Cover

Sommerabenteuer

Eine Anthologie der Homo Schmuddel Nudeln

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autoren und erwerben eine legale Kopie. Danke!

 

Fotos von shutterstock, depositphotos, Coverdesign: Lars Rogmann

Korrekturen: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Sissi Kaiserlos

Rechte an den Texten: Die Autoren

Kontakt für die Nudeln: sissi-kaiserlos@gmx.de

 

Vorwort

Dies ist der 29. Band der Homo Schmuddel Nudeln. Als alles begann, hat bestimmt niemand an solche Größenordnung gedacht. Auch nicht daran, dass rund 45.000 Euro an Spenden zusammenkommen.

Wie immer geht auch der Erlös aus diesem Band an die Schwestern der perpetuellen Indulgenz in Berlin. Die Schwestern helfen nicht nur schwulen Männern, sondern sind an zahlreichen karitativen Projekten beteiligt. Eine Liste, wohin die Spenden von ihnen verteilt werden, gibt es auf ihrer Internetseite.

Vielen Dank, dass du diesen Band gekauft hast. Damit erwirbst du etliche Karmapunkte.

Sissi und alle Mitstreiter sagen Danke

 

Sommerglück - Sissi Kaipurgay

Sherif verbringt die Semesterferien am Badeteich in Tonndorf. Ausgerechnet Jannes, einer seiner Feinde aus Schultagen, hat das Freibad auch zum Lieblingsaufenthalt auserkoren. Obwohl seit dem Abitur fünf Jahre vergangen sind, fühlt sich Sherif erneut wie der Außenseiter, der er einst war.



1.

Von seinem Platz aus, im Schatten der hohen Hecke, konnte Sherif fast das ganze Areal überblicken. Lediglich der Bereich hinter dem Gebäude mit Duschen, Kiosk und Umkleidekabinen befand sich außerhalb seines Sichtfelds. Es war eine alte Angewohnheit von ihm, sich stets den Rücken freizuhalten und mögliche Feinde früh zu entdecken. Auf diese Weise hatte er viele Jahre auf dem Schulhof überlebt.

Nach einem Rundumblick wandte er sich wieder seiner Lektüre zu. Psychologie interessierte ihn nicht nur beruflich, sondern auch privat. Sherif war sowieso der Meinung, dass man solches Fach lieben musste, um es zu studieren. Inzwischen hatte er den Bachelor in der Tasche und vor, im Herbst mit dem Masterstudiengang weiterzumachen. Dank seines Gönners war das kein Problem. Sein kinderloser Onkel besaß einige florierende Supermärkte und sponserte ihn, genau wie seine beiden Schwestern.

Überhaupt hatte er Glück mit seiner Familie. Obwohl alle Muslime waren, akzeptierten sie seine Neigung. Mittlerweile lebten die meisten in zweiter oder dritter Generation in Deutschland, was wohl ausschlaggebend für solche Toleranz war.

Ein kreischendes Kind lenkte seine Aufmerksamkeit zum Ufer. Dort stand ein Mädchen im rosa Badeanzug und vergoss Tränen. Neben ihr buddelte ein kleiner Junge im Sand. Er sah, wie die Mutter mit den beiden verhandelte. Letztendlich nahm sie das Mädchen an der Hand und ging mit ihm zum Kiosk. Vermutlich ein Bestechungsversuch mit Eis oder anderen Süßigkeiten. Schmunzelnd schaute er wieder in sein Buch.

Das Tonndorfer Strandbad wurde hauptsächlich von Familien frequentiert. Es gab weder Sprungtürme noch Wasserrutschen, womit es für ältere Kinder uninteressant war. Nur ein paar Halbwüchsige, die wohl allein noch nicht weiter weg durften, trieben sich regelmäßig in der Badeanstalt herum.

Als Kind und Jugendlicher war Sherif auch hierhergekommen. Seine Eltern wohnten gleich um die Ecke. Mittlerweile lebte er in einer Studenten-Wohngemeinschaft in Hamburgs Zentrum. Zum Baden fuhr er dennoch gern in seine alte Heimat. Er liebte die ruhige Atmosphäre der kleinen Anlage und nutzte oft die Gelegenheit, um hinterher bei seinen Eltern vorbeizugucken.

Nach einer Weile war er des Lesens müde, legte das Buch beiseite und spähte zum Ufer. Dort buddelten der Junge und das Mädchen in friedlicher Eintracht. Er guckte rüber zum Kiosk. Gerade war da nichts los.

Sherif schnappte sich seine Börse, schlüpfte in Flipflops und wanderte gemächlich in Richtung des Gebäudes, wobei er seinen Blick schweifen ließ. Plötzlich sprach ihn jemand von rechts an: „Hey, du bist doch der Sheriff!“

Abrupt blieb er stehen. Die Verwendung seines alten Spitznamens erzeugte Herzklopfen. Langsam wandte er sich dem Typen zu, erkannte Karsten und daneben Jannes.

„Oh! Hi!“, brachte er mühsam hervor. „Was für ein Zufall.“

„Gehst du zum Kiosk?“, erkundigte sich Karsten und redete weiter, ohne seine Antwort abzuwarten: „Bringst du mir eine Coke mit?“

„Ähm ... klar.“

„Willst du auch was?“, fragte Karsten über die Schulter den neben ihm liegenden Jannes, woraufhin der den Kopf schüttelte.

„Okay. Dann bis gleich“, murmelte Sherif, setzte seinen Weg fort und könnte sich selbst in den Hintern treten, für die beiden Arschlöcher den Boten zu spielen.

Direkt hatten die zwei ihm nie etwas getan, im Unterschied zu einigen anderen. Einmal hatte er Bekanntschaft mit dem Klobecken geschlossen, als ihn ein Klassenkamerad mit dem Kopf hineindrückte. Ein anderes Mal war sein Schulranzen Opfer einer Pinkelattacke geworden. Später, in den höheren Klassen, wurden die Anfeindungen subtiler. Man grenzte ihn durch Nichtbeachten aus oder riss dumme Sprüche bezüglich seiner Herkunft. Glücklicherweise hatte er sich erst nach dem Abitur geoutet. Was sonst noch alles passiert wäre, mochte er sich gar nicht ausdenken.

Auf dem Rückweg hielt er in einer Hand sein Eis, in der anderen eine Dose Cola. Karsten hatte sich hingesetzt und schaute ihm entgegen. Er war versucht, dem Mistkerl die Coke in den Schoß zu werfen, aber das hätte kindisch ausgesehen.

„Danke, Mann!“ Karsten nahm die Dose und reichte ihm im Gegenzug zwei Euro.

„Kein Problem.“ Sherif wollte weitergehen, aber Karsten hielt ihn auf: „Was machst’n so?“

„Studieren. Und du?“

„Ackern.“ Karsten verdrehte die Augen. „Ich hab nach meinem BWL-Studium bei Jannes‘ Vater angeheuert. Der ist ein echter Sklaventreiber.“

Das war garantiert Jammern auf hohem Niveau. Als Freund des Sohnes dürfte Karsten einige Privilegien genießen. „Mein Beileid. Man sieht sich.“ Sherif tippte sich an die imaginäre Mütze und setzte seinen Weg fort.

Stolz auf seine coole Erwiderung ließ er sich auf seiner Strandmatte nieder und begann, sein Wassereis zu lutschen. Obwohl er es nicht wollte, linste er immer wieder rüber zu Jannes und Karsten. Die beiden unterhielten sich, lachten ab und zu und schenkten ihm keinerlei Beachtung. Anstatt sich darüber zu freuen empfand er Verärgerung, worüber er sich noch mehr aufregte.

Demonstrativ wandte er den beiden den Rücken zu und versuchte, sich auf sein Buch zu konzentrieren. Das gelang sogar, weil ihn das Thema fesselte. Als er das nächste Mal in Richtung Jannes-Karsten schielte, waren die beiden verschwunden. Nicht mal verabschiedet hatten sie sich! Erneut wallte Ärger hoch, was ihn wieder maßlos nervte.

Der Tag war gelaufen. Da es eh schon drei war, packte er seinen Kram zusammen und machte sich auf den Weg zu seinen Eltern.



Am nächsten Morgen überlegte Sherif, ob er ein anderes Freibad aufsuchen sollte. Schließlich entschied er sich dagegen. Er ließ sich doch nicht von diesen Arschlöchern vertreiben! Wenn, dann mussten die woanders hingehen, nicht er.

Als er im Tonndorfer Strandbad eintraf, war kaum etwas los. Nur eine Familie und drei Jungs lagerten auf der Wiese. Er belegte seinen gewohnten Platz mit Beschlag und ging eine Runde schwimmen, bevor er sich seiner Lektüre widmete.

Er war so vertieft ins Lesen, dass er gar nicht mitbekam, wie sich die Anlage füllte. Beim nächsten Mal hochschauen war die Liegewiese gut gefüllt. Vergeblich hielt er nach Jannes und Karsten Ausschau und atmete auf. Anscheinend hatte es sich um eine Ausnahme gehandelt, dass die beiden am Vortag hier waren.

Sherif gönnte sich eine Portion Pommes rot-weiß, mit der er am Ufer entlangspazierte, während er sie verspeiste. Eine Mutter wachte über ihr Kind, das mit Schwimmflossen im seichten Wasser herumpaddelte. Zwei Jungs veranstalteten Lärm, weil sie um eine Luftmatratze kämpften. Etwas weiter draußen zogen einige Leute jenseits der Nichtschwimmerabgrenzung ihre Bahnen.

Auf dem Rückweg entsorgte er die leere Pappschale in einem Mülleimer, wobei ihm ein vertrauter brauner Schopf ins Auge fiel. Jannes lag bäuchlings, ungefähr einen Meter von seinem Lagerplatz entfernt, auf einem Handtuch. Im ersten Moment war er versucht abzudrehen. Im nächsten schalt er sich einen Blödmann, überhaupt daran zu denken. Hatte er Angst vor Jannes, oder warum reagierte so? ‚Weichei!‘, spottete eine Stimme in seinem Schädel. ‚Klappe!‘, gab er im Geiste zurück.

Betont lässig schlenderte er zu seiner Strandmatte, ließ sich darauf nieder und tat, als würde er Jannes gar nicht bemerken. Eine blöde Aktion. Prompt flüsterte es in seinem Kopf: ‚Idiot!‘

„Hi!“, meldete sich Jannes zu Wort, woraufhin er aufhören konnte, angestrengt in die andere Richtung zu gucken. „Ich war so frei, mich neben dir häuslich einzurichten.“

„Hallo. Wo ist denn Karsten?“

„Der muss arbeiten.“ Jannes begab sich in den Schneidersitz. „Ich hab Urlaub.“

„Und wieso fliegst du nicht in den Süden?“

„Wozu? Hier ist es warm genug. Wasser und Strand gibt’s auch.“

Soweit sich Sherif erinnerte, hatte Jannes zu den Klassenkameraden gehört, die mit ihren Eltern im Winter Skiurlaub machten und im Sommer in die Ferne flogen. Ein kleiner, elitärer Kreis. Zwar reisten viele in den Sommerferien in den Süden, doch meist pauschal und im europäischen Raum. Jannes‘ Familie hingegen besuchte die Malediven, Hawaii und ähnlich exotische Ziele.

Ihm fiel keine passende Antwort ein, daher fixierte er einen Punkt in der Ferne. Das war besser, als den irre attraktiven Jannes - der zu allem Überfluss nur eine winzige Badehose trug - anzustarren.

„Meine Mutter macht Chemo. Ich möchte in ihrer Nähe bleiben“, verriet Jannes, riss einen Grashalm ab und steckte ihn sich in den Mundwinkel.

„Oh! Also Krebs?“

Jannes nickte. „Voraussichtlich wird sie es schaffen, trotzdem ... Man weiß ja nie.“

„Das tut mir leid.“

Die Erwiderung bestand in einem Achselzucken.

„Wie alt ist sie denn?“ Obwohl es Veranstaltungen gegeben hatte, an denen ihre Eltern teilnahmen, konnte er sich nicht an Jannes‘ erinnern.

„65.“

Überrascht runzelte er die Stirn. Dann hatte sie Jannes ja mit 40 bekommen. Sicher, das war nicht ungewöhnlich, doch in Sherifs Universum steinalt für eine werdende Mutter. In seiner Familie wurden die Frauen meist mit Anfang zwanzig schwanger.

„Ich war der letzte Versuch nach etlichen Fehlgeburten“, erklärte Jannes, spuckte den Grashalm aus und griff nach einer Wasserflasche.

„Warum hast du deinen Urlaub nicht verschoben?“

Erneut zuckte Jannes mit den Schultern. „Wozu? Ich würde in der Firma alles durcheinanderbringen.“

„Arbeitest du auch bei deinem Vater?“ Jannes, die Flasche an den Lippen, wackelte mit den Augenbrauen, was Sherif als Ja wertete. „In der gleichen Abteilung wie Karsten?“

Kopfschütteln. Jannes ließ die Flasche sinken. „Er ist im Controlling, ich im Vertrieb.“

„Was ist das überhaupt für ein Unternehmen?“

„Malerbedarf. Wir verkaufen ausschließlich ans Gewerbe.“

Sie gerieten ins Plaudern. Zu Sherifs Erstaunen war es einfach, sich mit Jannes zu unterhalten. Der besaß ein weitgefächertes Interesse und einen immensen Wissensschatz. Vor allem konnte Jannes auch zuhören. Eine Gabe, die äußerst rar gesät war.

Schließlich geriet ihre Unterhaltung ins Stocken. Vorerst hatte Sherif genug gelabert und überlegte, wie er das am besten kommunizierte.

„Ich geh ’ne Runde schwimmen“, verkündete Jannes, stand auf und guckte auf ihn runter. „Passt du auf meinen Kram auf?“

„Klar.“

Auch von hinten war Jannes eine Augenweide. Sherif fiel auf, dass ihm noch andere Blicke folgten. Bestimmt war es eine Last, mit solch schönem Mann zusammen zu sein. Er bevorzugte daher normale Typen. Leider hatte er bisher noch nicht den Richtigen getroffen. Alle, mit denen er in die Kiste gesprungen war, wiesen entweder eklatante Makel auf - beispielsweise vorzeitigen Hirntod - oder wollten nichts Festes.

Als Jannes zurückkehrte, sprang Sherif auf. „Ich geh auch mal ins Wasser.“

Das war besser als zuzugucken, wie die Tropfen an der sanft gebräunten Haut runterperlten. Schließlich war er auch nur ein Mann mit Bedürfnissen. Sein Schwanz kooperierte leider nie mit seinem Verstand. Insofern war das kühle Nass hochwillkommen. Seine aufmüpfige Libido erhielt einen ordentlichen Dämpfer. Damit es nachhaltig wirkte, blieb Sherif extra lange im See, bevor er zurück an seinen Platz ging.

Jannes, der die Nase in ein Buch steckte, schaute kurz hoch und meinte: „Ganz schön kalt, was?“

War das eine Anspielung auf sein Gehänge, das versucht hatte, sich in sein Inneres zu verkrümeln? Sherif spähte an sich runter. Die nasse Badeshorts gab wenig preis. Vielleicht sollte er nicht jedes Wort auf die Waagschale legen.

In den folgenden Stunden stellte er fest, dass man mit Jannes auch gut schweigen konnte. Er las, döste ein bisschen und beobachtete die anderen Badegäste. Die Mutter mit den beiden Kindern war wieder da. Diesmal trug das Mädchen einen neongelben Badeanzug. Sherif sah, wie es dem Jungen eine Hand voll Sand ins Gesicht warf. Der Knabe wischte sich bloß mit der Hand über die Augen und buddelte weiter. Das schien dem Mädchen zu missfallen, denn es verpasste dem Jungen eine weitere Ladung.

In solchen Momenten war Sherif dankbar dafür, schwul zu sein. Ihm blieb solch zickiges Weibsstück erspart. Was mussten manche Männer alles ertragen, nur damit sie abends vielleicht mal ran durften.

„Ich krieg allmählich Kohldampf“, meinte Jannes. „Allerdings nicht auf Pommes. Was meinst du? Gehen wir irgendwo was Vernünftiges essen?“

Sherif war so verblüfft über dieses Ansinnen, dass es ihm die Sprache verschlug. Anscheinend interpretierte Jannes das falsch. „Sorry. Da bin ich wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen.“

„Nein! Alles okay. Ich bin nur so erstaunt, weil ...“ Ja, warum eigentlich? Immerhin hatten sie den halben Tag zusammen verbracht. „Weil ich nicht damit gerechnet habe“, beendete er lahm den Satz.

„Aber generell hättest du Lust?“

Er nickte. „Klar. Pommes hatte ich ja schon.“

„Was hältst du von dem Italiener zwei Straßen weiter?“

Beim dem Italiener gab’s durchgehend warme Küche, was - neben der guten Qualität - ein schlagkräftiges Argument war. „Okay.“ Sherif begann, seinen Kram einzupacken.



2.

Außer ihnen befanden sich nur zwei weitere Gäste im Lokal. Jannes steuerte einen Tisch am Fenster an und winkte dem Patron, der hinterm Tresen stand, im Vorbeigehen zu. Sherif, der häufig mit seiner Familie hier eingekehrte, schenkte dem Mann ein Lächeln und ließ sich gegenüber von Jannes nieder.

Kaum saß er, tauchte der Patron auf. Sie bestellten Getränke und vertieften sich in die Speisekarten. Im Grunde unnötig, da Sherif schon wusste, was er essen wollte: Die Pizza de la Casa. In der Karte zu lesen bot aber die Gelegenheit, heimlich sein Gegenüber zu taxieren. Jannes besaß unheimlich hübsche blaue Augen mit langen, dunklen Wimpern. Das braune Haar war vom Frottieren zerstrubbelt. Früher war Jannes‘ Schopf stets tadellos frisiert, wie frisch vom Coiffeur, gewesen.

Der breite Mund passte nicht so recht zum feingeschnittenen Gesicht, verlieh ihm jedoch besonderen Reiz. Was den Rest anging: Oberlecker! Schmale Hüften, glatte Haut und ein angedeuteter Sixpack. Im Prinzip ähnlich wie Sherifs Körper, nur wesentlich heller und hochaufgeschossen. Jannes dürfte um eins fünfundachtzig und damit rund fünfzehn Zentimeter größer als er sein.

Sherifs geringe Größe und dunkle Hautfarbe hatten in der Schule, neben seinem scheuen Wesen, Anlass für Spöttereien geliefert. Dabei war er nicht der einzige mit türkischen Wurzeln gewesen. Wahrscheinlich war es eine Kombination von allem, einschließlich seiner Unsportlichkeit, die die Kinder dazu reizte, ihn zum Außenseiter zu degradieren. Hätte er sich dagegen auflehnen sollen? Müßig, darüber nachzudenken. Die Vergangenheit ließ sich ja nicht mehr ändern.

Nachdem sie ihre Getränke bekommen und Bestellung aufgegeben hatten, herrschte weiterhin Stille. Mit gesenkten Wimpern drehte Jannes sein Glas in den Händen. Sherif wusste nicht, was er sagen sollte. Die Leichtigkeit, die zwischen ihnen geherrscht hatte, war verflogen. Lag es an ihrem Wechsel der Location?

„Ehrlich gesagt bin ich nicht unbedingt freiwillig in Urlaub gegangen. Mein Vater hat es mir nahegelegt“, beendete Jannes schließlich das Schweigen.

„Wieso das denn?“

Kurz schaute Jannes hoch. „Er kann nicht damit umgehen, dass ich nicht auf Frauen stehe. Daher hat er mich beurlaubt und erstmal verboten, mein Elternhaus zu betreten.“

Fassungslos starrte Sherif sein Gegenüber an. Gehörten Jannes‘ Eltern der katholischen Kirche oder einem ähnlich bornierten Verein an?

„Er macht mich dafür verantwortlich, dass es meiner Mutter so schlecht geht. Sie weiß schon länger, dass ich schwul bin. Angeblich hab ich sie mit diesem Wissen innerlich vergiftet.“

„Sag mal, hat dein Alter nicht mehr alle Tassen im Schrank?“, polterte Sherif los. „Gehört er zu den Zeugen Jehovas? Ich glaube, die haben solche kaputten Ansichten.“

Jannes schüttelte den Kopf. „Der ist von Natur aus so.“

„Darfst du wenigstens deine Mutter sehen?“

Erneutes Kopfschütteln. „Ich telefoniere mit ihr, wenn er nicht da ist. Wüsste er davon, würde er einen Tobsuchtanfall bekommen.“

„Also echt! Ich glaube eher, deine Mutter ist durch sein Verhalten krank geworden.“

„Ein bisschen Schuld gebe ich mir schon. Ich hätte es ihr nicht erzählen dürfen.“

„Sie ist immerhin deine Mutter! Normalerweise lieben Eltern ihre Kinder bedingungslos.“ Sherif schnaubte. „Andererseits gibt es auch welche, die ihre eigenen Kinder missbrauchen“, relativierte er. „Insofern handelt es sich um ein Vergehen minder schweren Grades. Trotzdem finde ich das von deinen Eltern Scheiße.“

Jannes hob die Wimpern und betrachtete ihn prüfend. „Dich stört es also nicht, dass ich schwul bin?“

„Nö.“ Sherif grinste schief. „Willkommen im Club.“

„Hab ich es doch geahnt“, murmelte Jannes, ebenfalls einen Mundwinkel hochgebogen.

„Hat dein Gaydar ausgeschlagen?“

„Sowas hab ich nicht.“

„Ich auch nicht. Na ja, manchmal schon, wenn mir jemand zu auffällig in den Schritt glotzt.“

„In solchen Fällen hab ich auch einen“, erwiderte Jannes. „Oder wenn ich in entsprechende Clubs gehe.“

„Tust du das?“

„Anfangs, als ich volljährig geworden bin, war ich fast jedes Wochenende unterwegs. Inzwischen nicht mehr. Ist ja doch immer das Gleiche.“

Das klang sehr abgeklärt. Angesichts der familiären Situation konnte Sherif aber verstehen, dass Jannes etwas desillusioniert war.

„Wie ist es bei dir gelaufen? Oder lebst du im Schrank?“, wollte Jannes wissen.

„Erstaunlicherweise lief es total easy ab. Meine Mutter meinte, sie hätte es schon lange gewusst. Nur mein Vater brauchte ein bisschen, um das zu verdauen. Zwei Töchter und der einzige Sohn schwul. Das ist für ihn schon eine ziemliche Katastrophe.“

„Wenigstens hast du Geschwister. Ich bin der einzige und somit Nachfolger in der Familiendynastie. Ich glaube, für meinen Vater ist die Welt untergegangen.“

Plötzlich ging Sherif auf, dass diese Probleme wohl der Anlass für Jannes‘ Auftauchen im Schwimmbad waren. Sah er etwa aus wie jemand, den man vollkotzen konnte? ‚Du studierst Psychologie‘, mahnte ihn sein Gewissen. ‚Damit stellst du dich praktisch als Kotzkübel zur Verfügung.‘

„Ich weiß, dass ich dich damals in der Schule blöde behandelt habe“, wechselte Jannes überraschend das Thema. „Ich konnte einfach nicht aus meiner Haut. Das ist keine Entschuldigung, ich weiß, aber es entspricht nun mal den Tatsachen.“

Sherif winkte ab. „Das ist doch Schnee von gestern.“

„Du guckst mich aber so an, als ob du dich sehr gut daran erinnerst.“

Oha! So viel Empathie hatte er Jannes gar nicht zugetraut. „Zugegeben: Ich hab’s nicht vergessen, arbeite aber daran.“

„Wo wohnst du eigentlich? Bei deinen Eltern?“

Ihre Unterhaltung wandte sich in diese Richtung und ging über zu allgemeinen Themen. Politisch waren sie auf einer Wellenlänge, filmtechnisch hingegen total konträr. Jannes liebte Horrorstreifen, Sherif Komödien. Das Gleiche bei Lektüre: Jannes bevorzugte Krimis oder Unheimliche Storys, Sherif lustige Geschichten.

Mit zunehmendem Alkoholpegel - zum Essen teilten sie sich einen Liter Rotwein - rutschte ihr Gespräch manchmal ins Schlüpfrige ab. Jannes gab ein paar Anekdoten von Clubbesuchen zum Besten, woraufhin Sherif von einem verunglückten One-Night-Stand erzählte. Der Typ, der ihn abgeschleppt hatte, pennte ein, noch bevor sie ein Nümmerchen schieben konnten. Sherif war so frustriert, dass er dem Mann mit Rasierschaum einen Weihnachtsmannbart verpasste. Zur Strafe durfte er eine Stunde zu Fuß bis zur nächsten Bahnstation laufen, weil er kein Geld für ein Taxi besaß.

„Hast du je wieder von dem Typen gehört?“, hakte Jannes grinsend nach.

„Zum Glück nicht, sonst hätte ich garantiert Ärger bekommen.“

Beim Dessert, zu dem sie einen weiteren Liter Wein orderten, plauderten sie munter weiter. Entsprechend war Sherif ganz schön beschwipst, als sie schließlich das Lokal verließen.

Vor der Tür trennten sich ihre Wege. Jannes verabschiedete sich mit: „Man sieht sich“, und ging leicht unsicheren Schrittes davon. Einen Moment guckte Sherif ihm hinterher, bevor er sich in Richtung Bahnstation aufmachte. Er war überzeugt, Jannes nicht so schnell wiederzusehen, was er bedauerlich fand. Sie hatten eigentlich wunderbar harmoniert. Letztendlich war er aber nur eine Art anonymer Beichtvater gewesen, bei dem Jannes seinen Seelenmüll abladen konnte.



Umso verblüffter war Sherif, am nächsten Vormittag Jannes im Tonndorfer Strandbad anzutreffen. Dieser hatte - wie am Tag zuvor - unmittelbar neben seinem üblichen Lagerplatz die Zelte aufgeschlagen.

„Moin“, begrüßte ihn Jannes. „Ich hab Kaffee mitgebracht.“ Bei diesen Worten wies er mit dem Kinn auf einen Korb, aus dem eine Thermosflasche ragte.

„Wow! Gibt’s dazu belegte Brötchen?“, witzelte Sherif, rollte seine Strandmatte aus und ließ sich darauf nieder.

„Leider nicht, nur Donuts.“ Jannes fischte eine Papiertüte aus dem Korb. „Ich hab von jeder Sorte einen genommen, weil ich nicht wusste, welche du magst.“

Das war sehr süß. Überhaupt war Jannes zum Auffressen niedlich. „Zeig mal“, bat Sherif, schnappte sich die Tüte und spähte hinein. „Darf ich den rosanen haben?“

„Das ist Himbeerglasur“, klärte Jannes ihn auf. „Aber der gehört mir.“

„Und der gelbe?“

„Den darfst du haben.“

Der Tag verging in entspannter Atmosphäre mit lesen, plaudern, schwimmen und dösen. Am späten Nachmittag brach Sherif, der mit seinen Eltern verabredet war, auf. Jannes wirkte enttäuscht und fragte: „Bist du morgen wieder hier?“

„Voraussichtlich ja, außer es regnet.“



Als hätte er damit den Regengott auf den Plan gerufen, schüttete es am nächsten Morgen wie aus Kübeln. Enttäuscht guckte Sherif aus dem Fenster, seinen Kaffeebecher in den Händen. Warum hatte er sich nicht Jannes‘ Telefonnummer geben lassen? Vielleicht sahen sie sich nie wieder, wenn das Wetter so blieb.

Missmutig hockte Sherif auf seinem Bett und überlegte, wie er an Jannes‘ Kontaktdaten kommen könnte. Besaß er noch eine der alten Telefonlisten aus Schulzeiten? Er kramte in seinen Unterlagen, fand jedoch keine. Bestimmt hatte er sie alle nach dem Abitur entsorgt, bevor er für ein Jahr in die Türkei gereist war, um bei Verwandten zu leben. Diesen Abstand hatte er dringend gebraucht, um die Schrecken seiner Schulzeit hinter sich zu lassen.

Jemand klopfte an seine Tür. In der WG schrieb man Privatsphäre groß, was er sehr schätzte. Birger steckte den Kopf herein. „Da ist jemand für dich am Telefon. Hab den Namen nicht richtig verstanden. Jan oder so.“

Sherifs Herzschlag nahm rasant zu. Er sprang auf, wobei er beinahe den restlichen Kaffee verschüttete, stellte seinen Becher leise fluchend auf den Nachtschrank und riss Birger das Mobilteil förmlich aus der Hand.

„Ja?“, meldete er sich, ganz atemlos vor Herzrasen.

„Hi, hier ist Jannes. Ich war so frei mir deine Telefonnummer von deinen Eltern zu besorgen.“

„Das ist völlig okay.“

„Hast du heute Nacht einen Regentanz aufgeführt ...“, witzelte Jannes. „ ... damit du nicht wieder mit mir Langeweiler abhängen brauchst?“

„Vielleicht ist das deine Schuld, weil du deinen Teller gestern Abend nicht leergegessen hast.“

Jannes gluckste. „Das kann sein. Mir sind die Spiegeleier angebrannt.“

„Kannst du etwa nicht kochen?“

„Geht so. Sag mal ... hättest du Lust vorbeizukommen?“

„Brauchst du jemanden, der dich bekocht?“

„Das wäre ein schöner Nebeneffekt. Wir könnten uns ein paar Horrorfilme reinziehen oder Playstation spielen.“

„Ha-ha! Ich bleib lieber hier.“



3.

Jannes war heilfroh, dass er die alte Telefonliste aufbewahrt hatte. Wie hätte er sonst Kontakt zu Sherif aufnehmen sollen? Wie konnte man auch so blöd sein, keine Handynummern auszutauschen?

Aufgeregt wie vor seinem ersten Rendezvous lief er durch die Wohnung, um hier etwas wegzuräumen und dort Staub zu wischen. Er war sonst ein ordentlicher Typ, doch durch das familiäre Zerwürfnis etwas konfus. Seine Mutter meinte, dass sich sein Vater wieder einkriegen würde und Jannes ihm nur etwas Zeit geben sollte. Leider konnte er seine Gefühle nicht auf Eis legen, etwas, worin ihm sein Alter, der das offenbar mühelos schaffte, weit voraus war.

‚Mit 16, als du mitangesehen hast, wie die anderen Sherif mobben, ist dir das wunderbar gelungen‘, flüsterte sein Gewissen.

Seit er Sherif wiedergesehen hatte, hörte er ständig diese Stimme. All seine Einwände, wie sein jugendliches Alter oder der Gruppenzwang, halfen nichts dagegen. Es stimmte ja auch: Er hatte eine Wahl gehabt und die falsche getroffen. Damals war ihm das anders erschienen. Sich gegen die anderen zu stellen, auf Sherifs Seite, hätte bedeutet, ebenfalls in den Fokus zu geraten. Dazu reichte sein Mut nicht. Erbärmlich? Auf jeden Fall. Andererseits hatte er reichlich mit seiner Pubertät und der Erkenntnis, auf Jungs zu stehen, zu tun gehabt. Letzteres war für ihn total beängstigend, da er wusste, zu Hause damit auf wenig Verständnis zu stoßen.

Das Läuten der Türglocke riss ihn aus seinen Überlegungen. Mit einem Staublappen in der Hand eilte er in den Flur, betätigte den Summer und öffnete die Wohnungstür. Schuhsohlen scharrten unten übers Linoleum. Im nächsten Moment tauchte Sherifs Schopf in seinem Sichtfeld auf. Der Anblick sorgte bei ihm für Herzklopfen. Jannes setzte ein Pokerface auf, um sich davon nichts anmerken zu lassen.

„Was ist das denn?“ Er zeigte auf die Sporttasche, die Sherif über der Schulter trug. „Ziehst du hier ein?“

„Hab ein paar Sachen aus meinem Kühlschrank eingepackt. Will ja schließlich nicht verhungern.“

„Nun übertreib mal nicht“, brummelte Jannes amüsiert, ließ seinen Gast herein und schloss die Tür.

Während Sherif in der Küche rumorte, steckte er den Lappen in die Waschmaschine und putzte bei der Gelegenheit rasch das Klo. Anschließend gesellte er sich zu seinem Gast.

„Ich hab ein paar alte Filme gefunden, die dir vielleicht gefallen. Sagt dir ‚Die nackte Kanone‘ was?“

„Nö. Aus welchen Jahrhundert stammt der?“

„Aus den Achtziger“, gab Jannes zurück. „Da warst du noch nicht mal in Planung.“

„Sag das nicht.“ Sherif schloss die Kühlschranktür und nahm die leere Sporttasche vom Tisch. „Meine Mutter sagt, sie wollte mich schon als Kind haben.“

Sie machten es sich auf der Couch vor der Glotze gemütlich. Wider Erwarten gefiel Jannes der Film, von dem er nicht wusste, woher er stammte. Vielleicht hatte den mal ein Kumpel mitgebracht. Karsten wäre so etwas zuzutrauen.

Erst als der Abspann lief bemerkte er, dass draußen wieder die Sonne schien. Da die sintflutartigen Regenfälle das Gelände am See garantiert durchweicht hatten kamen sie überein, den Tag weiterhin in der Wohnung zu verbringen.

Sherif zauberte ein spätes Mittagessen aus den mitgebrachten Lebensmitteln, das sie auf dem Balkon verspeisten. Anschließend ging der Filmmarathon weiter, mit dem zweiten Teil der nackten Kanone. Danach kam Jannes zu seinem Recht, indem sie einen Splatter anschauten. Der Horrorfilm besaß den Vorteil, dass Sherif immer näher zu ihm rückte, so dass er es wagte, einen Arm um dessen Schultern zu legen.

„Sollen wir was anderes gucken?“, erkundigte er sich.

Sherif schüttelte den Kopf. „Da muss ich durch.“

Merkwürdige Einstellung. Jannes beließ es dabei. Es war schön, Sherif ganz nahe bei sich zu haben. Zudem war sein Gast bereits erwachsen und wusste, was er sich antat.

Er spürte förmlich, wie Sherif aufatmete, als der Film vorbei war. „Davon gibt es auch einen zweiten Teil. Wie sieht’s aus?“

„Nichts für ungut, aber das wäre zu viel des Guten ... oder eher gesagt des Bösen.“ Sherif rückte ein Stück von ihm ab. „Schließlich will ich heute Nacht noch schlafen.“

„Du könntest hierbleiben und ich halte dein Händchen“, schlug Jannes unernst vor.

„Darauf würde es hinauslaufen, wenn ich noch mehr von dem Schei... ähm, dem Kram konsumiere.“

„Dann sollten wir den nächsten Film einwerfen.“

Sherif gluckste. „Vergiss es. Ich brauche eine Runde Frischluft und danach was zu beißen.“

Mittlerweile herrschte draußen wieder Sommer. In der Abendsonne glitzerten die Pfützen und Wassertropfen auf Blättern, die noch zurückgeblieben waren. Jannes liebte es, nach einem Regenschauer durch die Gegend zu wandern. Alles wirkte wie frisch gewaschen, so, als ob Heinzelmännchen die Umwelt einer gründlichen Reinigung unterzogen hätten.

Sie gingen so nah nebeneinander, das sich ihre Arme gelegentlich berührten. Zu gern würde er Sherifs Hand nehmen, traute sich aber nicht. Überhaupt wusste er nicht, wie er weiter vorgehen sollte. Empfand Sherif für ihn bloß Mitleid oder war da mehr? Wie konnte er das rausfinden, ohne sich lächerlich zu machen? Das war sowieso der Knackpunkt: Das Gesicht zu wahren. War er darüber nicht eigentlich hinaus? Schließlich hatte er die Pubertät lange hinter sich gelassen und bereits einige Erfahrungen gesammelt.

Nach ihrer Rückkehr in seine Wohnung, als sie gemeinsam in der Küche einen Imbiss, bestehend aus belegten Broten, zubereiteten, grübelte er immer noch. Sollte er Sherif einfach küssen? Dabei ließ sich doch am leichtesten rausfinden, wie die Dinge standen. Andererseits käme das einem Überfall gleich und die Gefahr bestand, dass Sherif ihm das übelnahm. Eine echt verzwickte Situation.

„Was ist los?“, erkundigte sich Sherif. „Du bist so still.“

Jannes atmete tief durch. „Bist du eigentlich mit jemandem zusammen?“

„Nö. Wieso?“

Na los, sag’s schon!, machte er sich selbst gedanklich Mut. „Ach, nur so.“ Feigling!

„Und du?“

„Momentan nicht. Bin schon ein Jahr solo.“

„Schon?“ Sherif, der gerade Käse schnitt, schnaubte. „Das kann ich toppen. Ich bin seit zweieinhalb Jahren Single.“

„Und? Gefällt es dir?“

Sherif zuckte mit den Achseln. „Es ist okay. Ich wohne ja in einer WG. Das ist manchmal genauso, wie in einer Beziehung.“

„Du meinst, weil die anderen ihren Dreck nicht wegmachen?“

Grinsend zeigte Sherif mit dem Messer auf ihn. „Der Kandidat hat ins Schwarze getroffen.“

Beim Abendessen versuchte Jannes, ganz entspannt zu wirken. Echte Schwerstarbeit, wenn man gedanklich an einem Plan arbeitete. Zum Glück bestritt Sherif den größten Teil der Unterhaltung, indem er vom Studium erzählte. Es reichte, ab und zu ‚unglaublich‘ oder ähnlich allgemeine Erwiderungen einzuwerfen. In Jannes reifte der Entschluss, den Stier bei den Hörnern zu packen.

Sobald sich Sherif zurücklehnte und erklärte: „Ich krieg keinen Bissen mehr runter“, legte er los: „Hast du mir inzwischen verziehen?“

„Wovon redest du?“, fragte Sherif stirnrunzelnd.

„Davon, wie ich dich in der Schule behandelt habe.“

„Ich sagte doch schon, dass das Schnee von gestern ist.“

„Ich weiß, aber ...“ Jannes verflocht seine Finger im Schoß. „... aber das heißt ja nicht, dass du es wirklich vergessen hast.“

Erneut zog Sherif die Stirn kraus. „Worum geht es dir genau? Ich steh voll auf dem Schlauch.“

„Magst du mich? Wenigstens ein bisschen?“

„Ähm ... ja. Ich denke schon.“

„Also könntest du dir vorstellen, mehr mit mir anzufangen?“ Mein Gott, Jannes, rede nicht solchen Stuss, schalt er sich im Geiste.

„Mehr anzufangen im Sinne von in die Kiste springen?“

„Ich hatte eher an Küsse gedacht.“

Sherif sprang auf, umrundete den Tisch, setzte sich rittlings auf seinen Schoß und schlang beide Arme um seinen Hals. Vor Überraschung blieb Jannes einen Moment passiv, bevor er die Initiative ergriff. Sanft strich er mit seinen Lippen über Sherifs. Sie waren so weich wie sie aussahen. Beim nächsten Kuss verweilte er länger und beim übernächsten schlängelte sich eine Zunge in seine Mundhöhle. Holla! Da legte jemand ja ein ganz schönes Tempo vor.

Als sie eine Kusspause einlegte, war er ziemlich außer Atem. Lächelnd streichelte er Sherifs Wange. „Knutschen wir auf der Couch weiter? Da ist es gemütlicher.“

„Im Bett ist es noch gemütlicher.“

Ein schlagkräftiges Argument, das sein Schwanz richtig toll fand und sich noch mehr versteifte. „Geht das nicht ein bisschen schnell?“

Seufzend kletterte Sherif von seinem Schoß. „Du hast recht. Machen wir also mit deinem Couch-Plan weiter.“

Jannes‘ Ständer protestierte zwar, aber es war die bessere Alternative. Schließlich wollte er von Sherif keinen One-Night-Stand, sondern etwas Längerfristiges.

Rasch räumten sie die Küche auf. Mit einer Flasche Rotwein machten sie es sich anschließend auf der Couch gemütlich. Durch die Balkontür weht würzige Sommerluft herein. Untermalt von leiser Musik tauschten sie erneut Küsse, hielten Händchen und schauten sich tief in die Augen. Sherifs waren nahezu schwarz und von langen Wimpern gesäumt.

Schließlich gewann die Gier nach nackter Haut doch Überhand. Sherifs T-Shirt landete als erstes auf dem Boden, gefolgt von Jannes‘. Er war fasziniert von der glatten, haarlosen Brust mit den beiden winzigen Knöpfchen. Dort schien Sherif besonders empfindlich zu sein, denn als Jannes mit den Fingernägeln über die Erhebung kratze, erschauerte er. Lächelnd beugte sich Jannes vor und begann den nächsten Kuss.

Auf Dauer war es sehr unbequem, im Sitzen auf Tuchfühlung zu gehen. Er bedauerte mehr und mehr, Sherifs Vorschlag abgelehnt zu haben und wusste keinen Rat, wie er zurückrudern könnte, ohne unglaubwürdig zu werden. Letztendlich, weil sein armer Schwanz zunehmend gequetscht wurde, wählte er den direkten Weg: „Ziehen wir ins Bett um?“

Sofort sprang Sherif auf, zog ihn hoch und verwickelte ihn in einen Kuss. Sich weiterhin küssend bewegten sie sich in Richtung Schlafzimmer, wo sie aufs Bett fielen. Ungeduldige Finger machten sich an seiner Kleidung zu schaffen. Im Nu war seine Erektion befreit und von einer Faust umschlossen. Jannes‘ Hüfte verselbständigte sich, indem sie zu rotieren begann. Er schaffte Gleichstand, wobei Sherif ihm eifrig half. Heiß und pochend lag dessen Schwanz in seiner Hand.

Zu gern hätte er nach unten gespäht, müsste dafür aber ihre Knutscherei unterbrechen, was er noch weniger wollte. Er war süchtig nach Sherifs Lippen. Auch die süßen Stöhnlaute, die an sein Ohr drangen und das harte Fleisch in seiner Faust verlangten nach ständigen Wiederholungen. Noch nie hatte er einen so hingebungsvollen Schmusekater in seinem Bett gehabt. Wenn’s nach ihm ginge, könnte Sherif für sehr lange bleiben.

Immer tiefer geriet er in den Strudel der Lust. Sherif kam als erster, woraufhin die Finger um seinen Schwanz innehielten. Sobald der Quell gänzlich versiegt war, griff er daher selbst zu und führte Sherifs Faust, bis er den Höhepunkt erreichte.

Mit der Wiederkehr der Realität setzte Ernüchterung ein. Ein bisschen anders hatte er sich ihr erstes Mal schon vorgestellt. Sherif schien jedoch sehr zufrieden und schmiegte sich, schnurrend wie ein zufriedenes Kätzchen, an ihn. Dann war wohl alles in Ordnung.

Nach einer Weile, in der behagliche Stille geherrscht hatte, streifte er seine Hose, zusammen mit den Socken, ab. Mit Sherifs Klamotten verfuhr er genauso. Nackt kuschelten sie sich unter die Bettdecke. Ein Kuss folgte dem nächsten. Erneut setzte Erregung ein. Diesmal lag Sherif auf ihm und machte es ihnen zusammen. Danach pennte Jannes erschöpft ein.



4.

Irgendwann wachte Sherif auf und war einen Moment orientierungslos, bevor die Erinnerung auf ihn einströmte. Neben ihm atmete Jannes tief und gleichmäßig. Als sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, erkannte er den braunen Schopf auf der anderen Bettseite. Jannes wandte ihm den Rücken zu und umarmte das Kopfkissen.

Leise stahl er sich aus dem Bett, sammelte seine Klamotten im Mondschein, der durchs Fenster fiel, ein und schlich ins Wohnzimmer. Er zog sich an, stieg im Flur in seine Schuhe und hatte die Klinke der Wohnungstür schon in der Hand, da kehrte er noch mal um. Nach einem letzten Blick auf den schlafenden Jannes verließ er die Wohnung.

Draußen checkte er die Uhrzeit. Es war erst vier. Wahrscheinlich fuhren noch keine Busse. Er setzte sich also in Richtung Bahnhof in Bewegung.

Was hatte Jannes dazu veranlasst, ihm auf die Pelle zu rücken? Reine Geilheit oder eine Mischung aus sexuellem Notstand und Frust? Sherif wusste, dass man in Ausnahmesituationen - in solcher steckte Jannes zweifelsohne - zu Kurzschlusshandlungen neigte. Frage war, was ihn dazu veranlasst hatte, das Ganze auch noch zu forcieren.

‚Ha-ha! Frag das doch mal deinen Schwanz‘, spottete sein Verstand. Es war ziemlich nervig, dass sich dieser derart oberlehrerhaft aufführte. ‚Das weiß ich selbst‘, gab er im Geiste zurück. ‚Bisher war ich aber kein schwanzgesteuerter Typ.‘ ‚Dinge ändern sich‘, säuselte es in seinem Kopf. ‚Klappe, sonst kippe ich eine Flasche Hochprozentiges auf dich drauf!‘

Was sein Verhalten betraf: Es war wohl eine Art Bestätigung gewesen, dass er den heißesten Typen der Schule ins Bett bekommen konnte. Außerdem mochte er Jannes. Der war ganz anders als gedacht und vor allem sehr zärtlich. Daran könnte er sich gewöhnen. ‚Vergiss es‘, meldete sich erneut sein Verstand. ‚Der spielt in einer ganz anderen Liga als du.‘

Er gab der Stimme recht. Auch wenn sich viele Dinge seit dem Abitur geändert hatten, kamen sie immer noch aus unterschiedlichen Kreisen. Der kleine Sherif mit muslimischem Hintergrund hatte nichts mit dem geldadeligen Jannes gemein.

Als er rund eine Stunde später sein WG-Zimmer betrat, fiel ihm dessen schäbige Möblierung besonders ins Auge. Sein Onkel zahlte zwar die Miete und einen geringen Unterhalt, aber keine Investitionen. Dafür müsse man sparen, lautete dessen Credo. Schließlich hatte sich sein Onkel auch alles hart erarbeitet.

An Schlaf war nicht mehr zu denken. Sherif legte sich zwar aufs Bett, guckte jedoch mit offenen Augen an die Decke. Gab es für Jannes und ihn vielleicht doch eine Chance? Er wünschte sich das mehr, als ihm lieb war. Es passte einfach alles, sogar der unterschiedliche Filmgeschmack. Das machte doch gerade den Reiz aus.

Um neun packte er seine Sachen und fuhr zum Strandbad Tonndorf. Es versprach, ein wunderschöner Sommertag zu werden. Er belegte seinen üblichen Platz und nahm ein erfrischendes Bad, bevor er es sich auf seiner Strandmatte gemütlich machte.

Gegen zehn trieb ihn Kaffeedurst zum Kiosk. Als er zurückging, sprach ihn jemand von hinten an: „Da ist ja der Flüchtling.“

Sherif guckte über die Schulter. Bei Jannes‘ Anblick setzte in seinem Brustkorb heftiges Stakkato ein. „Ich bin nicht ausgebrochen.“

Stumm bedeutete Jannes ihm weiterzugehen. An seinem Lagerplatz angekommen ließ sich Sherif im Schneidersitz nieder. Mit gemischten Gefühlen guckte er zu, wie Jannes neben ihm ein Handtuch ausbreitete und sich darauf setzte.

„Ich bin aufgewacht und du warst weg. Hab ich dich irgendwie verscheucht? Vielleicht zu laut geschnarcht?“, wollte Jannes wissen.

„Konnte nicht mehr schlafen“, log er.

Mit schiefgelegtem Kopf schaute Jannes ihn eindringlich an. „Warum glaube ich dir das nicht?“

Man sollte sein Gegenüber nie unterschätzen. „Weil es nicht stimmt“, gab er zu.

„Und wieso bist du nun wirklich abgehauen?“

„Na ja ...“ Sherif riss ein paar Grashalme ab und drehte sie zwischen den Fingern. „Ich dachte, es ist dir so lieber.“

Über Jannes‘ Stirn entstand ein Fragezeichen. Um Zeit zu gewinnen, trank Sherif einen Schluck Kaffee. Eigentlich Gift, weil sein Puls eh schon raste.

Er senkte den Blick und betrachtete die Halme in seiner Hand. „Ich dachte, du möchtest lieber allein aufwachen, anstatt neben einem Loser.“

„Für einen Psychologie-Studenten bist du ganz schön blind“, entgegnete Jannes trocken.

Sherif schaute hoch. „Wieso?“

„Weil dir entgangen ist, dass ich mich total in dich verguckt habe.“

Bestimmt glotzte er wie ein Mondkalb. Nur langsam sickerte das Gesagte zu ihm durch. Als es ankam, brach in seinem Bauch eine Horde Schmetterlinge aus. Fast verschüttete er seinen Kaffee, als er zu Jannes rüber rutschte. Vorsichtshalber stellte er den Becher beiseite, bevor er Jannes auf die Wange küsste. Anschließend - das hätte er vorher tun sollen - sah er sich nach allen Seiten um. Niemand beachtete sie.

„Heißt das ...“, wandte er sich an Jannes. „... dass wir ... du und ich ...?“

„Geht das auch in einem ganzen Satz?“

Sherif atmete tief durch. „Dass wir ein Paar sein könnten?“

„Wenn du magst?“

Mit einem erleichterten und glücklichen Seufzer ließ er sich gegen Jannes‘ Schulter sinken. „Und ob ich mag.“



Epilog - 1 Jahr später

Jannes schwitzte wie verrückt. Sherifs Beine lagen über seinen Schultern. Immer, wenn er zustieß, ergab es ein schmatzendes Geräusch, das sich mit süßem Stöhnen mischte. Um Sherif solche Laute zu entlocken, würde er alles in Kauf nehmen.

Mehr!“, bat Sherif heiser.

„Mehr hab ich nicht“, gab er genauso rau zurück und untermalte seine Aussage mit einem besonders harten Stoß.

Genüsslich verdrehte Sherif die Augen. „Oh ja!

Na gut. Wenn sein Schatz es so haben wollte. Jannes richtete sich auf, um mehr Kraft in seine Bewegungen zu legen und bumste Sherif nach allen Regeln der Kunst durch. Seine Mühe wurde belohnt. Sherif begann zu vibrieren, ächzte: „Oh ja-ja-ja!“ und verengte sich um seinen Schwanz, dass es fast wehtat.

Milchige Spritzer sprenkelten Sherifs Brust. Zuzusehen, wie sein Schatz kam, ließ ihn abheben. Seine Anspannung entlud sich derart gewaltig, dass ihm schwarz vor Augen wurde. Nach einigen Herzschlägen lichtete sich der Vorhang. Der Anblick von Sherifs durchgenommenem Grinsen entlockte ihm ein atemloses Glucksen.

Eine ganze Weile lagen sie stumm nebeneinander, hielten Händchen und tauschten ab und zu sanfte Küsse. Schließlich richtete sich Jannes auf und schnupperte an seinen Achselhöhlen. „Puh! Mein Deo hat versagt.“

„Ich mag das“, behauptete Sherif.

„Dein Geschmack ist merkwürdig.“ Jannes schwang die Beine aus dem Bett, stand auf und streckte seine Arme über den Kopf. „Lass uns zum Strand gehen.“

Grummelnd erhob sich Jannes ebenfalls und folgte ihm ins Bad. Die Dusche dauerte etwas länger, weil sie einfach die Finger nicht voneinander lassen konnten. Danach verließen sie in Badehosen, jeder ein Handtuch über der Schulter, das Appartement.

Es hatte etwas Überredungskunst gekostet, Sherif zu dem Pauschalurlaub auf Mallorca zu überreden. ‚Da fahr ich nie im Leben hin!‘, war Jannes jedes Mal um die Ohren geflogen. ‚Ballermann? Ohne mich!‘ Dabei sollte es gar nicht nach El Arenal gehen. Inzwischen waren sie seit zwei Tagen in Peguera, wenige Kilometer westlich von Palma, und Sherif gefiel es sehr gut.

Nicht nur ihre Beziehung lief super. Auch zu Hause hatte sich alles wieder eingerenkt. Jannes‘ Mutter war vollständig genesen und sein Vater ebenfalls von dem homophoben Anflug geheilt. Vielleicht hatte der Aussetzer mit der Erkrankung seiner Mutter zu tun, vielleicht war sein Alter einfach zur Vernunft gekommen. Jannes waren die Gründe egal. Hauptsache, es lief harmonisch.

Hand in Hand gingen sie runter zum Strand. Zur Abendbrotzeit war dort weniger los als sonst. Problemlos fanden sie einen schattigen Platz, an dem sie ihre Handtücher ausbreiteten und darauf niederließen.

Genüsslich wackelte Jannes mit den Zehen und schielte rüber zu Sherif. Manchmal kam es ihm wie ein Traum vor, dass er diesen heißen Typen für sich gewinnen konnte. Sherif war unglaublich sexy, gerade weil er sich dessen nicht bewusst war.

„Was für ein Glück, dass ich dich damals im Tonndorfer Freibad angesprochen habe“, murmelte Sherif und blinzelte ihn an.

„Kann es sein, dass dein Erinnerungsvermögen etwas verwackelt ist? Ich hab dich angesprochen.“

„Pft. Erbsenzähler“, murrte Sherif.

Grinsend verdrehte Jannes die Augen. Für einen angehenden Psychologen war sein Schatz ganz schön schräge drauf. Andererseits musste man wohl einen an der Waffel haben, um solchen Beruf auszuüben. Insofern war alles in bester Ordnung.

Überhaupt fand er das Leben gerade perfekt. Sein Schatz und er im Paradies. Den ganzen Tag Sonne, Sand und Meer, leckeres Essen und reichlich Sex. Schöner ging’s wohl kaum. Das Beste war, dass es sich nach etwas Dauerhaftem anfühlte. Er hatte wirklich das große Los gezogen.



ENDE



Sein Glück in meinem Herzen - Karo Stein

Für Ca Te

1.

„Wusstest du, dass der Himmel deshalb blau ist, weil Blau jedem steht und damit auch jeder Mensch unter dem blauen Himmel wunderschön aussieht?“

Träge hebe ich den Kopf und schaue Jonne verständnislos an.

„Wo hast du das denn her?“, frage ich gähnend und strecke mich wieder auf meinem Strandlaken aus. Ich blinzle gegen die Sonne und den wirklich unglaublich blauen Himmel, an dem nur vereinzelt Schönwetterwolken entlangziehen.

Gedämpft dringt das Lachen von Kindern zu uns hinüber. Die öffentliche Badestelle ist so weit entfernt, dass man tatsächlich den Eindruck hat, der ganze See gehöre uns. Ein paar Vögel zwitschern in den Bäumen. Gemächlich schlägt das Wasser gegen die Stützbohlen des Stegs, auf dem wir seit einer gefühlten Ewigkeit faul herumliegen und die spätnachmittägliche Sonne genießen. Es ist immer noch verdammt heiß, aber eine sanfte Brise kühlt die Haut angenehm.

„Ich war gestern bei meiner Mutter zum Kaffeetrinken. Natürlich lief nebenbei ihr Lieblingsshoppingsender und der Moderator hat das behauptet“, erklärt Jonne amüsiert.

„Und natürlich hat er gerade irgendeine blaue Klamotte angepriesen“, behaupte ich schmunzelnd und drehe mich auf den Bauch, um von allen Seiten gut gebräunt zu werden. „Hat deine Mutter bestellt?“

„Was sonst?“, antwortet er lachend und rollt sich in meine Richtung. Er stützt seinen Kopf mit der Hand ab. „Ein hellblaues Shirt. Sie war ganz entzückt. Vor allem von dem Designer, der sehr hübsch und obendrein immer besonders nett ist.“ Jonne imitiert die Stimme seiner Mutter und bringt mich erneut zum Lachen.

„Schwul?“, frage ich sofort, denn ich kenne seine Mutter. Sie ist ständig auf der Suche nach einem passenden Schwiegersohn.

„Mit Sicherheit.“

„Hat sie schon Hochzeitspläne für dich und den süßen Designer? Hast du dir seinen Namen gemerkt? Vielleicht findest du ihn in diesem Fickportal.“

„Idiot“, beschimpft mich Jonne und lässt sich wieder auf den Rücken fallen. „Allerdings fand sie, dass so ein Mann wie dieser Dawid mit W bestimmt ganz wunderbar zu mir passen würde.“

„Dawid mit W“, wiederhole ich schwülstig.

„Halt die Fresse“, knurrt er kichernd.

„Und, siehst du das auch so? Ist er Heiratsmaterial?“, erkundige ich mich und hoffe, dass Jonne den seltsamen Unterton in meiner Stimme nicht bemerkt. Eine Spur von Eifersucht, die mich seit geraumer Zeit heimsucht, sobald Jonne von irgendeinem Kerl erzählt. Dabei handelt es sich nur noch um alte Anekdoten, denn seit einer ganzen Weile trifft sich Jonne mit niemandem mehr. Trotzdem graut es mir vor dem Tag, an dem er sich tatsächlich verliebt und ich den Mann kennenlernen muss.

„Nein, kein Heiratsmaterial“, sagt er energielos und seufzt. „Ich bezweifle, dass sich in nächster Zeit irgendetwas in dieser Richtung ergibt. Ich bleibe einfach Single. Was ist mir dir?“

„Keine Ahnung“, erwidere ich und spüre, wie mein Herz ein paar Takte schneller zu schlagen beginnt. „Ich bin nicht unbedingt auf der Suche.“

„Dabei stehen die Frauen bei dir doch Schlange. Du musst nur zugreifen.“

„Gilt das für dich und die Männer nicht auch?“

„Nein, das ist vorbei. Seitdem … du weißt schon … irgendwie fühlt sich alles anders an. Es fällt mir schwer, jemandem davon zu erzählen und nicht zu wissen, wie derjenige reagiert. Nicht darüber zu reden, ist aber auch doof, weil … Ach, es ist alles blöd. Genießen wir einfach die Zeit am See und das herrliche Wetter.“

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: die Autoren
Bildmaterialien: shutterstock, depositphotos
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Sissi Kaipurgay
Satz: Sissi Kaipurgay
Tag der Veröffentlichung: 28.07.2020
ISBN: 978-3-7487-5180-9

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