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Käufliche Liebe 26 - Arbeitstitel: Katzenjammer



Seit dem Tod seiner Mutter geht Florian oft zum Friedhof, um nach ihrem Grab zu gucken. Eines Abends beobachtete er dabei einen merkwürdigen Vorgang. In einem Wagen auf dem Parkplatz bedroht ein Mann eine Katze mit einem Messer. Als Tierfreund kann er sowas nicht mitansehen und schreitet ein. Wenn er wüsste, was er sich damit, die Katze mit nach Hause zu nehmen, einhandelt, hätte er vielleicht die Finger davon gelassen.



1.

Gemächlich legte Florian den Weg zum Friedhofsausgang zurück. Das erstaunlich milde Aprilwetter lud dazu ein, noch ein bisschen draußen zu verweilen. Kurz vorm Tor hielt er daher inne und setzte sich auf eine Bank.

Seit dem Tod seiner Mutter kam er häufig hierher. Es half ihm, Zwiesprache mit ihrem Grabstein zu halten, um ihr Ableben zu verarbeiten. Sie war plötzlich umgefallen, mausetot, ohne irgendeine Vorwarnung und das mit gerade Anfang fünfzig. Man hatte Herzversagen festgestellt. Das ist wohl die häufigste Todesursache, überlegte Florian zynisch.

Von heute auf morgen stand er ganz ohne Eltern da. Sein Vater hatte sich bereits vor zwanzig Jahren, damals war Florian sieben, sein Bruder Bastian neun, vom Leben verabschiedet. Ein Unfall als Geisterfahrer auf der Autobahn. Drei weitere Menschen hatte sein Vater mit in den Abgrund gerissen.

Seine Mutter war ebenso schwer betroffen. Nicht nur, dass sie ihren Gatten verlor. Sie musste auch ihr Haus verkaufen, denn sie hatte plötzlich einen Haufen Schulden. Sein Vater, ein selbständiger Versicherungsmakler, war nicht grundlos davongelaufen. Nach dessen Tod stellte sich heraus, dass die häufigen Auswärtstermine bei Kunden in Wirklichkeit in Spielotheken stattgefunden hatten. Auf diese Weise war sämtliches Vermögen und Geld aus zwei Krediten verschwunden.

Vielleicht war seine Mutter an den Spätfolgen gestorben. Sie hatte schwer geschuftet, um für ihre Kinder zu sorgen. Manchmal fragte er sich, ob Bastian und er ihr mehr hätten helfen sollen. Sie hatte stets abgelehnt, wenn einer von ihnen vorschlug, neben der Schule zu jobben. Hätte mehr Hartnäckigkeit etwas genützt? Ach, müßig, darüber nachzudenken. Die Zeit ließ sich nun mal nicht zurückdrehen.

Er stand auf und ging zum Tor. Im selben Moment rollte ein Wagen auf den Parkplatz und hielt einige Meter von ihm entfernt. Da es selten - eher gesagt nie - vorkam, dass außer ihm jemand den Friedhof um diese Zeit besuchte, war Florians Neugier geweckt. Er blieb im Schatten des Torpfeilers stehen und spähte rüber zu dem Fahrzeug.

Im Schein der Straßenlaternen erkannte er zwei Personen auf den vorderen Sitzen. Beide machten keinerlei Anstalten auszusteigen. Sie schienen miteinander zu reden. Plötzlich blitzte etwas auf. Eine Messerklinge? Florian blinzelte, um seinen Blick zu fokussieren. Tatsächlich! Die eine Person fuchtelte mit einem Messer herum! Im nächsten Moment war die andere aus seinem Sichtfeld verschwunden, dafür tauchte etwas kleines Felliges auf. Eine Katze?

Wieder blitzte die Messerklinge im Lichtschein. Wenn Florian eines nicht leiden konnte, dann Tierquäler. Mörder natürlich auch nicht, aber bei Katzen reagierte er besonders allergisch.

Er rannte zu dem Wagen und klopfte an die Scheibe. „He, Sie da! Lassen Sie die Katze in Ruhe!“

Der Messerbesitzer starrte ihn an wie ein Mondkalb. Im nächsten Augenblick heulte der Motor auf. Mit quietschenden Reifen setzte der Typ zurück, beschrieb eine enge Kurve und raste frontal gegen einen der Pfeiler, die links und rechts von der Ausfahrt standen.

Wie gelähmt stand Florian einen Wimpernschlag da, bevor wieder Leben in ihm kam. Er wetzte zu dem Wagen, riss die Beifahrertür auf und beäugte die Insassen. Von dem zweiten Typen fehlte weiterhin jede Spur. Der Fahrer war eingeklemmt zwischen Airbag und Rückenlehne und wohl nur bewusstlos. Jedenfalls wirkte er nicht tot, doch selbst wenn, wäre es Florian egal.

Vorsichtig hob er die Katze, die im Fußraum lag, hoch und wickelte sie in eine Jeansjacke, die er sich vom Beifahrersitz schnappte. Auf dem Weg zu seinem Auto redete er beruhigend auf das Tier ein: „Du bist jetzt in Sicherheit. Der böse Mensch kann dir nichts mehr tun.“

Ehe er vom Parkplatz fuhr, rief er einen Rettungswagen. Schließlich war er kein Ungeheuer. Auch wenn das Arschloch den Tod verdient hatte, wollte er nicht daran schuld sein.

Während der kurzen Fahrt - der Friedhof lag nur zehn Minuten entfernt - erholte sich die Katze zusehends. Man sagte ja auch, dass diese Tiere neun Leben besaßen. Als er neben dem Wagen seines Bruders geparkt hatte und sie behutsam hochnahm, maunzte sie sogar leise.

Weil er beide Hände voll hatte, betätigte er mit dem Ellbogen die Türglocke. Es dauerte, bis das mürrische Gesicht seines Bruders hinter der einen Spalt breit geöffneten Haustür auftauchte.

Angesichts seiner Fracht runzelte Bastian die Stirn. „Was schleppst du denn da an? Etwa ’ne tote Katze?“

„Eben hat sie noch gelebt.“ Er drängelte sich an seinem Bruder vorbei, steuerte die Küche an und legte das Bündel vorsichtig auf dem Tisch ab.

Clothilde, ihre rot getigerte Mitbewohnerin, strich im schnurrend um die Beine, während er die Katze untersuchte. Er war zwar kein Fachmann, doch es schien nichts gebrochen zu sein. Florian tippte darauf, dass sie von dem heftigen Aufprall bloß benommen war.

„Wo hast’n die her?“, wollte Bastian, der sich in den Türrahmen gelehnt hatte, wissen.

„Vom Friedhof.“

„Oh mein Gott! Sag nicht, du hast sie ausgegraben!“

Er schnaubte amüsiert. „Hast du etwa schon wieder Friedhof der Kuscheltiere geguckt?“

Bastian schüttelte den Kopf.

„Ich erstatte genauen Bericht, sobald ich diesen Stubentiger verarztet habe.“

„Weißt ja, wo du mich findest“, brummelte Bastian und latschte davon.

Sein Bruder war ein Nerd, der ständig vorm Computer hockte oder die Nase in Fachliteratur steckte. Äußerlich sah man Bastian das nicht an. Er wirkte eher wie ein Langstreckenläufer, mit seinen schlanken eins neunzig und war, mit seinen gewellten, braunen Haaren und dem hübschen Gesicht, ziemlich attraktiv. Da er sogar charmant sein konnte, wenn er wollte, hatte er Erfolg bei Frauen. Ab und zu brachte er eine mit nach Hause, um sie die ganze Nacht zu bearbeiten. Nie zweimal die Gleiche. Bastian war der Meinung, dass man damit nur falsche Hoffnungen weckte.

Florian war etwas kleiner und mit ungebärdigen Locken ausgestattet. Mop, nannte sein Bruder das, was er auf dem Kopf trug. Ansonsten war die Familienähnlichkeit frappierend. Manchmal wurden sie gefragt, ob sie Zwillinge wären.

Das Haus hatten sie von ihren Großeltern geerbt. Eigentlich war es auf ihre Mutter übergegangen, doch die wollte lieber in ihrer Wohnung bleiben. Also hatten Bastian und er die Hütte bezogen. Mittlerweile, sie lebten seit fünf Jahren darin, war etliches renoviert. Im Bad und in der Küche hatten sie 70uger-Jahre-Schick gegen moderne Fliesen und Elemente ersetzt. Die restlichen Räume waren frisch tapeziert. Einzig im Keller war noch nichts geschehen. Das schoben sie stets vor sich her.

Behutsam kraulte Florian die Katze, die übrigens ein Kater war, hinter den Ohren. Sie blinzelte ihn an und bewegte die Pfoten. „Möchtest du was fressen? Oder zu trinken?“

Anstelle der Katze äußerte sich Clothilde, die ihn weiterhin belagerte: „Mau!“

„Du hattest schon. Verfressenes Biest.“

Die Beleidigung störte Clothilde nicht im Geringsten. Den Blick erwartungsvoll auf ihn gerichtet, ließ sie sich zu seinen Füßen nieder.

Er wickelte den Kater aus der Jacke und setzte ihn auf den Boden. Neugierig beäugte Clothilde den Gast. Anscheinend gefiel er ihr nicht, denn sie legte die Ohren an und wich zurück. Der Kater nahm das gleichmütig auf und blieb dort hocken, wo Florian ihn hingestellt hatte.

Bevor er ein bisschen Trockenfutter in einen Napf schüttete, scheuchte er Clothilde aus der Küche und schloss die Tür. Sie würde sonst über das Fressen herfallen. Nachdem er einen zweiten Napf mit Wasser gefüllt und beide vor dem Kater platziert hatte, verließ er den Raum und begab sich in die Gemächer seines Bruders.

Von den vier Zimmern des Hauses hatte Bastian zwei mit Beschlag belegt. Eines war vollgestopft mit Technik, das andere hingegen spartanisch eingerichtet. Lasterhöhle nannte Bastian den Raum, in dem ein Kingsize-Bett, Nachtschrank und zweitüriger Kleiderschrank standen.

Sein Bruder saß vorm Computer und tüftelte an irgendeinem Programm. Ob privat oder beruflich, entzog sich Florians Kenntnis. Für ihn war ein PC lediglich zum Spielen oder auf der Arbeit interessant.

Er entfernte ein ausgeschlachtetes Chassis von einem Hocker, nahm darauf Platz und wartete, bis sich Bastian in seine Richtung wandte. Vorher hatte es keinen Sinn loszulegen. Sein Bruder würde eh kein Wort hören.

„Ich war bei Mamas Grab“, begann Florian. „Als ich zurück zum Auto gegangen bin, waren da zwei Typen in einem Wagen. Der eine hatte plötzlich ein Messer in der Hand und dann war da die Katze.“

„Warum hast du nicht die Bullen gerufen? Der Typ hätte dich abstechen können.“

„Ich hab an seine Scheibe geklopft. Der Typ hat Panik bekommen und ist gegen einen der Betonpfeiler gerast. Ich hab die Katze aus dem Auto geholt, einen Rettungswagen gerufen und bin abgehauen. Ende der Geschichte.“

Sinnend zupfte sich Bastian an der Unterlippe. „Und wo war der zweite Mann?“

„Keine Ahnung. Vielleicht hab ich nicht richtig geguckt. Es war ja schon dunkel.“

„Aber warum sollte der Typ eine Katze mit einem Messer bedrohen? Das ergibt keinen Sinn.“

„Vielleicht hat er eine Katzenphobie und fühlte sich von ihr tätlich angegriffen. Es gibt eben viele Spinner.“

„War der Typ tot?“

„Glaube ich nicht. Der Airbag hat wohl das Schlimmste abgehalten.“

„Ich will ja nicht, dass mein Bruder als Mörder verhaftet wird.“

„Dafür, an eine Autoscheibe zu klopfen, wird man nicht verurteilt.“

„Aber du hast Fahrerflucht begangen.“

„Nun werde mal nicht komisch.“

„Ich mach mir bloß Sorgen“, verteidigte sich sein Bruder. „Andererseits würdest du im Knast endlich mal wieder flachgelegt werden.“

Florian verdrehte die Augen wegen des zweiten Satzes und merkte zum ersten an: „Sorgen darum, dass du selbst kochen musst.“

Ein listiges Lächeln schlich sich auf Bastians Lippen. „Erwischt.“

„Ich guck mal nach meinem Patienten.“ Florian stand auf. „Clothilde scheint ihn nicht zu mögen. Sperrst du sie in dein Schlafzimmer? Ich will nicht, dass sie ihn angreift.“

„Clothilde mag niemanden, außer dich“, entgegnete Bastian. „Wenn ich sie einsperre, kratzt sie mich.“

„Stell dich nicht so an.“ Kopfschüttelnd über solche Zimperlichkeit ließ er seinen Bruder allein.

Inzwischen hatte der Kater den Wassernapf geleert. Florian nahm ihn auf den Arm und streichelte ihm über den Kopf. „Wir beide machen es uns jetzt gemütlich.“



2.

Da hatte Blake echt Glück im Unglück gehabt, bei einem derart lieben Typen gelandet zu sein. Genüsslich ließ er sich kraulen, während in der Glotze irgendeine Serie lief. Den Aufprall hatte er inzwischen einigermaßen verdaut. Als Mensch hätte er garantiert Schaden genommen, doch in Katzengestalt hielt er wesentlich mehr aus.

Hatte das Arschloch den Zusammenstoß überlebt? Blake hoffte, dass der Typ in der Hölle schmorte. Andernfalls würde irgendwann ein anderer Stricher in seiner Situation stecken.

Als er sich via Grindr mit Malcolm X, so nannte sich das Arschloch, verabredet hatte, war die Rede von einem Blowjob gewesen. Mittels Einsatz des Messers wollte der Kerl stattdessen ungeschützten Analsex erpressen. Angesichts der Waffe hatte sich sein Überlebensinstinkt gemeldet und eine schlagartige Wandlung veranlasst. Ganz schön bescheuert. Wäre sein Wohltäter nicht erschienen, hätte er ganz schön in der Klemme gesteckt.

Glück war auch, dass jener seine Jeansjacke mitgenommen hatte. Darin steckte das Geld für den vereinbarten Blowjob - er nahm stets Vorkasse - sowie seine Wohnungsschlüssel. Letztere waren das einzige, was er zu einem Fickdate mitnahm. So lief er nie Gefahr, dass jemand ihn beklaute oder seine Börse verlor.

Blake drehte sich auf den Rücken, damit sein Wohltäter ihm den Bauch streicheln konnte. Er hätte auch nichts gegen eine Eiermassage. In Tiergestalt erregte ihn das zwar nicht, aber schön war’s schon.

„Na du? Bist ja ein richtiger Genießer“, meinte sein Wohltäter und lächelte ihn amüsiert an.

Ein hübsches Kerlchen, genau wie der Mitbewohner. Wenn ihn nicht alles täuschte, handelte es sich um Brüder. Die Augen und Gesichtszüge waren gleich.

„Was hast du bloß in dem Wagen zu suchen gehabt?“, redete der Mann weiter.

Das willst du lieber nicht wissen. Und was hast du so spät auf dem Friedhof zu tun gehabt?

„Was für ein Glück, dass ich zur Stelle war. Der Typ hätte dich sonst zu Hackfleisch verarbeitet.“

Oder zu einem ungenießbaren, blutigen Klumpen Fell.

„Möge er in der Hölle schmoren!“

Blake stimmte aus vollem Herzen zu.

„Apropos schmoren: Ich muss ja noch den Sauerbraten für morgen einlegen“, murmelte sein Wohltäter und schubste ihn sanft vom Schoß.

Enttäuscht, dass seine Eier keine Beachtung gefunden hatten, rollte sich Blake zusammen. Die Couch roch gut. Anders als das gammlige Teil, das in seinem WG-Zimmer stand. Er hatte das alte Sofa vom Vormieter übernommen. Vielleicht stammte es vom Sperrmüll oder es stand seit Generationen von Mietern in dem Raum. Vielleicht war jemand darauf gestorben.

Als ihm langweilig wurde, schlich er in die Küche. Das Trockenfutter stand neben dem frisch gefüllten Wassernapf. Er knabberte ein paar von den Dingern, die wie Mini-Knochen aussahen und trank anschließend den Napf leer. Das Zeug verursachte höllischen Durst.

Blake ließ sich unterm Tisch nieder. Normalerweise würde er auf einen der Stühle springen, aber dazu fühlte er sich noch nicht fit genug. Mit halbem Auge beobachtete er seinen Wohltäter, der mit Gewürzen hantierte, um sofort zur Stelle zur sein, falls ein Leckerchen runterfiel. Gedanklich ging er auf Wanderschaft.

Sein Engagement auf Grindr würde er erstmal ruhen lassen. Die letzte Erfahrung hatte gezeigt, dass diese Art des Geldverdienens gewisse Risiken barg. Davor war zwar immer alles gut gelaufen, doch man sollte sein Schicksal nicht herausfordern. Gut gelaufen bedeutete auch nur, dass ihn niemand bedroht hatte. Eklig war es schon so manches Mal gewesen.

Seine Eltern pflegten zu sagen, dass er die Arbeit nicht erfunden hatte. Im gewissen Sinne stimmte das. Die meisten Jobs langweilten ihn schnell, zumal er sowieso nur beschissene Stellen bekam. Mit seinem Realschulabschluss und ohne Ausbildung blieben eben nur die Scheißjobs übrig. Letztere hatte er zwar angefangen, aber nach einigen Monaten abgebrochen. Er taugte nicht zum Gas- und Wasserinstallateur.

Anschließend war er nach Hamburg gezogen, um sein Glück in der Großstadt zu versuchen. Seine Eltern lebten nämlich in einem Dorf im Odenwald. Da sagten sich Fuchs und Hase Gute Nacht. Arbeitsstellen suchte man dort wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Die Lehrstelle hatte er nur bekommen, weil sein Vater Vitamin B besaß. Nach seiner Kündigung war die Luft zu Hause entsprechend dick. Der richtige Zeitpunkt, um sich abzunabeln.

Seit seinem Auszug waren die Kontakte mit seinen Eltern immer spärlicher geworden. Mittlerweile fuhr er nicht mal mehr zu Weihnachten nach Hause. Seine Eltern waren einem religiösen Zirkel beigetreten, der Homosexualität verdammte. Zwar gaben sie vor, tolerant zu sein, verbargen ihre Abscheu für seine Neigung aber mehr schlecht als recht. Im Gegenzug konnte er ihnen nicht verzeihen, sich ihrem einzigen Sohn gegenüber derart abweisend zu verhalten.

Zurück zu seiner finanziellen Lage: Bislang hatte er Engpässe via Grindr umschifft. Eventuell musste er sein Leben neu ordnen. Auf Dauer war es total anstrengend, sich mit Behörden wegen Hartz IV rumzuschlagen. Ganz zu schweigen von den Scheißjobs.

Neulich hatte er ein bisschen im Yachthafen abgehangen, in der Hoffnung, einen Millionär aufzugabeln. Leider waren die bei schlechtem Wetter Mangelware. Vermutlich waren die auch bei gutem Wetter rar gesät und zumeist nicht am eigenen Geschlecht interessiert - außer für einen kurzen Fick. Sofern er dafür 100.000 bekäme, wäre das für ihn in Ordnung. Eigentlich war er aber auf ein längerfristiges Engagement aus. Tja, sowas gab es aber nur in Märchen.

Wahrscheinlich hätte er eh schnell die Schnauze voll, sich von einem Typen aushalten zu lassen. Er war nämlich ein stolzer Mann. Na ja, zumindest den überwiegenden Teil seines Lebens. Das, was er mit den Grindr-Kerlen getrieben hatte, erforderte gewisse Abstriche.

„Was machst du da?“, riss ihn die Stimme des Vermutlich-Bruders aus seinen Gedanken.

„Sauerbraten.“

„Wow! Wann gibt’s den?“

„Morgen. Ich geh gleich ins Bett.“

„Clothilde ist übrigens mächtig sauer. Wenn sie meine Sachen zerfetzt, kaufst du mir neue.“

„Kein Problem.“

„Und wenn sie mir die Visage zerkratzt, bekomme ich dann auch eine neue?“

„Sei doch froh, wenn Clothilde dir ein paar interessante Narben verpasst.“

„Wo ist denn dein Patient?“

Sein Wohltäter wies in Richtung Tisch, woraufhin sich der Vermutlich-Bruder runterbeugte. „Na? Alles wieder fit im Schritt?“

Stumm starrte Blake den Spaßvogel an.

„Ganz schön dickes Viech.“

Hallo? Immerhin steckte ein ganzer Kerl unter dem Fell!

Der Vermutlich-Bruder richtete sich wieder auf. „Gehst du heute mit dem Kater ins Bett?“

„Mal gucken ...“, murmelte sein Wohltäter und merkte im nächsten Moment, worauf es hinauslief. „Ja, ja. Dann wache ich auch mit einem Kater auf. Ha-ha!“

„Du hast mir die Pointe geklaut“, brummelte der Vermutlich-Bruder. „Ich geh dann mal wieder arbeiten.“

„Viel Spaß.“

Als sie wieder allein waren, begann sein Wohltäter zu summen. Offenbar machte ihm die Werkelei Spaß. Blake betätigte sich auch gern in der Küche, allerdings nur in einer sauberen, was man von der in seiner WG nicht behaupten konnte.

Neulich hatten sie den Kühlschrank aufgeräumt und etwas gefunden, das keiner von ihnen identifizieren konnte. Frederik glaubte, es wäre mal eine Orange gewesen, Anna hingegen tippte auf eine Rote Beete. Das schwarze, runde Ding war im Mülleimer gelandet, genau wie ein Stück vergammelter Käse und etliche, seit langem abgelaufene Joghurts.

Sein Wohltäter deckte ein Tuch über die Schüssel, in der das Fleisch lag, stellte sie in den Backofen und wusch sich die Hände. Im Anschluss steuerte er das Bad an, wohin Blake ihm nicht folgte, von wegen Privatsphäre und so.

Im Flur wartete er, bis sein Retter wieder auftauchte und in den nächsten Raum ging: Das Schlafzimmer. Neugierig streifte Blake umher und wagte schließlich, aufs Bett zu springen. Seine Rippen zwickten noch etwas, aber sonst war er okay.

Der Platz war hervorragend, um dem Striptease seines Wohltäters zuzuschauen. Leider fiel die letzte Hülle nicht. In Pants schlüpfte der Mann in ein weites T-Shirt und setzte sich auf die Bettkante, um den Wecker zu stellen. Damit der Bettbesitzer die Decke zurückschlagen konnte, verzog sich Blake ans Fußende.

Normalerweise schlief er nicht in Katzengestalt, weil er die menschliche dafür bevorzugte, doch es wäre vermutlich Panik entstanden, hätte er sich gewandelt. Die meisten Leute mochten es bestimmt nicht, wenn plötzlich ein fremder Mann in ihrem Bett lag. Er rollte sich also zusammen und schloss die Augen.

Sobald das Licht aus war, erwachte der umtriebige Geist seines Katers. Genau das war der Grund, Schlafmangel machte ihn mürrisch, weshalb er die Nächte lieber als Mensch verbrachte.

Als sein Bewegungsdrang übermächtig wurde, sprang er vom Bett und verließ den Raum durch die Tür, die glücklicherweise nur angelehnt war. Andernfalls hätte er ein Maunzkonzert veranstaltet und sich damit zweifelsohne unbeliebt gemacht.

Nach einer Runde durchs Wohnzimmer inspizierte er den nächsten Raum. Darin saß der Vermutlich-Bruder vorm Computer. Nahezu jedes Fleckchen des Zimmers war mit technischem Kram vollgestopft. Blake stieg über diverse Kabel und schnupperte an leeren und vollen PC-Gehäusen. In einer Ecke stapelten sich Zeitschriften. Er sprang auf einen der Türme, setzte sich hin und beäugte den Typen.

Nette Ansicht, nur die etwas verbissene Miene störte das Bild. Vielleicht hatte er ja Glück und bekam doch noch einen vollständigen Striptease zu sehen. Allerdings wirkte der Mann, als ob er hier festgewachsen wäre.

Ein Miauen lenkte Blakes Aufmerksamkeit zur offenstehenden Zimmertür. Gegenüber befand sich eine geschlossene, hinter der das Katzenweibchen raumjaulte. Armes Ding. Er wollte nicht mit ihr tauschen. Es konnte einen verrückt machen, eingesperrt zu sein.

„Mistviech“, brummelte der Typ.

Blake schätzte die Entfernung zwischen seinem Standort und Schoß des Mannes ab. Krauleinheiten konnte er immer gut vertragen. Schließlich wagte er den Sprung, woraufhin der Typ heftig zusammenzuckte. Offenbar war er vorher nicht bemerkt worden.

„Hey du“, murmelte der Mann und streichelte ihm über den Kopf. „Sind wir anlehnungsbedürftig?“

Mach du mal eine Nahtoderfahrung, dann geht’s dir genauso.

„Eigentlich wollte ich gerade ins Bett, aber wenn das so ist.“ Der Typ lehnte sich zurück und lächelte auf ihn runter. „Ich steh ja nicht auf Männer, aber du bist schon ziemlich hübsch.“

Allerdings. Blake war stolz auf sein glänzendes, schwarzes Fell und die grünen Augen.

Schnurrend reckte er den Hals, als der Mann ihn im Nacken kraulte. Sollte er sich auf den Rücken legen, um eine Eiermassage zu ergattern? Er tat es, hatte aber wieder kein Glück. Der Typ beschränkte sich auf seinen Bauch.

„Wir sind also nicht kastriert“, stellte der Mann fest.

Natürlich nicht! An seinen Schwanz ließ er kein Skalpell. Höchstens ein Rasierer durfte in die Nähe.

„Finde ich eh Scheiße.“ Der Typ kraulte ihn unterm Kinn. „Will ja auch nicht, dass man mir die Kronjuwelen abschneidet.“

Vernünftige Einstellung.

„Aber Florian werde ich die Eier abschneiden, wenn er mir nochmal Clothilde aufbürdet“, redete der Mann weiter.

Also hieß sein Retter Florian. Hübscher Name, hübscher Typ.

„Oder nur eins der beiden. Will mal nicht so sein.“ Der Mann richtete sich wieder auf und begann, mit der Maus rumzuklicken. „Was für ein Mist! Ich komm einfach nicht weiter.“

Blake spähte auf den Monitor. Ach, sieh einer an! Das Spiel kannte er doch! Es juckte ihm in den Pfoten, sich zu wandeln und dem Typen zu helfen. Vermutlich hätte er damit einen hysterischen Anfall ausgelöst. Florians Bruder käme bestimmt nur schwer damit klar, plötzlich einen splitternackten Kerl auf dem Schoß sitzen zu haben.

Mit wachsendem Unmut guckte er zu, wie der Blödmann eine Ernte verdorren ließ und die Chance verpasste, eine Schiffsladung Schafswolle zu erwerben. Als er es nicht mehr aushielt, ergriff er die Flucht. Andernfalls hätte er Florians Bruder gekratzt. So viel Blindheit war echt schwer zu ertragen.

In der Küche schlabberte er ein bisschen Wasser, bevor er zurück zu Florian tapste. Mit einem Satz enterte er das Bett und drehte sich mehrfach im Kreis, um eine gemütliche Position zu finden.

„Mhm? Was’n?“, nuschelte Florian, den er damit offenbar geweckt hatte.

„Mau.“

„Ach, du bist’s nur“, murmelte Florian.

Ja, wer denn sonst? So viele Haustiere rannten hier ja nun nicht rum, zumal die Katze eingesperrt war.

Blake rollte sich in der Kuhle zwischen Florians Beinen ein und dachte über seine Lage nach. Sofern beide Brüder am nächsten Morgen das Haus verließen, könnte er sich Klamotten borgen und nach Hause fahren. Sollte das nicht passieren, hätte er ein ziemliches Problem. In Katzengestalt den Heimweg anzutreten, barg einiges an Gefahren. Zudem wäre es schwierig, in die Mietskaserne zu kommen, in der er wohnte. Als Kater konnte er schließlich nicht läuten und da das Gebäude an einer vielbefahrenen Straße lag, kam eine Wandlung nicht infrage.

Ach, irgendeine Gelegenheit würde sich schon ergeben, beruhigte er sich und schloss die Augen.



3.

Am nächsten Morgen verließ Florian nach einer Tasse Kaffee das Haus. Der Bruder hingegen richtete sich in der Küche häuslich ein. Mit einer Zeitung vor der Nase fläzte der Typ auf einem Stuhl und trank einen Kaffeebecher nach dem anderen.

Die Katze hielt sich im Hintergrund. Fürs Futter erschien sie nur kurz, um sich anschließend gleich wieder zu verdrücken. Blake kannte diese Reaktion. Tieren war er in beiden Gestalten suspekt.

Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, verschwand der Bruder ins Bad. Blake wechselte in seine menschliche Hülle, schnappte sich ein paar gammlige Sneakers und huschte in Florians Schlafzimmer. Dank der offenstehenden Kleiderschranktüren hatte er sich bereits einen Überblick verschafft, so dass er rasch die ausgesuchten Klamotten hervorholen und anziehen konnte.

Auf Zehenspitzen ging er am Badezimmer vorbei, nahm seine Jeansjacke in der Küche von der Stuhllehne, auf der sie seit dem vorigen Abend hing und steuerte die Haustür an. Just in dem Moment begann ein Telefon zu läuten. Einen Wimpernschlag stand Blake wie erstarrt da, dann riss er die Haustür auf, sprang nach draußen und zog sie leise hinter sich zu.

Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Wenn der Bruder ihn erwischt hätte, noch dazu in Florians Klamotten ... eine Katastrophe!

Eilig verließ er das Grundstück und prüfte erst, als er außer Sichtweite war, den Inhalt seiner Jackentaschen. Alles befand sich noch an Ort und Stelle. Er atmete auf. Also brauchte er nicht schwarzfahren oder einen Schlüssel nachmachen lassen.

Während er an der Bushaltestellte saß und wartete, überlegte er, wie er sich bei seinem Retter bedanken konnte. Blumen? Nein, so was schenkte man einem Mann nicht. Für Pralinen galt das Gleiche. Es kam ihm beides eh etwas schäbig für die großartige Tat vor. Ein Blowjob wäre eher adäquat. Florian würde er gern einen geben.

Als er in seiner WG ankam, hatte er noch keine zündende Idee gehabt. Da weder Frederik noch Anna anwesend waren, breitete er sich auf dem Küchentisch mit seinem Notebook und Frühstück aus. Geschenkideen gab’s im Internet tausendfach, doch keine wollte passen. Was gab man dem Mann, der einem das Leben gerettet hatte?

Da ihm die Idee mit dem Blowjob weiterhin am besten gefiel, suchte er nach Möglichkeiten, selbigen an den Mann zu bringen. Er könnte sich als Stripper ausgeben, der von Arbeitskollegen engagiert worden war, um Florian zu beschenken. Ach nein. Die Lüge würde schnell auffliegen. Oder er könnte ein Paket bringen und sich selbst als Dreingabe anbieten. War das nicht die sexuelle Fantasie vieler Typen? Beispielsweise ein Pizzabote, der statt Trinkgeld einen Fick wollte? Originell war das nicht, aber darauf kam es ja auch nicht an.

Moment! Er könnte doch, dank seiner zweiten Gestalt, Florian einen feuchten Traum verwirklichen. Wer wollte nicht im Schlaf einen geblasen bekommen? Blake kannte niemanden und würde das selbst gern mal erleben.

Mit Feuereifer begann er, an der Umsetzung seines Vorhabens zu arbeiten. Mit Google-Maps fahndete er nach einem Platz, um seine Klamotten zu deponieren. Schließlich konnte er nicht nackt zu Florian fahren.

Das war die Crux an der Wandelei: Das Kleidungsproblem. In Dracula- und Werwolf-Filmen sah das so einfach aus. Die Protagonisten waren nach ihrem Wechsel in die menschliche Gestalt allesamt wieder angezogen. In der Realität sah das natürlich anders aus. Unterm Fell war er nackt, dementsprechend auch nach der Wandlung. Vermutlich war es der Dramaturgie, oder der FSK-Freigabe, geschuldet, dass Filmemacher die Tatsachen derart verdrehten. Oder dem Umstand, dass sie nichts von der Existenz dieser Spezies wussten.

Früher war er häufig mit seinen Eltern in Freilaufareale gefahren. An bestimmten Orten trafen sich Wandler, um in ihrer tierischen Gestalt durch die Wälder zu streifen. Meist mündete es in einem Lagerfeuer mit Grillen, bevor man sich wieder in alle Windrichtungen zerstreute. Fasziniert hatte er damals den Geschichten gelauscht, die sich die Leute im Schein der Flammen erzählten. Revierkämpfe, Streitigkeiten um den Platz des Alphas - alles schon lange Geschichte.

Mittlerweile wurde die Gemeinde der Wandler zunehmend kleiner, da viele aus ihren Reihen Mischehen eingingen. Deren Nachkommen erbten nur mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit die Wandlungsfähigkeit. In ein paar hundert Jahren war ihre Gattung, wenn die Entwicklung so weiterlief, vermutlich ausgestorben. Hinzukamen schwule Wandler, die gar keinen Nachwuchs lieferten. Böse Zungen behaupteten zwar, dass es unter ihnen keine Homosexuellen gäbe, doch Blake war das lebendige Gegenbeispiel. Besitzer dieser Zungen waren es, die den Zirkel, dem seine Eltern angehörten, gegründet hatten.

Jedenfalls gab es in den Freilaufarealen Hütten, in denen sie ihre Kleidung und Wertsachen unterbringen konnten. Andernfalls hätten sie die Sachen in ihren Autos liegenlassen müssen. Da diese auf öffentlichen Parkplätzen standen, wäre bestimmt das eine oder andere aufgebrochen worden.

Auf dem Grundstück, auf dem Florian mitsamt Bruder wohnte, befand sich - neben dem Haus - eine Garage. Dahinter würde sich bestimmt ein gutes Versteck finden lassen. Zudem wäre er dort vor den Augen der Nachbarn geschützt.

Gerade als er seinen Platz räumen wollte, kehrte Anna heim. Sie kam direkt in die Küche, stellte ihre Tasche neben dem Kühlschrank ab und holte eine Flasche Wasser aus dem Gerät. „Wo warst du denn gestern Nacht?“, erkundigte sie sich.

„Unterwegs. Ist ein bisschen spät geworden.“

„Das kann man wohl sagen.“ Sie setzte die Wasserflasche an ihre Lippen und nahm einen großen Schluck. „Du bist heute mit kochen dran.“

Ach du Scheiße! „Können wir tauschen? Ich hab was Dringendes vor.“

„Schon wieder? Du hast doch erst gestern mit Frederik getauscht.“

„Aber es ist wirklich wichtig!“

Anna winkte ab. „Schon gut. Ich übernehme deinen Dienst.“

„Du bist ein Schatz! Dafür hast du was bei mir gut.“

„Ja, ja. Ich hab inzwischen schon zehnmal was bei dir gut.“ Sie zwinkerte ihm zu, schnappte sich ihre Tasche und verließ den Raum.

Blake atmete auf. Er könnte sein Vorhaben natürlich auch verschieben, brannte aber darauf, die Sache zu erledigen.


Um drei machte er sich auf den Weg. Auf der Fahrt überlegte er, ob seine Einschätzung, dass Florian schwul war, stimmte. Die Bemerkung des Bruders, von wegen im Knast mal wieder flachgelegt werden, hatte er so interpretiert. Ach, egal. In der Dunkelheit würde Florian gar nicht merken, ob Männchen oder Weibchen zu Werke ging; und nach vollbrachter Tat würde sich Blake sofort wieder wandeln.

Plötzlich fiel ihm auf, dass sein toller Plan ein Manko hatte. Was passierte, wenn Florian den Kater für den Täter hielt? Bestimmt würde der Mann ausflippen. Von einem Tier einen geblasen zu bekommen, fanden die wenigsten Menschen prickelnd. Auch Blake schüttelte sich bei der Vorstellung. Vielleicht sollte er doch lieber als Klempner-Pizzabote-was-auch-immer bei Florian auftauchen.

Kurz bevor er sein Ziel erreichte fasste er den Entschluss, bei Plan A zu bleiben. Erstmal musste er auch die Lage sondieren, die Lebensgewohnheiten von Florians Bruder rauskriegen. Der war ja bei seinem Vorhaben im Weg.

Möglichst unauffällig schlenderte er am Grundstück vorbei. Da keine Menschenseele zu sehen war, machte er kehrt, huschte über die Auffahrt hinter die Garage und musste angesichts des Sperrmülls, der sich dort stapelte, schmunzeln. Drei alte Stühle, irgendwelche Holzteile, ein verrostetes Fahrrad. Ein dichter Busch bot Sichtschutz zum Nachbargrundstück. Der perfekte Ort für seine Wandlung.

Flink schlüpfte er aus seinen Klamotten und stopfte sie in einen mitgebrachten Müllsack, den er hinter dem Holz versteckte. In Katzengestalt näherte er sich dem Haus. Zweimal strich er ums Gebäude, wobei er in jedes Fenster spähte. Florians Bruder saß im Computerzimmer, ansonsten entdeckte er niemanden.

Blake sprang auf die Fensterbank und begann, ein Maunzkonzert zu veranstalten. Florians Bruder runzelte die Stirn und guckte sich im Raum um, dann zum Fenster. Das Stirnrunzeln vertiefte sich. Bestimmt fragte sich der Mann, wie er nach draußen gekommen war.

Der Bruder erhob sich, öffnete das Fenster und ließ ihn herein. Blake steuerte gleich die Küche an, in der Hoffnung, etwas Leckeres vorzufinden. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen.

In einem Napf lagen einige vertrocknete Bröckchen. Er beäugte sie und entschied, dass er doch nicht so hungrig war. Nachdem er ein bisschen Wasser geschlabbert hatte, begab er sich zurück zu Florians Bruder. Der hockte wieder vorm PC. Mit einem Satz enterte er dessen Schoß und richtete es sich gemütlich ein.

„Florian würde mich killen, wenn er wüsste, dass ich dich aus Versehen rausgelassen habe“, murmelte der Bruder und kraulte geistesabwesend seine Ohren.

Arbeitete der Typ nicht? Oder war das Rumgespiele seine Arbeit? Blake spähte auf den Monitor. Hieroglyphen reihten sich auf der ganzen Mattscheibe aneinander. Also war der Bruder ein Programmierer oder so. Mist! Damit schwand seine Hoffnung, dass der Typ regelmäßig das Haus verließ.

„Muss noch einkaufen“, redete der Bruder weiter. „Sonst krieg ich mächtig Ärger.“

Der Ansage folgte keine Aktion. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis der Typ endlich den Bildschirm sperrte, Blake auf den Boden setzte und ins gegenüberliegende Zimmer ging. Er trabte hinterher und guckte zu, wie der Mann die Jogginghose gegen eine Jeans tauschte.

Wo war eigentlich die Katze? Blake streifte durch die Räume und stöberte das Viech im Wohnzimmer auf, wo es auf der Couch lag. Er ließ sie in Ruhe und kehrte zum Bruder, der inzwischen im Flur Schuhe anzog, zurück.

„Tu mir einen Gefallen und hau nicht wieder ab, während ich weg bin“, ermahnte ihn der Typ. „Es dauert nicht lange.“

Bring mir was Schönes mit, übermittelte Blake telepathisch. Leider besaß er diese Fähigkeit nicht, doch sein Blick schien Bände zu sprechen.

„Ja, ja, ich hol auch neues Katzenfutter“, versprach der Bruder.

Na, wunderbar. Dann war sein Abendessen ja gesichert.

Kaum war die Tür hinter dem Typen zugefallen, wetzte er in Florians Schlafzimmer, wandelte sich und durchstöberte den Nachtschrank. Gleitcreme und Kondome schienen seine Vermutung zu bestätigen, wobei auch Heteros sowas benutzten. Anna hatte sich ein paarmal beides bei ihm geliehen. Sie stand auf anal und laberte mehr über ihr Sexleben, als ihm lieb war. Selbst Frederik, der alles bumste, was ein Loch besaß, verdrehte stets die Augen, wenn sie aus dem Nähkästchen plauderte.

Als nächstes filzte er das Schlafzimmer des Bruders. Dort fand er Heten-Pornos, Kondome und Handschellen. Musste der Typ seine Bettpartner fesseln? Der Gedanke brachte ihn zum Schmunzeln. Er legte die Handschellen zurück und schaute in den Kleiderschrank, da vernahm er das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss der Haustür drehte.

Rasch wandelte sich und stolzierte in den Flur. Florian kam herein, erblickte ihn und schenkte ihm ein Lächeln. „Na du? Ich hoffe, Bastian hat sich gut um dich gekümmert.“

So hieß also der Bruder.

Florian schlüpfte aus Jacke und Schuhen, strich Blake über den Kopf und ging in die Küche. Er marschierte hinterher und baute sich vor dem Napf mit dem vertrockneten Zeug auf.

„So ein Mist!“, fluchte Florian, der mit dem Oberkörper im Kühlschrank steckte. „Der faule Sack hat noch nicht eingekauft!“

Tja ... da drohte wohl ein Donnerwetter.

„Dem werde ich die Ohren langziehen.“ Florian donnerte die Kühlschranktür zu und schnaubte. „Du armer, schwarzer Kater. Musstest bestimmt den ganzen Tag hungern.“

Blake miaute kläglich.

„Bastian?“, brüllte Florian, horchte und spähte in den Flur. „Seine Schuhe sind weg. Er ist wohl gerade unterwegs. Es kann also nicht mehr lange dauern, bis du Futter bekommst.“

Na, hoffentlich!

„Komm mal her“, flötete Florian, nahm ihn auf den Arm und ließ sich auf einem der Stühle nieder.

Allmählich hatte er richtig Kohldampf, noch durch das Gerede übers Essen befeuert. Das hinderte ihn nicht daran zu schnurren, als Florian ihm den Rücken kraulte. Sein Tier war ein richtiger Schmusekater. In menschlicher Gestalt mochte er es allerdings auch, gestreichelt zu werden.

„Dein Motor ist viel lauter als Clothildes“, sinnierte Florian und ging dazu über, seinen Nacken zu massieren. „Ich sollte mal im Internet nachschauen, ob jemand eine entlaufene Katze sucht. Dann kann ich auch gleich gucken, ob etwas über den Messerstecher berichtet wird.“

Florian trug ihn ins Wohnzimmer, nahm auf der Couch Platz und klappte ein Notebook, das auf dem Tisch lag, auf. Bei ihrer Ankunft verkrümelte sich die Katze. Wie der Blitz raste sie aus dem Raum.

Geräusche im Flur kündigten Bastians Rückkehr an. Davon nahm Florian keinerlei Notiz, sondern klickte weiter mit der Maus herum, den Blick auf den Monitor geheftet.

„Sorry. Ich hab die Zeit vergessen“, rief Bastian, ohne in Erscheinung zu treten.

„Irgendwann vergesse ich zu kochen“, brummelte Florian.

„Hab auch was Leckeres für deine neue Mieze mitgebracht.“

Mieze? Wie niedlich. Leckeres? Au ja! Blake sprang von Florians Schoß und trabte in die Küche, wo er vor den Näpfen Stellung bezog. Die Katze, der er dabei auf dem Flur begegnete, nahm Reißaus.

Bastian räumte die Einkäufe weg und nahm erst von ihm Notiz, als alles verstaut war. „Ja, ja, geht ja schon los.“

Eine gefühlte Ewigkeit später stand vor Blake ein mit köstlich duftenden Fleischbröckchen gefüllter Napf. Genüsslich machte er sich darüber her, bis kein Fitzelchen mehr übrig war. In der Hoffnung auf Nachschlag guckte er sich nach Bastian um, doch der hatte die Küche verlassen. Schade.


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Tag der Veröffentlichung: 02.05.2021

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