Cover

Männerherzen – Frühlingserwachen- Band 2

 


Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.


Copyright Texte: bei den Autoren


Fotos: Depositphotos_2257956_l-2015, Shutterstock 393984700, 71723296


Cover-Design: Lars Rogmann


Korrektur: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Sissi!


Kontakt: https://www.sissikaipurgay.de/


Vorwort


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

für den 37. Band der Homo Schmuddel Nudeln lautet das Motto Frühling.

Die Geschichten handeln von Ostern, von erwachender Natur und den Gefühlen, die damit einhergehen.

Jeder Autor hat das Thema anders interpretiert. Wie immer werden die Einnahmen dieses Bandes komplett (alle Beteiligten verzichten auf ihre Tantiemen) an die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz in Berlin gespendet. Wer sich für ihre Arbeit interessiert, findet sie im Internet unter www.indulgenz.de. Sie sind Streetworkerinnen, die sich um jede arme Seele kümmern und brauchen unsere Unterstützung.

Ich wünsche – im Namen aller Autoren – einen wundervollen Start in den Frühling


Im Nudelgewand

Sissi Kaiserlos


Berthold, der einsame Rammler – Sissi Kaipurgay

Berthold ist der Chef einer Kaninchen-Kolonie, die Ostereier bemalt. Wie jedes Jahr herrscht vorm Fest hohe Betriebsamkeit auf der kleinen Lichtung. Leider läuft dieses Mal nicht alles nach Plan, so dass er gezwungen ist, ungewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen.

1.

Ostern stand bevor. In der Kaninchen-Kolonie trafen fast jeden Tag neue Lieferungen ausgepusteter Hühnereier ein. Aus der Kolonie, in der man sich damit beschäftigte, meldete man immer wieder Ausfälle wegen Blasschwäche. Übersetzt hieß das: Den armen Karnickeln ging die Puste aus. Dabei sollten sie das ganze Jahr Atemübungen machen, um dem österlichen Ansturm gewachsen zu sein.

Auch in Bertholds Kolonie gab es zahlreiche Kranke. Ein Virus hatte ungefähr ein Viertel der Kaninchen lahmgelegt. Er dachte ernsthaft darüber nach, andere Waldbewohner zu rekrutieren. Das wäre das erste Mal in der langen Geschichte der Osterfeiern. Berthold schreckte davor zurück, weil mit Traditionen nicht gebrochen werden durfte. Auf der anderen Seite würde es keiner merken, denn die für die Auslieferung zuständigen Hasen wurden nicht von dem Virus befallen. Insofern blieb der Schein gewahrt. Da war es doch egal, ob Ratten, Ameisen oder Störche die Eier färbten.

Er freundete sich also mehr und mehr mit dem Gedanken, diesen Pfad zu beschreiten, an. Was blieb ihm auch anderes übrig? Wenn er es nicht tat, würden viele Menschenkinder an Ostern wegen der ausbleibenden Eier todtraurig sein.

Apropos todtraurig: Ranunkel, Chef der Bläser-Kolonie, war schon lange sein Schwarm. Leider bestand keine Aussicht, dass seine Zuneigung je erwidert werden würde, denn Ranunkel begattete nur Kaninchendamen. Darüber war er oft betrübt. Er sehnte sich sehr nach einem Partner, denn Alleinsein war so gar nicht sein Ding.

Zurück zu dem anstehenden Fest: Wenigstens von der Farb-Kolonie kamen keine Katastrophenmeldungen. Es stand also ausreichend Material zur Verfügung, um die Eier zu bemalen. Vielleicht waren die Farbmischer durch die giftigen Dämpfe immun gegen das Virus geworden. Ausprobieren, ob das auch in seiner Kolonie funktionierte, wollte Berthold aber nicht.

Er wanderte von Bau zu Bau, um die Fortschritte zu prüfen. Gerade hatte er Frodos Behausung erreicht, als sein Vize Kurt angehoppelt kam und verkündete: „Chef! Wir haben drei neue Krankmeldungen.“

Kurt war nicht der hellste Stern am Himmel und konnte nur bis drei zählen, daher vermutete er, dass mehr gelbe Scheine reingeflattert waren. Der gute Doktor schrieb sich die Finger wund. Vielleicht sollten sie das Verfahren vereinfachen. Beispielsweise könnten Erkrankte eine Möhre vor ihrem Bau platzieren. Allerdings würde die nicht lange rumliegen, denn Gefräßigkeit war ein Laster, das unter den Karnickeln genauso heftig wie das Virus grassierte.

Letzteres, behauptete Doktor Hasenscharte, stammte von Marienkäfern, die als Überträger fungierten. Diese Theorie fand Berthold abstrus. Schließlich waren Marienkäfer Glücksbringer, keine Todesengel ... wobei, gestorben war noch keiner der Infizierten. Die meisten erholten sich nach ungefähr einer Woche. Trotzdem – den niedlichen Krabblern die Schuld in die Schuhe zu schieben, lehnte er ab.

Er folgte Kurt zum Hauptquartier, das sich unter den Wurzeln einer mächtigen Eiche befand. Modernisierungsfanatiker waren der Ansicht, dass man die Unterkunft über der Erde errichten sollte, weil der unterirdische Bau ans Mittelalter erinnerte. Solche Idioten durften sich an die eigene Nase fassen, denn sämtliche Koloniebewohner, einschließlich der Nörgler, hausten unter der Erde. Lediglich die Hasenschänke und Arztpraxis waren in Holzbuden untergebracht.

Bertholds Vermutung erwies sich als richtig: Neun gelbe Zettel waren eingetroffen. „Kurt, mein Augenstern“, säuselte er. „Wie viel ist drei mal drei?“

Sein Vize krauste die Stirn und verengte die Augen zu Schlitzen. Man konnte förmlich sehen, wie es in dem Karnickelhirn ratterte.

„Dreimal so viel wie drei“, spuckte Kurt nach einigen Momenten das Ergebnis aus.

„Bravo.“ Berthold legte die Krankmeldungen auf den Stapel, der inzwischen astronomische Höhe erreicht hatte. Es musste unbedingt etwas passieren und das so schnell wie möglich.

„Ähm, Chef ... was hältst du davon, wenn du und ich auch zum Pinsel greifen?“, schlug Kurt vor.

„Und wer soll dann die anderen beaufsichtigen?“ Zugegeben: Keine sonderlich anspruchsvolle Aufgabe, denn die Rammler waren sehr pflichtbewusst, trotzdem ... er war der Chef und damit Basta!

„Stimmt.“ Sein Vize kratzte sich am Ohr. „Dann gehe ich wieder auf Patrouille.“

„Tu das“, murmelte Berthold, in Gedanken erneut bei seiner Rekrutierungs-Idee.

Im Umkreis lebten ein Fuchs- sowie Wolfsrudel, einige Mäusepopulationen und am Weiher eine Entenkolonie. Die Fressfeinde schieden aus logischen Gesichtspunkten aus. Mäuse hätten mit der Größe der Eier Probleme, galten aber als sehr emsig. Mit den Enten hatte er bislang noch keinen Kontakt. Warum auch? Schließlich lieferten sie keinen Beitrag zu Ostern, obwohl ihre Eier durchaus nützlich gewesen wären.

Er hoppelte hinter Kurt her und rief: „Ich drehe eine Runde durch den Wald.“

Kurt stoppte und wandte sich in seine Richtung. „Soll ich dich eskortieren?“

„Ich komm schon klar. Pass du weiter hier auf.“ Er machte kehrt und galoppierte auf den Waldrand zu.

Sobald er in den Schatten der Bäume eintauchte, erwachte sein Instinkt, der ihn veranlasste, einen großen Bogen um das Rudelgebiet zu machen. Zwar herrschte seit einigen Generationen Waffenstillstand mit den Anrainern, doch es ging das Gerücht um, dass das Wolfsrudel Kriegspläne schmiedete. Ein gewisser Wladi Puta hatte die Leitung übernommen und schien darauf aus zu sein, das Areal anderer Bewohner zu annektieren.

Wozu das gut sein sollte, entzog sich Bertholds Kenntnis, aber er war ja auch nur ein einfaches Karnickel, kein schlauer Wolf. Dafür sah er besser aus als dieser Wladi, der Spähern zufolge schütteres, graues Fell und einige kahle Stellen hatte. Bertholds Pelz hingegen war dicht und braun, außerdem besaß er eine schneeweiße Blume und seidige Ohren. Untenrum hatte er auch einiges zu bieten, doch dafür interessierte sich ja leider keiner.

Nach einer Weile näherte er sich der ersten Mäusepopulation. Es handelte sich um eine Schar von ungefähr fünfzig Nagern, die in anarchischer Gemeinschaft lebten. Wie sowas funktionierte, begriff er nicht. In der Karnickel-Kolonie würde Chaos ausbrechen, wenn niemand das Sagen hatte.

Drei Mäuse sahen ihm entgegen, als er gemächlich auf sie zu hoppelte und vor ihnen stoppte. „Seid gegrüßt. Ich möchte euren Anführer sprechen.“ Vielleicht hatten sie mittlerweile ja erkannt, dass es ohne Führung nicht ging.

„Haben wir nicht und kommt auch nicht in die Tüte“, erwiderte die mittlere Maus. „Was willst du denn?“

„Es besteht die Gefahr, dass wir dieses Jahr die Ostereier nicht rechtzeitig ausliefern können, weil der Krankenstand so hoch ist. Ich brauche daher Hilfe“

„Was für eine Katastrophe!“, entgegnete die Maus ironisch. „Dann liefert ihr eben später.“

„Das geht nicht. Es würde die Kinder traurig machen.“

Sie zuckte mit den Achseln. „Na und? Menschen gehören nicht zu unseren Freunden.“

Verständlich. Mäuse waren echt hart von Übergriffen durch Homo Sapiens getroffen. Man hielt sie in Laboren, verfütterte sie an Schlangen und stellte Fallen auf, um sie zu töten.

„Es hat etwas mit Tradition zu tun. Wir sind daran gebunden“, beharrte er.

Abermals reagierte die Maus mit einem Schulterzucken. „Geht mir am Arsch vorbei.“

„Du darfst das A-Wort nicht sagen“, piepste die links hockende Maus.

„Ich wüsste da jemanden, der dir helfen könnte“, meldete sich die rechte Maus zu Wort. „Komm mit.“ Sie huschte davon.

Berthold verfolgte sie durchs Unterholz bis zu einem Erdloch, vor dem sich leere Nussschalen, vertrocknete Blätter und anderer Unrat türmten.

„Hier hausen die Lotters“, erklärte die Maus. „Frag die mal, ob sie eine Lösung für dein Problem haben.“

Sprach’s und flitzte von dannen.

Misstrauisch beäugte Berthold das Mauseloch. Wieso hatte der Nager ihn in die Slums geführt? War das ein Hinterhalt?

„Hallo?“, rief er, woraufhin erst eine Schnauze, dann schwarze Knopfäuglein erschienen und ihn argwöhnisch musterten. „Hi. Ich bin Berthold von der Oster-Kaninchen-Kolonie.“

Die Maus, ein struppiges Exemplar mit nur einem Ohr, krabbelte ins Tageslicht. „Und was willst du?“

„Ich suche Hilfe. Wir kommen mit dem Bemalen der Eier nicht hinterher.“

Abwägend guckte die Maus ihn an, drehte sich um und piepste. Ein weiteres Augenpaar tauchte auf, dann der Rest des Nagers. Auch der zweite sah verwahrlost aus. Die beiden tuschelten. Er verstand nur einige Worte, wie ‚gute Gelegenheit‘ und ‚loswerden‘. Schließlich richteten die zwei ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn.

„Wir können dir zwei fähige Arbeiter anbieten“, sagte Maus Nummer zwei und piepste etwas in Richtung Bau.

Nacheinander krochen zwei Mäuschen aus dem Loch.

„Das sind Hänsel und Gretel“, stellte die Maus vor. „Sie sind fleißig, ehrlich und pünktlich.“

Eigenschaften, die Berthold sehr schätzte. „Aber sie sind noch Kinder.“

Die Maus stemmte beide Pfoten in die Hüften und funkelte ihn an. „Diskriminierst du etwa Kinder?“

„Nein, natürlich nicht. Wenn sie helfen möchten, sind sie selbstverständlich willkommen.“

„Na also!“ Die Maus wandte sich an die Kleinen. „Ihr geht mit dem lieben Onkel Berthold. Er wird euch gut behandeln.“

„Aber ...“, piepste einer der Winzlinge, vermutlich Gretel. „Aber ich will nicht von hier weg.“

„Ach, komm ...“ Der andere Winzling, also Hänsel, stupste sie an. „Wird bestimmt spaßig.“

„Aber was, wenn wir den Weg zurück nach Hause nicht finden?“, wandte Gretel ein.

Die struppigen Mäuse, wahrscheinlich die Eltern der Kleinen, tauschten einen Blick. Eine der beiden huschte in den Bau, kam mit einem aus Grashalmen geflochtenen Körbchen zurück und begann, in dem Haufen Unrat zu wühlen. Nachdem sie den Korb mit allerlei Bröckchen gefüllt hatte, stellte sie ihn vor die Kleinen.

„Ganz einfach: Ihr markiert den Weg hiermit. Dann findet ihr ganz leicht zurück“, säuselte die Maus.

Berthold runzelte die Stirn. Irgendwie kam ihm die Sache bekannt vor, angefangen bei den Namen, bis hin zu der Sache mit dem Korb.

„Wie soll das gehen?“, erkundigte sich Gretel.

„Ihr lasst alle paar Schritte ein Bröckchen fallen“, erklärte die Maus.

Gretels besorgte Miene hellte sich auf. Hänsel klemmte sich den Henkel des Korbes ins Maul und trippelte rüber zu Berthold. „Von mir ausch kannsch loschgehen.“

2.

Eigentlich wollte er gleich weiter zum Weiher, doch er sah sich verpflichtet, erst die Kinder zur Kolonie zu bringen. Darüber, was für Mist-Mäuse deren Eltern waren, dachte er lieber nicht nach. Er würde niemals die Früchte seiner Lenden wegschicken.

Gewissenhaft platzierten Hänsel und Gretel die Bröckchen an gut sichtbaren Stellen. Berthold grübelte, woran ihn das Ganze erinnerte, kam aber nicht drauf. Färbte sein Vize allmählich auf ihn ab? Vielleicht sollte er Gedächtnistraining machen, um dem entgegenzuwirken.

Auf der Lichtung übergab er die Verantwortung für Hänsel und Gretel an Kurt. Sein Vize war Vater von zwölf Kindern, (Berthold hatte die Schar persönlich gezählt, wegen Kurts erwähnter Zahlenschwäche), daher geübt darin, mit Nachwuchs umzugehen. In der Gewissheit, dass die beiden unter Kurts Fittiche wohlbehütet waren, brach er wieder auf.

Erneut wich er großräumig dem Rudelgebiet aus. Nun, wo er das dritte Mal einen Bogen schlagen musste, brachte er ein Fünkchen Verständnis für Wladis Pläne auf. Es war wirklich angenehmer, sich frei im gesamten Terrain bewegen zu können. Der größte Fressfeind im Umkreis kannte solche Einschränkungen aber gar nicht. Es musste also etwas anderes hinter Wladis Gebietserweiterungs-Bedürfnis stecken. Größenwahn? Ach, egal. Solange die Wölfe seine Kolonie in Ruhe ließen, gab es keinen Grund, weiter darüber nachzudenken.

Am Weiher sorgte sein Erscheinen für Aufregung. Eine Entenschar, die auf dem See paddelte, fing an wild zu schnattern und mit den Flügeln zu schlagen. Hielten die ihn für einen Fuchs? Dann sollten sie mal zum Optiker gehen.

Erst als er dem Treiben ein bisschen zugeguckt hatte, begriff er, dass es sich um eine Art Ballettvorstellung handelte. Eine der Enten drehte eine Pirouette, tauchte und schoss aus dem Wasser empor, um gleich wieder darin zu verschwinden. Das sah ziemlich graziös aus.

Berthold hoppelte zu dem Ufer, an dem sich einige Zuschauer versammelt hatten.

Ein prächtiger Erpel löste sich aus der Gruppe und watschelte auf ihn zu. „Was führt dich her?“

„Ich bin Berthold, Chef der Oster-Kaninchen-Kolonie und ersuche um Hilfe. Mir gehen die Arbeitskräfte aus.“

Der Erpel salutierte lässig. „Egbert, Chef der hiesigen Kolonie. Angenehm.“

Berthold fühlte sich aus Höflichkeit veranlasst, ebenfalls die Pfote zu heben. „Ganz meinerseits.“

„Was ist mit deinen Arbeitern? Mangelt es an Nachwuchs?“

„Bei uns grassiert ein Virus. Ein Drittel aller Bewohner liegt flach.“ Absichtlich übertrieb er ein wenig.

Mit sichtbarem Entsetzen Egbert wich ein Stück zurück. „Und wie soll ich wissen, ob du das Virus nicht mitgebracht hast?“

„Ich habe keinen Kontakt zu Infizierten und lasse mich jeden Tag vom Doktor checken.“

Das schien Egbert zu beruhigen, denn jener rückte wieder näher. „Für welche Art von Arbeit benötigst du denn Hilfe?“

„Für das Färben der Eier. Wir sind schon ein paar Tage im Rückstand.“

„Färben?“

„Anstreichen. Bemalen. Nenn es, wie du willst. Die Dinger müssen eben bunt werden.“

„Ah, verstehe“, brummelte Egbert. „Also eher unqualifizierte Arbeit.“

Wie war das denn bitte zu verstehen? „Meine Leute sind keine Künstler, sondern Handwerker.“

„Lass uns das bei einem Schnabel Entengrütze besprechen“, schlug Egbert vor.

Das hörte sich nicht nach einem Pendant zu Wurzelbier, das Berthold sehr mochte, an. „Danke, aber ich habe schon gegessen.“

Egbert gackerte. „So sagt man bei uns, wenn man jemanden in sein Nest einlädt.“

Baggerte Egbert ihn etwa an?

„Da können wir unter vier Ohren reden“, fügte Egbert hinzu und watschelte los.

Hoffentlich war das kein Synonym für Bubu-machen.

Sie kamen an etlichen Nestern, teil besetzt, teil verwaist, vorbei. Egberts Nest entpuppte sich als großes, aus Stroh und Zweigen geflochtenes Rund, das sich als recht gemütlich erwies. Man konnte darin mit gewissem Abstand zueinander hocken und der weiche Untergrund fühlte sich gut an seinem Hinterteil an.

Es gab tatsächlich Entengrütze, die Berthold skeptisch probierte. Seinen Geschmack traf das pampige, glitschige Zeug nicht.

„Ich dachte immer, ihr seid nur für das Verstecken der Ostereier zuständig“, sagte Egbert.

„Das erledigen die hochwohlgeborenen Hasen. Wir sind bloß das Fußvolk.“

„Hm-hm. Eingebildetes Pack“, stimmte Egbert zu. „Hier kam mal eine Gruppe dieser Halbstarken vorbei. Hat nichts als Ärger gemacht.“

Einige Momente herrschte Schweigen, in der nur Egberts Schmatzen zu hören war.

„Du suchst also Handwerker“, nahm Egbert schließlich den Faden wieder auf. „Wir sind ja eher Flügelwerker.“ Zur Untermalung wedelte Egbert mit selbigen. „Es gibt unter uns aber ein paar begabte Schnabel-Maler, doch die widmen sich der abstrakten Kunst. Bauhausstil, Konstruktivismus und Suprematismus. Na ja, du weißt schon ...“

Nein, wusste er nicht, nickte aber, damit er nicht wie ein Naivling wirkte.

„Solche Künstler kann man nicht überreden, Punkte, Blümchen und ähnliches auf Eier zu malen“, redete Egbert weiter. „Das würde sie beleidigen.“

Berthold fand nicht, dass es unter jemandes Würde war, Hühnereier zu verschönern, behielt das jedoch für sich.

„Der einzige Kolonie-Bewohner, der für deine Zwecke in Frage käme, hält sich für einen Erpel“, fuhr Egbert fort.

„Hä?“ Hatte er sich verhört?

„Sascha ist unter uns aufgewachsen. Wir wollten ihn, als er flügge geworden ist, zu einer eurer Siedlungen bringen, doch er hat sich geweigert. Ich lasse ihn rufen.“ Egbert winkte einen in der Nähe stehenden Erpel herbei. „Hermann, schick bitte Sascha zu uns.“

Gespannt, wer oder was dieser Sascha war, schaute er dem Federvieh hinterher.

„Ein paarmal ist Sascha fast ertrunken, bis er begriffen hat, dass er nicht schwimmen kann. Desgleichen mit dem Fliegen. Er hat Flügel gebastelt und ist einige Male damit abgestürzt. Trotzdem glaubt er steif und fest, dass in ihm ein Erpel steckt“, erzählte Egbert.

Hermann kehrte zurück, gefolgt von einem wunder-wunderschönen Kaninchen. Seidiges Fell, große, dunkle Augen, eine rosige Schnauze und elegant geschwungene Schnurrhaare. Berthold verliebte sich Hals über Kopf.

Egbert schenkte Hermann ein huldvolles Lächeln und bat Sascha mit einem Flügelwink, zu ihnen ins Nest zu steigen.

Selbiger kletterte über die Umrandung, beäugte Berthold und rümpfte das Näschen. „Was bist du denn für ein Tier?“

Egbert verdrehte die Augen. „Das ist Berthold. Ein Kaninchen, genau wie du.“

Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich ein Erpel bin?“, brauste Sascha auf. „Erpel-Erpel-Erpel!

„Lass gut sein.“ Egbert seufzte. „Berthold sucht nach jemanden, der ihn bei den Vorbereitungen fürs Osterfest unterstützt. Wärest du dazu bereit?“

Saschas erboste Miene wechselte zu purem Entzücken. „Ich liebe Ostern! Was muss ich tun?“

„Eier bemalen“, erwiderte Berthold, immer noch benommen von dem Angriff auf sein Herz.

Sascha ließ den Kopf hängen. „Ich kann nicht malen. Bin total untalentiert.“

„Du kannst die einfarbigen Eier übernehmen.“ Bertholds Pfote wollte sich verselbständigen, um Saschas Flanke zu streicheln, doch er befahl ihr, an ihrem Platz zu bleiben.

Saschas Strahlen kam zurück. „Echt? Dann bin ich dabei! Wann geht’s los?“

„Sofort, wenn das möglich ist.“

„Klar! Ich packe nur schnell ein paar Sachen.“ Sascha hüpfte aus dem Nest und wetzte davon.

3.

Wenig später verließen sie die Kolonie. Sascha, einen Rucksack auf dem Rücken, hoppelte neben ihm her. Wie konnte jemand, der nicht watschelte, keine Flügel, keinen Schnabel und keine Federn besaß, behaupten, ein Erpel zu sein? War Sascha geistig beeinträchtigt? Dumme Frage! Natürlich war das der Fall, doch abgesehen von dem Erpel-Manko wirkte der Rammler ziemlich normal.

Sascha summte fröhlich vor sich hin und sah so wunder-wunder-wunderschön aus, dass Bertholds Herz jedes Mal, wenn er den Rammler anguckte, neu entflammte.

„Ich freu mich schon darauf, ganz-ganz viele Eier bunt zu machen“, verriet Sascha und hopste über einen umgefallenen Baumstamm.

Das war gut. Es lagen nämlich reichlich davon auf der Lichtung herum. „Und ich freue mich, dass du uns helfen möchtest.“

„Ist doch selbstverständlich. Ich liebe bunte Eier.“

Hatte Sascha ihm zweideutig zugezwinkert? Nein, niemals. Das bildete er sich bloß ein.

Irgendwann trafen sie auf die Route, die er mit Hänsel und Gretel genommen hatte.

Sascha erblickte eines der Bröckchen, stoppte und schnupperte daran. „Wer lässt denn bitteschön seinen Müll einfach rumliegen? Unverschämt!“ Mit der Pfote fegte Sascha den Brocken ins Unterholz.

So erging es auch der restlichen Spur. Offenbar war Sascha ein Reinlichkeitsfanatiker. Damit konnte Berthold leben. Mit dieser Erpel-Sache weniger.

Als sie die Lichtung erreichten, schaute sich Sascha nach allen Seiten um. „Hier ist gar kein Teich.“

„Habe ich dir einen versprochen?“

„Nein, aber ich dachte ...“ Sascha schenkte ihm ein beschämtes Lächeln. „Ich dachte, wenn ihr malt, dann ist da auch ein Weiher. Man braucht doch Wasser, um Farben anzurühren, oder?“

„Es gibt einen Fluss.“ Mit der Schnauze wies Berthold in die entsprechende Richtung, woraufhin sein Begleiter jubelnd davonraste.

Entzückt starrte er der auf und ab hüpfenden, schneeweißen Blume hinterher. Nur allzu gern hätte er seine Nase darin vergraben. Seufzend wandte er sich ab und begab sich auf die Suche nach Kurt.

Er fand seinen Vize bei der Lagerhalle.

Die kostbaren, fertig bemalten Eier mussten vor der Witterung geschützt werden. Zu diesem Zweck hatte man vor Generationen einen Rhododendron innen mit Matten aus Grasgeflecht, Moosen und Zweigen verkleidet. Die so entstandene Halle hielt sowohl Wind als auch Regen stand.

„Hänsel und Gretel sind ein echter Gewinn“, lobte Kurt. „Die beiden haben schon ganz viele Eier bemalt.“

„Schön zu hören. Kannst du sie bei dir unterbringen?“

Kurt nickte. „Logisch. Da ist noch Platz zwischen meinen drei Kindern.“

Eng, enger, gemütlich, lautete Kurts Devise. Wie sein Vize es schaffte, bei diesen Verhältnissen noch weiteren Nachwuchs zu zeugen, (Kurts Gattin war schon wieder in anderen Umständen) wollte Berthold lieber nicht wissen. „Ich hab bei den Enten einen Rammler aufgetrieben. Er hält sich für einen Erpel. Sprich ihn bloß nicht darauf an, sonst wird er sauer.“

Kurt, zwar ein Fragezeichen über der Stirn, salutierte lediglich. „Alles klar.“

„Dann gucke ich mal, wie es so läuft.“ Berthold warf einen Blick in die Halle, seufzte angesichts der mageren Lagerbestände und begann, von Bau zu Bau zu hoppeln.

Sein Vize hatte Hänsel und Gretel bei Frodo untergebracht. Jener galt in der Kolonie als eines der emsigsten Karnickel. Zwei von den Eiern, die mit einem Band zum Aufhängen geliefert worden waren, baumelten an Galgen. Die Mäuschen, je mit einem Pinsel bewaffnet, klecksten Farbe auf die Eierschalen, während Frodo eine Rolle benutzte, um ein drittes Ei zu färben.

„Ich bin stolz auf euch“, lobte Berthold die drei, was ihm strahlende Mienen einbrachte.

Drei Erdlöcher weiter traf er auf Sascha, der Malwine, einer Karnickeldame, dabei zusah, wie sie Blümchen auf ein Ei pinselte.

„Hast du den Fluss gefunden?“, erkundigte er sich.

Sascha nickte. „Ist das Wasser immer so kalt?“

Berthold hatte keine Ahnung, da er sich stets von dem Bachbett fernhielt. Das nasse Element war für ihn, wie für viele Artgenossen, ein Gräuel. „Willst du etwa darin schwimmen?“

„Natürlich! Ein Erpel ist ein Wasservogel!“

Malwine kicherte. „Du hast da echt einen komischen Vogel angeschleppt, Chef.“

„Komm mit“, wandte sich Berthold an Sascha. „Ich zeige dir, wo du deine Sachen deponieren kannst und dann geht’s an die Arbeit.“

Sascha, eben noch empört, folgte ihm mit einem freudigen Grinsen auf der Schnauze.

Sein Bau war geräumiger als die der anderen. Als Chef trug man viel Verantwortung, also fand er es angemessen, auch über viel Platz zu verfügen. Er zeigte Sascha die Höhle, die er hohen Gästen zu überlassen pflegte. Anschließend begaben sie sich zu Meister Lampe, Leiter der örtlichen Schule.

„Oh, ein neues Karnickel“, freute sich Lampe. „Na, mein Lieber, wie heißt du denn?“

„Sascha und ich bin ein Erpel“, erwiderte Sascha.

Lampe, durch viele Generationen Schüler abgehärtet, lächelte milde. „Dann wollen wir doch mal sehen, wozu deine Flügel taugen.“

Berthold ließ die beiden allein. In Saschas Nähe fühlte er sich wie elektrisiert; ein Zustand, den er möglichst schnell ändern musste. Er konnte es sich nicht leisten, in Gefühlsdinge verstrickt zu werden. Schon gar nicht mit einem angeblichen Erpel.

Abends, als er nach einigen Wurzelbier in der Hasenschänke angenehm angeschickert zu seinem Bau hoppelte, erwartete ihn ein merkwürdiges Bild. Neben dem Eingang befand sich ein Nest, in dem Sascha lag. Meister Lampe, der mit ihm gezecht hatte, hatte berichtet, dass der Rammler mit Migrationshintergrund (die laut Lampe korrekte Bezeichnung für Sascha) gleich nach Arbeitsschluss angefangen hatte, Reisig zu sammeln. Also waren die Zweige für den Nestbau bestimmt gewesen.

Also gut, merkwürdig war der Anblick nicht, da Enten ja nun mal in Nestern schliefen. Es war daher logisch, dass Sascha solches Bett bevorzugte.

Berthold kroch an dem Nest vorbei in den Bau und machte es sich in seiner Schlafhöhle gemütlich. Sein letzter, sehnsüchtiger Gedanke galt Sascha, an den er sich zu gern kuscheln würde.

Am nächsten Morgen wachte er mit pochendem Schädel auf. Geschah ihm recht. Warum hatte er auch zu tief in den Bierhumpen geschaut?

Im Laufe des Vormittags gelang es ihm, eine Gruppe Eichhörnchen, einen Marder und ein Rotkehlchen-Pärchen für die Mitarbeit zu gewinnen. Letztere drängten sich förmlich auf. Inwiefern die beiden von Nutzen sein konnten, erschloss sich ihm nicht, aber darum sollte sich Meister Lampe kümmern. Dem drückte er alle Neulinge aufs Auge.

Mittags traf eine Delegation Störche, angeführt von Adebora, in der Kolonie ein, um neue Eier zu liefern. Angesichts der bunten Schar, die auf der Lichtung herumschwirrte, meinte Adebora: „Wieso rennen hier so viele Nicht-Karnickel rum?“

Weil ihm der überhebliche Storch gewaltig auf die Nerven ging, antwortete er: „Das sind Kaninchen, die im falschen Körper geboren wurden.“

Mit offenem Schnabel starrte Adebora ihn an.

„Hast du etwa noch nie von sowas gehört?“ Berthold wies mit der Pfote auf Sascha, der gerade in schönster Enten-Manier vorbeiwatschelte: Auf den Hinterpfoten, die Vorderläufe wie Flügel an die Seiten gelegt und übertrieben mit der Blume wackelnd. „Nur bei dem ist’s umgekehrt: Das ist ein Erpel im Kaninchenkörper.“

Die meiste Zeit hoppelte Sascha durch die Gegend, als würde er seine eingebildete Identität vergessen haben. Bestimmt war’s ihm einfach zu anstrengend, sich ständig derart unnatürlich zu bewegen. Es war ein Glücksfall, dass Sascha ausgerechnet jetzt solches Schauspiel lieferte.

Adebora kniff die Augen zu, schüttelte den Kopf und brummelte: „O tempora, o mores!“

Irgendwo hatte Berthold diesen Ausspruch schon mal gehört, daher wusste er die Bedeutung: Der Storch beklagte den Verfall der Zeiten und Moral. Was für ein spießiger Idiot!

„Hast du noch mehr dumme Fragen oder kann ich mich wieder an die Arbeit machen?“, erkundigte er sich honigsüß.

Wortlos kehrte Adebora ihm den Rücken zu und erhob sich in die Lüfte. Möge der Blitz den dämlichen Storch beim Fliegen treffen.

Abgesehen von dem Wortwechsel mit dem Scheiß-Storch lief der Tag gut. Sämtliche Bewohner und hinzugekommenen Helfer schufteten bis zum Feierabend. Das Rotkehlchen-Pärchen erwies sich ebenfalls als nützlich: Es beförderte die frisch bemalten Eier, die Schlaufen besaßen, zum Trocknen in die Halle.

Auch am nächsten und übernächsten Tag summte die Lichtung vor Betriebsamkeit. Keine neuen Krankmeldungen trafen ein. Beide Abende war Sascha von oben bis unten mit Farbe bekleckert. Das sah so herzerweichend süß aus, dass sich Berthold noch mehr verliebte. Und an beiden Abenden nahm Sascha ein Bad im Fluss. Das war so schrecklich, dass ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief.

Am folgenden Morgen hing der Himmel voller Wolken. Besorgt spähte Berthold immer wieder nach oben und hoffte, dass Regen ausblieb. Sie würden sonst die Arbeit unterbrechen müssen.

Kurz nach der Mittagspause tauchte Kurt mit Hänsel im Schlepptau vor seinem Bau auf. „Gretel ist verschwunden“, jammerte der kleine Mäuserich. „Sie hatte solches Heimweh. Ich glaube, sie versucht nach Hause zu laufen und hab Angst, dass sie sich im Wald verirrt.“

Angesichts der Tatsache, dass Sascha die Wegmarkierungen weggeräumt hatte, war das durchaus begründet. „Wir stellen sofort einen Suchtrupp zusammen“, beruhigte er Hänsel.

Kurz darauf schwärmten fünf Karnickel aus, Kurt und er an der Spitze. Es dauerte eine Weile, bis sie Gretel nahe der Route, die zur Mäusekolonie führte, fanden. Lautes Schluchzen wies ihnen den Weg zu der Kleinen. Gretel hockte mit rotgeweinten Augen neben einem Fliegenpilz. Kurt eilte zu ihr und schloss sie in die Arme.

„Ich will nach Hause“, jaulte das Mäusemädchen.

Vorsorglich, falls Gretel verletzt war, hatte Berthold eine Kiepe umgeschnallt. In diese setzte Kurt die Maus, streichelte ihr übers Köpfchen und gurrte: „Alles wird gut.“

Das bezweifelte Berthold. Die Lotters dürften wenig entzückt sein, eines der ungeliebten Kindlein zurückzubekommen.

„Ich bringe sie zu den Mäusen“, informierte er seine Begleiter, wandte sich um und hoppelte los.

4.

Mit seiner Vermutung lag er richtig. Die Lotters, die bei ihrer Ankunft vor dem Mauseloch saßen, gemütlich gegen den Haufen Unrat gelehnt, machten sich nicht mal die Mühe, ihr Missvergnügen zu verbergen.

Beide sprangen auf. Das Weibchen stemmte ihre Pfoten in die Hüften. „Was willst du denn hier?“

Gretel, die aus der Kiepe geklettert war, zuckte zusammen.

„Hast du bei den Karnickeln Mist gebaut?“, wollte der Mäuserich wissen.

„Gretel ist fleißiger als alle anderen zusammen“, schaltete sich Berthold ein.

„Und warum bringst du sie dann zurück?“, entgegnete das Weibchen.

„Hab Heimweh!“ Gretel schniefte.

Der Mäuserich schnaubte abfällig und wandte sich an Berthold: „Nimm sie wieder mit. Wir haben kaum genug zu essen für uns.“

Verständlich, wenn man lieber auf der faulen Haut lag, als Nahrung zu sammeln.

„Aber ... aber... Mama, Papa, ich hab euch doch so lieb“, jammerte Gretel.

Ihr Leid ging Berthold dermaßen zu Herzen, dass er sie in eine Umarmung zog und die beschissenen Eltern böse anfunkelte.

Das Weibchen winkte gnädig, als wäre sie eine Königin, mit einer Pfote. „Ja, ja. Und nun geh mit dem Onkel Bert-dings.“

„Lass uns hier abhauen“, flüsterte er in Gretels Ohr.

Sie schmiegte sich kurz an ihn und kletterte über seine Schulter in die Kiepe. Damit ihm nichts Gemeines über die Lippen kam, drehte sich Berthold rasch um und trat den Rückweg an.

Ungefähr auf halber Strecke ertönten auf seinem Rücken Würgegeräusche. Entweder war Gretel das Zusammentreffen mit den fiesen Eltern auf den Magen geschlagen oder das Gehoppele. Sein Herz schwoll vor Mitleid an.

Zurück auf der Lichtung, brach Hänsel angesichts Gretels Rückkehr in Jubel aus. Die Geschwister fielen einander in die Arme. Berthold übergab die vollgekotzte Kiepe an Kurt, damit dieser sie säuberte. Dazu hatte man schließlich einen Vize.

Mittlerweile hatte sich die Wolkendecke verdichtet. Während er die Arbeitsfortschritte begutachtete, schaute er immer wieder voller Sorge nach oben.

Erste Tropfen fielen, als er etwa die Hälfte der Kolonie durchquert hatte. Hektische Betriebsamkeit brach aus. Alle fassten mit an, um die bemalten Eier in Sicherheit zu bringen. Gerade als sich das Nieseln zu einem heftigen Guss steigerte, fand das letzte Ei einen Platz in der Halle. Berthold atmete auf.

Im Nu war die Lichtung kaninchenleer. Die Helfer suchten Schutz unter den Bäumen. Auch Berthold verkrümelte sich ins Trockene. Lediglich Sascha blieb, trotz seiner Ermahnung, gefälligst seinen Hintern in den Bau zu bewegen, im Freien.

Berthold legte sich in den Eingangsbereich und spähte nach draußen. Ein eisiger Windstoß, der Tropfen in den Bau fegte, veranlasste ihn, die Ohren anzulegen. Vor Ostern konnte es noch verdammt kalt werden. Einmal hatte es sogar geschneit.

Eine gefühlte Ewigkeit später ging der Schauer in Dauerregen über. Das stetige Trommeln der Tropfen wirkte einschläfernd. Berthold fielen die Augen zu.

Irgendwann weckte ihn ein Geräusch. Er richtete seine Lauscher auf. Jemand nieste. Das war garantiert Sascha.

Berthold überwand seine Wasserscheu, krabbelte aus der Höhle und sah, dass Sascha zusammengerollt in dem völlig durchnässten Nest lag. Erneut hatte der Rammler einen Niesanfall.

„Du kommst sofort rein!“, befahl Berthold und zog, um seine Forderung zu verdeutlichen, an Saschas Ohren.

„Mir geht’s ... geht‘s gut hier ... hier draußen.“ Die Erwiderung wurde von Zähneklappern begleitet.

Wenn du nicht sofort deinen Fellarsch nach drinnen bewegst, beiße ich dir in die Blume!“, donnerte Berthold.

Einen Moment sah es so aus, als ob er seine Drohung in die Tat umsetzen musste; dann kroch Sascha über den Nestrand und in den Bau. Er sah aus wie ein ertränktes Kätzchen; na gut, wie sich Berthold ein ertränktes Kätzchen vorstellte, denn gesehen hatte er noch keines.

Er scheuchte Sascha in seine Schlafhöhle, schnappte sich zwei Pfoten voll Stroh und begann, ihn abzurubbeln. Sascha zitterte wie Espenlaub und nieste ein ums andere Mal. Berthold hörte erst auf, als seine Vorderläufe erlahmten. Kurzerhand schubste er Sascha aufs Lager, das aus Moos, weichen Zweigen und frischen Blättern bestand. Nachdem er eine dicke Schicht Stroh über ihn gebreitet hatte, legte er sich dazu.

Der Regen war wieder stärker geworden. Neben der Sorge um Saschas Gesundheit war da die um das Eier-Lager. Hoffentlich hielt die Abdichtung dem Unwetter stand.

„Mhm ... das ist schön“, nuschelte Sascha und kuschelte sich an ihn.

Bisher hatte sich Berthold keine Gedanken darüber gemacht, welches Geschlecht Sascha bevorzugte. Na ja, schon ein bisschen. Nun, wo sich Sascha an ihn schmiegte und das in voller Länge, dachte er intensiv darüber nach. Würde sich ein Rammler, der nicht an seinesgleichen interessiert war, - beispielsweise Kurt - derart eng an ihn drängen? Im Krankheitsfall vielleicht schon. Andererseits würde Kurt untenrum keine Regung zeigen. Bei Sascha hingegen spürte er etwas Steifes. Oder war dessen Zapfen eingefroren? Nein, das wäre ihm beim Abrubbeln aufgefallen.

„Du darfst nicht krank werden“, flüsterte er. „Wir brauchen deine Arbeitskraft.“

Unversehens rückte Sascha von ihm ab und kehrte ihm den Rücken zu. Hatte er etwas Falsches gesagt?

„Will jetzt schlafen“, brummelte Sascha.

Das klang sehr verschnupft, womit Berthold nicht die drohende Erkältung meinte. „Hab ich dich beleidigt?“

Keine Antwort.

„Ich möchte nicht, dass du krank wirst, weil ...“ Er schluckte schwer, weil er vor plötzlicher Aufregung einen Kloß im Hals hatte. Wenn er sich irrte, und ihm statt Saschas steifen Möhrchens etwas anderes in den Unterleib gepikst hatte, wurde er bestimmt gleich ausgelacht. „Weil ich dich so lieb hab.“

Stille, dann murmelte Sascha: „Wirklich?“

„Ganz wirklich.“

Wieder war einen Moment Schweigen, bevor Sascha seufzte. „Das ist schön. Gute Nacht.“

Niedergeschlagen, weil er auf eine andere Antwort gehofft hatte, guckte Berthold ins Leere. Inzwischen hatte sich Dunkelheit über die Lichtung gesenkt. Das merkte er, weil tagsüber in seinem Bau Zwielicht herrschte. Nun war’s stockduster.

„Wieso bist du eigentlich ein Erpel?“, platzte er heraus.

„Hm?“

„Na ja, du hast Fell, lange Ohren und so. Äußerlich ähnelst du sehr einem Kaninchen.“

„Meine Mama ist eine Ente, mein Papa ein Erpel, meine Geschwister sind alle Enten. Natürlich bin ich ein Erpel.“ Saschas Stimme wurde immer verschwommener. „Schlaf gut.“

Leises Schnarchen verriet, dass ihre Unterhaltung beendet war. Enttäuscht, da er gern noch ein bisschen geplaudert hätte, kuschelte sich Berthold tiefer in die Schlafmulde.

Sascha war also ein Adoptivkind, das nichts von der Adoption wusste – oder wissen wollte. Er hätte Egbert um mehr Informationen bitten sollen. Nun ja, das konnte er nachholen. Mit diesem Gedanken schlief er ein.



In der Nacht hatte der Regen aufgehört. Strahlender Sonnenschein empfing Berthold, als er gähnend seinen Bau verließ. Leise, um Sascha nicht zu wecken, hatte er sich aus der Schlafhöhle geschlichen. Bevor er jemanden aufscheuchte, wollte er erst die Lage checken.

Die Lichtung war ziemlich matschig. Vereinzelt funkelten Pfützen in den Sonnenstrahlen. Auch die Tropfen, die an den Grashalmen hingen, reflektierten die Strahlen. Das sah wunderschön aus, doch Berthold hatte kein Auge dafür. In seinem Bett lag jemand, der viel schöner als das alles war.

Er hoppelte zu Kurts Bau. Sein Vize hockte davor und putzte sich.

„Die Arbeit wird erst wiederaufgenommen, wenn der Boden ausreichend getrocknet ist“, informierte er Kurt. „Ich schaue derweil, ob ich noch weitere Hilfskräfte anheuern kann.“

Kurt hörte auf, sich das Fell zu lecken. „Haben wir denn nicht genug?“

„Man kann nie genug haben.“ Er wandte sich zum Gehen, da fiel ihm etwas ein. „Sascha hat sich letzte Nacht verkühlt. Schick ihn, wenn er auftaucht, zu Doktor Hasenscharte.“

„Aye, aye.“ Kurt salutierte. „Darf ich jetzt meine Morgentoilette beenden?“

„Selbstverständlich.“

Berthold machte sich auf den Weg zur Entenkolonie. So früh am Morgen, noch dazu nach dem Regen, duftete es wundervoll im Wald. So manches Mal hielt er an, um an einer Pflanze zu schnuppern und vereinzelt auch zu knabbern.

Spiegelblank lag der Weiher da. Am Ufer regte sich hier und da die eine oder andere Ente. Er umrundete das Gewässer und begab sich direkt zu Egberts Nest. Der Koloniechef war bereits wach und futterte Entengrütze. Aßen die Viecher nur dieses Zeug?

„Berthold“, rief Egbert und lud ihn mit einem Flügelwink ein, dem Frühstück beizuwohnen. „Was führt dich zu so früher Morgenstunde her?“

Er kletterte ins Nest. „Kannst du mir was über Sascha erzählen?“

Egbert, den Schnabel voller Entengrütze, nickte, schluckte das Zeug runter und räusperte sich umständlich. „Im Winter kam Schnatterina, eine meiner tüchtigsten Brüterinnen, zu mir und berichtete, dass man ihr ein Kuckucksei untergejubelt hätte. Sie hat sich sofort in Sascha verguckt und ihn wie ihr eigenes Küken aufgezogen. Wir wissen bis heute nicht, wie er in das Nest gelangt ist. Vielleicht hat seine Mutter ihn dort hineingelegt, weil sie ihn nicht versorgen konnte. Vielleicht hat ein Falke oder Bussard Sascha erbeutet und ihn im Flug verloren.“

Nach einem weiteren Schnabel voll Grütze sprach Egbert weiter: „Du weißt ja, wie grausam Kinder sein können. Sie haben Sascha verspottet, weil er angeblich hässlich wäre. Wahrscheinlich ist dadurch in ihm der Ehrgeiz erwacht, genau wie wir zu sein. Das Ganze erinnert mich an die Geschichte vom Hässlichen Entlein, nur dass es zumindest ein Vogel war.“

„Meinst du, dass Sascha in einer liebevollen Gemeinschaft zu seinem wahren Ich finden könnte?“

Egbert zuckte mit den Flügelansätzen. „Ich bin kein Psychologe.“

„Er ist ein fleißiger, fröhlicher und kluger Bursche. Es wäre schade, wenn er wegen eines Kindheitstraumas ewig Außenseiter bleiben würde.“

„Ganz meine Meinung. Daher bin ich auch froh, dass du ihn mitgenommen hast.“ Egbert seufzte. „Wir hätten ihn schon viel eher in eine eurer Kolonien bringen sollen, aber Schnatterina mochte ihn nicht gehenlassen.“

„Danke für die Auskunft. Du hast mir sehr geholfen.“ Berthold kletterte aus dem Nest.

„Richte Sascha meine Grüße aus. Wir vermissen ihn, aber er ist bei euch wirklich besser aufgehoben.“

5.

Als Sascha aufwachte, war der Platz neben ihm leer. Ehrlich gesagt war Bertholds Lager weitaus bequemer als sein Nest – sein kaputtes Nest. Er musste ein neues bauen, denn es war bestimmt hinüber.

Ihm fiel das Gespräch von letzter Nacht ein. Berthold hatte behauptet, ihn sehr lieb zu haben. Er mochte Berthold auch sehr, aber er war nun mal ein Erpel und Berthold ein Kaninchen. Eine unüberbrückbare Differenz. Dass Berthold ein Männchen war, störte ihn überhaupt nicht. Im Gegenteil. Schon lange wusste er, dass ihn Zepter mehr anzogen als Spalten.

Gähnend streckte er seine Hinterläufe aus. Jau! Es war echt gemütlich in Bertholds Bettchen. Im Nest stieß er bei solcher Aktion stets an die Umrandung.

Er kroch unter der dicken Schicht Stroh hervor und räumte die Höhle auf, bevor er den Bau verließ. Sein Nest war nur noch ein Haufen nasser Zweige. Moos und Blätter hatte der Regen fortgeschwemmt. Seufzend betrachtete er die Zerstörung, dann ließ er seinen Blick umher schweifen. Hier und da hoppelte ein Kaninchen über die Lichtung, ansonsten herrschte Ruhe.

Sein erster Weg führte zu Kurt, um zu fragen, was los war. Mit der Auskunft, dass die Arbeit erst später weitergehen konnte und er den Doktor konsultieren sollte, begab er sich zum Fluss. Entengrütze gab es keine, dafür Binsen. Ehrlich gesagt mochte er beides nicht sonderlich, aber als Erpel hatte er ja keine Wahl. Da fraß man eben sowas. Von Fischen, Fröschen, Schnecken, Würmern und Larven nahm er allerdings Abstand. Die würde er niemals runterbringen.

Nachdem er seinen ärgsten Hunger gestillt hatte, hoppelte er zur Praxis. Doktor Hasenscharte lauschte an seiner Brust, guckte ihm ins Maul und klopfte auf seinem Rücken herum.

„Alles Bestens, mein Junge“, verkündete der Arzt. „Aber du solltest mehr fressen. Man kann ja auf deinen Rippen Klavier spielen.“

Was war ein Klavier? Egal. Hauptsache, er hatte keine Erkältung.

Ziellos strich er übers Gelände. Bei Frodos Bau hielt er an. Der Bewohner hockte davor und mümmelte eine Möhre. Sein Magen, eben noch zufrieden, meldete sich mit einem Knurren.

Seit er in der Kolonie lebte, wurden die Zweifel an seiner Identität immer lauter. Konnte es sein, dass mit ihm etwas nicht stimmte? Dass sein Spiegelbild, das er häufig im Wasser betrachtete, nicht trog und er unter dem Fell gar keine Federn besaß?

„Willst du auch eine?“ Frodo fischte eine Möhre unter einem Haufen unbemalter Eier hervor, guckte sich nach allen Seiten um und flüsterte: „Aber sag’s nicht weiter. Ich hab nur einen kleinen Vorrat.“

Zack!, schnappte er sich den Leckerbissen und ließ sich neben Frodo nieder. Seine Zähne in das saftige, süße, orange Fleisch zu bohren, jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken. Es fühlte sich fast so an wie die Momente, in denen er heimlich seinen Zapfen gerieben und glückselige Erleichterung erlebt hatte.

„Isch find’sch klasche, dasch du deinen Traum lebscht“, nuschelte Frodo mit vollem Maul.

„Welchen Traum?“

Frodo schluckte den Bissen runter, ehe er antwortete: „Na, den, ein anderer zu sein. Ich wünsche mir oft, ein Fisch zu sein und im Fluss bis zum Ozean zu schwimmen. Das wäre bestimmt mega.“

„Du könntest ein Floß bauen. Das ist zwar nicht das Gleiche, aber bis zum Meer kommst du damit auch.“ Glaubte Sascha zumindest. Erfahrung dahingehend besaß er keine. Sein Leben hatte sich bisher am Weiher abgespielt.

„Ich bin wasserscheu“, vertraute Frodo ihm an.

„Das ist schlecht. Dann frag doch einen der Störche, ob sie dich hinbringen.“

Frodo schnaubte verächtlich. „Diese aufgeblasenen Viecher frage ich bestimmt nicht.“

In der Tat waren die Störche ziemlich hochmütig. Dabei sahen sie total hässlich aus, mit den Streichholzbeinen und monochromen Gefieder. Kein Vergleich zum prächtigen Federkleid eines Erpels ... ach ja, und da war er wieder bei seinem Problem.

Seine Mutter hatte ihm immer wieder gesagt, dass er ihr Sohn war. Ein paar Mistenten hatten hingegen behauptet, dass er ihr bloß untergeschoben worden wäre. Was, wenn die Mistenten recht hatten? Es würde ihm das Herz brechen, weil seine Mutter ihn dann belogen hätte. Andererseits war er inzwischen flügge.

„Danke für das leckere Frühstück.“ Er erhob sich und schenkte Frodo ein Lächeln, ehe er sich zum Waldrand aufmachte, um Zweige, Moos und Blätter zu besorgen.

Als er mit dem Material zu den Überresten seines Nestes kam, traf er auf Berthold. Da er – von plötzlicher Scheu erfasst - nicht wusste, was er sagen sollte, beschränkte er sich auf ein knappes: „Moin.“

Berthold antwortete einsilbig und entfernte sich in Richtung Ei-Lager.

Mittags hatte die Sonne den Boden soweit getrocknet, dass die Arbeit wieder aufgenommen werden konnte. Saschas Nest war zu dem Zeitpunkt fertiggestellt. Er war froh, sich auf etwas anderes, das ihn von seinen verwirrenden Gedanken ablenkte, stürzen zu können.

Alle werkelten bis zum Dunkelwerden. Es galt, die verlorene Zeit aufzuholen. Sascha war so erschöpft, dass er auf sein übliches Bad verzichtete. Stattdessen putzte er sich, wie er es heimlich, wenn keiner hinsah, in der Entenkolonie getan hatte, indem er sein Fell ableckte.

Gerade hatte er sich in seinem neuen Nest zusammengerollt, als Berthold vorbei hoppelte, „Gute Nacht“, brummelte und in den Bau verschwand.

Bertholds ureigener Duft, der von einer schwachen Brise zu ihm rüber getragen wurde, war berauschend. Mit einem Schlag war Sascha hellwach und elektrisiert bis in die Krallen. Moment! Wieso Krallen und nicht Paddel? Warum bezeichnete er seine Körperteile in Kaninchensprache? Weil du eines bist, flüsterte es in seinem Schädel. Während er den Sternenhimmel betrachtete, ließ er die neue Erkenntnis auf sich wirken. Es war weniger erschreckend als befürchtet. Eigentlich kam er sogar ziemlich gut damit klar, denn sie eröffnete Möglichkeiten.

Er kroch aus dem Nest, in den Bau und drang bis zur Schlafhöhle vor. Plötzlich erfasste ihn ungewohnte Nervosität. Was, wenn er Berthold falsch verstanden hatte? Wenn es sich bei dem Liebhaben lediglich um die Gefühle, die ein Chef jedem Untertanen entgegenbrachte, handelte? Dagegen sprach das, was er in der letzten Nacht an seinem Unterleib gespürt hatte. Also, nicht seinen steifen Zapfen, sondern Bertholds. Auf der anderen Seite neigte dieses Teil vorm Einschlafen oft zur Härte. Es musste also nichts bedeuten.

„Was ist?“, murrte Berthold, der sich bis zu den Schnurrhaaren im Stroh vergraben hatte.

„Darf ich ...“ Vor Aufregung drohte, seine Stimme zu versagen. Er atmete tief durch. „Darf ich wieder bei dir schlafen?“

„Mhm. Ist ja Platz genug.“

Im schwachen Licht des Mondes krabbelte Sascha zur Bettstatt und gesellte sich zu Berthold. Männlicher Duft hüllte ihn ein. In seinem Bauch begann es zu kribbeln.

„Du-hu? Ich muss dir was sagen“, flüsterte er.

Berthold, der auf dem Rücken lag und die Decke anguckte, brummte: „Hm?“

„Ich bin ein Kaninchen.“

„So, so.“

„Glaubst du mir nicht?“

Berthold drehte sich in seine Richtung. „Ist das ein Test? Soll ich jetzt sagen: Nein, lieber Sascha, du irrst dich. Du bist eindeutig ein Erpel?“

„Du bist doof.“ Beleidigt kehrte er Berthold den Hintern zu.

Stroh raschelte. Ein Vorderlauf schlang sich um seinen Brustkorb. Er spürte Bertholds warmen Körper an seinem Rücken.

„Und du bist so süß, dass ich dich auffressen möchte“, flüsterte Berthold in seinen Lauscher.

Das Bauchkribbeln, das verschwunden war, kam zurück. Mit einem wohligen Seufzer schmiegte er sich tiefer in die Umarmung.

„Krieg ich ein Küsschen?“, wollte Berthold wissen.

Flink drehte er sich um. Der sanfte Kuss erzeugte Wärme in seiner Brust. Krallen fuhren über sein Rückgrat und vergruben sich in seinem Bürzel ... äh, seiner Blume. Wie ein Blitz fuhr ihm Erregung in die Lenden.

Es wurde heiß .... sehr heiß! Stroh flog in alle Richtungen. Ihr Schnaufen bildete die Geräuschkulisse zu den unglaublich schönen Sachen, die Berthold mit ihm anstellte.

Hinterher lagen sie engumschlungen da. Ein breites Grinsen hatte sich auf Saschas Maul eingenistet.

„Hast du mich auch lieb?“, fragte Berthold leise.

„Und wie“, gab er im Flüsterton zurück. „Darf ich bei dir bleiben?“

„Bitte, ja.“ Berthold streichelte seine Lauscher. „Und es ist mir egal, ob du ein Erpel bist oder nicht.“

Das musste Liebe sein. Zufrieden schloss Sascha die Augen und kuschelte sich noch dichter an Berthold.

Epilog

Ostern war seit zwei Wochen vorüber. Jedes Jahr fiel danach eine Last von Bertholds Schultern, nur um zehn Monate später zurückzukehren.

Kurt war mit Hänsel und Gretel zur Mäusekolonie gehoppelt. Doktor Hasenscharte hielt es wichtig für die Entwicklung der Kinder, ihre Wurzeln zu kennen. Damit stimmte Berthold nicht überein. Derart verrottete Wurzeln wie die Lotters sollte man besser gar nicht kennen. Da der Doktor in medizinischen Fragen das letzte Wort hatte, musste er sich aber beugen.

Sascha und Frodo bauten an einer Werkstatt, in der sie Holzarbeiten erledigen wollten. Das Gebäude errichteten sie aus Steinen, die sie mit Lehm vom Seeufer zusammenklebten. Als Dach sollten Äste dienen, auf denen sie ein Stück Müll, das sie im Wald gefunden hatten, befestigen wollten. Dieser Müll sah aus wie Papier, war wasserfest und dehnte sich ein bisschen. Er war bedruckt mit einem blauen A in einem weißen Kreis, der sich auf blauem Untergrund befand. Doktor Hasenscharte sagte, es würde sich um Plastik handeln. Berthold gefiel das Zeug nicht. Hoffentlich tauchte nicht noch mehr davon auf.

Er lag in der Sonne und sah Frodo und Sascha beim Werkeln zu. In Gedanken war er bei der letzten Nacht. Sascha und er hatten das Stroh in der Schlafhöhle dreimal zerwühlt. Ein zufriedenes Grinsen bog seine Maulwinkel nach oben. Das Leben war schön, seit er Sascha an seiner Seite hatte.

Das Geräusch eines sich nähernden Vogelschwarms ließ ihn hochschauen. Eine Schar Enten setzte zum Landanflug an. Er erkannte Egbert an der Spitze, erhob sich und hoppelte den Besuchern entgegen.

Elegant setzte Egbert auf dem Boden auf. Nachdem der Erpel seine Flügel sortiert hatte, trat er auf Berthold zu und begrüßte ihn mit den Worten: „Du siehst entspannt aus.“

„Der Stress ist ja auch vorbei.“

„Ich komme leider in einer unangenehmen Mission.“ Egbert winkte einen Erpel, der ein Weidenkörbchen im Schnabel hielt, heran. „Man hat schon wieder etwas in eines unserer Nester geschmuggelt. Anscheinend verwechselt uns jemand mit einer Babyklappe.“

Berthold guckte in das Körbchen. Darin lag ein weißer Wattebausch. Das Ding war so süß, dass er sich sofort verliebte.

Mama!“, ertönte hinter ihm Saschas Stimme.

Im nächsten Moment fegte der Rammler an ihm vorbei und fiel einer der Enten, die sich in Egberts Gefolge befanden, um den Hals.

„Hallo Sascha“, brummelte Egbert, der vollkommen ignoriert worden war, amüsiert. „Ich freue mich auch, dich zu sehen.“

„Werdet ihr das Baby wieder aufziehen?“, fragte Berthold, obwohl ihm schwante, weshalb die Entenschar hergekommen war.

„Ich hatte eigentlich vor, es bei euch unterzubringen, damit nicht wieder Verwirrung entsteht.“ Mit dem Schnabel winkte Egbert vielsagend in Richtung Sascha.

„Ich weiß nicht ... derzeit haben alle verfügbaren Damen mit ihrem eigenen Nachwuchs zu tun.“

Sascha löste sich von Schnatterina, trabte herbei und warf einen Blick in das Körbchen. Genau erkannte Berthold den Moment, in dem sein Schatz das gleiche Schicksal wie er erlitt: Herzchen erschienen in Saschas Augen.

„Können wir es nehmen?“, wandte sich Sascha mit Welpenblick an ihn.

„Ein Kind braucht eine Mutter“, entgegnete er. „Männchen geben keine Milch.“

„Bestimmt hilft Kathinka uns aus.“ Kathinka war Kurts Gattin und mit drei Neuankömmlingen gesegnet.

„Ich denke, ihr bekommt das hin“, mischte sich Egbert ein und gab dem Erpel, der das Körbchen hielt ein Zeichen, woraufhin dieser es auf den Boden stellte.

Der Wattebausch regte sich und begann zu fiepsen.

„Ich bringe es zu Kathinka“, stieß Sascha hervor, schnappte sich den Korb und flitzte davon.

„Na, das läuft doch wunderbar.“ Egbert zwinkerte ihm zu. „Herzlichen Glückwunsch. Du bist offenbar gerade Vater geworden.“

Den Eindruck hatte er auch und versuchte angestrengt, damit klarzukommen.

„Ich bleibe noch ein bisschen bei meinem Sohn“, verkündete Schnatterina und watschelte in die Richtung, in die Sascha entschwunden war.

Nachdem Egbert mit Gefolge wieder in die Lüfte gestiegen war, hoppelte Berthold zu Kurts Bau. Auf einer Grasnarbe lag Kathinka, umgeben von ihren drei Sprösslingen, Sascha und Schnatterina. Der Wattebausch hing an einer ihrer Zitzen.

„Was ist es überhaupt?“ Er ließ sich neben Kathinka nieder und beäugte das wonnige Ding. „Junge oder Mädchen?“

„Ein Mädchen. Ihr müsst ihr noch einen Namen geben“, erwiderte Kathinka.

„Wie wäre es mit Fedora?“, schlug Schnatterina vor.

„Nichts mit Federn!“, lehnte Berthold kategorisch ab.

„Ich bin für Schneeball“, sagte Sascha. „Das passt gut zu ihr.“

Und so zog Schneeball zu ihnen in die Höhle. Damit war’s erstmal vorbei mit der trauten Zweisamkeit. Der Wattebausch verlangte nämlich alle naslang nach Milch. Dafür hatten sie die hübscheste Tochter der Welt bekommen.

Hänsel und Gretel fanden, als sie flügge waren, Partner in der Mäusekolonie, die westlich der Lichtung lag. Oft kam sie zu Besuch und vor Ostern brachten sie stets eine ganze Meute an Helfern mit.

Wladi setzte die Eroberungspläne nicht um. Es hieß, er wäre über seinen eigenen Größenwahn gestolpert und fristete nun ein Dasein als Einzelgänger.

Sascha wurde ein begabter Tischler, der so manches brauchbare Möbel oder Werkzeug herstellte.

Und so lebten alle glücklich und zufrieden, bis ans Ende ihrer Tage.



ENDE



Impressum

Texte: bei den Autoren
Bildmaterialien: Shutterstock, Depositphotos
Cover: Lars Rogmann
Korrektorat: Bernd Frielingsdorf, Aschure, Sissi
Satz: Sissi
Tag der Veröffentlichung: 23.03.2024

Alle Rechte vorbehalten

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