Collection 2
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Texte: Sissi Kaipurgay/Kaiserlos
Foto: shutterstock
Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/
https://www.sissikaipurgay.de/
Cyprian liebt Weihnachten und Finn, seinen langjährigen Freund. Leider steckt der in einer ständigen On-Off-Beziehung mit Seth, kein Ende in Sicht.
Cyprian summte die Melodie eines Weihnachtslieds, während er seine Fensterbank mit Engeln, Tannenzweigen und Christbaumkugeln schmückte. Er war ein richtiger Deko-Junkie, süchtig nach all dem glitzernden Zeugs. Seine Wohnung glich allmählich der Weihnachtsabteilung des Kaufhauses, in dem er bevorzugt shoppte. Der Wahnsinn erreichte seinen Höhepunkt am Tag vor Heiligabend, wenn er den Tannenbaum - dieser wartete bereits auf dem Balkon auf seinen Einsatz - hereinholte und von oben bis unten behängte. Im letzten Jahr war die Tanne umgekippt, weil er sie zu arg belastet hatte.
Das Läuten der Türglocke veranlasste ihn, die Stirn zu runzeln. Niemand besuchte ihn ohne vorherige telefonische Ankündigung, bis auf Finn, wenn mal wieder Kacke am Dampfen war.
Tatsächlich war es Finns Stimme, die er vernahm, als er die Gegensprechanlage aktivierte und „Ja bitte?“ bellte.
„Lässt du mich rein?“, antwortete Finn in wehleidiger Tonlage.
Cyprian verdrehte die Augen. Ungefähr alle drei Monate durfte er Finn trösten. Das letzte Mal war erst sechs Wochen her.
„Klar. Komm rauf“, erwiderte er, betätigte den Summer, öffnete die Wohnungstür und ging in die Küche, um den Wasserkocher in Betrieb zu setzen. Ein Tee, mit oder ohne Rum, war in solcher Situation stets willkommen.
Während er diverse Teesorten aus dem Schrank kramte, hörte er Schritte im Treppenhaus. Die Tür wurde zugeklappt. Kleidung raschelte im Flur.
„Pfefferminze, schwarzer Tee oder Rooibos?“, rief er, wobei er Becher bereitstellte.
Finn gesellte sich zu ihm. „Kaffee ist nicht im Angebot?“
„Nur Instant. Ich hab kein Pulver im Haus.“
„Dann nehme ich Rooibos.“ Finn lehnte sich gegen ihn. „Danke, dass du mich reingelassen hast, obwohl du wahrscheinlich mit Kitsch aufstellen beschäftigt bist.“
„Ich schmücke meine Wohnung“, erwiderte Cyprian pikiert.
„Tschuldige.“ Finn gab ihm ein Küsschen auf die Wange, was bei ihm eine Gänsehaut auslöste.
Er kniff kurz die Augen zu und bemühte sich, das wohlige Kribbeln abzuschütteln. Finn brauchte nicht wissen, wie es um ihn stand. Vielleicht bekam er eine Chance, wenn das mit Seth irgendwann mal Geschichte war - in hundert Jahren oder so.
„Warum hat es denn diesmal gekracht?“, erkundigte er sich, als er Teebeutel in die Becher hängte.
„Das übliche: Unbegründete Eifersucht.“ Finn seufzte. „Keine Ahnung, wie Seth auf den Trichter kommt, ich könnte fremdgehen.“
„Und? Hat er wieder all seine Sachen gepackt und einen theatralischen Abgang hingelegt?“
Finn nickte. „Inklusive Tür ins Schloss schmettern und die Treppe runterstampfen.“
„Also das volle Programm.“ Cyprian goss kochendes Wasser in die Becher. „Möchtest du Gewürz zu deinem Tee?“
„Ja, bitte“, erwiderte Finn artig, schnappte sich einen der Becher und verließ die Küche.
Mit eine Flasche Rum in der einen und dem zweiten Teebecher in der anderen Hand, folgte er Finn ins Wohnzimmer. Sie ließen sich auf der Couch nieder. Finn fügte dem Tee einen großen Schuss Rum hinzu. Aromatischer Duft breitete sich aus.
Kurzentschlossen würzte Cyprian ebenfalls sein Getränk. „Jedes Jahr das Gleiche: Kurz vor Weihnachten kriegt dein Kerl einen Rappel. Hat er mal mit seinem Therapeuten darüber gesprochen?“
„Dasselbe ist es vor Ostern, vorm Sommer, Herbst, Winter und Frühling. Eigentlich ist es egal. Da richtet sich Seth nicht nach festen Terminen.“ Finn schlürfte ein bisschen Tee. „Hoffentlich kriegt er sich vor Heiligabend wieder ein. Ich hab schon sein Geschenk besorgt.“
„Kannst du es nicht zurückgeben?“
Finn schüttelte den Kopf. „Es war im Sonderangebot.“
Cyprian überlegte, ob er wissen wollte, um was es sich handelte. Ach nein, lieber nicht. Wenn Finn Unterwäsche gekauft hatte war es besser, keine Ahnung davon zu haben. „Wo ist er denn diesmal hingezogen? Wieder zu seinen Eltern?“
Finn zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Vermutlich.“
Sein Kumpel war ungewöhnlich gelassen, im Gegensatz zu dem tränenreichen Jammern in der Vergangenheit. Trotzdem verkniff sich Cyprian jegliche Hoffnung. Früher oder später würden Seth und Finn eh wieder zusammenkommen.
„Du kannst gern weiter schmücken“, schlug Finn vor. „Ich guck dir zu.“
„Ich war eh gerade fertig“, wehrte er ab, stand aber auf und räumte die herumliegenden Deko-Artikel zurück in den Karton, den er aufs Bücherregal verfrachtete. Anschließend gesellte er sich wieder zu Finn. „Wollen wir mal wieder die Star-Wars-Trilogie gucken?“
„Au ja!“
Kurz darauf standen Chips, Erdnüsse und Salzstangen bereit. Statt Tee gab’s dazu Bier.
Stöhnend wälzte sich Cyprian auf die andere Seite und blinzelte ins helle Morgenlicht. Sein Schädel pochte ein wenig. Das letzte Bier hätte er wohl besser weglassen sollen. Im nächsten Moment stand er senkrecht im Bett, weil ihm einfiel, was nach dem Besäufnis geschehen war. Finn und er hatten Sex miteinander gehabt!
Vorsichtig spähte er nach links, wo sein Kumpel schlief. Lediglich Finns brauner Schopf lugte unter der Decke hervor. Er erinnerte sich noch ganz genau, wie der Rest aussah. Erst hatten sie wild rumgefummelt und sich schlussendlich in der Neunundsechziger-Stellung gegenseitig bis zum Höhepunkt geblasen. Was für eine Scheiße! Wieso hatte er das zugelassen? ‚Du warst betrunken‘, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. ‚So besoffen nun auch wieder nicht. Immerhin hat er einen hochgekriegt‘, konterte eine zweite trocken.
Finn regte sich, streckte die Arme über den Kopf und linste unter der Decke hervor. „Hi. Gibt’s Kaffee?“
Wie konnte sein Freund so gelassen sein, wo sie doch Seth betrogen hatten? „Gleich“, gab er zurück, schwang die Beine aus dem Bett und angelte nach seiner Boxer.
Bevor er in die Küche ging, unternahm er einen Abstecher ins Bad. Aus dem Spiegel guckte ihm ein käsiger Typ entgegen. Er verrichtete sein Geschäft, wusch seine Hände, spritzte dem Kerl Wasser ins Gesicht und setzte seinen Weg fort.
Während er die Kaffeemaschine befüllte, ließ er den vergangenen Abend Revue passieren. An welcher Stelle hatte sich abgezeichnet, was im Bett passieren würde? Finn hatte schon oft neben ihm gepennt, aber es war nie etwas geschehen. Er konnte keinerlei Unterschied zu den Malen davor finden, eben mit Ausnahme der Tatsache, dass sie plötzlich übereinander hergefallen waren. Von welcher Seite das ausging, entzog sich seiner Kenntnis. Vielleicht sogar von Finns. Ach, war das nicht egal? Was zählte war, dass sie Mist gebaut hatten.
Cyprian hörte nackte Fußsohlen im Flur. Die Badezimmertür klappte zu. Gleich darauf fing die Dusche an zu rauschen. Finn fühlte sich bei ihm wie zu Hause, was er einerseits schön fand, andererseits schmerzte es, weil er es als Gleichgültigkeit interpretierte. Wann genau hatte das eigentlich angefangen? Nachdenklich ging er ins Schlafzimmer, um Jeans, Socken und Pullover anzuziehen.
Er kannte Finn seit der 5. Klasse. Ungefähr in der 9. Hatte er sich in seinen Schulfreund verknallt und zwei Jahre später wieder entliebt. Damals war Finn nämlich ein echter Hallodri gewesen, der alles bumste, was nicht bei eins auf einen Baum flüchtete. Der endlosen Reihe dieser Jungs wollte er keinesfalls angehören.
Cyprian hatte zwei kurze Beziehungen hinter sich. Beide Male war die Trennung von ihm ausgegangen, weil es einfach nicht passte. Nach Holger, seinem letzten Partner, musste es passiert sein, also vor circa einem Jahr. Gemocht hatte er Finn natürlich immer, aber das Herzklopfen und die Schmetterlinge im Bauch waren vorher nicht dagewesen.
Erstmals bewusst aufgefallen war ihm die Veränderung um den Frühlingsanfang herum. Es hatte mal wieder bei Seth und Finn gekracht. Sein Kumpel war für zwei Nächte bei ihm untergekrochen. Da hatte er es deutlich gespürt.
Zurück in der Küche begann er, den Tisch zu decken. Weil es der erste Advent war, stellte er eine Kerze in die Mitte und zündete sie an. Der Kranz befand sich im Wohnzimmer und war zu groß für den Küchentisch. Anschließend warf er Aufbackbrötchen in den Ofen und stellte einen Topf Wasser für Eier auf den Herd. Just in dem Moment klingelte sein Festnetzanschluss.
Stirnrunzelnd begab sich Cyprian ins Wohnzimmer. Wer rief denn bitteschön auf einem Sonntag vor 12 Uhr an? Auf dem Display stand eine Handynummer. Er meldete sich mit einem unwirschen: „Ja?“
„Hi, hier ist Seth. Ist Finn bei dir?“
„Er duscht gerade.“
„Magst du ihm bitte ausrichten, dass ich mit ihm reden möchte? Ich bin in unserer Wohnung.“
„Ich sag’s ihm.“
„Danke.“ Seth legte auf.
Manieren waren für den Typen ein Fremdwort. „Arschloch“, brummelte Cyprian, stellte das Mobilteil zurück in die Ladestation und ging wieder in die Küche. Da Finn vermutlich mit fliegenden Fahnen aufbrechen würde - wenn eine Versöhnung anstand, wurde sofort alles außer Seth unwichtig - legte er nur ein Ei ins kochende Wasser.
Nebenan herrschte inzwischen Stille. Würde Finn Seth ihren Ausrutscher verraten? Falls ja, stand garantiert der nächste Streit ins Haus. Das war es doch nicht wert. Sollte er Finn davon abraten? Ach, was ging ihn das an? Ihn, den Idioten, der gut genug zum Trösten war, aber ansonsten links liegengelassen wurde. ‚Nun sei nicht so ungerecht! Du telefonierst fast jede Woche mit Finn!‘, schimpfte sein Verstand. ‚Aber nur, weil ich ihn immer anrufe‘, hielt er gegen, woraufhin die Stimme schwieg.
Es war eine absolute Scheiß-Situation, in seinen besten Kumpel verliebt zu sein. Finn war der einzige, mit dem seine Freundschaft so viele Jahre überdauert hatte. Ansonsten gab es noch ein paar Bekannte, nichts weltbewegendes.
Nackte Fußsohlen tappten über den Flur. Wenig später kam Finn angezogen in die Küche, die Augen geschlossen und Arme vor sich ausgestreckt, wie ein Schlafwandler.
„Kaffee? Kaffee! Ich brauch Koffein“, murmelte der Blödmann.
Schmunzelnd drückte er Finn einen Becher in die Hand, woraufhin der die Lider hochklappte und genüsslich daran schnupperte. „Du bist mein Lieblingsfreund.“
„Weil du sonst keine hast“, brummelte Cyprian.
Über den Becherrand hinweg guckte Finn, der am Kaffee nippte, ihn an und wackelte mit den Augenbrauen. Sein Kumpel war eine unerschütterliche Frohnatur. Wohl auch der Grund, weshalb Finn es mit dem Stinkstiefel Seth aushielt. Okay, Seth sah höllisch attraktiv aus und war wohl eine Granate im Bett. Zwei Faktoren, die für Finn reichten, um jemanden zu lieben.
„Seth hat angerufen“, berichtete Cyprian. „Er ist in eurer Wohnung und wartet auf dich.“
Wie bereits vermutet, stürzte Finn den Becherinhalt in zwei Zügen runter. „Dann düse ich wohl besser los.“
Gleich darauf klappte die Wohnungstür hinter Finn zu. Es hatte nicht mal für einen anständigen Abschied gereicht, nur für ein Winken und: „Bis bald.“
Es dauerte ein Weilchen, bis Cyprian die Enttäuschung verdaut hatte. Bis dahin war das Frühstücksei kalt. Egal. Er hatte eh keinen Appetit.
In den folgenden zwei Wochen hörte er nichts von Finn. Vermutlich meldete sich sein Freund erst im neuen Jahr, wenn wieder mit Seth die Fetzen flogen.
Am dritten Advent saß Cyprian bei Tee und Keksen vor drei brennenden Kerzen, als die Türglocke bimmelte. Genervt runzelte er die Stirn. Er ließ sich nur äußerst ungern aus seiner besinnlichen Stimmung reißen.
„Ich kaufe nichts!“, bellte er in die Gegensprechanlage, obwohl er wusste, dass am Sonntag keine Vertreter läuteten.
„Ich hab auch nichts anzubieten“, tönte Finns Stimme zurück. „Lässt du mich rein?“
Allmählich wurden die Abstände zwischen den Streitigkeiten ja immer kürzer. Cyprian betätigte den Öffner und ging in die Küche, um einen zweiten Becher aus dem Schrank zu holen. Als er in den Flur zurückkehrte und die Wohnungstür öffnete, stand Finn mit zwei Trolleys davor. Was ihn aber am meisten beeindruckte, war das leuchtende Veilchen.
„Hat Seth dir das verpasst?“, erkundigte er sich.
Finn nickte. „Leider nicht ganz zu unrecht.“
Cyprian trat beiseite, um seinen Freund reinzulassen. Die Rollkoffer im Schlepptau, marschierte Finn an ihm vorbei und stellte das Gepäck an der Garderobe ab. „Und jetzt die schlechte Nachricht: Er hat mich rausgeworfen. Darf ich erstmal hierbleiben?“
Wie könnte er dazu nein sagen? Er zuckte mit den Schultern. „Klar. Stell deinen Kram ins Schlafzimmer.“
Kurz darauf saßen sie nebeneinander auf der Couch und tranken Tee. In der Glotze lief stumm ein Trickfilm, Ice Age. Immer zur Weihnachtszeit guckte sich Cyprian sämtliche Folgen hintereinander an.
„Ich hab Seth erzählt, dass wir rumgemacht haben“, rückte Finn, der bisher geschwiegen hatte, mit der Sprache raus. „Daraufhin hatte ich seine Faust im Gesicht. Er brauchte mich danach gar nicht rauswerfen. Ich bin freiwillig gegangen.“
„Warum hast du es ihm gesagt?“
Finn seufzte. „Er hat schon wieder mit Eifersucht angefangen und da bin ich ausgeflippt. Es ist mir rausgerutscht.“
„Das lässt sich aber nicht so einfach wieder kitten.“
„Sehe ich genauso. Vielleicht ist es an der Zeit, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen.“
Das sagte Finn jedes dritte Mal, daher schenkte Cyprian dem wenig Beachtung. „Ich hol dir mal was zum Kühlen fürs Auge.“
„Hast du ein rohes Steak auf Lager?“, rief Finn ihm hinterher, als er sich anschickte, den Raum zu verlassen.
„Leider nein, aber ein paar Eiswürfel“, gab er über die Schulter zurück, plünderte sein Eisfach und wickelte dessen Inhalt in ein Geschirrtuch.
Mit einem dankbaren Lächeln nahm Finn das improvisierte Kühlpad entgegen und legte es auf das lädierte Auge. „Mhm! Das tut gut.“
„Soll ich Ice Age neu starten?“
Finn nickte.
Im Laufe der nächsten Stunden sahen sie Teil 2 und 3 sowie Eine coole Bescherung, die Weihnachtsedition von Ice Age, die sich Cyprian normalerweise erst am Tag vor Heiligabend reinzog. Zwischendurch gab es Spaghetti mit Hackklößchen.
Finn nutzte das blaue Auge weidlich aus, um sich von vorn bis hinten bedienen zu lassen. Eine Eigenschaft, die Cyprian bereits kannte. So war sein Kumpel eben geschnitzt: Eine echte Frohnatur, doch wehe Finn kränkelte. Dann benahm er sich, als stünde sein Tod unmittelbar bevor.
Drei Tage dauerte das Schauspiel ‚Finn leidet‘. Am vierten kehrte, in Bezug auf das verblassende Veilchen, Normalität ein.
Abends kochte Finn und lehnte jegliche Hilfe dabei ab. Das Ergebnis: Weiche Nudeln in salziger Sauce. Eigentlich sagte man verliebten Köchen nach, die Suppe zu versalzen, doch bei Finn war es Unfähigkeit. Der Bursche taugte in der Küche lediglich dazu, die Kaffeemaschine zu bedienen oder zu essen. Cyprian verspeiste das Gericht ohne zu murren. Schließlich hatte er selbst schuld, wenn er Finn an den Herd ließ.
Danach machten sie es sich, wie an den Abenden zuvor, auf der Couch gemütlich. Der Ice-Age-Marathon war abgeschlossen. Sie hatten daher angefangen, alle Staffeln von Queer as Folk zu schauen. Bei den Sexszenen erinnerte sich Cyprian an die Nacht, in der Finn und er übereinander hergefallen waren. Er dachte oft daran und seit sie zusammen wohnten, eigentlich ständig. Wiederholen wollte er den Fehler natürlich nicht ... ach, eigentlich schon, aber es würde seinen Liebeskummer nur verstärken.
Um elf begaben sie sich ins Bett. Wie stets durfte Finn als erster ins Bad. Schon krass, wie schnell man sich manches angewöhnte. Anschließend verrichtete Cyprian sein abendliches Ritual. Als er ins Schlafzimmer kam, brannte nur noch seine Nachttischleuchte. Finn lag mit geschlossenen Augen unter der Decke.
Nachdem er sich, bis auf Shorts und T-Shirt, ausgezogen hatte, kletterte er auf die freie Bettseite; stellte den Wecker, streckte den Arm aus und löschte das Licht. In der Dunkelheit war sein Gehör geschärft. Er hörte Finns flache Atemzüge und roch das Erdbeer-Shampoo, das sein spleeniger Kumpel benutzte. Im letzten Sommer hatte er immer einen Ständer bekommen, wenn ihm der Duft reifer Erdbeeren in die Nase stieg.
„Du-hu? Cypri?“, flüsterte Finn.
„Mhm?“
„Ich bin scharf.“
„Ach du je! Soll ich ein paar Eiswürfel holen?“
Finn brummelte: „Nö. Ich dachte da eher an deinen Mund.“
„Vergiss es! Gute Nacht!“ Demonstrativ drehte sich Cyprian auf die andere Seite.
Hinter ihm brummelte Finne irgendetwas, das sich nach „Spielverderber“ anhörte. Danach herrschte Ruhe. Er starrte ins Dunkel und fragte sich, wie er das bloß aushalten sollte, wenn Finn ihn nochmal anbaggerte. Hoffentlich renkte sich das mit Seth bald wieder ein. Ach nein, das wollte er doch gar nicht. Scheiß Zwickmühle!
Als der Wecker am nächsten Morgen klingelte, hatte er das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein. Gähnend kroch er aus dem Bett und schlurfte ins Bad. Im Anschluss setzte er die Kaffeemaschine in Betrieb, bevor er zurück ins Schlafzimmer trottete. Finn war inzwischen auch aufgestanden und rumorte im Bad.
Beim Frühstück fiel kaum ein Wort. Finn war ein Morgenmuffel und Cyprian nach dem Aufstehen ebenfalls wenig gesprächig.
Auf der Arbeit konnte er sich nur schwer konzentrieren. Zum einen war er müde, zum anderen wanderten seine Gedanken immer wieder zu Finn. Wieso versuchte sein Freund ihn zu Sex zu nötigen? Okay, zu überreden, korrigierte er sich im Geiste. War Finn immer noch derart schwanzgesteuert? Eigentlich müsste die schlimmste Phase doch vorbei sein. Immerhin waren sie mittlerweile beide 27 und somit aus dem Gröbsten raus. Also, nicht dass Cyprian je eine Sturm- und Drangphase erlebt hätte. Irgendwie war das spurlos an ihm vorbeigegangen.
Sinnend guckte er aus dem Fenster. Dicke Schneeflocken fielen vom Himmel. Der Wetterbericht hatte weiße Weihnachten angekündigt und behielt wohl ausnahmsweise mal recht. Mit einem Seufzer wandte er sich wieder seinem Bildschirm zu. Die Arbeit erledigte sich nicht von allein. Seit fast alles auf elektronischem Weg lief, hatten sich die erwarteten Reaktionszeiten arg verkürzt. Manchmal überschnitten sich seine Antworten mit den Erinnerungen, die er aus anderen Abteilungen erhielt. Scheiß E-Mail-Verkehr! Bei dem Wort Verkehr musste er schon wieder an Finn denken, schob das aber von sich. Dafür war später noch Zeit.
Entweder hatte Finn ein schlechtes Gewissen oder einen guten Tag. Erneut werkelte sein Kumpel in der Küche, als Cyprian nach Hause kam.
Neugierig spähte er in den Topf, der auf dem Herd stand. „Was wird das?“
„Chili con carne. Das Einzige, was ich einigermaßen vernünftig hinbekomme. Sagt jedenfalls Seth.“
Cyprian verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich in den Türrahmen. „Apropos: Hast du mal mit ihm gesprochen?“
Finn schüttelte den Kopf. „Soll er sich doch melden. Schließlich hat er mich geschlagen, nicht ich ihn.“
Typische Finn-Logik. Cyprian verdrehte die Augen und verzog sich ins Wohnzimmer. Dort war ein Putzteufel am Werk gewesen. Anscheinend hatte Finn eher Feierabend gemacht. Sämtlich DVDs, die am Vorabend noch auf dem Tisch lagen, waren ordentlich ins Regal sortiert, der Teppich gesaugt und die Flächen gewischt.
Die offensichtlichen Bemühungen seines Mitbewohners söhnten ihn aus. Entsprechend harmonisch verlief der Abend und in der Nacht gab es kein weiteres unmoralisches Angebot.
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Tag der Veröffentlichung: 01.04.2020
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