Cover

Vampire Bestien oder Prinz Charming?

Band 2

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Copyright Texte: Sissi Kaipurgay/Kaiserlos

Fotos: depositphotos, shutterstock Cover-Design: Lars Rogmann

Korrektur: Aschure, dankeschön!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/

https://www.sissikaipurgay.de/


Erasmus - der edle Samariter

Erasmus genießt es normalerweise, haufenweise Frischfleisch flachzulegen. Seit er sich in einen Menschen verliebt hat, ist ihm das jedoch verleidet. Bedauerlicherweise gehört Kaspars Herz aber einem anderen, nämlich ausgerechnet seinem Kumpel Ronaldo. Erasmus ist am Boden zerstört. Alles erscheint ihm grau in grau und manchmal denkt er sogar darüber nach, mit einem Pflock Harakiri zu begehen. Er braucht Hilfe, um aus diesem Tal des Kummers wieder rauszukommen.



1.

Gucken Sie sich die Gruppe mal an, hatte sein Hausarzt Doktor Schimpf gesagt. Vielleicht hilft es Ihnen ja, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Erasmus hatte eine Aversion gegen Gruppentherapie und eine noch größere gegen Einzelsitzungen. Insofern nahm er das kleinere Übel in Kauf und begab sich am Donnerstagabend ins Gemeindezentrum der Anbeter altheidnischer Götter.

Es handelte sich dabei um eine geschlossene Religionsgemeinschaft, die neue Mitglieder nur nach eingehender Prüfung aufnahm. Das war die öffentliche Erklärung dafür, einige Antragsteller abzulehnen. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft war nämlich lediglich, ein Vampir zu sein. Etwas, das man ja schlecht kundtun konnte.

Erasmus hatte mal aus Neugier an einem Gottesdienst teilgenommen, daher kannte er sich ein bisschen in dem Gebäude aus. Gleich rechts hinter dem Eingang lag der Zeremonienraum. Geradeaus führte ein Flur, von dem links etliche Türen abgingen, zu den Toiletten. Er schritt den Korridor runter und stoppte vor der Tür mit der Aufschrift Anonyme Sanguistiker. (Sanguis: lateinisch, Blut)

„Sehr originell“, murmelte Erasmus, klopfte an und trat ein.

Sechs Paar Augen richteten sich auf ihn. Zwei Männer und vier Frauen saßen auf Stühlen, die im Kreis aufgestellt waren.

Eine der letzteren erhob sich und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. „Hi. Ich bin Doktor Angelina Walter. Nenn mich aber bitte Angi.“

Ihr Händedruck war fest, der erste Eindruck sympathisch. „Erasmus“, stellte er sich vor. „Doktor Schimpf hat mir deine Gruppe empfohlen.“

„Er hat mich vorgewarnt, dass du vielleicht vorbeischaust.“ Sie wies auf einen freien Stuhl. „Nimm bitte Platz.“

Angelina setzte sich wieder hin und wartete, bis er sich ebenfalls niedergelassen hatte, bevor sie weitersprach: „Da wir zwei neue Teilnehmer haben schlage ich vor, wir machen eine Vorstellungsrunde. Wer möchte anfangen?“

Die Frau neben Erasmus räusperte sich. Als sie zu reden begann, überzog Röte ihre Wangen. „Hallo, ich bin die Svenja und hab Bulimie.“

Bulimie? Erasmus stöberte in seinem Gedächtnis. Ach ja! Das war diese Fress-Kotz-Krankheit.

„Ich bin Mareile und spielsüchtig“, erzählte die Frau neben Svenja.

„Und ich bin der Ingo und Alkoholiker.“ Der Typ neben Mareile hielt beim Sprechen den Blick gesenkt.

Alkoholiker? Wie funktionierte das denn? Seit wann gab es Blut mit Promille?

Angelina wandte sich an die dritte Frau: „Tonia? Machst du weiter?“

„Ähm ja. Ich bin die Tonia und kann nachts nicht schlafen.“

Angelina fixierte den Mann neben Tonia. „Barisch?“

„Hi, hallo, ich bin Barisch und Vegetarier.“

Weia! Der Typ hatte echt ein Problem. Oder gab es mittlerweile pflanzliches Blut?

„Und jetzt du, Erasmus“, bat Angelina.

„Ich heiße Erasmus und bin in einen unerreichbaren Mann verliebt.“

Wieder starrten ihn sechs Augenpaare an. Hatte er etwas Falsches gesagt?

„Einen Mann?“, echote Angelina. „Also bist du schwul?“

„Sieht ganz so aus, oder?“ Erasmus grinste in die Runde.

Barisch meldete sich, wie ein braver Schüler, indem er eine Hand hob. Angelina warf ihm einen auffordernden Blick zu.

„Öhm ... ich bin es auch. Also, schwul“, gestand Barisch. „Womit ich zwei Probleme habe.“

„Homosexualität ist kein Problem“, widersprach Angelina. „Über solche altmodischen Ansichten sind wir doch längst hinaus.“

„Die schönsten Männer sind schwul oder besetzt“, meinte Tonia, wobei sie Erasmus bedauernd anguckte.

„Siehst du? Genau das Problem habe ich“, erklärte Barisch. „Ich werde gar nicht wahrgenommen, egal ob von Männern oder Frauen.“

„Okay.“ Angelina seufzte. „Ich sehe ein, dass das kein Grund zur Freude ist.“

Während der nächsten Minuten, in denen Tonia von ihren Erfolgen und Misserfolgen berichtete, musterte Erasmus Barisch. Völlig hässlich war der Typ nicht. Beispielsweise hatte er ziemlich hübsche, braune Augen, die ihn an die seines Herzbuben erinnerten. Überhaupt besaß Barisch viel Ähnlichkeit mit Kaspar. Er war ebenfalls klein, überaus schlank und braunhaarig. Charaktermäßig hingegen schien er ins Gegenteil auszuschlagen. Kaspar war eine Frohnatur, Barisch offenbar ein Schwarzseher.

Als nächstes war Svenja dran. Erneut blendete er aus. Barischs vegetarisches Problem beschäftigte ihn. Gab es für solche Fälle Ersatznahrung oder war Blut einzigartig? Was genau von den Inhaltsstoffen benötigten Vampire eigentlich? Falls das jemand bereits erforscht hatte, dürften die Ergebnisse nirgends zu finden sein. Schließlich existierten sie gar nicht. Irgendwie bescheuert.

Bei Ingo horchte er auf. Früher, in der guten alten Zeit, wäre es kein Problem gewesen, vor Kneipen und Restaurants Zecher abzufangen und auszusaugen. Heutzutage käme man dafür in den Knast. Ingo hielt sich deshalb einen Wirt, der inzwischen aber unter Leberzirrhose litt und bald abkratzen würde. Das hatte Ingo zur Vernunft gebracht. Seit zwei Monaten war er trocken.

„Willst du uns etwas erzählen?“, richtete Angelina das Wort an Erasmus.

„Also, eigentlich gibt’s da kaum was zu erzählen. Ich hab mich einfach in den falschen Mann verliebt. Ende der Geschichte.“

„Dann berichte uns doch von diesem Mann“, schlug sie vor.

Angesichts der auf ihn gerichteten, erwartungsvollen Blicke fühlte sich Erasmus animiert zu plaudern. „Also, Kaspar ist ein total attraktiver, positiv eingestellter Typ. Obwohl er von der Hand im Mund gelebt hat, war er immer gut drauf. Sogar als ihm sein Chef ein Veilchen verpasst hat. Auch nach seiner Wandlung ist er ein richtiger Sonnenschein. Ach ja, hab ich schon erwähnt, dass er unglaublich attraktiv ist?“

Gegenüber rollte Barisch mit den Augen. Angelina lächelte und die anderen schmunzelten ebenfalls. Anscheinend war er ganz schön ins Schwärmen gekommen.

„Danke, Erasmus“, ergriff Angelina erneut das Wort. „Barisch? Machst du weiter?“

Mit deutlichem Unbehagen zog selbiger die Schultern hoch und begann, die Wimpern gesenkt, zu reden: „Meine Mutter ist Umweltaktivistin und Alt-Hippie. Sie behauptet zwar, überaus tolerant zu sein, aber beim Essen kennt sie kein Pardon. Bei ihr kommt nur Öko und Pflanzlich auf den Tisch. Ich wohne zwar nicht mehr bei ihr, hab aber jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich gegen ihre Regeln verstoße.“

„Also nimmst du Blut zu dir?“, wollte Angelina wissen.

„Muss ich ja“, brummelte Barisch. „Besonders schlimm ist es, wenn ich sie besuche. Ich muss mir jedes Mal etwas ausdenken, um bei ihr nichts essen zu müssen. Allmählich gehen mir die Ausreden aus.“

„Weiß sie denn nichts von deinem Status?“

Barisch schüttelte den Kopf. „Ich wollte es ihr schon ein paarmal erzählen, aber wie soll ich ihr es denn sagen? Sie wird mir eh nicht glauben.“

„Du hast doch schlagende Beweise“, entgegnete Erasmus. „Zeig ihr einfach dein Gebiss.“

„Sie wird es für eine Attrappe halten“, erwiderte Barisch.

„Was sagt dein Mentor dazu?“, wollte Angelina wissen.

„Der hat sich aus dem Staub gemacht.“

„Das geht ja gar nicht!“, entrüstete sie sich. „Hast du dem Chef Bescheid gesagt?“

Barisch schüttelte den Kopf. „Ich mochte Arnold eh nicht.“

„Dann bekommst du jemanden zur Seite, mit dem du besser klarkommst. Ich werde mich darum kümmern“, entschied Angelina, zückte ihr Smartphone und begann, darauf herumzutippen.

„Das kann ich doch übernehmen“, meldete sich Erasmus. Solche Aufgabe war genau richtig, um ihn von seinem Kummer abzulenken.

Angelina schaute auf. „Gute Idee!“ Sie wandte sich an Barisch. „Was sagst du dazu?“

„Ich weiß nicht recht, aber wir können es ja mal versuchen.“

Für Barischs Verhältnisse kam das wohl fast einem Jubelschrei gleich. Erasmus schenkte dem Mann ein aufmunterndes Lächeln. „Wir schaffen das schon.“

Während der restlichen Sitzung schaltete er auf Durchzug. Er grübelte, wie er Barisch aus seinem Schneckenhaus holen könnte. Außerdem stand das Outing vor der Mutter auf dem Plan. Das sollte als erstes erledigt werden, da es Barisch deutlich belastete.

„Erasmus? Möchtest du auch noch etwas sagen?“, riss Angelina ihn aus seinen Gedanken.

„Öhm ... nein.“

„Möchtest du dir vielleicht auch ein Ziel stecken, über das wir nächste Woche reden?“

„Ich hab doch schon eines, nämlich Barisch auf die Spur zu bring... ähm, zu helfen.“

Gegenüber zog Barisch die Augenbrauen zusammen und funkelte ihn böse an.

„Ihn zu unterstützen“, besserte Erasmus eilig nach.

„Sehr schön“, freute sich Angelina, klatschte in die Hände und stand auf. „Wir sehen uns dann nächste Woche um die gleiche Zeit.“

Der Raum leerte sich so rasch, als ob die Teilnehmer auf der Flucht wären. Zurückblieben Barisch und Erasmus. Sogar Angelina war davongeeilt.

„Dann tauschen wir wohl mal besser unsere Handynummer aus“, meinte Erasmus und zückte sein Smartphone.

Kurz darauf verließen sie das Gebäude. Vor der Tür trennten sich ihre Wege. Erasmus ging zum Parkplatz, Barisch in die andere Richtung.

Auf der Heimfahrt dachte er darüber nach, wieso es ihn bei Kaspar so schwer erwischt hatte. Davor war er doch etliche Jahre verschont geblieben. Okay, etliche war eine beschönigende Umschreibung für annähernd zwei Jahrhunderte.

1813 hatte Erasmus in einem winzigen Dorf im Königreich Hannover das Licht der Welt erblickt. Seine Eltern waren arme Tagelöhner, die von der Hand im Mund lebten. Mit zwölf Jahren wurde er von ihnen an einen Kneipenwirt verschachert. Sein neuer Eigentümer ließ ihn Frondienste in Haus und Lokal verrichten. Als er älter wurde, kamen weitere Dienstleistungen hinzu. Anfangs verlangte der Wirt nur für sich selbst körperliche Gefälligkeiten. Später musste er auch Gästen zu Willen sein.

Er war 27 und völlig desillusioniert, als er auf Wilhelm traf. In der Nacht vom 1. August auf den 2. August 1840 wandelte dieser ihn zum Vampir. Damit begann sein neues Leben.

Als erstes blies Erasmus seinem Eigentümer das Licht aus und annektierte dessen Goldreserven. Ein paar besonders ekelhafte Gäste mussten als nächstes dran glauben. Danach folgte er Wilhelm, der ihn unter seine Fittiche nahm, nach Hamburg. Wilhelm lehrte ihn Lesen und Schreiben und brachte ihm bei, mit seinen neuen Kräften umzugehen. Außerdem vermittelte er Kontakt zu anderen Vampiren.

Erasmus eröffnete ein Lokal, mit dem er großen Erfolg hatte. In den hinteren Räumen fanden Treffen von Seinesgleichen statt. Aus dem Lokal wurde nach rund zwanzig Jahren ein Hotel, dann kam ein zweites hinzu. Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges verscherbelte er beide Objekte und erwarb einen Bauernhof vor den Toren Hamburgs. Eine gute Entscheidung, denn während der Kriegsjahre waren Lebensmittel heiß begehrt. Der Tourismussektor hingegen stagnierte aus wohl verständlichen Gründen.

Den zweiten Weltkrieg überstand Erasmus, so wie den ersten, nur Dank Einsatz seiner eigenen Körperkräfte. Arbeiter waren Mangelware, da alle in den Munitionsbetrieben benötigt wurden.

Einige Jahre betrieb er den Hof so, wie es alle anderen Bauern taten. Wegen des zunehmenden Umweltbewusstseins der Bevölkerung beschloss er in den 80iger, auf Öko umzusatteln. Wieder eine goldrichtige Entscheidung. Sein Betrieb florierte und wuchs.

Mittlerweile beschäftige Erasmus zehn Festangestellte, die mit einem hochmodernen Maschinenpark arbeiteten, sowie Saisonkräfte. Ab und zu packte er auch selbst mit an, sofern es die Büroarbeit zuließ. Bei dem Papierkram half ihm seit fünf Jahren Samantha, die Gattin eines Angestellten, in Teilzeit.

Zurück zu seiner unseligen Verliebtheit: Vielleicht hatte er sein Herz lange verschlossen, weil er erst über die ekligen Erfahrungen seiner Jugend hinwegkommen musste. Vielleicht hatte er deshalb derart viele Männer gefickt. Mit keinem von ihnen war er zweimal in die Kiste gestiegen.

„Scheiße“, murmelte er, als ihm aufging, in welche gedanklichen Abgründe ihn die Gruppentherapie laviert hatte. „Reiß dich zusammen!“

Wenige Minuten später stellte er seinen Wagen in dem Carport, der sich neben seinem Haus befand, ab und starrte einen Moment ins Leere. Ein Gutes hatte seine Teilnahme an dem Treffen der anonymen Sanguistiker: Ungefähr eine halbe Stunde hatte er nicht an Kaspar gedacht.



2.

Barisch wusste nicht recht, ob er das große Los oder die Arschkarte gezogen hatte. Erasmus war einer der Typen, die ihn sonst wie Luft behandelten. Nur weil sie den gleichen Status besaßen, verbrüderte man sich doch nicht gleich. Was Erasmus‘ Problem betraf: Er hielt es für ein Hirngespinst oder eine Lüge, um sich wichtig zu machen. Solche Männer wie Erasmus konnten sich garantiert vor Bewerbern kaum retten.

‚Das geht dich einen feuchten Kehricht an‘, ermahnte ihn sein Gewissen.

„Ja, ja“, gab er zurück und erntete dafür einen irritierten Blick von einem Passanten, der ihm entgegenkam.

Als ob die Leute es inzwischen nicht gewohnt waren, dass jemand mit sich selbst sprach. Auf dem Weg zur Arbeit, im Supermarkt oder auf der Straße: Ständig sabbelten irgendwelche Menschen, allerdings zumeist mit einem Teilnehmer am anderen Ende der Drahtlos-Telefonverbindung. Bei vielen sah man das nicht, weil sie winzige Ohrstöpsel trugen oder ihre Handys in Schals, Kragen oder sonst was verbargen.

Es war schon eine merkwürdige Zeit. Anstatt sich mit dem realen Leben auseinanderzusetzen, mit Anwesenden zu kommunizieren, flüchteten sich viele in die Smartphone-Welt. Mittlerweile war es normal, dass sich Teenager trafen, nur um sich gegenseitig die Displays ihrer Handys zu zeigen.

Wie aufs Kommando vibrierte es in seiner Hosentasche. Bestimmt seine Mutter. Da er eh in ein paar Minuten zu Hause war, verschob er das Telefonat. Wahrscheinlich würde er nie wieder etwas von Erasmus hören. Er zweifelte auch an, dass sich der Typ beim nächsten Treffen blicken ließ. Vielleicht handelte es sich bloß um eine blöde Wette oder einen Anfall gähnender Langeweile.

Kaum hatte er seine Wohnung betreten, summte es erneut in seiner Gesäßtasche. Er zog das Handy heraus und hielt es sich ans Ohr. „Hallo Mama.“

„Na, mein Junge. Wollte nur hören, wie’s dir geht.“

„Bestens. Ich komme gerade nach Hause.“

„So spät?“

„Ich war noch mit Kollegen einen Kaffee trinken.“

„Männliche Kollegen?“, hakte sie nach.

„Auch. Gemischt.“

„Wann stellst du mir endlich meinen zukünftigen Schwiegersohn vor?“

„Dann, wenn ich ihn gefunden habe.“

„Übrigens: Der Sohn meiner Nachbarin ist auch schwul. Er ist zwar ein bisschen altbacken, sieht aber ganz gut aus.“

„Mama! Lass das!“ Ständig versuchte sie, ihn mit irgendwelchen Typen zu verkuppeln.

„Du könntest ihn dir wenigstens mal angucken.“

Barisch schnaubte lediglich.

„Kommst du morgen zum Abendessen? Oder hast du immer noch deine Magenverstimmung?“

Das war doch eigentlich sein Stichwort, dennoch brachte er das Geständnis nicht über seine Lippen. Er brauchte wirklich Hilfe. „Ich komme gern.“

„Wunderbar. Ich mach dir auch dein Lieblingsessen: Pfannkuchen mit Apfelmus.“

Normalerweise hätte sein Magen diese Botschaft freudig aufgenommen, doch stattdessen protestierte er. Scheiß-Organ! „Sehr schön. Dann sehen wir uns morgen.“

„Hab dich lieb, mein Schatz.“ Seine Mutter schickte ihm einen Luftkuss und legte auf.

Barisch legte das Mobilteil auf die Garderobe, schlüpfte aus Jacke und Schuhen und ging in die Küche. Als ihm bewusst wurde, dass er dort gar nichts wollte, schüttelte er über sich selbst den Kopf. Allmählich wurde er senil, und das im Alter von nur 35 Jahren. Fing sowas nicht erst mit 50 an?

Im Wohnzimmer setzte er sich auf die Couch und überlegte, wie er seinen Zustand seiner Mutter am besten erklärte. Neulich war ich im Stadtpark spazieren und da hat mich was gebissen. Seitdem bin ich ein Vampir, klang nicht sonderlich eloquent. Leider entsprach es aber den Tatsachen.

Er war durch den Rosengarten geschlendert, als ihn plötzlich von hinten jemand anfiel. Das nächste, woran er sich erinnerte, war, dass er auf dem Boden hockte und sich den schmerzenden Hals rieb. Sein Angreifer schien sich in Luft aufgelöst zu haben, denn er schaute sich vergeblich um.

Am folgenden Tag tauchte Arnold vor seiner Wohnungstür auf, um ihn über seinen neuen Status aufzuklären. Es war einerseits erleichternd, den Grund für seine Veränderung zu wissen, andererseits niederschmetternd. Seine Appetitlosigkeit hatte er einer Magenverstimmung zugeschrieben. Seinen akuten Hungeranfall, als sich ein Kollege in den Finger schnitt und Blutstropfen hervorquollen, hatte er allerdings nicht deuten können.

Arnold hatte ihm Seiten im Internet mit Nahrungsangeboten für Vampire gezeigt. Außerdem waren sie gemeinsam bei einem Gottesdienst gewesen. Wegen seiner zögerlichen Haltung hinsichtlich der neuen Fähigkeiten, hatte Arnold bald das Handtuch geworfen. ‚Dann finde doch alles allein raus‘, lauteten Arnolds Abschiedsworte.

Seine einzigen beiden Versuche, eine Beziehung zu führen, hatten ähnlich geendet. Sein erster Partner war verschwunden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Der zweite hatte ihn als langweiligen Schnarchsack bezeichnet, bevor er gegangen war.

Seufzend ließ er den Kopf auf die Couchlehne sinken und studierte die Decke. Was war an ihm bloß so verkehrt? Es gab doch Leute, die weitaus hässlicher und langweiliger waren als er und die trotzdem einen Gefährten fanden. Zugegeben: Ihm mangelte es an Spontanität und ein bisschen schüchtern war er auch. Er besaß aber durchaus positive Seiten. Sein Körper war okay, genau wie sein Gesicht. Außerdem war er intelligent, freundlich und - nach seiner Meinung - empathisch.

Abermals stieß er einen Seufzer aus, stand auf und begab sich auf den Balkon. Der Sommer legte gerade eine Pause ein. Es war wechselhaft bei Temperaturen um 18 Grad. Momentan nieselte es.

Barisch stützte sich auf die Brüstung und guckte runter. Seine Wohnung lag im 2. Stock. Nicht hoch genug, um bei seinem Sprung verlässlich zu sterben. Ein paarmal hatte er bereits mit einem Suizid geliebäugelt, stets im betrunkenen Zustand. Nüchtern würde er niemals darüber nachdenken, denn dafür lebte er zu gern. Apropos: War ein Vampir eigentlich ein wandelnder Toter? Eine Frage, die er gern erörtern würde. Sollte er Erasmus anrufen? Warum eigentlich nicht?

Barisch ließ sich wieder auf der Couch nieder und wählte Erasmus‘ Nummer. Die Mailbox sprang an. Da die Kiste ihm keine Antworten geben konnte, legte er wieder auf. Kaum hatte er das Smartphone sinken lassen, vibrierte es in seiner Hand. Auf dem Display stand Erasmus‘ Name.

Er hob das Gerät erneut an sein Ohr. „Hi. Du bist ja doch da.“

„Wollte nur erst gucken, wer mich so spät stört.“

Spät? Es war erst Viertel nach neun. „Darf ich dich was fragen?“

„Klar. Schieß los.“

„Sind wir eigentlich tot?“

Stille, dann gluckste Erasmus. „Können Tote sprechen?“

„Ich glaube nicht. Ich hab mich noch nie mit einem unterhalten.“

„Siehst du! Frage beantwortet?“

„Warum vertragen wir keine andere Nahrung als Blut?“

„Darüber hab ich noch nie nachgedacht. Hast du denn Appetit auf was anderes?“

„Nein“, gab Barisch zu. „Ich muss morgen zu meiner Mutter zum Essen. Weiß gar nicht, wie ich mich da wieder rausreden soll.“

„Ruf sie an und sag ihr, dass du was Besseres vorhast.“

„Ha-ha! Sehr lustig!“

„Du triffst dich nämlich mit mir.“

Ihm fiel die Kinnlade runter.

„Wir haben schließlich viel zu tun“, fuhr Erasmus fort. „Ich nehme meine Aufgabe sehr ernst.“

„Ähm ... damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“

„Hallo? Hältst du mich für ein Großmaul, oder was?“

„Das wollte ich damit nicht sagen, nur ...“ Leider fiel ihm nichts ein, um seinen Spruch abzuschwächen.

„Nur?“, hakte Erasmus lauernd nach.

„Ich dachte nur, dass du viel beschäftigt bist und nicht so bald Zeit hast.“ Das klang doch sehr neutral.

„Für dich nehme ich mir die Zeit. Weißt du was? Ich komme mit zu deiner Mutter.“

Abermals fiel Barisch die Kinnlade runter.

„Was ist?“, fragte Erasmus. „Hat’s dir die Sprache verschlagen?“

„Wenn ich dich mitbringe denkt sie, dass wir zusammen sind.“

„Na und?“

„Sie wird alles von dir wissen wollen. Meinen letzten Partner hat sie sogar nach seiner ...“ Barisch erschauderte bei der Erinnerung. „Nach seiner Schwanzgröße gefragt.“

„Deine Mutter macht sich eben Sorgen. Ist der Pimmel deines Freundes zu groß, wird er dich damit in zwei Teile spalten und ist er zu klein, bist du bald sexuell frustriert.“

„Sag mal, du hast wohl auf alles eine Antwort.“

Erasmus lachte. „Hör mal, Herzblatt, ich bin über 200 Jahre alt. Da ist einem kaum noch was fremd.“

„Dann müsstest du doch eigentlich Geschichtsbücher schreiben. Schließlich weißt du alles aus erster Hand.“

„Klar! Und dann lande ich entweder in der Klapse oder im Versuchslabor.“

Das war wohl anzunehmen. „Und wie soll das bei meiner Mutter laufen? Immerhin kocht sie extra für mich ... für uns.“

„Frag sie doch, ob es Blutwurst geben kann.“ Erasmus prustete leise. „War nur ein Scherz. Sag ihr einfach, dass ich gern mitkommen würde und den Rest regeln wir, wenn wir bei ihr sind.“

„Okay. Wie machen wir es? Treffen wir uns bei meiner Mutter? Oder holst du mich ab?“

„Ich hol dich ab. Wann und wo?“

Barisch nannten Uhrzeit und seine Adresse, dann verabschiedeten sie sich und legten auf. Versonnen guckte er ein Weilchen in die Ferne, bevor er seine Mutter anrief.

„Was gibt es denn noch, mein Schatz?“, meldete sie sich deutlich abgelenkt.

Um diese Zeit liefen ihre Lieblingsserien, daher hoffte er, ohne große Erklärungen davonzukommen. „Kann ich morgen jemanden mitbringen?“

„Natürlich. Du weißt doch, dass deine Freunde immer willkommen sind.“

„Dann bis morgen.“

„Mhm“, machte sie bloß und beendete die Verbindung.

Vermutlich hatte sie nur mit halbem Ohr hingehört.



Am nächsten Abend läutete um Punkt halb sieben Barischs Türglocke. Er war schon abreisebereit, schnappte sich seinen Schlüssel und rief in die Gegensprechanlage: „Ich komm runter.“

Vor dem Haus stand - wie sollte es auch anders sein? - ein schwarzer, protziger Mercedes SUV. Erasmus saß bereits hinterm Lenkrad und begrüßte ihn mit einem schiefen Grinsen. „Na? Alles klar?“

„Geht so. Ich hab ein mulmiges Gefühl im Bauch.“

„Warum? Denkst du, deine alte Dame wird ausrasten, wenn sie von deinem neuen Gebiss erfährt?“

„Glücklich wird sie nicht darüber sein, einen untoten Sohn zu haben.“ Barisch legte seinen Gurt an. „Wahrscheinlich wird sie das aber kaschieren, indem sie eine Mein-Sohn-ist-jetzt-ein-Vampir-Party organisiert.“

„Sowas macht sie?“, wunderte sich Erasmus, startete den Motor und fügte hinzu: „Wo muss ich überhaupt hin?“

Nachdem er die Adresse seiner Mutter angegeben und Erasmus sie ins Navi getippt hatte, fuhren sie los.

„Nochmal zu der Party: Würde sie sowas echt veranstalten?“, nahm Erasmus den Faden wieder auf.

„Als ich mich geoutet habe, hat sie auch solche Fete veranstaltet. Mann, war das peinlich! Im ganzen Haus hingen rosa Luftballons und bunte Kondome. Die Torte war mit einem Riesenschniedel aus Marzipan geschmückt. Ich kam mir vor wie ein Zirkuspferd, weil mich ihre Bekannten und Nachbarn angegafft haben, als wäre ich eine Attraktion.“

„Klingt doch lustig. So lange sie nur Vampire zur Party einlädt, ist es völlig in Ordnung.“

Barisch seufzte. „Bring sie bloß nicht auf solche Idee.“

„Ich glaube, ich mag deine Mutter.“

Das ließ er unkommentiert und guckte aus der Seitenscheibe. Der Sommer war zurückgekehrt, mit Temperaturen nahe 30 Grad. Offenbar kannte das Wetter nur Extreme: Entweder brütend heiß oder kühl und wechselhaft.

Auf der Arbeit, Barisch war bei der Post angestellt, gab es zum Glück eine Klimaanlage. Andernfalls wären die Kunden, die am Schalter Schlange gestanden hatten, bestimmt noch schlechter gelaunt gewesen. Natürlich gab es dazwischen immer welche, die sogar über die kühle Luft klagten. Man konnte es eben nie allen recht machen.

„Wie alt bist du eigentlich?“, riss Erasmus ihn aus seinen Gedanken.

„Wieso fragst du?“

„Wenn wir so dicke befreundet sind, dass ich mit zu deiner Mutter komme, muss ich schon ein paar Dinge über dich wissen.“

„Stimmt. Ich bin 35. Und du?“

„207.“

Flink rechnete Barisch im Geiste das Geburtsjahr aus. „Wow! 1813 bist du also geboren? Wie war es denn damals so?“

„Das erzähle ich dir ein anderes Mal. Wo arbeitest du?“

„Ich bin Postbeamter.“

„Da hätte ich auch selbst drauf kommen können“, murmelte Erasmus und fuhr lauter fort: „Ich betreibe einen Bio-Bauernhof in Tangstedt.“

„Tangstedt bei Pinneberg oder Tangstedt bei Norderstedt?“

„Letzteres.“

„Bio-Bauernhof? Darauf wäre ich nie gekommen.“

„Weil ich keine grüne Latzhose trage?“, erkundigte sich Erasmus schmunzelnd.

Barisch zuckte mit den Achseln. „Für mich siehst du eben nicht wie ein Landwirt aus. Meine Mutter wird dich anbeten dafür, dass du solchen Öko-Kram machst.“

„Was ist mit deinem Vater?“

„Der ist gestorben, als ich noch ganz klein war.“

„Ich denke, dann haben wir alle nötigen Daten, um als gute Bekannte durchzugehen.“

„Meine Mutter wird dich für meinen Lover halten. Es ist so ...“ Barisch verknotete seine Finger im Schoß. Ein Verlierer zu sein war das eine, es zuzugeben das andere. „Ich habe nicht sonderlich viele Freunde.“

„Wer hat die schon?“ Erasmus warf ihm einen kurzen Blick zu. „Selbst unter unseresgleichen habe ich kaum welche.“

„Dabei ist Blut doch dicker als Wasser“, witzelte Barisch lahm.

Sein Chauffeur grinste. „Nett. Das muss ich mir merken.“

In den folgenden Minuten, die die Fahrt noch dauerte, herrschte Schweigen. Leise dudelte Musik aus dem Radio, so dass es nicht unangenehm wurde. Ach, auch ohne die musikalische Untermalung hätte Barisch es gut ausgehalten. Bei Erasmus hatte er nicht das Gefühl, sich in irgendeiner Form beweisen zu müssen. Schließlich waren sie nur für kurze Zeit Weggefährten und das auch bloß aus praktischen Gründen.

Seine Mutter wohnte in einer Nebenstraße in Sasel, in geräumigen zwei Zimmern mit Terrasse, großer Küche und ebensolchem Bad. Ein Glücksgriff, sowohl von der Gegend, als auch preislich. Im Scherz meinte sie oft, dass er die Bude ja bald erben würde. Er hoffte, dass darüber noch viele Jahrzehnte ins Land gingen. Seine Mutter war erst 65 und erfreute sich bester Gesundheit. Insofern dürfte sein Wunsch erfüllt werden.

Erasmus fand direkt vor dem Haus ein Parklücke, stellte den Motor ab und meinte: „Hübsch.“

Das war es wirklich. Gepflegter Vorgarten, alter Baumbestand und in Pastellfarben gestrichene Fassade.

Kaum hatten sie die Haustür erreicht, ertönte der Summer. Bestimmt hatte Barischs Mutter sie bereits vom Küchenfenster aus entdeckt. Erasmus öffnete die Tür und deutete einen Diener an, was er mit einem leichten Neigen seines Kopfes honorierte und ins Treppenhaus ging.

Seine Mutter stand in der offenen Wohnungstür und bekam angesichts seiner Begleitung große Augen. „Mein lieber Herr Gesangsverein! Du hast mir nicht gesagt, dass du Adonis mitbringst.“

„Er heißt Erasmus“, stellte Barisch vor.

„Freut mich.“ Seine Mutter küsste ihn auf die Wagen, ohne Erasmus aus den Augen zu lassen und reichte jenem die Hand. „Ich bin Esther. Du bist nicht zufällig hetero?“

„Sorry. Damit kann ich nicht dienen“, erwiderte Erasmus grinsend.

Im Flur wehte ihnen eine Wolke Essensduft entgegen. Die Dunstabzugshaube lief zwar auf Hochtouren, schaffte es aber nicht, den Geruch der bratenden Kartoffeln zu eliminieren.

„Setzt euch“, bat seine Mutter. „Ich bin gleich fertig. Das sind die letzten.“ Bei diesen Worten wies sie auf den Herd, auf dem zwei Pfannkuchen brutzelten.

Mit einem hilflosen Blick in Erasmus‘ Richtung ließ sich Barisch am gedeckten Tisch nieder. Gleich würde die Bombe platzen. Ihm war mulmig zumute. Warum hatte er seiner Mutter nicht schon eher die Wahrheit gesagt?

„Ich hoffe, du magst Pfannkuchen“, wandte sie sich an Erasmus.

„Tja ... leider esse ich strikt unvegetarisch.“

Über ihrer Stirn erschien ein Fragezeichen.

„Setz dich doch bitte.“ Erasmus wies auf einen der zwei freien Stühle. „Ich fürchte, dein Sohn hat dir etwas verschwiegen.“

Seine Mutter stellte den Herd ab, schnappte sich ein Geschirrtuch und nahm neben Erasmus Platz. Ihr Blick fixierte ihn, wobei sie das Tuch in ihren Händen zerknüllte. „Bist du etwa diesen Scientologen beigetreten?“

„Nein, so schlimm ist es nicht“, beruhigte sie Erasmus. „Er ist nur gebissen worden.“

Erschrocken riss sie die Augen weit auf. „Ein Zeckenbiss? Warst du beim Arzt?“

Seine sonst sehr taffe Mutter bekam bei Krankheiten eine Krise. Als Kind hatte sie ihn schon mit dem kleinsten Schnüpfchen zu Tode bemuttert.

„Eine Riesenzecke in Gestalt eines Menschen“, erwiderte Erasmus.

Sie guckte zwischen ihnen hin und her. „Ihr wollt mich veräppeln.“

„Mama, es ist so“, schaltete sich Barisch ein. „Ich bin beim Spazierengehen von hinten angefallen worden und danach ... ähm ... danach war ich anders.“

„Anders?“, echote sie mit verständnisloser Miene.

„Du hast doch bestimmt schon mal von Vampiren gehört, nicht wahr? Twilight und so.“ Erasmus guckte sie eindringlich an, woraufhin sie nickte, weiterhin die Stirn gerunzelt. „Es gibt sie wirklich, aber mit weniger Glitzer. Dein Sohn ist jetzt einer von ihnen.“

Sie begann zu kichern. „Ihr wollt eine alte Frau verscheißern, aber ich fall nicht darauf rein. Können wir jetzt essen?“

„Mama! Bitte! Erasmus sagt die Wahrheit“, stieß Barisch hervor.

„Klaaar! Und im Himmel ist Jahrmarkt.“ Sie machte Anstalten aufzustehen, doch Erasmus hielt sie am Arm zurück.

„Bitte nicht erschrecken.“ An Barisch gewandt bat er: „Zeig mal deine neuen Zähne.“

„Auf Kommando kann ich das nicht.“

Zeig! Deine! Neuen! Zähne!“, fuhr Erasmus ihn so harsch an, dass er zusammenzuckte.

Im nächsten Moment wallte Zorn hoch. Was fiel dem Arschloch ein, ihn derart zusammenzustauchen? Eh er sich’s versah, entwich ihm ein Fauchen und er bleckte die Zähne. An den erschrocken geweiteten Augen seiner Mutter erkannte er, dass seine Eckzähne spitz hervorstachen.

„Ach du große Scheiße!“, flüsterte sie. „Das sieht echt gruselig aus.“

„Das ist gruselig!“, gab er zurück, wobei er sich darauf konzentrierte, die Zähne wieder einzufahren.

Da er seine Nahrung in flüssiger Form zu sich nahm, hatte er mit seinem neuen Gebiss wenig Erfahrung. Arnold hatte ihn zwar ständig animiert, die Fangzähne auszufahren, war aber damit auf Granit gestoßen. Wohl auch ein Grund dafür, vorzeitig das Mandat niedergelegt zu haben.

„Mein Gott, Schatz! Wie konnte das denn passieren? Warst du damit beim Zahnarzt?“

Erasmus räusperte sich, so dass sie sich ihm zuwandte. „Soll ich dir meine Zähne auch noch zeigen?“

Sie winkte ab. „Lasst es gut sein. Die Pfannkuchen werden kalt.“

Schwups!, lagen Erasmus‘ Klamotten ohne Inhalt auf dem Stuhl. Als Fledermaus kreiste er einmal im Raum, bevor er sich kopfüber an die Stromleitung, die zur Pendelleuchte führte, hängte. Mit offenem Mund starrte seine Mutter nach oben. Barisch war ebenfalls gebührend beeindruckt. Bisher hatte er sich noch nie gewandelt, weil er sich davor fürchtete. Vielleicht schaffte er es nicht, wieder in Menschengestalt zu wechseln. Das wäre ein Desaster. Und was würde passieren, wenn er - falls es ihm doch gelang - kurz vorher irgendein Insekt fing? Schon der Gedanke verursachte ihm Brechreiz.

„Ich fass es nicht“, murmelte seine Mutter, beäugte Erasmus‘ Kleidung und dann wieder die Fledermaus. „Kannst du das auch, Schatz?“

„Bestimmt, aber ich hab’s noch nie getan.“

„Erasmus? Kommst du bitte wieder runter?“, wandte sie sich an selbigen.

Mit einem eleganten Sturzflug kehrte Erasmus zum Stuhl zurück, wandelte sich, grabschte nach dem Klamottenhaufen und huschte davon.

„Mein lieber Schwan! Hast du das gesehen?“ Barischs Mutter glotzte in die Richtung, in der Erasmus verschwunden war.

„Er kann wirklich toll fliegen.“

„Ich meinte seinen Johannes. Was für ein Oschi!“

Mama!

„Eine alte Frau wird ja wohl noch gucken dürfen“, verteidigte sie sich. „Weiß du, wie lange ich keinen mehr gesehen habe?“

Das mochte sich Barisch lieber nicht vorstellen. „Bitte, behalt’s für dich.“

„Sei nicht so prüde.“ Endlich hörte sie auf, in den Flur zu starren. „Ich fürchte, die Pfannkuchen darf ich wohl allein essen.“

„Tut mir leid. Ich wollte es dir wirklich schon lange sagen.“

„Wie lange bist du denn schon ...?“ Sie zögerte. „... hast du denn schon diese Zähne?“

„Zwei Monate.“

„Und warum bist du nicht gleich zu mir gekommen? Vielleicht hätte man noch was dagegen tun können, wenn wir rechtzeitig zum Arzt ...“ „Mama! Das ist keine Krankheit. Ich bin ein Vampir!“, fuhr er ihr ins Wort.

„Ich brauch ’nen Schnaps“, murmelte sie, stand auf, warf das Geschirrtuch in die Spüle und holte aus dem Schrank darunter eine Flasche hervor. „Willst du auch?“

Barisch schüttelte den Kopf. Seit wann bevorratete seine Mutter an solcher Stelle Spirituosen? Oder zählte sie den Korn, von dem sie sich großzügig in ein Glas schenkte, zu den Reinigungsmitteln?

Endlich kam Erasmus zurück in die Küche und nahm wieder am Tisch Platz.

„Willst du sowas?“, erkundigte sich seine Mutter und schwenkte die Flasche.

Auch Erasmus verneinte. „Unsereiner verträgt sowas nur in Verbindung mit Blut.“

„Dann kann ich mir doch in den Finger schneiden und welchen reintropfen“, schlug Barischs Mutter vor.

„So funktioniert das nicht. Erst wenn der Alkohol durchs Trinken in den Blutkreislauf tranfseriert wurde, ist er für uns bekömmlich.“



3.

Um Barischs Mutter beim Essen Gesellschaft zu leisten, holte Erasmus die vorsorglich eingepackten Vorräte aus seinem Wagen: Blutsticks sowie zwei Blut-Shakes. Auf Spendertiere hatte er verzichtet, um sie nicht zu überfordern. Es hätte sie bestimmt gestört, wenn er in ihrer Küche einen Hamster aufgetaut und ausgesogen hätte.

Sie stocherte in einem Pfannkuchen herum, während Barisch und er an ihren Drinks nippten und dazu die Sticks knabberten.

„Und wie geht es jetzt weiter?“, wollte sie schließlich wissen, legte die Gabel beiseite und griff erneut nach der Kornflasche.

„Ich helfe Barisch dabei, sich in seinem neuen Status zurechtzufinden“, erklärte Erasmus. „Ansonsten bleibt alles bei Alten, bis auf die Nahrung.“

„Blutwurst“, brummelte Esther, kippte reichlich Korn in ihr Glas und nahm einen großen Schluck. „Es läuft auf Blutwurst hinaus.“

„Also bist du nicht sauer oder so?“, fragte Barisch.

Sie trank erneut, wobei sie ihren Sohn über den Glasrand hinweg ansah und verdrehte die Augen. „‘Türlich nicht. Du bist doch mein kleiner Liebling, egal, was mit deinen Zähnen passiert.“

„Na ja, es sind nicht nur die Zähne. Ich bin jetzt ja praktisch untot.“

Esther hob fragend die Augenbrauen.

„Du weißt doch: Vampire leben ewig, weil sie ja eigentlich nicht leben, also, Menschen sind, oder so.“

An Barischs Rhetorik mussten sie dringend feilen. „Esther hat schon recht. Du bist immer noch ihr Sohn, auch wenn du keine Pfannkuchen mehr magst.“

„Apropos: Die bringe ich mal den Nachbarn.“ Esther stand auf, holte den Teller, auf dem sich etliche Pfannkuchen stapelten, aus dem Backofen und ließ sie allein.

„Deine Mutter ist ganz schön trinkfest“, stellte Erasmus fest.

„Sie steht unter Schock. Dann kann sie einiges vertragen.“

„Meinst du, wir können uns gleich vom Acker machen?“

„Ich denke schon. Sie muss sowieso erstmal alles verdauen.“ Barisch seufzte. „Es wäre einfacher, wenn ich Geschwister hätte.“

„Ach, das ist auch nicht das Gelbe vom Ei“, winkte Erasmus ab. „Willst du den letzten Stick?“

Als Barisch den Kopf schüttelte, schnappte er sich das Teil und verschlang es mit zwei Bissen. Langsam wurde es Zeit für eine ordentliche Mahlzeit. Vorhin war er nicht dazu gekommen.

Schritte kündigten Esthers Rückkehr an. Sie bog in die Küche, ließ sich auf ihren Stuhl plumpsen und beäugte die halbleere Kornflasche. „Ich glaub, ich muss ins Bett.“

„Kommst du klar, Mama?“, erkundigte sich Barisch.

„Logisch! Ich bin schon groß.“ Über den Tisch griff sie nach seiner Hand. „Versprich mir, dass du nie wieder solche Geheimnisse vor mir hast.“

„Versprochen“, erwiderte Barisch feierlich.

„Gut-gut“, murmelte sie und wandte sich an Erasmus. „Es ist schön, dass du auf ihn aufpasst. Sei lieb zu meinem Jungen, okay?“

„Selbstverständlich. Sollen wir helfen, die Küche aufzuräumen?“

Sie winkte ab. „Das mach ich morgen. Ihr könnt mich gern alleinlassen. Ich brauch ein bisschen Ruhe.“

Kurz darauf saßen sie in seinem Wagen. Da Barisch abwesend aus dem Fenster glotzte, hielt Erasmus den Mund. Bestimmt musste der Arme erstmal verdauen, was er Esther angetan hatte. Zwar konnte er sich kaum an seine Eltern erinnern und wenn, dann nicht mit sonderlich viel Zuneigung, - sie waren harte Menschen gewesen - verstand aber wohl, dass Barisch an seiner Mutter hing. Schließlich besaß er Empathie, auch wenn sein Kumpel Ronaldo ihm die oft absprach.

Ronaldo ... sollte er Barisch mit zum Reiterhof nehmen? Excalibur, sein Hengst, würde sich über den Besuch freuen. Er könnte sein Pferdchen ohnehin öfter beglücken. Wozu besaß man ein Tier, wenn man es nur anderen überließ? Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war noch vor neun an einem Freitagabend, also nicht zu spät, um bei Ronaldo aufzuschlagen.

„Magst du Pferde?“ Kurz schaute er rüber zu Barisch, der sich ihm mit einem Stirnrunzeln zuwandte.

„Wieso?“

„Ich würde gern bei meinem Hottehü vorbeischauen.“

Du hast ein Pferd?“, wunderte sich Barisch.

„Sehe ich nicht so aus?“

„Vergiss es. Natürlich kannst du einen Gaul haben, genauso, wie du Bauer bist.“ Barisch seufzte. „Ich muss dringend an meiner inneren Einstellung arbeiten.“

„Ganz meine Meinung“, pflichtete Erasmus schmunzelnd bei.

„Falsche Antwort. Das Streuen von Salz in offene Wunden ist definitiv nicht deine Aufgabe.“

„Gut, dass du mir das sagst. Das wusste ich nicht.“

„Schön, dass wir drüber geredet haben.“ Wieder guckte Barisch durch die Seitenscheibe. „Wo steht denn dein Pferdchen? In Timbuktu?“

„So ähnlich. Mein Kumpel Ronaldo betreibt in Duvenstedt einen Reiterhof. Dort ist es gut untergebracht.“

„Ist dein Kumpel auch ...?“

Erasmus nickte. „Wir bleiben meist unter uns, aus dem einfachen Grund, weil wir nicht altern.“

Einige Momente herrschte Schweigen, in denen es in Barischs Kopf hörbar ratterte. Schließlich fiel der Groschen. „Ach so! Du meinst, weil es Verdacht erregt, wenn die Freunde älter werden, aber man selbst nicht.“

„Richtig. Damit können die meisten Leute schwer leben.“

Erneut trat Stille ein und hielt an, bis Erasmus in die Auffahrt des Reiterhofs einbog und an gewohnter Stelle parkte. Barisch guckte sich um und meinte: „Sieht gemütlich aus.“

„Warte ab, bis du meinen Hof siehst. Der ist richtig schnuckelig.“ Erasmus stieg aus und steuerte aufs Haus zu.

Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen. Als er läutete, ging in einem der Fenster Licht an. Hockten die da drinnen etwa im Dunkeln oder taten etwas nicht Jugendfreies? Ronaldo öffnete die Tür und wirkte tatsächlich ein wenig derangiert. Die Lippen waren geschwollen, seine Haare zerzaust, aber immerhin trug er Hose und T-Shirt.

„Hi. Störe ich?“, erkundigte sich Erasmus.

„Geringfügig.“ Ronaldo beäugte Barisch, der neben ihn getreten war. „Hallo.“

„Das ist Barisch, ein Neuling.“

„Ach, du hast die Schwingungen erzeugt“, stellte Ronaldo fest.

Einige von ihnen besaßen Antennen, mit denen sie Veränderungen in der vampirischen Bevölkerungsgruppe wahrnahmen. Erasmus war nicht damit ausgestattet. Dafür besaß er einen recht guten Gaydar, im Gegensatz zu Ronaldo. Man konnte eben nicht alles haben.

„Hallo“, erwiderte Barisch.

Ronaldo guckte über die Schulter. „Mausezahn? Zieh dir was über. Wir haben Besuch.“

Mausezahn? Erasmus grinste in sich rein. Der Name passte zu Kaspar. Allerdings würde er niemals dazu verfallen, seinen Partner mit dämlichen Kosenamen zu belegen.

„Wer ist es denn?“, kam zurück.

„Erasmus und Barisch.“ Ronaldo wandte sich wieder an sie. „Gebt uns ein paar Minuten.“

„Wir gehen so lange in den Stall“, entschied Erasmus und schlug, Barisch im Schlepptau, die entsprechende Richtung ein.

Das Tor stand offen. Drinnen empfing sie die Wärme, die etliche Tierkörper ausstrahlten. Während sie durch die Boxengasse schritten, erklang hier und da ein Schnauben. Excalibur schaute ihnen entgegen und stieß ein Wiehern aus, als sie den Hengst erreichten.

„Na, Alterchen? Hast du mich vermisst?“, säuselte Erasmus und tätschelte Excaliburs‘ Hals.

„Hübsches Tier.“ Barisch stupste ihn an. „Gibt es hier Möhren oder Äpfel? Sowas essen doch Pferde gern, oder?“

„Da hinten.“ Mit dem Kinn wies er die Gasse runter.

Barisch ging davon, um mit zwei Möhren in der Hand zurückzukehren. Angesichts der Leckerlis reckte Excalibur den Kopf weiter über die Boxentür.

„Funktioniert das wie bei Katzen?“, wollte Barisch wissen. „Lieben Pferde einen auch, wenn man sie füttert?“

„Zumindest erinnern sie sich an dich.“

„Glaubst du, dieser Robert soundso wäre auch der Schwarm aller Frauen, wenn er vor laufender Kamera eine Ratte ausgesaugt hätte?“ Barisch hielt Excalibur eine der Möhren hin. Der Hengst nahm sie vorsichtig entgegen.

„Glaubst du, Brad Pitt wäre der Liebling aller Weiber, wenn er vor laufender Kamera ein großes Geschäft erledigt hätte? Die unangenehmen Seiten des Lebens blenden Filme eben aus.“

„Essen ist doch nicht unangenehm.“ Barisch gab Excalibur die zweite Möhre.

„In unserem Fall ja schon, jedenfalls für Menschen.“

„Warum vertragen wir eigentlich nur Blut?“

Gute Frage. „Keine Ahnung.“

„Hast du mal versucht, was anderes zu essen?“

„Die Blutsticks enthalten pflanzliche Fasern. Anscheinend ist unser Körper in der Lage, sie zu verdauen.“ Mit einem sanften Schnauben erinnerte Excalibur an seine Anwesenheit. Begütigend kraulte Erasmus ihm den Hals. „Ja, ja. Morgen reiten wir mal wieder aus.“

„Wie kommt es, dass er gar keine Angst vor uns hat? Hunde laufen neuerdings vor mir weg. Nicht, dass mich das stören würde.“ Barisch grinste verlegen. „Ich bin mit Hunden noch nie sonderlich gut klargekommen.“

„Tiere spüren instinktiv, ob von uns Gefahr ausgeht. Da Pferde nicht zu unserer bevorzugten Beute zählen, lässt sie unser Status kalt.“ Ein letztes Mal tätschelte er Erasmus. „Bis bald, mein Augenstern.“

Sie kehrten zum Haus zurück, in dem inzwischen alle Fenster hell erleuchtet waren. Obwohl die Tür nur angelehnt war klopfte Erasmus, bevor er eintrat. Schließlich besaß er Manieren.

Ronaldo erschien im Türrahmen der Küche. „Ich hab einen kleinen Imbiss vorbereitet.“

Erfreut knurrte Erasmus‘ Magen. „Hast du auch etwas für meinen zartbesaiteten Begleiter?“

„Inwiefern zartbesaitet?“, hakte Ronaldo nach.

„Frag nicht so dumm“, erklang Kaspars Stimme. „Es gibt - neben den ganzen Hamstern-Mäusen-Meerschweinchen - auch Blut-Shakes.“

Kurz darauf saßen sie am Küchentisch. Heißhungrig verleibte sich Erasmus zwei Hamster ein und war daher nur Zuhörer, während Kaspar seinen Begleiter aushorchte. Wie lange Barisch schon dabei wäre, - zwei Monate - wodurch er gewandelt worden war, - einen Übergriff aus dem Nichts - und wie es ihm damit ging. Auf die letzte Frage antwortete Barisch mit einem Achselzucken.

„Also, ich find’s inzwischen richtig klasse“, erzählte Kaspar. „Wenn Ronaldo mir mal dumm kommt, werfe ich ihn mir über die Schulter und verfrachte ihn unter die kalte Dusche. Oder neulich, als ein Pferd gebockt hat, da hab ich es einfach hochgehoben und in den Stall getragen.“ Nach einem Blick auf Ronaldo fügte er hinzu: „Natürlich im Dunkeln, als alle schon weg waren.“

„Bisher hab ich meine Kräfte noch nicht ausprobiert“, gestand Barisch.

„Und die Fledermaussache?“, erkundigte sich Kaspar. „Die ist noch cooler.“

Barisch schüttelte den Kopf.

„Das musst du unbedingt ausprobieren“, drängte Kaspar. „Fliegen ist hammergeil.“

„Aber was ist, wenn ich mich nicht zurückverwandeln kann?“

„Eigentlich geht das von allein. Sobald du an Beine denkst, passiert es einfach.“

„Hast du als Fledermaus Insekten gefangen?“, wollte Barisch wissen.

„Natürlich. Auch meine zweite Gestalt will fressen.“

Angesichts Barischs angeekelter Miene seufzte Erasmus. Es lag noch viel Arbeit vor ihm, doch das war gut so. Es lenkte ihn ab. Apropos: Wieso schlug sein Herz in Kaspars Gegenwart nicht mehr schneller? Erstaunt horchte er in sich rein. War seine Verliebtheit verflogen? Anscheinend. Auch seine Eifersucht hatte sich verflüchtigt. Na, wenn das mal kein gutes Zeichen war. Oder bedeutete das nur, dass er zu keinen tiefen Gefühlen fähig war?

„Warum guckst du, als ob dein Pferd gestorben wäre?“, wandte sich Ronaldo an ihn.

Rasch setzte er eine gelassene Miene auf. „Ich dachte nur gerade an meine Hamster-Vorräte. Die sind fast am Ende.“

„Man könnte meinen, du bist nur aufs Essen fixiert“, spottete Ronaldo. „Na ja, als Biobauer kein Wunder.“

„Und du nur auf Sex. Kein Wunder, so als Hengst“, gab er in der gleichen Tonlage zurück.

Kaspar prustete leise. Barisch bemühte sich deutlich, Ronaldo nicht in den Schritt zu glotzen. Schließlich schaute er doch dorthin. Schnell sah er wieder hoch und errötete, als er dabei auf Erasmus‘ Blick traf. Wie niedlich. Er kannte wenige Vampire, die solche Regung zeigten. Ein langes Leben führte unweigerlich zu einer gewissen Abgeklärtheit.

„Danke für das Kompliment.“ Ronaldo lachte leise. „Was treibt euch her? Bloß die Sehnsucht nach Excalibur?“

„Ich bin für den Kollegen, der eigentlich für Barischs Einweisung zuständig war, eingesprungen“, erklärte Erasmus. „Sowas hab ich noch nie gemacht. Hast du eine Ahnung, was alles dazu gehört?“

„Kannst du dir das nicht selbst denken? Er muss lernen, mit seinen Fähigkeiten umzugehen. Dazu gehören die Wandlung und seine übermäßigen Kräfte. Schließlich wollen wir nicht, dass er bei der nächsten Schlägerei versehentlich jemandem das Genick bricht.“

Barisch horchte auf. „Schlägerei? In sowas gerate ich nie.“

„Man soll niemals nie sagen“, belehrte ihn Ronaldo.

„Okay. Dann fangen wir am besten mit der Wandlung an“, beschloss Erasmus. „Hast du heute Nacht noch was vor oder können wir gleich loslegen?“ Fragend guckte er Barisch an.

„Also, ich weiß nicht recht. Vielleicht möchte ich mich gar nicht wandeln.“

Angesichts dieser Unentschlossenheit keimte ein bisschen Verständnis dafür auf, dass sein Vorgänger das Handtuch geworfen hatte. „Papperlapapp! Du kannst es, also wirst du es zumindest versuchen.“

„Es ist gar nicht schlimm“, mischte sich Kaspar ein. „Beim ersten Mal bin ich voll gegen das Dach gedengelt, aber danach lief es wie geschmiert.“

„Mag sein, aber ...“ Barisch seufzte. „Vielleicht warten wir einfach noch ein bisschen. Ich bin ja erst seit zwei Monaten infiziert.“

„Infiziert?“, echote Kaspar. „Du bist gesegnet worden. Jeder wünscht sich ewiges Leben und du hast es einfach geschenkt bekommen.“

„Ich weiß nicht, ob die Ewigkeit mein Ziel ist. Eigentlich hat mir meine Lebensspanne gereicht“, wandte Barisch ein.

Innerlich verdrehte Erasmus die Augen. Hatte er sich mit seiner Aufgabe vielleicht übernommen? Ach, Quatsch! Gerade weil es wohl ziemlich hart werden würde, reizte sie ihn. „Wir lassen euch mal wieder allein. Bestimmt habt ihr noch so einiges vor.“ Feixend sah er von Kaspar zu Ronaldo und imitierte ein Wiehern.

„Stimmt. Ich wollte gerade Ronaldo in den Sonnenaufgang reiten, als ihr uns gestört habt“, entgegnete Kaspar mit einem dreckigen Grinsen.



Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock depositphotos
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure Dankeschön!
Tag der Veröffentlichung: 27.07.2020

Alle Rechte vorbehalten

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