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Satansbraten Luzius



derüblicheText

Luzius fühlt sich weder im Himmel noch in der Hölle zugehörig. Auch unter den Menschen ist er ein Außenseiter. Hinzukommt, dass ihn der Pfeil einer Amorette getroffen hat und sein Herz dem unterkühlten Jörg zugeflogen ist. Denkbar schlechte Voraussetzungen, um seinen Seelenfrieden zu finden. Auch Petrus weiß keinen Rat oder ist nicht bereit, welchen rauszurücken. Luzius ist also auf sich allein gestellt und versucht, das Beste aus der Situation zu machen.





Prolog

Gelangweilt warf Luzius kleine Kohlestückchen ins die Feuerstelle. Wenige Meter entfernt thronte Satan und ließ sich von einer Blondine die Fußkrallen schneiden. Eine weitere kümmerte sich um die teuflische Schambehaarung und eine dritte um die Fingernägel.

Satan war überaus großzügig ausgestattet. Luzius genehmigte sich den einen oder anderen verstohlenen Blick auf das Mörderteil. Also, ausprobieren wollte er den Torpedo nicht, - das Ding würde ihn in zwei Hälften spalten - aber geil anzusehen war es schon. Seufzend griff er nach dem nächsten Stück Kohle.

Im Himmel herrschte die gleiche Ödnis wie unter der Erde. Ab und zu wechselte er zwischen oben und unten, damit er nicht vor Tristesse starb. Ha-ha! Als ob Satansdiener sterben könnten. Auch Zwitterwesen wie ihm, einer Mischung aus Engelsanwärter und Diener des Teufels, war der Tod nicht vergönnt.

Hinzukam, dass man ihn im Himmel als Emporkömmling betrachtete und in der Hölle als Weichei, auch wegen seiner weißen Flügel, verspottete. Weder Fisch noch Fleisch zu sein war echt kein Zuckerschlecken.

Dank der Fürsprache Raphaels, eines Schutzengels, hatte man Luzius befördert. Ein Mensch, Kaleb, war ihm als Schützling zugewiesen worden. Der Job bedeutete für ihn keine Herausforderung, denn Kaleb war ein notorischer Stubenhocker und Muttersöhnchen. Eigentlich brauchte der Mann gar keinen Schutz, da er sich nie in Gefahr begab. Dessen ungeachtet mochte Luzius Kaleb, auch weil sie eine Leidenschaft teilten: Computerspiele. Mittlerweile hatte sich das allerdings ziemlich gelegt, weshalb er oft über den Wolken oder im Höllenfeuer herumhing.

Korinthus, ein Kollege, ließ sich neben ihm nieder. „Mann! Ist das hier zum Kotzen öde.“

„Wem sagst du das.“

„Wie hast du es angestellt, Karriere zu machen?“, erkundigte sich Korinthus.

„Vitamin B.“

„Kann ich auch welches haben?“

„Sorry, aber sowas hat man oder man hat es nicht. Das kann man nicht abgeben.“

„Arschloch.“

„Dreckfink“, entgegnete Luzius und malte Korinthus mit einem Stück Kohle einen Strich auf die Wange.

Hey!“ Flink schnappte sich Korinthus ebenfalls ein Stückchen.

Es entspann sich eine Balgerei, in deren Verlauf ihre Gesichter schwärzer und schwärzer wurden. Schließlich riss sie Satans donnerndes: „Schluss jetzt!“, auseinander.

„Nichts darf man“, murrte Luzius, schmiss die Kohle weg und schlurfte davon.

Nach einigen Schritten holte Korinthus ihn ein. „Kann ich mal mitkommen, wenn du tust, was immer du als Himmelsgesandter tust?“

Luzius stoppte und warf sich in die Brust. „Ich bin ein Bodyguard, kein Himmelsgesandter.“

„Wow! Also: Darf ich mitkommen?“

Einen Moment sonnte er sich in Korinthus‘ Bewunderung, bevor er antwortete: „Von mir aus. Aber nur, wenn du unsichtbar bleibst.“

Theatralisch legte sich Korinthus eine Hand auf die linke Brusthälfte. „Ich schwör‘s bei den Gebeinen meiner Großmutter.“

„Haben wir mit denen nicht neulich Hockey gespielt?“, überlegte Luzius.

„Kann sein. Gilt der Schwur dann nicht?“

„Das war ein Scherz.“

Korinthus lachte auf. „Ach so.“

„Nachher muss mein Klient zu einem Termin. Ich hol dich dann ab.“ Er tätschelte Korinthus‘ Schulter. „Wasch dir vorher die Visage. Du siehst scheußlich aus.“ Sprach’s, entfaltete seine Flügel und schoss in die Höhe.

Auf dem Weg zu den Wolken durchflog er ein Regengebiet, in dem er sich den Ruß vom Gesicht wusch. Anscheinend machte ihn die schwefelhaltige Luft in der Hölle irre, dass er sich auf solche kindischen Spielchen einließ.

Er steuerte direkt auf Petrus‘ Büro zu und hatte Glück: Der Schreibtisch auf Wolke fünf war besetzt.

Petrus blätterte in einem dicken Buch und schaute erst auf, als sich Luzius laut räusperte. „Was gibt’s?“

„Ich verlange, dass der Amor, der mir den Pfeil verpasst hat, eine Strafe bekommt. Außerdem soll er den Fluch von mir nehmen.“

„Welchen Fluch?“

„Na, diesen Schei.... doofen Liebesfluch.“

Schmunzelnd lehnte sich Petrus zurück, die Hände überm Bauch gefaltet. „Das ist kein Fluch, mein Junge, sondern ein Segen.“

„Dann soll er den Segen von mir nehmen.“ Einer dieser dämlichen Amoretten hatte ihm einen Pfeil verpasst, als er mit seinem Klienten unterwegs war. Seitdem juckte sein Herz wie blöde.

„Das geht nicht. Tut mir leid.“ Allerdings klang Petrus eher schadenfroh.

„Ich dachte, im Himmel ist alles möglich.“

„Tja. Selbst uns sind mal die Hände gebunden.“

„Und wenn ich den Verantwortlichen erwürge? Ist der Flu... Segen dann weg?“

„Ts!“ Petrus schüttelte missbilligend den Kopf. „Zum einen kann man Engel nicht töten, zum anderen musst du dringend an deiner inneren Einstellung arbeiten.“

„Hilfst du mir, wenn ich dir einen blase?“

Petrus schnellte aus dem Sessel hoch. „Raus! Verschwinde aus meinem Büro! Wenn du mir nochmal solchen unmoralischen Vorschlag machst, verbanne ich dich zurück in die Hölle.“

„Man wird ja wohl noch fragen dürfen“, maulte Luzius, breitete seine Flügel aus und suchte das Weite.


1.

Mal wieder war Ole über Nacht weggeblieben. Deutlicher konnte man eigentlich nicht mitteilen, dass einem die Beziehung am Arsch vorbeiging. Dennoch schaffte es Jörg nicht, sich von dem Mistkerl zu trennen. Jedes Mal, wenn er es versuchte, schmeichelte sich Ole wieder bei ihm ein. Ein bis zwei Wochen herrschte dann eitel Sonnenschein, bis der Scheiß von vorne begann.

Trübsinnig guckte Jörg aus dem Fenster. Die Sonne schien, doch das konnte seine Stimmung nicht aufhellen. War er bis in alle Ewigkeit dazu verdammt, Oles Spielball zu sein? ‚Wenn du Weichei deinen Arsch nicht hochbekommst, hast du selber schuld‘, spottete es in seinem Kopf. Abermals seufzend gab er der Stimme recht. Sein Verstand wusste, dass die Sache mit Ole ein Fehler war, aber sein Herz verweigerte die Einsicht. Oder war es Gewohnheit? Immerhin lebten sie seit drei Jahren zusammen.

‚Wenn du die Zeiten abrechnest, in denen Ole woanders rumgevögelt hat, kommst du nur auf ein Jahr‘, meldete sich die Stimme erneut zu Wort.

Das war übertrieben. Meist kam Ole nachts - oder eher in den frühen Morgenstunden - nach Hause und krabbelte zu Jörg ins Bett. Leider häufig mit dem Sexgestank eines Fremden am Körper. Immer, wenn das passierte, bezeichnete Ole es als Ausrutscher.

Vielleicht lag es an der Midlifecrisis, die Jörg bevorstand, dass er an seinem Partner festhielt. Schließlich wurde er in zwei Jahren 40. Vielleicht war er einfach ein Idiot. Die wahrscheinlichere Variante.

Er schaute auf die Uhr. Zeit, um zu dem Termin mit Startenor Jameson Triholm aufzubrechen. Eigentlich taten persönliche Treffen gar nicht Not, weil sich vieles telefonisch regeln ließ, doch Triholm bestand darauf, dass sie sich in regelmäßigen Abständen sahen. Bevor der Tenor mit seinem Lover zusammengekommen war, hatte das anders ausgesehen. Seit Ralph Einfluss ausübte, war Jameson zugänglicher und höflicher geworden. Tja. Ein Beispiel dafür, wie eine intakte Beziehung aussah. Seine bewirkte das Gegenteil. Je länger er mit Ole zusammen war, desto griesgrämiger wurde er.

Gerade schloss er die Haustür ab, als Oles alter Ford auf dem Hof zu stehen kam. Da Jörg Unpünktlichkeit hasste, beachtete er seinen Freund gar nicht, ging schnurstracks zu seinem Wagen und fuhr los. Nachher, wenn er zurückkehrte, würde er sich Ole vorknöpfen. So konnte er echt nicht weitermachen.

Während der halbstündigen Fahrt listete er Vor- und Nachteile der Beziehung mit Ole auf. In die eine Waagschale legte er den regelmäßigen Sex, wobei er dazu gar keine Lust mehr hatte. Außerdem war Ole eine Frohnatur. Wenn Jörg schlechte Laune hatte, heiterte ihn sein Partner stets auf. Wobei ... auch das gelang in letzter Zeit immer seltener. Kochen konnte Ole bloß mäßig und beteiligte sich nur spärlich am Haushalt, sowohl arbeitstechnisch als auch finanziell.

Positiv war Oles Sexappeal und gepflegtes Äußeres ... letzteres hinterließ täglich Spuren im Bad, die Jörg wegputzen durfte, wie Haare im Abfluss, Zahnpastaspritzer auf dem Spiegel und Seifenreste in der Dusche. Außerdem war Ole intelligent. Es machte Freude, sich mit ihm zu unterhalten, mit Ausnahme von Streitgesprächen, die immer öfter vorkamen.

Als Jörg vor Jamesons Haus parkte, war die eine Waagschale leer, die andere prall gefüllt. Wieso hielt er, trotz der vielen Nachteile, an Ole fest? Ein Mysterium, das er offenbar nicht zu ergründen vermochte.

Nach einem prüfenden Blick in den Rückspiegel stieg er aus. Kaleb, Jamesons Assistent, den er bei einer ihrer letzten Zusammenkünfte kennengelernt hatte, schloss gerade ein Fahrrad an den Zaun.

„Hi Kaleb“, grüßte Jörg, woraufhin der Mann über die Schulter zurückgrüßte: „Hallo.“

Plötzlich flitzte ein schwarzer Schatten durch sein Gesichtsfeld. Verwirrt blinzelte er und schaute sich um. Er war allein mit Kaleb, abgesehen von ein paar Passanten auf der anderen Straßenseite. Litt er unter Sinnestäuschungen? Wahrscheinlich. Mal wieder hatte er schlecht geschlafen, was sich wohl auf seine Wahrnehmung auswirkte.

Inzwischen stand Kaleb vor der Haustür. Er gesellte sich dazu.

Jameson öffnete und ließ sie eintreten. „Pünktlich wie die Maurer.“

Im Wohnzimmer wartete Ralph an der gedeckten Kaffeetafel. Es gab sogar von Jamesons Mutter gebackenen Kuchen.

Beim folgenden Smalltalk schaltete Jörg ab und sann weiter über sein Ole-Problem nach. Als sein Name fiel, horchte er jedoch auf. „Wohin soll ich mitkommen?“

„Nach Rom. Ich finde, Kaleb und du sollten mal dabei sein“, erwiderte Jameson. „Um diese Jahreszeit ist es dort wunderbar melancholisch.“

Super! Als ob er sowas bräuchte! „Also, ich weiß nicht ...“

„Nun sei kein Frosch! Du bekommst auch ein schönes Doppelzimmer“, drängelte Jameson.

Ach, warum eigentlich nicht? Es tat ihm bestimmt gut, mal ein bisschen rauszukommen. Seine Geschäfte konnte er telefonisch oder im Internet erledigen und die Erntezeit war vorüber. Zu seinem Haus gehörten Ländereien mit Apfel-, Kirsch- und Birnbäumen. Das Anwesen hatte er von seinen Eltern, die auf Teneriffa ihren Lebensabend genossen, geerbt. Dazu gehörte auch Stamm- sowie Saisonpersonal, so dass er sich um den physischen Aspekt der Ernste nicht kümmern brauchte. An ihm blieb bloß er Papierkram hängen.

„Na gut“, gab er nach.

„Prima!“ Jameson rieb sich die Hände. „Kaleb? Was sagst du dazu?“

Der Angesprochene wirkte wenig begeistert. „Tja. Mir bleibt wohl gar keine Wahl.“

„Wunderbar. Dann besorge Tickets und Zimmer für dich und Jörg“, entgegnete Jameson.

„Wie heißt das Zauberwort?“, mischte sich Ralph stirnrunzelnd ein, den strengen Blick auf Jameson gerichtet.

Bitte besorg Tickets und Zimmer“, besserte jener rasch nach.

Mit zufriedener Miene griff Ralph zur Kaffeekanne. „Noch jemand einen Schluck?“

Bevor einer antworten konnte, läutete die Türglocke. Fragend guckte Jameson Ralph an, der mit den Achseln zuckte, stand auf und verließ den Raum. Im Schlepptau einen hochgewachsenen, schlanken Typen, in Anzug und mit dunkler Sonnenbrille, kehrte er zurück.

„Seit wann hast du einen Bodyguard?“, wandte sich Jameson an Kaleb.

„Ähm ... schon eine Weile. Ich fühle mich dadurch sicherer.“

„Tagchen“, grüßte der Neuankömmling in die Runde. „Lasst euch durch mich nicht stören. Ich bleibe im Hintergrund.“ Sprach’s und pflanzte sich in einen abseits stehenden Sessel.

Wie respektlos, sie einfach zu duzen. Jörg beschloss, den frechen Typen nicht weiter zu beachten.

„Wir sprachen gerade über die anstehende Rom-Reise“, informierte Kaleb den Bodyguard. „Du wirst also, während ich weg bin, einige Tage frei haben.“

„Kommt nicht infrage! Ich klebe dir an den Hacken.“

„Dann wirst du wohl noch ein Ticket und Zimmer buchen müssen“, stellte Jameson trocken fest.

„Das ist nicht nötig. Um den Flug kümmert sich mein Chef“, meldete sich der Bodyguard zu Wort. „Und ich schlafe bei Kaleb.“

„Liebling, willst du Jörg nicht deinen neuen Übungsraum zeigen?“, fragte Ralph in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.

Jameson hob zwar fragend die Augenbrauen, erhob sich aber und winkte Jörg, ihm zu folgen. Sie gingen in den Flur und begannen, die Treppe raufzusteigen.

„Ich hab die Schallisolierung erneuern lassen“, erzählte Jameson. „Außerdem hat Ralph einen neuen Flügel bekommen. Du wirst staunen.“

Es war in der Tat beeindruckend, was Jameson aus dem vormals altbackenen Ambiente gezaubert hatte. Der Raum war komplett weiß eingerichtet, einschließlich des neuen Flügels. Auf dem Boden lag dicker Teppich, in den man beim Gehen einsank.

„Hier kann ich mich jetzt richtig entfalten“, schwärmte Jameson. „Keine Ablenkung mehr. Na ja, bis auf Ralph, wenn er mich musikalisch begleitet.“

„Sehr schön. Und warum solltest du mich aus dem Wohnzimmer weglocken?“

Jameson zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Es ist aber besser, Ralph zu gehorchen. Er kann sonst ziemlich unleidlich werden.“

Da stand jemand ja ganz schön unterm Pantoffel. ‚Ha-ha! Fass dich mal an deine eigene Nase‘, spottete es in seinem Kopf. „Wie lange müssen wir ihm Zeit geben?“

Erneutes Achselzucken. „Ich denke, wir können langsam wieder runtergehen.“

Gemächlich stiegen sie die Treppe runter. Als sie sich dem Wohnzimmer näherten, herrschte dort verdächtige Stille. Alle saßen auf den gleichen Plätzen wie bei ihrem Aufbruch und machten unschuldige Gesichter. Sehr merkwürdig. Plante Ralph für Jameson in Rom eine Überraschungsparty? Das wäre eine Erklärung.

„Wenn soweit alles besprochen ist, würde ich mal aufbrechen“, verkündete Jörg.

„Ich denke schon“, erwiderte Jameson. „Oder gibt es noch was, das wir mit Jörg besprechen müssen?“, fragte er in die Runde.

Allgemeines Kopfschütteln, doch dann meldete sich Kaleb: „Ich ruf dich wegen der Tickets nachher an. Treffen ist um elf am Flughafen.“

Hoheitsvoll, weil Jörg ärgerte, sich nicht selbst nach solchem wichtigen Detail erkundigt zu haben, nickte er Kaleb zu.

Jameson geleitete ihn zur Haustür. „Freut mich, dass du endlich mal mitkommst.“

„Es passt gerade in meinen Terminplan“, entgegnete Jörg. „Wir sehen uns dann am Freitag.“ ‚Na, prima! Wenigstens weißt du, an welchem Wochentag es losgeht‘, höhnte es in seinem Kopf.

Als er in seinem Wagen saß, starrte er einige Momente ins Leere. So konnte es echt nicht weitergehen. Wenn er weiterhin derart schlecht schlief, verwechselte er am Ende noch die Namen seiner Klienten. Es musste etwas passieren!

Auf der Rückfahrt legte er sich alle möglichen Eröffnungssätze für eine Aussprache mit Ole zurecht. So geht es nicht weiter fand er zu aggressiv. Wir müssen reden desgleichen. Mir geht es schlecht mit unserer Beziehung war am Ende sein Favorit. Das löste vielleicht Schuldgefühle bei Ole aus und war somit der perfekte Einstieg.

Kaum hatte er sein Haus betreten, wehte ihm der verführerische Duft von Bratkartoffeln entgegen.

Ole stand in der Küche und begrüßte ihn mit einem breiten Lächeln. „Hast du Hunger mitgebracht?“

Hatte er nicht, aber wie sollte er solchem Friedensangebot widerstehen? „Ein bisschen.“

„Gibt’s keinen Kuss?“, beschwerte sich Ole mit allerliebstem Schmollmund.

Da Jörg keinen Unfrieden stiften wollte, gab er Ole einen flüchtigen Kuss. „Wann ist das Essen fertig?“

„In genau dreieinhalb Minuten.“

„Gut. Ich geh kurz Händewaschen.“ Im Bad guckte er in den Spiegel, während er seine Hände unters laufende Wasser hielt. Wieso war er schon wieder eingeknickt? Ein paar Bratkartoffeln machten doch nichts ungeschehen.



2.

„Du hast sie doch nicht mehr alle“, schimpfte Raphael los, kaum dass Jörg mit Jameson den Raum verlassen hatte. „Auf keinen Fall kommst du mit nach Rom.“

„Tu ich doch“, widersprach Luzius.

Jameson kam zurück, guckte in seine Richtung und stoppte abrupt. Anscheinend erkannte ihn der Schwachmat endlich, nun, wo er die Sonnenbrille abgenommen hatte.

„Du bist Lutz“, stellte Jameson fest.

„So ist es.“ Luzius feixte. Lutz war sein Deckname in menschlicher Gestalt. In dieser hatte er Jameson bei einer anderen Gelegenheit mal getroffen und beinahe gefickt, wenn Raphael, Deckname Ralph - diese Spaßbremse! - ihn nicht gehindert hätte.

„Bist du wirklich Kalebs Bodyguard?“, wollte Jameson wissen.

Luzius plusterte sich auf. „Natürlich bin ich das! Was denkst du denn?“

„Schon gut. War ja nur ’ne Frage“, brummelte Jameson, setzte sich neben Raphael und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was hattet ihr so dringendes zu besprechen, das ich nicht hören durfte?“

„Ich wollte nur mit Lutz unter vier Augen reden.“ Nach einem Blick auf Kaleb korrigierte sich Raphael: „Unter sechs Augen.“

Luzius spürte einen Lufthauch. Der stammte von Korinthus, der die ganze Zeit durch den Raum geisterte. Ab und zu blitzte seine Gestalt schemenhaft auf.

„So, so.“ Jameson schnappte sich ein Stück Kuchen. „Ach ja. Möchtest du auch welchen?“, wandte er sich an Luzius.

„Danke, nein. Ich hab gerade gegessen.“

„Soll ich, außer Hotel und Flügen, noch irgendetwas organisieren?“, erkundigte sich Kaleb. „Eine Sightseeing-Tour, beispielsweise?“

„Gute Idee. Ich lass dir freie Hand. Ihr könnt euch ruhig amüsieren, während ich schwer arbeite.“ Jameson seufzte theatralisch, stopfte sich einen Bissen in den Mund und griff nach einer Serviette. „Und zum Glück habt ihr euren eigenen Security-Mann dabei, so dass ihr nicht ausgeraubt werdet.“

Oha! Daran hatte Luzius gar nicht gedacht, als er spontan entschied, in menschlicher Gestalt an dem Trip teilzunehmen. Musste er sich jetzt eine Waffe zulegen? Und woher - bitteschön - sollte er die nehmen?

„Ja, was für ein Glück“, murmelte Raphael mit einem ironischen Unterton.

„Ich muss dann auch wieder los.“ Kaleb stand auf und guckte Luzius scharf an, woraufhin er ebenfalls aufsprang.

Ihm schwante, sich einiges anhören zu müssen, sobald sie allein waren.

Kaum standen sie auf der Straße, ging das Donnerwetter los: „Was fällt dir ein, einfach aufzutauchen? Du hättest mich zumindest informieren können.“

„Sorry. Das war spontan.“ Neben ihm gackerte schadenfroh Korinthus, was er zwar nicht hörte, aber spürte. Hätte er den Blödteufel doch bloß nicht mitgenommen!

„Mach das nie wieder mit mir!“, schimpfte Kaleb. „Ich kündige dir sonst.“

Konnte man seinen Schutzengel rauswerfen? Das musste er Petrus bei nächster Gelegenheit fragen. „Okay, Chef.“

Kaleb wandte sich ab und schloss die Fahrradkette auf.

„Tut mir echt leid. Kommt nie wieder vor“, fügte Luzius hinzu.

„Ja, ja“, brummelte Kaleb. „Lass mich eine Weile bloß in Ruhe.“

Wunschgemäß verließ er seine menschliche Gestalt, um in Gasform hinter seinem Schützling herzuschweben. Korinthus flog neben ihm und meinte: „Sonderlich aufregend ist der Job ja nicht.“

„Hab ich auch nie behauptet.“

„Fliegst du echt mit nach Rom? In einem Flugzeug?“

„Muss ich ja nun, wo ich mich enttarnt habe.“

„Kann ich auch mit?“

„Hast du nichts zu tun? Beispielsweise verdorbene Seelen einsammeln?“

„Das erledige ich nebenbei.“

„Nein, du kannst nicht mit.“

„Schade“, murrte Korinthus. „Wir hätten so viel Spaß haben können.“

Sie schwiegen, bis Kalebs Adresse erreicht war. Als sein Schützling das Fahrrad in den Keller brachte, hockte sich Luzius auf die Stufen im Treppenhaus.

Korinthus ließ sich neben ihm nieder und schlug vor: „Wir könnten eine Wette abschließen.“

„Was denn für ’ne Wette?“

„Wer diesen Jörg als erster ins Bett bekommt, hat gewonnen.“

„Lass die Finger von ihm!“, brauste Luzius auf.

„Woah! Schon gut! Dann eben Kaleb.“

„Der ist auch tabu.“

„Du bist echt voll der Spielverderber.“

„Such dir jemand anderen für deine blöde Wette.“

Korinthus schob die Unterlippe vor. Was für ein Kindskopf! Wie sollte er den blöden Teufel nur wieder loswerden? Der hing ja wie eine Klette an ihm. Plötzlich hatte er einen Geistesblitz. „Na gut. Lass uns in Rom treffen und da jemanden für die Wette ausgucken.“

Die Schmolllippe verschwand zugunsten eines zögerlichen Lächelns. „Meinst du das ernst?“

„Logo.“

„Also abgemacht. Dann sehen wir uns Freitag in Rom.“ Korinthus erhob sich und schwebte auf die Haustür zu, wo er sich nochmal umdrehte. „Wo genau treffen wir uns dort?“

„Am schiefen Turm.“

„Okay. Bis denne.“

Luzius feixte. Der gute Korinthus würde lange suchen müssen, um Pisas schiefen Turm in Rom zu finden. Schon Scheiße, wenn man in Erdoberflächenkunde nicht aufgepasst hatte.

Rund eine Stunde später schien sich Kaleb beruhigt zu haben. Luzius wagte es, sich zu materialisieren und neben seinen Schützling, der virtuelles Autorennen fuhr, auf die Couch zu setzen. „Darf ich mitspielen?“

Wortlos wies Kaleb mit dem Kinn auf den zweiten Controller.


In den folgenden Tagen benahm sich Luzius zurückhaltend. Die Ansage, ihn vielleicht rauszuwerfen, hatte ihn doch ziemlich geschockt. Sowohl Himmel als auch Hölle reizten ihn nicht. Er wollte unbedingt als eine Art ihresgleichen unter den Menschen bleiben. Dafür brachte er das Opfer, seine scharfe Zunge zu zügeln.

Kaleb schien das nicht zu würdigen. Mal um Mal fragte sein Schützling, ob ihm etwas fehlen würde. Seine Beteuerung, nur eine stille Phase zu haben, wurden mit hochgezogener Augenbraue zur Kenntnis genommen.

Am Freitagmorgen, als sie in ein Taxi stiegen, beschloss Luzius, dass er sich genug kasteit hatte.

„Wie sieht’s aus? Gehen wir in Rom mal wieder in einen Puff?“, wandte er sich an Kaleb, kaum dass der Wagen losgefahren war.

Ihr Fahrer guckte neugierig in den Rückspiegel. Kaleb lief rot an und zischelte: „Geht’s noch lauter?“

„Was denn? Ist doch die natürlichste Sache der Welt, dass ein Mann ab und zu ein Loch braucht.“

„Um darin vor Scham zu versinken“, erwiderte Kaleb, gefolgt von einem genervten Seufzer. „Tu mir einen Gefallen und halt die Klappe.“

Das hatte er doch schon eine halbe Ewigkeit getan. Man konnte es Kaleb ja wohl nie recht machen. Beleidigt schmollte Luzius vor sich hin, bis sie den Flughafen erreichten.

Als Vielflieger sollte ihn das Gebäude kaum beeindrucken, dennoch war es der Fall. Er schaute sich in der riesigen Halle um, von der einige Rolltreppen auf die obere Galerie führten. Das lenkte ihn dermaßen ab, dass er in jemanden hineinlief.

„Sorry“, murmelte er und schenkte dem Mann im Anzug einen entschuldigenden Blick.

Kurz darauf trafen sie Jameson, Raphael und Jörg. Beim Anblick des letzteren schlug Luzius‘ blödes Herz Kapriolen. Irgendwann würde er den schuldigen Amor in die Finger kriegen und dann gnade ihm Teufel!

Während sie in der Schlange zur Gepäckaufgabe warteten, dachte er sich alle möglichen, hübschen Todesarten aus. Langsam erwürgen war zu harmlos. Vierteilen, vorher sieden und die Haut abziehen, gefiel ihm besser. Oder bis zum Hals in glühenden Kohlen eingraben. Oder zur wöchentlichen Bingo-Runde in den Himmel schicken. Dort starb man vor Langeweile. Eine wirklich schreckliche Todesart!

Er gab die Reisetasche - Kaleb hatte sie ihm geliehen und mit ein paar Klamotten gefüllt, damit er nicht ohne Gepäck dastand - auf. Anschließend folgte er den anderen durch die Kontrollen. Zum Glück war sein menschlicher Körper authentisch. Hätten wichtige Organe gefehlt, wäre das vielleicht aufgefallen.

In der Wartezone setzte sich Jörg auf einen der Plastikstühle und holte ein Tablet hervor. Jameson ließ sich mit einer Zeitung daneben nieder. Kaleb, der gestanden hatte unter Flugangst zu leiden, tigerte hin und her.

„Ich hol mir einen Kaffee“, meinte Raphael. „Noch jemand irgendetwas?“

Allgemeines Kopfschütteln.

„Ich komm mit“, meldete sich Luzius, dem jeder Vorwand recht war, um aus Jörgs Nähe zu fliehen.

Sobald sie außer Hörweite waren, pflaumte Raphael ihn an: „Wenn ich noch Beziehungen zum Himmel hätte, würde ich dich verpfeifen! Du bist so ein Idiot!“

„Wer petzt, kommt in die Hölle“, konterte er.

„Apropos: Warum bist du eigentlich dort gelandet?“

„Will nicht drüber reden.“

Sie hatten die Snackbar erreicht, die von einigen Passagieren belagert wurde. Selbst wenn er gewillt wäre, Raphael davon zu erzählen, müssten fremde Ohren es nicht hören.

„Hast du jemandem ans Bein gepinkelt?“, bohrte Raphael nach, wandte sich an den Barkeeper und bat: „Ein Kaffee und eine Bockwurst mit Senf und Ketchup.“

Manchmal beneidete Luzius die Menschen darum, Essen verdauen zu können. Ach, nicht manchmal, eigentlich ständig. Das Einzige, was er vertrug, war Alkohol. Gelegentlich ließ er sich volllaufen, wenn sich eine Gelegenheit bot.

Daran, wie einzelne Lebensmittel schmeckten, erinnerte er sich nicht mehr. Es war einfach zu lange her. Außerdem gab es damals etliche Sachen noch nicht und dafür andere, die in der heutigen Zeit nicht mehr existierten.

„Vergiss es“, murmelte er.

„Oder hast du deine Seele Satan bei einer schwarzen Messe gewidmet?“

„Oh Mann! Hör auch damit!“

„Man wird ja wohl noch fragen dürfen.“ Raphael bezahlte, nahm Kaffeebecher und Wurst und schaute sich nach einem Sitzplatz um.

Sie ließen sich an einem Bistrotisch am Fenster nieder. Raphael tunkte das Würstchen nacheinander in Senf und Ketchup und biss davon ab. Die Tomatentunke erinnerte Luzius an Blut. Schmeckte sie auch so?

„Nun rück schon raus mit der Sprache“, drängelte Raphael und zeigte mit der Wurst auf ihn. „Du bist doch sonst so einen Plaudertasche.“

„Jetzt hast du ganz verschissen!“

„Oh! Sind wir etwa beleidigt?“ Mit deutlich gespieltem Mitleid schüttelte Raphael den Kopf. „Entschuldige, dass ich dir zu nahe getreten bin.“

„Arschloch!“

„Na-na! Mistkerl hätte auch gereicht.“ Erneut tunkte Raphael das Würstchen in Senf und Ketchup.

Warum auch immer, vielleicht aus Langeweile, begann Luzius zu erzählen: „Es war ungefähr um 1350, - in der Erinnerung verschwimmen die Jahre ja ein wenig - als man mich mit dem Enkel des Dorfältesten erwischte. Dieses kleine Miststück hat behauptet, ich hätte ihn gezwungen. Dabei hat er mich angegraben, nicht ich ihn! Jedenfalls wurde ich als Sodomit beschimpft und von den Dorfbewohnern um die Ecke gebracht. Da es damals eine Sünde war, als Mann mit Männern rumzumachen, bin ich in der Hölle gelandet.“

Raphael machte große Augen. „Nur wegen solcher Bagatelle?“

„Es sind schon Leute wegen noch geringfügiger Vergehen dem Teufel überantwortet worden.“

„Aber dann müsstest du eigentlich längst begnadigt sein. Seit einigen Jahrzehnten ist Sodomie - was für ein bescheuerter Begriff! - doch keine Straftat mehr.“

„Schwirren im Himmel nicht auch Leute herum, die Leute wie mich an den Galgen geliefert haben? Müssten die dann nicht in die Hölle wechseln?“

„Ähm ja ... stimmt.“ Nachdenklich betrachtete Raphael den Würstchenrest. „Dann wäre auf den Transitwegen ganz schön was los.“

„Wenn du mich fragst ist es reine Willkür, wer am Ende oben oder unten landet.“

Ein dreckiges Grinsen erschien auf Raphaels Lippen. „Das hast du nett umschrieben.“

„Du denkst nur an Sex“, schimpfte Luzius. „Dabei hast du doch bestimmt ständig welchen.“

„Allerdings.“ Raphael stopfte sich den Rest Wurst in den Mund und spähte kauend rüber zu Jameson.

„Boah! Hör auf ihn anzuhimmeln. Mir wird sonst speiübel.“

„Als du neulich bei uns warst, hab ich die Präsenz von einem weiteren Gast gespürt. Wer war das?“, wechselte Raphael abrupt das Thema.

„Korinthus, die Nervensäge.“

„Und wieso hast du ihn mitgebracht, wenn er so nervig ist?“

Luzius seufzte. „Keine Ahnung. Ach, irgendwie tat er mir leid.“

„Wieso?“

„Er hat sich gelangweilt und wollte mal was anderes sehen.“

„Der Ärmste.“ In einem Zug leerte Raphael den Kaffeebecher. „Unser Flug wird gerade aufgerufen. Wir sollten zu den anderen gehen.“


3.

Jörg saß neben Kaleb am Gang. Den Platz am Fenster hatte der Bodyguard inne. Ab und zu guckte Jörg aus dem Augenwinkel rüber zu dem höllisch attraktiven Typen. Mal machte der einen äußerst zugeknöpften Eindruck, mal den eines übermütigen Schuljungen. Merkwürdige Gestalt.

Mit Ole hatte er lustlosen Abschiedssex praktiziert. Auch sein Partner schien nicht richtig bei der Sache gewesen zu sein, wenn ihn nicht alles täuschte. Früher hatte Ole wie ein Weltmeister gestöhnt, doch gestern: Fehlanzeige. Bloß ein paar Laute, die einem einstudierten Schauspiel glichen, waren an Jörgs Ohren gedrungen.

Wie soll Ole in Fahrt kommen, wenn du die ganze Zeit die Zähne zusammenbeißt?, mahnte sein Verstand. Ein berechtigter Einwand. Es gehörten eben immer zwei dazu. Jörg seufzte und versuchte, sich auf seine Zeitschrift zu konzentrieren. Die Berichte über Managementmethoden konnten ihn jedoch nicht fesseln.

Schließlich legte er das Magazin beiseite und schloss die Augen. Geschlafen hatte er wenig. Ole hingegen war sofort nach dem Akt eingepennt. Während er dalag und über ihre Beziehung nachdachte, hatte sein Partner leise geschnarcht. Es war ihm wie ein Sinnbild für ihr Verhältnis vorgekommen: Er zermarterte sich das Gehirn und seine bessere Hälfte ruhte sich aus. Sollte das bis in alle Ewigkeit so weitergehen? Nein, natürlich nicht, trotzdem würde er gern mit Ole zusammenbleiben. Allerdings nicht mit dem aktuellen Ole, sondern mit dem aus der Vergangenheit.

„Darf ich einen Blick in deine Zeitschrift werfen?“, erkundigte sich Kaleb mit begehrlichem Blick auf das Managermagazin.

„Klar.“ Kaleb war in Ordnung. Bestimmt hatte der arme Kerl es nicht leicht mit dem manchmal kapriziösen Jameson.

Er reichte Kaleb das Magazin, wobei er kurz zu dessen Bodyguard rüber sah. Wozu brauchte Jamesons Assistent einen Personenschützer? War das bloß wegen irgendwelcher Phobie? Es gab ja Leute, die unter Verfolgungswahn litten.

„Möchten die Herren noch etwas zu trinken?“, machte eine Stewardess, die neben ihm aufgetaucht war, auf sich aufmerksam.

„Ein Wasser, bitte“, meldete sich Kaleb.

„Ich hätte gern einen Tomatensaft“, bat Jörg.

Über den Wolken spürte er stets den übermächtigen Drang, den sonst verschmähten Saft zu trinken. Er hatte mal gelesen, dass in großer Höhe die Geschmacksnerven sensibilisiert wurden. Für ihn wäre das eigentlich ein Grund, weiter einen großen Bogen um Tomatensaft zu machen.

Nachdem er das Zeug mich reichlich Salz und Pfeffer gewürzt hatte, nippte er daran.

„Sieht aus wie Blut“, meinte Kalebs Bodyguard.

Da er noch nie Blut in solcher Menge gesehen hatte, konnte er das nicht beurteilen und zuckte bloß mit den Achseln.

„Sieht eklig aus“, gab Kaleb seinen Senf dazu.

Das stimmte, dennoch trank Jörg einen weiteren Schluck. Warum auch immer, aber das Zeug mundete ihm hervorragend. Fliegen weckte in ihm offenbar perverse Gelüste. So lange sich das auf Getränke beschränkte, konnte er damit leben. Schlechter wäre, wenn er - beispielsweise - plötzlich Lust hätte, Kalebs Bodyguard zu vögeln. Der Mann war nämlich überhaupt nicht sein Typ. Davon mal abgesehen handelte es sich bestimmt, genau wie bei Kaleb, um einen Hetero.

Die Zeit bis zur Landung verbrachte er mit ein bisschen Augenpflege. Er schlief zwar nicht, entspannte sich aber. Das war fast genauso erholsam.

Rom empfing sie mit Sonnenschein und milden 14 Grad. Bevor sie in ein Großraumtaxi stiegen, setzte Jörg seine Sonnenbrille auf. Durch die dunklen Gläser betrachtete er die Umgebung. Überwiegend niedriges Gehölz, vereinzelt einige Zypressen und die allgegenwärtigen Bauten aus Beton und Glas säumten die Schnellstraße.

Er war noch nie in Rom gewesen, aber in anderen italienischen Städten. Die Landschaft war daher nichts Neues, genauso wenig wie die engen Straßen, als sie die Stadtgrenze hinter sich ließen. In einigen Stadtteilen schien die Zeit stehengeblieben zu sein.

Nach rund einer halben Stunde erreichten sie das Hotel, in dem Kaleb gebucht hatte. Ein wunderschöner Altbau, der innen hoffentlich modern ausgestattet war. Jörg hatte nichts gegen gewisse Einschränkungen, aber fließendes, heißes Wasser war für ihn unverzichtbar.

Er wurde nicht enttäuscht. Zwar hatte man das Zimmer etwas altbacken - andere würden es wohl romantisch nennen - eingerichtet, doch das Bad entsprach den neuesten Standards.

Rasch packte er aus und begab sich in die Lobby, um an der Bar einen Kaffee zu trinken. Die Plörre im Flugzeug hatte er nicht angerührt. Während er auf seine Bestellung wartete, gesellten sich Jameson und Ralph zu ihm und baten den Barkeeper ebenfalls um Kaffee.

„Echt klasse, dass du dabei bist.“ Jameson tätschelte seine Schulter. „Ich muss gleich zur ersten Probe.“

„Was hat Kaleb denn für den Rest der Reisegesellschaft geplant?“, erkundigte sich Jörg.

„Wir gehen shoppen“, erwiderte Ralph. „Morgen und Sonntag gibt’s Kultur.“

„Oh Mann! Ich glaube, ich muss morgen dringend abreisen“, scherzte Jörg.

Ralph gluckste. „Wird schon nicht so schlimm werden. Eine Audienz beim Papst ist auf jeden Fall nicht geplant.“

„Puh.“ Jörg wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn. „Davor hatte ich richtig Angst.“

„Du bist ja gar nicht so übel“, stellte Ralph mit überraschter Miene fest. „Ich dachte immer, du hättest einen Stock im Arsch.“

„Schatz!“, brummelte Jameson. „Lass den armen Jörg in Ruhe.“

Als arm wollte er nun wirklich nicht betitelt werden. Andererseits, angesichts der Lage daheim, war er echt ein erbärmlicher Typ. Er hielt also den Mund und widmete sich seinem Kaffee.

Kurz darauf stieß Kaleb mitsamt Bodyguard zu ihnen. „Unser Taxi kommt gleich“, gab Kaleb bekannt.

„Wo fahren wir denn hin?“, wollte Ralph wissen.

„In die Via del Corso.“


Es handelte sich um eine endlos lange Einkaufsstraße, in der sie sich bis zum frühen Abend die Füße plattliefen. Am Ende war Ralph mit Tüten beladen. Kaleb hatte lediglich ein Souvenir gekauft, der Bodyguard und Jörg gar nichts.

Sie kehrten ins Hotel zurück, um sich wenig später in der Lobby wieder zu treffen. Es ging in ein nahegelegenes Restaurant, in dem Kaleb einen Tisch reserviert hatte. Der Bodyguard blieb draußen, um den Eingang zu bewachen. Das fand Jörg etwas merkwürdig, war aber erleichtert, den schrägen Vogel beim Essen nicht dabeizuhaben.

Im Anschluss tranken sie in der Bar des Hotels einen Absacker. Jörg, angenehm beduselt von dem Landwein, den sie im Lokal getrunken hatten, verlegte sich aufs Zuhören und Beobachten. Seine Zunge war zu schwer, um Beiträge zu leisten.

Diesmal war der Bodyguard mit von der Partie und pichelte eifrig. Drei doppelte Whisky verschwanden im Nu in Lutz‘ Schlund. Vielleicht wollte der Kerl das Aufholen, was er vorm Restaurant versäumt hatte.

Vorwiegend bestritten Ralph und Jameson die Unterhaltung. Letzterer gab Anekdoten von früheren Tourneen zum Besten. Es war amüsant, mit welcher Selbstironie Jameson über sein früheres arrogantes Verhalten berichtete. Vor Ralphs Auftauchen hätte Jörg niemals geglaubt, dass sich sein Klient jemals derart wandelte. Entweder besaß Ralph magische Kräfte oder es war echte Liebe am Werk oder beides. In der Anfangszeit ihrer Beziehung hatte er gedacht, dass zwischen Ole und ihm auch so etwas existierte. Mittlerweile war er ernüchtert. Warum Ole noch bei ihm war, entzog sich einer Kenntnis. Vermutlich Bequemlichkeit. Ohne Jörgs finanzielle Unterstützung wäre Ole ein armes Schwein. Es würde bloß für eine Mini-Wohnung reichen und ein Auto könnte er sich ebenfalls nicht mehr leisten.

„Warum guckst du so traurig?“, sprach ihn unversehens der Bodyguard von der Seite an.

„Tu ich das? Ist mir gar nicht aufgefallen“, murmelte Jörg und trank einen Schluck von seinem Rotwein.

War das echt Lutz‘ Hand auf seinem Schenkel? Irritiert spähte er runter. Tatsächlich. Also, hetero war das aber nicht. Er schaute wieder hoch, direkt in Lutz‘ dunkle Augen. Sie wirkten nahezu schwarz. Irgendwie unheimlich, zugleich ziemlich sexy. Oh Mann! Hatte er das gerade gedacht? Es war offensichtlich Zeit fürs Bett.

„Leute, ich verschwinde“, gab er bekannt, stürzte den restlichen Wein runter und stellte sein Glas auf den Tresen.

„Schlaf gut“, rief Jameson ihm hinterher, als er in Richtung Lift ging, beziehungsweise torkelte. Hoffentlich fühlte sich das nur so an und sah nicht auch so aus.

Im Fahrstuhl musterte er sich in der verspiegelten Wand. Abgesehen von dem flackernden Blick fand er sein Äußeres relativ normal. Okay, seine Frisur war ein wenig zerrauft und die Wangen gerötet, aber seine Kleidung in Ordnung ... ähm, abgesehen von dem Rotweinfleck auf seinem blau-weiß gestreiften Hemd. So ein Mist! Den bekam er doch bestimmt nie wieder raus!

In seinem Zimmer zog er das Hemd aus und begutachtete den Schaden. Das Hemd war wohl hinüber. Missgestimmt pfefferte er es in eine Ecke und ging ins Bad, um sich unter die Dusche zu stellen.

Anschließend war er etwas besser gelaunt. Schließlich handelte es sich bloß um ein Hemd von der Stange. Bei seinen Designerstücken wäre es ärgerlicher gewesen.

In den flauschigen Hotelbademantel gehüllt kehrte er ins Zimmer zurück und erstarrte zu Stein. Heiliges Kanonenrohr! Auf dem Bett lag der Bodyguard wie Gott ihn geschaffen hatte. Angesichts der sündhaft sexy nackten Tatsachen wäre wie der Teufel ihn geschaffen hatte passender. Das war sein erster Gedanke, der zweite: Wie war Lutz hier reingekommen?

Ohne den Eindringling - oder eher dessen Ständer -aus den Augen zu lassen ging er zur Tür, rüttelte an der Klinke und stellte fest: verschlossen.

„Bist du durchs Fenster geklettert?“, wollte er wissen, wobei sein Blick dorthin huschte. Vor dem Duschen hatte er ein Fenster einen Spalt geöffnet. Es wirkte unberührt.

„Ich bin gewissermaßen direkt vom Himmel gefallen“, säuselte Lutz und räkelte sich wie eine wollüstige Schlampe auf dem Laken.

„Sehr witzig. Zieh dir was an!“ Jörg hob den Klamottenhaufen, der vorm Bett auf dem Boden lag, auf und warf ihn in Lutz‘ Richtung.

Selbiger runzelte die Stirn. „Wieso?“

„Weil du nackt bist?“

„Das sollte man sein, wenn man Sex haben möchte.“ Lutz schob die Kleidung beiseite und spähte vielsagend an sich runter. „Guck. Er steht schon wie eine Eins.“

An dieser Aussage gab es nichts zu rütteln. „Wie bist du hier reingekommen?“, nahm Jörg den Faden wieder auf.

„Ein netter Hotelangestellter hat mir aufgeschlossen.“

Auch das ließ sich schlecht wiederlegen. Wahrscheinlich hatte Lutz jemanden bestochen. „Ich möchte, dass du dich anziehst und gehst!“

Provokativ spreizte Lutz die Beine. Nicht nur die imposante Latte, auch das Gehänge konnte sich sehen lassen. Jörgs Schwanz, der neugierig den Kopf reckte, stimmte dem uneingeschränkt zu. Ach, Scheiß drauf! Bestimmt vögelte Ole gerade wieder fremd. Wieso sollte er sich nicht auch ein wenig Abwechslung gönnen? Es würde ja niemand erfahren.

„Na gut. Aber damit eins gleich klar ist: Du haust hinterher ab.“

Lutz zog eine Schnute, schien zu überlegen und setzte wieder ein Verführerlächeln auf. „Wenn es dich glücklich macht.“

„Macht es“, brummelte Jörg. „Allerdings gibt es ein Problem.“

„Und das wäre?“

„Keine Gummi, kein Gleitmittel.“

„Dann machen wir’s eben ohne.“

Entschieden schüttelte er den Kopf. „Niemals!“

„Ts. Spießer“, murmelte Lutz verächtlich. „Soll ich mal bei Jameson klopfen, ob der uns was leiht?“

„Untersteh dich. Du darfst mir einen blasen.“

„Wie überaus gnädig von dir.“ Lutz rutschte zur Bettkante und lockte ihn mit dem Finger näher. „Dann zeig mal, was du zu bieten hast.“

Obwohl seine Libido mittlerweile voll erwacht war, zögerte Jörg. Von Lutz ging unterschwellig etwas Bedrohliches aus. Er konnte nicht den Finger drauf legen, woran das lag. Es war nur ein Gefühl.

„Na, komm schon“, flötete Lutz. „Oder soll ich mir dein Schwänzchen holen?“

Schwänzchen? Die Frechheit, seinen Hammer derart zu betiteln, vertrieb sämtliche Bedenken. Während er ans Bett trat, streifte er den Bademantel ab. Lutz‘ Augen weiteten sich angesichts seiner Erektion, was ihn mit Stolz erfüllt. Zwar war er nicht mit Überlänge ausgestattet, fand seinen Schwanz aber ziemlich wohlproportioniert und für seine Größe von eins neunzig angemessen.

„Boah! Was für ein Mordsgerät“, freute sich Lutz, packte ihn an den Hüften und verleibte sich seine Latte oral bis zum Anschlag ein.


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Tag der Veröffentlichung: 16.12.2020

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