Ein modernes Märchen
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!
Text: Sissi Kaiserlos/Kaipurgay
Foto von shutterstock, depositphotos – Cover-Design Lars Rogmann
Korrektur: Aschure. Danke!
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Jophiel ist seit rund 150 Jahren Angestellter in der engelischen Behörde. Auf Anordnung des obersten Chefs muss er wieder in den aktiven Dienst wechseln. Er wird Lasse, einem braven Familienvater und Bankangestellten, als Schutzengel zugewiesen. Vor Langeweile kommt er fast um und verfällt dem Spieltrieb, bis eine unerwartete Entwicklung Schwung in die Sache bringt.
~ * ~
Jophiel saß auf dem Flachdach des Hauses, in dem sein Schützling Lasse Burkhard lebte, und ließ seine Beine über die Kante baumeln. Die beiden Kinder spielten im Garten, so, wie von der Mutter befohlen. Das hieß übersetzt, dass die zwei Teenager lustlos am Schaukelgerüst herumhingen und darauf lauerten, endlich wieder rein zu dürfen. Sogar ihre Smartphones hatte die Mutter ihnen abgenommen. Den missmutigen Mienen nach zu urteilen, empfanden die beiden das als Amputation.
Jophiel, seit einiger Zeit Ballerspiel-Fan, brachte dafür größtes Verständnis auf. Wann immer sich Gelegenheit bot, also dann, wenn die Kinder in der Schule oder verlässlich irgendwo anders waren, benutzte er deren Spielkonsolen. Anfangs hatte er damit erheblichen Ärger verursacht, weil sich die beiden gegenseitig beschuldigten, unerlaubt an ihre Sachen zu gehen. Er hatte nämlich ihre Spielstände überschrieben, völlig ahnungslos, wie man das verhinderte. Inzwischen wusste er, wie man sich ein neues Profil anlegte und seine Spuren einigermaßen verwischte.
Ein paarmal hatte die Herrin des Hauses ihn fast in einem der Kinderzimmer ertappt. Es war nur seinem siebten Sinn zuzuschreiben, sich noch rechtzeitig in Luft auflösen zu können. Die feine Dame schnüffelte in der Abwesenheit ihrer Kinder gern in deren Zimmern herum. Eine unschöne Angewohnheit.
Überhaupt wurde er mit Sophia, der Frau seines Schützlings, nicht warm. Sie gab sich zwar redlich Mühe, eine gute Mutter zu sein, aber Empathie war ihr ziemlich fremd. Das galt auch für den Umgang mit Lasse, seinem Schutzbefohlenen. Oft behandelte sie diesen herablassend und im Bett … ein Gentleman schwieg darüber. Nur ein kleiner Hinweis: Grauenvoll.
Eigentlich war Jophiel Bengelamter, das engelische Pendant zum Beamten. Vor 150 Jahren hatte er sich für solche Stelle beworben, weil ihm sein Schutzengel-Job zu stressig wurde. Alles wäre wunderbar, hätte der oberste Chef nicht die tolle Idee gehabt, den Himmel nach amerikanischem Vorbild zu managen. Entsprechend war vor einiger Zeit Job-Rotation eingeführt worden, was bedeutete, dass man in regelmäßigen Abständen versetzt wurde. Seit einem Jahr war Jophiel daher wieder als Schutzengel tätig und Lasse zugewiesen worden. Laut Plan sollte er in vier Jahren zu den Amoretten und danach zu den Pförtnern wechseln. Vor beidem graute ihm. In kurzem Hemdchen herumzuflattern und Liebespfeile abzuschießen fand er genauso gruselig, wie Neuankömmlingen ihre Rechte vorzulesen und sie mit passendem Hemd und Leier auszustatten.
Inzwischen hatten sich die Teenager dem Haus genähert.
„Mama? Dürfen wir wieder rein?“, bettelte Kara an der offenstehenden Terrassentür.
Als keine Antwort erfolgte, meldete sich ihr Bruder Kant (Kinder auf die Nachnamen verstorbener Künstler zu taufen, gehörte nach Jophiels Meinung verboten) zu Wort: „Bitte, Mama! Wir langweilen uns zu Tode!“
„Na gut, kommt wieder rein“, ließ sich die Dame des Hauses zu einer Erwiderung herab. „Aber verratet das nicht Papa, sonst macht er mich einen Kopf kürzer.“
Jophiel sah, wie die beiden Teenager die Augen verdrehten, bevor sie ins Haus schlüpften. Papa hätte sie nämlich gar nicht erst nach draußen geschickt. Wohlweislich hielten die beiden den Mund, denn solche Einwände erzeugten bei ihrer Mutter nur noch mehr Strenge. Ganz schön schlau für ihr Alter. Kara war 13, Kant 15.
Er zog auf die andere Seite des Daches um. Bald müsste Lasse nach Hause kommen. Anfangs war er seinem Schützling auf Schritt und Tritt gefolgt. Mittlerweile fuhr er nur noch morgens mit zur Arbeit und kehrte, sobald sie heil in der Tiefgarage der Bank, bei der Lasse arbeitete, angekommen waren, zum Haus der Familie zurück. Sein siebter Sinn würde ihm schon mitteilen, wenn seinem Schützling auf der Rückfahrt Gefahr drohte. Außerdem war es ihm zu langweilig, in Lasses Büro herumzuhängen. Da zockte er doch lieber mit Karas oder Kants Spielkonsole.
Mal wieder fragte sich Jophiel, welchen Beruf er ergriffen hätte, wenn er als Mensch geboren worden wäre. In all den Jahren als Schutzengel hatte er sich meist an seinem Schutzbefohlenen orientiert. Der letzte war ein Bauer gewesen, der mit 45 an einer verschleppten Grippe starb. Felder zu bestellen und im Herbst die Früchte seiner Arbeit zu ernten hatte ihm sehr gefallen, zumindest beim Zugucken.
Davor war er einer Kurtisane zugeteilt gewesen. Wenn sie nicht gerade die Beine für den Baron breitmachen musste, ein recht gemütliches Leben: In schönen Kleidern herumlaufen und sich von Leuten bedienen lassen. Das andere … nun, Schwamm drüber. Sie hatte es sich eben so ausgesucht.
Vor der Kurtisane hatte er einen Schmied als Schützling, davor eine Nonne. Mann-o-Mann! Was im Kloster so abging … An seine Schutzbefohlenen vor der Nonne erinnerte er sich nur schwach. Auch ein Engel neigte zur Vergesslichkeit. Bei so vielen hundert Jahren ja wohl kein Wunder.
Falls in diesem Jahrhundert der Beruf eines Spiel-spielers existierte, wäre das genau sein Ding. Vielleicht gab es Leute, die Test-Zocker brauchten und bereit waren, dafür zu bezahlen. Manchmal kam es Jophiel so vor, als ob in der modernen Zeit alles möglich wäre. Man betrachte doch nur mal diese Leute, die damit Geld verdienten, blöde Clips auf einer Online-Plattform zu präsentieren. Manche wurden damit stinkreich und Influenza genannt. Was diese Leute mit einer Grippe-Epidemie gemein hatten, war ihm ein Rätsel.
Ein schwarzer BMW hielt vorm Gartentor. Hinterm Steuer erkannte Jophiel seinen Schützling. Langsam schwangen die Torflügel auf und der schwere Wagen rollte aufs Grundstück. Wie so oft stand Sophias knallrotes Cabrio quer vor der Garage, so dass Lasse halb auf dem Rasen parken musste.
Zu dem Thema Frauen am Steuer: In seiner Zeit als Bengelamter hatte Jophiel die Todesstatistiken verwaltet. Frauen waren weitaus weniger häufig in tödliche Verkehrsunfälle verwickelt als Männer. Er fand das im Hinblick auf seine Erfahrungen des letzten Jahres erstaunlich. Sophia fuhr wie der erste Mensch und Einparken gehörte gar nicht zu ihrem Repertoire. Ähnliches hatte er bei vielen anderen weiblichen Verkehrsteilnehmern beobachtet. Na gut. Wahrscheinlich war er voreingenommen, weil er Sophia - geradeheraus gesagt - nicht leiden konnte.
Lasse stieg aus, einen Aktenkoffer in der Hand und ging aufs Haus zu. Hingerissen seufzend beugte sich Jophiel vor. Das schwarze Brillengestell fand er ja sowas von heiß! Überhaupt war Lasse ein ziemlich scharfer Typ: Ungefähr eins achtzig groß, ungebärdige braune Haare, ebensolche Augen - also, von der Farbe her - und ein hübsches Gesicht. Jedenfalls fand Jophiel es schön. Andere würden es vielleicht als gewöhnlich bezeichnen.
Er hatte von jeher ein Faible für Männer. Weibliche Reize lösten bei ihm nichts aus, aber wenn er einen erigierten Schwanz sah, gingen bei ihm gleich alle Lichter an. Natürlich nicht bei jedem Exemplar. Darunter gab es durchaus welche, die er als abstoßend empfand, vor allem, wenn ein ätzender Typ daran hing.
Mittlerweile war Lasse im Gebäude. Jophiel diffundierte durchs Dach direkt in den Flur und wurde dort Zeuge, wie Sophia ihrem Mann mal wieder Vorhaltungen machte.
„… komme mir vor wie eine Bedienstete! Du gehst morgens aus dem Haus, lässt alles stehen und liegen und erwartest, dass abends alles picobello ist. Zudem darf ich mich noch mit den Kindern rumschlagen, die auch immer aufmüpfiger werden“, zeterte Sophia.
„Aber du hast doch Hilfe“, wagte Lasse zu widersprechen.
„Berta kommt einmal pro Woche. Einmal! Hier sieht es aber jeden Tag aus wie bei Hempels unterm Sofa.“
Waren die Hempels Freunde von Sophia? Jophiel kannte diese Leute gar nicht.
„Ich kann Berta gern bitten, zweimal zu kommen. Oder lieber dreimal?“, bot Lasse an.
Sophia stemmte ihre Hände in die Seiten. „Wie wäre es, wenn du mal deinen Teil zum Haushalt beiträgst?“
Lasse fiel die Kinnlade runter. Verständlich. Schließlich brachte der arme Kerl das ganze Geld mit nach Hause, das die gute Sophia mit vollen Händen ausgab. Da konnte man ja wohl ein bisschen Gegenleistung erwarten, zumal es im Bett … nein, ein Gentleman schwieg über solche Sachen.
„Also gut. Was genau erwartest du von mir?“, fragte Lasse schließlich.
Jophiel verspürte den dringenden Wunsch, seinem Schützling einen Schlag gegen den Hinterkopf zu verpassen. Was die Alte brauchte war Gegenwind, kein Einknicken. Allerdings schien Sophia mit Lasses Frage nichts anfangen zu können, denn sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
„Du verstehst mich nicht!“, jammerte Sophia, wobei eine Träne über ihre Wange rann. „Ich muss hier raus!“, fügte sie in dem Tonfall einer vom Leben arg gebeutelten Frau hinzu, schnappte sich ihre Handtasche, riss die Haustür auf und schmetterte sie hinter sich ins Schloss.
Lasse stand da wie ein begossener Pudel. Nun hatte Jophiel das Bedürfnis, den armen Kerl zu trösten. Er strich Lasse über den Kopf, was der natürlich nicht merkte.
„Verflixt und zugenäht“, brummelte Lasse, legte die Aktentasche auf die Garderobe und wischte sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Kann das bitte irgendjemand beenden? Ich halt das nicht mehr lange aus.“
War das eine Aufforderung an ihn? Jophiel überlegte, sich zu materialisieren und zu fragen, was er denn tun sollte. Damit hätte er Lasse aber bestimmt zu Tode erschreckt.
„Papa? Papa!“, erklang in diesem Moment Karas Stimme, gefolgt von Getrappel auf der Treppe.
Sie war das Ebenbild von Sophia, der Junge hingegen glich Lasse. Charakterlich hatte Jophiel aber noch keine Übereinstimmung festgestellt. Kara sprang ihrem Vater um den Hals. Garantiert wollte sie etwas von Lasse, weil sie sonst weniger überschwänglich war.
„Na, na, meine Tochter. Nicht so stürmisch.“ Lasse strich ihr übers Haar.
„Darf ich ins Tina-Musical?“
„Bist du dafür nicht zu jung?“
„Alle gehe hin“, behauptete Kara, ließ ihren Vater los und setzte einen Welpenblick auf. „Bitte-bitte!“
„Wenn deine Mutter oder ich dich begleiten, kannst du hingehen.“
Sie schob die Unterlippe vor. Gespannt beobachtete Jophiel Lasses Reaktion. Als er das letzte Mal Schutzengel war, galten noch ganz andere Regeln. Die Kinder hatten ihre Eltern gesiezt und gekuscht, anstatt zu revoltieren. Was sich im Hause Burkhard abspielte, war für ihn also eine Premiere. Er lernte jeden Tag etwas Neues über die Menschen des 21. Jahrhunderts. Vor seinem Einsatz hatte er einen Crashkurs in moderner Technik absolviert, sonst wäre er auch diesbezüglich ahnungslos. Es gab ein paar Geräte, mit deren Bedienung er nicht vertraut war, aber er musste ja auch nicht alles wissen. In vier Jahren fand sein Gastspiel ja eh ein Ende.
„Kara! Du bist erst 13. Ohne Begleitung darfst du nicht ins Musical“, verdeutlichte Lasse seinen Standpunkt.
„Aber Mia und Britt dürfen das auch!“, widersprach Kara.
„Dann werde ich mit den Müttern von Mia und Britt telefonieren.“
Kara schnaubte, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte die Treppe wieder hoch. Seufzend sah Lasse ihr hinterher, schüttelte den Kopf und ging mit müden Schritten ins Wohnzimmer. Die Hände in den Hosentaschen, schaute er aus dem Fenster.
Im Anzug sah Lasse heiß aus, in Jeans noch heißer und im Adamskostüm: Wow! Dessen ungeachtet empfand Jophiel Mitleid. Er ließ sich auf der Rückenlehne der Couch nieder, stemmte die Ellbogen auf seine Beine und stützte das Kinn in seine Hände. So, wie Lasse da stand, wirkte er wie ein gebrochener Mann. Jophiel würde nicht mit ihm tauschen wollen. Die langweilige Arbeit, die Gattin und dazu noch die Kinder … nein, das war echt kein Zuckerschlecken. Gemessen an dem, was manche Männer in anderen Jahrhunderten ertragen mussten, natürlich ein Klacks - dennoch.
Es war schon merkwürdig. Heutzutage musste niemand mehr Fronarbeit leisten, es gab keine Sklaverei mehr und Kriege waren weitestgehend auch Geschichte. Trotzdem sah er überall betrübte Gesichter. Der Chef hatte recht: Menschen fanden immer das Haar in der Suppe. Na ja, Engel waren auch nicht viel besser. Wenn er an so einige Kollegen dachte, die wegen jeder Kleinigkeit auf die Barrikaden gingen. Manche hatten sogar das himmlische gegen ein irdisches Dasein eingetauscht. Schon verrückt. Wer wollte denn - bitteschön! - sterblich sein? Ganz zu schweigen von den ganzen Seuchen, die man sich damit einhandeln konnte, wie HIV oder eine Ehefrau.
Na gut, es waren nicht alle Weiber solche Furien wie Sophia. In seiner Karriere hatte Jophiel auch viele nette Frauen gesehen. Warum musste Lasse ausgerechnet dieses Miststück heiraten? Sophia war zwar äußerlich recht hübsch, aber wenn sie den Mund aufmachte … ohne Worte.
Apropos: Mal gucken, was die Dame so trieb. Hier herrschte momentan ja Totentanz.
Jophiel stieg in die Höhe und begann, auf der Suche nach Sophia über der Stadt zu kreisen.
Woran lag es, dass Sophia in letzter Zeit ständig auf Krawall gebürstet war? Litt sie unter einer vorzeitigen Midlife-Crisis? Jedenfalls war sich Lasse keiner Schuld bewusst. Er erledigte seinen Teil der Hausarbeit, ließ nie etwas liegen und pinkelte im Sitzen; außerdem ließ er sie nachts in Ruhe. Was wollte sie also noch? Sollte er sich vielleicht in Luft auflösen?
Er ließ sich auf der Couch nieder und nahm kurz seine Brille ab, um sich übers Gesicht zu wischen. Manchmal fühlte er sich so müde, als ob er schon 100 wäre, dabei hatte er bis dahin noch etliche Jahre Zeit. Vor der Vorstellung, diese mit Sophia zu verbringen, grauste ihm inzwischen. Da die Kinder aber noch nicht flügge waren, musste er weiterhin durchhalten. Er hatte mal gelesen, dass eine Trennung der Eltern gerade in der Pubertät schwerste Schäden verursachen konnte.
Was war bloß aus der lieben Sophia geworden? Als sie sich kennenlernten, hatte sie ihn mit ihrer sanften Art in ihren Bann gezogen. Damals war er ein kleiner Bankangestellter, sie eine Verkäuferin. Gemeinsam hatten sie schwere Zeiten gemeistert, mit zwei kleinen Kindern und wenig Geld. Hinzukam sein Abendstudium, dank dem er aber in der Hierarchie aufstieg.
Zusammen mit seiner Beförderung und entsprechend mehr Gehalt, flatterte ein unerwartetes Erbe ins Haus. Davon und mit einem Kredit, hatten sie die Immobilie erworben. Sophia hörte auf zu arbeiten, um sich intensiver um die Kinder kümmern zu können.
Das war mittlerweile sieben Jahre her. Seitdem waren Sophias Ansprüche ständig gestiegen. Erst musste ihr Kleinwagen gegen einen größeren getauscht werden. Als sie die Kinder nicht mehr ständig durch die Gegend kutschieren brauchte, wollte sie unbedingt ein Cabrio haben. Eine Putzfrau war das nächste, was sie verlangte. Fehlte nur, dass sie von ihm auch noch die Einstellung eines Gärtners forderte.
Ehrlich gesagt würde er es begrüßen, wenn sie jemanden für ihre körperlichen Bedürfnisse zur Verfügung hätte. Insofern wäre es vielleicht eine gute Lösung, einen potenten Burschen unter dem Deckmäntelchen der Gartenpflege zu beschäftigen. Er genügte ihr im Bett ja nicht mehr, obwohl er sich stets größte Mühe gegeben hatte. Zugegeben: Es mangelte ihm an Begeisterung. Je zickiger sie wurde, desto weniger regte sich sein Schwanz. Mittlerweile kroch der sogar fast in ihn rein, wenn sie in seine Nähe kam.
Der von ihm - auf Sophias Forderung hin - konsultierte Urologe hatte erektile Dysfunktion aufgrund psychischer Belastung diagnostiziert. Darauf wäre er auch von allein gekommen. Gegenüber Sophia hatte er behauptet, an vorzeitiger Menopause zu leiden. Ob sie das glaubte, entzog sich seiner Kenntnis. Sie hatte bloß eine Augenbraue hochgezogen und sich mit: „Bis nachher. Bin beim Friseur“, verabschiedet.
Schritte auf der Treppe kündigten eines der Kinder an. Lasse tippte auf Kant, weil Kara meist hüpfte. Tatsächlich kam sein Sohn ins Wohnzimmer und fragte: „Was gibt’s zu essen?“
„Ich wünsche dir auch einen guten Tag“, erwiderte Lasse. „Das übliche. Brot, Käse und Aufschnitt.“
„Kann ich eine Pizza bestellen?“
„Hattest du kein Mittagessen?“
„Doch, aber das mochte ich nicht.“
Auf Diskussionen hatte Lasse keine Lust. „Okay. Aber dann bestellen wir alle zusammen.“
Kants Mundwinkel flogen hoch. „Ich hol Kara.“
Sein Sohn sauste davon. Lasse begab sich ebenfalls ins Obergeschoss, um seinen Anzug gegen Jeans und T-Shirt auszutauschen. Als er die Treppe wieder runterging, hörte er seine Kinder in der Küche diskutieren, welchen Lieferdienst man beauftragen sollte. Was für ein schönes Alter, in dem man noch solche banalen Probleme hatte.
„Wo ist eigentlich Mama?“, erkundigte sich Kara, nachdem sie ihre Bestellung telefonisch aufgegeben hatten.
„Sie musste noch dringend irgendwohin“, log Lasse.
„Bestimmt zu ihrem Nagelstylisten“, vermutete Kant mit einem süffisanten Grinsen.
Erstaunlich, wie erwachsen sein Sohn geworden war. „Wie sieht’s mit euren Hausaufgaben aus?“
„Alles erledigt“, „Ich hab nichts auf“, entgegneten seine Kinder gleichzeitig.
Das bekam er jedes Mal zu hören, wenn er nachfragte. Garantiert würde ein Prüfung ergeben, dass beide noch etwas zu tun hatten. Auch dazu verspürte Lasse null Bock, um es mal mit Kants Lieblingsworten auszudrücken.
Die Früchte seiner Lenden verzogen sich wieder nach oben. Lasse nutzte die Ruhepause, um einen Blick in die Tageszeitung zu werfen. Er überflog die Titelseite, blätterte zum Regionalteil und las kopfschüttelnd die Schlagzeile: Seniorin von E-Scooter überfahren. Allmählich gewann man den Eindruck, bei diesen Dingern würde es sich um LKWs handeln. Man machte aus einer Mücke einen Elefanten. Bei näherem Studium des Artikels kam heraus, dass die alte Dame zwar mit einem Rollerfahrer kollidiert, aber letztendlich an einem Schlaganfall gestorben war.
Ein Geräusch an der Haustür ließ ihn aufhorchen. Hohe Absätze klapperten über die Fliesen im Flur. Im nächsten Moment betrat Sophia das Wohnzimmer. „Tschuldige. Ich hab überreagiert.“
Erstaunt hob er die Brauen. „Kein Problem.“
„Haben die Kinder schon Abendbrot gegessen?“
„Wir haben gerade Pizza bestellt.“
Sophias Stirn bewölkte sich. „Das Zeug ist total ungesund. Hast du mal gelesen, was da alles drauf ist?“
„Aber es beruhigt die Nerven.“
Sie seufzte bloß und verließ den Raum. Er hörte sie die Treppe hochstöckeln und oben mit den Kindern reden, allerdings ohne einzelne Worte zu verstehen. Vermutlich hielt sie eine Predigt über gesundes Essen. Gerade wollte er sich erneut dem Artikel widmen, als es an der Tür läutete.
Kurz darauf saß er mit den Kindern am Küchentisch und aß Pizza. Sophia nahm nicht teil, weil sie später mit einer Freundin in einem Restaurant verabredet war.
„Kann ich meinen Rufnamen ändern?“, wollte Kant, der mit zweitem Vornamen Christian hieß, kauend wissen.
„Ganz und gar oder nur auf Christian?“
„Chris finde ich okay.“
„Dann sag einfach deinen Lehrern und Freunden, dass du so genannt werden möchtest.“
„Ich finde Kant besser“, mischte sich Kara ein.
„Du hast doch keine Ahnung wie es ist, mit so ‘nem blödem Namen rumzulaufen“, wies ihr Bruder sie von oben herab zurecht.
Beleidigt schob sie die Unterlippe vor, womit es sich aber schwer essen ließ. Sie stellte das Schmollen daher schnell wieder ein. Ach ja, erinnerte sich Lasse, er musste mit Sophia noch über diese Musical-Sache reden. Auch wenn Kara keine Silbe darüber verlor, war das noch lange nicht erledigt.
Leider verabschiedete sich Sophia, bevor sie das Abendessen beendet hatten. „Wartet nicht auf mich. Es kann später werden“, bat sie, küsste Kara auf die Stirn, wuschelte Kant durchs Haar und winkte ihm im Rausgehen zu.
„In letzter Zeit ist Mama andauernd allein unterwegs“, stellte Kara fest. „Warum geht ihr nicht zusammen weg?“
Gute Frage. „Wenn sie sich mit ihren Freundinnen trifft, störe
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock depositphotos
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - dankeschön!
Tag der Veröffentlichung: 28.09.2019
ISBN: 978-3-7487-1715-7
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