Halloween – Herzen
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren.
Copyright Texte: bei den Autoren
Fotos: shutterstock_569453887 und 71723296, Kürbis mit Herz: Sissi
Cover-Design: Lars Rogmann
Korrektur: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Sissi
Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/
https://www.sissikaipurgay.de/
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
für den 36. Band der Homo Schmuddel Nudeln lautet das Motto Halloween.
Die Bräuche, die ursprünglich aus Irland stammen und von Einwanderern in den USA weitergeführt wurden, haben sich in den letzten Jahrzehnten auch bei uns etabliert. Längst ist es ein gewohntes Bild, an diesem Abend Geister und andere Gruselgestalten durch die Straßen laufen zu sehen.
Wie immer hat jeder Autor das Thema anders interpretiert. Und wie immer gehen die Einnahmen dieses Bandes an die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz in Berlin. Wer sich für ihre Arbeit interessiert, findet sie im Internet unter www.indulgenz.de. Sie sind Streetworkerinnen, die sich um jede arme Seele kümmern und benötigen unsere Unterstützung.
Ich wünsche – im Namen aller Autoren – einen schönen Herbst und ein gruseliges Halloween
Im Nudelgewand
Sissi Kaiserlos
Peers Halloweenpartys waren sehr beliebt. Es gab Getränke bis zum Abwinken, gutes Essen und ein DJ sorgte für musikalische Untermalung. Manchmal befanden sich Animateure unter den Gästen, die Partyspielchen anboten. Einmal hatte Peer sogar eine Stripperin engagiert. Eine Wiederholung würde es allerdings nicht geben, weil dann Security-Personal bereitgestellt werden müsste. Das arme Mädel hatte sich kaum der Grabscher erwehren können.
Marcel legte letzte Hand an sein Kostüm. Stets ging er als Zauberer, Skelett oder Frankenstein. Dazu, sich jedes Jahr erneut mit seiner Kostümierung zu beschäftigen, hatte er nämlich keine Lust. Dieses Mal war wieder letzterer dran. Sein Haar hatte er unter einer Perücke mit hoher Stirn verborgen, seine Augen grün umrandet, auf seine Wange eine Naht gemalt. Dazu trug er schwarze Klamotten, darüber ein froschgrünes Jackett. Sonderlich originell war das nicht, aber es erfüllte seinen Zweck.
Bei Peer handelte es sich um einen ehemaligen Kommilitonen. Sie hatten seit seinem Abschluss nur noch losen Kontakt. Das gleiche galt für Matzer, Kirk und Benny, ebenfalls Ex Mitstudenten, wie er Urgestein auf den Partys.
Ein Taxi brachte ihn zum Veranstaltungsort. Peer wohnte in Winterhude, in einem Penthouse, das auf ein altes Fabrikgebäude gesetzt worden war. Die Etagen darunter wurden von Künstlern, Studenten und Individualisten bevölkert. Als letztere bezeichnete Peer Leute, über deren Einkommensart er nichts wusste. Es konnte sich um Drogendealer, Zuhälter oder Syndikatsbosse genauso wie um Menschen, die einem normalen Job nachgingen, handeln.
Peer gehörte in die Kategorie Sohn reicher Eltern. Ein respektabler Beruf, wie er stets augenzwinkernd behauptete. Es war nicht so, dass Peer gar nichts tun musste. Beispielsweise war die Teilnahme an Wohlstätigkeits-Veranstaltungen Pflicht. Peers Eltern spendeten an zahlreiche Organisationen, wodurch solche Feierlichkeiten in regelmäßigen Abständen auf dem Terminplan standen.
Das gesamte Gebäude war hell beleuchtet. Aus einigen Fenstern hingen aufblasbare Geisterfiguren. Beidseitig der offenstehenden Haustür waren Kürbisse aufgestapelt. In dem breiten Flur dahinter herrschte gähnende Leere. Die Flut von Leuten, die bei anderen Partys zwischen draußen und drinnen wechselten, blieb hier aus, denn man durfte auf Peers Dachterrasse rauchen.
Als er in der Liftkabine stand, gesellten sich zwei Hexen, die sich ihm unbemerkt an die Fersen geheftet hatten, zu ihm. Die eine war so groß wie er, also ungefähr eins siebzig, die andere etwas kleiner. Beide trugen spitze Hüte, weiße Langhaarperücken und grelles Makeup, dazu bodenlange, schwarze Umhänge.
„Lass mich raten: Du bist Frankenstein“, sprach ihn die Kleinere an.
„Bingo. Woran hast du das erkannt?“
Sie kicherte und zuckte mit den Schultern.
Der Aufzug hielt im 1. Stock. Weitere Leute stiegen ein: Hulk, Batman und der Joker. Hoffentlich erinnerten sich die beiden nicht an ihre Feindschaft, bevor die Kabine ihr Ziel erreichte. Marcel wollte nicht ins Kreuzfeuer geraten.
„Wo hast du Robin gelassen?“, fragte die kleine Hexe Batman.
„Der darf erst zur Party, wenn er all meine Unterhosen gebügelt hat.“ Batman feixte.
„Oh, ich liebe gebügelte Unterwäsche! Darf ich mir Robin mal ausleihen?“, rief die Kleine.
„So lange es nur zum Bügeln ist, Baby.“ Batman zwinkerte ihr zu.
Die Kabine erreichte ohne Zwischenfälle das 5. Stockwerk. Musik dröhnte ihnen entgegen, als die Türen auseinanderglitten. Marcel folgte seinen Liftgefährten ins Getümmel.
Ein Pils später traf er die beiden Hexen auf der Dachterrasse wieder. Die Kleine hielt einen Joint in der Hand.
„Willst du auch mal?“, bot sie ihm an.
„Danke, nein. Wenn ich trinke, kiffe ich nicht.“ Beides zusammen führte bei ihm zu Kotzattacken.
„Sehr vernünftig.“
Peer, der einen Riecher für illegale Substanzen besaß, tauchte neben ihm auf. „Na, Mädels? Amüsiert ihr euch?“
„Jau. Ist prima hier.“ Sie reichte Peer, der sich als Skelett verkleidet hatte, den Joint.
„Ich bin übrigens Walburga und das ist meine Schwester Damila“, stellte sich die Kleine vor.
„Ich bin Marcel. Was studiert ihr?“
„Natürlich Alchemie.“ Sie kicherte. „Meine langweilige Schwester ist BWLerin.“
„Der Kicker wird gerade frei“, meldete sich Damila zu Wort und schubste Walburga in die entsprechende Richtung.
Auf der Dachterrasse waren vier dieser Tische aufgestellt und stark frequentiert.
„Och nö! Hab keine Lust“, maulte Walburga.
„Ich aber“, mischte sich Marcel ein.
Kickern interessierte ihn weniger, Damila umso mehr. Irgendwas an der Hexe reizte ihn.
Nach dem ersten Spiel war er überzeugt: Unter dem Hexenkostüm steckte ein Mann. Damilas tiefe Stimme hatte seinen Argwohn geweckt. Ihre Fingernägel waren zwar schwarz lackiert, die Proportionen der Hände jedoch eindeutig die eines Kerls. Hinzukam die Euphorie, mit der sie kickerte. Sowas hatte er noch nie bei einer Frau erlebt.
„Ich besorge Getränkenachschub. Willst du auch ein Bier?“, erkundigte er sich.
Sie nickte.
Bei seiner Rückkehr hatte der Hulk seinen Platz eingenommen. Kurzerhand stellte er sich neben Damila und bildete mit ihr ein Team, woraufhin Hulk den Joker zu Hilfe rief.
Die Runde gewannen sie, die nächste das gegnerische Team, die dritte ging wieder an sie. Hulk/Joker verlangten Revanche.
Es geschah beim fünften Spiel. Hulk wehrte einen Torschuss derart vehement ab, dass der Ball hochkatapultiert und in Damilas Richtung geschleudert wurde. Das Geschoss prallte gegen ihr Gesicht, bevor es ins Nirwana verschwand. Betroffen sah Marcel, dass ihre Wange anschwoll. Sie schien unter Schock zu stehen, denn sie war mitten in der Bewegung erstarrt.
„Ey, das tut mir echt leid“, brummelte Hulk.
Er achtete nicht darauf, schnappte sich Damilas Arm und begann, sie in Richtung Bad beziehungsweise eines der Bäder – es gab mehrere - zu manövrieren. Dort befand sich, das wusste er von seinen diversen Pinkelausflügen, ein Erste-Hilfe-Kasten. Oder wäre ein Eisbeutel als Erstversorgung besser? Er änderte ihren Kurs.
In der Küche wuselte Personal herum. Angesichts Damilas Gesicht eilte eine Frau zum Kühlschrank, fischte etwas aus dem Eisfach und reichte es Marcel, der es gegen Damilas Wange hielt. Es handelte sich um einen Beutel Tiefkühlerbsen.
Er nötigte sie, sich auf einen Stuhl zu setzen, den er zuvor aus der Arbeitszone schob. Sie nahm Platz und schenkte ihm ein verzerrtes Lächeln. Bestimmt tat die Verletzung höllisch weh.
„Danke“, flüsterte sie und blinzelte ihn an.
Er stand auf blaue Augen. Damilas besaßen die Farbe des Sommerhimmels. Sie, oder eher gesagt er, gefiel Marcel von Minute zu Minute besser.
Ohne nachzudenken beute er sich runter und hauchte einen Kuss auf Damilas Lippen. Als er sich wieder aufrichtete, rauschte Walburga in den Raum und drängte ihn beiseite.
„Wer war das?“, verlangte sie zu wissen, wobei sie grimmig die Schwellung beäugte.
„Es war ein Unfall“, erwiderte Damila.
„Du musst ins Krankenhaus“, stellte Walburga fest.
„So schlimm ist es nicht.“
Marcels Blase drückte. Vor allen Bädern stand eine Schlange. Er musste eine Weile warten, bis er seine Notdurft verrichten konnte. Bei seiner Rückkehr in die Küche waren die Hexen verschwunden. Seine Suche nach den beiden blieb erfolglos. Anscheinend waren sie tatsächlich ins Krankenhaus gefahren. Als er Peer danach fragte, wusste der von nichts.
„Kannst du mir die Namen der beiden geben?“, erkundigte sich Marcel.
„Keine Ahnung, wie die heißen. Ich hab an der Uni einen Aushang am schwarzen Brett gemacht.“
Schade. Er hätte Damila gern wiedergesehen. Ach, egal. Andere Mütter hatten auch hübsche Söhne.
Am nächsten Morgen bereute er, dass er a.) gesoffen hatte und b.) nicht sofort die Notaufnahme gefahren war, um nach Damila zu suchen. Das erste, an das er – trotz Kater - nach dem Aufwachen gedacht hatte, waren nämlich himmelblaue Augen. Die Wahrscheinlichkeit, sie je wieder zu sehen, war mit seinem Versäumnis gen Null gesunken.
Im Bad erwartete ihn eine unangenehme Überraschung. In der vergangenen Nacht hatte er es offenbar nicht mehr geschafft, in die Kloschüssel zu zielen. Auf den Fliesen befand sich eine Lache Erbrochenes. Der ganze Raum war erfüllt von säuerlichem Gestank.
Nach einer Kopfschmerztablette und einem Kaffee beseitigte er die Sauerei, ehe er in die Duschkabine stieg. Während heißes Wasser auf ihn herabprasselte, überlegte er, ob es nicht doch eine Chance gab. Moment! Als er am Kickern war, hatte Matzer, als Gorilla verkleidet, mit Walburga geflirtet. Vielleicht konnte sein Kumpel ihm helfen.
Er erreichte Matzer erst am späten Nachmittag. So rau, wie dessen: „Wer stört mich so früh am Morgen?“, klang, hatte sein Kumpel noch lange gefeiert und deshalb das Telefon auf stumm gestellt.
„Hast du zufällig die Handynummer der kleinen Hexe Walburga?“
„Hm? Weis nich. Muss mal gucken.“
In der folgenden Stille hörte er Matzer gähnen und Unverständliches vor sich hin brummeln.
„Ich hab hier einen neuen Eintrag, aber die Schnitte heißt Wanja, nicht Walburga.“
„Gibst du mir die Nummer?“ Bestimmt hatte Walburga einen Decknamen benutzt.
„Nö.“
„Ich will sie nur nach ihrer Schwester fragen.“
„Das sagen alle.“
„Echt. Ich hab kein Interesse an Walburga.“ Gegenüber seinen Ex-Kommilitonen hatte er sich nicht geoutet. Es ging niemanden etwas an, welches Geschlecht er bevorzugte. Heteros rannten ja auch nicht durch die Gegend und erzählten jedem, dass sie auf Pussis standen. Seine Eltern wussten natürlich Bescheid, genau wie seine engen Freunde, zu denen er Matzer nicht zählte.
„Hm ... na gut. Aber wehe, du verarschst mich.“ Matzer rückte die Nummer raus und verabschiedete sich mit den Worten: „Muss dringend pissen. Ciao.“
Marcel legte auch eine kurze Pinkelpause ein, dann rief er Wanja an.
„Ist da mein süßes Äffchen?“, meldete sie sich.
„Nein. Hier ist Frankenstein. Wie geht’s deiner Schwester?“ Für den Fall, dass er gestern von Alkohol beeinträchtigt falsche Schlüsse gezogen hatte, blieb er bei der weiblichen Bezeichnung.
„Beschissen. Das Auge ist blau und die Wange hammerdick.“
„Wart ihr im Krankenhaus?“
„Natürlich. Die haben uns Schmerzmittel mitgegeben und das war’s.“ Wanja schnaubte. „Ich hab im Internet nachgeguckt. Es dauert mindestens eine Woche, bis das Veilchen verschwindet. So lange kann sie nicht arbeiten. Die Gäste würden schreiend weglaufen.“
„Arbeiten?“
„Dami kellnert im Gestern und Heute.“
Das war eine Kneipe im Schanzenviertel. Dort hatte sich Marcel während seines Studiums viel rumgetrieben, daher kannte er das Lokal. „Kann ich ihr einen Krankenbesuch abstatten?“
„Ich frage sie mal.“ Einen Moment war nichts zu hören. Vermutlich hatte Wanja das Mikro abgedeckt und redete mit Damila. „Ihr geht’s echt nicht gut. Lass sie lieber in Ruhe“, teilte Wanja ihm schließlich mit.
„Okay. Dann versuche ich es morgen noch mal. Ciao.“
Drei Tage später stand fest, dass Damila nichts mit ihm zu tun haben wollte. Sie weigerte sich, wenn Marcel anrief, mit ihm zu sprechen und Besuch lehnte sie strikt ab. Er sollte die Angelegenheit zu den Akten legen, konnte es aber nicht. Damila spukte in seinem Kopf herum und bescherte ihm feuchte Träume. Falls er sich bei ihrem Geschlecht geirrt hatte, war das etwas, das ihm stark zu denken geben würde. Ebenfalls wurmte es ihn, dass sie ihn ghostete. Den Grund dafür musste er unbedingt rausfinden.
Freitagnachmittag fuhr er nach der Arbeit ins Schanzenviertel und ging ins Gestern und Heute. Keiner der Kellner lief mit einem Veilchen rum, was ihn enttäuschte. Erleichtert war er hingegen, auch unter den Kellnerinnen keines zu entdecken.
Inzwischen hatte er, genau wie Wanja, im Internet recherchiert, wie sich ein Veilchen entwickelt. Nach seiner Einschätzung dürfte Damilas mittlerweile eitergelb aussehen. Das war wirklich unappetitlich, daher für ein Lokal, in dem Speisen angeboten wurden, denkbar ungeeignet.
Obwohl ihm bekannt war, dass diese Phase noch einige Tage anhielt, besuchte er Samstagnachmittag wieder das Gestern und Heute. Als ihm eine Kellnerin seine Bestellung brachte, fragte er: „Sag mal, arbeitet bei euch ein Dami?“
Sie runzelte die Stirn. „Dami ... meinst du Damian?“
„Genau.“ Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Also war er nicht an Halloween zum Hetero konvertiert. Es hätte zwar etliche Vorteile, weil man in Deutschland Toleranz predigte, das aber in vielen Köpfen nicht ankam. Die Vorstellung, plötzlich auf Muschis zu stehen, war ihm dennoch unheimlich.
„Damian ist momentan krank. Keine Ahnung, wann er wiederkommt.“ Sie schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln und eilte davon.
Während er an seinem Kaffee nippte überlegte er, warum Wanja ihn hinsichtlich Damians Geschlecht nicht aufgeklärt hatte. War das ein Running Gag zwischen Geschwistern? Mit sowas kannte er sich als Einzelkind nicht aus.
Plötzlich betrat ein Blonder mit abklingendem Veilchen das Lokal und steuerte den Tresen an. Wie gebannt starrte er dem Mann hinterher. Damians blonde Locken waren im Nacken mit einem Haargummi fixiert. Er trug abgewetzte Jeans, in der ein süßer Knackarsch steckte, dazu ein weißes T-Shirt, Lederjacke und Sneakers. Marcels Herz begann wie blöde zu pochen. Jau, Amors Pfeil hatte ihn voll getroffen.
Marcel winkte die Kellnerin herbei. „Ich möchte zahlen.“
Sie guckte seinen nicht angerührten Apfelkuchen an. „Ist alles in Ordnung?“
„Alles ist wunderbar. Ich hab’s bloß eilig.“
Geld wechselte den Besitzer, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Damian. Der redete mit der Frau hinter der Theke, vermutlich die Chefin, denn sie machte einen autoritären Eindruck. Ohne die beiden aus den Augen zu lassen aß er ein Stück Kuchen und spülte es mit Kaffee runter.
Er hatte sich gerade einen zweiten Bissen in den Mund gestopft, als Damian Anstalten machte, das Lokal zu verlassen. Kauend schlüpfte er in seine Jacke und nahm die Verfolgung auf.
Damian war – dem Himmel sei Dank! – zu Fuß unterwegs. Der zweite Glücksfall war, dass sie nach zwei Straßen am Ziel ankamen. Damian stieg drei Stufen zur Haustür eines Altbaus hoch und verschwand ins Gebäude. Marcel war nicht schnell genug, um die schwere Tür am Zufallen zu hindern. Wieso bist du eigentlich hinter Damian hergeschlichen, anstatt ihn anzusprechen?, fragte er sich im Geiste. Darauf wusste er keine Antwort.
Laut Klingeltafel wohnten D. + W. Berger im 3. Stock. Und nun? Wenn er jetzt läutete, sah das so aus, als hätte er Damian aufgelauert. Außerdem wollte er nicht mit leeren Händen dastehen.
Marcel begab sich zum Bahnhof, wo er bei dem darin residierenden Floristen einen Strauß Blumen erstand. In dem Geschäft wurde noch einiges an Halloween-Deko zum Sonderpreis angeboten. Er kaufte zwei Hexen, die auf Besenstielen ritten und die man mittels Schlaufen aufhängen konnte. Beide befestigte der freundliche Florist an dem Strauß, wickelte ihn ein und knöpfte Marcel zwanzig Euro ab.
Derart ausgerüstet kehrte er zu Damians Adresse zurück. Weil der ihm vielleicht nicht öffnen würde, läutete er bei A. Müller, der/die im Erdgeschoss wohnte.
„Ja?“, klang nach einigen Augenblicken eine männliche Stimme aus der Gegensprechanlage.
„Blumenhaus Meier. Ich hab hier eine Lieferung für Damian Berger, aber der ist nicht zu Hause. Wären Sie so freundlich, mich ins Haus zu lassen, damit ich die Blumen vor seine Wohnungstür legen kann?“
Der Türöffner summte. Die Leute waren echt zu leichtgläubig.
Im 3. Stock klopfte er an die Tür mit dem Namensschild Berger. Es dauerte einen Moment, bis sie einen Spalt geöffnet wurde. Damian spähte hindurch.
„Hi. Ich bin Marcel. Wir haben auf der Halloweenparty zusammen gekickert“, stellte er sich vor.
Damian erbleichte.
„Darf ich reinkommen?“ Er wedelte mit dem eingewickelten Strauß.
„Meine Schwester ist aber gar nicht zu Hause.“
„Ich will nicht Wanja besuchen, sondern dich.“
„Ich meinte meine andere Schwester Damila.“
Marcel stutzte. Dann registrierte er, dass Damian ihm nicht in die Augen sah. Ein klares Anzeichen für eine Lüge. „Die existiert gar nicht.“
Mit deutlichem Widerstreben stieß Damian die Tür weiter auf, so dass er eintreten konnte. Sein untrüglicher Gaydar schlug aus. Diese Antenne hatte ihn noch nie im Stich gelassen.
„Wenn du schon weißt, dass es sie nicht gibt, was willst du dann noch hier?“, brummelte Damian.
„Dich besuchen?“
„Ich bin ein Mann.“
„Worüber ich sehr froh bin.“
Damians Miene spiegelte Überraschung. Endlich sahen die himmelblauen Augen ihn an.
„Ich küsse nämlich nur Männer“, fuhr Marcel fort und wickelte die Blumen aus.
Hinten im Flur sprang eine Tür auf, Wanja trat in den Flur und musterte ihn erstaunt. „Wusste gar nicht, dass du Besuch erwartest.“
Damian klappte den Mund auf, wieder zu und erneut auf.
„Ich bin Marcel. Wir haben telefoniert“, ergriff Marcel das Wort.
„Ach, du bist das.“ Sie kam näher. „Sind die Blümchen für mich?“
Er schüttelte den Kopf. „Nö. Die sind für Damian.“
„Wow!“ Sie strahlte ihren Bruder an. „Sieht so aus, als ob du dich umsonst in Liebeskummer gewälzt hast.“
Damians Gesicht nahm die Farbe einer reifen Tomate an. Marcels Herz hüpfte freudig. Deswegen hatte Damian ihn also geghostet. Eine vertrackte Situation, wenn man sich in den Mann verknallte, von dem man dachte, dass der dachte, man wäre eine Frau.
„Ich stell die armen Blümchen mal ins Wasser. Du scheinst das ja nicht hinzukriegen“, redete sie weiter, schnappte sich den Strauß und ging in die Küche.
Abermals hatte Damian die Wimpern gesenkt.
„Können wir unter vier Augen reden?“
Damian nickte und steuerte auf die Tür gegenüber von Wanjas Zimmer zu. Dahinter sah es aus wie einst in Marcels Studentenbude: Bett, zweitüriger Kleiderschrank, Schreibtisch, zwei Stühle, von denen einer mit Klamotten beladen war.
„Oh Mann, ist das peinlich“, murmelte Damian, ihm den Rücken zugekehrt und beide Hände in den Hosentaschen vergraben.
Noch wagte Marcel nicht, an sein Glück zu glauben. Er brauchte erst eine Bestätigung. „Bekomme ich trotzdem einen Kuss?“
Damian bewegte sich nicht.
„Ey, ich bin dir hinterhergelaufen wie ein Idiot. Wenn etwas peinlich ist, dann das. Ich wusste nicht mal, ob du überhaupt auf Männer stehst.“
Endlich drehte sich Damian um. Ein zögerliches Lächeln umspielte den hübschen Mund. Weil er es nicht länger aushielt, überwand er die Distanz, schlang seine Arme um Damian und spitzte die Lippen.
Die Berührung ihrer Münder war bloß ein Hauch und entlockte ihm ein sehnsüchtiges Stöhnen. Im Nu herrschte untenrum Härte. Sein Schwanz fühlte sich schon lange unterfordert. Dass nun auch noch sein Herz beteiligt war, ließ seine Libido aufjaulen wie ein ausgehungertes Tier.
Es klopfte. „Hey, Jungs. Wenn ihr vögeln wollt, dann bitte leise. Ich muss lernen“, drang Wanjas Stimme durchs Türblatt.
„Was bin ich froh, ein Einzelkind zu sein“, flüsterte Marcel, umfasste Damians Nacken und verband ihre Lippen zu einem langen, zärtlichen Kuss.
Sämtliche Gedanken über Geschwister verschwanden aus seinem Kopf. Damian passte perfekt in seine Arme, genau wie ihre Münder wie füreinander gemacht schienen.
In der danach dringend nötigen Atempause fragte Damian: „Geht’s dir nur um Sex?“
Offenbar war sein Ständer nicht unbemerkt geblieben. Wie auch, wenn du ihn gegen Damians Schritt drückst?, höhnte eine Stimme in seinem Schädel. „Nein. Ich will mehr.“
Damians unsichere Miene wich einem Lächeln.
„Darf ich dich zum Essen ausführen?“ Das wäre doch ein guter Anfang.
„Ich weiß nicht, ob ich was runterkriege.“ Damian schnappte sich seine Hand und presste sie sich auf die linke Brusthälfte. „Bin zu aufgeregt.“
Unter seiner Handfläche spürte er ein Wummern, wie das einer Dampframme. „Alternativ könnten wir zu mir fahren, auf dem Weg was zu Essen besorgen und dann weitersehen.“
Damians Mundwinkel bogen sich höher. „Der Plan gefällt mir.“
Wanja verlangte, dass er seine Kontaktdaten hinterließ, für den Fall, dass er ihrem Bruder etwas antun wollte. Sie prüfte seine Angaben sogar anhand seines Personalausweises.
„Sie macht sich bloß Sorgen“, erklärte Damian, als sie die Treppe ins Erdgeschoss hinabstiegen.
„Hab ich mich beschwert?“
„Nein, aber es ist schon etwas übertrieben.“
„Sie liebt dich nun mal.“ Er hielt Damian die Haustür auf. „Mein Auto steht ein paar Straßen weiter.“
Händchenhaltend legten sie den Weg zurück.
Als Damian erkannte, um welchen Standort es sich bei ein paar Straßen weiter handelte, stahl sich ein Grinsen auf seine Lippen. „Du hast mich ausspioniert.“
„Und ich glaube, dass Wanja mir mit voller Absicht den Namen deines Arbeitgebers gesagt hat.“
„Sie kann ganz schön hinterlistig sein.“
Dem gab es nichts hinzuzufügen.
Rund eine halbe Stunde später trafen sie in Marcels Wohnung ein. Die Döner, die sie auf der Fahrt besorgt hatten, blieben für eine ganze Weile unbeachtet auf dem Küchentisch liegen. Vordringlich galt es, ein anderes Bedürfnis zu stillen.
Damian sah in dem Hexenkostüm wunderschön aus. Marcel trug sein Frankenstein-Outfit. Eigentlich wäre eines der beiden anderen Kostüme dran gewesen, aber diese Verkleidung besaß einen höheren Stellenwert. Schließlich hatte er Damian darin kennengelernt.
Hand in Hand verließen sie die Fahrstuhlkabine. Partylärm wehte ihnen entgegen.
Ein Mann in Kellneruniform – schwarze Hose, schwarzes Hemd –, ein Tablett mit gefüllten Sektgläsern in den Händen, trat auf sie zu. „Willkommen auf Burg Peerstein.“
Sie nahmen je ein Glas und schlenderten weiter. Hier und da blieben sie stehen, um eine besonders gelungene Verkleidung zu bewundern. Schließlich trafen sie auf Peer, der in einem glitzernden Anzug steckte. Ein ebenfalls mit reflektierenden Steinchen besetzter Zylinder komplettierte den Look.
Angesichts ihrer verschränkten Finger runzelte Peer die Stirn und bedeutete ihm, auf ein Wort unter vier Augen mitzukommen. Marcel löste seine Hand aus Damians und folgte ihm ein paar Schritte, bis sie außer Hörweite waren.
„Es geht mich ja nichts an, aber ich möchte nicht, dass du nachher aus allen Wolken fällst“, flüsterte Peer in sein Ohr. „Das Mädel da …“ Mit dem Kinn wies Peer in Damians Richtung. „… ist garantiert kein Mädel.“
„Und das ist auch gut so. Ich steh auf Jungs.“
Aus großen Augen starrte sein Gegenüber ihn an. Dann lachte Peer und klopfte ihm auf die Schulter. „Neulich hab ich eine Schnitte abgeschleppt und erst im letzten Moment entdeckt, dass ich einen Typen aufgegabelt hab. Das hat mich so geschockt, dass ich dachte, ich warne dich lieber, bevor’s dir genauso geht.“
„Das ist lieb von dir.“
„Lieb ist mein zweiter Vorname.“ Peer feixte und bugsierte ihn zurück zu Damian.
„Was hast du mit dem Typen gemacht?“, hakte Marcel nach.
„Natürlich rausgeschmissen. Im Nachhinein denke ich aber, ich hätte es mal probieren sollen. Ein bisschen bi schadet nie.“ Peer zwinkerte ihm zu und verschwand in der Menge.
Fragend hob Damian die Augenbrauen. „Was wollte er?“
„Mich vor dir warnen.“
„Da kommt er wohl ein bisschen zu spät.“ Damian schnappte sich seine Hand und rückte näher, bis sich ihre Lippen trafen.
Nach einigen Fehlversuchen hatte es Amor geschafft, ihn mit dem Richtigen zu verbandeln. Damian hatte ihn verzaubert – oder eher gesagt verhext. Er schwebte auf Wolke sieben und es sah so aus, als ob sein Glück noch lange anhalten würde.
ENDE
Das Erste, was Rod wahrnahm, war ein monotones Piepsen, das ihm schnell auf die Nerven ging.
Wieso ließ man ihn nicht einfach in Ruhe schlafen? Wenn er den erwischen würde, der für diesen dämlichen Scherz verantwortlich war, dann konnte derjenige sich auf etwas gefasst machen.
Innerhalb der Turana, einer machtvollen Organisation, in der sich Krieger und Kriegerinnen vereint hatten, um gegen das Schlechte in der Welt zu kämpfen, gab es ein paar Witzbolde, denen er es zutraute, einen ihrer Kameraden in den Wahnsinn treiben zu wollen.
Die Turana war eine Gemeinschaft, die durch Treue und Loyalität verbunden war und die sich auf ihre Fahnen geschrieben hatten, Unsterbliche wie Menschen gleichermaßen zu beschützen, doch dies bedeutete nicht, dass sie immer nur ernst und stur ihrer Arbeit nachgingen.
Normalerweise hatte er gegen Späße nichts einzuwenden, doch gerade wollte er einfach nur seine Ruhe haben.
Der Ton beschleunigte sich, wurde von Mal zu Mal noch nerviger.
Himmel nochmal, da wollte ihm einer wirklich den letzten Nerv rauben.
Ein Knurren ausstoßend, das sich, wie er bemerkte, nicht wirklich nach ihm anhörte, riss er die Augen auf.
Na, zumindest versuchte Rod es. Irgendwie fühlte es sich an, als würde jemand versuchen, es zu verhindern.
Es kostete ihn viel Kraft, die Lider auch nur ein wenig zu heben.
Zuerst war alles um ihn nur verschwommen zu erkennen, doch nach ein paar Mal zwinkern wurde seine Sicht klarer.
Dies hier war definitiv nicht sein Zimmer. Rod erkannte nichts wieder.
Die Wand ihm gegenüber war ebenso weiß wie der Rest des Raums, nur ein paar selbstgemalte und gebastelte Bilder sorgten für etwas Farbe. Waren das Halloween Motive? Er konnte Gespenster und grinsende Kürbisse erkennen.
Langsam wandte er den Kopf zur Seite und erkannte jetzt, woher die Geräusche kamen, die ihm so lästig erschienen waren. Es handelte sich um irgendwelche medizinischen Geräte.
Wieso war er an diese angeschlossen?
So sehr er auch versuchte, sich zu erinnern, es gelang ihm nicht, da war nur ein schwarzes Loch, wo seine Erinnerungen hätten sein sollen.
Schwer schluckend durchforschte er seinen Verstand, um herauszufinden, ob er nur die Ereignisse vergessen hatte, die ihn hierher gebracht hatten oder ob alles weg war. Er konnte sich schließlich an seinen Namen erinnern und wusste, dass er Teil der Turana war.
Erleichtert stellte er bald fest, dass er sich an alles andere, zumindest vermutete er dies, erinnern konnte.
Am besten, er sprach mit einem Heiler.
Als er versuchte, sich aufzusetzen, spürte er den Gips am rechten Arm und auch das rechte Bein fühlte sich seltsam schwer an.
Hatte er einen Unfall gehabt? So waghalsig wie er manchmal fuhr, lag diese Option auf jeden Fall im Bereich des Möglichen. Seine Mutter würde ihn sicher übers Knie legen, wenn sie davon erfuhr. Diese resolute Frau, die fast zwei Köpfe kleiner als Rod war, besaß mehr Autorität als viele der Krieger und Kriegerinnen, die er kannte.
Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen.
Ob man ihr und seinem Vater schon Bescheid gegeben hatte?
Da er Pavel, den Anführer der Turana in dieser Stadt, gut kannte, wusste er, dass dieser so etwas nicht vergessen würde. Diesem Mann waren seine Leute wichtig.
Seufzend starrte Rod an die Decke. Wie es aussah, musste er warten, bis jemand nach ihm sah.
Genau in diesem Moment hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde.
In der Hoffnung, ihren Hauptheiler Cosmo zu sehen, hob er den Kopf und blickte in die Richtung.
Doch statt dem Heiler, sah er sich einem jungen, schlanken Mann mit hellbrauner Haut und dunklen krausen Haaren, die ihm unordentlich vom Kopf abstanden, gegenüber, den er noch nie zuvor gesehen hatte.
Mit seinen dunklen braunen Augen, die ein goldener Ring umgab, starrte er Rod an und schien sich nicht mehr rühren zu können.
Auch ihm selbst war es unmöglich, etwas anderes zu tun, als den anderen anzusehen.
In seiner Seele begann etwas zu vibrieren, die Welt schien undeutlich zu werden. Nur dieser Mann war eindeutig erkennbar, als gäbe es nur ihn auf dieser Welt.
Wie aus dem Nichts traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag, dass dieser Fremde sein vom Schicksal für ihn bestimmter Gefährte war.
Scharf atmete Rod ein und war sich sicher, dass es ihn, hätte er gestanden, sicherlich von den Füßen geholt hätte. Sein Gefährte hatte nicht so viel Glück, denn die Heftigkeit, in der dieser das Einrasten der heiligen Verbindung gespürt hatte, zwang diesen in die Knie. Scheppernd fiel dem jungen Mann das Tablett aus der Hand, auf der sich eine Schüssel mit Wasser befunden hatte. Deren Inhalt verteilte sich über den Fußboden.
Rod fühlte sich hilflos, als er all dies beobachtete.
„Nein!“, rief er so laut wie es ihm möglich war aus und streckte den gesunden Arm aus, als könne er den am Boden sitzenden damit berühren. Hatte sich der Mann, sein Mann, bei seinem Sturz verletzt?
Der Krach war, wie es schien, draußen gehört worden, denn nur einen Wimpernschlag später tauchte Cosmo auf. Dieser war ihr Hauptheiler und der Gefährte von Rods Freund Arlo.
„Jaylin, was ist geschehen?“, rief dieser aus, stürzte zu Rods Gefährten und nahm ihn unter die Lupe.
„Ich ... ich weiß nicht. Rod ist ... wach“, sagte der Angesprochene leise. Jaylin war also sein Name. Er passte zu ihm.
Cosmo sprang auf und wandte sich jetzt Rod zu. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete der Heiler ihn für mehrere Sekunden, ehe er einen erstickten Freudenschrei von sich gab und kurz danach bei ihm am Bett stand.
Sanfte Energie, die jeder Heiler ausstrahlte, flutete über ihn hinweg, als Cosmo begann, diese fließen zu lassen.
„Verdammt, Rod, du hast uns allen einen verdammten Schreck eingejagt!“ Sacht strich ihm der sanfte Mann über die Wange, als er plötzlich innehielt, einige Momente reglos in dieser Haltung verharrte und dann so breit zu grinsen begann, dass Rod glaubte, dass Cosmos Mundwinkel gleich an seine Ohren stoßen würden. „Mann, du weißt echt, wie man einen Auftritt hinlegt, der einem im Gedächtnis bleiben wird.“
Jaylin, der inzwischen aufgestanden war, stand schüchtern mitten im Raum und knetete nervös seine Hände, während er augenscheinlich nicht anders konnte, als Rod immerzu anzusehen.
„Glaub mir, Cosmo, das alles hat mich gerade ebenso überrascht.“ Seine Stimme hörte sich rau an, so als habe er sie schon eine Weile nicht benutzt. Auch für ihn war es schwer, nicht ständig Blickkontakt zu seinem Mann zu suchen. Unvorbereitet stiegen plötzlich Erinnerungen in ihm hoch, die dafür sorgten, dass ihn ein eiskalter Schauer nach dem anderen durchlief. Da waren Videoaufnahmen von Cosmos Entführung, Arlos verzweifeltes Gesicht, ein Mann, der Cosmo bedrohte, ein Kampf und dann wurde alles schwarz. Alles lief wie in einer Endlosschleife vor seinem inneren Auge ab. Es war, als würde es ihn mit sich hinfort reißen wollen.
Sein Herz begann schmerzhaft zu rasen.
„Jaylin, komm her, er braucht dich! Berühre seine Hand, während ich ihn beruhige.“ Cosmos Stimme hörte er wie durch Wasser, konnte sich kaum darauf konzentrieren. Auch dessen Hände auf seiner Brust nahm er nur am Rande wahr. Panik kroch in ihm hoch. Doch dann umfing Jaylin seine Hand mit seiner kleineren. Wie auf einen Schlag war all das Chaos der Erinnerungen verschwunden und zurück blieb nur eine wohltuende Ruhe, die von seinem Mann auszugehen schien. Lag es daran, dass sie zueinander gehörten oder war Jaylin etwa ein Heiler? „Deine heilende Gabe ist machtvoller, als wir alle vermutet haben. Nicht einmal ich hätte ihm so schnell Linderung verschaffen können. Ich wusste ja, dass Gefährten wahre Wunder bewirken können, doch davon, dass sie so einfach Blockaden lösen können, die über so viele Jahre entstanden sind, war selbst mir neu. Du hast eben eine massive Schutzmauer in Rod zum Einsturz gebracht“, meinte Cosmo lächelnd. Freundschaftlich legte Cosmo Jaylin eine Hand auf die Schulter. Ein wütendes Geräusch, dass sich fast wie ein Knurren anhörte, erklang. Erst verzögert begriff Rod, dass dies von ihm gekommen war.
„Entschuldige, Cosmo“, brachte Rod leise hervor. Er schämte sich für diese Reaktion. Man tat dies nicht, schon gar nicht gegenüber einem Heiler. Vor allem war Cosmo glücklich vergeben.
„Schau nicht so geknickt aus der Wäsche, Rod. Du bist gerade aus einem zweiwöchigen Koma erwacht und hast kurz darauf den Mann gefunden, der für dich bestimmt ist. Ich weiß noch, wie ich mich fühlte, als ich Arlo zum ersten Mal getroffen habe. Deine gesamte Welt wird in diesem Moment erschüttert. Da darf man schon mal sein besitzergreifendes Ich herauslassen und einen Heiler anknurren. Ich werde dich nur schnell untersuchen, um mir einen Überblick verschaffen zu können, anschließend lasse ich euch alleine, damit ihr reden könnt. Eine vollständige Untersuchung folgt dann morgen.“
Mit einem knappen Nicken stimmte Rod zu. Während er brav still hielt, um es Cosmo einfacher zu machen, beseitigte Jaylin die Wasserlache auf dem Boden. Währenddessen erklärte ihm der Heiler auch, welche Verletzungen er sich zugezogen und wie man diese behandelt hatte.
Jeder Bewegung seines Gefährten folgend, saß Rod mittlerweile im Bett, da der Heiler das Kopfstück per Knopfdruck hatte hochfahren lassen.
„Wozu hatte er eigentlich das Wasser dabei?“, fragte Rod, als Cosmo mit der Bestandsaufnahme fertig war und alles, was wichtig war, notierte. Er hatte da so eine Ahnung und diese trieb ihm die Wärme ins Gesicht.
Amüsiert schmunzelte der Partner seines besten Freundes.
„Er hatte die Aufgabe, dich regelmäßig zu waschen und war auch für deine sonstige Pflege zuständig“, antwortete Cosmo ihm flüsternd.
Doch das Scheppern der jetzt leeren Metallschüssel, die Jaylin wohl aus den Händen geglitten war, zeigte Rod, dass dieser die Worte ohne Schwierigkeiten hatte verstehen können.
Verschämt verbarg Jaylin sein Gesicht hinter seinen Händen.
„Komm zu mir“, bat Rod Jaylin mit rauer Stimme und streckte diesem die Hand entgegen, nachdem Cosmo sich erst einmal verabschiedet hatte.
Die Verbindung zwischen ihnen war noch so frisch, dass ihn die Empfindungen des jungen Mannes vollkommen ungefiltert trafen. Beide wussten sie noch nicht, wie sie damit umgehen oder sich, bis zu einem gewissen Grad, abschirmen konnten.
Jaylin war nervös und schrecklich aufgeregt, als er sich ihm langsam näherte und schließlich die dargebotene Hand ergriff. Doch auch er fühlte sich aufgewühlter als je zuvor. Seinen Gefährten zu finden war nichts Alltägliches und dies durfte einen schon ein wenig aus der Bahn werfen.
„Du bist also mein Gefährte“, sagte er sanft und strich leicht mit dem Daumen über Jaylins Finger.
„Bist du deshalb enttäuscht?“, fragte dieser unsicher. „Ich könnte es verstehen, ich bin sicher nicht das, was du dir gewünscht hast. Hier gibt es viel stärkere Männer als mich, die eher so sind wie du.“
„Jaylin, bitte sieh mich an“, bat er seinen Mann, der den Blick gesenkt hatte. Eigentlich müsste er spüren, dass genau das Gegenteil der Fall war, doch im Augenblick wüteten so viele unterschiedliche Gefühle in ihnen, dass es schwer war, eines davon greifen zu können. Zögerlich kam er Rods Aufforderung nach. „Ich muss zugeben, dass ich überrascht bin, dich auf diese Weise gefunden zu haben. Wenn ich es richtig verstanden habe, lag ich zwei Wochen im Koma und das, was ich als Erstes sehe, nachdem ich wieder wach werde, ist der Mann, den eine höhere Macht für mich erwählt hat. Dich hier vor mir stehen zu sehen ist überwältigend, denn du bist atemberaubend, zumindest in meinen Augen. In mir sind gerade unglaublich viele Emotionen, doch Enttäuschung ist keine davon. Ja, ich bin ein Krieger, aber ich habe mich nie danach gesehnt, dass einer von ihnen mein Gefährte wird. Stattdessen habe ich Arlo immer um seinen sanften Mann beneidet.“
Rod hob ihre verbundenen Hände an und hauchte einen Kuss auf Jaylins Handrücken, was diesen merklich erröten ließ, was bei seiner Haut, die einige Schattierungen heller war als seine eigene, gut zu erkennen war.
„Ich ... ich weiß gar nicht, was ich darauf jetzt sagen soll, das alles ist so schön, aber macht mir auch Angst“, stieß er leise hervor und Rod konnte die Überforderung spüren, die Jaylin empfand.
„Du musst nichts sagen, Jaylin. Leiste mir einfach noch etwas Gesellschaft. Ist das in Ordnung?“
„Ja, das ist okay“, erwiderte er.
Als er sich daran machte, sich auf den Stuhl zu setzen, der neben dem Bett stand, schüttelte Rod leicht den Kopf.
„Setz dich bitte zu mir“, sagte er und rutschte, so gut er konnte, etwas zur Seite, um seinem Gegenüber Platz zu machen. Seltsam nervös wartete er ab, wie Jaylin auf diese Bitte reagieren würde.
Schüchtern lächelnd ließ sich sein Gefährte neben ihm nieder. Freude breitete sich in Rod aus, als sich der Jüngere sogar an ihn lehnte.
„Wieso kannte ich dich vorher nicht? Ich dachte, ich würde alle Unsterblichen kennen, die in dieser Stadt leben und auf unserer Seite sind.“ Rod wollte alles über Jaylin wissen, seinen Gefährten besser kennenlernen.
Mit leiser Stimme begann Jaylin ihm zu erzählen, welcher Familie er entstammte und wie hart sein Leben inmitten all der Schlechtigkeit um ihn herum gewesen war.
Je mehr er erzählte, desto brüchiger wurde Jaylins Stimme und dessen Traurigkeit übertrug sich auf Rod, der den Arm um seinen Mann legte und diesen an sich zog.
Unterdrückt schluchzte Jaylin auf, ehe er sich an Rod presste und herzzerreißend zu weinen begann.
Sein Gefährte hatte in dem Moment, als er sich entschloss, zur Turana zu gehen, alles und jeden, den er kannte, verloren. So schrecklich sein Leben bei seiner Familie auch gewesen war, sie waren alles, was er je gekannt hatte. Durch sie hatte er gelernt, dass die Gefühle, die er hatte, nicht richtig waren und ihn schwach machten. Doch das war Jaylin nicht, denn jemand schwaches hätte niemals so lange in einem so feindlichen Umfeld überlebt.
Lange hielt er Jaylin, tröstete ihn, so gut er konnte und murmelte leise Worte der Zuneigung.
„Jetzt hast du mich, Jaylin, ich werde dich bis in alle Ewigkeit beschützen. Dir wird keiner dieser Unholde je wieder etwas antun, denn dafür müsste er zuerst an mir vorbei. Wir werden ein glückliches Leben haben, uns lieben. Wenn du mich lässt, dann werde ich dich auf Händen tragen und dir die Welt zu Füßen legen“, versprach er seinem Gefährten, der ihn mit verweinten Augen ansah. „Ich möchte, dass du mir stets zeigst, was in dir vorgeht. Und dabei ist es egal, ob es sich um Liebe, Begehren oder Wut handelt. Jede einzelne Emotion ist wichtig und muss gelebt werden. Ich werde mit Freude mein Bestes geben, um deine Wut auf mich zu besänftigen, wenn ich mich mal wie ein Idiot verhalten haben sollte.“
Das Küsschen, das Rod am Ende auf Jaylins Nasenspitze platzierte, brachte diesen zum Lächeln.
„Ich kann kaum begreifen, dass ich so viel Glück habe. Niemals hätte ich erwartet, einen Mann wie dich als Gefährten zu bekommen. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich überhaupt nicht daran geglaubt, überhaupt jemand zu sein, der es wert ist, eine solch tiefe Liebe erfahren zu dürfen, wie es die zwischen Gefährten ist.“
Ehe Rod überhaupt etwas erwidern konnte, reckte sich Jaylin ihm entgegen und küsste ihn sanft auf die Lippen. In diesem Augenblick war es ihm, als würden all die wichtigen Synapsen in seinem Gehirn auf einmal durchbrennen. Das Lächeln, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, war sicherlich vollkommen entrückt. Oder auch ein wenig dämlich, doch dies war ihm egal. Jaylin hatte ihn geküsst. Damit hätte er überhaupt nicht gerechnet.
Obwohl sie etwas verband, mussten sie sich erst einmal kennenlernen, was Rod auch deshalb sehr wichtig war, da er nicht wollte, dass sein Gefährte dachte, dass er ihn, weil sie füreinander bestimmt waren, für selbstverständlich nahm. Er nahm sich auch vor, Jaylins Selbstbewusstsein zu stärken, nachdem sein ganzes Leben alle darauf herumgetrampelt waren.
Sich die letzten Tränenspuren wegwischend, kuschelte sich sein Partner an ihn.
Überglücklich hielt Rod ihn im Arm. Auch wenn er gesundheitlich noch nicht wieder vollkommen hergestellt war, fühlte er sich besser als je zuvor.
Jaylins gleichmäßiger Atem verriet ihm eine Weile später, dass dieser eingeschlafen war.
Breit grinsend starrte er an die gegenüberliegende Wand. So viele Jahre lang hatte er seine Freunde darum beneidet, dass sie den für sie bestimmten Gefährten gefunden hatten, jetzt war diese heilige Verbindung auch ihm zuteilgeworden.
Eine Ewigkeit verbrachte er mit der Betrachtung Jaylins, als sich die Zimmertür leise öffnete. Arlo steckte den Kopf herein und kam, als er sah, dass Rod wach war, herein.
„Mann, Rod, bin ich froh, dich wohlauf zu sehen.“ Sein Blick glitt zu Jaylin, der weiterhin friedlich an Rods Oberkörper gekuschelt schlief. „Cosmo hat mir die wundervolle Neuigkeit schon verkündet. Am Anfang war ich, was ihn betraf, nicht unbedingt positiv gestimmt, vor allem deshalb, weil sein Vater einer unserer schlimmsten Feinde ist. Doch inzwischen hat er sich meinen Respekt verdient. Seit deiner Verletzung hat er sich aufopferungsvoll um dich gekümmert und sich dabei so sehr hinten angestellt, dass mein Mann ein Machtwort sprechen musste, damit er sich genug Ruhe gönnt. Sein Herz ist riesig und seine Seele ebenso sanft wie die Cosmos. Dass er sich jetzt als dein Gefährte herausgestellt hat, macht ihn in meinen Augen noch sympathischer. Du hast es verdient, glücklich zu sein und er wird dafür sorgen, dass du es bis zu deinem letzten Atemzug bist.“
„Wäre ich nicht an dieses Bett gefesselt gewesen, es hätte mir in dem Moment, als sich unsere Verbindung offenbarte, den Boden unter den Füßen weggerissen.“ Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte Rod seinen Freund. „Gut, dass du deine Meinung über ihn geändert hast, ich würde dir nämlich ungern den Arsch aufreißen, sobald ich alle meine Körperteile wieder werde nutzen können.“
„Du magst Cosmo doch viel zu sehr und würdest ihm nie damit wehtun, seinen Liebsten grün und blau zu schlagen“, meinte Arlo leise und grinste schelmisch. „Du kennst mich, ich will dich beschützen, auch wenn du eigentlich keinen Schutz brauchst. Wäre er eine Gefahr für dich, dann würde ich alles daran setzen, ihn so weit von dir wegzubringen, wie es möglich wäre. Aber er ist keine Bedrohung für dich, sondern ein Geschenk, das dir guttun wird. Du warst schon viel zu lange allein. Ich werde, wie all die anderen hier, Jaylin beschützen. Sein Erzeuger wird ihm nicht noch einmal schaden können.“
Zärtlich ließ Rod seine Hand durch Jaylins Haar gleiten. Schon jetzt liebte er diesen Mann mit all seinem Sein.
„Da magst du recht haben, ich könnte ihm nie schaden. Gut, dass ich es nicht tun muss.“ Er atmete tief durch. „Danke, mein Freund, ich bin froh, dass es hier so viele gibt, die sich für Jaylin einsetzen würden. Sein Dreckskerl von einem Vater muss erst an mir vorbei, um auch nur in Sichtweite an Jaylin heranzukommen. Ich würde meinen Gefährten gern hier, in diesem Haus, in Sicherheit wissen, doch gleichzeitig weiß ich, dass ich ihn nicht in einen goldenen Käfig sperren darf. Er soll leben und sich frei bewegen können“, stieß Rod gepresst hervor. Sicher konnte ihm jeder seine Zerrissenheit an der Nasenspitze ansehen.
Arlo nickte nachdenklich.
„Seit wir Cosmo befreit haben, muss ich jeden Tag an mich halten, um meinem Liebsten nicht dadurch zu schaden, dass ich ihm durch meine Fürsorglichkeit die Luft zum Atmen nehme. Aber er hat der Anweisung, die von Pavel kam, ohne Wenn und Aber akzeptiert. Diese lautet, dass fürs Erste alle Zivilisten, die hier im Hauptquartier leben, nur noch mit Begleitschutz hinausgehen dürfen. Somit sind unsere Gefährten sicher und können doch ein normales Leben führen“, erklärte er Rod. Diese Neuigkeit beruhigte etwas in ihm. „In zwei Wochen ist Halloween. Die Kinder haben schon damit begonnen, alles zu dekorieren und Cosmo plant, den zu diesem Anlass stattfindenden Jahrmarkt zu besuchen. Natürlich in Verkleidung! Er hat mir schon gesagt, dass er erwartet, dass ich ihn begleite. Ich habe zugesagt, was hätte ich auch sonst tun sollen, sein Lächeln und die strahlenden Augen, wenn er sich auf etwas freut, lassen gar nichts anderes zu. Wenn es dir dann so weit wieder gut geht, erwarte ich von dir, dass du und Jaylin euch uns anschließt. Und keine Sorge, es werden noch einige andere zu diesem Fest gehen, sodass genug Krieger und Kriegerinnen anwesend sein werden, um für die Sicherheit aller zu sorgen. Schon seltsam, dass wir, obwohl wir jeden Tag so viel Grauenvolles erleben, so gern Halloween feiern.“
Immer wieder überzeugte sich Rod, dass Jaylin noch schlief. Er schien den Schlaf dringend zu brauchen.
„Das beruhigt mich. Ich möchte, dass Jaylin glücklich ist, aber auch, dass ihm nichts zustößt.“ Unterdrückt lachte Rod auf. „Cosmo und Halloween! Ich bin mir sehr sicher, dass er, solltet ihr irgendwann eine Familie gründen, für eure Kinder daraus jedes Jahr aufs Neue den Spaß des Jahrhunderts machen wird, selbstgeschneiderte Verkleidungen inklusive. Und zu dem, wieso wir es alle so gern zelebrieren: Eben, weil wir wissen, wie grausam die Realität sein kann, flüchten wir uns für diesen einen Tag gewissermaßen in eine andere Welt, in der es Horror und Gruselfaktoren gibt, sie uns jedoch nichts anhaben können.“
„Ich kann den Tag ehrlich gesagt gar nicht erwarten, an dem Cosmo unser Kind in seinen Armen halten und ihm seine Liebe schenken wird. Bis dahin werden wir uns darauf beschränken, das Leben zu genießen. Frag du Jaylin und sag mir Bescheid, ob ihr euch uns anschließen werdet.“
„Das werde ich“, versprach er Arlo. Wenig später verabschiedete sich sein Freund, um, wie er sagte, seinen persönlichen Heiler von der Arbeit abzuhalten, indem er ihn in eine dunkle Ecke ziehen und dort um den Verstand küssen würde.
Erst gut eine Stunde später öffnete Jaylin gähnend die Augen und sah ihn unter halb geschlossenen Lidern an.
„Bin ich eingeschlafen?“, fragte er verlegen.
„Bist du und ich habe es genossen, dir beim Schlafen zusehen zu können“, erwiderte Rod sanft.
„Irgendwie habe ich gar nicht gemerkt, wie müde ich war“, sagte Jaylin leise.
„Arlo hat mir, als er vorhin kurz hier war, davon berichtet, dass du zu wenig auf dich geachtet hast“, entgegnete er in ernstem Ton. „Ich schätze es, wie sehr du dich einsetzt, aber du darfst dich selbst nicht aus den Augen verlieren. Damit schadest du dir. Und dies, Jaylin, werde ich nicht zulassen. Du bist mein Gefährte und mir viel zu wichtig.“
Zu Rods Erleichterung stimmte Jaylin dem zu und versprach, auf sich aufzupassen.
Natürlich sprach Rod die Einladung an, Arlo und Cosmo auf den Halloween-Jahrmarkt zu begleiten.
„Oh ja, das würde ich gern. Da wollte ich schon immer mal hin, doch mein Vater hat es nie zugelassen. Aber wir gehen nur, wenn dein Bein bis dahin wieder in Ordnung ist.“ Ihn traf Jaylins besorgter Blick.
„Dann steht diesem Ausflug nichts im Weg. Cosmo hat ja gesagt, dass die Heilung so gut wie abgeschlossen ist und er nur noch nicht alles geheilt hat, um meinen Organismus nicht zu überfordern, da das Trauma des Unfalls und seine Folgen ihm schon sehr zugesetzt hatte. Da ihr Heiler ja die Selbstheilungskraft des Körpers einsetzt, um Verletzungen zu behandeln, wäre diese bei mir, aufgrund der vielen Baustellen, an ihre Grenze geraten.“
Strahlend sah Jaylin ihn an und suchte ganz selbstverständlich seine Nähe.
Pavel, der kurz darauf vorbeikam, versprach ihnen, dafür zu sorgen, dass Rod sich in seinem eigenen Zimmer erholen und somit die Krankenstation verlassen konnte.
So befand sich Rod, zusammen mit Jaylin, am nächsten Tag schon in seinem eigenen kleinen Reich.
Bevor er die Krankenstation verlassen hatte, telefonierte er fast eine halbe Stunde mit seinen Eltern, um diesen die Sorgen um ihn zu nehmen. Sie freuten sich sehr darüber, dass er seinen Gefährten gefunden hatte und würden sie im nächsten Monat besuchen kommen.
Sowohl den Gips an seinem Arm wie den an seinem Bein war er losgeworden, hatte Cosmo jedoch versprechen müssen, noch vorsichtig zu sein.
Ihm wurde schnell klar, dass es dieses Versprechen überhaupt nicht gebraucht hätte, da Jaylin über ihn wachte und ihm, auf seine süße Art, nichts durchgehen ließ, dass ihm nicht guttun könnte.
Deshalb saß er jetzt auch auf seiner kleinen Couch und beobachtete Jaylin dabei, wie dieser sein Zimmer auf Vordermann brachte. Rod war nicht extrem unordentlich, doch da er so lange allein gewesen war und er nicht die Notwendigkeit gesehen hatte, alles immer sofort wegzuräumen, gab es doch einiges, was aufgeräumt werden musste.
„Ich kann dir dabei helfen. Wirklich! Mir geht es gut“, meinte er zum gefühlt tausendsten Mal, doch alles, was ihm sein Einwand einbrachte, war ein strenger Blick seines Gefährten.
Erst als eine weitere Stunde vergangen war, schien Jaylin zufrieden zu sein und setzte sich zu ihm.
„Mir ist klar, dass du geheilt bist und es dir gut geht, aber ich kann nicht vergessen, wie du nach der Operation in deinem Bett gelegen hast, angeschlossen an all die Geräte. Keiner wusste, ob du das alles unbeschadet überstehen würdest. Du bist mein Gefährte und ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn dir jetzt etwas zustoßen würde.“
Seine kleinere Hand umfasste Rods so fest, dass es diesem schien, als habe sein Gegenüber Angst, Rod könne verschwinden, wenn er ihn losließe.
„Jaylin, ich werde dich nicht belügen. Mein Dasein als Krieger der Turana wird nie ungefährlich sein. Doch ich kann dir versichern, dass ich auf mich aufpassen werde, vor allem jetzt, da ich dich habe. Für dich, für uns, möchte ich noch sehr lange auf dieser Erde wandeln, denn ich möchte die Zukunft, die vor uns liegt, in ihrer Gänze auskosten.“ Er hob Jaylin auf seinen Schoß, wo sich dieser, als habe er dies schon immer getan, vertrauensvoll an ihn kuschelte. „Mit dir zusammen werde ich das Leben genießen. Aus diesem Grund müssen wir einen Weg finden, uns nicht mit dem, was wäre wenn, verrückt zu machen. Wenn wir uns immer ausmalen, was dem jeweils anderen zustoßen könnte, dann verkriechen wir uns nur noch und all die Freude und das Glück werden von den dunklen Gedanken begraben. Wir wissen alle, wie furchterregend diese Welt sein kann, aber es darf nicht alles sein, was wir sehen. Mit dir gemeinsam möchte ich lachen, leben und lieben. Und deshalb sollten wir uns erst einmal entscheiden, welche Verkleidung wir während dem Jahrmarkt tragen. Arlo und Cosmo haben sich für Vampire entschieden. Doch für uns schwebt mir etwas anderes vor. Was hältst du davon, als Engel zu gehen? Ich würde dich als Dämon begleiten.“
Auf Jaylins zuvor besorgtem Gesicht breitete sich jetzt ein Lächeln aus, das seine Augen erreichte.
„Das würde mir sehr gefallen. Du bist sicher ein sexy Incubus.“ Plötzlich veränderte sich etwas in ihrem Band. Wie ein Faustschlag in den Magen traf ihn Jaylins Erregung, die er zuvor, wie seine eigene, nur unterschwellig immerzu wahrgenommen hatte. „Würdest du mir dann meine Unschuld rauben wie ein echter Incubus?“, fragte dieser atemlos.
Wie vom Donner gerührt saß Rod da und wusste plötzlich nicht mehr, wie man Worte bildete, sprach oder sich bewegte. Selbstverständlich reizte ihn Jaylin auf allen Ebenen, schließlich war dieser für ihn das Schönste überhaupt, doch er wollte sich ihm nicht aufdrängen. Er wusste, wie wild und fordernd er sein konnte und dass das seinen Mann möglicherweise überfordern könnte.
Der Wunsch, ihn nackt und willig unter sich zu spüren, kämpfte mit dem Bedürfnis, ihn zu schützen.
Auf Jaylins Gesicht erschienen in schnellem Wechsel Traurigkeit und Scham. Sein Körper bebte, als er aufstehen wollte. Doch weit kam er nicht, denn Rod umschlang ihn mit seinen Armen und hielt ihn zurück.
„Vergiss einfach, was ich gesagt habe, es war dumm“, sagte Jaylin kaum hörbar und versuchte weiter, sich loszumachen.
„Nein, bleib!“
„Aber wieso, du willst mich doch nicht und ich habe mich gerade total lächerlich gemacht. Ich weiß einfach nicht, wie man sich in so einer Situation verhält, war noch nie mit einem Mann intim.“
„Hey, ganz ruhig“, sagte er sanft und küsste den verdutzten Jaylin auf die Stirn. „Spüre
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
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Bildmaterialien: Shutterstock
Cover: Lars Rogmann
Korrektorat: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Sissi
Satz: Sissi
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2023
ISBN: 978-3-7554-5833-3
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