen der Bahnsteige entlang, bis ich die offene Halle des Hauptbahnhofs hinter mir gelassen hatte. Auf einer leeren Bank setzte ich mich und schlug den Kragen gegen den beißenden Wind hoch. Ich hatte mir meine Ankunft hier anders vorgestellt, weniger trostlos. Ich aß zwei der Chicken Wings, doch hatte keinen sonderlichen Appetit. Diese Stadt sollte für die nächsten Monate mein Zuhause sein. Sie würde sich noch bemühen müssen, um es auch zu werden.
Ich ließ schließlich die Chicken Wings Tüte stehen und schlenderte langsam zurück in die große Halle, wo ich meinen Weg zur U-Bahn suchte. Ich versuchte, den U-Bahn-Plan zu lesen, war aber nie besonders gut darin. Ich landete schließlich auf dem Bahnhofsvorplatz, ohne wirklich zu wissen, wie ich dahin gekommen war. Es gab keinen Grund zur Eile, die Wohnungsschlüssel hatte ich im Gepäck, und über das Wochenende lagen keinerlei Verpflichtungen an.
Nachdem ich meinen Koffer bis zum Karlsplatz und von dort durch die überfüllte Fußgängerzone geschleppt hatte, nahm ich die Tram am Marienplatz. Ich suchte nach einem Sitzplatz, meine Knie schmerzten und meine Schultern waren verspannt vom Schleppen des Koffers...

"Annalena?" er hatte

einige Augenblicke gebraucht, bis er sie erkannt hatte. Früher in der Schule trug sie weiße Blusen und Strickjacken, Stoffhosen und knielange Röcke, und ihre dunkelblonden Haare meist offen. Jetzt saß sie dort neben ihm, die Haare unter einer Baskenmütze dunkel gefärbt, in schwarzer Lederhose, dickem grauen Wollpullover und schwarzem Stoffmantel. Ihre Augen waren dunkel geschminkt, ihre Haut wirkte etwas blass. Er wusste nicht, ob er sie noch so schön fand wie früher, doch das spielte keine Rolle.
"Hey! Was machst du hier?" sie bemühte sich um ein heiteres Lächeln, doch Mark merkte, dass sie müde war, vielleicht auch etwas distanzierter als früher.
Er war mittlerweile dreißig, hatte zwei Kinder, die bei seiner Ex-Frau in Düsseldorf lebten, er sah sie fast nie. Er war mit 19 ins Ausland gegangen. Während die meisten seiner Freunde beim Bund waren oder Zivildienst machten, wollte der wegen starkem Untergewicht ausgemusterte Mark vor allem weg von seinen Eltern. Er arbeitete einige Monate auf einem Hof in Spanien um sich eine Reise nach Nepal leisten zu können, doch bald begann er eine Affäre mit der Tochter seines Arbeitgebers, und als diese schwanger wurde, bestanden ihre Eltern auf eine schnelle Heirat. Ein Jahr später ging er mit ihr zurück nach Deutschland, wo sie ihr Studium fortsetze. Er blieb zuhause und träumte vom Himalaya. Mit 25 erklärte er seiner Frau, dass dies gar nicht sein Leben war und er bereits zu lange gebraucht hätte, um aus diesem Traum aufzuwachen. Elisa, seiner Frau, standen die Tränen in den Augen. Er schlief noch einmal mit ihr, gab seinen Kindern Christine und Júlian einen Kuss und fuhr davon.
"Ich bin schon seit fast fünf Jahren in dieser Stadt," sagte Mark mit einem verlegenen Seitenblick.
Sie lächelte nur.
"Und du machst hier Urlaub?" er warf einen Blick auf ihren Koffer.
"Nein, ich ziehe ein," sie ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen, "ich habe eine kleine Wohnung in Lehel."
"Im Lehel," verbesserte Mark automatisch, nach fünf Jahren hatte man sich gewisse Dinge angewöhnt, "es heißt 'im Lehel'."
Sie schwieg.
"Dann wohne ich nicht sehr weit entfernt," sagte er, "unten an der Isar, nicht weit vom Maximilianeum."
Sie nickte.
Er setzte erneut an, hielt dann aber inne und betrachtete sie näher.
"Du siehst müde aus, soll ich dich zu einem Kaffee einladen?" es klang sonderbar normal dafür, dass er sie mehr als zehn Jahre nicht gesehen hatte.
"Mark, ich sehe schrecklich alt aus, oder?"
"Du siehst... was?" darauf war er nicht vorbereitet gewesen, er sah sie überrascht an.
"Ich sehe alt aus, oder?" wiederholte sie und sah ihm nun ins Gesicht. Er bemerkte die kleinen Fältchen um ihre Augenwinkel und eine ihm ungewohnte Schwere in ihrem Blick. Normalerweise liebte er das an Frauen, Spuren von Leben in ihren Gesichtern, doch Annalena bestach früher vor allem durch ihre Jugendlichkeit, den Anflug von Unschuld, und mittlerweile hatte sie diesen Reiz verloren.
"Wir alle werden älter," begann er ohne sich die Mühe der Diplomatie zu machen, "sehe ich etwa noch so aus wie mit 19?"
"Nein," ihr Blick prüfte sein Äußeres, "du hast dich gemacht, Mark, du siehst gut aus."
Mark verengte die Augen. Er hatte bisher nie gehört, dass er gut aussehe, auch wenn ihm bewusst war, dass er über die Jahre ein gewisses Wirken auf Frauen bekommen hatte, aber das ausgerechnet von Annalena zu hören, berührte ihn, es schmerzte, ohne dass er sich sicher war, warum.
"Du siehst auch gut aus," erwiderte Mark, "das war schon immer so. Natürlich verlieren wir unsere Jugend, aber wir gewinnen auch etwas im Laufe der Zeit hinzu."
Die Tram kam am Maxmonument zum Stehen und Annalena sah auf. Mark half ihr, den Koffer hinaus zu tragen, zögerte einen Moment und folgte ihr dann in den Regen. Er hätte ohnehin nur eine Station später aussteigen müssen...

Ich hatte über die Jahre

hinweg angefangen, meine Eltern zu hassen. Während meiner Zeit in Spanien starb mein Vater an Krebs, von dem er gesagt haben soll, dass der "alte Menschenabfall" ihn angesteckt hätte. Zumindest war er so konsequent gewesen, nicht alt zu werden. Meine Mutter bat mich darum, sie zu besuchen. Ich sagte ihr, dass ich mir die Fahrt nach Deutschland nicht leisten könne, und dass ich auf einen Umzug zurück in die Heimat sparte. Sie beschimpfte mich und fragte, wie sie denn dastehe, wenn der eigene Sohn nicht zur Beerdigung des Vaters erschien. Ich sagte ihr, dass das ganz genau den richtigen Eindruck machen würde, und dass sie endlich so ehrlich sein sollte und ebenfalls wegbleiben sollte, wenn sie Vater verscharrten. Sie heulte und ich legte auf. Seitdem hatte ich nicht mehr mit ihr gesprochen. Ich habe ihr nie von Elisa und den Kindern erzählt...

"Was hast du die letzten

zehn Jahre gemacht?"
Sie saßen in einem kleinen Straßencafé unweit des Nationalmuseums und hatten schon eine Weile wortlos in den prasselnden Regen gestarrt.
"Ich?" Mark sah Annalena an und brauchte etwas um seine Gedanken zu ordnen, "ich habe in Spanien gearbeitet, auf einem Hof, und einige Zeit in Düsseldorf, bevor ich nach München gekommen bin."
"Was hast du gemacht, in Düsseldorf meine ich?"
"Eine Fotografenausbildung," Mark hatte sie erst in München gemacht, doch er wollte ihr nicht von Elisa erzählen, "ich arbeite als Fotograf."
"Hast du ein Atelier oder so?" Mark bemerkte, dass Annalena wirklich Interesse daran zu haben schien. Früher hatte meistens sie geredet und er zugehört.
"Aber nur ein kleines für private Zwecke," Mark schlürfte an seinem Milchkaffee, "um Geld zu verdienen mache ich Fotos vor Ort für Firmen und Zeitschriften, und manchmal für den Bayrischen Rundfunk."
"Private Zwecke?" sie setzte ihr leeres Cola-Glas ab und kramte eine zerbeulte Packung Luckys aus ihrer Manteltasche.
"Ich fotografiere Menschen," er zwang sich dazu, sich nicht anmerken zu lassen, das ihm das Thema unangenehm war. Ihr gegenüber.
"Echt?" sie verfluchte leise ihr Feuerzeug und zündete sich die Zigarette an der Kerze, die auf dem Tisch stand, an, "würdest du mich auch fotografieren?"
"Dich...? Also," er versuchte die richtigen Worte zu finden, "eigentlich mache ich hauptsächlich Aktaufnahmen..."
"Ah..." erwiderte sie gedehnt und lehnte sich zurück, und für einige Zeit kehrte das Schweigen zurück...

Erst später wurde mir klar

, dass sie genau wusste, was für Fotos ich machte. Ich verfluchte mich selber für die Antwort, die ich ihr gegeben hatte. Wir hatten uns zusammen ihre Wohnung angesehen, unterm Dach eines der alten Häuser im Lehel, ruhig gelegen, zwei Zimmer, Küche, Bad, fünf Minuten zu Fuß bis zur U-Bahn. Außer einer Einbauküche hatte sie keine Einrichtung. Ihr Vater würde am Montag mit ihrem Hab und Gut kommen, sagte sie. Ich entschuldigte mich, dass ich Montag arbeiten müsse und ihr nicht helfen könne. Ihr Bedauern nahm ich ihr nicht ab, wusste aber auch nicht, woher es kam. Trotz einiger unvorsichtiger Worte hatten wir uns gut verstanden, und sie sagte, sie würde mich am Montag Abend besuchen kommen.
Ich kaufte auf dem Rückweg vom Bayrischen Hof noch einige Sachen ein, Reis, Pfeffer, Tomaten und eine Flasche Whiskey. Ich überlegte, ob Annalena wie früher noch immer gerne Whiskey trank.
Wir haben oft nachts im Whiskeynebel auf dem verwaisten Parkplatz des Einkaufszentrums gelegen und unsere Eltern verflucht, ich, weil ich meine Eltern hasste, sie, weil ihre Eltern zu perfekt waren und von ihr das gleiche erwarteten. Oft saßen wir auch im Winter dort, wir froren, sie zitterte neben mir. Ich habe mich häufig gefragt, ob ich nicht den Versuch wagen und meinen Arm um sie legen sollte, nur um sie zu wärmen. Doch mir fehlte der Mut, nicht nur bei ihr, bei jedem Mädchen.
Nach meiner Ehe mit Elisa war das anders, ein Teil von mir war wie verwandelt. Ich nahm oft Frauen zu mir nach Hause, und nicht selten blieb es nicht beim Fotografieren...

"The days have turned away from me..."

Mark sang gedankenverloren aber gut gelaunt die erste Zeile mit. Er liebte die Musik von John Frusciante, er hatte das Gefühl, dieser würde über sein eigenes Leben singen, manchmal zumindest. Das Telefon klingelte. Mark hielt inne, drehte die Musik leiser und warf einen Blick auf den köchelnden Reis, bevor er nach dem Telefon griff.
"Wittmann..."
Es war Elisa. Sie telefonierten ein- oder zweimal im Monat, zumindest in den letzten drei Jahren wieder. Elisa hatte ihm sein Verschwinden verziehen, nachdem er vor drei Jahren ihrer Einladung zu ihrer Hochzeit gefolgt war. Ihr neuer Mann war gut für sie und die Kinder, Mark wusste das, er war bodenständig und ruhig, etwas was auf Mark nie zutraf. Er hatte beiden ehrlich gratuliert und Elisa war überglücklich, dass Mark sich mit ihrem neuen Mann verstand, und auch die Kinder, damals acht und sechs Jahre alt, sowohl mit ihm als auch mit Mark keine Probleme hatten. Mark fuhr damals erleichtert nach München zurück. Das Wissen, dass er seine Familie zerstört hatte, wollte ihm nie Ruhe lassen, bis er schließlich zu dieser Hochzeit fuhr. Doch als er zuhause war, schloss er sich drei Tage lang im Schlafzimmer ein und bekam einen Wutanfall nach dem anderen. Irgendwo tief im Inneren wusste er, dass er Elisa noch immer liebte, so wie sie früher war, ohne Mann und ohne Kinder.
Doch bald verflog sein Zorn, er brauchte nie sehr lange um Menschen wieder zu vergessen. Am Telefon waren sie wie gute Freunde, und Elisa gab ihm immer das Gefühl, er wäre verantwortungs- und verständnisvoll. Es war paradox, aber er brauchte das.
An diesem Montagabend teilte sie ihm mit, was Christine sich zum Geburtstag wünschte. Sie wurde in der Woche darauf elf Jahre alt, und so langsam wurde es für Mark schwierig nachzuvollziehen, wie sich der Kosmos seiner Kinder entwickelte. Elisa verabschiedete sich schnell, sie schien guter Laune, und sagte, sie und Thomas, ihr Mann, würden noch später am Abend ins Theater fahren.

Ich verfluchte mich

an diesem Abend. Ich stand vor dem großen Spiegel, den ich mir am Vormittag in Schwabing gekauft hatte und grübelte allen Ernstes über die Wirkung meiner Kleidung nach. Mark hatte mich verwirrt, als er mir erzählte, dass er Aktfotos mache. Meinte er, ich wäre nicht gut genug dafür, oder hatte er sich einfach nur ungeschickt angestellt? Vielleicht war ich aber in seiner Vorstellung noch immer das Mädchen von damals, und ich musste ihm Recht geben, wenn er davon ausging, dass ich früher nichtmal darüber nachgedacht hätte. Allerdings sollte er mich gut genug kennen um zu wissen, dass ich nicht wieder nach dem Fotografieren fragen würde.
Ich hatte es aufgegeben mein Alter mit jugendlicher Kleidung zu verdecken, ich suchte jetzt nach etwas, was mich selbstbewusst erscheinen ließ, denn an Selbsvertrauen hatte es mir immer gefehlt. Ich entschied mich schließlich für einen alten Tweed-Anzug, sollte Mark mich doch noch fotografieren, hätte dieser auch sicherlich das richtige künstlerische Flair. Ich steckte meine Haare hoch und stülpte eine graumelierte Strickmütze darüber, dann vermied ich jeden weiteren Blick in den Spiegel. Meine immer noch kahle Wohnung wirkte wenig gemütlich und so ging ich bereits etwas früher hinunter und nahm einen kleinen Umweg entlang der Isar. Es regnete nicht mehr, aber von allen Bäumen und Vordächern tropfte noch der Regen. Ich fröstelte etwas, der Wind pfiff nicht gerade zimperlich durch die Häuserfluchten.
An der Isar angekommen setzte ich mich auf das Geländer der großen Brücke unterhalb des Maximilianeums und dachte an meine letzte Beziehung. Er arbeitete in einer IT-Firma und ich hasste es, wenn er anfing über seine Arbeit zu reden. Aber die restliche Zeit über, in der er nicht arbeiten war, liebte ich ihn. Bis ich dann irgendwann herausfand, warum er nicht zu mir ziehen wollte. Ich hatte einige kurze Affären seit ihm, aber ich habe bei keinem mehr das Gefühl verspürt, dass ich ihn am nächsten Tag wiedersehen wollte. Zudem wusste ich, dass mein Arbeit in Stuttgart bald abgeschlossen sein würde, und wollte die Zeit, die mir neben der Arbeit blieb, nicht für den Aufbau einer Beziehung ohne Zukunft verwenden...

Einen Augenblick hatte sie gedacht

, jeden Moment wieder umzukehren und nach Hause zu gehen. Die Gedanken an der Nachtluft hatten Annalena Angst gemacht, doch als Mark schneller als erwartet die Tür öffnete und sie mit einem entwaffnenden Lächeln hereinbat, verflogen plötzlich alle Bedenken und sie spürte die Wärme, die von seiner Wohnung ausging.
"Trinkst du immer noch whiskey?" Mark wollte sich vergewissern, bevor er innerlich siegessicher den Single Malt servierte.
"Sowas merkst du dir?" Annalena lächelte das verlegene Lächeln, das Mark immer an ihr gemocht hatte.
"Ich vergesse doch nicht unsere nächtlichen Gelage..." er holte die Eiswürfel aus dem Gefrierfach und ließ sie klingend in die Gläser fallen.
"Nur dass wir früher nur Bourbon lauwarm direkt aus der Flasche getrunken haben," Annalena merkte, wie ihre Stimmung langsam gelöster wurde.
"Aber wir haben immer davon geträumt, irgendwann Single Malt on the Rocks zu trinken," Mark reichte ihr eines der beiden Gläser und goss den Whiskey ein.
"...in einem Englischen Landhaus in Cornwall," Annalena lachte bei dem Gedanken.
"Na und... irgendwo muss man anfangen," Mark deutete zum Tisch, "setz dich doch, ich muss mal nach dem Essen sehen."
"Du bist lange nicht mehr in unserer Heimat gewesen, oder?" Annalena war auf dem Weg zum Tisch an der furchtbaren alten Kommode vorbeigekommen, die Elisa Mark aufgezwungen hatte, als er sie vor zwei Jahren besucht hatte. Das Foto, das sie sich ansah, war ein Schnappschuss aus Marks altem Zimmerfenster im Haus seiner Eltern.
"Nein, es... hat sich nicht ergeben," Mark konzentrierte sich auf das Essen. Dass Annalena ausgerechnet darüber sprach, ärgerte ihn, aber was hatte er erwartet? Sie beide verband nur die Vergangenheit.
"Ich wünschte, ich hätte soviel Mut zum Loslassen gehabt wie du," Annalena setzte sich schließlich mit einem Seufzen, "mich verbindet noch immer viel zu viel mit der Zeit damals..."
"Du sagst das so, als wüsstest du, wovon du sprichst," entgegnete Mark und lachte leise, während er den Herd ausstellte.
"Ich habe zu viel Zeit dort zugebracht in den letzten Jahren..." entgegnete sie irritiert, sah ihn dann aber forschend an, "oder meinst du, dir ist es auch nicht besser ergangen?"
"Das klingt so, als würden hier zwei gescheiterte Existenzen miteinander reden," er kam zum Tisch und setzte sich.
"Nein, ganz so schlimm ist es sicher nicht..." Annalena griff nach dem Whiskeyglas und überspielte mit einem Lächeln den bedrückenden Tonfall, "hmmm... auf früher?"
"Besser nicht," Mark musste lachen, "trinken wir lieber auf morgen..."

Ja, auf morgen...

Das konnte ich schon immer gut. Die Vergangenheit war mir zu bedrückend, die Gegenwart zu kompliziert. Ich war immer ein Mensch, der für den Moment leben konnte, selten aber für den Moment, in dem ich mich befand. Ich versuchte das Bild auf der Kommode zu vergessen. Es war auf der letzten Party in meinem alten Zimmer entstanden, am Abend bevor ich nach Spanien fuhr. Ich hatte mir damals geschworen, nie mehr zurückzukehren. Dass ich es tatsächlich zehn Jahre später noch nicht getan hatte, erschreckte mich. Es schien so, als hätte ich den Kontakt zu einer Welt verloren, die ich damals hasste, und die dennoch alles war, was mich einst ausmachte.
Und jahrelang konnte ich erfolgreich leugnen, dass mein altes Leben wichtig für mich war. Doch der Moment an dem ich Annalena wiederbegegnete war wie ein Weckruf, eine Reminiszenz an alte Zeiten. Und sie war das Gegenteil von mir. Zu sehr mit ihrer Vergangenheit verwurzelt versuchte sie, einen Weg zu finden, sich zu befreien. Ich wünschte, ich hätte ihr sagen können, wie unmöglich es ist, vor sich selbst zu fliehen...

"Hey, zeigst du mir

, wo du Fotos machst?"
Sie hatten gegessen und aus ihrer Jugend erzählt, über Dinge, die ehemalige Freunde und alte Bekannte betrafen, nie aber sie selbst. Die Whiskeyflasche war bereits zu zwei Dritteln geleert, als Mark aufstand und das leichte Schwanken geschickt an der Stuhllehne abfing.
"Sicher... ist nicht weit von hier," er deutete grinsend auf eine Tür im Wohnungsflur gegenüber der Küche.
"Sollen wir erst den Tisch abräumen?" Annalena stellte bereits pflichtbewusst die Teller zusammen. Mark beobachtete sie, dann nahm er die Teller entgegen, als er sah, dass Annalena beim Aufstehen noch mehr ins Schwanken geriet als er selbst.
"Haben wir früher mehr vertragen?" Annalena rieb sich die Schläfe mit einer Hand, bevor sie mit der anderen die Tischplatte los ließ.
"Wirf mal einen Blick auf die Flasche..." erwiderte Mark mit einem Grinsen und räumte das Geschirr in die kleine Spülmaschine, die er alleine eher selten benutzte.
"Oh..." Annalena schüttelte die Whiskeyflasche nachdenklich, "wenn ich so daran denke, dass wir..." sie sah auf und unterbrach sich.
"Warte, ich mach das schon," Mark nahm die Schüssel vom Tisch, bevor Annalena das machen konnte. Diese streckte ihm die Zunge raus.
"So in Sorge um dein Geschirr?"
"Da gehts lang," Mark deutete mit einem Grinsen zur Tür auf der anderen Seite des Flurs.

Ich weiß nicht, was

ich erwartet hatte, aber der kleine kahle Raum, in dem Mark seine Fotos machte, enttäuschte mich. Es war sicher sehr professionell, die Ausleuchtung, die Kamera, aber... der Raum war leblos und trostlos, genauso wie die Wohnung, die mich erwartete, wenn dieser Abend vorbei sein würde. Es war eigenartig, einen Augenblick lang sah ich in ihm die selbe Leere, die mich seit einiger Zeit vollkommen im Griff hatte. Ich wollte ihn bitten, mir einen anderen Raum zu zeigen, einen voller Wärme und Leben, in dem wir beide irgendwo geborgen in einer Ecke sitzen vergessen könnten, dass zehn Jahre seit unserem letzten Treffen vergangen waren.
Aber ich wusste, wie das geklungen hätte. Also sah ich mir geduldig einige seiner Bilder an, die er gemacht hatte, vornehmlich von Frauen im Stil der Stummfilmzeit, und als er meine Stille bemerkte, gingen wir wieder zurück in die Küche. Doch auch diese war nicht mehr so warm und einladend wie noch zu Beginn des Abends. Ich merkte, dass er enttäuscht wirkte, müde irgendwie. Vielleicht hatte er sich mehr von dem Abend erhofft. Vielleicht hoffte ich aber auch nur, dass er das getan hätte.
Hier standen wir also wieder, zwei verlorene Kinder aus zwei verschiedenen Ecken des Lebens, die kaum mehr teilten als ein gemeinsames Gefühl der Leere. So wie damals. Wie hatten wir uns früher noch immer geholfen...?

"Ein richtiger Supermarkt

ist das aber nicht," Annalena lachte, "eigentlich eher so ein Tante-Emma-Laden."
"Richtige Supermärkte gibt es im Lehel nicht, das ist hier alles viel zu klein und verwinkelt," Mark strich sich eine regennasse Strähne aus dem Gesicht, "aber darauf kommt es auch gar nicht an..."
"Nein, darauf kommt es nicht an..." Annalena ließ die Sohle ihrer grauen Sportschuhe in eine kleine Pfütze auf dem Gehweg vor ihnen klatschen.
"Am Ostbahnhof gibt es einen großen Einkaufsmarkt mit großem Parkplatz gleich hinter der S-Bahn-Trasse, das ist dann auch in etwa so hübsch wie unsere alte Heimatstadt," Mark beobachtete einige Tropfen, die von Annalenas Baskenmütze tropften, "aber um da jetzt hinzufahren, bin ich zu voll..."
"Ist das weiter als früher?" Annalena sah hinüber zur kleinen Kneipe auf der anderen Straßenseite, ihre Stimme wirkte gegen den Regen brüchig.
"Etwas..." Mark warf ihr einen Seitenblick zu, musterte gedankenverloren den Stoff ihres Tweedanzugs, "außerdem sind wir nicht mehr wie früher... das sollten wir uns nicht vormachen."
"Klar, ist nur die Frage, was schlimmer ist... dein Rheuma oder meine Ostheoporose..." entgegnete Annalena sarkastisch und drehte sich zu ihm um.
"Nein..." er lachte und wandte seinen Blick ab zur Straße, "aber wir sind doch mittlerweile zu träge, oder?"
"Sind wir das?" sie wandte fröstelnd den Blick wieder ab, Mark sah ihre schmalen Schultern leicht zittern.
"Du solltest vielleicht doch nochmal zurück in unsere Heimat kehren, Mark, da fragt niemand nach deiner Trägheit..."
Er hob einen Arm und zögerte.
"Vielleicht mache ich das auch nochmal..."

Ich verstand die Situation nicht

. Wir saßen dort, wie Annalena es vorgeschlagen hatte. Wie früher vor einem Supermarkt. Nebeneinander, in alberne Gespräche vertieft. Sie fror, wie früher, und ich brachte es nicht einmal zustande, näher an sie heran zu rücken. War es die Erinnerung, die so lebendig zurückkehrte, dass sie mich lähmte und meine über die Jahre hart erarbeitete Arroganz gegenüber Frauen einfach abschaltete? Oder lehnte ich jede Annäherung ab, aus Angst ich würde feststellen, dass Annalena nicht mehr das Mädchen war, das ich früher so liebte?
Ich betrachtete sie eine Weile stumm. Ich mochte ihren Tweedanzug, die Art, wie sie ihre Turnschuhe dazu trug, ihr etwas unglücklich übertriebenes Makeup, dass mehr offenbarte als es verstecken konnte. Aber die Frau, die ich vor mir sah, und die an guten Tagen mein kleines Fotoatelier nicht mehr bekleidet verlassen hätte, wollte nicht zu der Person passen, die sich dahinter versteckte, und für die zu lieben ich alles gegeben hätte.
Mir wurde klar, wie sehr ich Annalena vermisst hatte. Das ewige, heimliche, unerfüllte Warten auf eine Liebe, die nie in Erfüllung ging. Doch ich merkte auch, dass sie an Anziehungskraft verlor, sobald sie vor mir saß. Ich liebte nicht Annalena, ich liebte das Abbild, dass ich mir in meinen Gedanken von ihr erschaffen hatte. Ich wartete auf einen Geist, und so lange sie vor mir saß, drohte die Illusion, der Kern meines Hoffens auf einen Moment der Erfüllung, Risse zu bekommen. Ich stand auf. Wir hatten den Rest der Whiskeyflasche vor dem Supermarkt getrunken, und in die regenfeuchte Nüchternheit mischte sich ein brennendes Gefühl von Alkohol...

"Komm, ich bring dich noch nach Hause,"

sagte Mark.
Annalena sah zu ihm hoch und stand langsam auf. Er hatte es vorsichtig gesagt, höflich, doch beide wussten, dass er es nicht so meinte. Mark befürchtete fast, Annalena könnte glauben, dies sei nur ein plumper Versuch, in ihre Wohnung zu kommen und sie rumzukriegen, doch Annalena verstand es so, wie es gemeint war. Er wollte sie los werden, jetzt sofort.
"Ist schon gut, ich finde den Weg, es ist ja nicht weit," sie sah noch einmal zur Kneipe hinüber, um ihre offensichtliche Enttäuschung zu verbergen.
"Wirklich?" entgegnete Mark ohne näher nachzudenken, sein Kopf fühlte sich taub an, von der Kälte, vom Alkohol...
"Sicher." Annalena nahm die Whiskeyflasche. "Gute Nacht, Mark."
Sie zögerte kaum länger als ein Sekunde, drückte ihm die Flasche in die Hand und ging.
Mark sah ihr nach, wie sie die Seitenstraße hinunter in der Nacht verschwand. Dann setzte er sich wieder in den Regen. Er hatte es selbst gewollt, das Gefühl, erneut eine Chance verpasst zu haben, war alles, was er sich von diesem Abend versprochen hatte. Und das hatte er bekommen.
Trotzdem brannte es in seinem Innern. Er bemühte sich nicht, einen konkreten Gedanken zu fassen, es wäre ohnehin zwecklos, das war es bereits früher gewesen. Er saß nur da, Minute um Minute, nass bis auf die Haut und frierend. Er stellte sich vor, eine Fremde würde ihn ansprechen, sich über ihn lustig machen, wie er dort im Regen saß. Und er würde ihr seine Geschichte erzählen, sie auf einen nächtlichen Kaffee einladen und danach vergessen.
"Nein, keine Nacht für einer Bekanntschaft nach Wunsch," murmelte er zu sich selbst und stand auf. Es war eine Nacht der langen Melancholie, so tief und intensiv, wie er sie seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Kein Lachen trübte diese innere Stille, kein Zorn und kein lächerlicher Gedanke. Nur er und der Höhepunkt unerfüllter Träume. Er würde wie früher alkoholschwer nach Hause kommen, sich beim kalten Duschen vorstellen, sie wäre in seiner Nähe, nur um dann in dem zufriedenen Gefühl von Einsamkeit einzuschlafen.
Die leere Flasche stand unterdessen noch immer im Regen an der Straßenecke und wartete, dass die Nacht verginge...

Es war die Kälte,

die mich einfach nicht schlafen ließ. Als ich in meine Wohnung zurückkehrte, der noch immer jeder Hauch von Zuhause fehlte, warf ich mich auf die kahle Matratze in der Ecke. Ich schlief ein, aber erwachte Minuten später wieder. Der Wind pfiff eisig durch die Wohnung und ich war noch immer regennass. Ich stand auf und schloss die Fenster, sah dabei hinüber zum Haus auf der anderen Straßenseite. Hinter einem Fenster brannte noch Licht und eine Frau mittleren Alters stand vor einem großen Spiegel und probierte Kleider an. Ich sah ihr einige Zeit zu und versuchte mir auszumalen, was sie wohl dazu trieb. Es war viel zu spät, um noch wegzugehen...
Langsam zog ich meine Stiefel aus und die Jacke des Tweedanzugs. Mein Handy vibrierte, als eine SMS ankam. Ich drückte sie ungelesen weg und sah wieder hinüber zu der Frau. Ein Mann war ebenfalls dort in dem Raum, und er schien die Frau zu fotografieren. Ich dache an Marks kaltes Atelier und wandte mich ab vom Fenster.
Alles war kalt in dieser Nacht. Der Wind, mein Atem, meine Gedanken...

Mark brauchte drei Tage

, bis er sich wieder bei Annalena meldete. Er hatte sich zwar direkt am nächsten Tag vorgenommen, sie anzurufen, dann aber kam ein eiliger Auftrag einer kleinen Agentur dazwischen, und für zwei Tage hatte er Annalena fast vergessen.
Am dritten Tag nach ihrem Treffen hatte er frei und entschloss sich, bei ihr vorbeizugehen. Er war nicht besonders gut darin, Dinge am Telefon zu klären, schon gar nicht, wenn er nicht genau wusste, was es eigentlich zu klären gab. Sein Vater hatte ihm als Kind eingebläut, wie er am Telefon zu reden hatte, kurz, präzise und höflich, und nach einem Abend, an dem er die Eltern seiner Freunde anrufen musste um zu fragen, ob er diese zu seiner Geburtstagsparty einladen dürfe, und sein Vater dabei neben ihm stand und jedes falsche Wort mit bösen Blicken strafte, stand er mit dem Telefon als solches auf Kriegsfuß.
Als er an die Tür des Hauses kam, in dem Annalena wohnte, suchte er nach ihrem Namen auf dem Klingelknopf. Er fand ihn nicht, drückte stattdessen auf die einzige unbeschriftete Klingel. Er wartete einige Zeit, doch niemand meldete sich durch die Gegensprechanlage. Er klingelte erneut, doch wieder ohne Ergebnis.
"Zu wem wollen Sie denn?" fragte eine alte Frau, die sich mit zwei schweren Einkaufstaschen der Haustür genähert hatte.
"Zu Annalena Behrens," entgegnete er und trat einen Schritt zur Seite, um die Frau zur Tür zu lassen.
"Ach Frau Behrens," die Augen der Frau blitzten auf, "die ist in die Stadt gefahren... sie ist so nett, mir ein Buch mitzubringen, ich bin nicht mehr so gut zu Fuß, wissen Sie?"
"Ja, das klingt nach ihr..." Mark musste grinsen, sah dann aber zu der alten Frau, die auffordernd in der gerade aufgeschlossenen Eingangstür stand, "oh, ich verstehe, entschuldigen Sie, soll ich Ihnen mit den Taschen helfen?"
"Das wäre sehr nett," entgegnete die alte Frau und überreichte Mark die Taschen, "ich wohne im ersten Stockwerk."

Ich glaube, gewisse Dinge

kann ein Mensch Zeit seines Lebens nicht abestellen, egal wie sich die Lebensumstände oder die Welt im Großen und Ganzen um ihn herum verändern. Annalena war schon immer zwanghaft hilfsbereit gewesen, und sie würde es auch noch sein, wenn die herrschende Kakerlaken-Kaste nach dem Nuklearen GAU nach einer Zigarette fragen würde. Und ich würde nie das Verlangen nach dem Gefühl von Verlust abschütteln. Ein Schulfreund hat mir mal an einem Abend in einer schäbigen Dorfkneipe gesagt, dass er glaube, dass sich jeder Mensch ändern kann. Und auch wenn das bei vielen nie eintreten würde, die Chance besteht immer, und nicht daran zu glauben hieße, die Menschen als solche aufzugeben. Ich habe ihm nie völlig zustimmen können, aber irgendwann verstanden, was er mit dem Aufgeben von Menschen meinte. Ich für meinen Teil hatte mich aufgegeben. Ich war verloren an einem Punkt zwischen Flucht und Rückkehr, hatte mir beide Wege verbaut und war mir sicher, dass sich kein Ausweg daraus mehr öffnen würde.
Die alte Frau hieß Gisela Meier, ein denkbar einfallsloser Name, der zu ihrer Person passte. Sie war Münchnerin, schon immer gewesen, interessierte sich soweit für Kunst, wie ein Achtjähriger für sein Flugzeugquartett, hielt sich für furchtbar weltoffen und nervte mich bereits nach wenigen Treppenstufen mit ihrem verstockten Weltbild. Sie war nicht so schlimm wie mein Vater, vor allem weil sie Andersdenkende nicht als Verbrecher sondern immerhin noch als arme Opfer hinstellte, aber sie hätte sicher gut in eine Diskussion mit ihm gepasst. Ich widersprach ihr innerlich in jeder Hinsicht und fühlte mich dabei genauso rigoros dogmatisch.
Als Jugendlicher bin ich eines Tages abgehauen. Ich fuhr mit dem Zug nach Hamburg und schaffte es irgendwie, zwei Nächte dort in der Nähe des Bahnhofs zu verbringen, bevor ich nach Hause zurückfuhr. Ich habe mir ausgemalt, dass mein Verschwinden meinen Vater zur Besinnung gebracht hätte, dass er mich mit offenen Armen empfangen würde und seine unbeugsam idealistische Haltung als falsch eingesehen hätte. Natürlich hatte das alles nichts geändert, dennoch hatte ich eine zeitlang, während ich in Spanien lebte, die selben Gedanken. Später musste ich mir eingestehen, dass ich dieselben Fehler machte wie er, nur dass er sich mit seinem Tod der Erkenntnis darüber vollkommen verwehrt hatte.

"Hey Annalena!" Mark stand auf

und die hölzerne Treppenstufe knarzte.
"Mark..." Annalena sah überrascht auf. Die Art, wie sie zusammenzuckte, fand Mark merkwürdig. Sicher hatte sie ihn hier nicht erwartet, doch ihre Reaktion war übertrieben heftig.
"Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken..." er drückte auf den Lichtschalter neben dem Treppenaufgang und dämmriges Licht erhellte den Flur.
"Nein, ich habe mich nicht..." sie schüttelte energisch den Kopf, "was machst du hier?"
"Ich wollte mich entschuldigen... weil ich dich nach Hause geschickt habe..." er wünschte sich plötzlich, er hätte ihr irgendwas mitgebracht, Blumen, oder was pflichtbewusste Männer sonst zu solchen Anlässen dabei haben.
"Oh... schon gut," Annalena machte einen fahrigen Eindruck, als hätte sie nicht richtig verstanden, was Mark sagen wollte.
"Wirklich?" Mark sah zur Haustür, die sich erneut öffnete, als ein Mann in einem schlecht sitzenden grauen Anzug hereinkam, "hör mal, ich war ein Arsch, das weiß ich, ich..." er nickte dem Mann im Anzug einen kurzen Gruß zu, als dieser zu seinem Briefkasten ging.
"Wollen wir darüber vielleicht in Ruhe reden...?" er deutete zur Treppe, "bei dir?"
"Nein!" entgegnete Annalena hastig, "also... ja, aber nicht bei mir. Meine Wohnung sieht furchtbar aus..."
"Achwas, so schlimm wird das schon nicht sein..." Mark musterte Annalena, irgendwas stimmte nicht mit ihr, "mich interessiert, wie du dich eingerichtet hast..."
"Ja, aber... bitte, Mark, nicht heute. An der Ecke ist ein kleines Café, gehen wir doch dahin, okay?" Annalena zog aus ihrer Handtasche ein Taschenbuch und warf es in einen der Briefkästen.
"Gut..." Mark sah ihr zu und grinste, "mit der guten Dame habe ich bereits Bekanntschaft gemacht. Ist sooo nett von dir, dass du ihr ein Buch mitbringst..."
"Hauptsache ich habe meine Ruhe vor ihr," Annalena verdrehte die Augen und lächelte vage, als sie sich zur Haustür drehte...

Sobald wir draußen vor dem Haus waren

, wirkte Annalena wieder ruhig und fast gut gelaunt. Was immer ihr in dem Hausflur diesen Schrecken versetzt hatte, der Entschluss, nicht in ihre Wohnung zu gehen, hatte ihn vertrieben. Ich nahm mir vor, später nochmal nachzuhaken, aber für den Moment war ich glücklich darüber, dass sie dadurch meine Entschuldigung so einfach angenommen hatte.
Als wir im Café saßen, erklärte ich ihr, dass der Alkohol mich an dem Abend ziemlich runtergezogen hatte. Sie meinte, es wäre ihr wohl ebenso gegangen und wir sollten die Sache einfach vergessen. Ich wusste aber, dass sie sich genausogut darüber im Klaren war wie ich, dass es nicht so einfach war, wie wir es in diesem Moment machten.
Der Nachmittag verging schnell, wir saßen in dem Café und sprachen wieder über früher, unsere Schule, unsere Freunde... Sie sagte, sie hätte die Zeit fast ebenso verdrängt wie ich, aber ich spürte, dass ihr die Dinge soviel näher waren als mir...

"Warum genau bist du eigentlich hier?"

fragte Mark irgendwann, vor den großen Fenstern des Cafés schlich bereits die Dämmerung durch die Straßen. Sie hatten sich an einen anderen Tisch gesetzt, etwas abseits der Tür, durch die nun die Abendkühle hereinzog und die Schweinwerfer der vorbeifahrenden Autos blendeten.
"Ich..." Annalena sah ihn erschrocken an.
Mark musterte sie. Vielleicht hatte er sie nur aus ihren Gedanken hochgeschreckt, aber ihr Blick glich plötzlich wieder dem aus ihrem Hausflur. Ihm war in den ruhigen Momenten des Schweigens erst eingefallen, dass er immer noch nicht wusste, was Annalena überhaupt in München machte.
"Ich arbeite hier," sagte sie langsam, diese Antwort hatte er erwartet, und sie reichte ihm nicht. Er wollte nachhaken, doch Annalena schüttelte knapp den Kopf und ergänzte: "Ich arbeite in einem Verlag... ich betreue Autoren und sowas..."
"Das klingt interessant," bemerkte Mark sichtlich überrascht und ignorierte ihren offensichtlichen Unwillen, näher darüber zu sprechen.
"Ist es auch... manchmal," Annalena sah auf die stehengebliebene Standuhr neben der Theke und griff dann erschrocken zu ihrer Tasche, "so ein Mist... ich habe ein Paket TK-Spinat gekauft, das ist jetzt sicher Matsch..."
Sie öffnete ihre Tasche und zog das Paket heraus. Die Pappverpackung wellte sich bereits.
"Oh... entschuldige, dass ich dich so überfallen habe," Mark musste wider Willen grinsen.
"Nein, schon gut, ich hab nicht mehr dran gedacht," Annalena legte das Paket vorsichtig zurück in die Tasche, "mache ich mir den eben gleich zum Abendessen... aber ich sollte jetzt los, bevor sich das Zeug in meiner Tasche verteilt."
"Klar, lass dich nicht aufhalten... hey!" Mark hob eine Hand, als Annalena erneut in ihre Tasche griff, "ich zahl schon, lass mal... sieh zu, dass du deinen Spinat nach Hause rettest."
"Danke," Annalena stand auf, "ich revanchiere mich!"
"Darauf hoffe ich," Mark kippte seinen letzten Schluck Tee runter, "am Wochenende habe ich nichts vor..."
"Trifft sich gut, ich auch nicht," Annalena blieb unschlüssig am Tisch stehen, dann deutete sie vage ein Winken an und drehte sich um...

Ich konnte noch nie gut Lebensmittel wegwerfen

, auch wenn das letzte Drittel Spinat in meinem Magen genauso verschwendet war wie im Mülleimer. Solche Dinge müssen mir von meinen Eltern früher eingehämmert worden sein. Meine Mutter hatte früher immer erzählt, wie sehr doch die armen Kinder in Afrika hungern mussten. Ich habe mich schon damals gefragt, was es den Kindern in Afrika bringt, wenn ich meinen Teller leer esse. Aber ich gehörte nie zu den Kindern, die das allumfassende Wissen von Erwachsenen entschieden anfechten.
Es war wohl erst gegen Acht, als ich neben dem leeren Spinattopf auf meiner Matratze einschlief. Eine weitere Weisheit meiner Mutter war, vor dem Schlafengehen nicht zuviel zu essen. Sie hatte damals die verheerende Kombination ihrer Ratschläge sicher nicht bedacht, aber Recht hatte sie wohl trotzdem, denn ich träumte in schlechtem Schlaf wirre Dinge, an die ich mich kaum noch erinnere. Irgendwann aber hatte ich das Gefühl wach zu sein. Ich ging hinaus auf die Straße, skurillerweise in meinem blassblauen Pyjama, der in meinem alten Zimmer irgendwo im Altkleidersack versauerte. Ich fühlte mich wie ein Schlafwandler, wenn auch ein sehr bestimmter Schlafwandler. Ich erreichte das Café an der Ecke, öffnete die Tür und sah Mark noch immer an dem Tisch sitzen, sein Zeigefinger auf den Rand seiner Teetasse tippend, genauso, wie ich ihn zurückgelassen hatte. Ich setzte mich ihm gegenüber.
'Hey Annalena' sagte er und lachte 'den Spinat gerettet?'
'Nein, ich bin nur hier, um mich zu verabschieden' entgegnete ich und fragte mich zum ersten Mal, ob ich nicht besser aufhören sollte zu träumen.
'Klar, lass dich nicht aufhalten... hey!' bemerkte Mark und hob eine Hand, als ich in den Taschen meines Pyjamas vergeblich nach meinem Geld suchte, 'ich zahl schon, lass mal... sieh zu, dass du deinen Spinat nach Hause rettest.'
'Danke...' ich stand auf, und so langsam dämmerte mir, warum ich das hier träumte, 'ich revanchiere mich!'
'Darauf hoffe ich,' Mark kippte seinen letzten Schluck Tee hinunter, 'am Wochenende habe ich nichts vor...'
'Trifft sich gut, ich auch nicht,' ich blieb unschlüssig am Tisch stehen, dann dachte ich sowas wie 'Ist ja nur ein Traum!', ging auf ihn zu und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. Er sah mich überrascht an, ich musste grinsen, dann drehte ich mich um und rannte kichernd wie ein kleines Mädchen in meinem Pyjama raus auf die Straße...

"Oh nein, nicht jetzt..."

knurrte Mark, als gegen Elf das Telefon klingelte, "Elisa, seit wann erlaubt dir dein Alter um diese Zeit deinen Ex anzurufen..."
Er musste über die eigene dumme Bemerkung lachen und legte seine Kamera weg.
"Hey!" meldete er sich.
"Mark...?"
Die Stimme am anderen war nicht Elisa. 'Außerdem klingt sie verheult,' dachte Mark, 'Elisa heult nie. Jedenfalls nicht mehr, seitdem ich weg bin...'
"Ja?" entgegnete er.
"Ich bin es, Annalena."
Stille. Mark war zu überrascht, um etwas zu sagen, Annalena wusste offenbar nicht, wie sie weitermachen sollte.
"Hm... Hey Annalena!" Mark versuchte so zu klingen, als wolle er sie bereits mit der Begrüßung aufheitern, aber so etwas war ihm noch nie gelungen, und er hätte sich die Mühe auch diesmal sparen können.
"Was ist los?" Mark sah nun doch sehnsüchtig zu seiner Kamera, die auf dem Wohnzimmertisch lag und der eindeutig problemlosere Umgang in diesem Moment war.
"Störe ich dich, machst du Fotos oder sowas?" fragte Annalena und räusperte sich.
"Nein, ich hab Zeit. Was ist los?" fragte er erneut, "hat der Spinat dich angegriffen?"
"Irgendwie schon," Annalena lachte leise, "er hat mich schlecht träumen lassen... sehr schlecht."
"Alpträume oder sowas?" fragte Mark, er versuchte sich vorzustellen, was er seinen Kindern gesagt hätte, wenn diese schlecht geträumt hatten, aber er hatte seine Kinder nie lange genug erlebt, um solche Erfahrungen zu machen.
"Ja... es," Annalena schluckte, "ach, tut mir leid, dich deswegen genervt zu haben. Das muss die Umgebung sein, die kalte Wohnung, oder was weiß ich. Entschuldige, Mark, ich klinge wie ein Kind..."
"Hey, warte!" sagte Mark schnell, als er merkte, dass Annalena auflegen wollte, "Wenn du dich fühlst wie ein Kind, dann bin ich dir was schuldig..."
Annalena schwieg, und Mark hörte etwas im Hintergrund klappern.
"Wie meinst du das?" fragte sie schließlich.
"Ich... ich glaube, ich muss dir etwas erzählen..." Mark dachte an seine Kinder, an Elisa und die Zeit in Spanien. Er hatte Annalena nichts von dieser Zeit erzählt, doch die Erinnerung an sie war immer Teil seines Lebens gewesen...

Es war spät in der Nacht

, als ich schließlich auflegte. Ich fühlte mich ausgezehrt, geschunden, als hätte man mich stundenlang durch Staub und Dreck geschleift. Annalena hatte mir zugehört, lange, geduldig. Ich erzählte ihr von meinen Eltern, von Spanien, von Elisa und meinen Kindern. Sie sagte, sie bewundere es, wie ich mich mit Elisa und den Kindern arrangiert hatte, aber ich wusste, dass sie mich für ein großes Arschloch hielt, was meine Familie betraf, und sie hatte damit auch ohne Zweifel Recht.
Doch das war kaum von Interesse. Ich hörte ihre Einwürfe und ihr gelegentliches Zureden, die Ruhe, die in ihre Stimme zurückkehrte, das stumme Lächeln, als wir uns verabschiedeten. Ich hatte meine Lebensgeschichte geopfert, um Annalena zu beruhigen. Ich wusste nicht, ob das mein Leben unbedeutend machte, oder ihm erstmals einen Sinn zu geben schien. In gewisser Weise war es aber wie damals. Nur andersrum. Früher hatte eigentlich nur sie von ihren Problemen erzählt, doch manchmal glaubte ich, dass das mir mehr half als ihr. Vielleicht war es diesmal umgekehrt?
Es fiel mir schwer, klar darüber zu denken. Ich fühlte mich leer, aber ich spürte, dass es eine Leere war, die es wert war zu füllen. Ich ließ die Kamera auf dem Küchentisch liegen und zog mir Schuhe und Jacke an. Ohne ein bewusstes Ziel kam ich unten auf der Straße an. Der Regen hatte aufgehört und Nebel zog von der Isar auf. Ich sah mich um und machte Bilder. Ohne Kamera, ohne Film, nur mit meinen Augen als Objektiv und meiner Erinnerung als Fotopapier. Der Nebel drang zwischen meinen Wimpern hindurch, legte Tränen aus Tau auf mein Gesicht...

Annalena saß noch immer

am offenen Fenster, den Kopf auf die auf der Fensterbank verschränkten Arme gelegt. Der Telefonhörer war nicht aufgelegt, das Telefon lag mitten im Raum. Ansonsten war alles ordentlich aufgeräumt. Annalena hatte die kahle Wohnung aufgeräumt, bevor sie Mark angerufen hatte. Sie wollte ihn eigentlich bitten, zu ihr zu kommen. Sie wollte, dass er ihre Wohnung sah, wollte ihm die Wahrheit sagen, doch dann hätte sie um ein Haar aufgelegt, bevor das Gespräch überhaupt beginnen konnte. Der Nebel vor dem Fenster schien sie zu tragen, als sie Mark zuhörte, Dinge erfuhr, die sie bereits wusste, die direkt von ihm kommend aber soviel mehr Gewicht zu haben schienen.
Es klingelte. Annalena schreckte hoch und stieß sich fast den Kopf am offenstehenden Fenster. Sie zögerte, wollte dann zur Gegensprechanlage laufen, hielt dann aber erneut inne und kehrte zum Fenster zurück, aus dem sie sich lehnte, um hinunter zur Haustür zu gucken. Die Person unter dem düsteren Vordach erkannte sie nicht. Erneut verließ sie das Fenster und griff nach dem Hörer der Gegensprechanlage.
"Ja?" fragte sie vorsichtig, als könne sie jemanden verscheuchen, wenn sie zu laut spräche.
"Ich bin es... Mark," klang es blechern aus der alten Sprechanalage.
Annalena wollte etwas entgegnen, drückte stattdessen aber nur den Türöffner und hörte das Summen und Klacken an der Haustür, dann Marks Schritte im Flur und auf der Treppe. Sie sah sich in der Wohnung um und hängte den Hörer der Sprechanlage ein. Panik überkam sie, was sollte sie ihm jetzt erzählen?
Ein leises Klopfen an der Wohnungstür. Annalena schob das Telefon mit einem Fuß aus der Raummitte und ging zur Tür.
"Hallo..." sagte sie leise, als sie öffnete und Mark hereinließ. Dann verstummte sie und sah ihn an. Er schien noch immer vom Nebel umgeben, das Glitzern in seinen Haaren, die funkelnden Tropfen auf seiner Kleidung. Er kam einen Schritt näher und seine Lippen zuckten kurz, als wolle er etwas sagen. Annalena griff schließlich nach seinem Ärmel und zog ihn in die Wohnung.
"Komm rein," sie schloss die Tür hinter ihm.
"Hey..." entgegnete Mark unbeholfen und ärgerte sich über seine Hilflosigkeit. Er hatte sich auf dem Weg ausgemalt, wie er bei Annalena klingeln, ihr im Flur begegnen würde, und dann...
'Und dann einfach das richtige tun...' dachte er, 'oder auch das falsche, ganz egal, nur nicht wie ein dummer Teenager rumstehen und überhaupt nichts tun.'
Er ging ein paar Schritte durch den Flur um die Situation zu überspielen.
"Es ist noch nicht besonders gemütlich..." sagte Annalena und blieb an der Tür stehen, als könne das Mark davon abhalten, die kahlen Zimmer zu sehen.
"Das macht nichts..." entgegnete Mark, verstummte aber, als er die Tür zum Wohnzimmer erreichte. Er erschrak. Eine kahle Matratze lag auf dem alten Parkett in einer Ecke des L-förmigen Raums. Die Wände waren kahl, keine Tapeten, keine Farbe, außer der Matratze stand dort nur noch ein kleiner Tisch und ein wackliger Stuhl.
"Was hat dein Vater gemacht, als er dir deine Sachen gebracht hat?" entfuhr es Mark, als er sich langsam zu Annalena drehte.
"Nichts." entgegnete sie und verschwand abrupt durch eine andere Tür.
Mark folgte ihr und kam in ihre Küche, die zwar ordentlich sauber war, aber in der außer einer Einbauküche keine weiteren Gegenstände waren. Nur ein kürzlich abgewaschener Topf stand auf der kleinen Arbeitsplatte. Annalenas Koffer lag verschlossen in einer Ecke. Seine Besitzerin stand am kleinen Küchenfenster und sah nach draußen, Mark den Rücken zugekehrt.
"Ich versteh das nicht..." begann Mark erneut und ging langsam auf sie zu, "wenn dein Vater dir deine Sachen nicht bringen konnte, warum hast du mich dann nicht um Hilfe gefragt, ich habe ein Auto, das in der Tiefgarage verstaubt und..."
"Darum geht es nicht," Annalena drehte sich um und trotz des Halbdunkels sah Mark ihre Tränen.
"Worum dann, Annalena...?" er blieb stehen.
"Mein Vater kann nicht kommen und meine Sachen bringen... es tut mir Leid, Mark, das war gelogen," sie drehte sich wieder zum Fenster, sprach aber weiter, "meine Eltern sitzen im Gefängnis... meine Sachen... sie sind alle weg..."
"Gefängnis...?" echote Mark fassungslos.
"Ja... sie haben angeblich Steuern hinterzogen... und dann wurde alles gepfändet, unser Haus... mit allem, was darin war," Annalenas Schultern zitterten.
"Oh Gott... tut mir Leid, warum hast du davon nichts gesagt?" Mark kam die ganze Situation komisch vor. Als würde er eine groteske Szene in einem Theaterstück sehen. Nur dass er dabei auf der Bühne stand, und während alle Zuschauer wussten, dass es nur ein Spiel war, durfte er nicht aus der Rolle fallen.
"Ich weiß nicht... ich habe es verdrängt, glaube ich," Annalena drehte sich erneut um und ihre Wangen glitzerten, "nachdem ich dir gesagt habe, mein Vater würde mit meinen Sachen vorbeikommen, habe ich fast selbst daran geglaubt. Ich saß dort am Fenster und wartete darauf, dass ich sein Auto sehen würde."
"Du bist zuviel alleine," sagte Mark. Er spürte, wie sich seine Rolle in diesem Theater entfalten wollte, doch sie stieß sich an irgendetwas. Er konnte nicht sagen woran.
"Einsamkeit ist nicht gut..." Mark fiel auf, wie dumm diese Bemerkung war. Er gab sich einen Ruck und ging auf sie zu, sah sie kurz an, gerade lange genug, damit das Theaterpublikum Zeit hatte, sich auf die Wendung in der Szene einzustellen, dann nahm er sie in den Arm...

Wir standen lange wortlos da.

Ich war mir nichts sicher, ob er mir meine Geschichte geglaubt hatte. Ich selbst hätte sie wohl für großen Unsinn gehalten, aber mir fiel in diesem Moment nichts besseres ein. Hätte ich ihm die Wahrheit sagen sollen? Die Wahrheit wäre lächerlich gewesen, vermutlich hätte er mich nur schief angesehen und stehen lassen wie an dem Abend vor dem Supermarkt. Außerdem waren meine Tränen echt. Ich war verwirrt an dem Abend, steckte tief im Dunkel, nicht sicher, was ich mir eigentlich von meinem Verhalten versprach.
Mark versprach mir, die nächsten freien Tage vorbeizukommen und mir beim Tapezieren zu helfen. Eigentlich nahm er eher mir das Versprechen ab, dass ich ihn helfen lassen würde. Ich war froh, dass er das Gespräch auf meine Wohnung lenkte und nicht mehr auf die Geschichte mit meinen Eltern zurückkam. Er blieb bei mir, bis ich irgendwann einschlief. Ich weiß nicht mehr wo und wie, aber als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich in meine Wolldecke gewickelt auf der selben Matratze in dem selben kahlen Raum, noch immer in meinen Kleidern vom Vortag. Ich fühlte mich zerschlagen und matt, als ich ins Badezimmer schlurfte um zu duschen. Aber die Wohnung wirkte an diesem Morgen freundlicher als sonst. Schuld daran war wohl auch die Sonne, die hell über den staubigen Boden schien.
Während ich mir das warme Wasser auf die verspannten Schultern prasseln ließ, dachte ich zum erstenmal darüber nach, was ich meinen Eltern angetan hatte, als ich Mark diese Geschichte erzählte. Meine gute Laune verflog. Ich wollte es machen wie Mark, wollte weg von Zuhause, 'fliehen' wie er es nannte, doch ich musste einsehen, dass ich nicht annähernd so gute Gründe hatte wie er. Dass ich meinen Eltern diese Geschichte angedichtet hatte - selbst wenn sie wohl nie davon erfahren würden - war ein Versuch gewesen, mir selbst einen Grund für mein Weglaufen zu schaffen. Doch Mark hatte die Geschichte offenbar kaum geglaubt, wie sollte ich mich damit selbst überzeugen?

"Warum hast du eigentlich niemand

anderem davon erzählt?" wollte Mark einige Tage später wissen. Er stand auf der klapprigen Trittleiter und sah zu Annalena, die Tapetenkleister anrührte.
"Was?" rief sie ihm entgegen.
"Warte..." Mark stieg von der Leiter und ging zu dem kleinen CD-Player, den sie am Vortag auf einem kleinen Flohmarkt gekauft hatten. Er drehte den etwas zu blechern klingenden Neil Young leiser.
"Warum hast du eigentlich niemandem sonst davon erzählt?" wiederholte Mark, "von dem, was mit deinen Eltern passiert ist..."
"Wem hätte ich das erzählen sollen?" entgegnete Annalena und konzentrierte sich auf den Kleister.
"Freunden zum Beispiel..." Mark ruckelte an der Leiter, die er als nicht besonders vertrauenswürdig einstufte.
"Ha!" Annalena stocherte mit dem alten Holzlöffel im Kleister herum, "ich habe da keine Freunde mehr..."
"Du?" Mark musste lachen.
"Ja, ich." entgegnete sie eingeschnappt.
"Entschuldige..." Mark zog eine kleine Rolle Isolierband aus der Tasche und versuchte, die Leitergelenke zu stabilisieren, "aber früher..."
"Ja, früher," Annalena schüttelte den Kopf, "aber heute hält mich da nichts mehr..."
Mark sah auf und dachte darüber nach, wie krampfhaft Annalena betonte, dass sie von ihrer alten Heimat nichts mehr wissen wolle, seit er sie wiedergetroffen hatte.
"Du klingst genauso unvernünftig wie ich damals," gab Mark betont beiläufig zurück. Jetzt war es Annalena, die innehielt.
"Wieso unvernünftig? Du hast dein Leben doch bestens in die Hand genommen..."
"Achja? Was habe ich denn in den Griff bekommen? Eine Familie, die ich verlassen habe, Eltern, mit denen ich mich aus Sturheit zerstritten habe, eine Heimat, die ich hasse, weil ich mir einbilde, dass sie mich nie wollte..." Mark schüttelte den Kopf, "ich bin einfach abgehauen und habe mir bis heute nur Gedanken um mich selbst gemacht, und es grade soweit gebracht, dass ich mich ohne größere Hilfe von anderen über Wasser halten kann..."
"Du opferst eine ganze Nacht für ein dummes, eigensinnigs Kind, das von zu Hause weggelaufen ist," entgegnete Annalena ruhig und starrte in den Kleister. Mark sah sie an und sein Ärger verflog.
"Und du glaubst, das wäre völlig selbstlos gewesen?" er lehnte sich an die Fensterbank.
"Genauso wie die ganzen Nächte damals, als du mir zugehört hast, ja," Annalena sah auf, "ich hatte damals viele Freunde, eine gute Familie, keine Sorgen in der Schule... und trotzdem habe ich dich nächtelang zugelabert, obwohl deine Probleme doch die größeren waren..."
"Waren sie nicht," Mark musste lachen, was Annalena verwunderte, "für mich war doch alles klar... die Leute finden mich Scheiße, also darf ich das auch. Ich hatte so etwas wie ein Feindbild und musste mich nur daran halten. Ich wusste, was ich nicht werden wollte... so einfach war das."
Annalena begnügte sich mit einem Nicken, und vorerst blieben sie bei belanglosen Gesprächen über die richtige Art zu tapezieren...

Wie ich schon sagte:

Für mich war die Rückkehr unmöglich, für Annalena die Flucht. Sie versuchte es, das merkte man ihr an, aber sie würde früher oder später einsehen müssen, dass sie an ihren Heimatort gebunden war. Ich fragte mich oft, ob es etwas zwischen den Polen "an die Heimat gekettet" und "wurzellos" gab. Wenn ich mir die Welt vorstelle, dann gibt es die Menschen, die sich bewegen, und die, die resigniert haben und stehengeblieben sind. Ich habe mich lange sinnlos bewegt, letztlich bin ich stehengeblieben, an einem beliebigen Ort, in meinem persönlichen Exil.
Oft habe ich darüber nachgedacht, ob die Menschen nicht glücklicher sind, die sich gar nicht erst auf die Wanderung begeben, die von Anfang an wissen, dass sie an diesem Ort bleiben werden. Doch wehe, die Menschen, denen dies vorbestimmt ist, stellen das in Frage, dann ergeht es ihnen wohl so wie Annalena...

"Warum bist du eigentlich ausgerechnet

in München gelandet?" fragte Mark, als sie eines Abends an der Bar in einem Club nahe des Hofbräuhauses saßen.
"Ich habe hier einen guten Job gefunden," entgegnete Annalena und zog das kondenswassernasse Etikett ihres gekühlten Bieres von der Flasche. Mark nickte. Sie hatten sich ein paar Tage nicht gesehen. Annalenas Wohnung war fertig tapeziert, sie hatten ihr einige Möbel besorgt und den Inhalt ihres Koffers möglichst weit über die Wohnung verteilt. Sie sah noch nicht sehr nach Zuhause aus, fand Mark, aber immerhin besser als noch vor einer Woche. Mark befürchtete fast, dass sich ihre Freundschaft eingependelt hatte, dass sie normal geworden war, und dass machte ihm Angst.
"Ich muss mich noch für deine Hilfe revanchieren," Annalena ließ das Flaschenetikett in den Aschenbecher neben ihre leere, zerknüllte Zigarettenschachtel fallen.
"Ach was, ich war froh, dass ich was zu tun hatte," wehrte Mark ab, glücklich darüber, aus seinen Gedanken gerissen zu werden.
"Nein, trotzdem," beharrte sie und verzog das Gesicht, "willst du dich heute Abend noch bewegen?" sie deutete zur Tanzfläche vor der kleinen Clubbühne, "ansonsten können wir auch irgendwohin gehen, wo man nicht gegen die Musik anschreien muss..."
...
Draußen empfing sie eine weitere ungemütlich nasskalte Nacht. Als die Musik dumpf hinter den zufallenden Türen verschwand, zog Annalena ihre Mütze aus der Manteltasche und sah sich unschlüssig um.
"Ich kenne da eine nette Kneipe," Mark deutete die Straße hinunter Richtung Osten, "hast du Hunger?"
"Wenn du so fragst..." entgegnete Annalena.
Sie gingen ein Stück durch die verwaiste Münchner Innenstadt. Von der Maximilianstraße drang bei jeder kreuzenden Gasse das Geräusch der Autoreifengischt herüber, doch ansonsten war es still, bis sie die Kneipe erreichten. Drinnen war kein Tisch mehr frei, und draußen Stand nur ein einzelner Tisch unter dem kleinen Vordach der Kneipe, an dem ein junger Mann mit dickem Wollpullover und Mütze saß, rauchte und 'Salka' vor sich hin pfiff.
Sie blieben einen Moment unschlüssig im Eingang stehen, dann zuckte Annalena mit den Schultern und ging zu dem Tisch unterm Vordach: "Tschuldigung, dürfen wir...?" sie deutete auf die freien Stühle.
"Klar," entgegnete der Rauchende, "Platz genug..."
"Danke," Annalena rückte zwei Stühle zurecht und sie setzten sich.
"Das Lied eben kannte ich..." bemerkte Annalena.
"Hm...? Achso," der Rauchende und ehemals Pfeifende grinste, "das ist gut so..."
"Ich hoffe, dir wird nicht zu kalt," meldete sich Mark zu Wort, hauptsächlich um wieder ins Gespräch zu finden.
"Wir saßen vor kurzem noch gemeinsam im Regen," entgegnete Annalena, "erinnerst du dich?"
"Ja, aber da hatten wir wärmenden Whiskey..." Mark warf einen Blick auf die Karte, "ob wir hier draußen bedient werden?"
"Nur wenn ihr laut schreit," antwortete der Rauchende, "von alleine will keiner hier raus," er drückte mit einem Lachen seine Zigarette aus und stand auf, "aber ich wollte eh grad rein, ich schick euch mal jemanden..."
"Danke," Mark sah ihm nach, dann wieder zu Annalena, "wolltest du mir nicht vorhin erzählen, wie du dich revanchieren willst?"
"Ach, du hast das doch gar nicht für nötig gehalten..." Annalena lachte, "nein, aber im Ernst... ich würde gerne wissen, was ich für dich tun kann..."
"Hm..." Mark dachte nach. Ihm fiel nicht viel ein, außer Dingen, die er ihr nicht sagen konnte. Früher hätten sie keine Sekunde gezögert und ein solches Thema für dumme Anspielungen missbraucht. Warum waren die Dinge so kompliziert geworden? Früher wäre seine vorprogrammierte Antwort sowas wie "Hemmungsloser Sex!" gewesen, und beide hätten trotz der Vorhersehbarkeit darüber gelacht, aber jetzt...
"Fällt dir gar nichts ein?" Annalena sah zur Tür der Kneipe, "früher hättest du doch sofort eine Antwort gefunden..."
"Hör auf meine Gedanken zu lesen," Mark musste lachen, "früher war das alles aber auch noch ein Spiel."
"Das ganze Leben ist ein Spiel..." entgegnete Annalena.
"...ein Quiz!" stellte die Bedienung richtig, die unverhofft an ihrem Tisch aufgetaucht war.
"Was...?" Annalena drehte sich um.
"Das ganze Leben ist ein Quiz muss es heißen, und ihr dürft mir jetzt die Lösung auf die Frage verraten, was ihr zu trinken haben möchtet," die Bedienung zückte ihren Notizblock.

Wir sprachen an dem Abend

nicht mehr darüber, wie ich mich revanchieren könnte, Mark wollte darüber nachdenken. Erst als ich später halb betrunken in meinem Bett lag, fiel mir etwas ein. Ich stand auf, krabbelte die zwei Schritte zum Telefon und rief Mark an. Als er sich meldete, klang er verschlafen.
"Hab ich dich geweckt?" fragte ich ihn und unterdrückte ein Lachen.
"Nö, ich war noch wach..." Das war natürlich gelogen, das hörte man ihm an.
"Ich weiß jetzt, wie ich mich revanchieren kann..." ich zögerte kurz, aber mein Entschluss stand, und ich musste es ihm sagen, solange ich noch genug Alkohol im Blut hatte.
"Ach...?" plötzlich klang er hellwach, oder ich bildete mir das ein...
"Ja, ich will für dich Model sein. Für Fotos... oder wie man das beim Fotografieren nennt..." mich überkam plötzlich der Gedanke, dass es vielleicht etwas anmaßend wäre, sich selbst als Modell anzubieten und das auch noch als Gefallen hinzustellen, doch Mark schien das offenbar so zu sehen.
"Das ist eine gute Idee... um ehrlich zu sein, ich wollte dich eigentlich schon fragen..." er klang tatsächlich begeistert.
"Schön, dass du das so siehst," entgegnete ich erleichtert, "schlaf gut, wir telefonieren morgen, okay?"
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, entschied ich, dass es doch besser wäre, nicht in meinem Mantel zu schlafen, Ich schleppte mich ins Bad und schaufelte kaltes Wasser in mein Gesicht, bis ich wieder einigermaßen klar war. Ich zog mich aus und stellte wieder fest, dass ich meinen alten Pyjama vermisste. So aber huschte ich nackt über den Flur zu meinem Bett und kam an dem großen Spiegel vorbei, den ich einige Tage vorher an die Wand geschraubt hatte, während Mark auf die Nützlichkeit einer Wasserwaage verwies, weil er meinte, der Spiegel sei schief.
Ich blieb stehen und musterte mich kritisch. Mein Spiegelbild drehte sich noch immer leicht, trotz des kalten Wassers. Ich fragte mich, ob Mark mit der Wasserwaage recht gehabt hatte, oder ob mein leicht verschwommener Blick Schuld daran war, dass der Spiegel so schief aussah. Ich musste einsehen, dass ich weder vom Spiegel noch von mir in dieser Nacht ein klares Bild haben würde, zudem wurde mir kalt, also ging ich zum Bett zurück. Ich hatte mir am Vormittag ein Federbett gekauft, doch das lag noch immer unbezogen in der Zimmerecke, so dass ich mich für eine letzte Nacht in meine alte Wolldecke wickelte und schließlich einschlief...

"The meeting point of our history,

impressions of life, confusion is rife..."
Annalena schob die halbvolle Müslischale von sich, während sie der schon langsam leiernden Kassette in ihrem alten Walkman zuhörte. Sie drückte die Stop-Taste und warf den Kopfhörer achtlos auf die Tischplatte. Sie fühlte sich nicht besonders gut, was nicht unbedingt am Alkohol lag. Sie war aufgestanden und in ihre Wolldecke gehüllt erneut zum Spiegel gegangen, wie schon in der Nacht nach dem Telefonat. Als sie sich sah, ihre vom Schlaf zerzausten Haare und die leicht geröteten Wangen, die sie immer bekam, wenn sie zum Alkohol zu wenig Wasser trank, begann sie, ihren Vorschlag der letzten Nacht zu bereuen. Sie wickelte sich aus der Decke und hängte mit dieser den Spiegel ab, dann ging sie zum Tisch und machte sich eine Schale Müsli.
Das Telefon klingelte. Annalena nahm ab. Es war ihre Mutter. Sie hörte ihr einige Minuten zu, sagte selber aber nichts und legte schließlich auf. Danach blieb sie starr sitzen und starrte auf das Telefon, bevor sie ein Küchenmesser nahm und sich damit in den Oberschenkel schnitt. Sie zuckte auf, es dauerte einen Moment, bis der Schmerz sie erreichte. Zischend zog sie die Luft ein, dann sprang sie auf und lief ins Bad, um die Blutung zu stillen...

Der Anruf meiner Mutter

traf mich genau im falschen Moment. Ich hatte an diesem Morgen das Gefühl, durch meinen nächtlichen Anruf bei Mark einen Schritt weiter gegangen zu sein, als ich wollte. Ich fühlte mich unsicher, als ich erwachte. Unsicher und nackt, als hätte ich vom gnadenlosen Objektiv eines Fotoapparats geträumt, während ein unbarmherziges Blitzlicht bis tief in meine Seele drang. Ich verhängte den Spiegel und wollte mir etwas anziehen, doch das Gefühl des Ausgeliefertseins ergriff mich für einen Moment, und während ich am Tisch saß und auf die Decke vor dem Spiegel starrte, legte sich die Unruhe in mir.
Doch gerade da rief meine Mutter an und konfrontierte mich mit meiner Vergangenheit, die erst wenige Tage zurück lag. Ich antwortete nicht, das habe ich nie, seitdem ich meine Heimat verlassen habe, es war meine einzige Chance, mich davon loszusagen. Doch je länger sie redete, mir von ihrem Alltag erzählte, nicht sicher, ob ich ihr zuhören würde, als rede sie mit einem Komapatienten, wuchs die Angst wieder. Die Angst vor den Blicken und Stimmen, vor dem Blitzlicht und dem, was es enthüllen könnte.
Der Schnitt war nicht besonders tief, doch als ich im Bad stand und meine Gestalt vor dem nicht verhangenen Spiegelschrank sah, müde, nackt und verletzt, da regte sich mein entschlossener Wille wieder - oder war es Trotz? Ich war den Weg bis hierhin gegangen, und kein schlechter Traum und kein ungewolltes Telefonat konnten mich aufhalten.
Nach dem Duschen betrachtete ich mich erneut im großen Spiegel, von dem ich die Decke abgenommen hatte. Ich drehte mich leicht zur Seite, so dass der Schnitt in meinem Bein nicht zu sehen war. Es war wohl dieser Moment, an dem ich entschloss, mit Mark schlafen zu wollen. Der Entschluss kam plötzlich aber nicht unerwartet, und er formte sich nüchtern, fast emotionslos. Es war der Schritt, der mir noch bevor stand. Und ich wusste seit einigen Tagen bereits, dass ich ihn gehen würde...

"Erzähl mir von den Fotos

, die du machst?" Annalena lehnte sich mit ihrem Glas Whiskey zurück, während Mark sich nach dem Tischabräumen wieder setzte. Sie hatten sich in seiner Wohnung getroffen und gegessen, nachdem Mark sie mit dem lapidaren Kommentar "Wenn ich für uns beide koche, sparst du dir das Töpfe abwaschen" spontan eingeladen hatte.
"Du meinst nicht die beruflichen, oder?" fragte Mark um Zeit zu gewinnen.
"Nein, natürlich nicht..." Annalena fragte sich, ob es am Whiskey lag, dass sie sich an diesem Abend so sicher fühlte, "ich muss schließlich wissen, was auf mich zukommt..."
"Hmmm..." Mark sah auf sein Glas, er hatte sich vorher vorgenommen, es mit Annalena so zu machen, wie mit den anderen unzähligen Frauen, die zu ihm gekommen waren, um sich fotografieren zu lassen. Bestimmt, selbstsicher... Ihm hätte klar sein müssen, dass das bei ihr nicht funktionierte.
"Keine Angst, ich verzichte in der Regel auf kitschige Hintergrundposter wie karibische Sonnenuntergänge oder die Akropolis," begann er die Bilder in seinem Kopf von hinten aufzurollen.
"Ich wäre auch nie darauf gekommen, dass du so etwas verwendest," mit einem Lachen stand Annalena auf und deutete zum Flur, "ich wette, du hast so etwas nichtmal."
Sie ließ ihm gar nicht erst die Zeit zu einem Einwand und ging durch den Flur in das kleine Fotostudio. Mark folgte ihr deutlich zögernd und lehnte sich - sein Glas Whiskey noch immer in der Hand - in den Türrahmen.
"Na los..." Annalena stand nun doch etwas verunsichert in der Mitte des Raumes und sah ihn an, "du solltest jetzt dein Fotografen-Ding machen... Sowas wie 'Bitte lächeln!' oder 'Den Kopf etwas nach links'..."
"Annalena," Mark musste grinsen, als sein raubtierhaftes Fotografen-Ich bei ihrem verloren wirkenden Anblick kurzzeitig erwachte, "normalerweise schicke ich das Fotomodell erstmal ins Bad, im Spiegelschrank links unten sind Lippenstifte, Mascara... all das Zeug, was ich privat eher weniger nutze. Währenddessen bereite ich das Studio vor..."
"Gut," Annalena zuckte mit den Schultern und überhörte das 'normalerweise', "dann will ich mal sehen, ob für mich etwas dabei ist..."
"Und im Schrank in der Ecke hängen Bademäntel..." ergänzte Mark möglichst beiläufig, als sie am Ende des Flurs verschwand.

Als ich die Tür zum Badezimmer

hinter mir schloss, spürte ich meinen Herzschlag ungewohnt heftig. Ich wusste, dass auch er sich im Klaren war, dass wir hier von Aktfotos redeten. Aber ich hatte gehofft, er hätte mir aus reiner Routine einen eindeutigen Hinweis gegeben. Aber was hatte ich erwartet? Dass er mit seinem Whiskey in der Tür lehnt und "zieh dich aus, gibt Fotos!" sagt? Vielleicht war der Hinweis auf den Bademantel für professionelle Models Hinweis genug, aber ich fühlte mich unsicher, als ich schließlich meine Kleider über einen Hocker legte und mich - wie schon bedenklich oft in letzter Zeit - im Spiegel betrachtete.
Für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich alt. Nicht älter, als ich war, aber eben genauso alt, und das erschreckte mich. Wir benahmen uns beide, als wären wir sechzehn und würden gerade unser erstes Mal planen. Ich hatte seit Längerem aufgegeben, mich wirklich meines Alters entsprechend zu verhalten, daran hatte auch das Arbeitsleben nichts geändert. Trotz gutem Job sehnte ich mich immer wieder nach einer Arbeit als Bedienung in einer Bar oder nach ähnlichen Dingen, die man während des Studiums machte. Es war unverfänglich, man musste sich nicht festlegen.
In den letzten Jahren hatte ich oft an Mark gedacht, an seine Art immer das zu tun, wonach ihm der Sinn stand, diese jugendliche Leichtigkeit. Ich hatte geglaubt, er könne mir sagen, wie man damit durchs Leben kommt, doch als ich ihn endlich traf, musste ich feststellen, dass er soviel mehr erlebt hatte und so viel mehr daran gewachsen war. Für ein paar Stunden war ich enttäuscht darüber. Ich hatte mein Leben komplett umgestellt, gegen jeden guten Ratschlag meiner Familie und alten Freunde, nur um ein Ideal zu treffen, dass sich auch nur als Mensch entpuppte. Im Nachhinein erschien es mir unverständlich, dass mich das überraschen konnte.
Wahrscheinlich hatte ich durch die Begegnung mit Mark in der Zwischenzeit gelernt. Das begann mit der Einsicht, dass auch - oder gerade - er nicht ohne Zwänge war. Das Leben zwingt uns einen Weg auf, den wir gehen müssen, eine freie Wahl ist uns wahrscheinlich gar nicht möglich. Er ist damals nicht gegangen, weil er es so entschieden hatte, sondern weil seine Heimat ihn vergraulte. Und schließlich ist mir das selbe passiert, nur später und aus anderen Gründen. Vielleicht fiel es mir nur soviel schwerer, weil ich Freunde dort hatte. Und eine Familie. Eltern, die mir eigentlich viel bedeuteten, und die ich nun ohne einen Grund zu nennen verlassen hatte. An die Lüge über sie Mark gegenüber wollte ich gar nicht erst denken.
Instinktiv strich ich über die Schnittstelle an meinem Bein, die noch immer nicht ganz verheilt war. Ich suchte nach einem Abdeckstift und überdeckte die Stelle so gut es ging. Glücklicherweise lag diese soweit an der Innenseite des Beins, dass sie nicht so leicht auffallen sollte. Und wenn doch... ich hatte mir einige Erklärungen zurecht gelegt, falls Mark danach fragen sollte. Allerdings klang eine alberner als die andere...

Mark hatte, seitdem er

zu fotografieren begann, immer nach der Natürlichkeit der Dinge gesucht. Schnell hatte er es jedoch aufgegeben, das perfekte Bild in der Natur oder seiner Umgebung zu machen. An Motiven mangelte es ihm nicht. Er konnte sich fast für jedes Detail und jede Landschaft begeistern. Doch nie gelang es ihm in einem Bild das festzuhalten, was er in diesem Moment empfand. Er fokussierte sich mit der Zeit auf Frauen. Nicht nur Aktfotos, auch Porträts, denn hier stand das Foto ganz am Anfang. Er hatte kein großes Interesse daran, die Frauen, die er ablichtete, vor dem Shooting näher kennenzulernen. Er machte Bilder von ihnen, betrachtete sie und fasste dann ein festes Bild.
Er hatte Frauen fotografiert, die reserviert und unterkühlt zu ihm kamen, um dann aufzublühen, wenn ein Objektiv auf sie gerichtet war. Mark vermied es in der Regel, mit solchen Frauen Sex zu haben, den er hatte das Gefühl, sie hätten sich bereits zu intensiv seinem Objektiv hingegeben.
Andere waren Selbstsicher bis zu dem Punkt, an dem er die Objektivkappe abnahm. Er mochte diese Frauen, sie sahen ihn an wie einen Entdecker, der ihnen völlig neue Welten zeigte. Diese Frauen versuchte er normalerweise ins Bett zu kriegen, auch wenn er sich bewusst war, dass sein Entdeckerstatus dann meistens verflog.
Aber eigentlich suchte Mark immer nach der Frau, die sich gar nicht fotografieren lassen wollte. Die Frau, der jede Kamera und jeder Blick egal war, die seinen Fotos kein festes Bild geben konnte, sondern so schwer zu fassen war, wie die Magie der Details in der Natur. Doch er hatte niemals erwartet, so etwas wie Natürlichkeit festzuhalten, wenn er in einem Atelier Menschen in gestellter Pose vor einem schwarzen Hintergrundvorhang fotografierte...

Annalena war perfekt.

Nicht die klassische Schönheit, die jeder routinierte Fotograf auf der Straße suchte. Sie stellte sich ein wenig ungeschickt an, drehte sich nicht besonders vorteilhaft zur Kamera, und unter anderen Umständen hätte ich wohl nach zehn Minuten entnervt den Fotoapparat zur Seite gelegt, doch nichts davon war von Bedeutung. Sie legte zögernd den Bademantel ab, strich dann kritisch über ihren leicht gewölbten Bauch und beschwerte sich, dass ich ihr vorher Essen gegeben hatte.
Ich versuchte ihr einige Anweisungen zu geben, wie sie posieren sollte, doch schnell ging ich dazu über, sie dabei zu führen, ihren Beinen in die richtige Haltung zu helfen, mit einer leichten Berührung am Kinn ihren Kopf noch etwas zu drehen. Die Fotografien wurden zur Nebensache. Das Gefühl ihren Körper zu führen, die Situation zu kontrollieren, die mir doch in Wahrheit längst entglitten war, ergab ein Bild, das ich niemals hätte festhalten können. Es war wie ein Tanz...

"Es war wie Sex."


Annalena fügte nur diesen einen Satz dem langen Brief hinzu, den sie seit ihrer Ankunft in München schrieb, und dessen Empfänger noch nicht gefunden war. Es waren lange Absätze seitdem zusammengekommen, die sie meistens nachts und unter dem Einfluss düsterer Gedanken geschrieben hatte. Doch an diesem Abend beließ sie es bei diesem Satz.
Es war wie Sex. Sie hatte sich nach dem Shooting angezogen, hatte noch einen Whiskey getrunken und sich dann auf den Heimweg begeben. Mark hatte sie noch ein Stück begleitet und war dann an der Isar abgebogen um ein Stück Nachtluft zu atmen, wie er sagte. Sie stellte sich vor, er wäre nun auf der Suche nach einer anderen Frau, die er routiniert fotografieren und flachlegen wollte, und ihr gefiel der Gedanke, denn sie war sich sicher, er würde dabei an sie denken.
Zu Hause hatte sie sich auf ihr Bett geworfen und eine ganze Weile dort im Dunkeln gelegen und an das Shooting gedacht. 'Es war wie Sex.', dachte sie zum ersten Mal und knöpfte sich langsam ihre Strickjacke auf...

Ich hatte mich erkältet.

Die Wohnung war nach wie vor zugig, und es hatte sich wieder deutlich abgekühlt in München. Mir war heiß, als ich nur halb von der Bettdecke zugedeckt einschlief, und kalt, als ich spät am nächsten Vormittag aufwachte. Meine Kleidung lag achtlos neben dem Bett, und trotz der spärlichen Einrichtung, sah das Zimmer unordentlich aus. Doch ich hatte keine Lust, mich zu bewegen und aufzuräumen. Ächzend wie eine alte Frau richtete ich mich auf, zog mir das Federbett um die eiskalten Schultern und schleppte mich in die Küche, um mir Müsli zu holen, denn schlimmer noch als Kälte und Trägheit war nur mein Hunger.
Ich setzte mich zurück auf das Bett und rührte nachdenklich durch die Müslischale. Ich hatte mich fast ein wenig erschrocken, als ich letzte Nacht an die imaginäre Frau in Marks Bett dachte, während ich es mir selbst machte, doch ich schob es auf den Whiskey und schließlich verlor ich mich so in einem Strudel aus Gedanken, dass ich erschöpft einschlief.
Trotz aller Trägheit und Kälte, trotz des Kratzens im Hals und der verkühlten Gelenke, ich fühlte mich so ausgeschlafen wie seit Langem nicht mehr. Ich philosophierte in Gedanken einige Zeit über die erstaunliche Wirkung von Glückshormonen und entwickelte mindestens zehn umwerfende Geschäftsideen, wie damit Geld zu machen war, dann zwang ich mich dazu, die Klamotten des Vortages wegzuräumen und ins Bad zu gehen.
Mark klingelte, als ich mich gerade angezogen hatte, und erst da fiel mir wieder ein, dass er mich Mittags abholen wollte, um mir etwas mehr von der Stadt zu zeigen. Ich zog mir noch einen dicken Strickpullover über, denn draußen war es sonnig und klar, aber saukalt, und ließ ihn in die Wohnung...

"Hat dir die Nachtluft gestern

noch gut getan?", erkundigte sich Annalena, während sie mal wieder eine Getränkekarte studierte. Sie hatte das Gefühl, Mark hätte ihr in den letzten Wochen jedes einzelne Café im Stadtgebiet gezeigt, doch immer wieder kannte er eines, das sie unbedingt gesehen haben musste, und in dem sie noch nicht gewesen war. Annalena stellte sich vor, dass Mark als Kind ein Café-Quartettspiel besessen haben musste. Sie fand den Gedanken sehr plausibel, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass Mark der Typ für ein Tier- oder Monster Truck-Quartett gewesen war.
"Den Alkohol hat sie verscheucht", entgegnete er, "aber verdammt kalt war es."
"Ist es immer noch", Annlena zog sich ihren Schal zurecht, "und hast du noch interessante Begegnungen gehabt?"
Das war ungeschickt, und Annalena war das auch sofort bewusst.
"Begegnungen?", Mark lachte, "nein, ich war ganz alleine, als ich nach Hause kam, falls du das meinst."
"Das wollte ich gar nicht sagen", log sie und zwang sich zu einem Lachen. In Wahrheit aber war sie darüber enttäuscht, und das erschreckte sie mehr als die Gedanken der letzten Nacht.
"Und selber?" revangierte sich Mark lapidar, "noch Spaß gehabt...?"
Annalena spürte, dass sie rot wurde, doch glücklicherweise kam in diesem Augenblick eine verschlafen wirkende Bedienung an ihren Tisch geschlurft und nahm die Bestellung auf.
"Mark, darf ich dich mal ganz direkt etwas sehr privates fragen?" begann Annalena erneut, nachdem sie sich während der Bestellung gesammelt hatte.
Mark nickte nur interessiert.
"Da du ja beruflich eher andere Aufnahmen machst, fotografierst du doch wahrscheinlich hauptsächlich schöne Frauen, die du dir ausgesucht hast, oder?"
Mark nickte wieder.
"Kommt es dann nicht hin und wieder vor, dass deine Models in deinem Bett landen?"
"Mit einigen schaffe ich es gar nicht bis dahin ...", versuchte Mark das Thema mit einem lockeren Spruch zu überspielen.
"Ich meinte das auch eher im übertragenen Sinne ... schläfst du mit ihnen?"
"Das war mir schon klar", entgegnete Mark nun etwas ernsthafter, "darf ich die Antwort verweigern?"
"Nicht notwendig", Annalena kam auch so zu ihrem Ziel, "ich wollte nur wissen, ob man sich zu doof angestellt hat, wenn man deine Wohnung nach einem Shooting ungevögelt verlässt. Und ich warne dich! Erzähle mir jetzt nichts von Respekt und sowas. Ich fühle mich als Frau nicht unbedingt respektierter, wenn der Mann gnädigerweise davon absieht mich zu ficken."
Mark lacht lauthals los, was Annalena aus dem Konzept brachte.
"Was denn?" Sie drehte ärgerlich ihren Kaffeebecher in den Händen und wähnte sich nun doch auf dünnem Eis.
"Nichts, entschuldige", gab Mark zur Antwort, "du siehst nur jetzt gerade sehr süß aus, mit deinem großen Kaffebecher, dem dicken Pullover, der roten Nasenspitze und dem widerspenstigen Schal, klingst aber wie aus einem Tarantino-Film.
Annalena verzog beleidigt das Gesicht.
"Ich nenne die Dinge eben gern beim Namen." Sie fuhr mit einem triumphierenden Grinsen fort: "Und du, mein Lieber, du weichst meiner Frage aus."
Mark verstummte, doch ein Lachen blieb auf seinem Gesicht.
"Was soll ich dir darauf antworten? Ich habe nicht bewusst die Entscheidung getroffen, dich zu verschonen, weil ich dich überaus respektiere, aber vermutlich hat die verknöcherte gesellschaftliche Prägung tief in meinem Unterbewusstsein so gehandelt. Es tut mir leid." Er betrachtete sie und stellte zum ersten Mal an diesem Tag fest, dass die Natürlichkeit, die er gestern an ihr erkannt hatte, sie zu einem unglaublich schönen Menschen machte. "Wenn du wüsstest, wie leid mir das tut."
Erneut wurde Annalena rot, doch diesmal kümmerte sie das kaum.
"Wie weit ist der Weg bis zu dir?" fragte sie und schob demonstrativ den Kaffeebecher von sich weg...

Wir schliefen miteinander

wie in Zeitlupe. Ich hatte múms "summer Make Good" angemacht, und der Sex dauerte genausolange wie die CD lief. Zu "Weeping Rock Rock" zogen wir uns aus, bei "Abandoned Ship Bells" lagen wir nackt nebeneinander auf dem Bett, zufällig fallengelassen wie Mikadostäbchen. Ich hatte nie viel von postorgasmischer Körpernähe gehalten, und ich stellte zufrieden fest, dass auch Annalena die Luft um sich herum bevorzugte. Wir berührten uns natürlich, ihre Haare wehten im kühlen Windhauch des gekippten Schlafzimmerfensters leicht gegen meine Wange, ihre Hand lag wie zufällig auf meinem Bauch.
Ich dachte darüber nach, dass uns diese Situation vorbestimmt gewesen sein musste. Damals auf dem Parkplatz des Supermarktes lagen wir genau so dort. Nebeneinander und doch mit einer Distanz, die nur durch wenige, zufällig wirkende Berührungen gebrochen wurde. Nur waren wir damals nicht nackt und hatten vorher auch nur getrunken, gekifft und geredet. Durch den Vorhang der aufziehenden Melancholie spürte ich, dass ich mich in diesem Moment glücklich fühlte.
Ich hatte mich die ganze Zeit über geirrt. Sie war immer noch die Annalena von früher, auch wenn sie jetzt älter war und älter aussah, das, was ich beim Fotografieren in ihr entdeckt hatte, war das, was ich in ihr immer gesehen hatte. Es war ihre Natürlichkeit, ihre Offenheit. Dass sie zudem auch noch gut aussah war ebenso subjektiv wie nebensächlich...

Annalena hatte ein schlechtes Gewissen

, als sie sich auf den Heimweg machte, und das ärgerte sie. Sie lagen lange in Marks Bett. Annalena hatte sich damit innerhalb von 24 Stunden wohl zum zweiten Mal verkühlt, doch das war ihr egal. Im Gegenteil, sie hatte vielmehr den Eindruck, dieses Gefühl zu brauchen. Die Kälte, die langsam durch ihren Körper kroch, die sie verwundbar machte, sie war die perfekte Metapher zu der Situation, in die sie geschlittert war. Mark hatte ihr viele Dinge gesagt, die sie erstaunten. Er beschrieb ihr Szenen aus ihrer Jugend, in denen er sie "unfassbar schön" gefunden hatte, wie er sich ausdrückte. Und er sagte, er sehe dies nun wieder in ihr, weil er erkannt hat, dass sie sich nicht verstellte, dass sie einfach sie war.
Und genau da war das Problem. Sie hatte ihm noch immer nicht die Wahrheit über ihre Eltern gesagt. Sie hatte noch immer das Gefühl, sich zu verstellen um aus einem Leben auszubrechen, das für sie gemacht war, das sie aber abzuschütteln versuchte. Dass ihre Bronchien nun brannten, dass ihre unterkühlten Muskeln schmerzten, Annalena sah es als eine Art Buße dafür an, die sie beruhigte...

Ich wollte Mark alles sagen.

Diese Entscheidung brauchte einige Tage, in denen wir uns nicht sahen. Seit dem ersten Mal hatte ich Mark noch zweimal getroffen. Wir hatten uns vorgenommen, miteinander zu schlafen, endeten aber immer bei einer Flasche Whiskey und langen, ausweichenden Gesprächen. Ich spürte, dass ich mit Mark nicht einfach eine Affäre oder eine lose Beziehung haben konnte wie mit anderen Männern, die es in meinem Leben mal gegeben hatte. Zwischen denen und ihm lag ein Unterschied wie zwischen Fortsetzungsromanen und einem Epos. Wir konnten nicht einfach wieder Sex haben, wir mussten vorher die Handlung in unserer Geschichte voranbringen.
Doch ich hatte mich dagegen gesträubt, denn vorher musste ich Mark gegenüber ehrlich sein. Ich wollte nicht, dass sich das alles auf einer Lüge aufbaut, vor allem da diese Lüge meine war. Aber was genau sollte sich darüber aufbauen? Eine Beziehung? 'Ich liebe dich' sagen, zusammenziehen, heiraten, Kinder machen ... war das wirklich das, worauf unsere Geschichte hinauslaufen sollte? Ich gebe zu, ich hätte mir das oft gewünscht, aber eigentlich war mir klar, dass es so einfach nicht sein würde. Und im Nachhinein bin ich auch froh darüber, denn es ging um mehr als nur um eine Jugendliebe...

"Was ist das?"

Annalena versuchte, Zeit zu schinden. Mark wusste das, doch ihm war das egal. Sie hatten den ganzen Sonntag Zeit und er wollte sie nicht drängen.
"'Glasgow Mega-Snake' ... Mogwai", entgegnete er.
"Das merke ich mir, es passt zu dem, was ich dir jetzt sagen muss ... sagen will."
Mark sah Annalena an und überlegte, was er nun erwidern sollte, doch nach einer kurzen Stille fuhr sie von selbst fort: "Die Geschichte mit meinen Eltern ... die ist kompletter Blödsinn. Entschuldige, dass ich dir so einen Schwachsinn erzählt habe, aber ... ich glaube, ich hatte Angst vor der Wahrheit."
"Ich habe mich sowieso sehr schwer getan, das zu glauben", erwiderte Mark, "aber was ist die Wahrheit, die so schlimm ist, dass du dir keine bessere Geschichte einfallen lassen konntest?"
"Die Wahrheit ist: Ich habe den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen, zu meinen Freunden, zu meinen Bekannten, und bin vor meinem bisherigen Leben davongelaufen. Ich habe keinen Grund, hier zu sein. Ich habe keinen Grund dafür. Du kennst mich, Mark, ich war immer das vorbildliche Kind, die vorbildliche Schülerin, die Freundin, die jeder haben wollte ... so haben mich andere meistens gesehen, aber ich wollte das nicht mehr. Ich wollte auch mal anders sein, ich wollte auch mal ... gehasst werden."
"Das solltest du geschafft haben", entgegnete Mark kühl, was Annalena überraschte.
"Du meinst meine Familie? Die wird mich nie hassen, das kannst du vergessen. Meine Mutter ruft alle zwei Tage an. Ich nehme ab aber antworte nicht. Wenn ich sie lasse, spricht sie eine volle Stunde. Sie erzählt mir ihr Leben, als wäre ich noch da, aber nicht mehr Teil davon. Wenn ich zurückfahren würde, wäre alles, was ich bekomme, das größtmögliche Verständnis."
"Na das würde ich auch nicht wollen ..." bemerkte Mark. Er wollte sie dem Gespräch mit einem ironischen Spruch die Spannung nehmen, doch es klang sarkastisch, fast böse. Und es entsprach dem, was Mark dachte.
"Nein, du kannst das nicht verstehen, ich weiß. Du warst immer das arme Kind, das sich gegen einen unmöglichen Vater und eine lethargische Mutter durchsetzen musste, der es nie leicht hatte, der immer kämpfen muss in der Schule, der nicht die Möglichkeiten hatte, die mir eröffnet wurden", Annalena redete sich in Rage, "wie solltest du verstehen, dass es auch auf der Sonnenseite des Lebens mal gewittert?!"
"Hey! Du wirst unfair", Mark hob die Hände, "wer hat denn früher immer ein offenes Ohr für dich gehabt, wenn du Probleme hattest?"
"Na und? Von dir kann ich doch auch keine Fairness erwarten!"
Mark wollte etwas erwidern, wusste aber nicht, worauf sie hinauswollte.
"Ich bin in diese verfickte Stadt gekommen, um von dir zu erfahren, wie man sein Leben in den Griff kriegt. Außer dir kannte ich niemanden, bei dem ich hoffen konnte, Hilfe zu finden, aber du hast mir auch keinen Meter weitergeholfen ..."
Sie erhob sich und riss ihre Jacke von der Stuhllehne. Mark blieb sitzen. Sein Hirn arbeitete, aber Annalenas Äußerungen hatten für ihn deutliche zu viele Wendungen genommen. Und so sagte er nichts. Annalena sah ihn an, warf sich die Jacke über und ging…

Erst am Samstag darauf

versuchte ich Mark zu erreichen. Ich wusste zwar bereits kurz nachdem ich seine Wohnung verlassen hatte und eine Stunde lang heulend an der Isar saß, dass ich tatsächlich unfair gewesen war, doch ich ließ mir die Zeit zum Nachdenken. Ich hatte das Gespräch völlig falsch begonnen. Ich hätte ihm alles in Ruhe erzählen sollen, nichts überstürzen, dann seine Meinung hören, mit ihm darüber reden. Und ich hätte ihn aus der ganzen Sache rauslassen sollen. Er hatte nichts damit zu tun. Der Mark, dem ich nach München gefolgt war, war nur ein dummes Idealbild gewesen, das nichts mit dem Mark zu tun hatte, den ich dann in München getroffen hatte.
Er nahm nicht ab. Ich überlegte, ob ich es auf seinem Handy versuchen sollte, doch der Gedanke, dass er den Anruf annahm, während er in einer rumpelnden Bahn saß oder vom Straßenlärm beschallt wurde, gefiel mir nicht. Was ich ihm zu sagen hatte war wichtig. Zu wichtig um im Lärm unterzugehen. Ich beschloss, es später erneut zu versuchen.
Gerade als ich auflegte, rief meine Mutter an. Ich nahm ab und ließ sie reden, ohne Wort zu erwidern. Und zum ersten Mal seit meiner Abreise war ich – zu meinem eigenen Erschrecken – froh, sie zu hören.
„Hallo meine Kleine“, begann sie, „immer noch im Wachkoma? Ich hoffe es doch. Ich weiß nicht, warum das alles passiert ist, aber ich hoffe, dass du mich hörst, denn wenn du mich nicht mehr hörst, oder wenn es jemand anderes ist, der mich hört, dann … ich will daran gar nicht denken.“
Eine lange Pause folgte, und ich dachte, die Verbindung wäre getrennt worden, doch schließlich sprach sie weiter.
„Und wenn es jemand anderes als meine Annalena ist, der jetzt zuhört: Bewegen Sie ihren verfickten Arsch zur Polizei und melden Sie, dass Sie das Handy gefunden haben!“
Ich war so überrascht, dass ich fast losgelacht hätte. Nie hatte ich meine Mutter in der Art reden hören. Ich wusste gar nicht, dass sie solche Worte kannte. Sie fuhr nach einer kurzen Pause unwesentlich moderater fort. Ich hörte meinen Vater, der im Hintergrund lachte. Meine Mutter legte auf.
Ich glaube, hätte das Gespräch noch ein wenig länger gedauert, ich hätte ihnen geantwortet. Das Telefonat, meine Eltern so zu hören, es war wie ein Flashback aus meiner Kindheit. Ich fühlte so etwas wie Geborgenheit. Die Gewissheit, nach Hause zurückkehren zu können, wenn nichts mehr anderes ging. Ich dachte an verregnete Nachmittage im Herbst mit heißer Schokolade und Kuchen im Kreise meiner Eltern und Geschwister. Während alles um mich herum redete und mit den Kaffeelöffeln klapperte, blickte ich in den wolkenverhangenen Himmel und die windgeschüttelten Baumkronen im Regengrau. Ich war mir sicher, nie hinaus in den Sturm zu müssen, solange ich im Kreise meiner Familie bleiben konnte.
Ich sah aus dem Fenster meiner Münchener Wohnung. Es war bereits dunkel und kühl, und mein diffuses Spiegelbild in den doppelverglasten Fenstern zeigte ein alt gewordenes Mädchen auf einem Holzstuhl, mit an den Körper gezogenen Beinen, das Gedanken nachhing, in denen es sich noch nicht in die größte Lüge ihres Lebens geflüchtet hatte…

Es war ein Tag,

fast eineinhalb Jahrzehnte zurück. Annalena hatte vergeblich versucht, Mark anzurufen. Sie rief nicht gerne bei ihm an, denn wenn sie Pech hatte, war sein Vater am Telefon. Und an diesem Tag hatte sie Pech gehabt. Dass sie es dennoch ein zweites Mal versucht hatte, lag daran, dass es Marks Geburtstag war. Immerhin, beim zweiten Mal nahm seine Mutter ab.
„Hallo Annalena, es tut mir sehr leid, aber Mark ist noch nicht zurückgekommen.“
„Das ist kein Problem, Frau Wittmann, ich versuche es später nochmal …“
„Das ist sehr nett von dir, Annalena, es rufen nicht viele Freunde von ihm an. Ich freue mich immer so für ihn, dass er eine Freundin wie dich hat. Das tut ihm gut.“
„Danke …“ Annalena war das Gespräch peinlich, sie wurde sogar rot an ihrem Ende der Leitung. Trotzdem hörte sie das gerne, hätte es liebend gern von Mark direkt gehört, und sie wusste, dass die in ihren Wangen aufsteigende Wärme auch einen angenehmen Grund hatte.
„Versuch es später wieder, ich bin jetzt zu Hause … mein Mann wird nicht mehr ans Telefon gehen.“
„Mach ich … wiederseh’n Frau Wittmann.“
Annalena legte auf und schüttelte sich. Sie fand es schlimm, dass sich Marks Mutter für ihren Mann entschuldigen musste. Sie setzte sich an den Küchentisch und sah aus dem Fenster hinunter auf den Feldweg, der hinter ihrem Haus entlang zu einem nahen Bach führte. Es regnete und stürmte, und im aufgewühlten Grau sah sie Mark. Er schlenderte den Weg entlang, die Hände in den Taschen seines Parkas vergraben, in Gedanken versunken. Sie überlegte, ob sie zu ihm rauslaufen sollte. Sie stellte sich vor, wie sie in ihrer zu weiten Jeans und dem löchrigen Wollpullover – den sie an Sonntagen wie diesem oft trug – aus der Haustür in den Regen schlüpfte, ihm ein fröhliches „Alles Gute!“ entgegenwarf und ihn umarmte. Nur so aus reiner Freundschaft. Weil sie ihn gern hatte. Sie stellte sich sein Gesicht vor, wie er betont lässig die Hände aus den Taschen zog und die Umarmung nur andeutungsweise erwiderte.
Während Annalena dort saß und in Vorstellungen schwebte, sah sie nicht, dass Mark unterhalb des Fensters stehen geblieben war, und eine Zeitlang zum Haus hoch guckte, in der Hoffnung, Annalena zufällig am Fenster zu sehen. Doch alles, was er in den Fenstern des Hauses sah, war die Spiegelung des grauen Himmels, an dem die Wolken die Stunden jagten.
Annalena erwachte aus dieser Erinnerung. Ernüchtert, fröstelnd. Sie sah erneut aus dem Fenster und sah wieder nur ihr eigenes Spiegelbild. Alt, einsam, zusammengekauert. Sie hatte immer in ihrem Leben einen Rückhalt gehabt, ihre Familie meistens, Freunde oft. Doch jetzt fühlte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben vollkommen allein. Sie schleppte sich zu ihrem Bett unter dem Fenster und weinte. So, wie sie als kleines Mädchen hätte weinen können, es aber nie einen Grund dafür gab…

Ich sah erst kurz vor

meiner Abreise, dass Annalena zweimal versucht hatte anzurufen. Mein Koffer stand bereits gepackt im Hausflur, das Taxi wartete unten an der Straße und meine notorische Unpünktlichkeit tat ihr übriges. Es tat mir fast körperlich weh, ihren unbeantworteten Anruf zu ignorieren, doch ich hatte keine Zeit mehr. Mein Flieger würde nicht warten, und der Auftrag versprach Geld und damit Sorglosigkeit für eine nicht unbeträchtliche Zeit.
Ich schüttelte mich und versuchte, den Gedanken an Annalena zu vergessen. Ich würde sie anrufen, sobald ich dazu etwas Ruhe hatte. Ich wusste nicht, in welcher Stimmung ich sie erreichen würde, und nach unserem letzten Gespräch wollte ich nicht mit ihr telefonieren, während ich in einem Taxi oder am Gate saß.
Der Taxifahrer wuchtete meinen Koffer in den Kofferraum. Ich wischte mir den Sprühregen aus dem Gesicht, nachdem ich eingestiegen war. Ich war seit Langem schon nicht mehr außerhalb Münchens gewesen, geschweige denn außerhalb Deutschlands. Und eigentlich verspürte ich auch kein großes Verlangen danach. Es war nicht mehr so wie früher, dass ich unbedingt immer weiterziehen musste. Nur nirgendwo sesshaft werden, an keinem Platz zu wohl fühlen, das waren allgegenwärtige Gedanken. Und nun hatte sich so etwas wie eine Hassliebe zu einer Stadt entwickelt, die mir eigentlich gar nicht lag. Ich war kein Typ für München. Ich hasste die Stadt, aber verlassen wollte ich sie auch nicht. Vielleicht kann ich nur an einem Ort glücklich werden, den ich hasse?
Ich wollte immer ans Meer ziehen. Immer etwas näher zum Meer, bis ich irgendwann alleine in einem kleinen Haus in den Dünen wohnen würde. Und dann, wenn meine Zeit gekommen war, würde ich ins Watt hinauslaufen und auf die Flut warten. Der einzige Gedanke, der mir dabei nicht behagte war die Möglichkeit, dass die Flut mich anspülte. Ich hoffte darauf, von der nächsten Ebbe weiter hinaus in die Nordsee gezogen zu werden. Das perfekte Verschwinden. Einfach weg sein.
Und jetzt wurde ich tatsächlich melancholisch bei dem Gedanken, zwei Wochen nicht mehr mit einer stinkenden, rappeligen Tram durch das charakterlose Münchener Regenwetter zu fahren. Ich musste über mich selber lachen…

Annalena öffnete die Wohnungstür

noch im Pyjama. Sie hatte mit dem Paketboten gerechnet, denn sein Auto stand unten an der Straße. Doch es war nicht der Paketbote, es war ihr Nachbar, Herr Reinke, ein älterer Mann, der mit seinem stets gepflegten Aussehen, seinen Maßanzügen, der zurückhaltenden Höflichkeit und der diskreten aber sehr offensichtlichen Vorliebe, jeden Abend eine andere Dame in die Oper auszuführen, für Annalena die Verkörperung des Münchener Flairs selbst war. Sie hatte nie zuvor mit ihm gesprochen außer „Guten Morgen, Herr Reinke!“ – „Ah, einen wunderschönen guten Tag, das Fräulein Behrends hat Post bekommen?“ – „Ja, aber leider nur Werbung, wie immer…“ – „Sobald Sie in mein Alter kommen, nehme ich mir mal heraus, Ihnen zu schreiben…“ … Nach solchen Gesprächen lachte er vergnügt und stolzierte aus dem Haus, die linke Hand zur losen Faust geballt hinter den Rücken gelegt. Er war ein Mann mit Haltung, das musste man ihm zugestehen, fand Annalena.
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie so aufdringlich störe, Fräulein Behrends, aber ich habe mir Gedanken um Sie gemacht.“
„Gedanken um mich?“ Annalena sah ihn überrascht an.
„Nicht weil Sie um elf Uhr vormittags noch in Ihrem wirklich kleidsamen Schlafgewand herumlaufen“, entgegnete er mit einem charmanten Lächeln, „nein, ich kam nicht umhin, Sie gestern spät abends zu hören. Sie …“ er errötete andeutungsweise, offensichtlich war er nicht geübt in solchen Gesprächen, oder zumindest nicht mit jüngeren Frauen. Er hielt inne und fragte dann bedächtig. „Geht es Ihnen gut? Ich wollte mich nur erkundigen … wenn ich etwas für Sie tun kann …“
Annalena sah ihn erstaunt an. „Oh, d-das ist wirklich l-lieb von Ihnen“, stotterte sie, „aber es ist nichts weiter. Der normale Kummer des Lebens, wissen Sie?“
Verständnisvoll nickte er. „Oh, natürlich, der normale Kummer des Lebens. Den kenne ich nur zu gut. Aber sehen Sie, es ist eben dieser normale Kummer des Lebens, der uns Menschen in den Wahnsinn treibt. Aber entschuldigen Sie, ich wollte mich nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen.“
„Sie müssen sich nicht entschuldigen“, gab Annalena schnell zurück, „es ist sehr nett von Ihnen, nachzufragen. Sie müssen nur verstehen, dass es etwas unerwartet kommt. Aber ich bin unhöflich, kommen Sie doch herein, ich könnte Ihnen als Gegenleistung einen Kaffee anbieten.“
„Einen Kaffee nehme ich gerne“, Herr Reinke folgte ihrer einladenden Geste und trat ein, „aber nur, wenn Sie sich nicht durch mich gestört fühlen…“

Wir sprachen lange miteinander.

Gegen Nachmittag fiel ihm auf, dass wir noch nichts zum Mittag gegessen hatten, und auch wenn ich ihm mehrfach anbot, etwas zu kochen, so kam das für ihn überhaupt nicht in Frage. Während ich schnell ins Bad sprang, um mich einigermaßen herzurichten – mir fiel auf, dass ich noch immer erschreckend verheult aussah – hörte ich ihn mit seinem Handy einen Tisch für zwei bestellen.
Das Restaurant, in das er mich einlud, war unverschämt teuer. Und exklusiv. Meine Eltern waren nie wirklich arm gewesen, und ich hatte zu besonderen Anlässen auch schon in besseren Restaurants gegessen, aber das war noch eine ganz andere Liga.
Herr Reinke, den ich inzwischen „Alois“ nennen durfte, was mir zugegebenermaßen schwerfiel, erzählte mir von seiner Frau, die er mit Mitte Vierzig verloren hatte. Er wollte als junger Mann immer ein ruhiges Leben führen. Mit seiner Frau an seiner Seite alt werden, Kinder kriegen, in einem ruhigen Vorort leben. Doch seine Frau konnte keine Kinder bekommen und starb mit 41 Jahren an Krebs. Er blieb alleine zurück in seine Münchener Wohnung und entschloss sich dann, das Leben zu genießen und andere daran teilhaben zu lassen. Er hatte einen ausgewählten Bekanntenkreis, führte reiche Damen aus, um mit ihnen ein nettes Gespräch zu führen, mit ihnen zu essen und sie dann in der Oper – seiner großen Leidenschaft – zu vergessen.
„Ich möchte Sie einladen, mich nachher in die Oper zu begleiten, Annalena. Ich habe für heute keine Begleitung, und meine Loge ist sonst sehr, sehr einsam.“
„Dann darf ich heute Abend die Dame sein, die Sie in der Oper vergessen, Alois?“ Ich lachte.
„Aber nicht doch, Annalena, mit Ihnen in die Oper – oder in ein Restaurant wie dieses – zu gehen, ist anders. Sie sind noch begeistert, Sie entdecken noch Neues. Sie sind meine eigene persönliche Vorstellung. Die Aufführung heute Abend kenne ich ohnehin bereits, und unter uns: Sie ist gut, aber nicht atemberaubend.“
„Wie könnte ich ablehnen…?“

Als Alois Reinke fünf Jahre alt war

, brach seine Welt zusammen. Zumindest die Welt seiner Kindheit. Der Krieg war vorbei, doch das änderte in dem kleinen Allgäuer Dorf, in dem seine Familie wohnte, nicht sehr viel. Zumindest aus der Sicht eines Fünfjährigen war fast alles wie zuvor. Doch dann kamen Verwandte. Entfernte Verwandte, die er nie zuvor gesehen hatte. Sie seien aus einer Stadt weit im Nordosten und wären von roten Menschen vertrieben worden. Sie hätten jetzt kein Zuhause mehr und es wäre herzlos, sie nicht aufzunehmen. So hatte Alois seine Mutter verstanden. Insgeheim hatte Alois sich gewünscht, die entfernten Verwandten hätten sich mit den roten Menschen nicht gestritten, dann hätten sie nicht zu ihnen ins Allgäu ziehen müssen, und Alois hätte sein Zimmer behalten können.
Erst einige Jahre später begriff er, warum diese Verwandten nicht hatten in Königsberg bleiben können, und dass es nicht in ihrer Macht lag, sich mit den „roten Menschen“ zu einigen. Es war nicht einfach für Alois, diese Dinge in Erfahrung zu bringen, denn die entfernten Verwandten wohnten noch lange bei ihnen, und niemand wollte in ihrer Gegenwart über das Kriegsende und ihre Flucht sprechen – geschweige denn über die Umstände, die dazu geführt hatten.
Alois verstand sie natürlich, und er war ein wenig stolz auf seine Eltern, dass sie die Verwandten bereitwillig aufgenommen hatten. Doch während der Zeit, in der er nicht verstand, hatte sich der unbändige Wunsch in ihm festgesetzt, irgendwann ein eigenes kleines Reich für sich zu haben.
„Meine Wohnung ist mein Königreich. Da lasse ich nur Menschen rein, die mir würdig erscheinen“, scherzte Alois, während er Annalena ein weiteres Stück Sachertorte auf den Teller schaufelte.
Annalena hob abwehrend – aber erfolglos – die Hände und klopfte sich vielsagend auf den Bauch. „Ich fühle mich geehrt“, entgegnete sie, „aber ich muss mich wirklich bald auf den Weg machen, ich … muss noch telefonieren.“
Einige Minuten später – sie konnte Alois auf ein halbes Stück Torte herunterhandeln – ließ sie sich mit dem Telefon auf ihr Bett fallen. Die letzten Tage hatte sie sich nicht mehr von den Problemen mit ihren Eltern und Mark verrückt machen lassen. Alois verstand es, sie abzulenken, und währenddessen hatte Annalena mit einigem Abstand über sich nachdenken können. Sie war gut vorbereitet auf das erste Telefonat, das sie sich nun vorgenommen hatte, an das zweite dachte sie noch gar nicht.
Der Anrufbeantwortet ging dran. Annalena seufzte. Sie hatte sich so darauf vorbereitet, sie wusste genau, was sie sagen würde, wenn ihre Mutter ans Telefon gehen würde, oder ihr Vater. Und jetzt piepte nur der Anrufbeantworter. Annalena hatte schon fast aufgelegt, da fasste sie sich ein Herz:
„Hallo… Mama? Papa? Hier ist Annalena. Ich hatte gehofft, euch zu erreichen, ich wollte mit euch reden … aber jetzt weiß ich nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte. Mir geht es gut. Den Umständen entsprechend geht es mir gut. Bitte macht euch keine Sorgen, ich weiß … ich habe euch Grund genug dazu gegeben. Ich brauche noch etwas Zeit, aber ich rufe euch wieder an. Versprochen. Und ich bin nicht in Hamburg. Bitte macht euch nicht die Mühe und fahrt da hin, ich bin woanders, ich … ich melde mich wieder, entschuldigt.“
Als sie aufgelegt hatte, fühlte sie sich unsicher. Sie hatte sich gemeldet. Sie hatte mit ihnen gesprochen, wenn auch nicht direkt. Eigentlich dachte sie, sie würde sich nun besser fühlen, doch ihr war während sie sprach bewusst geworden, wie unentschuldbar ihr Verhalten war. Das Verständnis, dessen sie sich vor einigen Tagen noch so sicher war, und über das sie sich im Gespräch mit Mark so beschwert hatte, auf das hoffte sie nun. Aber jetzt war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie Verständnis erwarten durfte.
Aber sie brauchte es. Sie brauchte so sehr jemanden, der sie verstehen würde. Sie konnte nicht mit Alois darüber reden, auch wenn sie einander viel aus ihrer beiden Leben erzählt hatten. Eigentlich gab es nur einen Weg: sie musste Mark erreichen. Doch wie so oft in den letzten zwei Wochen blieb ihr anruf unbeantwortet. Sie versuchte es dieses Mal auch auf seinem Handy, doch sie erreichte nur die Mailbox, und ihre Kraft reichte nicht mehr dafür, noch eine hilflose Nachricht zu hinterlassen…

Ich hatte München zwischenzeitlich ganz vergessen.

Am Abend vor dem Rückflug ging ich noch einmal durch die Straßen in der Nähe meines Hotels in Chicago und spürte dieselbe Melancholie, die ich auch bei meiner Abreise aus München festgestellt hatte. Offenbar war es eine Eigenschaft von mir. Vielleicht kam es gar nicht auf den Ort an, an dem ich war, oder besser: von dem ich mich verabschiedete. Es war einfach der Umstand des Verlassens selbst, der mich beschäftigte. Man erkennt erst, wenn man geht, wie sehr man sich an Dinge gewöhnt und sie mögen lernt, die einem unbedeutend erscheinen. Zumindest bei mir war das so. Ich überlegte, ob es etwas in meinem Leben gab, das ich wertschätzte bevor ich es verlassen hatte. Mir fiel Annalena ein. Die Zeit mit ihr hatte ich genossen, das hatte ich mir mittlerweile eingestanden. Es war vielleicht das erste Mal, dass ich Momente wahrgenommen hatte, bevor sie an mir vorbeigezogen waren.
Ich hatte Annalena in den zwei Wochen nicht vermisst. Aber das lag nicht daran, dass ich sie vergessen hätte. Der Gedanke an sie war stets anwesend. Ich dachte darüber nach, wie ich zu ihr gehen würde, sobald ich wieder in München sein würde. Ich malte mir aus, wie unser Gespräch verlaufen würde, und aus irgendeinem Grund war ich der festen Überzeugung, dass alles ganz einfach wäre, dass alles problemlos laufen würde, dass es ein Happy End geben würde.
Doch am Mittag der Abreise saß ich mit gepackten Koffern in der Hotellobby und hatte noch zwei Stunden, bis ich mir ein Taxi zum Flughafen rufen musste. Ich dachte daran, in Kürze wieder in München zu sein. Ich freute mich darauf, Annalena wiederzusehen, doch ich war mir nicht mehr so sicher, wie das Happy End, das ich mir ausgemalt hatte, eigentlich aussehen sollte. Würden wir in München zusammen sein? Würden wir heiraten, aufs Land ziehen und Kinder machen? Das klang nicht nach uns. Das war es nicht, was ich mir vorgestellt hatte. Aber was war es? Ich wusste es nicht mehr, und je näher ich darüber nachdachte, desto weniger glaubte ich daran, dass es überhaupt ein Happy End geben könnte. Sie würde nicht glücklich werden, wenn sie nicht zurückkehren würde. Sie musste mit ihren Eltern sprechen, musste ihr Leben wiederherstellen, aber ich? Ich würde nie zurückkehren können.
Ein Happy End, was für eine blöde Idee. Gemeinsam mit Annalena würde nur dann funktionieren, wenn wir unglücklich blieben. Das war das, was uns verband. Wir waren in zwei entgegengesetzten Richtungen unterwegs und hatten das Glück, uns so im Kreis bewegt zu haben, dass wir uns ein zweites Mal begegnet waren.
Ich sah mich in der fast leeren Lobby um. Irgendein dezenter aber nervtötender R’n’B-Scheiß plätscherte aus den gut versteckten Lautsprechern. Ich tastete in meiner Jackentasche nach dem Handy und wählte schließlich ihre Nummer…

Als das Telefon klingelte,

kam Annalena aus dem Bad. Es war erst neun Uhr abends, doch sie war erkältet und hatte leichtes Fieber und hoffte, sich durch frühes Zubettgehen auskurieren zu können. Sie rutschte auf ihren dicken Wollsocken über den Flur und griff nach dem Telefon. Es war Mark.
Annalena ärgerte sich über sich selbst, als sie spürte, dass ihr Herz deutlich schneller schlug. Sie setzte sich kerzengerade auf ihr Bett, schaltete das Licht aus, um aus dem Fenster hinaus in die Nacht sehen zu können, dann nahm sie ab.
„Mark!“, begrüßte sie ihn und dachte bei sich, ‚Na super, Mädchen, viel verlangender hättest du kaum klingen können‘.
„Hey, bin ich froh, dich noch zu erreichen“. Mark versucht erst gar nicht, seine Freude zu verstecken.
„Wieso ‚noch zu erreichen‘? Was hast du vor?“
„Ich bin in Chicago und warte auf meinen Flug. Hätte ich dich jetzt nicht erreicht, wäre bis … für dich bis morgen Sendepause gewesen.“
„Was machst du in Chicago?“ Annalena versuchte, nicht zu beleidigt zu klingen. Ja, sie hatten sich gestritten und sie waren sich auch keine Rechenschaft schuldig, doch sie hatte erwartet, er würde ihr eine Nachricht hinterlassen, wenn er verreiste.
„Ich hatte hier einen wichtigen Auftrag. Ich war nicht besonders erfreut darüber, aber er hat viel Geld eingebracht. Und ich habe Chicago kennengelernt, das war nicht so schlecht.“
„Warst du lange dort?“
„Fast zwei Wochen. Eigentlich seit…“
„Ja … Mark? Du, es tut mir leid. Ich habe mich schlimm benommen.“
„Mir tut es auch leid. Ich wünschte, ich hätte für dich da sein können, aber ich habe erst später begriffen, was du eigentlich meintest. Vielleicht hatte es so auch etwas Gutes, dass ich für einige Zeit aus meinem normalen Leben raus war.“
„Ich … ich brauche dich jedenfalls. Zum Reden. Zumindest zum Reden. Aber du rufst aus den Staaten an, das ist sicher teuer.“
„Das macht nichts. Ich habe jetzt Geld“, Mark lachte, „aber hier ist nicht der beste Ort zum telefonieren. Ich komme bei dir vorbei. Gleich morgen Abend, okay?“
„Ja, aber halte Abstand, ich habe eine ziemliche Erkältung, deshalb liege ich auch schon im Bett.“
„Dann schlaf gut, bei dir ist es doch schon Abend, oder?“
„Ja, spät genug für einen Kindskopf wie mich“. Annalena musste leise lachen. „Ach Mark…?“
„Ja?“
„Ich habe meine Eltern angerufen.“
„Und?“
„Es war nur der Anrufbeantworter dran. Aber ich habe ihnen eine Nachricht hinterlassen.“
„Wann?“
„Vor ein paar Stunden erst.“
„Ich bin stolz auf dich, Kindskopf! Sie werden sich melden, sobald sie es abgehört haben.“
„Da bin ich mir nicht so sicher … Ich kann eigentlich gar nicht von ihnen erwarten, dass sie Verständnis für mich haben, oder?“
Marc schwieg, und Annalena dachte schon, er würde ihr nicht mehr antworten, doch schließlich sagte er: „Verdient hast du es vielleicht nicht, aber du kannst dir sicher sein, dass sie Verständnis haben. Du hattest nämlich Recht: sie werden immer Verständnis haben. Ich glaube dir, dass dir das auf den Geist gehen kann, aber das wird sie nicht davon abhalten, immer Verständnis zu haben. Du bist ihre Tochter. So einfach kann das Leben manchmal sein.“
„Ich glaube, du wärest ein guter Vater“, stellte Annalena sehr nüchtern fest.
„Klar, in der Theorie vielleicht. Aber meine Kinder freuen sich, dass sie bei meiner Ex wohnen, die sich einen wirklichen Vater für sie geangelt hat. Der Freak, der ihnen jedes Jahr zum Geburtstag und zu Weihnachten ein Alibigeschenk macht, ist für sie eher ein notwendiges Übel.“
„Du bist älter geworden, Mark, du solltest es vielleicht noch einmal versuchen.“
„Schlaf jetzt, Annalena, deine Menschenkenntnis leidet offensichtlich durch dein Fieber.“
„Dummkopf“, Annalena lachte erneut, „aber bitte, ich beuge mich deiner Anweisung und werde schlafen. Dieses Mal…“


[ "AutoExil" wird zur Zeit beendet ]

Impressum

Texte: Covergestaltung sehr vorläufig zusammengekleistert. Wird mit endgültiger Version besser.
Tag der Veröffentlichung: 19.06.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet allen Menschen, die ich schon länger kenne, und die (vermutlich zurecht) die ein oder andere Facette von sich selbst (oder von mir) in den Charakteren wiedererkennen.

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