Schiffbruch Remake
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!
Text: Sissi Kaiserlos/Kaipurgay
Bilder: shutterstock_85950235, Strand mit Palmen: IStock KI Generator
Korrektur: Aschure, dankeschön!
Kontakt: https://www.sissikaipurgay.de/
Liam hat eine Schiffstour – sogar gegen Bezahlung – nach Manila ergattert. Dort heuert er auf der Bellarossa, einer Luxussegelyacht, an. Der Eigentümer, ein Italiener, ist ein merkwürdiger Typ, genau wie das andere deutsche Besatzungsmitglied. Philip blockt jeglichen Versuch, Freundschaft zu schließen, ab. Eines Nachts läuft die Yacht auf ein Riff ...
Liam schlenderte an der Mole entlang und ließ den Blick über das Hafenbecken wandern. Schneeweiße Boote lagen Seite an Seite an den Stegen. Einige dümpelten, vertäut an Bojen, in dem durch Mauern eingegrenzten Areal. Hier und da werkelte jemand auf einem der Schiffe. In Manilas Yachthafen herrschte Idylle.
Das änderte sich abrupt, wenn man das Gelände verließ. Auf der breiten Promenade boten Händler alles Mögliche an, von Souvenirs bis hin zu landwirtschaftlichen Produkten. Daneben, auf der vielspurigen Straße: ein endloser Strom von Blechkarossen. Dahinter standen seelenlose Hochhäuser, eines hässlicher als das andere.
Er ließ sich auf einer Bank nieder, streckte seine Beine aus und genoss die Sonnenstrahlen. Daheim, in Hamburg, regnete es bestimmt mal wieder. Inzwischen überflügelte die Hansestadt bezüglich der Niederschlagsmengen sogar London, hatte er neulich irgendwo gelesen.
Eine Reise auf die Philippinen hätte er sich niemals leisten können. Er verdankte sie einer Annonce, die er auf Kleinanzeigen gefunden hatte. Darin wurde für die Passage Hamburg-Manila ein Schiffskoch gesucht. Eine entsprechende Ausbildung besaß er zwar nicht, aber die nötige Erfahrung. Seit seinem Schulabschluss arbeitete er in diesem Bereich, zu dem Zeitpunkt in einem drittklassigen Restaurant.
Vor drei Monaten waren sie aufgebrochen und vor vier Tagen hier angekommen. Der Yachteigner, ein reizender Typ, hatte Liam ein Empfehlungsschreiben ausgestellt. Außerdem durfte er eine Woche in der Stadt, in einem Drei-Sterne-Hotel, bleiben und sein Rückflugticket war bezahlt.
Er hatte überhaupt keine Lust, schon nach Hause zurückzukehren, weshalb er auf ein weiteres Engagement auf einem der Schiffe hoffte. Im Eingangsbereich des Clubs hing eine Pinnwand, die er täglich nach Angeboten absuchte. Bei seiner Ankunft hatte jemand ein Crewmitglied gesucht, allerdings mit Navigationskenntnissen. Damit konnte er nicht dienen. Mittlerweile kannte er zwar viele seemännische Begriffe und war in der Lage, einen anständigen Knoten zu binden, doch das war auch schon alles. Seine Profession war nun mal der Lebensmittelbereich.
Liam holte sein Tagebuch aus dem Rucksack und zückte einen Stift. Während der Schiffsreise hatte er begonnen, zu schreiben. Vielleicht konnte er die Aufzeichnungen irgendwann, wenn er ein berühmter Koch oder Globetrotter geworden war, für seine Memoiren verwenden.
Nach einer Weile erregte eine Segelyacht, die ins Hafenbecken steuerte, seine Aufmerksamkeit. Was für ein Schmuckstück! Wesentlich schöner als das Schiff, mit dem er hergekommen war.
Er beobachtete, wie die Yacht auf eine der Bojen zu manövrierte. Als sie vertäut war, ließen zwei Typen ein Schlauchboot zu Wasser. Drei Männer stiegen hinein und pflügten auf die Mole zu.
Liam richtete seinen Blick wieder auf die leere Seite und notierte die wichtigsten Ereignisse des Tages. Eigentlich gab es nur eines, nämlich die Monsterspinne, die morgens an der Wand über dem Klo gehockt hatte. Normalerweise fürchtete er sich nicht vor Insekten, aber bei dieser Größenordnung empfand er Respekt. Er hatte sich kaum getraut, seinen Schwanz auszupacken, um zu pissen, weil das Viech vielleicht Appetit darauf bekam.
Anschließend klappte er das Buch zu, verstaute es und ging ins Clubgebäude. Es befand sich kein neuer Zettel an der Pinnwand.
Wie schon an den letzten Abenden, streunte er durch die Straßen Manilas. Bei einem Straßenhändler erstand er eine Portion Adobo mit Reis, die er auf einer Mauer sitzend verspeiste. Liam war sparsam, außer in Bezug auf Kosmetikprodukte. Wenn er etwas Schönes in diesem Bereich entdeckte, konnte er nur schwer widerstehen.
Amüsiert beobachtete er einen Jungen, der versuchte, einem Touristen angeblich Original Adidas Sneaker zu verkaufen. Es wimmelte nur so von solchen Filippinos, die alles Mögliche anboten. Er blieb unbehelligt. Wahrscheinlich, weil er mit seinen Mandelaugen, dunklem Teint und abgetragenen Klamotten wie ein Einheimischer aussah.
Seine Mutter stammte aus der Mongolei. Sein Vater war früher oft beruflich in Russland gewesen. Bei einer solcher Gelegenheiten hatten sich die beiden kennengelernt, geheiratet und drei Kinder gezeugt. Liam war der Älteste. Nach ihm kam Boris, dann Maja.
Mit seinem Outing hatte sich das Thema Familie allerdings erledigt. Sein Vater war ausgeflippt, seine Mutter in Tränen ausgebrochen. Innerhalb einer Woche musste er sich eine neue Unterkunft suchen. Seitdem herrschte zwischen ihnen Funkstille. Nicht mal zu seinen Geschwistern hatte er noch Kontakt.
Plötzlich blieb ein fettleibiger Weißer, den er anhand der schrillen Klamotten als Ami oder Brite (hallo, Vorurteil!) einstufte, vor ihm stehen und musterte ihn, als wäre er ein Stück Fleisch. „How much?“, fragte der Typ.
Liam, sonst nicht um Worte verlegen, war sprachlos.
„Ten Dollar okay?“, hakte der Mann nach.
Wollte er wissen, welche Leistung sich der Typ für den Preis vorstellte? Nein, lieber nicht. Er sprang auf und marschierte davon.
Für heute hatte er genug vom Herumtreiben. Er zog sich auf sein Hotelzimmer zurück und machte es sich auf dem Balkon gemütlich. Nachdem er den Vorfall seinem Tagebuch anvertraut hatte, vertiefte er sich in ein englischsprachiges Exemplar von Onkel Toms Hütte. Er hatte es am Vortag in einem kleinen Shop entdeckt. Mittlerweile beherrschte er die Sprache so gut, dass er der Handlung folgen konnte.
Am nächsten Morgen brach er nach dem Frühstück in Richtung Yachthafen auf. Im Eingangsbereich studierte er die an der Pinnwand hängenden Zettel. Es waren zwei dazugekommen. Jemand suchte eine entlaufene Bordkatze. Das dürfte ein sinnloses Unterfangen sein. Bestimmt hatte sich das Tier einem der herrenlosen Rudel, die auf der Promenade und in den Straßen rumlungerten, angeschlossen.
Sein Herz vollführte einen freudigen Hüpfer, als er die andere Notiz las. Zwei Crewmitglieder wurden von jemandem benötigt. Es war nur eine Handynummer, die er in seinem Smartphone speicherte, angegeben.
Er begab sich in eine ruhige Ecke, bevor er aufs grüne Symbol tippte. Es meldete sich sofort eine tiefe Männerstimme: „Pronto?“
„Sie suchen Leute für Ihre Crew. Ich kann kochen und putzen“, erwiderte er auf Englisch.
„Name?“
„Liam Schneider.“
„Komm morgen um neun in den Yachtclub“, erwiderte der Typ und legte auf.
Ein schlechter, erster Eindruck, aber egal. Eher würde er für einen Scheißkerl arbeiten, als nach Hause zu fliegen.
Den Tag verbrachte er in angespannter Erwartung. Wie üblich saß er die meiste Zeit im Yachtclub, beobachtete das Treiben und plauderte ab und zu mit Jay, der für Ordnung und Sauberkeit des Außengeländes zuständig war. Er schätzte den Jungen auf ungefähr fünfzehn. Bestimmt bekam Jay bloß einen Hungerlohn, war aber stets gut gelaunt. Vermutlich sah man es hier als Glücksfall an, überhaupt einen Arbeitsplatz zu bekommen.
Leider konnte Jay ihm zu dem Eigner der Monster-Segelyacht nichts sagen. Er zuckte bloß mit den Achseln. „Irgendein reicher Typ.“
Das waren ja alle, die ein Boot ab einer bestimmten Größenordnung besaßen. „Wirst du dich auch als Crewmitglied bewerben?“
Jay schüttelte den Kopf. „Bin nicht seefest.“
Statt wie sonst durch die Gegend zu laufen, setzte er sich abends auf den Balkon seines Hotelzimmers und versuchte, ein paar italienische Vokabeln zu lernen. Schließlich wollte er den Job unbedingt haben.
Am folgenden Tag stand er früh auf, unterzog sich seinem vollen Schönheitsprogramm und schlüpfte in Klamotten, die er für seemännisch hielt: blaue Cargoshorts, dazu ein rot-weiß gestreiftes T-Shirt.
Als er um kurz vor neun den Yachtclub betrat, saßen an der Bar die drei Männer. Voller Hoffnung, dass es sich um seine zukünftigen Arbeitgeber handelte, näherte er sich den Typen. Zwei trugen normale Kluft, einer schicke Kleidung. Letzterer musterte ihn und hob fragend eine Augenbraue.
„Scusi. Ich bin Liam Schneider. Haben wir gestern telefoniert?“
Der Mann nickte.
Einige Momente später hatte er den Job. Ob es an der italienischen Vokabel lag, an der Kompetenz, die er ausstrahlte oder einfach Glück – egal. Hauptsache, er musste nicht nach Hause.
Philip war heilfroh, dass er sich weder mit Mandeläuglein noch einem anderen Besatzungsmitglied die Kabine teilen musste. Privatsphäre war ihm wichtig. Bei seiner letzten Tour, die ihn nach Manila geführt hatte, war das nicht möglich gewesen. Auf einem neun Meter Schiff gab es eben nur wenig Platz, zumal Harro, ein Weltumsegler, den halben Hausstand mitführte. Dafür war Harro schweigsam wie ein Grab gewesen, was einen guten Ausgleich bildete.
An Bord der Barbarossa sprach man Italienisch. Weil er Signor Rossi – der Eigner bestand auf die förmliche Anrede – auf den ersten Blick unsympathisch fand, hatte er darauf verzichtet, seine Kenntnisse dieser Sprache preiszugeben. Das war praktisch, denn auf diese Weise beschränkte sich der verbale Austausch auf das Nötigste.
Liam – dem er den Spitznamen Mandeläuglein verpasst hatte – schien hingegen nicht damit klarzukommen, von Gesprächen ausgegrenzt zu sein. Jedenfalls nahm Philip das an, denn warum sonst versuchte der Bursche ständig, ihn voll zu labern? Mandeläuglein ließ sich weder von einsilbigen Antworten noch davon, ihm die kalte Schulter zu zeigen, abschrecken. Nur seine geschlossene Kabinentür bildete eine wirksame Barriere.
Von Manila aus schipperten sie nach Batangas City, wo eine Mieze an Bord kam. Also, keine Katze, sondern ein blondes Mädel. Vermutlich handelte es sich um die Gespielin von Signor Rossi, denn für eine Gattin benahm sie sich nicht hochnäsig genug.
Es ging weiter durch die Inselgruppe der Visayas, die in der Mitte des Philippinischen Archipels lag. Mal liefen sie hier einen Hafen an, mal dort. Den Dienst am Ruder teilte er sich mit Luigi und Fernando. Im Ganzen war es ein lockerer Job und die Verpflegung gut. Eines musste er Mandeläuglein lassen: Kochen konnte der Bursche.
Nach einer Woche nahmen sie Kurs auf den südlichen Archipel. Das wunderte Philip, da er mal gelesen hatte, dass dort mit Piraten zu rechnen war, aber vielleicht hatte sich das inzwischen geändert.
Eines Abends – er stand im Cockpit – vernahm er etwas, das ihn nachdenklich stimmte. Die Frau – sie hatte sich ihm als Manuela vorgestellt – sagte, dass sie den Plan nicht mehr gutheißen konnte.
Rossi zischte: „Halt die Klappe!“
Die beiden entfernten sich, wobei sie leise stritten.
Welcher Plan? Und wieso machte Rossi ein Geheimnis daraus? Philip beschloss, seine Mitreisenden aufmerksam zu beobachten.
Am nächsten Morgen sah er, dass sich Luigi an dem Schlauchboot mit Außenborder zu schaffen machte. Es wirkte wie eine routinemäßige Inspektion. Hätte Philip nicht genau hingeschaut, wäre ihm entgangen, dass Luigi einen Kanister in dem Boot deponierte.
Der Plan schien zu beinhalten, das Schiff zu verlassen. Irgendetwas sagte ihm, dass er bei diesem Vorhaben nicht eingeschlossen war. Liam vermutlich auch nicht. Oder wollte Rossi bloß eine längere Spritztour mit Manuela unternehmen?
Sein Dienst endete um neun. Fernando löste ihn ab. Sie befanden sich auf offener See, noch etliche Kilometer von ihrem Ziel Jolo Island entfernt. Die letzte größere Insel hatten sie vor einigen Stunden hinter sich gelassen. Nun säumten nur noch kleine, unbewohnte Eilande ihren Weg. Wer sich hier ins Schlauchboot setzte und versuchte, die Zivilisation zu erreichen, musste verrückt sein. Entsprechend beruhigt begab er sich in seine Koje.
Irgendwann riss ihn ein scharfer Ruck aus dem Schlummer. Ein hässliches Knirschen verriet, dass der Rumpf der Bellarossa über Felsen schrammte. Die nachfolgende Stille war ohrenbetäubend und vertrieb den letzten Rest Schläfrigkeit. Wenn es sich um einen Unfall handeln würde, wäre Rossi doch bereits an Deck und würde Fernando zusammenfalten.
Ein Außenbordmotor sprang an. Er hechtete aus der Koje und griff nach dem T-Shirt, das er vorm Schlafengehen ausgezogen. Auf dem Weg nach oben fiel ihm auf, dass sich das Schiff nach Backbord neigte. Scheiße! Die Bellarossa war leckgeschlagen!
Von dem Schlauchboot sah er lediglich eine Silhouette, die im nächsten Moment von der Dunkelheit verschluckt wurde. Er hatte eh wichtigeres zu tun, als den Arschlöchern hinterherzugucken. Rasch löste er die Rettungsinsel aus ihrer Halterung. Während sie sich mit Luft füllte, betete er, dass Luigi keine Löcher hineingeschnitten hatte. Eine kurze Inspektion, als sie vollständig aufgeblasen war, blieb zu seiner Erleichterung ergebnislos.
Er wuchtete sie über die Reling, eilte unter Deck, stieß die Tür zu Liams Kabine auf und bellte: „Pack nur das Nötigste ein! Wir sinken!“
In Windeseile raffte er seine Sachen zusammen, stopfte sie in den Seesack und hastete zur Kombüse. Wer wusste schon, wo sie landen würden? In jedem Fall brauchten sie Vorräte. Wahllos warf er Konserven, zwei Töpfe und Besteck in einen Müllsack, den er, zusammen mit seinem Gepäck, in der Insel verstaute. Als nächstes raffte er Tauwerk zusammen. Es landete, genau wie die kleine Werkzeugkiste sowie der Notsignalsender, die sich im Cockpit befanden, bei dem anderen Kram.
Mittlerweile war die Schieflage der Bellarossa beängstigend. „Liam!“, brüllte er, woraufhin Mandeläuglein endlich auftauchte.
„Wo sind denn die anderen?“, verlangte Liam zu wissen.
„Weg! Los, spring da rein!“ Er schnappte sich Liams Rucksack und pfefferte ihn in die Insel.
Widerspruchslos gesellte sich Mandeläuglein zu dem Gepäck. Nach einem letzten Rundumblick, ob es noch etwas gab, das sie brauchen könnten – ein paar der Kissen aus der Sitzgruppe sowie eine Decke fanden Platz in der Rettungsinsel – verließ er das Schiff. Mittels des Paddels, das zur Grundausstattung gehörte, brachte er Abstand zwischen sie und die Bellarossa.
Es war grausam zuzusehen, wie das herrliche Schiff vom Meer verschlungen wurde. Das Ereignis fand im Mondlicht statt, da das eindringende Wasser die Elektrik des Bootes, damit auch sämtliche Beleuchtung, außer Betrieb gesetzt hatte.
„Wie konnte das passieren?“, fragte Mandeläuglein.
„Woher soll ich das wissen?“, brummelte er.
Einige Augenblicke herrschte Stille. Das Display eines Handys leuchtete auf. „Kein Empfang“, stellte Mandeläuglein fest.
„Schade, sonst hättest du uns ein Taxi rufen können.“
„Weißt du, wo wir sind?“
„Irgendwo im Sulusee.“
„Meinst du, die anderen haben das absichtlich gemacht?“
„Es wäre ein Wunder, wenn Fernando das einzige Riff weit und breit übersehen hätte.“ Philip tippte auf Versicherungsbetrug, wobei Liam und ihm wahrscheinlich die Rolle des Bösewichts zugedacht war. Er konnte sich bildlich vorstellen, wie Rossi behauptete, von ihnen mit vorgehaltener Waffe ins Schlauchboot gezwungen worden zu sein. Anschließend waren Liam und er mit der Bellarossa davongesegelt, aber nicht weit gekommen. Leider hatten sie, zusammen mit dem Schiff, ein Grab auf dem Meeresgrund gefunden.
An Rossis Stelle hätte er dafür gesorgt, dass die Rettungsinsel untauglich war und ihnen zusätzlich Drogen verabreicht, damit sie nicht aufwachten. Hatten sie ihr Überleben Manuela zu verdanken? Oder handelte es sich bloß um Schlampigkeit? Und wieso hatte Rossi die Bellarossa nicht einfach verkauft? Weil die Versicherungssumme garantiert höher ist als ihr materieller Wert, beantwortete er sich selbst die Frage.
„Und was machen wir nun?“, erkundigte sich Mandeläuglein.
„Beten, dass uns jemand aufgabelt.“ Er kramte aus dem Notfallset eine Leuchtrakete hervor, überlegte kurz und legte sie wieder zurück. Schließlich wollte er Rossi nicht mit der Nase draufstoßen, dass sie noch am Leben waren.
„Meinst du, die Irren kommen zurück, um nachzugucken, ob wir verreckt sind?“, redete Mandeläuglein weiter.
Das bezweifelte er, da die Irren kaum Treibstoff verschwenden würden. Den brauchten sie, um die nächste bewohnte Insel zu erreichen. „Können wir uns bitte darauf einigen, dass du zwischendurch mal fünf Minuten die Klappe hältst?“
Schweigen. Dann leuchtete das Display von Mandeläugleins Handy auf und erlosch gleich wieder.
Die Ruhe war herrlich. Endlich konnte Philip darüber nachdenken, in welche Richtung sie trieben. Theoretisch müssten sie weiterhin auf das anvisierte Ziel zusteuern. Es konnte aber sein, dass die Rettungsinsel mehr auf Meeresströmungen als die Windrichtung reagierte. In dem Fall drifteten sie seitlich ab und dürften über kurz oder lang auf eine der unbewohnten Inseln treffen. Eine Vorstellung, die ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Nicht wegen der Einsamkeit, sondern wegen Mandeläuglein. Wenn er das Gelaber vierundzwanzig Stunden am Stück ertragen musste, würde er früher oder später zum Mörder werden.
Zurück zu ihrer aktuellen Situation: Mit dem Paddel konnten sie nichts ausrichten. Es nützte also wenig, sich über ihre Fahrtrichtung Gedanken zu machen. Sie durften weder eine Leuchtrakete noch den Notsignalsender benutzen. Eigentlich gab es keine Aktion, die momentan Sinn ergab, abgesehen von Schlafen, doch das war ja eher passiv.
Erneut leuchtete Mandeläugleins Handydisplay auf. Guckte der Bursche etwa auf die Uhr, um festzustellen, ob die Laberpause vorbei war?
„Darf ich die Decke haben? Mir ist kalt“, bestätigte Mandeläuglein seine Vermutung.
„Mhm“, brummelte er, schnappte sich eines der Kissen und richtete sich auf seiner Seite der Insel gemütlich ein.
„Willst du jetzt etwa schlafen?“, fragte Mandeläuglein mit deutlicher Empörung.
„Hast du eine bessere Idee?“
„Sollten wir nicht irgendwas Sinnvolles tun, wie beispielsweise paddeln?“
„Viel Spaß dabei.“ Philip kuschelte seine Wange ins Kissen.
Mandeläuglein schnaubte. „Ich soll schuften und du pennst? Nö, dann hau ich mich auch aufs Ohr.“
Unter reichlich Geächze und Geseufze machte es sich Mandeläuglein auf der anderen Seite bequem.
Philip guckte ins Dunkel und überlegte, ob sich die philippinischen Bullen die Mühe machen würden, das gesunkene Schiff zu suchen und nach Überlebenden Ausschau zu halten. Vermutlich eher nicht. Die hatten bestimmt besseres zu tun. Die Versicherungsgesellschaft würde daran allerdings Interesse haben. Das konnte aber dauern. Deren Mühlen mahlten ja besonders langsam.
Er wachte auf, als die Sonne über den Horizont spähte. Gähnend guckte er aus der offenstehenden Luke. Weit und breit nur Wasser. Einerseits war das positiv, weil ihn ein Ozeanriese direkt vor seiner Nase, im Begriff, die Rettungsinsel über zu mangeln, arg panisch gestimmt hätte. Andererseits musste er pinkeln und hätte das gern an Land mit etwas Privatsphäre erledigt.
Er kniete sich vor die Öffnung, holte seine Morgenlatte raus und redete ihr gut zu, bis sie sich erweichen ließ, seiner vollen Blase den Vortritt zu lassen. Anschließend verleibte er sich eine der Wasserrationen aus der Notfalltasche ein. Für einen Kaffee würde er einen Mord begehen, doch was nützte das? Schließlich zauberte Mandeläugleins Leiche keinen herbei.
Apropos: Die halbe Portion hatte sich im Schlaf regelrecht eingerollt. Das sah ziemlich niedlich aus.
Philip wandte sich wieder der Tasche zu und beäugte die Proteinriegel. Alternativ könnte er eine der Dosen öffnen, doch die Aussicht auf kalte Gulaschsuppe reizte ihn nicht. Er knabberte also einen der Riegel, wobei er wieder aus der Luke guckte. Die Unendlichkeit des Meeres war faszinierend, trotzdem wäre ihm der Anblick von Land momentan lieber.
Mit dem Paddel drehte er die Rettungsinsel und stieß vor Freude einen leisen Juchzer aus. Sie trieben auf einen Strand zu!
„Was’n los?“, brummelte Mandeläuglein.
„Land in Sicht.“
Schwupps!, hockte Mandeläuglein neben ihm. Schweißgeruch stieg ihm in die Nase.
„Cool!“, stieß Mandeläuglein hervor. „Hoffentlich gibt’s da ’n Café. Brauch dringend ’ne Koffeindröhnung.“
Und eine Dusche. Wortlos drückte Philip ihm eine Ration Trinkwasser in die Hände.
Mit angeekelter Miene leerte Mandeläuglein das Plastikpäckchen und spähte wieder rüber zu dem Eiland. „Können wir das irgendwie beschleunigen?“
„Klar. Ich bind dir ein Seil um den Hals, du schwimmst rüber und ziehst mich an Land.“
Dunkelbraune Augen blinzelten ihn an. „Du verarschst mich.“
Er zuckte mit den Achseln. „War einen Versuch wert.“
„Andererseits ... warum eigentlich nicht?“
„Vergiss es. Das ist noch viel zu weit weg.“
„Boah! Ich muss dringend pissen.“ Mandeläuglein zog untenrum blank.
Rasch verkroch sich Philip ins Innere, weil er Manieren besaß. Diese hielten ihn aber nicht davon ab, den Anblick der knackigen Halbkugeln zu genießen. Schließlich war er kein Heiliger, sondern nur ein Mann.
Allein hätte Liam es niemals geschafft, die Rettungsinsel aufzupusten. Ach, er wäre sogar im Schlaf ertrunken, wenn Philip ihn nicht geweckt hätte. Seine Dankbarkeit war unendlich. Er würde Philip gern einen blasen, um sich zu revanchieren, doch es wirkte nicht so, als ob daran Interesse bestand. Überhaupt hatte er den Eindruck, dass sein Wegbegleiter es gern sähe, wenn er sich in Luft auflöste.
Von Anfang hatte die Chemie zwischen ihnen nicht gestimmt. Vielleicht hatte Philip etwas gegen Leute mit Migrationshintergrund. Mit Rossi, Manuela und den anderen Crewmitgliedern war sein Kollege nämlich genauso kühl wie mit ihm umgegangen.
Ach, drauf geschissen! Er scherte sich schon lange nicht mehr darum, was jemand über ihn dachte.
Während er einen Proteinriegel kaute, beobachtete er den Strand, der quälend langsam näherkam. Bitte, bitte, lass es eine bewohnte Insel sein, betete er im Geiste. Die Vorstellung, mit dem mürrischen Philip auf einem unbewohnten Eiland festzusitzen, bereitete ihm Unbehagen. Es gibt schlimmeres. Denk an deinen Ex-Chef, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Sie hatte recht. Sein Ex-Chef war ein schmieriger Typ und hatte ständig versucht, ihm an die Wäsche zu gehen. Mit solchem Arschloch wäre es ein Höllentrip. Dagegen war Philip – auch optisch - die bessere Alternative.
Seufzend zerknüllte er die leere Riegel-Verpackung und warf sie über die Schulter.
„Hey! Hier ist keine Müllhalde!“, beschwerte sich Philip.
Liam achtete gar nicht darauf. Der Anblick, der sich ihm bot, ähnelte einem Postkartenmotiv. Weißer Sand, dahinter Palmen, darüber ein strahlend blauer Himmel.
Sie waren an einigen Inseln, die genauso aussahen, vorbeigekommen. Wann immer sein Dienst es zuließ, hatte er auf dem vorderen Deck gesessen, aufs Meer geschaut und geträumt. Es war bestimmt wundervoll, auf einer dieser Inseln zu leben und nichts weiter zu tun, als die Schönheit der Natur zu genießen. Natürlich nur, wenn man genug Geld hatte. Andernfalls konnte man das ja gar nicht, weil man für seinen Lebensunterhalt schuften musste.
„Ich finde, wir sind jetzt nah genug“, entschied er und drehte sich zu Philip um.
Mr. Mürrisch guckte schweigend zu, wie er sein T-Shirt auszog und sich das Seil, das zwischen ihren Schlafplätzen lag, um die Taille band. Ehrlich gesagt war ihm schon ein bisschen mulmig zumute. Unterwegs hatte er einen Hai gesehen. Wahrscheinlich handelte es sich nicht um einen Einzelgänger. Blieb nur zu hoffen, dass sich der Rest woanders rumtrieb oder er als Beute nicht infrage kam, weil zu wenig Fleisch an ihm dran war.
„Wärest du so gütig, das andere Ende festzuhalten?“, fragte er süffisant.
Weiterhin stumm griff Philip nach dem Tauende und befestigte es an der Rettungsinsel.
Bevor sich Liam ins Wasser gleiten ließ, schaute er sich nach allen Seiten um. Keine verdächtige Rückenflosse in Sicht. Trotzdem klopfte sein Herz zum Zerspringen, als er bis zum Hals ins kühle Nass eintauchte. Innerlich rief er sich zur Ordnung und begann, in Richtung Insel zu schwimmen.
Wohlbehalten erreichte er den Strand und verschnaufte einige Momente. Warum sollte er eigentlich die ganze Arbeit allein machen? Er ging zu einer Palme, band das Seil um deren Stamm und begab sich auf Entdeckungstour. Vielmehr war das sein Plan, den er aber rasch wieder aufgab. Barfuß traute er sich nicht in die dichte Vegetation. Wer weiß, was für Viecher darin lauerten?
Philip hatte inzwischen angefangen, mithilfe des Seils die Rettungsinsel an Land zu ziehen. Liam packte mit an, so dass sie binnen kurzer Zeit auf dem Trockenen lag. Sie schleppten sie bis zu den Palmen und verankerten sie dort mit dem Tau, damit weder das Meer noch ein Sturm sie forttragen konnte.
Liam schlüpfte in Sneakers und schulterte seinen Rucksack, für den Fall, dass er Einwohner fand und bei denen unterkriechen konnte. „Ich schau mich mal um.“
Zu seinem Erstaunen wollte Philip ihn begleiten. „Wir brauchen Trinkwasser. Wenn’s keines gibt, müssen wir wieder in See stechen.“
Einige Schritte hinter den Palmen begann dichte Vegetation. Liam vernahm die eine oder andere Vogelstimme. Zu seiner großen Freude entdeckte er Bananenpalmen. Verhungern mussten sie also nicht.
Nach einer Weile stießen sie auf eine Lichtung. Dahinter befand sich eine Anhöhe, die aus Felsen bestand. Sie erklommen den Hügel. Oben entsprang ein Quell dem Gestein. Erleichtert atmete Liam auf, denn der Gedanke, wieder auf dem Meer rumzutreiben, hatte ihm wenig behagt.
Philip kniete nieder, schöpfte Wasser in die hohlen Hände, schnupperte daran und probierte einen Schluck. „Scheint okay zu sein.“
Liam beschloss abzuwarten, bevor er ebenfalls trank. Vielleicht fiel Philip bald tot um, weil ein Virus oder sonst was den Quell vergiftete.
Sie folgten dem Wasserlauf, der an einer steinigen Stelle ins Meer mündete. Dort war der Fluss so breit und tief, dass man darin ein Bad nehmen konnte. Also waren auch hygienische Grundvoraussetzungen geschaffen.
„Wieso hat Rossi uns ausgesucht?“, sprach er die Frage aus, die ihm seit ihrem Aufbruch durch den Kopf spukte.
Philip zuckte mit den Achseln. „Vielleicht denkt Rossi, dass sich niemand um zwei verschollene Touristen schert.“
„Ich würde eher annehmen, dass sich hier niemand um zwei verschollene Straßenkinder scheren würde.“
„Die aber weder kochen noch navigieren können.“
„Das hätten Luigi und Fernando auch allein hinbekommen.“
„Wozu sie aber bestimmt keine Lust hatten.“
So schätzte Liam die zwei auch ein. „Spielen wir jetzt Robinson Crusoe und bauen eine Hütte?“
„Tu dir keinen Zwang an“, brummelte Philip und setzte sich in Richtung ihres Landeplatzes in Bewegung.
„Arschloch“, murmelte Liam, nur für seine Ohren bestimmt, drehte um und kehrte zur Lichtung zurück.
Schnell sah er ein, dass er ohne Werkzeug seine Ambitionen vergessen konnte. Wie war das noch? Hatte Robinson aus dem angeschwemmten Schiffstrümmern welche geborgen? Oder selbst welche geschaffen? Schwer vorstellbar. Auch um eine provisorische Schmiede zu bauen, benötigte man entsprechendes Equipment.
Er gesellte sich zu Philip, der neben der Rettungsinsel im Sand saß und mit einem schwarzen Kasten rumspielte.
„Was ist das?“ Liam legte seinen Rucksack ab und ließ sich neben Philip nieder.
„Ein Notsignal-Sender.“
Das Gerät besaß lediglich einen An-Aus-Schalter und ein Lämpchen. „Und wie weit reicht das Signal?“
Philip zuckte mit den Schultern.
Innerlich seufzend, weil sein Gesprächspartner ein Griesgram war, stand er wieder auf und schnappte sich den Rucksack. „Ich geh duschen. Bis später.“
„Mhm-mhm“, machte Philip.
Bestimmt hatte der Arsch gar nicht zugehört. Liam marschierte davon.
Trotz der herrschenden Hitze fand er das kalte Wasser unangenehm. Er gehört zu den Warmduschern. Es war echt Mist, dass sie keine Eimer dabeihatten. Man könnte sonst das kühle Nass in die Sonne stellen und warten, bis es eine annehmbare Temperatur hatte.
Da er keine Lust auf Philip-Miesepeter hatte, begab er sich erneut zur Lichtung. Der Platz war ideal, um ihr Lager aufzuschlagen. Er war groß genug, um ein Feuer zu machen, ohne dass Brandgefahr bestand. Feuer ... Er durchwühlte die Seitentaschen seines Gepäcks und seufzte erleichtert, als er darin Streichhölzer und zwei Feuerzeuge fand. Die hatte er bei seiner letzten Campingtour benötigt und danach vergessen.
Er stellte seinen Rucksack ab und begann, nach Feuerholz zu suchen. Beide Arme voller Reisig und Ästen kam er zurück, schichtete sie in der Mitte der Lichtung und zog erneut los, um nach Palmwedeln Ausschau zu halten.
Als irgendwann Philip auftauchte, hatte er schon einen Haufen Zeugs herbeigeschleppt, unter anderem drei dünne Stämme. Die könnte man gut als Stützpfeiler für ein Blätterdach verwenden.
Spöttisch lüpfte Philip eine Augenbraue. „Räumst du den Wald auf?“
„Genau. Das drinnen sieht’s saumäßig aus.“ Er legte einen weiteren Stapel Palmwedel ab.
„Wenn wir das Konserven-Fraß nicht kalt essen wollen, müssen wir ein Feuer machen.“
„Tu dir keinen Zwang an.“ Liam wies auf das gesammelte Brennholz.
„Tja …“ Philip kratzte sich im Nacken. „Hast du zufällig ein Feuerzeug dabei?“
Es reizte ihn, mit nein zu antworten und zu gucken, wie Philip das Problem löste. Er war aber kein Fiesling. „Zufällig ja.“
„Puh!“ Philip wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn. „Dann hole ich mal eine Auswahl Dosen.“
Liams Magen knurrte begeistert. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er vor Hunger fast starb.
Er begleitete Philip zur Rettungsinsel. Beladen mit Proviant, dem Werkzeugkasten, Besteck, zwei Töpfen sowie den beiden Trinkbechern, die zur Notfallausrüstung gehörten, gingen sie zurück zur Lichtung.
Während sich Philip um das Feuer kümmerte, inspizierte Liam die Werkzeuge. Es handelte sich hauptsächlich um feine Instrumente. Sollte einer von ihnen Zahnschmerzen bekommen, wäre die Kneifzange hilfreich. Dafür, grobe Arbeiten zu verrichten, taugte nichts von dem Kram.
Enttäuscht klappte er den Kasten zu und richtete seine Aufmerksamkeit auf Philip. Der Mann war genau sein Typ. Ungefähr zehn Zentimeter größer als er, kräftiger Körperbau und hübsche, blaue Augen in einem ebenmäßigen Gesicht. Den Bartschatten fand er auch sexy. Schade, dass Philips Charakter so ätzend war. Na ja, selbst wenn es anders wäre, bliebe noch der Umstand, dass Philip kein Interesse hatte.
Als das Lagerfeuer brannte, bastelten sie aus drei starken Ästen ein Dreibein. Liam dröselte ein Stück Tau auf. Mit den Fasern befestigten sie die Topfhenkel an der Konstruktion.
Ihre Vorräte bestanden aus Gemüse und Fleisch in Dosen. Sie mixten Bohnen, Corned Beef und Tomaten. Gewürze hatte Philip leider nicht eingepackt. Kulinarisch würde der Aufenthalt kein Highlight werden.
In Ermangelung von Tellern, mussten sie gemeinsam aus dem Topf essen. Anfangs war Liams Hunger so groß, dass er sich ausschließlich auf seine Mahlzeit konzentrierte. Dann, als sich die Leere in seinem Bauch allmählich füllte, streifte er sein Gegenüber mit dem einen oder anderen Blick. Vor allem Philips Lippen fesselten ihn. Er liebte Küsse und hatte schon viel zu lange keine bekommen. Philips Mund sah aus, als wäre er dafür geschaffen.
„Vielleicht sollten wir hier ein provisorisches Lager aufschlagen“, meinte Philip und wies mit dem Löffel auf die Palmwedel. „Die könnten wir mit Kabelbindern zu einem Dach verarbeiten.“
Überrascht glotzte er Philip an.
„Was? Hab ich was zwischen den Zähnen?“
Er schüttelte den Kopf. „Ich wundere mich nur, dass du plötzlich nett zu mir bist.“
„Sorry. Ein Ausrutscher.“ Philip grinste schief.
„Dann rutschst du hoffentlich noch oft aus.“ Er schob sich einen weiteren Löffel Eintopf in den Mund.
„Vorher sollten wir ein paar Bananen pflücken. Unsere Vorräte schrumpfen sonst zu schnell.“
Nachdem der Topf geleert war, brachen sie – ausgerüstet mit einem Seil, Messer und der Thermo-Überlebensfolie aus der Notfalltasche – auf. Letztere erwies sich als sehr praktisch, um die geerntete Staude zurück auf die Lichtung zu schleppen. Anschließend machte sich Philip an den Palmenwedeln zu schaffen.
Liam säuberte Besteck und Kochtopf, bevor er mitanfasste. Er bemühte sich, um die entspannte Stimmung zu erhalten, beim Arbeiten so wenig wie möglich zu reden. Außerdem schnitt er nur Themen an, die nicht Philips Privatsphäre berührten, wie beispielsweise die jüngsten Ereignisse.
Sie waren sich darüber einig, dass Rossi irgendeine Gaunerei im Schilde führte. Philip glaubte, es wäre Versicherungsbetrug. Das klang plausibel. Es war ratsam, Rossi entweder nie wieder oder nur in Gegenwart von neutralen Zeugen zu begegnen.
Mithilfe des Taus, von dem Liam einige Teilstücke auseinanderdröselte, befestigten sie das Dach an zwei Palmenstämmen und stützten es an den beiden vorderen Ecken mit dicken Ästen ab. Einem Regenguss würde es nicht standhalten. Es bot bloß Sonnenschutz und vermittelte ein wenig Geborgenheit.
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2024
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