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Mein Freund, sein Anorak und ich 1

Morris und drei Freunde machen Urlaub auf Amrum. Es ist arschkalt. Sebastians Anorak kommt da wie gerufen, weil Morris, der Idiot, nur mit seiner geliebten Jeansjacke losgezogen ist. Was er allerdings in der Tasche der Jacke finde, versetzt ihn in Erstaunen.

Eiskalter Wind bläst mir immer wieder die Haare ins Gesicht, fährt unter den viel zu weiten Anorak und lässt mich erschauern. Neben mir stapft Thomas einher, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, das Gesicht mürrisch verzogen. Ihm scheint die Kälte nichts anhaben zu können, doch das kann an der Wut liegen, die ihm deutlich anzumerken ist.

„Was für ein Arschloch“, knurrt er, wobei eine Böe die Worte mit sich reißt, sodass ich sie kaum verstehen kann.

An Amrums Herbsthimmel ziehen die Wolken rasend schnell dahin und die Nordsee knabbert am Strand, wie jedes Jahr zu dieser Zeit. Ich liebe die Insel und bin froh, dass ich mir diesen Urlaub leisten kann, auch wenn ich den Sommer vorgezogen hätte.

Gemeinsam mit Thomas, Sebastian und Louis habe ich eine Ferienwohnung, die in der Nachsaison erschwinglich ist, angemietet. Normalerweise kommen wir gut miteinander klar, doch dieses Mal steckt der Wurm in unserer Freundschaft. Nicht nur, dass Louis ständig auf Thomas rumhackt, auch Sebastian hat sich verändert.

Ach ja, ich trage Sebastians Anorak, da ich so dämlich war, nur eine dünne Jeansjacke mitzunehmen. Deshalb hängt mir das Ding fast bis zu den Knien, was den scharfen Wind jedoch nicht davon abhält, mich bis auf die Knochen frieren zu lassen. Gefragt hab ich Sebastian nicht, sondern einfach nach der Jacke gegriffen. Er ist mürrisch und redet kaum mit mir, seit wir hier sind.

„Wieso muss mir Louis ständig Sabina vor die Nase halten? Sie ist meine Freundin, rein platonisch, auch wenn sie Riesentitten hat“, murrt Thomas, dabei kickt er eine Muschel mit dem Fuß über den Sand.

„Ihr seid echt nur platonisch befreundet?“, wundere ich mich.

„Ja. Wenn ich es doch sage. Ich mag keine Körbchengröße Doppel-D, aber Sabina mag ich halt. Sie ist ein echt toller Kumpel.“

Darüber muss ich erst mal nachdenken. Wie kann man eine Blondine mit Atombusen als Kumpel bezeichnen? Okay, für mich haben Frauen eh einen anderen Stellenwert, als für Thomas. Ich kann sie gut leiden, aber stehen tue ich auf Männer, was ich aber sehr wohl für mich behalte. Schwule sind unter Kerlen nicht gut angesehen und ich würde niemals auf die Freundschaft zu den drei anderen verzichten wollen.

„Okay. Dann mach das Louis doch klar“, erwidere ich lahm.

„Hab ich schon mehrfach, aber es scheint, als würde ihn das nur noch mehr anstacheln. Mann, dieses Jahr steckt echt der Wurm drin“, schimpft Thomas.

Damit trifft er den Nagel auf den Kopf. Ich muss an Sebastian denken, der mich seit zwei Tagen schlicht ignoriert, so, als wäre ich Luft, beziehungsweise stinkende Kloake, denn ab und zu rümpft er die Nase, wenn er mich anschaut. Was ist nur los?

Gedankenverloren stopfe ich die Fäuste noch tiefer in die Taschen des fremden Anoraks, dem Sebastians Duft anhaftet. Heimlich schnuppere ich an dem Kragen, habe sofort das Bild meines Freundes vor Augen und mein Schwanz spielt umgehend verrückt. Scheiße! Ich habe mich gleich zu Anfang der Freundschaft in den Kerl verliebt. Es sind mittlerweile drei Jahre, die ich ihn anhimmele und still leide, da er niemals meine Gefühle erwidern wird.

Sebastian ist ein typischer Hetero, sieht wahnsinnig gut aus und hat an jeder Hand mindestens zehn Affären mit Weibern hängen. Zumindest scheint das so, auch wenn ich ihn noch nie mit einer Frau gesehen habe. Sein vielsagendes Grinsen, wenn das Gespräch auf Sex mit dem anderen Geschlecht kommt, spricht jedoch Bände. Damit kenne ich mich aus, glaube ich jedenfalls.

Ich seufze, bemerke plötzlich Gegenstände in den Anoraktaschen und befühle sie neugierig. Was kann ein Sebastian ständig mit sich führen? Zellophan! Ein Kondompäckchen? Ich schiele zu Thomas, doch der hält den Blick gesenkt und scheint in Gedanken versunken. Vorsichtig taste ich weiter und meine, eine Tube zu erfühlen. Langsam bringe ich das Ding ans Tageslicht, lass es erschrocken sofort wieder in den Tiefen der Tasche verschwinden und halte den Atem an.

Wozu braucht ein Hetero Kondome und Gleitmittel? Ist Sebastian Arschfickfan? Gibt es wirklich Frauen, die sich unversehens auf einem Spaziergang bücken, sodass man als ‚normaler‘ Mann jederzeit vorbereitet sein sollte? Ich linse zu Thomas.

„Du-hu? Thomas? Die Sabina, wie steht die zu Analverkehr?“

Thomas‘ Kopf fährt hoch. Sein Blick ist irritiert. „Hä?“

„Na ja, redet ihr nie über Sex?“

„Doch. Ständig.“ Er grinst.

„Dann weißt du vielleicht, ob Frauen es gern von hinten mögen?“

„Generell wohl schon, aber dann doch eher in die …“ Thomas bleibt stehen und glotzt mich an. „Sag mal, spinnst du?“

„War ja nur eine Frage“, brummele ich verlegen.

„Ah ja, die Frage eines Weiberhelden“, meint Thomas und beginnt zu kichern.

„Wie kommst du auf den Müll?“ Meine Fingerspitzen fahren über das Zellophan der Kondompäckchen und streicheln es, während ich meinen Freund böse fixiere.

„Ach, Morris, guck dich doch an. Blaue Augen, lange Haare, Top Figur. Die Frauen laufen dir doch scharenweise hinterher.“

„Das wüsste ich“, murre ich, unweigerlich geschmeichelt.

„Daher solltest du um weibliche Vorlieben wissen“, erklärt Thomas, grinst breit und erdreistet sich, mir kumpelhaft auf die Schulter zu schlagen. „Komm, lass uns umkehren, mir ist kalt.“

 

Zurück in der Ferienwohnung empfängt uns an der Tür Sebastian mit erbostem Gesichtsausdruck.

„Was fällt dir ein, meinen Anorak anzuziehen?“, fährt er mich an, dabei huscht sein Blick für einen Sekundenbruchteil zu der Tasche, in der ich die verräterischen Utensilien gefunden habe.

„Tut mir leid. Thomas wollte unbedingt raus und meine Jacke taugt nicht für das Wetter.“ Ich streife die Kapuzenjacke ab und hänge sie an die Garderobe.

„Hättest wenigstens fragen können“, mosert Sebastian aufgebracht.

„Hey, nun mach nicht so ein Fass auf. Morris hat das Teil nur angehabt, nicht reingewichst“, beschwichtigt Thomas, dabei klingt seine Stimme mehr als verärgert.

Die Stimmung ist wirklich mies dieses Mal und ich habe keine Ahnung, warum.

Nach dem gemeinsam gekochten Abendessen machen wir uns auf den Weg in die ‚Blaue Maus‘. Da ich mir diesmal den Anorak nicht leihen kann, Sebastian braucht ihn selbst, fröstele ich in meiner dünnen Jacke vor mich hin. Das bringt mir zuerst einen spöttischen, dann einen besorgten Seitenblick von ihm ein.

„Komm, das kann ich gar nicht mitansehen“, murmelt Sebastian und legt überraschend einen Arm um meine Schultern, um mich an seine Seite zu ziehen.

Sofort wird mir wärmer. Dankbar nehme ich diese unerwartete Geste an und schmiege mich an meinen Freund, bis wir den Gastraum der Kneipe betreten haben. Trotz der Nachsaison ist es voll, wahrscheinlich weil Wochenende ist. Hintereinander schlängeln wir durch die Gästeschar, finden tatsächlich Platz an einem der Tische, müssen uns aber eng zusammendrängen.

Sebastian und ich sitzen nebeneinander, dabei berühren sich unsere Schenkel. Dieser Abend wird ein Drahtseilakt für mich werden, denn mein Schwanz probt den Aufstand und die Jeans mutiert zum stählernen Knast. Ich nehme Sebastians Duft wahr und jedes Mal, wenn er den Arm bewegt um zu trinken, reibt er sich an mir. Macht er das extra?

Nach ein paar Pils spüre ich plötzlich eine Hand auf meinem Bein. Ich brauche nicht hingucken um herauszufinden, dass es Sebastians ist. Er nutzt nun die linke, um sein Glas zu heben, dabei vermeidet er die ganze Zeit, mich anzusehen. Die Finger bewegen sich ab und zu sachte, die Nähte meiner Hose ächzen und mein Blut kocht.

Soll ich das nun als Annäherungsversuch deuten, oder ist Sebastian schlicht betrunken?

Als wir wenige Biere später aufbrechen, bestehen meine Knie aus Pudding und mein Inneres hat sich in breiige Erregung aufgelöst. Ich kann froh sein, dass mein Pullover so lang ist und die unanständige Beule in meinem Schritt gnädig überdeckt. Kalt ist mir auf dem Weg zurück zur Ferienwohnung auch nicht mehr, dennoch schlingt Sebastian erneut einen Arm um meine Schultern.

Thomas und Louis trotten stumm neben uns her. Der Alkohol und die frische Luft haben uns alle müde gemacht.

„Gute Nacht“, wünsche ich, bevor ich die Tür zum Wohnzimmer schließe.

Die Wohnung hat nur zwei Schlafräume, von denen sich einen Thomas und Louis teilen, den anderen nutzt Sebastian. Aus irgendeinem Grund habe ich mich entschieden, auf dem Sofa zu schlafen. Okay, ich kenne den Grund, aber den anderen gegenüber habe ich behauptet, ich käme nicht zur Ruhe, wenn jemand neben mir liegt.

Heute komme ich allerdings auch allein nicht zur Ruhe. Alles an mir kribbelt und mein Schwanz ist hart wie Gusseisen und schwer wie Beton. Die Haut spannt und in meinem Kopf herrscht Aufruhr, genau wie in meinem Herzen. Was war das vorhin, diese streichelnden Finger auf meinem Schenkel? Ich kann sie immer noch spüren, Sebastians Duft riechen und das Wissen, dass uns nur eine Wand trennt, macht mich irre vor Sehnsucht.

Wohl eine Stunde lang wälze ich mich hin und her. Plötzlich geht die Tür auf und ich erkenne Sebastians hohe Gestalt in dem schwachen Licht, das aus seinem Zimmer in den Flur dringt.

„Brauch nur was zu trinken“, flüstert er und tappt zu der Küchenzeile, die die ganze linke Wand einnimmt.

Die Kühlschranktür wird geöffnet und ich kann Sebastian nun genauer sehen, als die Beleuchtung in dem Kasten angeht. Er trägt T-Shirt und Shorts. Die blonden Locken sind zerwuschelt, die nackten Beine schimmern golden. Erregung schwappt hoch und nimmt meinen Schwanz gleich mit.

„Tschuldige die Störung“, wispert Sebastian, schließt den Kühlschrank und bewegt sich durch das Zimmer.

Er geht jedoch nicht direkt zur Tür, sondern kommt zu mir herüber, bleibt vor dem Sofa stehen und guckt auf mich runter. „Wieso schläfst du nicht?“, fragt er leise.

„Bin nicht müde.“

„Ich auch nicht. Vielleicht könnten wir noch ein wenig reden?“

„Seit wann redest du wieder mit mir? Die letzten zwei Tage bist du mir doch aus dem Weg gegangen, als hätte ich eine ansteckende Krankheit oder so.“

„Das tut mir leid“, murmelt Sebastian.

„Okay. Vergessen wir das. Über was willst du denn nun reden?“

Sebastian seufzt. „Du hast sicher das Zeug in meinem Anorak gefunden, nicht wahr?“

„Ja, hab ich.“

„Und was denkst du jetzt von mir?“

„Dass du auf Arschficken stehst oder schwul bist oder beides.“

Sebastian schnaubt leise. Lacht er?

„Aus deinem Mund hört sich das so banal an“, meint er.

„Ist es doch auch. Soll mir doch egal sein, welche sexuellen Vorlieben du hast“, behaupte ich kühn und mein Herz klopft laut bei dieser Lüge.

Sebastian geht in die Hocke, beugt sich vor und ich erkenne in der Dunkelheit leider nicht seine Miene, als er leise sagt: „Tut mir leid wegen der letzten Tage. Es ist wegen … Ich mag dich mehr, als gut für mich ist. Das wollte ich dir nur sagen. Ich werde wohl morgen abreisen, dann kannst du den Rest des Urlaubes noch genießen.“

Wie zu Stein geworden liege ich da, höre die Worte, begreife sie aber im ersten Moment nicht. Sebastian steht auf, murmelt ein ‚Gute Nacht‘ und tapst zur Tür. Erst als diese leise zugezogen wird, kommt Leben in mich. Ich rutsche von der Couch, verheddre mich in der Decke und gehe erst mal auf die Fresse, fluche halblaut und rappele mich hoch.

Mein Ständer, gänzlich unbeeindruckt von der akrobatischen Einlage, wippt erwartungsvoll in der Shorts und zeigt geradeaus. Okay, eher halb nach links. Ich laufe zur Tür, ziehe sie auf, schleiche über den Flur und öffne leise die Tür zu Sebastians Zimmer. Warmer Lichtschein empfängt mich, zusammen mit einem erstaunt aufgerissenen Augenpaar in einem hinreißenden Gesicht.

Er legt ein Buch, in dem er anscheinend gelesen hat, weg, glotzt mich an und sein Blick wandert geradewegs runter. Mein Schwanz winkt ihm mit jedem Herzschlag zu. Sebastians Mundwinkel biegen sich nach oben, seine Augen beginnen zu funkeln und er schlägt die Bettdecke in einer stummen Einladung beiseite.

Noch im Gehen streife ich die Klamotten ab, krabble auf die Matratze und starre sekundenlang den Mann an, der so unerwartet meine Gefühle erwidert. Mein Hals wird ganz eng, mein Puls rast und Sehnsucht frisst sich durch meine Organe. Alles kribbelt, sogar meine Lippen.

„Morris“, wispert Sebastian, packt mich am Hinterkopf und zieht mich zu sich herunter. „Du ahnst nicht, wie lange ich mir das hier schon wünsche.“

Kein vorsichtiges Tasten, gleich voller Einsatz und ein heftiger Tanz unserer Zungen, während ich mich auf Sebastians heißen Körper werfe. Becken reibt sich an Becken, eine Shorts wird ungeduldig runter gezerrt, dann schließt sich eine Faust um unsere harten Schwänze.

Keuchend stoße ich in die fremde Hand, dabei versuche ich Sebastians Mund zu erobern. Er duelliert sich mit mir, gibt nicht nach und verstärkt unten die Reibung, bis ich mich mit einem langgezogenen Stöhnen auf den Abflug begebe. Klebriges Nass kleckert über meinen Bauch und Sebastian kommt wimmernd, es klingt wie mein Name. Nach Luft schnappend lehne ich die Stirn gegen seine. Ein Arm umschlingt mich und es hat sich noch nie etwas so gut angefühlt, wie das hier.

„Du hast dich gleich in mich verguckt?“ Sebastian kichert albern.

„Arsch, das ist nicht lustig.“ Ich mach meinen bösen Blick, aber er grinst und gibt mir einen zärtlichen Kuss.

Wir liegen zusammen unter der Decke, eng aneinandergeschmiegt. Unsere Finger sind die ganze Zeit damit beschäftigt, den anderen kennenzulernen. Sie werden noch viel zu tun haben.

„Was wolltest du eigentlich mit dem Zeug in deiner Anoraktasche?“

Sebastian wird ernst und seufzt tief. „Ich war doch neulich bei dir und da hab ich … Es war nur eine Idee und am Ende hab ich ja doch das Maul gehalten, aber ich hab es eben eingesteckt und dann dort vergessen.“

Nun erinnere ich mich. Vor einer Woche war Sebastian bei mir aufgekreuzt, angeblich, um die Reise zu besprechen. Er war die ganze Zeit nervös gewesen und schon nach zehn Minuten wieder verschwunden. Armer Kerl! Ich muss schmunzeln.

„Feigling“, necke ich ihn liebevoll.

„Wer hier wohl der Feigling ist“, brummt er.

„Wo wir gerade von dem Anorak reden: Wer steht auf und holt das Zeug aus der Tasche?“

„Du.“

„Wieso ich?“

„Weil ich das Bett für meinen Liebsten wärmen muss“, gibt Sebastian säuselnd zurück.

Oha, ein schlagendes Argument! Nach einem Kuss springe ich aus dem Bett, wetze in den Flur und schnappe mir den Anorak, um gleich darauf mitsamt dem Teil wieder unter die Decke zu kriechen.

„Thomas und Louis streiten mal wieder“, informiere ich Sebastian, während ich die Kondome und die Tube zutage fördere.

„Mir doch egal“, erklärt dieser und lächelt mich verliebt an. „Hauptsache, ich stecke gleich in dir drin.“

„Hey, ich dachte, ich darf oben liegen“, empöre ich mich.

„Nächstes Mal. Oder übernächstes Mal“, murmelt Sebastian, schnappt sich ein Kondom und zeigt mir, wie gut er Liebe machen kann.

 

ENDE

Osterfeuer1

Zwei Wochen Glück, danach abgrundtiefer Schmerz. Julius hat Christoph fallenlassen wie eine heiße Kartoffel. Warum? Das wüsste er gern, aber von Julius kommt nur Schweigen. Dann, beim Osterfeuer, sieht Christoph ihn wieder.

Christoph

Obwohl es dunkel ist entdecke ich Julius sofort. Er steht neben einem dunkelhaarigen Typ, den ich noch nie gesehen habe. Ob das sein neuer Freund ist? Die Eifersucht brennt wie Säure in meinem Magen. Das Osterfeuer kann mich nicht wärmen, die Kälte wohnt in meinen Knochen, seit Julius mich verlassen hat.

Bis heute verstehe ich nicht, wieso er sich so plötzlich von mir abgewandt hat. Wir waren zwei Wochen irrsinnig verliebt, bis er mich von heute auf morgen aus seinem Leben strich. Das ist inzwischen drei Monate her, in denen ich immer wieder versucht habe Kontakt zu ihm aufzunehmen, leider jedoch vergeblich.

Meine Briefe kamen ungeöffnet zurück, Telefonate beantwortete er nicht und – ehrlich gesagt – weiß ich nicht weiter. Mein Herz tut weh und selbst meine Kehle schmerzt, während ich zu ihm rüber schaue. Julius goldene Mähne glänzt im Feuerschein. Er hat mir sein Profil zugewandt, so dass ich seine feingeschnittenen Züge bewundern kann.

Ich habe diese Lippen geküsst, die jetzt so fest aufeinandergepresst sind als würde er Schmerzen leiden. Mein ganzer Körper tut weh vor Sehnsucht. Es ist noch genauso schlimm wie am ersten Tag.

Mein bester Freund Henning umarmt mich. „Alles in Ordnung mit dir?“

Er ist fast gleich groß wie ich und hat auch ungefähr die gleiche Statur. Im Dunkeln könnte man uns verwechseln.

„Sehen meine entzündeten Augen richtig, dass da drüben dieser Arsch steht, der dir so weh getan hat?“, knurrt Henning mit einem bösen Blick auf Julius.

„Nicht so laut“, erwidere ich, und lehne mich für einen Moment an seine Brust.

Die Nähe ist tröstlich, auch wenn sie den tiefsitzenden Kummer nicht vertreiben kann.

„Hier ist es langweilig, lass uns noch ins ‚Tobac‘ gehen“, meint Henning. „Mir ist nach einem frisch gezapften Pils.“

Ich löse mich von ihm und werfe noch einen Blick rüber zu Julius, bevor ich mit meinem Freund die Festwiese verlasse. Osterfeuer sind eigentlich nicht mein Ding. Warum ich heute hierher wollte? Vielleicht war es die Hoffnung, dass Julius da sein könnte. Er wohnt in Barmbek, daher erschien es mir als sehr wahrscheinlich, ihn hier zu treffen. Nur, wozu eigentlich?

„Schlag dir den Arsch aus dem Kopf“, schimpft Henning, der meinen Blick bemerkt hat und grimmig guckt.

„Versuche ich doch“, verteidige ich mich halbherzig. Die Hoffnung ist immer noch da, ich kann es nicht leugnen.

Im ‚Tobac‘ ist nicht viel los. Henning setzt sich an einen Tisch und winkt der Kellnerin, die dienstbeflissen heraneilt.

„Zwei große Pils“, bestellt er ohne mich zu fragen.

Mir ist nach Wodka, aber Alkohol ist keine Lösung. Ich lass mich ihm gegenüber auf einen Stuhl plumpsen und fahre mir übers Gesicht. Rasende Kopfschmerzen kündigen sich an, wahrscheinlich von dem Rauch, den ich eingeatmet habe. Blödes Osterfeuer.

„Ehrlich, der Typ ist doch voll ätzend“, sagt Henning, wobei er die hübsche Kellnerin anlächelt, die zwei Gläser auf dem Tisch abstellt. „Lässt dich einfach sitzen, ohne eine Erklärung oder Entschuldigung. Geht doch gar nicht.“

„Es geht wie du siehst.“

„Ist nur so‘n Spruch“, brummelt Henning und hebt sein Glas. „Auf die Zeit, die alle Wunden heilt.“

Mein Freund ist ein großer Philosoph und wenn er erst richtig betrunken ist, wird er nicht mehr zu bremsen sein. Mir graut davor.

„Der Kerl ist wie eine schwärende Wunde in deinem Herz. Du musst rumficken, dich ablenken, dann vergisst du schneller“, meint Henning.

Schwärende Wunde? Muss ich nachher mal googlen. Ich trinke mein Glas halb leer und wische mir mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen, als mein Blick auf zwei Neuankömmlinge fällt. War doch klar, dass Julius und sein Lover ausgerechnet hierher kommen müssen. Mir wird augenblicklich übel.

„Andere Mütter haben auch schöne Söhne“, textet mein Freund. „Sieh dich um: es gibt so viel Liebe auf der Welt, du musst sie nur ernten.“

Oh Mann, Henning muss vorgeglüht haben. Von dem halben Pils, das er bis jetzt intus hat, kann seine Stimmung nicht herrühren.

„Hör mal“, entgegne ich. „Lass uns gleich abhauen. Hier ist nicht genug Platz für mich und den fiesen Kerl, der mich verlassen hat.“

„Was?“ Henning sieht sich hektisch um und entdeckt den Blonden nebst Begleitung. Seine Züge verfinstern sich und er macht Anstalten aufzuspringen.

Ich greife über den Tisch hinweg nach seinem Arm. „Bleib ganz cool“

„Die sollen woanders saufen“, grummelt er.

„Pst, der eine kommt jetzt rüber“, flüstere ich, wobei ich den Braunlockigen unauffällig unter meinen Wimpern hervor beobachte.

Der Typ wirkt verwirrt und starrt immer wieder mich, dann Henning an, als würde er seinen Augen nicht trauen. Bei uns angekommen räuspert er sich und fährt mit einer Hand durch sein Haar. Eine affige Geste, finde ich, und mag den Kerl gleich nicht.

„Entschuldigt, ich bin Fridolin.“ Er lächelt mir unsicher zu. „Wir kennen uns vom Sehen. Ich bin ein Freund von Julius.“

„Tag, Freund von Julius“, knurrt Henning und hält den Blick auf sein Bierglas gesenkt. Er kann ein richtiger Arsch sein wenn er will.

„Seid ihr Zwillinge oder Brüder?“, fragt Fridolin.

„Klar, Eineiige, sieht man das nicht?“, murmelt mein Freund und schaut zu Braunlocke hoch. „Wir sind eineiige Freunde. Alles klar? Dann geh mal zurück zu deinem Arschlochfreund und lass uns in Ruhe.“

Ich lächle Fridolin an. „Was genau möchtest du?“, frage ich betont höflich.

„Kann es sein, dass dein Freund vor drei Monaten im ‚Goldenen Hirsch‘ war, und dort im Darkroom einen Kerl gevögelt hat?“

Meine Kinnlade klappt runter. Ich sehe rüber zu Henning, der bis unter die Haarwurzeln errötet und den Blick senkt. Bislang habe ich meinen Freund für einen Hetero gehalten. Nun, soweit zu unserer Freundschaft.

„Henning?“, frage ich leise.

„Verdammt noch mal, ja, kann sein“, murmelt er, wobei er mich nicht ansieht.

„Dann ist alles meine Schuld“, erklärt Fridolin, und echtes Bedauern klingt in seiner Stimme mit. „Ich dachte, du wärst es gewesen.“

Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Nicht, dass sich dadurch irgendetwas ändert. Trotzdem überschwemmt mich eine Woge der Erleichterung. Das ist also die Erklärung für Julius‘ Rückzug.

„Verstehe ich dich richtig? Du hast Julius erzählt, ich wäre fremdgegangen?“, vergewissere ich mich.

Fridolin nickt und lächelt mir entschuldigend zu. „Ich wusste nicht, dass du einen Doppelgänger hast. Es war dumm von mir. Ich werde sofort mit Julius reden und das klarstellen.“

„Tu das“, bitte ich leise und gucke rüber zu meinem Verflossenen, der geflissentlich in die andere Richtung schaut.

Bevor ich mich davon abhalten kann, wandert mein Blick über seinen kleinen Knackarsch in der engen Jeans. Es hat sich so geil angefühlt, diese festen Backen in meinen Händen zu halten, während ich ihn in den Himmel gefickt habe. Schmerz und Erregung durchfluten mich, machen mein Blut dickflüssig und drücken meine Lunge zusammen.

„Als wenn das jetzt noch was nützt“, knurrt Henning, der inzwischen sein Glas geleert hat.

Die Kellnerin erscheint und stellt zwei frische Pils vor uns ab. Diesmal würdigt mein Freund sie keines Blickes, denn die Tarnung ist überflüssig geworden. Ach ja. „Wieso weiß ich nichts davon, dass du auf Männer stehst?“, zischele ich, wobei ich mich weit über den Tisch lehne.

Henning zuckt mit den Achseln. „Hast du mich je gefragt?“, gibt er zurück, und sieht mich mit spöttisch erhobenen Brauen an.

„Muss ich dich jeden Tag fragen, ob du deine sexuelle Ausrichtung geändert hast?“

„Wieso nicht? Wäre doch erfrischend.“ Henning grinst anzüglich, was ich mit einem verärgerten Schnauben kommentiere.

„Vielleicht sollten wir miteinander vögeln. Dann wäre dein Problem behoben und ich bräuchte…“, setzt er an, stockt aber, als Julius neben ihm auftaucht. „Was willst du Pfeife denn hier?“, schnauzt Henning.

„Kann ich mit Chris reden? Allein?“, fragt Julius leise und sieht dabei mich an.

Mein Herz vollführt einen schmerzlichen Hüpfer gegen die Rippen. Ich schnappe nach Luft und will es plötzlich nicht mehr. Drei Monate Schweigen, Kummer und Ungewissheit sind vorbei, aber das ist mir in diesem Moment mit einem Schlag egal.

„Vergiss es, ich will nicht mit dir sprechen“, erkläre ich fest.

„Bitte“, flüstert Julius und macht seinen Welpenblick.

„Du hast meinen Freund gehört“, knurrt Henning und springt auf, wobei sein Stuhl umkippt und mit lautem Poltern zu Boden fällt.

Sämtliche Gespräche verstummen. Alle Augen sind auf uns gerichtet. Ich erröte, Julius auch. Henning bückt sich seelenruhig und hebt den Stuhl auf, bevor er der Kellnerin zuwinkt.

„Zwei Pils“, ruft er quer durch die Kneipe.

Nach diesem Vorfall verschwinden Fridolin und Julius. Ich trinke mit Henning, bis meine Adern gegorenen Hopfen statt Blut transportieren und sich unsere Toilettenfrequenz auf zehn Minuten Abstand gesenkt hat.

„Wenn ich noch bleibe, trinke ich das nächste Bier gleich auffem Klo“, erkläre ich leicht nuscheln.

„Geht mir auch so“, brummt Henning und winkt die Tresenmaus heran.

Wir stützen uns gegenseitig, als wir den Heimweg antreten. Ich verfrachte meinen Freund in ein Taxi und gebe dem Fahrer seine Adresse. Bezahlen wird er hoffentlich noch selbst hinbekommen. Auf mich gestellt wanke ich nach Hause. Es sind zum Glück nur zwei Straßenzüge bis zu meiner Wohnung. Ja. Julius wohnt nur einen Steinwurf von mir entfernt, könnte aber auch auf dem Mond wohnen. Für mich ist er gestorben.

 

Julius

Das Wiedersehen mit Chris und Fridolins Geständnis, dass er sich damals geirrt hat, wühlen mich total auf. Erst jetzt fallen mir die ganzen Ungereimtheiten auf, die ich in meinem Schmerz beiseitegeschoben habe. Der ‚Goldene Hirsch‘ gehört nicht zu Chris‘ bevorzugten Läden, er geht nur ins ‚Gay-dance-total‘, wenn überhaupt. Mein Ex ist ein richtiger Stubenhocker und kuschelt lieber auf dem Sofa, anstatt in der Szene herumzuhängen. Mein Herz wird ganz schwer, als ich an die vielen Stunden denke, in denen er und ich auf meiner breiten Couch…

„Kopf hoch, das wird schon wieder“, meint Fridolin.

„Du hast gut reden. Verdammt, besorg dir ‘ne Brille“, fauche ich ihn an.

„Tschuldige, ich wollte nur nicht, dass dir wehgetan wird“, murmelt mein Freund.

„Super“, ätze ich. „Das hast du echt toll hinbekommen.“

Fridolin seufzt, umarmt mich und schubst mich in Richtung meiner Haustür.

„Schlaf dich aus. Morgen sieht alles anders aus.“ Er dreht sich um und geht zu seinem Wagen, mit dem er mich gerade nach Hause gebracht hat.

 

Fridolin hat unrecht. Am nächsten Morgen sieht alles noch viel schlimmer aus. Vor allem ich, mit meinen verquollenen Augen. Mein Spiegel kennt diesen Anblick, allerdings dachte ich, es wäre endlich vorbei. Jetzt bin ich wieder da, wo alles begonnen hat.

Nach einem Kaffee ziehe ich mich an und gehe die Treppe runter, um nebenan beim Bäcker ein paar Brötchen zu besorgen. Die Schlange vor dem Verkaufstresen ist kurz, so dass ich Chris sofort entdecke. Mein erster Impuls ist, mich zu ducken. Wie lächerlich. Ich straffe meine Schultern und begegne seinem Blick, als er sich umdreht, um den Laden zu verlassen.

„Morgen“, grüßt er wohl im Impuls.

„Hallo Chris“, erwidere ich mit einem Lächeln.

Seine Miene wird glatt, seine Mundwinkel sinken nach unten. Mit einem kurzen Schnauben geht er an mir vorbei und die Türglocke läutet als er den Laden verlässt.

Der Tag ist wie verhext. Nachmittags treffe ich ihn an der Supermarktkasse. Automatisch scanne ich den Inhalt seines Einkaufswagens. Alles Tiefkühlgerichte, geeignet für einen Single. Chris kocht für sein Leben gern, aber nicht für sich allein. Ich fixiere seinen Hinterkopf und brenne zwei Löcher durch seine Schädeldecke. ‚Guck mich an‘, hinterlasse ich in Leuchtbuchstaben. Chris legt seelenruhig seine Waren aufs Fließband.

Meine mentalen Fähigkeiten sind begrenzt, also benutze ich meine Stimme. Die will aber nicht, ist wie gelähmt und verkriecht sich in meiner Kehle, schützend die Hände vors Gesicht geschlagen. Miststück.

„Verfolgst du mich?“, murmelt Chris, ohne den Kopf zu wenden.

„Nein“, erwidere ich.

Er wirft mir einen finsteren Blick zu. „Sieht aber so aus.“

„Sorry“, quetsche ich heraus, aber es klingt eher wie ‚shurry‘.

Chris wartet am Ausgang auf mich. Zwei prall gefüllte Plastiktüten lehnen an der Wand neben ihm. Ich trotte auf ihn zu und wage nicht, ihm in die Augen zu schauen. Mein Herz hat einen ungesunden Rhythmus aufgenommen, den ich nicht begünstigen möchte.

„Pass mal auf“, sagt er und verschränkt die Arme vor seiner Brust. „Hör auf, mir hinterherzulaufen. Es ist vorbei. Verstanden?“

Ich nicke und sehe hoch. Chris‘ grüne Augen funkeln und brennen nun ihrerseits ein Loch in mein Gehirn. Dort steht in dicken, leuchtenden Buchstaben: ‚Du kommst zu spät‘. Ja, klasse, als wenn ich das nicht schon begriffen hätte. Ich nicke, schlucke und senke meine Wimpern.

„Ich hab‘s begriffen. Leb wohl“, flüstere ich.

„Genau. Leb wohl, Julius“, entgegnet Chris.

„Dann … geh ich jetzt.“

„Genau. Ich auch“, murmelt er.

„Tschüss. Ich wünsch dir ein schönes Leben.“

„Wünsch ich dir auch“, erwidert Chris, und für einen winzigen Moment blitzt Sehnsucht in seinen Augen auf.

Mein Herz stolpert, ich auch, als ich an ihm vorbeirenne und den Weg zu meiner Wohnung im Sprint zurücklege. Meine Füße haben sich verselbständigt. Ich will gar nicht weg, könnte ewig in diesem Supermarkt stehen und Chris ansehen. Gut, irgendwann wäre Ladenschluss, aber das Wetter ist mild. Wir hätten vor der Tür weitermachen können. Womit? Damit, uns zu verabschieden.

Ich kann keinen Abschied nehmen, obwohl die Trauer in meinem Herz für zehn ausgereicht hätte. In meiner Wohnung angekommen packe ich die Einkaufstasche aus und gucke auf den Kalender. Wir schreiben heute den vierten April, morgen ist der fünfte. Irgendjemand hat dort was hin gekritzelt. Ich trete näher und beuge mich vor. ‚Geburtstag Chris‘. Eine andere Zeit, ein anderes Universum. Eines, in dem wir im Liebestaumel geglaubt haben, wir würden ewig zusammenbleiben.

Ich sehe uns in der Küche. Chris, kichernd, nimmt einen Stift und schreibt etwas auf den Kalender. Er dreht sich um und lächelt mich an. ‚In drei Monaten werde ich siebenundzwanzig‘ sagt er, und wirft den Schreiber auf den Tisch. Ich ziehe ihn lachend in meine Arme und lehne mich an ihn. ‚Dann sind wir fast vier Monate zusammen“, sage ich.

Schnitt. Nein. Alles ist vorbei. Jetzt stehe ich hier, drei verdammte Monate später, und spüre, wie in mir der Kampfgeist erwacht. Es ist nichts vorbei, außer, ich lass es zu. Entschlossen greife ich nach der Schürze, binde sie mit einem grimmigen Lächeln um und reiße anschließend alle Schränke auf. Verdammt, wo ist der Mixer?

 

Christoph

Mein Herz rammt gegen meine Rippen. Die Begegnung mit Julius hat mich atemlos gemacht. Erst heute Morgen beim Bäcker – jetzt das hier. Ich nehme die Einkaufstüten hoch und schleppe sie nach Hause. Was für ein Zuhause ist das aber? Es ist leer und kalt. Als ich die Einkäufe auspacke und verstaue fällt mir ein, wie ich, nur mit Julius lächerlicher Schürze bekleidet, an seinem Herd gestanden und Bratkartoffeln zubereitet habe.

„Süßer, was wird das?“, hatte Julius in mein Ohr geraunt und mir neugierig über die Schulter gespäht.

„Bratkartoffeln, aus echten Erdäpfeln.“

Julius‘ Hand hatte sich unter die Schürze verirrt und streichelte meinen Schwanz. „Hm, lecker“, flüsterte er in mein Ohr.

Ich hatte den Herd ausgestellt, mich umgedreht und ihn geküsst.

Nein, jetzt nicht weiter daran denken. Es tut zu weh und ist völlig nutzlose Quälerei. Ich laufe ins Schlafzimmer und schnappe mir das T-Shirt, das Julius bei mir vergessen hat. Es riecht inzwischen nicht mehr nach ihm und ist ziemlich schmuddelig, trotzdem vergrabe ich meine Nase in dem Stoff. Ich werde es ihm zurückbringen, sicher vermisst er es schon. Es ist ein sehr schönes Shirt mit einem Bild vom Krümelmonster darauf.

Wenig später renne ich die Treppe hinunter, wobei ich meine Jacke zuknöpfe. Es sind nur wenige Meter bis zu dem Haus, in dem er wohnt. Erleichtert stelle ich fest, dass die Haustür offen ist und laufe die Stufen zu seiner Wohnung hinauf. Warum die Eile? Ich halte inne und gehe die letzten Schritte betont langsam, wobei mein Herzschlag laut in meinen Ohren wummert.

„Chris“, flüstert Julius, als er die Tür öffnet.

Ich sehe das Aufblitzen seiner Augen, die Schürze, die er um seine Taille gebunden hat. Erinnerungen kommen hoch und schnüren mir die Kehle zu. Mich räuspernd strecke ich ihm das T-Shirt entgegen.

„Das gehört dir“, quetsche ich mühsam hervor.

„Oh, danke“, murmelt Julius und bewegt sich nicht.

Ich schnuppere. „Sag mal – brennt da was an?“

Scheiße!“, ruft Julius, fährt herum und sprintet durch den Flur.

Ich trete ein und schließe die Tür hinter mir. Neugierig folge ich ihm in die Küche. Er steht gebückt vor dem Herd und zieht eine Backform aus dem Ofen. Mein Blick fällt auf seinen Hintern, den er mir entgegenstreckt. Energisch verbiete ich meinem Blut, nach unten zu fließen. Erfolglos.

„Puh!“ Julius stellt die Form auf den Herd und wischt sich über die Stirn. „Gerade noch rechtzeitig. Danke.“ Er guckt schüchtern in meine Richtung.

„Was wird denn das?“, frage ich und mache einen Schritt auf ihn zu, wobei ich immer noch das T-Shirt in meiner Hand halte.

„Ein Kuchen. Morgen hat ein Freund Geburtstag“, antwortet Julius leise.

„Was für ein Zufall.“ Ich stelle mich neben ihn.

Der Kuchen ist schwarz, aber das kann ich reparieren. Ich drücke Julius sein Kleidungsstück in die Hand und ziehe meine Jacke aus, die ich über die Lehne eines Stuhls werfe. Mir die Ärmel hochkrempelnd zeige ich auf seine Schürze und befehle: „Her damit.“

Nach kurzem Zögern löst Julius den Knoten und reicht mir das lächerliche Ding. Er sieht mir nicht in die Augen dabei und auch ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll.

„Gib mir ein Messer“, verlange ich und mustere die Sachen, die auf dem Küchentisch stehen. Sahne, Quark, Zitrone und noch ein paar andere Zutaten.

„Es soll ein gefüllter Kuchen werden“, erklärt Julius. „Außerdem will ich obendrauf noch etwas schreiben.“

Ich weiß, wie sehr er Kochen und Backen hasst. Dieser Freund – er muss ihn sehr mögen, dass er diese Tortur auf sich nimmt. Ich nehme das Messer, das Julius mir reicht, und schneide vorsichtig die oberste Schicht vom Kuchen ab. Herzform. Na klasse. Mein Herz schmerzt bei dem Anblick, aber mein Ehrgeiz ist geweckt. Nachdem der verbrannte Teig entfernt ist präsentiert sich das Backwerk in seiner ganzen Pracht.

„Das ist ein einfacher Rührteig“, erklärt Julius und greift nach einem Kochbuch.

Es ist genau das Buch, das ich ihm in unserer ersten Woche geschenkt habe. Ich weigere mich, weiter über die Sache nachzudenken und nehme es ihm aus der Hand.

 

In der folgenden Stunde arbeitet Julius nach meinen Anweisungen. Er rührt die Quarkmasse an und hilft mir, das Zeug in den Kuchen zu heben. Ich verschmiere die Reste auf der Oberfläche und betrachte zufrieden das Meisterwerk. Es sieht lecker aus und ich würde zu gern probieren, aber er ist ja nicht für mich.

„Was ist nun mit der Schrift?“ Ich schaue mich suchend um, entdecke aber nirgends Zuckerfarbe oder Ähnliches.

„Smarties“, erwidert Julius und rennt davon.

Er kehrt mit einer Packung Schokolinsen und einer Tüte Kerzen zurück. Naschwerk verwahrt er im Wohnzimmer, warum auch immer. Ich sehe gespannt zu, wie er mit den Linsen konzentriert auf der Oberfläche des Kuchens Buchstaben bildet. Dabei rutscht ihm die Zungenspitze zwischen die Lippen, entzückend. Meine Augen können sich nicht entscheiden, ob sie lieber das Backwerk oder diese süße, rosa Zunge betrachten möchten. Meine Hose wird eng und Atemnot setzt ein. Mein Inneres fühlt sich an wie ein Kindergeburtstag auf seinem Höhepunkt.

„So“, murmelt Julius und richtet sich auf.

Ich gucke auf den Kuchen und lese ‚Chris‘, darunter hat er ein Herz gelegt. Meines macht einen Salto und beginnt anschließend, Seil zu springen. Mit weit aufgerissenen Augen verfolge ich, wie Julius eine Kerze nach der anderen in den Teig steckt. Siebenundzwanzig, zähle ich lautlos mit. Eine Ohnmacht naht. Ich weiche zurück bis zur Tür, lehne mich schwach gegen den Rahmen und schließe die Augen.

Julius hat für mich diesen Kuchen gebacken. Ich muss kräftig schlucken. Meine Beine schlottern und in mir ist alles gerade dabei, sich neu zu formatieren. Langsam rutschen meine Organe an ihren Platz. Mein Herz klopft schnell, aber kräftig. Versuchsweise hebe ich meine Lider und gucke rüber zu Julius, der abwechselnd zu mir, auf den Geburtstagskuchen und die Uhr schaut, die über der Tür hängt.

„Es sind noch zehn Minuten“, flüstert er und sieht mich an. „Darf ich die Kerzen anmachen oder …?“

Mein Sprachzentrum ist außer Betrieb, mein Gehirn nur matschige Masse und ich voller Sehnsucht. Julius Blick ist ängstlich, seine blauen Augen weit aufgerissen und er tut das, was er immer tut wenn er unsicher ist: er zupft sich am Ohrläppchen.

Ich kann den Blick nicht von seinen Fingern lassen, die immer wieder an diesem sehr süßen Ohr rumfummeln. Warum noch gleich will ich mich nicht auf ihn einlassen? Ach ja, Vertrauen. Er hat mir nicht vertraut, was nach zwei Wochen nicht verwerflich ist – aber schmerzhaft. Schmerzlich pocht auch mein Herz und mein Magen sendet Signale, die auf einen Kotzreiz schließen lassen. Ich ignoriere das alles und gehe langsam zum Tisch, setze mich auf einen Stuhl und starre den Kuchen an.

„Mach sie an“, flüstere ich heiser.

Julius fummelt ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und entzündet mit zitternden Fingern die Kerzen. Danach sinkt er mir gegenüber nieder und glotzt die brennenden Lichter an. Wir schweigen, wobei sich mein Arm wie von selbst ausstreckt und ich mit meinen Fingern nach seinen greife. Händchenhaltend beobachten wir, wie sich die Glut durch den Wachs frisst und immer wieder Tropfen an den schlanken Stümpfen herunterlaufen.

„Noch zwei Minuten“, verkündet Julius nach einer ganzen Weile mit einem kurzen Blick auf die Uhr.

„Und dann?“, frage ich nervös.

„Dann bist du ein Jahr älter.“ Er lächelt traurig und sieht mich an. „Und es ist alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt und gewünscht habe.“

Ich versinke in seinem Blick und weiß plötzlich, dass es nur eine Möglichkeit gibt. Julius gehört zu mir – ich zu ihm. Ich will nicht ohne ihn sein, das haben die vergangenen Monate gezeigt. Meine Mundwinkel zittern und ziehen sich zögernd hoch.

„Zähl den Countdown“, bitte ich.

Julius nickt und schaut mich an, während er langsam rückwärts zählt. Es sind nur noch drei Sekunden, es geht schnell.

„Wir pusten zusammen und jeder wünscht sich das, was er am meisten will“, raune ich, als er bei null angekommen ist.

 

Julius

Was ich mir wünsche? Ich drücke Chris‘ Hand ganz fest, schließe meine Augen und puste. Gleichzeitig beugt er sich vor und ich spüre seinen Atem, als er kräftig bläst. Alle Kerzen sind aus. Und nun?

Sein unsicherer Blick wandert zu mir, wobei seine Finger sich fest um meine krampfen. Ich könnte gleichzeitig losheulen oder lachen, aber beides bleibt mir im Hals stecken. Der Wunsch steht im Raum.

„Ich habe mir gewünscht…“, flüstere ich, aber Chris schüttelt energisch den Kopf.

„Du darfst es nicht sagen, sonst geht es nicht in Erfüllung“, erwidert er.

Wenn ich es nicht aussprechen darf, wie kann er dann wissen, dass ich mir ihn gewünscht habe? Die Sehnsucht brodelt in mir und braucht ein Ventil. Eine Träne verirrt sich in meinem Augenwinkel und kullert über meine Wange.

„Ich vermiss dich so“, gestehe ich.

Er zieht an meiner Hand, bis ich hochkomme und gleich darauf auf seinem Schoß lande. Seine Augen gucken sehnsüchtig und ich fühle, wie sich seine Arme um mich schließen. Er lehnt seine Stirn gegen meine, unsere Nasenspitzen berühren sich. Ganz langsam nähern sich unsere Lippen, bis ich endlich seinen weichen Mund auf meinem spüre. Die ersten Küsse sind zart, vorsichtig tastend. Dann bricht ein Damm und unsere Zungen umschlingen sich, zerren und tanzen wild miteinander.

Lust brennt in meinen Adern und rast wie ein Lavastrom durch meinen ganzen Körper. Selbst in den Zehenspitzen kann ich sie fühlen und versenke genüsslich stöhnend meine Finger in Chris Locken. An meiner Hüfte spüre ich seine Erektion, meine eigene drückt gegen den Reißverschluss.

„Chris“, wimmere ich an seinem Mund. „Ich will dich so sehr.“

„Hast du in den letzten Monaten mit anderen Männern was gehabt?“, fragt er heiser.

„Nein.“ Empört löse ich mich von ihm und schaue in seine Augen.

„Ich auch nicht.“ Chris lächelt.

„Gibst du mir eine Chance? Ich will mit dir zusammen sein, bitte“, flüstere ich.

„Ja“, sagt er und streicht über meinen Rücken. „Ich will es auch. Aber diesmal musst du mir vertrauen.“

„Das tue ich“, erkläre ich aus tiefstem Herzen.

„Gut.“ Chris packt mich in den Kniekehlen und steht mit mir auf.

Als wäre ich federleicht trägt er mich zum Schlafzimmer und bettet mich sanft auf der Matratze. Mit flinken Fingern entkleidet er mich, wobei er meine Haut mit Küssen verwöhnt. Seine Augen strahlen und es fühlt sich an, als würde er ein Geschenk auspacken. Endlich bin ich nackt und sonne mich in seinem lüsternen Blick, der unverwandt auf mir liegt während er sich hastig auszieht.

Chris ist so schön. Seine breite Brust ist muskulös und unbehaart, sein flacher Nabel zieht meine Aufmerksamkeit magisch an. Vor allem die steil aufragende Erektion, die kurz darunter pocht, ist phantastisch. Ach, alles an ihm ist sehenswert und am liebsten würde ich ihn erforschen wie einen unbekannten Planeten, aber Chris hat andere Pläne und schwingt sich auf mich. Mir die Knie bis an die Brust drückend schiebt er seine Schwanzspitze in meine Spalte. Ich fühle die breite Eichel an dem engen Muskel und schlinge meine Arme um seinen Hals.

„Bitte mach“, wimmere ich sehnsüchtig.

Chris küsst mich wild, dabei dringt er in mich ein. Schmerz und Lust vermischen sich. Ich atme kontrolliert und versuche mich zu entspannen, dann ist er endlich ganz in mir drin und hebt den Kopf. Aufmerksam schaut er mich an, streicht mir über die Wange und lächelt zärtlich.

„Endlich“, raunt er.

Ich weiß was er meint. Wir haben diesen Moment immer besonders genossen. Diesmal ist es noch schöner und intensiver. Ich schnappe nach seinen Lippen und bewege auffordernd das Becken. Mein Schwanz zuckt und die Anspannung ist einfach zu groß, als dass ich länger warten kann. Chris fickt mich langsam, quält mich mit bedächtigen Bewegungen. Bald ist sind unsere Körper von einem Schweißfilm überzogen und unser Stöhnen dröhnt in meinen Ohren.

„Chris“, bettle ich und bohre meine Finger in seine Schultern.

Er lächelt verzerrt, seine Züge sind angespannt. Die Stöße werden schneller und kräftiger. Ich sehe, dass er am Rande seiner Beherrschung ist und genieße es. Chris guckt mich an, sein Atem kommt abgehackt und seine Augen weiten sich. Der Anblick lässt meine Bauchdecke vor Lust erzittern, erste Vorboten meines nahenden Höhepunkts bringen meinen Schwanz zum Zucken.

Mit meinem Namen auf den Lippen explodiert Chris und wird stocksteif, während er seinen Samen in mich ergießt. Er nimmt mich mit, ich werde hochgerissen und klammere mich an ihm fest. Meine Sahne benetzt unsere Bäuche, bunte Sterne blitzen hinter meinen geschlossenen Lidern auf. Ein absolut himmlischer und seliger Moment, der nur uns gehört.

Atemlos und nass bricht Chris auf mir zusammen. In enger Umarmung bleiben wir liegen und warten darauf, dass sich unser Herzschlag beruhigt.

 

„Herzlichen Glückwunsch“, sage ich nach einer Weile als mir einfällt, dass ich das vorhin ganz vergessen habe.

Chris lacht leise und rollt sich mit mir herum. Seine Augen leuchten und er sieht glücklich aus. „Danke. So schön hat mein Geburtstag noch nie begonnen.“

„Das gefällt mir.“ Ich streiche ihm ein paar Strähnen aus der Stirn und küsse ihn zärtlich.

„Mir auch.“ Chris zieht mich ganz nah an sich heran. „Ich will gleich meinen Kuchen probieren. Einen Teller brauche ich aber nicht. Ich werde ihn auf dir verteilen und von dir runter lecken.“

„Klingt gut“, wispere ich und kuschle mich an ihn.

„Was hättest du getan, wenn ich heute Nacht nicht zu dir gekommen wäre?“, fragt Chris leise.

„Ich wäre morgen zu dir gegangen und hätte dich auf Knien angefleht, mich zurückzunehmen.“

„Klingt auch gut.“

„Das hier ist besser.“

„Oh ja“, murmelt Chris und der Kuss, den er mir dann gibt, verrät seinen Hunger.

Gleich wird er den Kuchen holen. Hauptsache, er schleckt mich gründlich ab. Bei dem Gedanken werde ich hart, und ein Glucksen steigt in meiner Kehle hoch.

„Warum lachst du?“, fragt Chris irritiert.

„Ich bin glücklich“, erkläre ich mit einem idiotischen Grinsen.

„Ich auch“, murmelt er und schwingt die Beine aus dem Bett.

Pfeifend und mit seinem scharfen Hintern wackelnd verschwindet er in Richtung Küche. Ich schaue ihm seufzend hinterher und warte sehnsüchtig auf seine Rückkehr. Auf die nächsten Jahre mit ihm freue ich mich auch.

 

ENDE

 

Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: depositphotos
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2019

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