Jophiel saß auf dem Flachdach des Hauses, in dem sein Schützling Lasse Burkhard lebte, und ließ seine Beine über die Kante baumeln. Die beiden Kinder spielten im Garten, so, wie von der Mutter befohlen. Das hieß übersetzt, dass die zwei Teenager lustlos am Schaukelgerüst herumhingen und darauf lauerten, endlich wieder rein zu dürfen. Sogar ihre Smartphones hatte die Mutter ihnen abgenommen. Den missmutigen Mienen nach zu urteilen, empfanden die beiden das als Amputation.
Jophiel, seit einiger Zeit Ballerspiel-Fan, brachte dafür größtes Verständnis auf. Wann immer sich Gelegenheit bot, also dann, wenn die Kinder in der Schule oder verlässlich irgendwo anders waren, benutzte er deren Spielkonsolen. Anfangs hatte er damit erheblichen Ärger verursacht, weil sich die beiden gegenseitig beschuldigten, unerlaubt an ihre Sachen zu gehen. Er hatte nämlich ihre Spielstände überschrieben, völlig ahnungslos, wie man das verhinderte. Inzwischen wusste er, wie man sich ein neues Profil anlegte und seine Spuren einigermaßen verwischte.
Ein paarmal hatte die Herrin des Hauses ihn fast in einem der Kinderzimmer ertappt. Es war nur seinem siebten Sinn zuzuschreiben, sich noch rechtzeitig in Luft auflösen zu können. Die feine Dame schnüffelte in der Abwesenheit ihrer Kinder gern in deren Zimmern herum. Eine unschöne Angewohnheit.
Überhaupt wurde er mit Sophia, der Frau seines Schützlings, nicht warm. Sie gab sich zwar redlich Mühe, eine gute Mutter zu sein, aber Empathie war ihr ziemlich fremd. Das galt auch für den Umgang mit Lasse, seinem Schutzbefohlenen. Oft behandelte sie diesen herablassend und im Bett … ein Gentleman schwieg darüber. Nur ein kleiner Hinweis: Grauenvoll.
Eigentlich war Jophiel Bengelamter, das engelische Pendant zum Beamten. Vor 150 Jahren hatte er sich für solche Stelle beworben, weil ihm sein Schutzengel-Job zu stressig wurde. Alles wäre wunderbar, hätte der oberste Chef nicht die tolle Idee gehabt, den Himmel nach amerikanischem Vorbild zu managen. Entsprechend war vor einiger Zeit Job-Rotation eingeführt worden, was bedeutete, dass man in regelmäßigen Abständen versetzt wurde. Seit einem Jahr war Jophiel daher wieder als Schutzengel tätig und Lasse zugewiesen worden. Laut Plan sollte er in vier Jahren zu den Amoretten und danach zu den Pförtnern wechseln. Vor beidem graute ihm. In kurzem Hemdchen herumzuflattern und Liebespfeile abzuschießen fand er genauso gruselig, wie Neuankömmlingen ihre Rechte vorzulesen und sie mit passendem Hemd und Leier auszustatten.
Inzwischen hatten sich die Teenager dem Haus genähert.
„Mama? Dürfen wir wieder rein?“, bettelte Kara an der offenstehenden Terrassentür.
Als keine Antwort erfolgte, meldete sich ihr Bruder Kant (Kinder auf die Nachnamen verstorbener Künstler zu taufen, gehörte nach Jophiels Meinung verboten) zu Wort: „Bitte, Mama! Wir langweilen uns zu Tode!“
„Na gut, kommt wieder rein“, ließ sich die Dame des Hauses zu einer Erwiderung herab. „Aber verratet das nicht Papa, sonst macht er mich einen Kopf kürzer.“
Jophiel sah, wie die beiden Teenager die Augen verdrehten, bevor sie ins Haus schlüpften. Papa hätte sie nämlich gar nicht erst nach draußen geschickt. Wohlweislich hielten die beiden den Mund, denn solche Einwände erzeugten bei ihrer Mutter nur noch mehr Strenge. Ganz schön schlau für ihr Alter. Kara war 13, Kant 15.
Er zog auf die andere Seite des Daches um. Bald müsste Lasse nach Hause kommen. Anfangs war er seinem Schützling auf Schritt und Tritt gefolgt. Mittlerweile fuhr er nur noch morgens mit zur Arbeit und kehrte, sobald sie heil in der Tiefgarage der Bank, bei der Lasse arbeitete, angekommen waren, zum Haus der Familie zurück. Sein siebter Sinn würde ihm schon mitteilen, wenn seinem Schützling auf der Rückfahrt Gefahr drohte. Außerdem war es ihm zu langweilig, in Lasses Büro herumzuhängen. Da zockte er doch lieber mit Karas oder Kants Spielkonsole.
Mal wieder fragte sich Jophiel, welchen Beruf er ergriffen hätte, wenn er als Mensch geboren worden wäre. In all den Jahren als Schutzengel hatte er sich meist an seinem Schutzbefohlenen orientiert. Der letzte war ein Bauer gewesen, der mit 45 an einer verschleppten Grippe starb. Felder zu bestellen und im Herbst die Früchte seiner Arbeit zu ernten hatte ihm sehr gefallen, zumindest beim Zugucken.
Davor war er einer Kurtisane zugeteilt gewesen. Wenn sie nicht gerade die Beine für den Baron breitmachen musste, ein recht gemütliches Leben: In schönen Kleidern herumlaufen und sich von Leuten bedienen lassen. Das andere … nun, Schwamm drüber. Sie hatte es sich eben so ausgesucht.
Vor der Kurtisane hatte er einen Schmied als Schützling, davor einen Nonne. Mann-o-Mann! Was im Kloster so abging … An seine Schutzbefohlenen vor der Nonne erinnerte er sich nur schwach. Auch ein Engel neigte zur Vergesslichkeit. Bei so vielen hundert Jahren ja wohl kein Wunder.
Falls in diesem Jahrhundert der Beruf eines Spiel-spielers existierte, wäre das genau sein Ding. Vielleicht gab es Leute, die Test-Zocker brauchten und bereit waren, dafür zu bezahlen. Manchmal kam es Jophiel so vor, als ob in der modernen Zeit alles möglich wäre. Man betrachte doch nur mal diese Leute, die damit Geld verdienten, blöde Clips auf einer Online-Plattform zu präsentieren. Manche wurden damit stinkreich und Influenza genannt. Was diese Leute mit einer Grippe-Epidemie gemein hatten, war ihm ein Rätsel.
Ein schwarzer BMW hielt vorm Gartentor. Hinterm Steuer erkannte Jophiel seinen Schützling. Langsam schwangen die Torflügel auf und der schwere Wagen rollte aufs Grundstück. Wie so oft stand Sophias knallrotes Cabrio quer vor der Garage, so dass Lasse halb auf dem Rasen parken musste.
Zu dem Thema Frauen am Steuer: In seiner Zeit als Bengelamter hatte Jophiel die Todesstatistiken verwaltet. Frauen waren weitaus weniger häufig in tödliche Verkehrsunfälle verwickelt als Männer. Er fand das im Hinblick auf seine Erfahrungen des letzten Jahres erstaunlich. Sophia fuhr wie der erste Mensch und Einparken gehörte gar nicht zu ihrem Repertoire. Ähnliches hatte er bei vielen anderen weiblichen Verkehrsteilnehmern beobachtet. Na gut. Wahrscheinlich war er voreingenommen, weil er Sophia - geradeheraus gesagt - nicht leiden konnte.
Lasse stieg aus, einen Aktenkoffer in der Hand und ging aufs Haus zu. Hingerissen seufzend beugte sich Jophiel vor. Das schwarze Brillengestell fand er ja sowas von heiß! Überhaupt war Lasse ein ziemlich scharfer Typ: Ungefähr eins achtzig groß, ungebärdige braune Haare, ebensolche Augen - also, von der Farbe her - und ein hübsches Gesicht. Jedenfalls fand Jophiel es schön. Andere würden es vielleicht als gewöhnlich bezeichnen.
Er hatte von jeher ein Faible für Männer. Weibliche Reize lösten bei ihm nichts aus, aber wenn er einen erigierten Schwanz sah, gingen bei ihm gleich alle Lichter an. Natürlich nicht bei jedem Exemplar. Darunter gab es durchaus welche, die er als abstoßend empfand, vor allem, wenn ein ätzender Typ daran hing.
Mittlerweile war Lasse im Gebäude. Jophiel diffundierte durchs Dach direkt in den Flur und wurde dort Zeuge, wie Sophia ihrem Mann mal wieder Vorhaltungen machte.
„… komme mir vor wie eine Bedienstete! Du gehst morgens aus dem Haus, lässt alles stehen und liegen und erwartest, dass abends alles picobello ist. Zudem darf ich mich noch mit den Kindern rumschlagen, die auch immer aufmüpfiger werden“, zeterte Sophia.
„Aber du hast doch Hilfe“, wagte Lasse zu widersprechen.
„Berta kommt einmal pro Woche. Einmal! Hier sieht es aber jeden Tag aus wie bei Hempels unterm Sofa.“
Waren die Hempels Freunde von Sophia? Jophiel kannte diese Leute gar nicht.
„Ich kann Berta gern bitten, zweimal zu kommen. Oder lieber dreimal?“, bot Lasse an.
Sophia stemmte ihre Hände in die Seiten. „Wie wäre es, wenn du mal deinen Teil zum Haushalt beiträgst?“
Lasse fiel die Kinnlade runter. Verständlich. Schließlich brachte der arme Kerl das ganze Geld mit nach Hause, das die gute Sophia mit vollen Händen ausgab. Da konnte man ja wohl ein bisschen Gegenleistung erwarten, zumal es im Bett … nein, ein Gentleman schwieg über solche Sachen.
„Also gut. Was genau erwartest du von mir?“, fragte Lasse schließlich.
Jophiel verspürte den dringenden Wunsch, seinem Schützling einen Schlag gegen den Hinterkopf zu verpassen. Was die Alte brauchte war Gegenwind, kein Einknicken. Allerdings schien Sophia mit Lasses Frage nichts anfangen zu können, denn sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
„Du verstehst mich nicht!“, jammerte Sophia, wobei eine Träne über ihre Wange rann. „Ich muss hier raus!“, fügte sie in dem Tonfall einer vom Leben arg gebeutelten Frau hinzu, schnappte sich ihre Handtasche, riss die Haustür auf und schmetterte sie hinter sich ins Schloss.
Lasse stand da wie ein begossener Pudel. Nun hatte Jophiel das Bedürfnis, den armen Kerl zu trösten. Er strich Lasse über den Kopf, was der natürlich nicht merkte.
„Verflixt und zugenäht“, brummelte Lasse, legte die Aktentasche auf die Garderobe und wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Kann das bitte irgendjemand beenden? Ich halt das nicht mehr lange aus.“
War das eine Aufforderung an ihn? Jophiel überlegte, sich zu materialisieren und zu fragen, was er denn tun sollte. Damit hätte er Lasse aber bestimmt zu Tode erschreckt.
„Papa? Papa!“, erklang in diesem Moment Karas Stimme, gefolgt von Getrappel auf der Treppe.
Sie war das Ebenbild von Sophia, der Junge hingegen glich Lasse. Charakterlich hatte Jophiel aber noch keine Übereinstimmung festgestellt. Kara sprang ihrem Vater um den Hals. Garantiert wollte sie etwas von Lasse, weil sie sonst weniger überschwänglich war.
„Na, na, meine Tochter. Nicht so stürmisch.“ Lasse strich ihr übers Haar.
„Darf ich ins Tina-Musical?“
„Bist du dafür nicht zu jung?“
„Alle gehe hin“, behauptete Kara, ließ ihren Vater los und setzte einen Welpenblick auf. „Bitte-bitte!“
„Wenn deine Mutter oder ich dich begleiten, kannst du hingehen.“
Sie schob die Unterlippe vor. Gespannt beobachtete Jophiel Lasses Reaktion. Als er das letzte Mal Schutzengel war, galten noch ganz andere Regeln. Die Kinder hatten ihre Eltern gesiezt und gekuscht, anstatt zu revoltieren. Was sich im Hause Burkhard abspielte, war für ihn also eine Premiere. Er lernte jeden Tag etwas Neues über die Menschen des 21. Jahrhunderts. Vor seinem Einsatz hatte er einen Crashkurs in moderner Technik absolviert, sonst wäre er auch diesbezüglich ahnungslos. Es gab ein paar Geräte, mit deren Bedienung er nicht vertraut war, aber er musste ja auch nicht alles wissen. In vier Jahren fand sein Gastspiel ja eh ein Ende.
„Kara! Du bist erst 13. Ohne Begleitung darfst du nicht ins Konzert“, verdeutlichte Lasse seinen Standpunkt.
„Aber Mia und Britt dürfen das auch!“, widersprach Kara.
„Dann werde ich mit den Müttern von Mia und Britt telefonieren.“
Kara schnaubte, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte die Treppe wieder hoch. Seufzend sah Lasse ihr hinterher, schüttelte den Kopf und ging mit müden Schritten ins Wohnzimmer. Die Hände in den Hosentaschen, schaute er aus dem Fenster.
Im Anzug sah Lasse heiß aus, in Jeans noch heißer und im Adamskostüm: Wow! Dessen ungeachtet empfand Jophiel Mitleid. Er ließ sich auf der Rückenlehne der Couch nieder, stemmte die Ellbogen auf seine Beine und stützte das Kinn in seine Hände. So, wie Lasse da stand, wirkte er wie ein gebrochener Mann. Jophiel würde nicht mit ihm tauschen wollen. Die langweilige Arbeit, die Gattin und dazu noch die Kinder … nein, das war echt kein Zuckerschlecken. Gemessen an dem, was manche Männer in anderen Jahrhunderten ertragen mussten, natürlich ein Klacks - dennoch.
Es war schon merkwürdig. Heutzutage musste niemand mehr Fronarbeit leisten, es gab keine Sklaverei mehr und Kriege waren weitestgehend auch Geschichte. Trotzdem sah er überall betrübte Gesichter. Der Chef hatte recht: Menschen fanden immer das Haar in der Suppe. Na ja, Engel waren auch nicht viel besser. Wenn er an so einige Kollegen dachte, die wegen jeder Kleinigkeit auf die Barrikaden gingen. Manche hatten sogar das himmlische gegen ein irdisches Dasein eingetauscht. Schon verrückt. Wer wollte denn - bitteschön! - sterblich sein? Ganz zu schweigen von den ganzen Seuchen, die man sich damit einhandeln konnte, wie HIV oder eine Ehefrau.
Na gut, es waren nicht alle Weiber solche Furien wie Sophia. In seiner Karriere hatte Jophiel auch viele nette Frauen gesehen. Warum musste Lasse ausgerechnet dieses Miststück heiraten? Sophia war zwar äußerlich recht hübsch, aber wenn sie den Mund aufmachte … ohne Worte.
Apropos: Mal gucken, was die Dame so trieb. Hier herrschte momentan ja Totentanz.
Jophiel stieg in die Höhe und begann, auf der Suche nach Sophia über der Stadt zu kreisen.
Woran lag es, dass Sophia in letzter Zeit ständig auf Krawall gebürstet war? Litt sie unter einer vorzeitigen Midlife-Crisis? Jedenfalls war sich Lasse keiner Schuld bewusst. Er erledigte seinen Teil der Hausarbeit, ließ nie etwas liegen und pinkelte im Sitzen; außerdem ließ er sie nachts in Ruhe. Was wollte sie also noch? Sollte er sich vielleicht in Luft auflösen?
Er ließ sich auf der Couch nieder und nahm kurz seine Brille ab, um sich übers Gesicht zu wischen. Manchmal fühlte er sich so müde, als ob er schon 100 wäre, dabei hatte er bis dahin noch etliche Jahre Zeit. Vor der Vorstellung, diese mit Sophia zu verbringen, grauste ihm inzwischen. Da die Kinder aber noch nicht flügge waren, musste er weiterhin durchhalten. Er hatte mal gelesen, dass eine Trennung der Eltern gerade in der Pubertät schwerste Schäden verursachen konnte.
Was war bloß aus der lieben Sophia geworden? Als sie sich kennenlernten, hatte sie ihn mit ihrer sanften Art in ihren Bann gezogen. Damals war er ein kleiner Bankangestellter, sie eine Verkäuferin. Gemeinsam hatten sie schwere Zeiten gemeistert, mit zwei kleinen Kindern und wenig Geld. Hinzukam sein Abendstudium, dank dem er aber in der Hierarchie aufstieg.
Zusammen mit seiner Beförderung und entsprechend mehr Gehalt, flatterte ein unerwartetes Erbe ins Haus. Davon und mit einem Kredit, hatten sie die Immobilie erworben. Sophia hörte auf zu arbeiten, um sich intensiver um die Kinder kümmern zu können.
Das war mittlerweile sieben Jahre her. Seitdem waren Sophias Ansprüche ständig gestiegen. Erst musste ihr Kleinwagen gegen einen größeren getauscht werden. Als sie die Kinder nicht mehr ständig durch die Gegend kutschieren brauchte, wollte sie unbedingt ein Cabrio haben. Eine Putzfrau war das nächste, was sie verlangte. Fehlte nur, dass sie von ihm auch noch die Einstellung eines Gärtners forderte.
Ehrlich gesagt würde er es begrüßen, wenn sie jemanden für ihre körperlichen Bedürfnisse zur Verfügung hätte. Insofern wäre es vielleicht eine gute Lösung, einen potenten Burschen unter dem Deckmäntelchen der Gartenpflege zu beschäftigen. Er genügte ihr im Bett ja nicht mehr, obwohl er sich stets größte Mühe gegeben hatte. Zugegeben: Es mangelte ihm an Begeisterung. Je zickiger sie wurde, desto weniger regte sich sein Schwanz. Mittlerweile kroch der sogar fast in ihn rein, wenn sie in seine Nähe kam.
Der von ihm - auf Sophias Forderung hin - konsultierte Urologe hatte erektile Dysfunktion aufgrund psychischer Belastung diagnostiziert. Darauf wäre er auch von allein gekommen. Gegenüber Sophia hatte er behauptet, an vorzeitiger Menopause zu leiden. Ob sie das glaubte, entzog sich seiner Kenntnis. Sie hatte bloß eine Augenbraue hochgezogen und sich mit: „Bis nachher. Bin beim Friseur“, verabschiedet.
Schritte auf der Treppe kündigten eines der Kinder an. Lasse tippte auf Kant, weil Kara zu hopsen pflegte. Tatsächlich kam sein Sohn ins Wohnzimmer und fragte: „Was gibt’s zu essen?“
„Ich wünsche dir auch einen guten Tag“, erwiderte Lasse. „Das übliche. Brot, Käse und Aufschnitt.“
„Kann ich eine Pizza bestellen?“
„Hattest du kein Mittagessen?“
„Doch, aber das mochte ich nicht.“
Auf Diskussionen hatte Lasse keine Lust. „Okay. Aber dann bestellen wir alle zusammen.“
Kants Mundwinkel flogen hoch. „Ich hol Kara.“
Sein Sohn sauste davon. Lasse begab sich ebenfalls ins Obergeschoss, um seinen Anzug gegen Jeans und T-Shirt auszutauschen. Als er die Treppe wieder runterging, hörte er seine Kinder in der Küche diskutieren, welchen Lieferdienst man beauftragen sollte. Was für ein schönes Alter, in dem man noch solche banalen Probleme hatte.
„Wo ist eigentlich Mama?“, erkundigte sich Kara, nachdem sie ihre Bestellung telefonisch aufgegeben hatten.
„Sie musste noch dringend irgendwohin“, log Lasse.
„Bestimmt zu ihrem Nagelstylisten“, vermutete Kant mit einem süffisanten Grinsen.
Erstaunlich, wie erwachsen sein Sohn geworden war. „Wie sieht’s mit euren Hausaufgaben aus?“
„Alles erledigt“, „Ich hab nichts auf“, entgegneten seine Kinder gleichzeitig.
Das bekam er jedes Mal zu hören, wenn er nachfragte. Garantiert würde ein Prüfung ergeben, dass beide noch etwas zu tun hatten. Auch dazu verspürte Lasse null Bock, um es mal mit Kants Lieblingsworten auszudrücken.
Die Früchte seiner Lenden verzogen sich wieder nach oben. Lasse nutzte die Ruhepause, um einen Blick in die Tageszeitung zu werfen. Er überflog die Titelseite, blätterte zum Regionalteil und las kopfschüttelnd die Schlagzeile: Seniorin von E-Scooter überfahren. Allmählich gewann man den Eindruck, bei diesen Dingern würde es sich um LKWs handeln. Man machte aus einer Mücke einen Elefanten. Bei näherem Studium des Artikels kam heraus, dass die alte Dame zwar mit einem Rollerfahrer kollidiert, aber letztendlich an einem Schlaganfall gestorben war.
Ein Geräusch an der Haustür ließ in aufhorchen. Hohe Absätze klapperten über die Fliesen im Flur. Im nächsten Moment betrat Sophia das Wohnzimmer. „Tschuldige. Ich hab überreagiert.“
Erstaunt hob er die Brauen. „Kein Problem.“
„Haben die Kinder schon Abendbrot gegessen?“
„Wir haben gerade Pizza bestellt.“
Sophias Stirn bewölkte sich. „Das Zeug ist total ungesund. Hast du mal gelesen, was da alles drauf ist?“
„Aber es beruhigt die Nerven.“
Sie seufzte bloß und verließ den Raum. Er hörte sie die Treppe hochstöckeln und oben mit den Kindern reden, allerdings ohne einzelne Worte zu verstehen. Vermutlich hielt sie eine Predigt über gesundes Essen. Gerade wollte er sich erneut dem Artikel widmen, als es an der Tür läutete.
Kurz darauf saß er mit den Kindern am Küchentisch und aß Pizza. Sophia nahm nicht teil, weil sie später mit einer Freundin in einem Restaurant verabredet war.
„Kann ich meinen Rufnamen ändern?“, wollte Kant, der mit zweitem Vornamen Christian hieß, kauend wissen.
„Ganz und gar oder nur auf Christian?“
„Chris finde ich okay.“
„Dann sag einfach deinen Lehrern und Freunden, dass du so genannt werden möchtest.“
„Ich finde Kant besser“, mischte sich Kara ein.
„Du hast doch keine Ahnung wie es ist, mit so ‘nem blödem Namen rumzulaufen“, wies ihr Bruder sie von oben herab zurecht.
Beleidigt schob sie die Unterlippe vor, womit es sich aber schwer essen ließ. Sie stellte das Schmollen daher schnell wieder ein. Ach ja, erinnerte sich Lasse, er musste mit Sophia noch über diese Musical-Sache reden. Auch wenn Kara keine Silbe darüber verlor, war das noch lange nicht erledigt.
Leider verabschiedete sich Sophia, bevor sie das Abendessen beendet hatten. „Wartet nicht auf mich. Es kann später werden“, bat sie, küsste Kara auf die Stirn, wuschelte Kant durchs Haar und winkte ihm im Rausgehen zu.
„In letzter Zeit ist Mama andauernd allein unterwegs“, stellte Kara fest. „Warum geht ihr nicht zusammen weg?“
Gute Frage. „Wenn sie sich mit ihren Freundinnen trifft, störe ich nur.“
„Kann ich ausnahmsweise bis elf Fernsehen gucken?“, erkundigte sich Kant.
„Morgen ist Schule“, antwortete Lasse und hielt die Sache damit für erledigt, doch falsch gedacht.
„Ich weiß. Also?“, hakte Kant nach.
„Du musst um sieben aufstehen, also nein.“
Missmutig rümpfte Kant die Nase, ließ es aber dabei bewenden. Den Rest Pizza mampften die Kinder stumm, halfen ihm beim Aufräumen und verschwanden grußlos in ihre Zimmer. So schön es auch war, sie aus dem Gröbsten rauszuhaben, sehnte sich Lasse manchmal nach der alten Zeit zurück. Nach dem Abendessen hatten sie immer abwechselnd zusammen gespielt oder Fernsehen geguckt. Danach war Vorlesen dran und ab acht Ruhe im Haus. Inzwischen fand in regelmäßigen Abständen ein Kampf darum statt, dass die Lichter in den Kinderzimmern um zehn ausgingen und was gemeinsame Aktivitäten betraf: Fehlanzeige.
Jophiel hockte sich auf die Couchlehne neben Lasse, der Glotze guckte. Er war Sophia bis zu einem Lokal gefolgt. Drinnen wartete eine ihrer Freundinnen, weshalb er den Rückweg angetreten hatte. Was die Weiber miteinander bequatschten, interessierte ihn nicht.
Ihr Ausflug davor war etwas spannender gewesen. Er hatte sie bei ihrem Friseur aufgetrieben, allerdings nicht vorn im Salon, sondern in dem Raum dahinter, mit dem Maestro in eine wilde Knutscherei verwickelt. Anschließend hatte der Typ sie im Stehen geknallt. Kein Wunder, dass sie bei ihrer Rückkehr so friedfertig gestimmt war.
Gern hätte er Lasse von seiner Beobachtung erzählt, aber dazu müsste er sich materialisieren. Das wiederum würde einige Erklärungen nach sich ziehen. Die Menschen, denen er sich als Engel offenbart hatte, pflegten an ihrem Verstand zu zweifeln. Zweimal war jemand in Ohnmacht gefallen, davon einmal mit Todesfolge. Gott, hatte das Ärger gegeben! Petrus war schier ausgeflippt und kaum zu beruhigen gewesen. Diese Vorfälle hatten dazu beigetragen, sich für einen anderen Posten zu bewerben.
Da Lasse einen langweiligen Krimi guckte, schwebte Jophiel in Kants Zimmer. Wie so oft saß der vor der Spielkonsole und metzelte gerade eine ganze Batterie Feinde nieder. Eine Weile schaute er zu, doch auch das wurde ihm zu öde. Er beschloss daher, Petrus eine Stippvisite abzustatten. Vielleicht hatte der Chef ja inzwischen einen neuen Einfall, wie man den Himmel managte und er durfte zurück in seinen alten Job.
Auf Wolke 5 war der Schreibtisch verwaist. Ungeduldig flog Jophiel auf und ab. Gerade überlegte er, mal in die Schubladen zu spähen, als Petrus auftauchte und im Sessel hinter dem Ungetüm Platz nahm. „Hallo, mein Sohn. Was führt dich her?“
„Gibt es irgendwelche Änderungen?“
„Die gibt es immer. Was genau meinst du?“ Petrus lehnte sich zurück, die Hände überm Bauch gefaltet.
„Gilt immer noch das Job-Rotation-Prinzip?“
Petrus seufzte. „Leider ja. Seitdem hab ich hier ständig aufgebrachte Engel stehen.“
„Dann bitte doch den Chef, alles rückgängig zu machen.“
„Du weißt genau, dass er niemals einen Schritt zurückgeht. Momentan denkt er sogar darüber nach, selbst an diesem Prinzip teilzunehmen.“ Petrus seufzte abermals. „Er möchte auf meinem Stuhl sitzen und ich soll ihn für eine Weile vertreten.“
Ach du Schei… grüne Neune! Mit dem Chef war nicht gut Kirschen essen. „Dann könntest du doch am System drehen.“
„Pft.“ Petrus winkte ab. „Das ist nur Makulatur. Natürlich behält er weiter die Zügel in der Hand. Zudem würde er hier alles durcheinanderbringen.“
Viel konnte das nicht sein, denn der Schreibtisch war leer. Wohlweislich wies Jophiel nicht darauf hin, um sein Gegenüber nicht zu verärgern. „Also muss ich die vier Jahre noch absitzen.“
„Absitzen!“ Missbilligend schüttelte Petrus den Kopf. „Sei doch froh, dass du mal wieder ein bisschen rauskommst.“
Auch dazu hätte er etwas zu sagen, behielt es jedoch für sich. Man legte sich nicht mit Petrus an, das brachte nur Nachteile. „Dann will ich dich nicht länger stören“, erwiderte er spitz, ließ sich durch die Wolke sinken und kehrte zur Erde zurück.
Mittlerweile war es im Wohnzimmer dunkel. Ein Rundflug ergab: Kara spielte unter der Bettdecke mit ihrem Smartphone, Kant ebenfalls und Lasse lag mit offenen Augen im Bett. Von Sophia fehlte noch jegliche Spur. Jophiel kauerte sich auf die Garage und guckte misslaunig in die Gegend. Wenn er sich doch wenigstens die Zeit an einer der Spielekonsolen vertreiben könnte.
Irgendwann tauchte Sophias knallrotes Cabrio auf. Sie ließ es vor der Einfahrt stehen und ging aufs Haus zu. Wenn Jophiel nicht alles täuschte, war sei ein bisschen betrunken. Jedenfalls eierte sie ziemlich auf ihren Stöckelschuhen herum. Es dauerte auch ein wenig, bis sie den Schlüssel ins Schloss bekam und ins Gebäude verschwand. ‚Hoffentlich fällt sie drinnen auf die Schnauze‘, dachte er boshaft.
Jophiel stieg in die Luft und begann, die Straßen abzugrasen, ob es irgendwo etwas Interessantes gab. Wenn er in einem Fenster Licht erblickte, spähte er hinein und sah allerlei Dinge, die bestimmt nicht für fremde Augen bestimmt waren. Das Pärchen, das sich mit Handschellen und Peitsche vergnügte genauso wenig, wie der Teenager, der sich per Notebook Pornos reinpfiff und dazu wichste.
Im Morgengrauen nahm er erneut seinen Platz auf der Garage ein. Lasse verließ als erster das Haus, entdeckte das Cabrio, murmelte einen Fluch und kehrte um. Mit den Wagenschlüsseln in der Hand kam er gleich wieder heraus, rangierte den roten Flitzer vor die Garage, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Jophiel flog hinterher.
Sobald Lasse sicher in der Tiefgarage angekommen war, begab er sich auf den Rückweg. Es juckte ihm in den Fingern, sich endlich vor eine der Spielkonsolen zu setzen. Als er das Grundstück erreichte, kamen ihm die Kinder entgegen. Kara mit einem Schulranzen auf dem Rücken, Kant mit einem Rucksack über der Schulter. Fast raste er in Sophia, die im Morgenmantel aus der Haustür trat, hinein. Im letzten Moment wich er aus und guckte zu, wie sie zum Cabrio ging, den Wagenschlüssel herausholte und wieder ins Gebäude verschwand.
Jophiel folgte ihr. Normalerweise blieb sie vormittags überwiegend im Wohnzimmer, um Fern zu gucken, doch heute stieg sie die Treppe ins Obergeschoss hoch und kroch ins Bett. Ärgerlich, weil das Schlafzimmer gegenüber den Kinderzimmern lag. Das Risiko, von ihr ertappt zu werden, war dadurch zu hoch. Jophiel war so sauer, dass er überlegte sich zu materialisieren, um ihr tüchtig die Meinung zu sagen. Schmollend verzog er sich aufs Dach.
Um elf, Sophia hatte es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht, konnte er endlich an Kants Konsole. Wie immer vergingen die folgenden Stunden im Nu. Schon war es zwei und damit Zeit, seinen Platz zu räumen. Laut Stundenplan der Kinder, mittlerweile sein wichtigstes Instrument, hatte Kant um Viertel vor Schulschluss und dürfte somit bald eintreffen.
Während er seinen Spielstand speicherte, alles so hinlegte, wie er es vorgefunden hatte und aufs Dach umzog, dachte er über eine Lösung nach. Es musste doch irgendwie möglich sein, in den Leerlaufzeiten an seinem Highscore zu arbeiten. Sollte er sich Kant zeigen und einen Deal aushandeln? Frage war, was er dem Jungen anbieten konnte. Davon mal abgesehen war es natürlich verboten, Menschen irgendwelche Vergünstigungen zukommen zu lassen und sich ohne triftigen Grund zu offenbaren sowieso. Trotz seiner Spielsucht wusste Jophiel, dass diese nicht dazu zählte.
Seine Beine angezogen und Arme darum gelegt, grübelte er angestrengt, doch leider ohne Ergebnis. Auf andere angewiesen zu sein war echt Mist. Sollte er bei Petrus einen Antrag stellen, dass Schutzengel im Einsatz einen Unterschlupf bekamen, mit allerlei Annehmlichkeiten ausgestattet? Üblicherweise dauerte die Bearbeitung einige Jahre. Gottes Mühlen mahlten eben langsam, pflegte Petrus zu sagen. Somit kämen folgende Generationen Schutzengel eventuell in den Genuss, doch das nützte ihm aktuell nichts.
Stimmen im Inneren des Gebäudes weckten seine Aufmerksamkeit. Inzwischen waren beide Kinder von der Schule zurück. Er sank durchs Dach, bis in die Küche, wo zwischen der Mutter und deren Brut eine Diskussion lief. Da er mittendrin einstieg dauerte es einen Moment, bis er im Thema war. Offenbar plante Sophia, den Schoß der Familie zu verlassen und bei einer Freundin unterzukriechen. Die Kinder wollten wissen warum und wieso. Ihre Argumente schienen bei den beiden auf wenig fruchtbaren Boden zu treffen.
„Hier hast du doch auch deine Ruhe“, meinte Kant gerade. „Wir sind den halben Tag weg und Papa ist nur abends zu Hause.“
„Das ist aber nicht das Gleiche, wie mal völlig rauszukommen“, widersprach Sophia.
„Hast du uns denn gar nicht mehr lieb?“, fragte Kara zaghaft.
„Doch, natürlich. Ihr seid mein ein und alles.“ Sophia strich ihr über den Kopf. „Trotzdem muss ich mal Abstand gewinnen.“
„Ich finde es unfair, Papa und uns zu verlassen“, meldete sich erneut Kant zu Wort.
„Das ist kein Verlassen, sondern eine Art Urlaub.“
„Warum brauchst du Urlaub? Sind wir so anstrengend?“, erkundigte sich Kara.
„Manchmal. Nein, das stimmt nicht. Ihr seid die liebsten Kinder der Welt.“
Kant hob bloß spöttisch eine Augenbraue. Eine Geste, die er sich bei Sophia abgeguckt haben musste. Schon krass, wenn ein Kind nach dem einen Elternteil kam und die Gewohnheiten des anderen annahm.
„Ich finde das Scheiße!“, verkündete Kara, sprang auf, rannte aus der Küche und die Treppe hinauf.
„Dem schließe ich mich an“, meinte ihr Bruder und begab sich, wenn auch weitaus langsamer, ebenfalls ins Obergeschoss.
Jophiel schwebte hinterher, allerdings ins elterliche Schlafzimmer. Dort standen zwei gepackte Koffer. Ups! Das war ja völlig an ihm vorbeigegangen. Er guckte erst in Kants, dann in Karas Zimmer. Ihr Bruder saß am Schreibtisch und starrte ins Leere, während sie auf dem Bett lag und ins Kissen heulte. Beides tat ihm in der Seele weh. Die Kinder hatten eine selbstsüchtige Mutter wie Sophia nicht verdient.
Er setzte sich neben Kara aufs Bett und streichelte ihren bebenden Rücken. Manchmal wirkten die beiden schon so erwachsen, doch in solchen Momenten waren sie wieder ganz klein. An ihm war zwar kein Vater verlorengegangen, aber er empfand durchaus Zuneigung für die Zwerge.
Bis Lasse - wie jeden Freitag bereits gegen vier - heimkehrte, herrschte Ruhe im Haus. Kant spielte Playstation, Kara war mit ihrem Teddy im Arm eingeschlafen. Als unten Stimmen laut wurden, wachte sie auf und lauschte. Unversehens kletterte sie vom Bett, mitten durch Jophiel, der immer noch auf der Kante kauerte, hindurch. Weiterhin ihr Kuscheltier an die Brust gepresst, öffnete sie die Tür einen Spalt.
„... nicht einverstanden. Wer soll ich um die Kinder kümmern?“, vernahm er Lasse.
„Die sind schon groß genug, um ein paar Stunden allein zu bleiben“, entgegnete Sophia. „Sonst frag Erna, ob sie öfter herkommen kann.“
„Wie lange soll deine Auszeit …“ Jophiel hörte förmlich die Anführungszeichen, die Lasse bei dem Wort in die Luft setzte. „… denn dauern?“
„Weiß ich noch nicht. Erstmal zwei Wochen.“
Stille entstand. Er merkte, wie Kara die Luft anhielt. Schließlich scharrten Schuhsohlen über die Fliesen im Flur. „Ach, mach doch, was du willst“, brummelte Lasse kaum verständlich.
„Ich ruf die Kinder jeden Tag an“, versprach Sophia.
Hohe Absätze klackten auf den Treppenstufen, woraufhin Kara von der Tür zurückwich und sich auf ihren Schreibtischstuhl plumpsen ließ. Kaum saß sie, da schaute Sophia ins Zimmer. „Ich muss jetzt los. Ruf mich an, wenn was ist.“
Kara nickte.
Sophia kam herein und ging vor ihr in die Hocke. „Egal was passiert, ich hab dich lieb.“
Erneutes Nicken.
Seufzend richtete sich Sophia wieder auf, küsste Kara auf die Stirn und ging zu Kant. Neugierig schwebte Jophiel durch die Wand nach nebenan. Bei Kant sagte Sophia das gleiche Sprüchlein auf, wuschelte ihm jedoch nur durchs Haar, bevor sie den Raum wieder verließ.
Jophiel begab sich ins Erdgeschoss, fand Lasse im Wohnzimmer und ließ sich neben ihm auf der Couch nieder. Im Flur rumorte Sophia herum, vermutlich mit ihrem Gepäck.
„Lasse? Ich bin dann weg“, rief sie.
„Alles klar“, gab der zurück.
Wieder polterte etwas für die Fliesen. Gleich darauf fiel die Haustür ins Schloss.
„Ich kotz im Kreis“, murmelte Lasse, schnaubte, sprang auf und ging in den Flur. „Kant? Kara? Wir müssen reden.“
Erstaunlich schnell - normalerweise folgten die Kinder erst nach der zweiten bis dritten Aufforderung - liefen die beiden hintereinander die Treppe runter. Lasse kehrte ins Wohnzimmer zurück und setzte sich wieder. Kant warf sich gegenüber in einem Sessel, Kara blieb stehen.
„Wir sind also ab sofort auf uns allein gestellt. Soll ich Erna bitten, häufiger zu kommen?“, ergriff Lasse das Wort.
Kant schüttelte den Kopf, Kara nickte.
„Vielleicht kann ich sie auch überreden, für euch zu kochen“, fuhr Lasse fort. „Oder wie wollen wir das Problem lösen?“
„Wir könnten doch abends abwechselnd kochen“, schlug Kara vor.
„Gute Idee. Kant?“, wandte sich Lasse an seinen Sohn.
„Ich kann zwei Wochen von Pizza leben“, erwiderte Kant.
„Ein wenig Abwechslung wäre ganz schön. Außerdem ist es möglich, dass eure Mutter etwas länger wegbleibt. Wir sollten uns also auf unbestimmte Zeit einrichten.“ Lasse nahm die Brille ab, massierte sich die Nasenwurzel und setzte sie wieder auf. „Ich telefoniere gleich mit Erna und ihr überlegt euch, wie der Speiseplan für nächste Woche aussehen soll. Habt ihr irgendwelche Pläne fürs Wochenende?“
„Ich will zu Oma und Opa“, verkündete Kara, zugleich erzählte Kant: „Morgen schlafe ich bei Benjamin.“
„Okay. Dann rufe ich als erstes meine Mutter an“, entschied Lasse und an Kara gerichtet: „Schatz, gibst du mir bitte das Telefon?“
Tag der Veröffentlichung: 25.09.2019
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