Cover

Verzauberte Herzen - Band 2

 

Von Traumprinzen und Prinzenträumen

 

Eine Anthologie der Homo Schmuddel Nudeln

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Copyright Texte: die Autoren

Fotos: Herzen: Depositphotos_2257956_l-2015, Cover: Shutterstock Stockvektor-Nr: 13 04 22 96 25 von Ket4up, Sterne im Vordergrund 19 88 03 44 7 von Crystal Eye Studio, Spirale 71 72 32 96 von Maxim Matsevich, rotes Herz 71723296 von Maxim Matsevich

Cover-Design: Lars Rogmann

Korrektur: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Bettina Barkhoven, Sissi Kaiserlos

Kontakt: sissi-kaiserlos@gmx.de

 

Vorwort

 

Nicht nur in Zeiten der Pandemie können Märchen einige Minuten Vergessen schenken; nicht bloß die traditionellen, sondern auch Liebesgeschichten, die ebenfalls märchenhaften Charakter haben.

Für diese Ausgabe haben besonders viele Autor*innen ihre Storys gespendet. Sie haben damit nicht nur Karmapunkte erworben, sondern schenken dir, liebe Leser*innen, hoffentlich eine zauberhafte Lesezeit.

Danke, dass du dieses Buch erworben hast. Du sammelst damit ebenfalls Karmapunkte, denn die Einnahmen gehen in voller Höhe an ein gemeinnütziges Projekt. Die Erlöse werden an die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz Berlin gespendet. Die Schwestern engagieren sich bundesweit nicht nur im LGBT-Bereich, sondern auch überall dort, wo noch Hilfe vonnöten ist.

Viel Spaß beim Lesen wünscht, im Namen aller Autor*innen,

Sissi Kaiserlos im Nudelgewand

 

Luna Puesta – Hoffnungsschimmer - Ann Salomon


Prolog


Wie ein Irrer schlug Mikai auf den Sandsack vor sich ein, wollte die Anspannung und all die Sorgen loswerden, die ihn belasteten, seit Tarquin vor gut zwei Wochen abgereist war.

Zuerst meldete er sich regelmäßig, sie telefonierten viel, unterhielten sich über den Videochat, doch seit gestern erreichte er ihn nicht mehr.

Mikai hatte von Anfang an das Gefühl, dass es eine beschissene Idee war, seinen Gefährten, na ja, seinen zukünftigen Gefährten, allein gehen zu lassen.

Eigentlich wollten sie in gut zwei Wochen ihre Zeremonie feiern, ihr Band schließen, doch nun wusste er nicht, wie es weitergehen würde.

Konnte es sein, dass sich Tarquin doch noch anders entschied, das verleugnete, was sie verband? Für Wandler war das eigentlich unmöglich. Wenn sie einander erst einmal als ihr Gegenstück erkannten, zog es sie zu diesem und das Bedürfnis, immer in der Nähe des Gefährten zu sein, ließ nie wieder nach. Aber es gab Paare, die sich dagegen wehrten, akzeptieren, dass sie nie wirklich glücklich werden konnten. Dass es bei ihnen so war, glaubte er, wenn er ehrlich mit sich war, nicht, ihre Gefühle füreinander waren schon viel zu stark. Doch wenn es nicht daran lag, dann musste ihm etwas zugestoßen sein, was noch viel schlimmer war. Zumindest wusste er, dass Tarquin noch lebte, denn seinen Tod hätte er, auch wenn sie noch nicht vollkommen verbunden waren, gespürt.

Mit einem wütenden Schrei ließ sich Mikai auf die Knie fallen, vergrub sein Gesicht in seinen Händen und schluchzte leise auf.

Verdammt, er konnte hier nicht einfach warten und nichts tun, musste handeln. Nur so würde er ihn bald wieder in die Arme schließen können.

Ein Ruck durchfuhr ihn, unwirsch wischte er sich die Tränen fort und stand entschlossen auf.

Noch heute würde er seine Sachen packen und nach Europa fliegen.

Egal, was ihn dort auch erwarten würde, er musste seinen wundervollen Rotmilan finden, alles andere ergab sich, wenn er ihm gegenüberstand, dann konnten sie alles klären.

Seine Füße trugen ihn zum Haus seines Alphas, den er schließlich in seinem Büro antraf.

Schon als Miguel den Blick von seinen Unterlagen auf ihn richtete, wusste Mikai, dass er genau wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Als Alpha nahm er alles in seinem Rudel wahr, vor allem bei seinen Kämpfern. Gerieten diese in ein Ungleichgewicht, wirkte es sich schnell auf die gesamte Gemeinschaft aus.

Miguel stand auf und trat mit gerunzelter Stirn auf ihn zu.

„Was ist geschehen?“

„Tarquin, er meldet sich nicht mehr bei mir und ich kann ihn nicht erreichen. Das ist nicht seine Art, er würde mich niemals so im Unklaren lassen, da er weiß, dass ich mir Sorgen mache. Ich muss zu ihm, ihn finden.“

„Das ist wirklich merkwürdig. Ich kenne seinen Vater und auch seinen älteren Bruder, beide sind unbedingt loyal und zuverlässig, machen ihren Positionen als Alpha und dem zukünftigen Alpha alle Ehre. Selbst wenn dein Gefährte aus irgendeinem Grund Abstand haben wollte, dann würde er es offen ansprechen.“

Sein Anführer griff nach einem der Telefone, die so gesichert waren, dass man sie nicht abhören konnte, und wählte eine Nummer. Eine gefühlte Ewigkeit später nahm er es fluchend vom Ohr. Auch zwei weitere Versuche blieben erfolglos.

„Irgendetwas muss geschehen sein. Ich kann hier nicht tatenlos herumsitzen, während mein Gefährte in Gefahr ist“, rief Mikai aufgebracht und begann, unruhig auf und ab zu laufen.

„Das musst du auch nicht. Auch wenn es sich nicht um ein Pumarudel handelt, gehört das Rotmilanrudel schon lange zu unseren Verbündeten. Wir werden ein Team losschicken. Wenn ihr dort seid, werden euch vor Ort weitere Kämpfer erwarten, dafür werde ich sorgen.“ Miguel legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte zu. „Er gehört zu uns, er ist dein Gefährte. Wir finden ihn und ihr werdet wieder vereint sein.“

Dass sein Alpha zu ihm stand und ihm helfen wollte, tat unglaublich gut. Mikai fühlte durch die Berührung nicht nur den Mann vor sich, sondern das ganze Rudel, und doch wuchs mit jeder Minute, die verstrich, seine Angst.

Deshalb beeilte er sich, nachdem Miguel alles Notwendige klärte, nach Hause zu kommen, zu duschen und seine Tasche zu packen.

Keine Stunde später waren drei erfahrene Männer des Rudels zusammen mit ihm unterwegs zu einem Privatflughafen, wo eine Maschine startbereit auf sie warten und sie auf schnellstem Weg nach Europa bringen würde.

Da das Dorf des Rotmilanrudels sich in einem nur schwer zugänglichen Gebiet in den Pyrenäen befand, mussten sie etwas außerhalb landen und von dort aus mit geländetauglichen Fahrzeugen weiterfahren.

Mikai flog nicht gern, mochte es nicht, eingesperrt zu sein, doch für Tarquin würde er selbst in die Tiefen der Hölle steigen, da war ein Flug über den Atlantik etwas, das er gerne auf sich nahm.

Jeder Meter brachte ihn seinem Liebsten näher, es wuchs aber auch die Sorge, was er vorfinden würde, wenn sie ihr Ziel erreichten.

Während des Flugs zwang er sich, zu schlafen, denn er wusste, dass er nur ausgeruht von Nutzen sein konnte.

So war er einigermaßen erholt, als sie das Flugzeug schließlich wieder verließen. Wie Miguel ihnen zusicherte, wartete eine Einheit auf sie. Diese Männer und Frauen gehörten zu einem der Rudel, die ursprünglich, vor einigen Jahrhunderten, aus ihrem hervorgegangen waren und immer noch in dem Areal lebten, das Mikais Vorfahren damals verließen, um in der neuen Welt ihr Glück zu versuchen.

Mit ihrer Hilfe würden sie sich möglichen Schwierigkeiten stellen können.


Kapitel 1

Die Fahrt dauerte, trotz der bereitgestellten Wagen, mehrere Stunden, was Mikai verrückt machte. Das ungute Gefühl wurde langsam, aber sicher zu echter Panik, denn je näher sie dem Territorium der Rotmilane kamen, desto mehr Wut, Angst, Schmerz und Trauer nahm er wahr.

„Entsichert eure Waffen, seid auf der Hut, ich kann Tarquin spüren und er ist so aufgewühlt, wie ich ihn noch nie erlebt habe.“ Militärisch kurz nickten sie ihm zu und taten dann, um was er sie bat.

Was gut war, denn als sie die Grenze des Gebiets erreichten, wurden sie beschossen. Der Schusswechsel war intensiv, konnte aber dank eines Scharfschützen in ihren Reihen schnell beendet werden.

Eine Kämpferin beugte sich über den toten Gegner, atmete tief ein und knurrte.

„Verflucht, ich hatte gehofft, dass wir es mit Menschen zu tun haben, doch das hier ist ein gottverdammter Wolfswandler!“

Grollen erhob sich um Mikai herum, auch er kochte innerlich vor Wut.

Um nicht in einen Hinterhalt zu geraten, ließen sie die Wagen stehen und liefen zu Fuß weiter, da sie sich so mehr auf ihre Nasen verlassen konnten, um Gefahren schon frühzeitig zu erkennen.

Das erwies sich schon wenige Kilometer später als weise Entscheidung. Mehrere Männer, allesamt Wölfe so wie der, den sie ausgeschaltet hatten, warteten mit einem auf die Straße gerichteten Maschinengewehr in einem Hinterhalt.

Auch hier machten sie kurzen Prozess und erledigten die Kerle.

„Die sind überheblich, verfügen jedoch über Waffen, die uns gefährlich werden könnten. Ich möchte gar nicht wissen, was uns noch erwartet. Aber ich frage mich, wieso sie das tun? Das Territorium gehört schon seit Generationen den Rotmilanen, die mit allen anderen Wandlerrudeln in dieser Gegend ohne Probleme zusammenleben. Wenn sie hier mit Gewalt eindringen, dann haben sie nicht vor, irgendetwas friedlich zu regeln, denn sie wissen, dass jemand kommen wird, um das begangene Unrecht zu sühnen.“ Alvaro, der Kommandant des Teams, wirkte stinksauer.

Es brauchte so viele Jahre, um ein funktionierendes Netzwerk zwischen den einzelnen Rudeln aufzubauen, unabhängig von ihren Tieren. Mittlerweile gab es sogar so etwas wie einen Wandlerrat, doch dieser verfügte noch nicht über den nötigen Einfluss, sodass Aktionen wie diese unvermeidlich waren, um Schlimmeres zu verhindern.

„Ich werde meinen Alpha informieren. Das hier könnte uns schnell um die Ohren fliegen, da wir nicht wissen können, was uns erwartet, sobald wir die Ansiedlung erreichen. Er soll Einheiten der Rudel anfordern, deren Gebiete an dieses hier angrenzen. Je mehr Kämpfer, umso besser.“

Natürlich wäre Mikai gerne losgestürmt, sein Puma wollte nichts mehr, als zu seinem Gefährten zu gelangen, doch seine menschliche Seite wusste, dass unbedachtes Handeln für sie alle tödlich enden konnte, und das war das Letzte, was er wollte.

Stattdessen blieb er, wo er war, atmete so ruhig wie möglich ein und aus und schickte Tarquin seine Liebe, von der er hoffte, dass der andere sie spürte und wusste, dass er auf dem Weg war.

Seine Gedanken schweiften ab, brachten ihn zurück zu dem Tag, an dem ihm das Glück im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße gefallen war.

Mikai war damals unterwegs an der Grenze des Territoriums, um zu seinem Posten zu gelangen, denn auch wenn die Wandler untereinander nun zumeist friedlich zusammenlebten, war die Gefahr, von Menschen entdeckt oder angegriffen zu werden, nicht weniger geworden.

Kaum war sein Kollege, den er ablöste, im dichten Wald verschwunden, als er einen Schuss vernahm. Über sich sah er einen großen Raubvogel, der leblos zu Boden fiel. Aufgrund der Größe wusste er, dass es sich hierbei um einen Wandler handeln musste.

So schnell er konnte eilte er auf die Stelle zu, an der dieser den Boden erreichen würde. Noch im Lauf informierte er über Funk die anderen, denn er würde Verstärkung brauchen, um den Verletzten in die Siedlung zu bringen.

Als er ihn schließlich erreichte, roch er sofort das Blut. Der Rotmilan hatte sich zurückverwandelt und vor ihm lag nun ein nackter Mann, etwas in seinem Alter. Aus einer Schusswunde in seiner Brust strömte unablässig Blut. Ihm gelang es, die Verletzung notdürftig zu versorgen und die Blutung zu stoppen. Während er auf Hilfe wartete, hatte er Zeit, den anderen genauer zu betrachten. Das kurze schwarze Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, sein Körper war trainiert und sein Gesicht zierte ein leichter Dreitagebart.

Etwas in Mikai, das schon die ganze Zeit über da war, seit er bei dem Fremden saß, fand seinen Platz. Sein Herz raste wie verrückt und seine Seele wurde von etwas berührt.

All die einsamen Jahre, die er durchlebte und sich nach jemandem an seiner Seite sehnte, erschienen ihm wie weggeblasen. Dieser Mann vor ihm, den er nicht kannte und der ihn doch so tief berührte, war niemand anderes als sein Gefährte. Sein Kollege traf nur Minuten nach ihm ein und half ihm bei der Versorgung.

Die Zeit über, bis das Rettungsteam bei ihnen eintraf, kniete er neben ihm, hatte ihn vorsichtig in seine Jacke gehüllt, damit er nicht zu sehr auskühlte. Bewegen konnte und wollte er ihn nicht, denn man konnte innere Verletzungen nicht ausschließen. Nicht auszudenken, wenn eine unbedachte Aktion seinerseits zu einer dauerhaften Lähmung führen würde.

Kurz bevor die Hilfe eintraf, wachte der vor ihm Liegende auf. Seine Augen waren von einem wunderschönen Kastanienbraun. Mikai hatte Schwierigkeiten, nicht in ihnen zu versinken.

„Hey, schön, dass du wach bist. Keine Sorge, Hilfe ist unterwegs. Wir kriegen dich wieder hin“, brachte er leise hervor.

„Wer … bist du?“

„Mikai, meine Name ist Mikai. Du bist auf dem Gebiet meines Rudels abgestürzt.“

„Ich … Tarquin …“ Tarquin hatte erkennbar Probleme mit der Atmung und befand sich im Allgemeinen in keiner guten Verfassung, obwohl die Wunde, dank seiner schnellen Heilung als Wandler, schon zu heilen begann.

„Versuch nicht zu sprechen, ruhe dich aus, ich bleibe hier und passe auf dich auf.“

Noch heute konnte er die Erleichterung spüren, die ihn durchströmte, als er die näher kommenden Schritte der anderen vernahm und sie Tarquin endlich zu ihrem Heiler bringen konnten.

Während der Tage der Heilung bliebe er an der Seite seines Gefährten. Sie redeten in dieser Zeit viel, lernten sich kennen. Keiner von ihnen hätte erwartet, den Einen zu finden.

Die meisten, die füreinander bestimmt waren, fanden sich früher, in ihrer Jugend oder in ihren frühen Zwanzigern. Tarquin jedoch war Anfang dreißig, er selbst gerade 29 geworden. Da sie auf unterschiedlichen Kontinenten zu Hause waren, war es aber kein Wunder, dass sie sich nicht schon eher über den Weg gelaufen waren.

Das Ganze war nun gut sechs Monate her und den Schock über den Anschlag auf Tarquin hatte er bis heute noch nicht ganz überwunden. Vor allem, da sie den Verursacher nicht aufspüren konnten.

Unruhig lief Mikai auf und ab, würde, wenn es so weiterging, noch eine Furche im Boden hinterlassen, doch er konnte nicht stillstehen, musste sich beschäftigen, um nicht durchzudrehen.

Das Warten zerrte unglaublich an seinen Nerven, denn alles in ihm schrie danach, zu handeln.

Nach und nach erreichten sie Meldungen, dass die angeforderten Einheiten unterwegs waren. Sie würden sich mit ihnen treffen und dann, wenn alles gut ging, zusammen mit ihnen die Lage auskundschaften und, wenn möglich, so schnell wie es ging klären.

Endlich ging es weiter. Sie kamen gut voran und erreichten die äußere Grenze des Dorfes.

Mikais feine Nase nahm sofort den Geruch nach Blut und Tod wahr.

Seine Sicht verschärfte sich, sein Puma schlug die Krallen von innen in ihn, wollte hervorbrechen, ihren Gefährten finden und beschützen.

Gerade noch konnten ihn Alvaro und ein anderer Krieger aufhalten.

„Verdammt! Beruhige dich. Ich weiß, dass du zu deinem Gefährten willst, doch wenn du jetzt kopflos losstürmst, dann ist die Chance groß, dass du die nächsten Minuten nicht überlebst. Was wird dann aus Tarquin? Du weißt so gut wie ich, dass er deinen Tod nicht überstehen würde. Also, beruhige dich, damit hilfst du ihm und uns allen.“ Unterdrückt knurrte er auf. „Sie haben hier ein Massaker angerichtet, scheinen wahllos vorgegangen zu sein, denn die Toten, die wir bis jetzt ausmachen konnten, sind nicht nur Kämpfer des Rudels, sondern auch Frauen, Kinder, Alte. Diese Verbrecher werden nicht zögern, auf uns zu feuern, uns umbringen.“

Seine ausgefahrenen Krallen fuhren ihm unangenehm in die Haut seiner Handfläche. Der Schmerz darüber sorgte dafür, dass er wieder klarer denken konnte, wieder ruhiger wurde. Nach einigen Augenblicken ließ das Rauschen in seinen Ohren nach, seine Katze gebärdete sich nicht mehr ganz so ungezügelt in ihm.

„Danke, Alvaro. Ich kenne mich nicht so außer mir, aber die Angst um Tarquin lässt mich fast durchdrehen. Wir müssen doch irgendetwas tun.“

Sein Gegenüber nickte.

„Das werden wir. Zwei meiner Leute werden in ihrer Tiergestalt die Gegend auskundschaften, sich einen Überblick verschaffen. Wenn die Verstärkung eintrifft, wissen wir schon, an welcher Stelle wir zuschlagen müssen.“ Die beiden, auf die er zeigte, zogen sich rasch aus und verwandelten sich.

Wehmütig sah er den beiden jungen Männern nach, die als Pumas fast lautlos durch die Siedlung huschten. Das hohe Gras und die wild blühenden Büsche boten ihnen viele Möglichkeiten, sich zu verbergen.

Fast eine halbe Stunde waren sie unterwegs. Als sie zurückkamen und sich wandelten, sah man ihnen die unbändige Wut an, die sie empfanden.

„Wir haben fünfzehn Tote gezählt, darunter auch den Alpha und dessen Sohn.“ Betroffen betrachteten sie Mikai. „Es tut uns leid, aber wir konnten seinen Gefährten nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich hat er die Überlebenden irgendwie in Sicherheit gebracht. Im Gemeinschaftshaus halten sie, wie es scheint, einige wenige Rudelmitglieder gefangen. Wir konnten leider nicht näher ran, sonst hätten sie uns sicher entdeckt. Mich wundert es sowieso, dass sie uns noch nicht gewittert haben. Doch uns soll es recht sein, je länger wir und die anderen Einheit unentdeckt bleiben, desto besser.“

Diese Neuigkeiten versetzten ihm einen gehörigen Schlag, aufseufzend glitt er an der Wand des Hauses hinter sich zu Boden. Tarquins Familie bedeutete diesem alles, wie sollte er ihren Verlust nur überstehen? Nun war sein Gefährte der neue Alpha, würde das Erbe antreten, das eigentlich nicht für ihn vorgesehen war. Sein Bruder wurde sein Leben lang dafür erzogen, einmal der Anführer des Rudels zu werden.

Nun, da die beiden tot waren, würde sich Tarquin nicht vor der Verantwortung drücken und alles dafür geben, seine Gemeinschaft zu beschützen. Und er würde tun, was in seiner Macht stand, um ihm beizustehen, als Alphagefährte an dessen Seite. Doch dafür mussten sie ihn und die anderen erst einmal finden, ohne selbst ihr Leben zu verlieren.


Kapitel 2

„Wie es aussieht, befinden sich in der Siedlung mindestens zehn bis an die Zähne bewaffnete Wolfswandler. Die meisten von ihnen halten sich im Gemeinschaftshaus beziehungsweise davor auf. Drei sichern die Umgebung. Diese Typen müssen wir zuerst ausschalten, sollten dann aber fast zeitgleich die anderen unschädlich machen, ehe sie die Möglichkeit haben, die Gefangenen umzubringen oder uns anzugreifen. Die Adler übernehmen die Wachen, wir und die Luchse kümmern uns um den Rest. Wenn wir hier alles gesichert haben, werden wir nach den restlichen Bewohnern und ihren Verfolgern suchen. Ist noch etwas unklar?“ Mit ernster Miene musterte Alvaro die Männer und Frauen, die sich um ihn versammelt hatten. Mit den mittlerweile eingetroffenen Einheiten der Adler- und Luchswandler zusammen waren sie gut fünfzig Personen. Die Bärenkrieger würden später zu ihnen stoßen, da sie einen weiteren Weg zurücklegen mussten. Aber es war immer gut, noch ein Ass im Ärmel zu haben, mit dem der Feind nicht rechnete.

Mikai war voller Tatendrang. Unrecht aller Art ertrug er nur schwer und feigen Mördern gegenüber, denn nichts anderes waren diese Wölfe für ihn, empfand er nur Abscheu und würde, wenn er sie erledigte, keinerlei Mitleid zeigen. Wer Kinder und andere Unschuldige tötete, hatte das Recht darauf verspielt.

„Kann ich mich darauf verlassen, dass du dich an den Plan hältst?“ Eindringlich betrachtete Alvaro ihn. „Wenn nicht, dann musst du zurückbleiben. Sosehr ich auch verstehe, was in dir vorgeht, ich werde nicht das Leben aller aufs Spiel setzen, nur weil du ohne Rücksicht auf Verluste dein Ding durchziehst.“

„Ich gebe dir mein Ehrenwort, dass ich mich an das halten werde, was entschieden wurde. Ja, ich bin stinksauer und habe Angst um meinen Gefährten, doch ich werde ihn nicht dadurch gefährden, dass ich mich in Gefahr bringe. Nur mit eurer Hilfe kann es mir gelingen, ihn wieder in die Arme schließen zu können, und das werde ich nicht riskieren.“ Einige Augenblicke sahen sie einander eindringlich an, dann nickte der andere Krieger.

„Gut, ich glaube dir. Wir werden Tarquin und die anderen aufspüren und retten, darauf hast du mein Wort.“

Dass ihm so viele gute Kämpfer beistanden, sich für das Rotmilanrudel einsetzen würden, beruhigte sein aufgewühltes Gemüt etwas.

Mit gezogener Waffe folgte er in menschlicher Gestalt den anderen. Einige würden als Tiere angreifen, da sie dadurch wendiger waren.

Das Herz schlug heftig in Mikais Brust, als er auf die Uhr sah. In wenigen Minuten würden die Adlerwandler ihre Attacke durchführen. Gleichzeitig würden sie zuschlagen.

Hochkonzentriert fokussierte er sich darauf.

Alvaro zählte stumm von fünf rückwärts. Noch bevor er bei null ankam, rannten sie los.

Es fielen Schüsse, sie mussten diesen ausweichen. Einige ihrer Leute wurden getroffen, doch keiner ging zu Boden. Gegen die Übermacht, die sich den Wölfen entgegenstellte, kamen diese nicht an und so lagen sie bald tot zu ihren Füßen.

Vorsichtig drangen sie ins Innere des Gebäudes vor. Man konnte nie wissen, ob sich doch noch einer irgendwo versteckt hielt und sie angriff.

Doch die Durchsuchung zeigte, dass sie alle, die sich in unmittelbarer Umgebung befanden, unschädlich machen konnten.

In einem Vorratsraum fanden sie die vollkommen verängstigten Rudelmitglieder. Neben zwei vielleicht zehnjährigen Mädchen befanden sich noch drei Frauen und zwei ältere Männer darin. Einer von ihnen kümmerte sich um einen am Boden liegenden verletzten Kämpfer der Rotmilane, der eine frische Schusswunde hatte; es war wohl deren Heiler.

„Wo sind die anderen?“, fragte Mikai die älteste der weiblichen Befreiten so ruhig, wie ihm möglich war.

„Sie konnten fliehen. Die Krieger und Tarquin haben die Kinder und Mütter bei sich. Sicherlich sind sie weiter hoch in die Berge geflohen, dort gibt es alte Höhlen, die unsere Vorfahren nutzten, ehe sie sich hier im Tal ansiedelten. Dort können sie sich verschanzen und die Schutzbedürftigen besser verteidigen.“ Leise schluchzte die Frau auf. „Sie haben uns überrascht, griffen mit Schnellfeuerwaffen aus dem Hinterhalt an. Wir haben uns verteidigt, so gut wir konnten, doch sie haben viele von uns erwischt. Sogar die Kinder haben sie nicht verschont. Wieso tun sie uns das an? Wir haben, soviel ich weiß, keinen Streit mit den Wölfen.“

„Geht es Tarquin so weit gut?“ Diese Frage brannte ihm unter den Nägeln. „Wir wissen es auch nicht. Aber sie werden dafür büßen, das schwöre ich dir.“

„Er wurde am Arm getroffen, aber es war nur ein Streifschuss. Die Trauer hat ihn viel mehr getroffen, er musste mit ansehen, wie sie seinen Bruder Nino und seinen Vater töteten, konnte nichts tun. Sie hätten sich nicht gescheut, auch ihn zu erschießen. Sie haben gezielt nach dem Alpha und dessen Familie gesucht, da sie wissen, wie sehr es uns treffen würde, diese zu verlieren. Seine Mutter Nerea lebt nur noch, weil sie sich verbergen konnte.“

Nun begann sie hemmungslos zu weinen, fast als habe sie erst jetzt die ganze Tragweite dessen, was geschah, begriffen.

Sanft nahm er sie in den Arm, spendete ihr Trost, obwohl es in seinem Inneren nicht besser aussah, doch als Krieger hatte er sich besser unter Kontrolle.

Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, seine Seele sehnte sich so sehr nach Tarquin.

Es wunderte ihn, dass er überhaupt noch so gut funktionierte, doch da kam wohl seine jahrelange Erfahrung in Krisensituationen zum Tragen, die es nicht zuließ, dass er unter der Last der Ereignisse zusammenbrach.

„Das Gebiet ist gesichert, alle feindlichen Kämpfer sind ausgeschaltet. Drei unserer Leute sind verletzt, wurden jedoch schon versorgt und sind weitestgehend einsatzbereit. Tote gab es auf unserer Seite keine.“ Einer von Alvaros Männern machte Meldung, als dieser und Mikai das Gebäude verließen.

„Danke, Nando. Wir haben es Mikai zu verdanken, dass wir überhaupt erfahren haben, dass etwas vor sich geht. Ohne ihn wäre bald keiner mehr am Leben, um von diesem Unrecht zu berichten. Zwei unserer Krieger werden hierbleiben, um für die Sicherheit der hier im Dorf verbliebenen Bewohner zu sorgen, der Rest soll sich bereit machen. Wir haben eine Karte erhalten, auf der der Standort der erwähnten Höhlen eingetragen ist. Ich möchte keine Zeit verlieren.“ Kurz sah er zu Mikai und lächelte mitfühlend. „Es stehen viele unschuldige Leben auf dem Spiel.“

In Mikais Augen brannten Tränen, weshalb er sich abwandte, um sich wieder zu sammeln. Tarquin durfte einfach nichts zustoßen, er musste leben. Ein ganzes gemeinsames Leben lag vor ihnen. Mit seinem Rotmilan wollte er eine Familie gründen, glücklich werden. Das alles durfte nicht vorbei sein, ehe es überhaupt begann.

Betrübt sah Mikai eine Adlerkriegerin, die einen kleinen, in eine Decke gewickelten Körper behutsam zu einem der Nebengebäude trug. Dort würde man die Toten unterbringen, bis man sie beerdigen konnte. Schon jetzt waren es so unglaubliche viele. Er würde alles dafür geben, dass es nicht noch mehr wurden.

Alvaro verlor keine Zeit, teilte die Teams ein und sorgte dafür, dass sie ausreichend bewaffnet waren.

Eine kleine Einheit der Adler würde das Zielgebiet überfliegen, damit sie wussten, womit sie rechnen mussten, und erfuhren, wo die Wölfe sich versteckt hielten.

Keiner der Beteiligten würde eher ruhen, bis sie diesen Einsatz erfolgreich beendet hatten.

Trotz aller Eile mussten sie mit Vorsicht an die Sache herangehen, durften nicht übermütig werden, um sich und die, denen sie helfen wollten, nicht in Gefahr zu bringen.

Zumindest setzten die feindlichen Kämpfer keinen Sprengstoff ein, was Mikai verwunderte, da sie ansonsten schwer bewaffnet waren und vor kaum etwas zurückschreckten.

Ihnen kam es jedoch zugute, so verschwendeten sie keine Zeit bei der Entschärfung von Sprengfallen.

Während sie sich kontinuierlich auf ihr Ziel zubewegten, schweiften Mikais Gedanken immer wieder ab. Die vergangenen Monate waren die schönsten in seinem bisherigen Leben. Zum ersten Mal seit dem Tod seiner Eltern vor fast fünfzehn Jahren fühlte er sich wieder geborgen und bedingungslos geliebt. Sein Rudel war zwar auch immer für ihn da, gab ihm die Nähe, die er brauchte, aber sie konnten ihm das Verlorene nie ersetzen. Das konnte Tarquin auch nicht, aber er erfüllte seine Seele auf andere Weise, ließ ihn wieder mehr empfinden.

Als sie sich zum ersten Mal küssten, war es, als würde sich seine Welt neu ordnen. Alles ergab einen Sinn, denn er hielt Tarquin dort in dem Krankenzimmer in seinen Armen. Damals schwor er sich, dass er ihn immer lieben und alles für ihn tun würde.

All die Liebe, die er für ihn empfand, sandte er ihm über ihr Band. So wie er Tarquin immer deutlich wahrnehmen konnte, würde auch dieser spüren, dass Mikai nahe war.

Als ihn kurz darauf Tarquins Gefühle fluteten, konnte er nicht anders als lächeln. Sie gaben ihm Kraft, stärkten ihn. Für seinen Gefährten würde er bis zum letzten Atemzug kämpfen.

Die Kundschafter landeten in ihrer Nähe und konnten ihnen die genauen Standorte nennen, wo sich die Wölfe verschanzt hatten. Die Nacht war mittlerweile hereingebrochen, der Mond zog seine Bahn über den sternenbedeckten Himmel. Gut, dass sie dank ihrer hervorragenden Wandlersinne auch in der Dunkelheit gut sehen konnten.

„Sie belagern einen Höhleneingang. Mir kam es seltsam vor, dass sie nicht weiter vorgedrungen sind, denn aufgrund ihrer Bewaffnung wären sie den Rotmilanen überlegen. Deshalb bin ich ein Risiko eingegangen und habe es mir etwas näher angesehen. Der Eingang ist zum Teil von Felsbrocken versperrt.“

Unterdrückt fluchte Mikai, schlug gegen den Stamm eines Baumes. Es war zum Verrücktwerden. Jedes Mal wenn es schien, dass sie auf einem guten Weg waren, stellten sich ihm neue Probleme in den Weg.

„Vielleicht haben Tarquin und die anderen es selbst verursacht, um sich so vor dem Zugriff der Wolfswandler zu schützen. Oder es war ein natürlicher Felssturz, das kommt ja hin und wieder vor. Egal, wie es dazu kam, wir wissen, dass Tarquin lebt, Mikai spürt ihn. Darum gehe ich davon aus, dass auch die anderen, die bei ihm sind, noch am Leben sind. Wir müssen nun unseren Gegner ausschalten und dann den Höhleneingang frei räumen. Das bekommen wir hin.“

Alvaro blickte sie alle entschlossen an.

„Sie sind schon so gut wie tot, sie wissen es nur noch nicht“, meinte einer der Luchse. Sein Tier war deutlich in seinen Augen zu erkennen. Wie sie alle war auch er verdammt wütend.

Mikai war dankbar, dass hier alle wie eine Einheit agierten, zusammenhielten, und das über Rudelgrenzen hinweg.

„Das sind sie. Mein Puma kann es gar nicht erwarten, sie büßen zu lassen. Doch ich muss erfahren, wieso sie das alles taten, sonst komme ich, wie ich fürchte, nicht zur Ruhe.“

„Wir wollen es alle wissen. Die Rudel hier stehen füreinander ein und wenn eines angegriffen wird, dann ist es ein Anschlag auf uns alle, auf unsere Werte. Die Pakte, die geschlossen wurden, sind ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Wir alle wollen, dass die Wandler in Frieden zusammenleben und sich den Gefahren, denen sie sich täglich stellen müssen, gemeinsam begegnen. Dieses Rudel abscheulicher Mörder versucht all das Gute, das wir erreicht haben und noch erreichen wollen, zu zerstören.“


Kapitel 3

Langsam pirschten sie sich an, umzingelten die Wölfe, die kaum etwas um sich herum wahrzunehmen schienen. Sie verließen sich viel zu sehr auf ihre Schusswaffen statt auf ihre angeborenen Wandlersinne. Genau das würde ihnen zum Verhängnis werden.

Die unterschiedlichen Gruppen würden sich teils als Menschen, teils als Tiere anschleichen und dann zuschlagen. So würde es hoffentlich keine Opfer unter ihnen geben.

Mikai hielt seine Waffe fest umklammert, war fokussiert und vollkommen im Kampfmodus. Wie er vorzugehen hatte, war ihm über Jahre in Fleisch und Blut übergegangen.

Die feindlichen Wölfe saßen in einer größeren Gruppe beisammen und diskutierten, wie sie am besten vorgehen sollten.

„So eine Scheiße. Hättest du den Alpha nicht abgeknallt, könnte er uns sagen, wo sich diese gottverdammte Mine befindet und wir müssten uns hier nicht die Hände schmutzig machen. Dieses Federvieh ist sicher schon längst über den Jordan und wird uns nichts mehr sagen können. So stehen wir wieder am Anfang und müssen die ganze Gegend absuchen. Wenn ich nicht so heiß auf all das Gold wäre, würde ich abhauen. Jede Minute, die wir hier vergeuden, birgt die Gefahr, dass man uns entdeckt.“

Nur mit Mühe konnte Mikai ein Knurren unterdrücken. Er konnte einfach nicht glauben, dass all das Morden nur für Gold geschah. So viele verlorene Leben und das alles nur wegen der Habgier dieser verachtenswerten Mitglieder ihrer Art.

Wut kroch wie glühende Lava durch seine Ader und es kostete ihn viel Kraft, sich nicht sofort zu wandeln und diesem Abschaum einem nach dem anderen die Kehlen herauszureißen.

Sein Blick wanderte zu Alvaro, der einige Hundert Meter von ihm entfernt hinter einigen Felsbrocken mit seinen Männern lauerte.

Wie Mikai und die, die ihn begleiteten, waren sie zu allem bereit.

Auf das Zeichen hin, auf das sie sich zuvor verständigten, begann der Angriff. Sowohl aus der Luft als auch vom Boden aus griffen sie an, schalteten die meisten rasch aus. Nur einigen wenigen gelang es, sich zu verschanzen und das Feuer zu erwidern.

Die Schüsse hallten von den umliegenden Felswänden wider, was es ihnen schwer machte, sich zu konzentrieren. Auch der Geruch nach Blut, der ihm in die Nase stieg, sorgte für weitere Ablenkung. Sorge um die, die mit ihm kämpften, gesellte sich zu all dem, was eh schon in ihm war, ihn aufwühlte.

Dank den Adlern, die über ihnen ihre Kreise zogen und Überraschungsangriffe starteten, konnten sie auch die letzten Wölfe aus dem Weg räumen.

Hätten sie sich ergeben, wären sie wohl verschont worden, um sie an den Rat auszuliefern, der dann dafür gesorgt hätte, sie zu bestrafen und für immer wegzusperren, doch sie zogen den Tod vor, was Mikai ärgerte, denn so war es für diese feigen Mörder viel zu schnell vorbei, ohne dass sie hatten leiden müssen.

Nachdem sie alles gesichert hatten und die Gegend sauber war, sodass sie nicht mit Überraschungen der unschönen Art rechnen mussten, begaben sie sich zum von Felsbrocken verschütteten Höhleneingang.

„Wir müssen die Bruchstücke wegschaffen, per Hand, hierher können wir kein schweres Gerät schaffen, was auch viel zu lange dauern würde“, erklärte Mikai, ehe er begann, die ersten Steine wegzuschaffen.

Einen kurzen Schreckmoment gab es, als sie die näher kommenden Schritte von schweren Stiefeln hörten. Aber als sie die Bären entdeckten, löste sich die allgemeine Anspannung.

Während sie weiterarbeiteten, konnten sie gedämpfte Stimmen wahrnehmen. Das spornte sie alle noch zusätzlich an, da sie nun wussten, dass es Überlebende gab.

Mit Hilfe der kräftigen Bärenkrieger kamen sie gut voran, sodass sie nach gut einer halben Stunde ein Loch frei räumen konnten, durch das ein Mann passte.

Mikai meldete sich freiwillig und zwängte sich durch die Öffnung.

Einen Moment brauchten seine Augen, um sich an die veränderten Lichtverhältnisse anzupassen. Dann sah er unzählige Gesichter vor sich, die ihm entgegenstarrten.

Eine Gestalt löste sich aus der Gruppe und kam schnell auf ihn zu, riss ihn fast von den Füßen, als sie die Arme um Mikai schlang.

„Oh Mikai, ich wusste, dass du kommen wirst“, raunte Tarquin an seinem Ohr, küsste ihn dann ebenso stürmisch, wie er ihn zuvor umarmte.

„Ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung ist, als du dich nicht gemeldet und auf keine meiner Kontaktversuche reagiert hast. Das ungute Gefühl wurde immer stärker. Ich konnte nicht zu Hause herumsitzen, ich musste etwas tun.“ Er legte seine Hände auf Tarquins Wangen. „Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass ich hergekommen bin. Die Wölfe sind nun keine Bedrohung mehr, dafür haben wir gesorgt.“

Als sie sich lösten, straffte sich Tarquin und wandte sich seinem Rudel zu.

„Wir werden bald hier herauskommen. Mein Gefährte und die, die dort draußen sind, haben unsere Angreifer getötet, uns gerettet.“

Man sah schon jetzt, dass sie alle Mikais Gefährten vertrauten, ihn als neuen Alpha sahen, auch wenn es noch nicht offiziell war.

Kurz legte er seinem Liebsten die Hand auf den Rücken, wollte ihm zeigen, dass er für ihn da war, ihn unterstützen würde, egal, was auch noch auf sie zukommen würde.

Auch die Eingeschlossenen waren nicht untätig geblieben und hatten von ihrer Seite aus eine Menge Felsgestein weggeräumt.

Als die Öffnung endlich groß genug war, um alle ohne Probleme rauszubringen, half Mikai dabei, die Kinder und die anderen Hilfsbedürftigen nach draußen zu tragen.

Viele waren leicht verletzt, die meisten dazu noch zutiefst verstört, was bei dem, was sie miterleben mussten, auch nicht verwunderlich war.

Die mit Heilfähigkeiten und die Krieger mit medizinischer Ausbildung kümmerten sich um sie.

Es war schon fast Morgen, der Mond ging gerade unter, als sie das Dorf erreichten.

Behutsam half Tarquin seiner Mutter, die seitdem sie befreit wurden, nicht ein Wort sprach, in ihr Haus. Nach einem kurzen Frühstück brachte er sie ins Bett. Erst als sie schlief, kam er zu Mikai auf die Terrasse und schmiegte sich Halt suchend an diesen. Sogleich nahm er seinen Gefährten in den Arm, tröstete ihn, denn er spürte, wie sehr sein sonst so starker Mann litt.

„Lass es zu, ich bin hier“, war alles, was er sagte, doch es reichte aus, um bei Tarquin alle Dämme brechen zu lassen. Schluchzend sank er auf die Knie. Mikai setzte sich daneben, zog ihn auf seinen Schoß und hielt ihn einfach nur fest. Es gab nichts, was er hätte sagen können, um Tarquin den Schmerz zu nehmen.

Nachdem er sich wieder beruhigte, sah er Mikai traurig an.

„Ich werde hierbleiben müssen, das Rudel braucht mich. Es tut mir leid, das macht all unsere Pläne zunichte.“

Liebevoll legte ihm Mikai einen Finger auf die Lippen.

„Dir muss nichts leidtun. Es ist ehrenvoll, dich dieser Aufgabe zu stellen, und ich werde als dein Gefährte an deiner Seite sein, alles tun, um dich zu unterstützen. Ja, ich werde meine Heimat vermissen, aber hier bin ich nun zu Hause, bei dir. Pläne können sich immerzu ändern. Wir werden alles erreichen, was wir wollten, nur der Ort wird ein anderer sein als gedacht.“

„Danke“, war alles, was Tarquin erwidern konnte, so sehr bewegten ihn die Worte Mikais. Über ihr Band spürte er die Gefühle seines Liebsten, die viel mehr ausdrücken konnten als Abertausende Worte.

„Ich liebe dich, für immer. Das wird sich niemals ändern. Damit, einmal der Gefährte eines Alphas zu werden, rechnete ich nicht, aber ich werde mich dieser Aufgabe stellen, so wie ich mich allen Herausforderungen in meinem Leben stellte. Ich werde dich dabei unterstützen, diesem Rudel dabei zu helfen, über diese schrecklichen Ereignisse hinwegzukommen. Der erste Hoffnungsschimmer für sie wird sein, dass du ihr neuer Alpha wirst.“

„Was sollte ich nur ohne dich machen? Du hast mein Leben gerettet, schon zum zweiten Mal, und du liebst mich so sehr, dass ich weiß, dass ich alles schaffen kann, egal, wie schwer es auch sein wird.“

Der tagelange Schlafmangel forderte ihren Tribut, sodass Tarquin nach einer Weile in seinen Armen einschlief. Er wachte nicht einmal auf, als Mikai ihn in sein Schlafzimmer trug, ihn bis auf die Unterwäsche auszog und ihn zudeckte. Sanft lächelnd legte er sich neben ihn und bewachte seinen Schlaf. Für ein paar Stunden konnte er sich so der Vorstellung hingeben, alles sei in Ordnung.

Viel zu schnell holte ihn aber die Realität ein.

Die Adler und Bären hatten im Lauf des Tages Gräber ausgehoben, sodass man den Opfern dieser Horrortat ein würdiges Begräbnis geben konnte.

Die ganze Zeit über war Mikai an Tarquins Seite, gab ihm durch seine Nähe die Kraft, all das durchzustehen und für seine Leute stark zu sein.

Die Luchse hatten um die Siedlung herum Wachen aufgestellt und sorgten so für die Sicherheit aller.

„Es ist immer noch merkwürdig, sich auf Leute zu verlassen, die nicht zum Rudel gehören, doch sie haben uns allen bewiesen, dass sie ehrenwerte Kämpfer sind. Ich möchte mir nicht vorstellen, was mit dem Rudel geschehen wäre, hätten sich nicht all diese so unterschiedlichen Männer und Frauen zusammengetan, um uns zu Hilfe zu eilen. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir uns alle auch weiterhin so nahe stehen.“ Tarquin blickte Mikai an, der neben ihm auf einem Felsvorsprung saß, von dem aus sie das Tal und das gesamte Dorf überblicken konnten. „Es macht mich noch immer sprachlos, wenn ich darüber nachdenke, aus welchem Grund sie uns überfallen und ermordet haben. Wandler sind doch nicht so. Oder war das ein Trugschluss?“

Seufzende fuhr sich Mikai durch seine halblangen blonden Haare, die in wilden Locken von seinem Kopf abstanden, da er sie unbewusst immer wieder durcheinanderbrachte.

„Die Mehrheit der Wandler ist gut, achten einander und die Natur. Doch dann gibt es die, die ohne erkennbaren Grund Grenzen überschreiten und nur Macht, Reichtum und ihre Überlegenheit im Blick haben. Dieses Rudel Wolfswandler gehörte leider zur zweiten Kategorie.“

Schweigend lehnte sich Tarquin an ihn, bettete seinen Kopf auf Mikais Schulter. Für sie alle waren die vergangenen Tage nur schwer zu verdauen, doch für seinen Gefährten war es doppelt schwer. Er musste nicht nur mit ansehen, wie diese Schweine die Schutzbedürftigen des Rudels töteten, sie jagten wie wilde Tiere, sondern auch, wie man ihm in einem Wimpernschlag den Großteil seiner Familie raubte. Nun war er für so viele Leben verantwortlich, musste schwerwiegende Entscheidungen treffen. Selbstverständlich bekam er über die Jahre viel mit, wusste, welche Aufgaben zum Amt eines Alphas gehörten, doch er war nie darauf vorbereitet worden, diese erfüllen zu müssen. All das lastete schwer auf seinen Schultern.

Gern würde er sie ihm abnehmen, doch das war unmöglich. Er würde aber nicht ruhen, alles in seiner Macht Stehende tun, um es ihm leichter zu machen, indem er ihm half, die Last zu stemmen.


Kapitel 4

Seit dem Angriff waren schon mehrere Wochen vergangen und der Alltag kehrte langsam, aber sicher zurück. Die Kinder konnten wieder lachen, was auch den Erwachsenen dabei half, das Geschehene zu verarbeiten.

Tarquin war inzwischen auch ganz offiziell zum Alpha ernannt worden.

Wenn Mikai an das bewegende Ritual dachte, während dem ihm zuerst die Krieger und dann alle anderen ihre Treue schworen, bekam er auch jetzt noch feuchte Augen und eine Gänsehaut. Sie alle vertrauten seinem Gefährten, wussten, dass er alles für sie tun würde.

Die erfahrensten unter den Kriegern halfen ihm dabei, das zu erlernen, was er noch nicht wusste.

Mikai nahmen alle mit offenen Armen auf, akzeptierten ihn als den Alphagefährten.

Tatkräftig ging er seine neuen Aufgaben an, auch um nicht ständig daran zu denken, nach was er sich so sehr sehnte.

Die Gefühle, die er von seinem Gefährten empfing, waren noch so durchsetzt von der Trauer um seinen Vater und seinen Bruder, dass es für Mikai kaum möglich war, zu sagen, was sein Liebster über all das dachte, was er fühlte und sich wünschte.

Bis jetzt waren sie noch nicht vollkommen verbunden, die Zeremonie fand noch nicht statt. Natürlich verstand er, wieso sie es aufschoben, doch das schwächte den Wunsch nicht ab, endlich eine Einheit mit Tarquin zu bilden.

Nach einer intensiven Trainingseinheit kam er nach Hause zurück und fand seinen Liebsten in der Küche vor, wo er abwesend in den Töpfen rührte. Das Kochen entspannte seinen Mann, weshalb er es gern und oft tat.

Lächelnd trat er von hinten an ihn heran und schlang seine Arme um den Oberkörper des anderen. Sofort ließ sich dieser an Mikais Brust sinken.

„Ich habe dich vermisst“, sagte er leise und wandte den Kopf ein wenig, um Mikai ansehen zu können.

„Dabei war ich doch nur ein paar Stunden weg.“ Mit seinen Lippen berührte er hauchzart Tarquins Nacken. „Aber ich habe mich auch sehr nach dir gesehnt.“

Einige Minuten standen sie da, schwiegen gemeinsam.

„Bald ist das Essen fertig. Deckst du schon mal den Tisch?“

„Wird gemacht“, gab er mit einem Lächeln zurück, trat zum Schrank, nahm Teller, Besteck und Gläser heraus, um sie auf den Tisch zu stellen.

„Tarquin, kann ich dich etwas fragen?“

„Selbstverständlich, du kannst mich alles fragen.“ Abwartend sah er Mikai an.

„Ich weiß, wieso wir unsere Zeremonie verschoben haben und ich möchte nicht, dass du denkst, das ich dich zu irgendetwas drängen will, aber ich wüsste einfach gern, ob es in absehbarer Zeit geschehen wird oder ob du noch abwarten möchtest?“ Stumm sah Tarquin ihn an und etwas, das er in ihrem Band spürte, verpasste Mikai eine Gänsehaut. War das Widerwillen? „Oder möchtest du es gar nicht mehr?“

Mikai wurde trotz der warmen Temperaturen unglaublich kalt. Für einen Wandler gab es kaum etwas Schlimmeres als die Ablehnung des Gefährten oder der Gefährtin.

Mit geschocktem Gesichtsausdruck trat Tarquin dicht vor Mikai, nahm dessen Gesicht in seine Hände.

„So etwas darfst du nicht einmal denken, Mikai, du bist mein Leben. Ich möchte mit dir auf allen Ebenen verbunden sein. Doch das ist, was mir so unglaublich Angst macht. Seit dem Tod meines Vaters sehe ich, wie schlecht es meiner Mutter geht, obwohl sie versucht es zu überspielen und stark sein will. Ihre Seele ist in tausend Teile zerbrochen, ebenso wie ihr Herz. Mir vorzustellen, dass dich dieses Schicksal ebenfalls ereilen könnte, wenn mir etwas zustößt, macht mich wahnsinnig.“

„Aber das würde auch jetzt schon geschehen, nicht erst, wenn das Band vollständig ist. Wir sind Gefährten, unsere Seelen bilden eine Einheit. Du kannst uns beiden nicht das große Glück vorenthalten, nur weil du mich schützen willst. Wir haben noch ein ganzes Leben vor uns und das möchte ich genießen, in vollen Zügen und mit allem, was dazugehört. Wir können erst Kinder haben, wenn das Band geschlossen ist. Ich freue mich schon darauf, dein Kind unter meinem Herzen zu tragen. Möchtest du auf all das verzichten, nur weil die Möglichkeit besteht, dass dir etwas zustoßen könnte?“

Unablässig strichen Tarquins Fingerspitzen über sein Gesicht, während er Mikai stumm betrachtete. In seinen Augen waren in schneller Folge alle Emotionen zu erkennen, die man sich nur vorstellen konnte.

„Nein, ich möchte nicht auf dich oder die Familie verzichten, die wir haben werden. Es ist nur so, dass ich mich sorge, die ganze Zeit, auch wenn ich versuche, es dich nicht spüren zu lassen. Wenn ich dich verlieren würde, dann könnte mich nicht einmal die Kraft des Alphas am Leben halten, denn mit dir würde mein Lebenswillen schwinden. Doch noch viel intensiver empfinde ich es, wenn ich mir vorstelle, dass du alleine, mit gebrochenem Herzen, zurückbleibst. Diesen großen Schmerz möchte ich dir ersparen, aber ich weiß nicht wie. Deshalb tue ich mich wahrscheinlich auch so schwer, den letzten Schritt mit dir zu gehen.“

Tarquin war ihm so nahe, sein Duft umgab ihn, brachte seinen Puma in seinem Kopf zum Schnurren.

„Glaub mir, ich verstehe dich, kann deine Befürchtungen nachvollziehen und auch, wieso sie dich so zurückhaltend handeln lassen. Aber du darfst dabei nicht vergessen, dass es mir ebenfalls das Herz brechen würde, wenn du uns die Vollendung der Bindung verweigerst. Wir sind füreinander bestimmt, das mit uns, das sollte so sein. Einander zu verlieren ist ein Gedanke, der auch mich zutiefst erschreckt und verunsichert, doch wir sollten uns davon nicht vom richtigen Weg abbringen lassen. Du bist mein größtes Glück und ich das deine. Wenn wir eine Einheit sind, dann werden wir stärker sein.“ Zärtlich hauchte er Tarquin einen Kuss auf dessen so weiche Lippen. Sein leichter Dreitagebart kratzte ein wenig, was ihm einen wohligen Schauer verpasste. „Jedem Wesen auf diesem Planeten kann jederzeit etwas zustoßen, aber das sollte keinen davon abhalten, die Lebenszeit, die einem geschenkt wird, vollkommen auszukosten. Tarquin, ich vertraue darauf, dass du dich nicht leichtfertig in Gefahr begibst, so wie du darauf vertrauen kannst, dass ich auf mich aufpassen werde. Ich glaube fest daran, dass wir noch sehr lange glücklich sein werden und in vielen Jahren unseren Enkeln beim Spielen zusehen werden. Das, was geschah, ist schrecklich, doch es muss sich nicht wiederholen. Glaub an uns und das Gute in dieser Welt.“

Seufzend presste sich Tarquin noch enger an ihn.

„Das Einzige, an das ich im Augenblick glauben kann, bist du und unsere Liebe, alles andere wirkt so unwirklich, als wäre es hinter einem nebelhaften Schleier verborgen.“ Er hob den Blick, sah Mikai direkt in die Augen. „Ich möchte, dass wir bald verbunden werden“, sagte er, nachdem er tief durchatmete. Sein Lächeln wirkte zum ersten Mal seit dem Vorfall wieder so, als würde es von Herzen kommen.

„Dann werden wir alles planen. Ich würde gern meine besten Freunde hierher einladen, an so einem bedeutenden Tag möchte ich sie bei mir haben.“

„Natürlich, alles, was du möchtest, mein wundervoller Gefährte.“

Ihre Lippen trafen sich und sie versanken in einen so innigen Kuss, der seinen ganzen Körper zum Klingen brachte.

Es war schön zu sehen, dass sie miteinander sprechen konnten, aufkommende Probleme klärten. Das brachte sie einander noch ein wenig näher. Bei ihm konnte und sollte Tarquin auch seine sanfte, manchmal auch schwache Seite zeigen, denn er fing ihn auf, tat, was jeder Gefährte für sein Gegenstück tun würde. In diesen Momenten war er für diesen Alpha der Fels in der Brandung, denn egal, wie machtvoll er auch war, welche Stärke in ihm schlummerte, er war ein fühlendes Wesen, das seine Emotionen herauslassen musste, ganz gleich, ob es sich um Trauer, Glück oder Liebe handelte. Eine seiner Aufgaben als Alphagefährte war es, auf ihn zu achten, ihn wenn es nötig war, sogar dazu zu zwingen, auf sich zu achten und sich selbst nicht vollkommen für die Gemeinschaft aufzureiben.

Als Mikais Magen lautstark verkündete, dass er Hunger hatte, lachte Tarquin auf und löste sich nach einem letzten schnellen Kuss von Mikai.

„Lass uns essen, nicht dass mein Rudel noch denkt, ich würde meinem Gefährten nicht genug zu essen geben“, rief er aus und zwinkerte spielerisch.

Noch lange würden die Wut und die Trauer Teil ihres Lebens sein, denn so einen Verlust überwand man nie vollkommen, doch es war ein gutes Zeichen, dass sie wieder anfingen, miteinander zu scherzen.

Einladend deutete er auf den Esstisch und tat ihnen, als Mikai saß, etwas auf ihre Teller und holte Getränke aus dem Kühlschrank, bevor er sich zu ihm gesellte.

Wie immer schmeckte das Essen ausgezeichnet, ihm entfuhr sogar ein leises Aufstöhnen, als er den ersten Bissen in den Mund nahm.

„Davon, dass du solche Töne von dir gibst, bekomme ich nicht genug.“

Schmunzelnd betrachtete Mikai seinen Liebsten.

„Das weiß ich und ich hoffe, dass du mir heute Nacht noch viel mehr davon entlocken wirst“, antwortete er rau, wusste, dass sein Puma in seinen Augen zu sehen war, denn die Sehnsucht nach ihrem Gefährten war für beide Seiten in ihm unendlich groß.

Während sie weiteraßen, lag eine nicht zu leugnende Spannung in der Luft, die auch den restlichen Tag über nicht verschwand.

Als schließlich die Sonne am Horizont unterging und alles getan war, damit alle sicher waren, zogen sich Tarquin und er in ihr gemeinsames Haus zurück.

Noch bevor sie den ersten Stock erreichten, waren sie beide nackt, küssten sich wild und leidenschaftlich.

In dieser Nacht schliefen sie zum ersten Mal, seitdem Mikai angekommen war, wieder miteinander. Zuvor kamen sie sich zwar näher, doch die traurige Grundstimmung ließ nicht mehr zu, da sich beide daran nicht hätten erfreuen können.

Sich einander hinzugeben, loslassen zu können, tat ihnen beiden gut, beruhigte auch ihre Tiere, die trotz der Tatsache, dass es ruhig blieb, immer noch in einer Art Habachtstellung verharrten.

Am nächsten Tag begannen sie ihre Zeremonie vorzubereiten. Wie angekündigt lud Mikai einige seiner Freunde ein, denn er wollte diesen besonderen Tag nicht ohne sie begehen. Sie waren für ihn das, was einer Familie am nächsten kam.


Kapitel 5

Ein breites Lächeln erschien auf Mikais Gesicht, als das Privatflugzeug auf der Landebahn des kleinen Flughafens aufsetzte.

Langsam rollte es aus und kam in einigen Metern Entfernung von ihm zum Stehen.

Nach einigen Augenblicken öffnete sich die Flugzeugtür. In der Öffnung erschien zuerst Izan, der die Treppe herunterkam, ihm folgten die anderen, die, nachdem sie ihn entdeckten, ihre Schritte beschleunigten und ihn umarmten, als sie ihn schließlich erreichten.

„Wie schön, dich zu sehen. Du siehst mittlerweile wieder glücklicher aus als während der wenigen Videoanrufe der letzten Zeit. Das ist gut. Wie geht es Tarquin?“, fragte Izan besorgt, sah ihn abwartend an.

„Besser, er hält sich gut, doch die Verarbeitung dieses Verlustes wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen, vor allem, da der Grund, wieso sein Vater und Bruder sterben mussten, ein so verachtenswerter war.“ Ein Knurren stahl sich aus seiner Kehle. Noch immer wurde er unglaublich wütend, wenn er daran zurückdachte, und würde am liebsten losziehen und diese Kerle noch einmal töten.

„Ihr habt sie gerächt, sie alle. Das ist, was zählt. Keiner von uns kann die Vergangenheit verändern, doch ihr werdet die Zukunft eures Rudels verändern, denn ihr stärkt die Gemeinschaft der Wandler durch die geknüpften Pakte, die ihr pflegt.“ Ein Grinsen stahl sich auf Izans Miene. „Gefährte eines Alphas, das hätte ich niemals erwartet, doch du wirst dieser Aufgabe sicherlich gerecht werden.“

Es war schön, die anderen hier zu haben, aber seine Nervosität wuchs immer mehr an, wenn er an die Feierlichkeiten in ein paar Tagen dachte, was totaler Irrsinn war, denn es gab nichts, was er sich mehr ersehnte.

„Schau nicht so, alles ist so, wie es sein sollte, und du tust genau das Richtige. Denk nicht zu viel nach, das verursacht dir nur Kopfschmerzen“, rief Jorge aus und boxte ihm freundschaftlich gegen den Oberarm. Da hatte er wohl recht, er war gut darin, sich über Dinge Gedanken zu machen, die es nicht wert waren, sich selbst deswegen in den Wahnsinn zu treiben. Grinsend nickte er.

Immer noch guter Dinge schwang er sich hinters Steuer des Wagens, nachdem sie das Gepäck im geräumigen Kofferraum verstaut hatten.

Auf dem Heimweg zeigte er ihnen die unvergleichliche Natur, in der er nun zu Hause war. Alle waren davon begeistert, auch wenn ihr Territorium, in dem Mikai geboren wurde, zu den schönsten Plätzen zählte, die er kannte.

Als sie auf den großen Platz innerhalb der Siedlung fuhren, wurden sie schon erwartet. Tarquin und einige der erfahrensten Kämpfer standen dort, um sie zu begrüßen.

Während seines Aufenthalts in Mikais Rudel lernten sie sich kennen und wurden zu guten Freunden, die sich sehr für sie freuten.

Von einigen Frauen war ein großzügiges Festmahl zubereitet worden, das einige Zeit später von allen Rudelmitgliedern und Gästen verspeist wurde.

Ihnen allen merkte man an, wie sehr sie sich freuten, dass ein wenig Normalität in ihr Leben zurückkehrte.

Darum halfen in den vergangenen Tagen auch alle tatkräftig, damit am großen Tag ihres Alphas alles reibungslos ablaufen würde.

Um allen Bewohnern die Teilnahme zu ermöglichen, würden die Krieger und Kriegerinnen der befreundeten Rudel die Bewachung der Grenzen übernehmen.

„Bevor wir damals Danyo kennenlernten, war ich den Bären gegenüber immer skeptisch eingestellt, doch er hat mir die Augen geöffnet. Er liebt seine beiden Gefährten, ihre gemeinsamen Kinder und ist seit vielen Jahren ein nicht mehr wegzudenkender Teil des Rudels. Darum ist es jetzt auch leichter für meinen Puma, mich in die Hände der Bärenwandler zu begeben, alle hier von ihnen beschützen zu lassen.“ Izan wirkte entspannt.

„Hier, aber auch bei uns zu Hause sieht man, wie wichtig es ist, dass sich die Rudel untereinander annähern, Pakte eingehen, Freundschaften pflegen. Erst waren es andere Wandlerkatzen, nun geht es weit darüber hinaus. Katzen leben neben Wölfen, Bären, Füchsen und allen möglichen anderen Raubwandlern. Auch die friedvollen Wandler haben Vertrauen gefasst, sehen die Raubwandler nicht mehr per se als Feinde an. Was einst als kleiner Hoffnungsschimmer für die Wandlergemeinschaften begann, ist nun zu etwas Großem geworden, sodass wir einander viel besser vor den Menschen schützen können.“

„Wir zeigen, dass man sich ändern kann, wenn man es nur will. Morgen, zur Zeremonie, sind auch Luchse, Bären und Adler eingeladen, denn sie gehören dazu und ohne sie alle wären wir heute wahrscheinlich nicht mehr am Leben.“ Tarquins Stimme war dunkel geworden, während er sprach, sein Körper spannte sich an. Diese Wut zeigte sich immer wieder, doch Mikai wusste, wie er seinem Liebsten helfen konnte. Ohne ein Wort zu sagen, legte er ihm unter dem Tisch eine Hand auf den Oberschenkel und strich sanft darüber. Diese Berührung reichte aus, um ihn aus seinen düsteren Gedanken zu befreien. Dankbar lächelnd sah er Mikai an, hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.

„Vielleicht läuft mir ja hier endlich jemand über den Weg, der meinen Puma und mich begeistert. Wäre schön, auch endlich den Einen zu finden. Nicht, dass mich das Alleinsein noch wunderlich werden lässt.“ Man merkte, dass Izan die Stimmung aufhellen wollte. Dankbar lächelte Mikai seinen alten Freund an.

„Das musst du nicht mehr werden, das bist du schon längst“, warf Enzo ein, was alle zum Lachen brachte. Selbst Izan stimmte mit ein.

„Man kann nie wissen, wann es so weit ist. Mir fiel mein Gefährte einfach so vor die Füße.“ Verliebt sah er zu Tarquin.

Normalerweise wurden festliche Anlässe wie dieser bis weit hinein in die Nacht ausgedehnt, doch weil alle am folgenden Tag fit sein wollten, gingen sie früher zu Bett.

„Geht es dir gut? Ich kann deine aufgewühlten Gefühle spüren.“

Als Tarquin den Kopf hob und ihn aus traurigen Augen ansah, traf ihn zeitgleich eine Welle von Traurigkeit. Mikais Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er seinen Gefährten in den Arm und setzte sich mit ihm auf dem Schoß auf ihr Bett.

Sein Liebster kämpfte so sehr gegen die Emotionen an, die ihn beutelten, dass er am ganzen Körper bebte.

„Lass es zu, Tarquin, dann wird es erträglicher“, flüsterte er ihm liebevoll ins Ohr, konnte kaum ertragen, ihn so zu sehen. So zerbrechlich wirkte er selten.

„Ich fürchte, dass ich, wenn ich es zulasse, nicht mehr aufhören kann“, antwortete er mit so zittriger Stimme, dass Mikai ihn kaum verstehen konnte.

„Das verstehe ich, aber es in sich hineinzufressen, wird es auch nicht besser machen. Vielleicht redest du es dir von der Seele. Ist sicher nicht verkehrt.“

Kaum wahrnehmbar nickte Tarquin.

„Ich habe keine Ahnung, wie ich den morgigen Tag ohne meinen Vater und meinen großen Bruder überstehen soll. Es werden zwar einige der altgedienten Krieger ihre Plätze einnehmen, so wie es deine Freunde für dich als Ersatz für deinen Vater tun, aber das ist nicht dasselbe. Sie haben sich beide so für mich gefreut, wollten mit mir gemeinsam diesen Tag begehen, dich ganz offiziell in unsere Familie aufnehmen. Doch nun muss ich, um sie zu sehen, den Friedhof aufsuchen.“ Fest presste er die Kiefer aufeinander, atmete angestrengt aus und ein. „Mikai, sie fehlen mir so schrecklich. Dieser Schmerz in mir, er geht nicht weg, wird nicht kleiner, sondern scheint noch anzuwachsen. Ich möchte morgen der deine werden, auf ewig, doch was ist, wenn ich zusammenbreche? Ich bin der Alpha, sie verlassen sich auf mich, dass ich stark bin, nicht unter der Last einknicke, ihnen Schutz biete gegen all die Bedrohungen da draußen. Wenn ich schwach bin, dann schwäche ich das Rudel.“

Er hielt Tarquin so fest in seinen Armen, dass er glaubte, dem anderen bald die Luft zum Atmen zu nehmen.

„Du bist der stärkste Mann, den ich kenne. Was du schon überstanden hast, ist unglaublich. Ich weiß, wie es in dir aussieht, auch wenn du es draufhast, mich teilweise außen vor zu lassen, weil du mich schützen und nicht belasten willst. Wenn du den Schmerz nicht zulässt, dir verbietest, alles rauszulassen, wirst du dich irgendwann zugrunde richten und glaub mir, mein sturer Gefährte, das werde ich nicht zulassen. Hier, bei mir, kannst du dich gehen lassen. Weine, schlag um dich, schreie, wenn es sein muss, aber verschließe es nicht in dir. Als meine Eltern starben, war ich noch so jung, gerade erst in die Pubertät gerutscht. Ich wollte keinem zeigen, wie es in mir aussah, dass meine Seele in Trümmern zu meinen Füßen lag. Die Tage und Wochen nach der Beisetzung sind in meiner Erinnerung verschwommen, als lägen sie im Nebel. Das Erste, an das ich mir erinnere, ist, dass ich mich weggeschlichen habe, um die zu suchen, die meine Eltern hinterrücks töteten. Diese Menschen sollten dafür büßen. Wenn Miguel und einige andere mich nicht aufgehalten hätten, würde ich heute neben ihnen auf dem Friedhof unseres Territoriums liegen. Unser Alpha zwang mich, meine Gefühle rauszulassen, die Wut und die Trauer nach und nach abzutragen. Er hat mit mir gekämpft, ließ mich wüten, denn er wusste, dass sich über Wochen so viel in mir aufgestaut hatte, dass mein Innerstes kurz vor einer Explosion stand. Wenn er mich nicht unter seine Fittiche genommen hätte, wäre ich irgendwann wild geworden, blind für all das, was im Leben zählt. Dann hätten sie mich jagen und töten müssen,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: bei den Autoren
Bildmaterialien: shutterstock, depositphotos
Cover: Lars Rogmann
Korrektorat: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Bettina Barkhoven, Sissi Kaiserlos
Satz: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8434-0

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /