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Robinsonade mit Thymian

Sechs Wochen auf einer Yacht um die Philippinen rum segeln - wer träumt nicht davon? Allerdings muss Marc dafür niedere Dienste verrichten, nämlich das Schiff putzen. Damit kann er leben, bekommt er dafür doch guten Lohn und jeden Tag schönes Wetter. Selbst die Gesellschaft des griesgrämigen Kapitäns, der merkwürdigen Crew und des hochnäsigen Eigners lassen sich so ertragen. Ausgerechnet mit letzterem landet er auf einer unbewohnten Insel. Na ja, mit einem der anderen wäre er nicht besser dran gewesen.



1.

„Schrubb das Achterdeck“, befahl Antonio, seines Zeichens Kapitän der Odyssee2001. „Bring mir vorher einen Kaffee.“

Das Wörtchen Bitte gehörte nicht zu seinem Wortschatz, genauso wenig, wie jedwede andere Höflichkeit zu seinem Repertoire. Jedenfalls nicht gegenüber Untergebenen. Gegenüber dem Chef hingegen katzbuckelte das Arschloch.

„Aye-aye.“ Marc salutierte spöttisch und eilte runter in die Kajüte, um das Gewünschte zu holen.

Anfangs hatte er sich über Antonios Verhalten aufgeregt, doch mittlerweile ging es ihm am Arsch vorbei. Sich zu grämen verursachte nur Falten. Eitel war er nicht, doch wenn schon Falten, dann bitte vom Lachen.

Bevor er den Becher nach oben trug, schaute er sich nach allen Seiten um und spuckte hinein. Ein bisschen Rache musste sein. Erwischen lassen durfte man sich dabei natürlich nicht.

Außer Antonio gab es noch Manolo und Kirk, die sich um den kulinarischen sowie technischen Kram kümmerten; den Motor, Funkanlage, Navigationssystem und die Segel, sofern letztere mal - meist herrschte Flaute - gebraucht wurden.

Es war immer Marcs Traum gewesen, auf einer Luxusyacht mitzufahren. Allerdings hatte er in seiner Fantasie einen Drink anstelle eines Schrubbers in der Hand gehalten. Auf der anderen Seite konnte er sich nicht beklagen. Das Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit stimmte, wenn man damit klarkam, dass es von beidem nie mehrere Stunden am Stück gab. Oft hatte er nämlich tagsüber wenig zu tun, dafür verlangte Antonio abends, dass er das eine oder andere putzte.

Der Eigner der Yacht war ein komischer Kauz, wortkarg und irre attraktiv. Die Mischung aus blauen Augen und schwarzen Haaren fand Marc unheimlich geil. Überwiegend hielt sich der Typ in der Chefkabine oder auf dem Sonnendeck, das für alle anderen tabu war, auf. Nur selten trafen sie in der Messe aufeinander oder wenn Christopher Thymian - so hieß der Mann - bei Antonio stand.

Laut Internet führte Thymian das Familienunternehmen, irgendetwas mit Software, und gehörte zu den reichsten Bürgern Hamburgs. Würden sie nicht aus der gleichen Stadt stammen, hätte Marc niemals angeheuert. Vielleicht war das bescheuert, aber er vertraute auf hanseatische Fairness, was die Zahlung seines Lohns betraf. Bei Leuten anderer Herkunft hätte er geargwöhnt, am Ende um seine Heuer betrogen zu werden.

Ergattert hatte er den Job über eine Anzeige im Hamburger Abendblatt in der Rubrik Reisen. Darin wurden Crewmitglieder gesucht. Die Kontaktperson, Celine Wagennagel, hatte ihn mit Flugtickets und dem Treffpunkt im Hafen Manilas versorgt. Eigentlich eine ziemlich windige Aktion, dass er ohne Arbeitsvertrag oder sonst welche schriftliche Vereinbarung losgeflogen war. Letztendlich war der Flug jedoch bezahlt, genau wie das Rückticket. Hätte er die Yacht nicht gefunden, wäre es eben ein ziemlich langer Urlaub - die Tour sollte sechs Wochen dauern - geworden.

Seine Eltern hatten es als Himmelfahrtskommando bezeichnet und ihm davon abgeraten. Da er sowieso nie auf sie hörte, hatten sie ihm schließlich ein wenig Geld mitgegeben und gebeten, dass er sich in regelmäßigen Abständen meldete. Auch das ignorierte er. Anrufe a la ich lebe noch und mir geht’s gut hielt er für überflüssig, zumal der Mist irre Gebühren kostete.

Seit er sein Studium - Bio und Sport auf Lehramt - abgebrochen hatte, wohnte er wieder bei seinen Eltern. Da er plötzlich Steuern zahlen musste, war ihm sein WG-Zimmer zu teuer geworden. Weiterhin ernährte er sich von Gelegenheitsjobs, wie schon zu Studentenzeiten. Was er mit dem Rest seines Lebens anfangen wollte, wusste er noch nicht. Er bezeichnete das als Orientierungsphase.

Seine beiden Schwestern hatten seinen Eltern viel Kummer bereitet. Das war wohl der Grund, weshalb sie ihren Sohn mit seinen Marotten akzeptierten. Anna, 38 und damit drei Jahre älter als er, hatte ihre Drogenkarriere inzwischen beendet. Mit drei Kindern von unterschiedlichen Vätern fristete sie ihr Dasein mithilfe von Hartz IV. Berit, 40, hatte die Drogensache zwar ausgelassen, dafür aber einen Alkoholiker geheiratet. Paul war 20 Jahre älter als sie und Frührentner. Ein durchaus sympathischer Kerl, sofern er mal nüchtern war. Die beiden kamen mit Berits Gehalt als Friseuse und der kleinen Rente mehr schlecht als recht über die Runden.

Angesichts dieser Werdegänge kam sich Marc wie ein Musterkind vor. Okay, abgesehen von der Tatsache, dass er auf Männer stand. Das störte seine Eltern jedoch nicht die Bohne. Seine Mutter ermutigte ihn sogar, sich einen festen Partner zu suchen. Tja ... leichter gesagt als getan. Viele Anwärter schreckte Marcs Lebenswandel ab. Diejenigen, die sich davon nicht verscheuchen ließen, interessierten ihn meist nicht. Er wollte nichts Halbgares. Wenn, dann sollte es echte Liebe sein.

Jedenfalls hatte er im Hafen von Manila das Schiff auf Anhieb gefunden. Antonio, Kirk und Manolo waren bereits an Bord. Thymian war etwas später dazu gestoßen und hatte ihm einen Standard-Arbeitsvertrag in die Hand gedrückt.

Marcs Aufgabe bestand hauptsächlich darin, das Schiff zu putzen. Alles musste stets picobello sein und Antonio fand immer irgendetwas, das dringend auf Hochglanz gewienert werden sollte, wenn er glaubte, sein Tagewerk vollendet zu haben.

Am ätzendsten fand er seinen Dienst in den Bordtoiletten. Er teilte sich eine mit den anderen drei. Entsprechend benutzt sah der Raum auch jeden Tag aus. Es schien, als ob die Ferkel extra viel herumsauten, damit er etwas zu tun hatte. Die Cheftoilette hingegen war der reinste Spaziergang, zumal Thymian äußerst penibel damit umging.

Nachdem er Antonio - der Typ schien italienische Wurzeln zu haben, den schwarzen Locken, dunklen Teint und Akzent zufolge - den Kaffee überreicht hatte, begab er sich mit Schrubber und Eimer aufs Achterdeck. Während er seiner Arbeit nachging, spähte er ab und zu hoch zum Sonnendeck, das nur durch die Kabine des Eigners zu betreten war. Bestimmt befand sich Thymian dort oben und tat ... tja, was auch immer der Typ den ganzen Tag tat.

Mittlerweile waren sie eine Woche unterwegs. Einmal hatten sie in einem Hafen angelegt, um Proviant zu bunkern. Marc hatte die Gelegenheit genutzt, einen kurzen Landgang zu unternehmen. Sowohl seine Crew-Kollegen als auch Thymian waren an Bord geblieben.

Wozu charterte man ein Schiff, wenn man nicht von A nach B wollte? Nur, um auf dem Meer rumzugondeln? Auf seine Frage, wohin die Reise ging, hatte Antonio bloß gebrummelt: „Geht dich nichts an.“

Im Prinzip war’s ihm eh egal. Er genoss es, übers Wasser zu blicken, den wolkenlosen Himmel zu sehen und seine Gedanken wandern zu lassen.



2.

In der folgenden Nacht weckte ihn ein ungewohntes Geräusch. Er blinzelte in die Dunkelheit und lauschte dem Knattern der Segel. Abends war Wind aufgekommen, woraufhin Antonio befohlen hatte, sie zu setzen. Das war es aber nicht, wovon er aufgewacht war, sondern etwas anderes. Schritte von mehr als einer Person auf dem Deck, dann hörte es sich an, als ob eine elektrische Winde betätigt wurde. Zogen seine Kollegen die Segel ein? Ein Platschen verriet, das etwas Schweres auf dem Wasser aufschlug. Das Beiboot! War das Schiff leckgeschlagen und man hatte vergessen, ihn darüber zu unterrichten?

Marc sprang aus seiner Koje, hastete durch den Gang zur Messe und die Treppe zum Deck hinauf. Vorm Steuerstand stoppte er und starrte das Pult an. Wo sonst bunte Lichter blinkten, war alles dunkel. Er eilte weiter zum Achterdeck und wollte schon den Mund öffnen, um auf sich aufmerksam zu machen, da ging ihm auf, dass die Yacht ruhig auf dem Wasser lag und es keinerlei Anzeichen gab, dass sie bald sinken würde. Im nächsten Moment sprang der Außenborder des Beiboots an. Drei Männer saßen darin, erkannte er im Licht des Mondes. Offenbar hatte die Mannschaft das Schiff verlassen. Er konnte sich schwer vorstellen, dass sie einen der ihren zurückgelassen und dafür Thymian mitgenommen hatten.

Es war wohl ratsam, den Chef über die Vorgänge zu informieren. Jemand sollte das Steuer übernehmen. Er verstand nichts von Navigation und hoffte, Thymian hatte davon ein bisschen Ahnung.

Langsam ging er zurück, stieg runter in die Messe, kramte eine Taschenlampe aus seinem Gepäck hervor und klopfte an die Tür der Eignerkabine. „Herr Thymian? Hier ist Marc. Die Crew ist von Bord gegangen.“

Keine Reaktion. Der Mann schien einen tiefen Schlaf zu haben. Er drückte die Klinke runter. Abgeschlossen. Tja ... dann musste das Überbringen der Nachricht eben warten.

Gerade wollte er sich abwenden, da vernahm er ein dumpfes Poltern. War der Chef aus dem Bett gefallen? Als nichts weiter passierte, klopfte er erneut. „Alles okay bei Ihnen?“

Erneutes Poltern, als ob jemand mit einem Gegenstand auf den Boden schlug. Sollte er die Tür aufbrechen? Sonderlich stabil wirkte sie nicht. Auf der anderen Seite hatte Marc keine Lust, für den Schaden aufzukommen.

Grübelnd tippte er sich gegens Kinn. Konnte es sein, dass die Mannschaft Thymian zusammengeschlagen hatte und deswegen geflohen war? Grundsätzlich traute er das den dreien zu. Zumindest Antonio besaß garantiert eine gewalttätige Ader.

Er nahm Anlauf und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Türblatt, das sofort nachgab. Der Schwung katapultierte ihn in die Kabine. Vorm Bett kam er zum Stehen. Im Schein der Taschenlamper erkannte er, dass es leer war und guckte sich suchend um. Thymian, gefesselt und geknebelt, lag auf dem Boden neben der Koje. Also war der Chef wirklich aus dem Bett gefallen und das andere Poltern dürfte der Versuch gewesen sein, auf sich aufmerksam zu machen.

„Wie ich sehe, wissen Sie wohl schon Bescheid“, meinte er trocken und begab sich zurück in die Messe, um ein Schneidwerkzeug zu holen.

Kaum hatte er den Knebel entfernt, stieß Thymian hervor: „Gehörst du zu denen?“

„Würde ich Sie befreien, wenn dem so wäre?“ Er durchtrennte die Handfessel und wandte sich dem Seil, das Thymians Knöchel umspannte, zu.

„Die Schweine haben mich ausgeraubt“, krächzte Thymian. „Geld, Handy, mein Notebook ...“

„Sie haben auch das Beiboot gestohlen.“ Marc richtete sich auf und hielt Thymian eine Hand hin, um ihm vom Boden zu helfen.

Leise fluchend ließ sich sein Chef auf die Füße helfen. In zerknitterten Shorts und T-Shirt, mit den verstrubbelten Haaren, wirkte der sonst stets geschniegelte Thymian wie ein normaler Mensch. „Haben Sie ein Handy?“

„Ja, aber leider ohne Guthaben.“

Thymian fluchte abermals, schob sich an ihm vorbei und durchquerte die Messe. Er lief hinterher, wobei er das benutzte Messer zurück in die Schublade der Kombüse legte. Ordnung musste selbst in Krisensituationen sein.

Thymian stand Führerhaus, die Hände zu Fäusten geballt. „Die Mistkerle haben die gesamte Anlage sabotiert.“

„Können Sie die nicht wieder in Gang setzen?“

„Sehe ich aus wie ein Elektriker?“ Thymian bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, riss ihm die Taschenlampe aus der Hand und rannte erneut an ihm vorbei, die Stufen in die Messe runter.

„In welche Richtung soll ich steuern?“, rief Marc dem Davoneilenden nach.

„Vergessen Sie’s. Das Ruder ist auch im Arsch.“

Probeweise drehte er am Steuerrad. Tatsächlich: Null Widerstand. Sie trieben also in Windrichtung wer-weiß-wo-hin. In Anbetracht der zahllosen Untiefen, die er bisher gesehen hatte, dürften sie über kurz oder lang irgendwo auflaufen.

Er gesellte sich zu Thymian, der im Maschinenraum ratlos umherschaute. Hier und da hingen Kabel aus den Geräten. Alles war verdächtig still. Da hatten die Saboteure offensichtlich ganze Arbeit geleistet.

„Was ist mit dem Funkgerät?“, erkundigte sich Marc.

Thymian warf ihm einen entnervten Blick zu, wie man es bei begriffsstutzigen Kindern tat. „Hinüber.“

Natürlich. Die Ex-Kollegen waren ja nicht blöde. „Ich gucke mal, ob der Kaffeeautomat noch läuft.“

„Ohne Strom?“, fragte Thymian süffisant.

Scheiße! Koffein war sein Lebenselixier. „Vielleicht läuft der Herd mit Gas“, murmelte er und begab sich in die Kombüse.

Die Fenster ließen genug Mondlicht herein, um einigermaßen klarzukommen. Der Herd ließ sich gottseidank in Betrieb setzen. In Ermangelung von Kaffeefiltern benutzte er Klopapier, das er in ein Sieb legte. Es war echt Mist, wenn man nur megamoderne Geräte an Bord hatte.

Während der Kaffee durchs Papier tröpfelte, überlegte er sein weiteres Vorgehen. Da er damit rechnete, dass sie das Schiff bald verlassen mussten, sollte er schon mal packen. Lebensmittel standen ganz oben auf der Liste. Wer wusste schon, wohin es sie verschlug? Sie waren an zahlreichen unbewohnten Inseln vorbeigeschippert. Mit ganz viel Pech würde das Schiff genau an solchem Eiland stranden.

Ein Blick in den Vorratsschrank ließ ihn aufatmen. An dessen Inhalt hatten sich seine Ex-Kollegen anscheinend nicht vergriffen. Auch Wasservorräte gab es noch zuhauf.

Bei seinen zahlreichen Trips durch die Weltgeschichte, stets mit schmalem Budget, hatte er eines gelernt: Rechtzeitiges Bunkern verhinderte spätere Not. Er kramte also einige der Riesenbeutel, mit denen das Zeug an Bord transportiert worden war, aus dem Vorratsschrank und begann sie zu füllen.

Thymian lief an ihm vorbei und verschwand in die Chefkabine. Die kaputte Tür schloss er dabei hinter sich.

Marc trank seinen ersten Kaffee, als Thymian wieder auftauchte, in voller Montur und mit akkurat gekämmter Frisur.

„Wo haben Sie eigentlich den Rest der Mannschaft aufgetrieben?“, wollte er wissen.

Stirnrunzelnd beleuchtete Thymian das schwarze Gebräu in der Kaffeekanne. „Über eine Anzeige in einer Yachtzeitschrift und über die, auf die Sie sich gemeldet haben.“

„Wir müssen Batterien sparen.“ Er nahm dem Idioten die Taschenlampe weg, stellte sie aus und legte sie beiseite.

„Kann man das trinken?“

„Sehe ich aus, als ob ich gleich sterbe?“

„Ohne Licht kann ich das nicht beurteilen.“

Hoffentlich landeten sie in der Zivilisation. Mit dem Blödmann wollte er nicht auf einer einsamen Insel festsitzen. „Soll ich Ihnen den Kaffee an Deck servieren?“, erkundigte er sich ironisch.

„Ja, bitte.“ Thymian stolzierte an ihm vorbei und die Treppe hoch.

Vielleicht hätte er vorher: „Achtung, Scherzfrage“, sagen sollen. Der Typ hatte doch nicht alle Tassen im Schrank!

In seiner Kabine schlüpfte er in Cargohosen, bevor er einen weiteren Becher mit Kaffee füllte und einen Schuss Milch hinzugab.

Thymian stand an der Reling und starrte übers Wasser. Weiterhin machten sie, wegen der stetigen Brise, gute Fahrt. Wäre es ratsam, die Segel einzuholen? Ach, war es nicht egal, ob sie früher oder später irgendwo strandeten? Zudem oblag es Thymian, sowas zu entscheiden und Marc hatte sowieso keine Ahnung, wie man die Takelage runterholte.

Dafür, Thymian den Becher zu reichen, bekam er ein hoheitsvolles Nicken und kühlen Blick. Arschloch! Im Grunde geschah es dem feinen Pinkel recht, von der Mannschaft ausgeraubt zu werden. Schade, dass Antonio dem Kerl kein Veilchen verpasst hatte.

„Ich hatte gleich ein schlechtes Gefühl bei der Mannschaft“, murmelte Thymian und setzte den Becher an die Lippen.

„Und warum haben Sie sie trotzdem an Bord gelassen?“

„Man hat mir nicht gerade die Tür eingerannt. Antonio war der einzige mit Bootsführerschein, der sich gemeldet hat.“

Wer hatte auch schon sechs Wochen am Stück Zeit, um einen Job in ganz-weit-weg zu machen? Bloß Arbeitslose und Traumtänzer wie Marc. „Und was war mit der Crew, die Sie sonst beschäftigen?“

„Die Yacht ist nur gemietet.“

„Darf ich fragen, wozu Sie das Ganze hier überhaupt machen?“

„Nein.“

Er verdrehte die Augen und begab sich zurück in die Kombüse, um weiter zu packen. Anschließend kümmerte er sich um seine persönliche Habe. Viel war das nicht. Alles passte in einen Rucksack.

Als er wieder an Deck ging, lugte die Sonne über den Horizont. Demnach war es ungefähr halb sieben. Thymian hockte an der Reling und starrte mit trübsinniger Miene ins Leere. Bestimmt trauerte er dem Geld hinterher. Reiche waren diesbezüglich ja sehr sensibel.

„Gibt es Seekarten, damit wir unseren ungefähren Standort feststellen können?“, erkundigte sich Marc.

Thymian zuckte mit den Achseln.

„Sie sollten für den Notfall auch ein bisschen was einpacken“, schlug Marc vor.

„Notfall?“

„Das Schiff wird keinen Bogen um irgendwelche Untiefen machen.“

„Natürlich“, murmelte Thymian, stand auf und eilte an ihm vorbei zum Niedergang.

Er nahm den Platz ein, den sein Chef gerade geräumt hatte. Wohin man auch sah: Wasser-Wasser-Wasser. An einigen Stellen schimmerte es türkis. Das waren die, die man besser meiden sollte. Tja, ohne Steuerung ein schwieriges Unterfangen. Hoffentlich landeten sie wenigstens auf einem Streifen Land. Die Vorstellung, auf einem manövrierunfähigen Kahn mitten im Nirgendwo festzuhängen, bereitete ihm großes Unbehagen. Die, mit Thymian auf einer Insel festzusitzen, allerdings auch.

Plötzlich ging ein Rucks durch den Bootsrumpf. Gerade eben konnte sich Marc an der Reling festhalten, sonst wäre er quer übers Deck geflogen. Er spähte ins Wasser. Scheiße! Sie hingen auf einer Sandbank.

Thymian stürmte die Treppe hoch und stellte sich neben ihn, um ebenfalls über die Reling zu gucken. „Gottverdammter Mist!“

In Zeitlupe schob sich das Schiff über die Sandbank und nahm wieder Fahrt auf.

„Glück gehabt“, meinte Thymian und begab sich erneut unter Deck.

Echt Kacke, dass sie keine Seekarten zur Verfügung hatten. Vielleicht trieben sie geradewegs ins Nirwana des Indischen Ozeans. Da wäre es zu bevorzugen gewesen, auf der Sandbank festzuhängen. Andererseits konnten sie ohne Messwerkzeuge eh ihren Standort nicht bestimmen.

Soweit er sich erinnerte, waren sie zuletzt an der Insel Boracay vorbeigekommen. Antonio hatte extra einen Schlenker ganz nah ans Eiland unternommen, damit Thymian den herrlichen Strand bewundern konnte. Leider nützte ihm das, ohne einen Schimmer, wo diese Insel lag, wenig.

In einiger Entfernung entdeckte er ein winziges Stück Land mit ein paar Palmen. Es erinnerte ihn an die zahllosen Witze, in denen zwei Gestrandete auf solchem Eiland hockten. Im Geiste sah er sich und Thymian, an einen Palmenstamm gelehnt, Langeweile schieben. Gruselig!

In der Kombüse versorgte er sich mit dem Rest laufwarmen Kaffees und begann, die Schränke nach Nützlichem zu durchsuchen. Ihm fiel ein Campingkocher, manueller Dosenöffner und noch allerlei anderes Brauchbares in die Finger. Für ihr leibliches Wohl war also gesorgt.

Ein Gang aufs Klo erinnerte ihn an das Fehlen von Strom. Die Spülung funktionierte nicht, genauso wenig wie das Licht. Das erinnerte ihn daran, dass der Kühlschrank ebenfalls außer Betrieb war. Sie sollten die verderblichen Lebensmittel vorrangig aufbrauchen. Nichts hasste er mehr - ausgenommen reiche Arschlöcher - als Verschwendung.

Nachdem er sich die Hände mit Trinkwasser - natürlich ging auch die Pumpe nicht - gewaschen hatte, bereitete er Frühstück zu. Angesichts des gewaltigen Kühlschrankinhalts bezweifelte er allerdings, dass sie zu zweit das Zeug innerhalb angemessener Zeit aufessen konnten.

„Mylord, Frühstück ist angerichtet!“, rief er in Richtung Eignerkabine.

Thymian tauchte im Türrahmen auf. „Das Klo funktioniert nicht.“

„Sie können ja einen Eimer Seewasser an Bord hieven und damit hinterherspülen.“ Blöde Idee, da die Kloschüssel in Nullkommanix überlaufen würde.

Thymian bedachte ihn mit einem entsprechend abfälligen Blick, kam näher und beäugte die Teller, auf denen er Spiegeleier auf Speck, gebutterten Toast und Gürkchen angerichtet hatte. „Ich esse keinen Speck.“

„Dann lassen Sie ihn liegen. Oder machen Sie sich ihr Frühstück selbst.“ Marc begab sich, den Teller in der einen, Besteck in der anderen Hand, an Deck und ließ sich auf der Bank an der Reling nieder.

Als er etwas später seinen leergegessen Teller runterbrachte, stand Thymians schmutziges Geschirr bereits in der Spüle. Er legte seines dazu und begab sich zurück aufs Deck. Der Wind hatte nachgelassen. Schlaff hingen die Segel herab. Gefühlt schienen sie auf der Stelle zu dümpeln.

Gab es eine Möglichkeit, die Yacht mittels Rudern fortzubewegen? Im Rettungsfloß sollten sich doch welche finden lassen. Marc machte ein langes Gesicht, als er die kurzen Exemplare betrachtete. Die müsste man um einiges verlängern, um überhaupt das Wasser zu erreichen. Davon mal abgesehen: Es würde eh nichts bringen. Bestimmt existierte eine Strömung, gegen die man mit solchem Equipment nicht anstinken konnte.

Als er die Paddel zurückpackte entdeckte er aus dem Augenwinkel ein Boot, das in einiger Entfernung in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Vermutlich ein Fischerboot, denn es schleppte ein Netz hinter sich her.

Er hüpfte auf und ab, winkte und rief: „S.O.S.!“

Einzige Reaktion: Eine der Personen an Bord erwiderte sein Winken. Zügig entfernte sich das Schiff und verschwand aus seinem Sichtfeld. Warum hatte er keine weiße Flagge gebastelt? Oder war das ein Zeichen für ‚Kranke an Bord‘? Davon hatte er keine Ahnung.

Was tat eigentlich Thymian die ganze Zeit? Marc stieg die Treppe runter und spähte in die Eignerkabine. Thymian saß am Schreibtisch und kritzelte in ein Heft. War das zu fassen? Sie trieben führerlos auf dem Meer und der Typ schrieb Tagebuch!



3.

Christophers Traumurlaub war zu einem Alptraum verkommen: Er saß allein mit einem der Crewmitglieder auf der Yacht, die manövrierunfähig dahintrieb. Am Schlimmsten war jedoch, dass die Verbrecher sein Notebook geklaut hatten. Wie sollte er so weiter an seinem Manuskript arbeiten? Einziger Trost: Seine bisherige Arbeit war auf einer externen Festplatte gespeichert und diese lag sicher in seinem Koffer. Außerdem war das Gerät passwortgeschützt. Sie konnte also nichts damit anfangen.

„Darf ich um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten?“, riss ihn Marcs Stimme aus seinen Überlegungen.

Er drehte sich um und hob fragend die Augenbrauen.

„Ich muss Eure Durchlaucht auf dem Umstand hinweisen, dass wir jeden Moment Gefahr laufen, irgendwo zu stranden.“

Fand sich der Typ etwa witzig? „Das ist mir wohl bewusst.“

„Fänden Sie dann ein bisschen Panik nicht angemessen?“

Okay, das traf seinen Humor. „Sie haben recht. Ich werde mich gleich damit befassen.“

„Danke.“ Marc salutierte und ging davon.

Merkwürdiger Typ. Vielleicht hätte er die Planung seiner Auszeit langfristiger angehen sollen. Es hatten sich nämlich kaum Bewerber gemeldet, genauer gesagt sechs. Zwei waren vollkommen indiskutabel gewesen. Bei dem einen handelte es sich um einen fünfzigjährigen Mann, stark adipös und der deutschen Sprache nur rudimentär mächtig, und bei dem anderen um einen Jüngling, der dazu neigte, seekrank zu werden. Die Tour sollte für letzteren eine Art Abhärtung darstellen.

Seine Assistentin Celine hatte ihn für verrückt erklärt, sechs Wochen mit vier Unbekannten an Bord durch die Gegend zu schippern. Sie war dafür zuständig gewesen, die Crew zu rekrutieren. Er hatte ihre Warnung ignoriert und nun die Quittung dafür erhalten. Zweifelsohne würde sie ihm nach seiner Rückkehr triumphierend: „Hab ich es dir nicht gleich gesagt?“, entgegenwerfen.

Christopher war überzeugt, dass sie in absehbarer Zeit gerettet wurden. Schließlich schrieben sie das Jahr 2021, in dem kein Winkel der Erde noch unerforscht war. Dann würde er Celine anrufen und sie bitten, ihm Geld zu schicken. Seines hatten die Gauner ja bis auf den letzten Cent geklaut. Glücklicherweise bloß Bargeld. Mit einer seiner Kreditkarten hätten sie richtig Schaden anrichten können. So betrug der Wert ihrer Beute lediglich 60.000 Euro. Ein Betrag, der ihm nicht sonderlich wehtat.

Das einzige, was ihm große Sorge bereitete, war, wie er mit den hygienischen Umständen bis zu ihrer Rettung klarkommen sollte. Über kurz oder lang war ein größeres Geschäft fällig. Außerdem musste er dringend duschen.

Ihm war bewusst, ein verwöhnter Mensch zu sein. Von klein auf hatte er in Luxus gelebt und nach dem Studium seinen Platz im Familienimperium eingenommen. Von der Materie - Software jedweder Art - verstand er nicht viel, dafür von Zahlen umso mehr. Seine Eltern, beide im Ruhestand, wären stolz auf ihn, gäbe es da nicht das kleine Manko seiner sexuellen Verirrung. Das hatte ihr Verhältnis deutlich abgekühlt.

Überhaupt war das Verhältnis zu seiner gesamten Verwandtschaft seit seinem Outing sehr distanziert. In der Familie Thymian war er das schwarze Schaf, obwohl sich andere Mitglieder echte Verfehlungen, in Form von Fremdgehen und außerehelichen Schwangerschaften, leisteten. Sowas schien man als normal zu betrachten. Seine Liebe zum eigenen Geschlecht war hingegen widernatürlich.

Seufzend wandte er sich wieder seinen Notizen zu. Das Buch hatte schon einen Titel: Geld macht nicht glücklich. Am Inhalt haperte es noch ein wenig. Er wollte sowohl Fallbeispiele als auch philosophische Gedanken einfließen lassen. Bezüglich der Beispiele besaß er einiges an Erfahrung: All seine Verflossenen hatten sich als Mitgiftjäger entpuppt.

Manchmal war reich zu sein eine Last. Bereits zu Schulzeiten hatte er das so empfunden. Mit ihm wollte kaum jemand etwas zu tun haben, außer an seinen Geburtstagen, wenn die Gäste als Dank für ihr Erscheinen Geschenke erhielten. Damit hatten seine Eltern ihm einen Bärendienst erwiesen. Freunde ließen sich nun mal nicht kaufen. Im Gegenteil erntete er für diese Aktion Verachtung beziehungsweise Mitleid.

Während des Studiums war es ihm ganz gut gelungen, sich zu integrieren. Im zweiten Semester hatte er seine Jungfräulichkeit an einen Kommilitonen verloren. Danach war er mit verschiedenen Männern in die Kiste gesprungen, bis er genug von One-Night-Stands hatte.

Seine erste Beziehung dauerte drei Jahre. So lange brauchte er, um Martins wahre Intention - Geldgier - zu erkennen. Danach war er mal hier sechs Monate, mal da etwas länger liiert. Einige Männer machten keinen Hehl daraus, an seinem Reichtum partizipieren zu wollen. Die waren ihm sogar lieber als diejenigen, die ihm große Liebe vorgaukelten, um an sein Geld zu kommen.

Zurück zu seinem Buch: Er hatte gehofft, an Bord der Yacht damit beträchtlich voranzukommen. Das war ihm auch gelungen, bis zur vergangenen Nacht. Was für ein Glück, dass er stets so penibel war, seine externe Festplatte abzustöpseln und gesondert aufzubewahren; sonst wäre all seine Arbeit mit einem Schlag vernichtet gewesen.

„Chef? Ich glaube, das sollten Sie sich mal ansehen“, rief Marc quer durch die Messe.

Er packte Heft und Stift in seine Tasche, bevor er sich an Deck begab. Angesichts der Insel, auf die das Schiff zuhielt, und der gesamten Situation überkamen ihn Erinnerungen an Robinson-Crusoe-Filme. Weißer Sandstrand und Palmen, dahinter üppige Vegetation. Rundherum: Wasser, soweit das Auge reichte und darüber der endlose blaue Himmel.

Christopher spähte ins Wasser. Man konnte den Grund erkennen. Im nächsten Moment saß der Bug fest. Die Yacht begann sich zu drehen. Vielleicht wurden sie auf diese Weise wieder freigegeben. Sein Wunsch wurde nicht erfüllt. Auch das Heck verankerte sich im sandigen Untergrund.

„Wir sollten von Bord gehen, bevor das Schiff auf die Seite kippt“, meldete sich Marc zu Wort.

Vermutlich eine gute Idee, die ihm trotzdem nicht gefiel. An Bord wusste er wenigstens, was er hatte. Vielleicht lebten auf der Insel Kannibalen, so wie bei Robinson. Ha-ha, natürlich ein Scherz. Kannibalismus galt ja als ausgestorben, ausgenommen im Darknet, wo sich Leute freiwillig zum Aufessen anboten.

„Helfen Sie mir, das Rettungsfloß zu Wasser zu lassen?“ Marc ging, ohne auf seine Antwort zu warten, zum Heck.

Kurz darauf dümpelte das aufblasbare Floß vorm Bootsheck im seichten Wasser. Hintereinander liefen sie die Stufen in die Messe runter. Christopher holte einen seiner drei Trolleys aus der Eignerkabine, eine Tasche über der Schulter.

Marc, zwei prall gefüllte Beutel in den Händen, runzelte die Stirn. „Sorry, aber wir sollten vorrangig die Lebensmittel an Land schaffen.

„Das hier ist genauso wichtig!“

Kopfschüttelnd marschierte Marc voran. Was genau war falsch daran, sich erst um seine Sachen zu kümmern? Ein paar Tage zu hungern würden sie überleben. Der Verlust seiner Notizen wäre hingegen eine Katastrophe. Okay, die Klamotten brauchte er weniger dringend, aber sie befanden sich nun mal im gleichen Koffer wie die Festplatte.

Am Heck stellte Marc die Beutel ab und fing an, Taue einzusammeln. Verwirrt guckte er zu. Wollte Marc ihn damit fesseln?

„Können Sie vernünftige Knoten machen?“ Marc drückte ihm einige Taue in die Hände.

„Ich denke schon.“

„Wir werden das Schiff festbinden“, erklärte Marc.

Ah, das ergab Sinn. Christopher ließ sich auf einer Bank nieder und begann, die Seilenden miteinander zu verknüpfen. Ihm kam dabei zugute, dass er als Kind Knoten geliebt hatte. So manches Mal waren seine Eltern ausgerastet, wenn er im Flur seine Neigung an den Schuhsenkeln austobte.

Schließlich hatte er sämtliche Taue verbunden. Anerkennend betrachtete Marc sein Werk und half ihm, es am Heck zu befestigten und aufzurollen. Danach beluden sie das Floß, bis die Lastgrenze erreicht war. Marc sprang ins Wasser, das ihm bis zum Bauchnabel reichte. Bevor sich Christopher dazugesellte, zog er seinen hochwertigen Ledergürtel aus den Schlaufen seiner Bermudas und deponierte ihn auf einer Bank.

Bei der ersten Fuhre wickelten sie das Seil ab und schlangen es am Strand um eine Palme. Nach drei Ladungen legten sie eine Pause ein. Unbarmherzig brannte die Sonne vom Himmel. Christopher war durchgeschwitzt und sehnte sich nach einer kühlen Dusche. Tja ... darauf musste er wohl ein Weilchen verzichten.

Dankbar nahm er die Wasserflasche und Packung Kekse, die Marc ihm reichte. Das Frühstück schien lange her zu sein, denn sein Magen knurrte. Laut Sonnenstand dürfte es um die Mittagszeit sein.

„Wir sollten weitermachen“, meinte Marc nach einer Weile.

„Eigentlich läuft uns das doch nicht weg.“

„Und wenn ein Sturm aufkommt und sich das Schiff losreißt? Oder es Leck schlägt und untergeht?“

Zwar sah es nicht nach Unwetter aus, aber Christopher wollte nicht klugscheißen. Er schloss sich also Marc an, um das Floß zum Schiff zu bugsieren.

Fünf Fuhren später befanden sich alle Lebensmittel am Strand. Mit der sechsten holten sie zwei Matratzen, Bettzeug und Marcs Rucksack von Bord. Danach war Christopher reif für ein Nickerchen. Alles tat ihm weh. Seine Kondition ließ deutlich zu wünschen übrig, obwohl er regelmäßig trainierte. Er sollte sein Programm ändern und mehr auf Fitness statt Muskelaufbau - beziehungsweise Verhinderung von Muskelabbau - hinarbeiten.

Sie deckten das Floß über den Haufen Konserven, Wassergallonen und so weiter, um ihn notdürftig vor der Hitze zu schützen. Anschließend schleppten sie Matratzen und Decken in den Schatten und machten es sich gemütlich. Wieder gab es Kekse und Mineralwasser. Decke und Kissen in den Nacken gestopft wackelte Christopher mit seinen sandigen Zehen und genoss den Ausblick.


Irgendwann wachte er auf, was bedeutete, dass er eingepennt sein musste. Die Matratze neben seiner war verwaist. Ein Großteil der Lebensmittelvorräte war verschwunden. Als er sich umblickte entdeckte er Marc, der gerade zwei Gallonen Wasser im Schatten ablud. Dem Stand der Sonne zufolge müsste es inzwischen später Nachmittag sein. Sein hungriger Magen teilte diese Beobachtung.

Gähnend streckte er die Arme über den Kopf, rappelte sich hoch und trottete zu dem verbliebenen Haufen Vorräte. Zu zweit war der Rest rasch weggeschafft. Zum Schluss schleppten sie das Floß in den Schatten.

„Daraus können wir ein Dach bauen, für den Fall, dass es regnet.“ Marc spähte gen Himmel. „Wenn unsere Wasservorräte ausgehen, müssen wir darum beten.“

Schreckliche Vorstellung, also, das mit dem Wassermangel. Es bedeutete wohl auch, dass sie es nicht für Hygienezwecke verschwenden durften. Zähne putzen mit Salzwasser? Igitt, aber in der Not ...

„Ich versuche mal, was zu kochen“, fuhr Marc fort, beugte sich vor und begann, in den Vorräten zu kramen.

Zum ersten Mal fiel Christopher auf, mit welch attraktivem Exemplar der Gattung Mann er gestrandet war. In der dünnen Bermudashorts kam Marcs kerniger Hintern gut zur Geltung. Sein Schwanz fand das völlig unpassenderweise auch. Sex war nun echt das Letzte, woran man als Schiffbrüchiger denken sollte! Andererseits war er völlig untervögelt. Das entschuldigte seine Reaktion. Außerdem waren sie Luxus-Schiffbrüchige, da die Yacht ja gar nicht untergegangen war.

Während Marc mit einem Campingkocher hantierte, schlenderte Christopher in Richtung Inselinneres. Hinter den Palmen, die den Strand säumten, gab es eine Erhebung aus Felsgestein. Er kletterte hinauf und stellte fest, dass eine Quelle aus dem Stein entsprang. War das die Lösung für ihr anstehendes Wasserproblem? Den Mut, das Nass zu probieren, besaß er nicht. Erst würde er Marc, der hoffentlich von sowas Ahnung hatte, fragen.

Er stieg an der Seite runter, an der der Quell floss und als schmaler Bach zum Meer führte. Am Strand angekommen, wanderte er gemächlich zurück zu ihrem Standort. Die Yacht hatte inzwischen Schlagseite. Hoffentlich war der Eigner gut versichert. Christopher hatte keine Lust, für die Reparatur des wahrscheinlich wahnsinnig teuren Schiffs aufzukommen.

Als er ihr Lager erreichte, wehte ihm würziger Duft entgegen. Marc hatte einen Essplatz aus zwei Sitzkissen und Plastikkisten, in denen vorher die Konserven lagerten, improvisiert. Zwei Schüsseln und Löffel standen parat. Sein Magen knurrte erfreut. Er war so hungrig, dass er ein halbes Schwein verdrücken könnte. Von der Quelle zu erzählen, verschob er auf später. Vorrangig musste sein Bauch gefüllt werden.

Der Eintopf, den Marc gezaubert hatte, schmeckte gewöhnungsbedürftig. Christopher identifizierte zwei verschiedene Sorten Bohnen, geschälte Tomaten, Würstchenstückchen und Nudeln. Normalerweise hätte er solchen Mischmasch niemals angerührt, doch der Hunger trieb es rein. Er nahm sogar Nachschlag.

„Ich hoffe, es mundet Ihnen“, meinte Marc zwischen zwei Löffeln Eintopf.

Er zuckte mit den Achseln. „Es ist ganz okay.“

„Morgen sind Sie mit Kochen dran.“

Erschrocken ließ er Napf und Löffel sinken. „Ich?

„Sehen Sie hier sonst noch irgendwen?“

„Nein, aber ... aber ich bezahle Sie dafür, dass Sei für mich arbeiten.“

Marc lüpfte eine Augenbraue. „Ihr Geld ist auf diesem Eiland keinen Pfifferling wert. Davon mal abgesehen: Sie haben gar keines mehr.“

Leider entsprach das der Wahrheit. In seiner Börse, die die Banditen nicht mitgenommen hatten, befanden sich nur noch ein paar Münzen. „Trotzdem stehen Sie weiterhin in meinen Diensten.“

„Möchten Sie mich vielleicht auch noch Freitag taufen?“, erkundigte sich Marc spöttisch.


Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Cover: Lars Rogmann
Korrektorat: Aschure - dankeschön!
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2022

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