Heinz hat sich mit seinem Alleinsein abgefunden. Mit fünfzig findet ein schwuler Mann nicht mehr die Liebe seines Lebens. Dennoch braucht auch er ab und zu etwas Ablenkung vom Alltag.
~ * ~
Meine Wohnung ist kalt und leer, wie immer. Dennoch merke ich das besonders, seitdem Rasputin, mein Geschäftspartner, jeden Tag vor Glück strahlt. Der arme Kerl läuft wie ein verliebter Zombie herum und sieht aus, als ob er die Nächte mit etwas anderem als Schlaf verbringt. Seinem dämlichen Grinsen zufolge dürfte das jedoch etwas Schönes sein. Ich gönne ihm sein Glück wirklich, doch irgendwie macht es mich noch einsamer.
Ich streife meine Schuhe ab, hänge die Jacke auf einen Bügel und ordentlich an die kleine Garderobe im Flur. Mein Heim besteht nur aus einem Zimmer, Duschbad und Küche. Bevor ich mein ganzes Geld in Rasputins Fitnessclub gesteckt habe, wohnte ich großzügiger, doch ich musste mich einschränken. Vorläufig. Wenn der Club erstmal läuft hoffe ich, dass ich mir wieder eine schönere Bleibe suchen kann. Vielleicht ist es schon in einem halben Jahr soweit, wenn die Geschäfte weiterhin so gut laufen. Bis dahin komme ich schon klar. Nur diese verdammte Einsamkeit …
Ich schenke mir in der Küche einen Scotch ein, trotte ins Wohnzimmer und greife nach der Fernbedienung für die Glotze. Über den Bildschirm flimmert irgendeine Sendung. Ich lass mich auf die Couch plumpsen ich starre an die Decke. Feine Risse zerteilen die alte Farbe und wenn ich die Wimpern ein wenig senke, kann ich Figuren erkennen; fast wie an einem Sternenhimmel. Dort ist ein Minotaur und da entdecke ich ein stilisiertes Herz. Herz … Ach, ich bin heute echt sentimental. Während ich den Whisky in kleinen Schlucken genieße, wandern meine Gedanken in die Vergangenheit.
Früher, als ich noch jung und knackig war, hat mir das Alleinsein nichts ausgemacht. Ich habe gevögelt was sich anbot. Die Wochenenden waren eine einzige Orgie und zumeist musste ich mich danach die ganze Woche auf der Arbeit davon erholen. HIV war noch kein großes Thema und ich sollte echt dankbar sein, dass ich mir bei den zahlreichen ungeschützten Ficks nichts weggeholt habe.
Meine Eltern – Gott hab sie selig! – haben darauf bestanden, dass ich ‚etwas ordentliches‘ lerne. Also bin ich bei einer Krankenkasse gelandet und habe dort mein halbes Leben hinter einem Schreibtisch verbracht. Die andere Hälfte gehörte den Clubs, Cruising Areas und manchmal auch dem Strich. Okay, das ist der nicht so wirklich schöne Abschnitt meines Lebens.
Zuerst hatte ich Spaß und dachte, dass es cool ist, wenn man für sein Vergnügen auch noch bezahlt wird. Doch ich geriet irgendwann an einen Kerl, der mir so gründlich den Arsch aufriss, dass ich seitdem nie wieder unten gelegen habe. Das Gewerbe habe ich danach an den Nagel gehängt und mich zurückgezogen.
Ich war damals gerade dreißig und desillusioniert. Dann kam Harro und wir verbrachten schöne Jahre miteinander. Er hatte eine ähnliche Laufbahn wie ich hinter sich, arbeitete als LKW-Fahrer und wir glichen uns von der Statur her. Mit ihm war es im Bett immer wundervoll.
Der Whisky ist ausgetrunken. Ich stemme mich müde von der Couch hoch und gehe in die Küche. Mit einem neuen Drink kehre ich ins Wohnzimmer zurück, starre eine Moment auf die laufende Glotze, dann wandern meine Gedanken wieder zu Harro.
Er und ich haben perfekt harmoniert. Allerdings hatte er weniger Glück als ich und sich die tödliche Immunschwäche zugezogen. Die Medikamente halfen, doch vor fünf Jahren konnten auch die ihn nicht mehr retten. Eine simple Erkältung, die sich steigerte und in einer Lungenentzündung mündete. Hätte-hätte-hätte … hätten wir doch mehr aufgepasst! Wären wir doch nicht im Regen rausgelaufen und wie zwei Irre übereinander hergefallen. Im Überschwang der Lust haben wir uns in einer kalten Herbstnacht im Park geliebt. Anschließend waren wir beide durchnässt, froren wie verrückt und eine Woche später lag Harro im Sterben.
Ich stürze den Whisky runter und stelle das Glas weg. Der Arzt hat gesagt, dass es eine Virusinfektion gewesen ist. Selbst wenn wir nicht in besagter Nacht nass geworden wären, Harros Schicksal wäre in jedem Fall besiegelt gewesen. Was sind schon Worte? Er fehlt mir so sehr, dass es mich tief drinnen frieren lässt. Ich sollte mal wieder Blumen auf sein Grab legen.
Schwerfällig stehe ich auf, schalte die Glotze aus und begebe mich ins Bad. Der Grauhaarige im Spiegel starrt mich an. Ich strecke ihm die Zunge raus, putze meine Zähne und sinniere danach eine Weile, wobei ich auf der Klobrille hocke. Das Leben geht weiter, Heinz!, sage ich mir vor und trotze der Kälte, die meinen Bauch füllt und die Welt grau in grau erscheinen lässt.
Am nächsten Morgen weckt mich das zarte Morgenlicht des Frühlings. Ich mag die sanften Sonnenstrahlen, wenn sie sich durch die dünnen Vorhänge auf mein Gesicht stehlen. Trotzdem ich in der Stadt wohne, höre ich die Vögel erwachen. Ich lausche versonnen ihrem Konzert, während sich erneut die Erinnerungen in meinen Kopf schmuggeln.
Nach Harros Tod habe ich verbissen gespart und weitergemacht. Als ein neuer Fitnessclub gleich um die Ecke eröffnete, bin ich dorthin gegangen und habe mich wütend an den Geräten ausgetobt. Irgendwie wurde Rasputin auf mich aufmerksam und wir mochten uns gleich. Platonisch, klar. Er ist viel jünger als ich und dabei überhaupt nicht mein Typ. Ach, und selbst wenn! Nach Harro wird es niemand mehr in mein Herz schaffen und mein Bett ist sowieso tabu.
Jedenfalls kamen Rasputin und ich ins Gespräch. Schnell wurde klar, dass der Junge Hilfe brauchte. Ich checkte meine Finanzlage, besorgte mir die günstige Wohnung und wurde sein Geschäftspartner. Das hat etwas Sinn in mein Leben zurückgebracht. Den Job bei der Scheiß Krankenkasse habe ich gekündigt und lebe nun von dem, was der Club einbringt. Noch ist das mau, aber die Zahlen werden besser. Ich bin da total optimistisch.
Ich krieche aus dem Bett, schlurfte zum Fenster und lass den Rollladen runter. Es wird finster im Zimmer. Müde gehe ich zurück und krabbele unter die Decke. Schon bald fallen mir die Augen wieder zu.
Das nächste Erwachen wird durch den Wecker auf dem Couchtisch ausgelöst. Ich starre einen Moment unmotiviert in die künstliche Finsternis, bevor mein Pflichtbewusstsein die Regie übernimmt. Der Club wartet.
Wie jeden Morgen klappe ich die Couch ein, verstaue das Bettzeug in der Schublade unter der Sitzfläche und habe keine Ahnung, warum ich das tue. Wenn ich heute Nacht zurückkehre, werde ich aus dem Sofa wieder ein Bett machen, also warum die Mühe? Niemand besucht mich, daher könnte ich alles verlottern lassen, doch irgendwie komme ich nicht gegen die Gewohnheit an. Ich war schon immer sehr ordnungsliebend, was oft zu Streit zwischen mir und Harro geführt hat. Ach, Harro.
Der erste Kaffee schmeckt bitter. Ich sollte mir einen dieser neumodischen Automaten gönnen, sobald mehr Geld fließt. Die alte Maschine rotzt total ungenießbares Zeug in den Filter, trotzdem hänge ich an dem Gerät. Ich habe es mit Harro gekauft, weil wir das fiese Orange mochten. Hey, lass die alten Kamellen endlich ruhen!, ermahne ich mich und gehe ins Bad.
Eine Dusche klärt meinen Kopf ein wenig und wie so oft wird mein Schwanz steif. Das Teil scheint eine innere Uhr zu haben und meldet sich regelmäßig morgens und abends zu Wort. Lustlos packe ich zu, rubbele und spritze schon bald milchige Flüssigkeit gegen die Fliesen. Für einen Moment bin ich sehr zufrieden, bevor das reale Leben mich wieder einholt.
Im Studio wartet eine Überraschung auf mich. Rasputin hat seinen Lover mitgebracht und stellt mir stolz Felix vor. Bisher hat er kein Wort über den Kerl verlauten lassen, außer, dass sie zusammen sind. Rasputin ist eher wortkarg, daher habe ich auch nicht nachgefragt. Der schmale, hübsche Kerl ist wirklich eine Augenweide, wenn auch sehr jung. Er macht jedoch einen gefestigten Eindruck und wenn er meinen Partner anschaut, kann ich die Liebe sehen, die die beiden verbindet.
Felix gefällt mir. Insgeheim hatte ich einen typischen Stricher erwartet, so wie ich selbst mal einer war: Mit flackerndem Blick, unruhig und in nuttigen Klamotten. Der Mann ist jedoch ganz normal und scheint sogar Grips zu haben. Ich sollte meine Vorurteile mal revidieren.
„Könntest du Felix ein paar der Geräte zeigen?“, bittet Rasputin. „Er will sich einen Sixpack anschaffen“, fügt er in ironischem Ton hinzu und grinst dabei.
„Hey! Mach dich nicht über mich lustig!“, mault Felix.
„Okay. Dann komm mal mit, zukünftiger Mister Universum“, fordere ich ihn auf und marschiere voran in den Geräteraum.
Während ich ihn ein paar Übungen machen lass, unterhalten wir uns locker. Dort, wo Rasputin ihn her hat, scheint es noch mehr von der Sorte zu geben.
„Björn und Frederik arbeiten im … im Lila Leguan. Die wären sicher bereit, sogar … sogar bei einem alten Knacker wie dir, auf … auf die Knie zu gehen“, meint Felix, unterbrochen von angestrengtem Keuchen. „Dir steht der Saft doch … doch schon bis zum Hals.“
Treffer, versenkt. Ich halte mal lieber den Mund, sonst würde ich dem Kerl deutlich sagen, was ihn mein Saft angeht. Er meint es schließlich nicht böse und hat beim Reden gezwinkert, um den Worten die Schärfe zu nehmen. Es schmerzt trotzdem, auf mein Alter angesprochen zu werden.
Nach einer Stunde ist der Kleine total fertig und latscht zur Umkleidekabine. Ich schaue ihm sinnend hinterher, ehe ich mich anderen Kunden zuwende. Es wäre schon eine Abwechslung, wenigstens mal wieder eine fremde Hand zu spüren, statt meiner gewohnten Faust. Bisher, und gerade wegen meiner Vergangenheit, habe ich strikt abgelehnt Liebe zu kaufen, doch irgendwie hat sich die Idee wie ein giftiger Dorn in mein Fleisch gebohrt. Vielleicht habe ich genauso viel Glück wie Rasputin und finde meinen Prinzen auf diesem Weg. Träum weiter, Heinz!, flüstert eine Stimme in meinem Kopf.
Schlussendlich gebe ich dem Drang nach, den der giftige Stachel in mir ausgelöst hat. An einem Mittwoch fahre ich nach Feierabend zum Lila Leguan. Ich bin frisch geduscht und normal gekleidet, in Jeans, T-Shirt und Lederjacke. Früher hätte ich mich gestylt, doch heutzutage lohnt sich das einfach nicht mehr. Ich kann mein Alter nicht kaschieren und habe dazu auch gar keine Lust. Außerdem will ich ohnehin für Sex bezahlen, da ist es doch egal, wie ich aussehe. Rasputin hat mir noch verraten, wo in etwa die Preise liegen. Leisten kann ich mir das eigentlich nicht, doch wenn ich in nächster Zeit nur noch Haferflocken esse, wird es schon gehen.
Da ich keinen Wagen besitze, fahre ich mit der Bahn und laufe die kurze Strecke von der Station Christuskirche zu Fuß. Das Lokal befindet sich in einer kleinen Seitenstraße. Ohne Rasputins Beschreibung hätte ich den Laden niemals gefunden. Eine altersschwache Leuchtreklame wirft kitschiges lila Licht auf die Front. Li_a Leguan steht da, denn das eine ‚L‘ ist dunkel. Ganz schön runtergekommen.
Ich trete durch die Tür und schaue mich um. Auf den ersten Blick wirkt das Lokal gemütlich. Es hat etwas von dem Charme der Achtziger, mit dunkel gestrichenen Wänden, an denen alte Filmplakate hängen. Für einen Wochentag erscheint mir der Laden gut besucht. Es halten sich geschätzt dreißig Gäste in dem Raum auf.
Auch ich werde taxiert, während ich auf den Tresen zusteuere, doch das Interesse erlahmt schnell. Darüber bin ich einerseits erleichtert, andererseits kränkt es mich ein wenig. Eindeutig war ich zu lange nicht mehr unterwegs, sonst würde ich das lockerer sehen.
Ich schiebe meinen Hintern auf einen der Barhocker und kämpfe gegen das Gefühl an, ein Fremdkörper in der Welt der Kneipengänger zu sein. Ein Kerl mit kurzen grauen Haaren wendet sich zu mir und mustert mich mit unglaublich blauen Augen. Er muss noch älter sein als ich, ist dabei aber nicht unattraktiv.
„N’Abend. Was kann ich dir Gutes tun?“, fragt er.
„Ein Bier“, bestelle ich, obwohl ich lieber Wasser getrunken hätte. Irgendwie erscheint mir das jedoch plötzlich als unmännlich und meine Unsicherheit verbietet mir, derart aus der Rolle zu fallen.
Der Grauhaarige zapft mit routinierten Bewegungen ein Pils, dabei wandert sein Blick ständig prüfend umher. Sicher handelt es sich bei ihm um den Geschäftsführer oder sogar Eigner des Lokals. Außer ihm flitzen noch zwei Jungspunde hinter dem Tresen hin und her, ein Braunhaariger mit Augenbrauenpiercing und ein Schwarzgefärbter. Das sind wohl Björn und Frederik, von denen Felix mir erzählt hat.
„Hab dich hier noch nie gesehen“, meint der Grauhaarige, schiebt ein volles Glas über die Theke und fügt hinzu: „Macht drei Euro.“
„Ich war noch nie hier“, entgegne ich, lege ein paar Münzen neben das Glas und seufze leise. „Bin zu alt für die Szene.“
Er streicht das Geld ein und wirft es in eine Schublade. „Wenigstens bin ich jetzt nicht mehr der einzige Gruftie hier. Ich bin übrigens Walter.“
„Heinz“, erwidere ich, proste ihm zu und trinke einen Schluck.
Das kühle Zeug rinnt angenehm durch meine trockene Kehle. Sofort mir geht’s etwas besser. Liegt wohl auch daran, dass ich nun eine Art Verbündeten habe. Walter lächelt mir zu und dreht sich wieder zum Zapfhahn. Fünf Gläser warten dort darauf, mit Pils gefüllt zu werden. Ich beobachte ihn und die beiden anderen bei der Arbeit, dabei leere ich das Glas. Scheint so, als wenn ich mir Mut antrinken muss. Der Braunhaarige ist mein Favorit, doch wie spreche ich ihn an?
„Willst du noch eins?“, fragt Walter, der sich mir erneut zugewandt hat und auf den leeren Humpen schaut.
„Ja bitte.“ Ich beuge mich etwas vor. „Sag mal, ein Mäuschen hat mir geflüstert, dass man sich hier für ein paar Euro etwas Liebe besorgen kann. Stimmt das?“
„Liebe?“ Walter, der sich mein Glas gekrallt hat, hält in der Bewegung inne und seine Mundwinkel zucken amüsiert. „Ich nenne es ja anders, will dir deine Illusion aber nicht rauben.“ Er nickt in Richtung der Jünglinge. „Björn oder Frederik, aber bitte diskret.“
„Danke“, murmele ich verlegen und bin froh über die schummrige Beleuchtung. Meine Wangen kribbeln verdächtig und sind wahrscheinlich puterrot geworden. Wie konnte ich nur so dämlich fragen? Walter muss mich für einen alten Trottel halten, der Sex und Liebe nicht unterscheiden kann. Sicher denkt er, ich wäre ein Sugardaddy, der nach einem neuen Gespielen sucht. Plötzlich ist mir wichtig, dass er eine gute Meinung von mir hat. Als er ein frisches Pils vor mir abstellt, greife ich nach seinem Handgelenk, bevor er sich wieder entfernen kann.
„Das hörte sich eben blöd an. Ich will nur Druck ablassen“, flüstere ich. „Nicht, dass du das falsch verstehst.“
Walter grinst, schüttelt den Kopf und erwidert: „Schon klar. Ich wollte dich nur aufziehen.“
„Puh!“, mache ich übertrieben erleichtert, grinse zurück und lass ihn los. „Da bin ich aber froh.“
Nachdem ich bezahlt habe, hebe ich das Glas an meine Lippen und fixiere dabei den Braunhaarigen. Der redet zwar gerade mit einem Gast, guckt aber schon bald zu mir und kommt herübergeschlendert.
„Interesse?“, fragt er leise.
Ich nicke.
„Okay. Ich geh schon mal vor. Du kennst die Preise?“
„Ähm … 50, richtig?“, erwidere ich. „Für Blasen“, setze ich schnell hinzu.
Der Braunhaarige legt den Kopf schief und seine Augen huschen zu meinem Schritt. Er nickt, macht auf dem Absatz kehrt und geht mit wiegendem Schritt in Richtung der Toiletten. Nun, wo es losgehen soll, wird mir mulmig zumute. Es ist hundert Jahre her, dass ich Sex ohne Gefühl hatte. Mit Harro hab ich es manchmal auch tierisch wild getrieben, aber es war immer Liebe im Spiel. Kann ich überhaupt? Im Moment macht mein Schwanz eher Anstalten, in mich reinzukriechen, anstatt sich zu freuen.
Ich stürze das Bier runter, rutsche vom Hocker und gehe dem Braunhaarigen hinterher. Sicher sind gerade alle Blicke auf mich gerichtet, den Tattergreis, der sich an einem Frischling vergreifen will. Ich komme mir vor wie ein alter Lustmolch und meine Schritte werden immer langsamer. Vorsichtig sehe ich mich um, doch es beachtet mich niemand. Mein Gehirn spielt verrückt. Ich sollte mich echt zusammenreißen.
Der kleine Kerl wartet vor den Klokabinen auf mich. Sein Blick ist abschätzend, was meiner nicht vorhandenen Lust nicht förderlich ist.
„Also, Alter: 50 Euro oder ich hol dir einen für 20 runter. Beides nur safe, damit das klar ist“, verkündet er lässig.
„Blasen“, bitte ich.
Mir wird heiß in der Lederjacke. Schweißtropfen bilden sich im Nacken und auf meiner Stirn. Dennoch mag ich die Jacke nicht ausziehen.
„Ooookay“, meint der Braunhaarige, stößt eine der Türen auf und winkt mich heran.
Ich trete in die kleine Zelle und bin erleichtert, dass sie offenbar sauber ist. Nur der Geruch nach Desinfektionsmittel und Pisse stört etwas. Braunschopf drängt sich zu mir und verriegelt die Tür. Er riecht verschwitzt und nach Zigarettenqualm. Wie viele Kerle er heute wohl schon bedient hat? Ich zwinge mein Gehirn in eine andere Richtung: Sex.
„Vorkasse“, bittet mein Blowjob.
Ich fummele ein Schein aus meiner Börse, stecke sie wieder in die Innentasche der Jacke und reiche dem Kerl das Geld. Er nimmt es grinsend an, knüllt es in seine Gesäßtasche und behauptet: „Ich steh auf Männer in den besten Jahren.“
Seine Finger krabbeln unter mein T-Shirt und wandern über meinen Bauch höher. Er staunt: „Wow!“, als er meine Brustmuskeln ertastet. Seine Augen werden groß und seine Lippen verziehen sich in einem anerkennenden Lächeln. „Bist gut in Form, Opa“, lobt er mich, lässt die Hände tiefer wandern und öffnet meine Jeans.
Ich lehne meinen Hinterkopf an die Kabinenwand, schließe die Augen und beschwöre Harros Bild hoch. Wie er immer gelächelt hat, bevor er auf die Knie ging; zu mir hochgeschaut hat, mit meinem Schwanz in seinem Mund. Das hilft: Ich werde hart.
Eine erfahrene Hand legt sich um meinen Schwanz, Zellophan knistert, Latexgeruch dringt in meine Nase. Das ist gewohnt, haben Harro und ich doch immer Gummis benutzen müssen. Mein Kopfkino läuft auf vollen Touren. Ich stecke in der warmen Mundhöhle meines Liebsten, höre die angestrengten Atemzüge, da er durch die Nase atmen muss. Mein Schwanz ist groß und will nicht ganz hineinpassen. Die Wurzel wird umspannt und erregend massiert, eine Hand spielt mit meinen Eiern. Oh ja! Das ist es!
Ich presse meine Handflächen gegen die Trennwand, beiße die Zähne zusammen und meine Beine werden ganz weich. Explosiv wie seit langem nicht mehr, entlädt sich meine Anspannung ins Gummi.
So heftig der Orgasmus auch ist, geht er ebenso schnell vorbei. Routiniert zieht der Bursche das Kondom ab, wirft es in den Mülleimer und greift nach einer Rolle Klopapier. Er drückt sie mir gegen den Bauch und grinst zu mir hoch.
„Saubermachen musst du selbst“, meint er, entriegelt die Klotür und lässt mich stehen.
Ich bin froh, ein paar Minuten für mich zu haben. Der Sex war okay, zugleich unbefriedigend. Ich mag küssen, streicheln und dieses ganze verweichlichte Zeug. Klar, dass ich das von einem Stricher niemals bekommen werde, dennoch bin ich enttäuscht. Muss am Alter liegen. Mein Gehirn wird wohl langsam weich, dass ich die Realität nur noch verschwommen wahrnehme.
Nachdem ich mich gereinigt und die Hände gewaschen habe, gehe ich zurück in den Schankraum. Das Lokal hat sich inzwischen ziemlich geleert. Es sind nur noch wenige Tische besetzt. Ich steige wieder auf den Hocker und winke Walter heran.
„Ein Mineralwasser“, bitte ich.
Gleich darauf habe ich ein Glas mit Eiswürfeln und einer Zitronenscheibe vor mir stehen. Während er den Kronkorken von einer Flasche entfernt, betrachtet er mich mit milder Neugier.
„Siehst deutlich entspannter aus“, findet er.
„Ich bin zu alt für diesen Scheiß“, erwidere ich mit einem frustrierten Seufzer.
„Für Sex ist man nie zu alt.“ Walter feixt, stellt die Flasche neben das Glas und schaut sich um. „Letztes Getränk. Ich schließe bald“, ruft er und wendet sich wieder zur Zapfanlage.
Es müsste ungefähr eins sein. Während ich mein Wasser trinke, leert sich das Lokal weiter, bis nur noch ich, Walter und die beiden Jungs im Raum sind. Ich zahle, verabschiede mich und mache mich auf den Heimweg.
Die letzte Bahn ist schon weg. Da es trocken und die Luft lau ist entschließe ich mich, zu Fuß nach Hause zu laufen. Ich habe ohnehin in meinem Kopf aufzuräumen, daher kommt ein Spaziergang gerade recht.
Ich denke an meine Zeit auf dem Strich. Oft haben Kunden versucht, mich zu küssen oder andere Zärtlichkeiten erbeten. Ich war damals attraktiv und konnte mir die Kerle aussuchen. Wenn mir ein Freier gut gefiel, habe ich mich schon mal dazu hinreißen lassen, mehr mit ihm zu machen als nur den simplen Akt. Ein paar Küsse, eine Umarmung, ein paar Streicheleinheiten. Doch das blieb die absolute Ausnahme.
Erst später, mit Harro, bin ich richtig auf den Geschmack gekommen. Wir haben uns anfangs regelrecht verschlungen und konnten nicht genug voneinander bekommen. Ein ausgiebiges Vorspiel war Pflicht und danach ein Meer aus liebevollen Knutschereien. Ich vermisse das sehr, sogar noch mehr als Sex. Kann man Küsse kaufen? Wohl kaum. Und wenn, dann wären sie lieblos und damit wiederum nichts wert. Ein Teufelskreis!
Sollte ich mich bei einer Kontaktbörse anmelden? Allerdings habe ich gehört, dass dort auch hauptsächlich Sex angeboten wird. Zudem ist da noch die Hürde meines Alters. Wahrscheinlich sollte ich mir die Flausen aus dem Kopf schlagen und endlich damit klarkommen, dass für mich der Zug – im wahrsten Sinne des Wortes! – abgefahren ist.
Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreiche ich meine Wohnung. Der Spaziergang hat mich bettschwer gemacht, sodass ich gleich ins Bad gehe und danach ins Bett. Es dauert trotzdem eine Weile, bis ich einschlafen kann. Der Besuch im Lila Leguan hat mich aufgewühlt und viele Erinnerungen, die ich längst vergessen hatte, wieder hochwallen lassen.
Am kommenden Tag suche ich das Gespräch mit Rasputin. Es ist früher Nachmittag und gerade nicht viel los im Studio.
„Sybille? Ich bin bei Rasputin im Büro“, informiere ich die Aushilfe in der Anmeldung. „Wenn was ist, erreichst du mich dort.“
Sie nickt ohne aufzuschauen. Ich steige die Treppe runter ins Souterrain, in dem sich, neben dem Büro, die Personalräume und –Toiletten befinden. Rasputin hockt hinter seinem Schreibtisch und sortiert Papiere. Er guckt hoch, als ich in den Raum trete und die Tür hinter mir schließe. Unaufgefordert nehme ich in dem Besuchersessel Platz und strecke meine Beine aus. Rasputin lehnt sich zurück, faltet die Hände vor der Brust und wartet stumm, dass ich beginne.
„Ich war gestern im Lila Leguan“, erzähle ich. „Irgendwie spinne ich in letzter Zeit.“
„Du bist einsam“, erwidert Rasputin.
„Ja, das ist schon klar. Dennoch … ich neige nicht dazu irgendwo abzuhängen, das weißt du. Und schon gar nicht dazu, mir für Geld Sex zu besorgen. Das ist irgendwie erbärmlich.“
Er hebt eine Augenbraue. „Findest du?“
„Oh! Sorry! So meinte ich das nicht“, rudere ich zurück, als mir klar wird, was ich da gerade von mir gegeben habe. „Es ist natürlich okay und die Jungs tun es freiwillig. Es ist nur … ich fühle mich so alt.“
„Du siehst toll aus für dein Alter. Warum suchst du dir nicht einen neuen Partner?“, fragt Rasputin.
„Als wenn die auf den Bäumen wachsen würden.“ Ich seufze und schlage ein Bein übers andere. „Sag mal, dieser Walter, ist er der Eigner des Leguan?“
Rasputin nickt. „Ich kenne den Laden noch nicht lange. Habe durch Mundpropaganda davon erfahren. Walter ist voll okay. Er ist gut zu seinem Personal und hat ein Auge auf die Jungs.“
„Wie alt ist er?“, erkundige ich mich neugierig.
Rasputin zuckt die Achseln. „Er müsste so alt wie du sein, vielleicht auch älter. Ich bin im Schätzen eine Niete. Wieso fragst du?“
Ja, wieso frage ich eigentlich? Mir geht’s doch um etwas ganz anderes, aber um was eigentlich? Wahrscheinlich wollte ich einfach mit jemandem reden und da ich kaum Leute treffe, habe ich mir eben Rasputin ausgesucht. Er steht mir näher, als viele der anderen Männer aus meinem Bekanntenkreis. Selbiger hat sich sowieso nach Harros Tod weitestgehend in Luft aufgelöst. Ich bin eben nicht gesellig.
„Ich war bloß neugierig“, murmele ich, senke die Wimpern und gucke auf meine Schuhspitzen. „Es ist nur so: Ist es eklig, wenn ein so alter Kerl wie ich junge Stricher heimsucht? Ich meine, findest du das eklig?“
„Quatsch!“, schimpft Rasputin. „Du hast doch auch Bedürfnisse und wie ich schon sagte: Du bist gepflegt, attraktiv und überaus sympathisch. Hör auf, dein Licht unter den Scheffel zu stellen.“
Es tut wahnsinnig gut, seine Sicht der Dinge zu hören. Dass er mich als gutaussehend empfindet, geht runter wie Öl. Vielleicht sollte ich wirklich mutiger sein und mit mehr Selbstvertrauen mein Sexleben wiederaufnehmen. Seit Harros Tod vegetiere ich nur noch dahin. Erst Rasputins Studio hat mich wieder ein wenig aus dem Schneckenhaus gelockt.
„Danke. Ich wollte wohl einfach mal reden.“ Ich stehe auf. „Danke für dein Ohr.“
„Immer gern“, brummelt Rasputin und beugt sich wieder über die Papiere.
Leise verlasse ich den Raum.
In den folgenden Tagen ertappe ich mich immer wieder dabei, nach dem Duschen an mir herumzudoktern. Zu Harros Lebzeiten habe ich auf mich geachtet, das aber sträflich vernachlässigt. Überall wachsen Haare, zumeist an Stellen, wo man keine haben sollte. Zudem sind das auch noch solche, an die man schlecht kommt. Beispielsweise: Um sich selbst das Arschloch zu rasieren, muss man Akrobat sein.
Meine Muskeln hingegen gefallen mir schon. Das tägliche Training hat mir einen Oberkörper verschafft, von dem ich früher nie zu träumen gewagt hätte. Wenn ich die Bizepse meiner Arme anspanne und in Positur gehe, dabei den Bauch einziehe, könnte ich sogar Konkurrenz mit dem jungen Schwarzenegger aufnehmen. Okay, nur fast, aber Rasputin hat recht. Trotz meiner alten Visage bin ich immer noch ansehnlich und selbst die ist keineswegs verlebt, sondern einfach nur in Würde gealtert.
Mein neu erwachtes Selbstbewusstsein ist wohl auch der Grund, weshalb ich eine Woche nach meinem ersten Besuch erneut im Lila Leguan auftauche. Walter begrüßt mich mit einem erfreuten Lächeln und Kopfnicken. Fühlt sich gut an! Ich wachse gleich noch ein paar Zentimeter, schiebe meinen Arsch auf einen Hocker und ordere ein Mineralwasser. Es kommt weder ein dummer Spruch, noch ein komischer Blick.
Während ich trinke, entdecke ich den Braunhaarigen. Mist! Wie war noch sein Name? Ich winke Walter heran.
„Sag mal, der Braunhaarige, wie heißt der?“, frage ich leise.
„Das ist Björn“, antwortet Walter. „Komisch, oder? Der Junge hatte deinen Schwanz im Mund, aber seinen Namen kennst du nicht. Erinnert mich irgendwie an alte Zeiten, als ich noch aktiv war.“
Die Kneipe ist nur schwach besucht, was wohl der Grund dafür ist, dass er seine Arme auf den Tresen legt und sich zu einem Plausch vorbeugt. „Manchmal erinnere ich mich gern an damals, an die Zeit, in der es kein HIV gab und man rumvögeln konnte wie blöde. Ich bin heute noch dankbar dafür, dass ich von der Seuche verschont wurde. Mann, ich habe in Sperma gebadet und … Sorry, was erzähle ich hier.“ Walter richtet sich auf und entschuldigt sich mit einem Achselzucken.
„Hey, nein! Mir geht’s doch ähnlich“, beruhige ich ihn.
Er lehnt sich wieder auf den Tresen und redet weiter. „Ehrlich gesagt beneide ich die Jugend nicht. Klar, sie sind jung und haben knackige Körper, aber irgendwie ist das nichts, was ich heute noch haben will. Okay, bis auf den straffen Hintern vielleicht.“ Walter lacht, wobei sich in seinen Augenwinkeln attraktive Fältchen bilden. „Ich hasse den Geruch von Latex“, bekennt er mit einem Naserümpfen. „Noch heute kann ich das Zeug einfach nicht ab. Daher …“ Er guckt sich kurz im Lokal um. „Daher ist es gut, dass ich eh keine Zeit für solchen Blödsinn habe.“ Wie als Beweis wendet er sich zur Zapfanlage, um drei angefangene Pils fertigzustellen.
Warum kommt es mir so vor, als ob er den letzten Satz anders hatte beenden wollen? Ich mustere ihn genauer, den leichten Bauchansatz, die breiten Schultern. Am Nacken ist der Ausläufer eines Tattoos zu erkennen. Als er sich umdreht, wandert mein Blick zu seinem Hintern. Die Jeans sitzt locker, lässt aber erkennen, dass sich ein – für meinen Geschmack – noch durchaus ansehnlicher Arsch in dieser Hose befinden muss.
„Hallo. Interesse?“, flüstert jemand an meinem Ohr.
Ich wende den Kopf und entdecke Björns Gesicht nahe meinem. Hübsche Augen hat er. Ich nicke, rutsche vom Hocker und lass ihn vorangehen.
„Wie letztes Mal?“, erkundigt er sich, als wir uns in einer freien Klokabine verbarrikadiert haben.
„Bitte“, entgegne ich, zücke meine Börse und drücke ihm einen braunen Schein in die Hand.
Björn steckt das Geld ein und kommt diesmal gleich zur Sache. Geschickt bläst er mich in den Himmel und eh ich wieder klar denken kann, habe ich auch schon eine Klorolle in der Hand und er ist verschwunden. Wieso komme ich mir gerade vor wie ein stehengelassener Idiot? Ich wische meinen Schwanz ab und bin ganz kurz versucht, vor Frust das Scheißklopapier in die Ecke zu pfeffern, lass es aber sein. Wem würde es nützen?
Zurück am Tresen bestelle ich einen doppelten Whisky. Walter schenkt großzügig ein und poliert danach weiter Gläser. Das Lokal ist fast leer. Bestimmt will er bald Feierabend machen. Björn und Frederik sind auch schon weg.
„Das Leben ist kacke“, sinniere ich und kippe den Alkohol in einem Zug runter.
Schweigend wirft Walter das Geschirrtuch über die Schulter, füllt das Glas erneut und schenkt sich selbst einen Fingerbreit ein. Er prostet mir zu, schluckt das Zeug runter und zieht einen Hocker heran. Mit einem tiefen Seufzer lässt er sich mir gegenüber nieder und stützt die Ellbogen auf den Tresen. Unter unglaublich dichten Wimpern hervor guckt er mich forschend aus blauen Augen an.
„Bist du verheiratet?“, fragt er unvermittelt.
„Öhm? Nein. Wie kommst du darauf?“, frage ich verblüfft.
„Hätte ja sein können. Du wirkst so frustriert.“
„Merkt man das?“ Ich trinke einen Schluck und spüre inzwischen deutlich die Wirkung. Der ungewohnte Alkohol steigt mir in den Kopf und ich werde redselig. „Ich hatte über lange Zeit einen Partner, aber er ist gestorben. Ich vermisse ihn immer noch. Wenn man einmal die Liebe kennengelernt hat, ist man mit weniger einfach nicht zufrieden.“
Walter nickt verständig.
„Wie alt bist du eigentlich?“
„Gerade sechzig geworden“, antwortet er mit einem Zwinkern. „Sieht man kaum, oder?“ Er lacht leise.
„Ich hätte dich jünger geschätzt“, behaupte ich. „Auf höchstens 58.“
Ich pruste los, enthemmt von dem Whisky. Walter lacht mit, ein Glück. Er hebt die Flasche und will mir erneut einschenken, doch ich halte die flache Hand über das Glas und schüttle entschieden den Kopf.
„Ich muss morgen arbeiten“, erkläre ich. „Zwar erst ab Mittag, aber der Tag ist lang.“
„Okay“, meint Walter, stellt den Whisky weg und greift nach einer Flasche Mineralwasser. „Darf ich fragen, was du machst?“ Er gießt Wasser in mein Glas.
„Ich bin Teilhaber eines Fitnessstudios“, verrate ich stolz. „Es macht Spaß, für sich selbst zu arbeiten.“
„Wem sagst du das?“ Walter nickt. „Kennst du zufällig einen Rasputin?“
„Ja, er ist mein Partner. Von ihm habe ich doch den Tipp mit dem Laden hier.“
„Hätte ich auch gleich drauf kommen können“, brummelt Walter grinsend. „Rasputin ist ein netter Kerl und du scheinst auch nett zu sein.“
„Danke.“ Ich stürze das Wasser durch meine vom Whisky ausgedörrte Kehle und ziehe meine Börse aus der Tasche, doch er winkt ab.
„Geht aufs Haus“, sagt er, rutscht vom Hocker und schaut auf die Uhr. „Ich werde mal schließen.“
Um mich auszunüchtern, gehe ich zu Fuß nach Hause. Als ich daheim ankomme, ist die Wirkung des Alkohols gänzlich verflogen und der Spaziergang hat für Bettschwere gesorgt.
Ab diesem Abend bin ich oft Gast im Lila Leguan. Allerdings nicht nur, um Björns Dienste in Anspruch zu nehmen, sondern auch, um etwas zu trinken und ein wenig mit Walter zu plaudern. Dass ich immer erst spät Feierabend habe, passt perfekt. Meist ist dann im Leguan nur noch wenig los und Walter hat Zeit für ein Schwätzchen.
Ich erfahre so einiges über ihn. Er wohnt in einer großzügigen Wohnung über dem Leguan. Vor zehn Jahren hat ihn sein langjähriger Partner für einen Jüngeren verlassen, was ihm sehr zugesetzt hat. Seitdem ist er solo und will es auch bleiben, behauptet er zumindest. Seine Jugend ist ähnlich stürmisch verlaufen wie meine, daher verlieren wir uns gern in Erinnerungen und stellen dabei fest, dass wir den gleichen Humor teilen.
Das geht etwa vier Wochen so und die Besuche im Lila Leguan werden für mich ein fester Bestandteil meines Lebens. Ich mag Walter. Er ist ein feiner Kerl mit einem weichen Herzen, aber einer festen Hand, wenn es ums Personal geht. Ich fühle mich wohl, wenn ich am Tresen sitze und bei einem Wasser einfach umherschaue und gelegentlich ein paar Worte mit ihm wechsle.
Mit Björn bin ich in der Zeit nur noch zweimal auf die Toilette verschwunden. Der Kerl macht seine Sache zwar gut, doch es bleibt immer ein schales Gefühl zurück. Dennoch habe ich manchmal eben richtig Druck auf der Leitung und brauche mehr als meine eigene Faust.
An einem Sonntag spüre ich genau diesen heftigen Drang mal wieder und freue mich den ganzen Tag auf Björnilein. Im Geiste spüre ich schon seine geschickten Finger und Vorfreude hinterlässt in meiner Shorts nasse Spuren. Als ich nach Feierabend im Lila Leguan aufkreuze, halte ich sogleich nach dem Braunhaarigen Ausschau, kann ihn jedoch nirgends entdecken.
„Hallo Walter“, grüße ich den Wirt und wippe vor Ungeduld mit den Füßen. „Wo ist Björn?“
„Hi Heinz. Der hat heute freigenommen“, erwidert Walter, schiebt das übliche Mineralwasser über die Theke und wendet sich anderen Gästen zu.
Ich bin so fickerig, dass ich nicht ruhig sitzen kann. Also nippe ich im Stehen an meinem Wasser und überlege, ob ich vielleicht den anderen Burschen, Frederik, den schwarzgefärbten, anbaggern soll. Leider entspricht der noch weniger meinem Typ als Björn, daher zögere ich.
„Was ist denn mit dir los?“ Walter beugt sich über den Tresen und mustert mich besorgt. „Willst du reden?“, fügt er leise hinzu.
Ich schüttele den Kopf, kippe den Rest Wasser in meinen Schlund und gehe zu den Toiletten. Irgendwie hoffe ich wohl, dass Björn dort ist, aber natürlich ist der Raum leer, bis auf einen fremden Kerl vor einem der Pissoirs. Soll ich doch Frederik fragen? Ich kehre in den Schankraum zurück und klettere auf einen Hocker. Sofort reicht Walter mir ein neues Mineralwasser.
„Du stehst unter Druck“, stellt er fest. „Du hast ja schon ganz glasige Augen.“
„Quatsch!“, streite ich vehement ab und spüre, dass meine Wangen heiß werden.
Walter guckt mich so intensiv an, dass ich fast glaube, er will in meine Seele schauen. Beschämt senke ich die Lider und spiele mit dem Glas.
„Hör mal …“ Er lehnt sich vor. „Ich mag dich und ich finde dich attraktiv. Außerdem hätte ich nichts dagegen, endlich mal wieder einen fremden Schwanz in natura zu sehen. Also, wenn ich dir nicht zu alt bin, würde ich es dir besorgen.“
Sex mit Walter? Prüfend betrachte ich sein Gesicht, auf dem keinerlei Anzeichen von Fröhlichkeit zu erkennen ist. Im Gegenteil: Er guckt sehr ernst und nahezu sehnsüchtig. Die Erregung, die den ganzen Tag in mir geschwelt hat, entzündet sich zu einem knisternden Feuer. Mein Unterleib beginnt zu brennen und die Jeansnähte zu ächzen.
„Du?“, würge ich aus meiner urplötzlich staubtrockenen Kehle hervor.
„Sorry. Das war ein dummer Vorschlag. Vergiss einfach, dass wir gesprochen haben“, brummelt Walter beleidigt und kehrt mir den Rücken zu.
„Warte!“, stoße ich hervor. „Ich … ich bin nur so überrascht.“
„Mhm“, macht er und schaut über die Schulter.
Seine Miene drückt Misstrauen aus, sodass ich mich beeile zu sagen: „Gern! Also, ich hätte schon Lust.“
Lächelnd dreht sich Walter um. Mir wird klar, dass wir unsere Freundschaft gerade auf ein neues Level gebracht haben. Wir respektieren uns als Männer mit Erfahrung, die bereit sind, ihr Bedürfnis aneinander zu stillen. Warum auch nicht? Wieso bin ich nicht eher darauf gekommen, wo die Lösung doch so nahe liegt?
„Wenn du noch ein wenig Geduld hast … Ich muss nur Frederik instruieren, dann können wir in mein Büro gehen“, erklärt Walter mit einem verheißungsvollen Lächeln.
Ich nicke eifrig. Was sind ein paar Minuten gegen die Stunden, die ich schon durchhalte? Meine Handflächen beginnen zu schwitzen, als ich Walter unter dem neuen Aspekt betrachte. Er ist hochgewachsen, fast so groß wie ich. Seine Arme sind kräftig, die Hände dagegen erstaunlich feingliedrig. Ich habe sie schon oft beobachtet, wenn er Gläser poliert hat. Seine Beine wirken schlank in der abgewetzten Jeans und sein Brustkorb ähnelt von der Breite her meinem. Sein Haupthaar ist voll, grau und stets akkurat kurzgeschnitten. Das passt gut zu den symmetrischen Gesichtszügen. Walter muss in seiner Jugend ausnehmend attraktiv gewesen sein, gereift gefällt er mir jedoch auch sehr gut.
Er hebt die Augenbrauen, als er mich bei der intensiven Musterung erwischt. „Wir können für eine Weile verschwinden.“
„Sehr gut“, murmele ich, springe auf und folge ihm.
Das Büro entpuppt sich als ein geräumiges Zimmer mit Schreibtisch, Regalen und einer Couch. Walter lässt sich darauf nieder und klopft einladend auf das Polster.
„Setz dich“, fordert er mich auf. „Wir müssen vorher etwas klären.“
Nachdem wir uns bisher ausschließlich in fremder Gesellschaft getroffen haben, erscheint mir die plötzlich Intimität des Raumes als beklemmend. Ich setze mich vorsichtig zu ihm und weiß nicht wohin mit meinen Händen. Schließlich lege ich sie flach auf meine Schenkel. Mein Blick irrt umher, nur damit ich Walter nicht ansehen muss. Wenige Bilder zieren die Wände, überwiegend Fotografien.
„Ich erwähnte wohl schon, dass ich kein Latex mag“, beginnt Walter zu sprechen. „Daher tue ich es nur ohne Gummi. Ich bin sauber und du machst den Anschein, als wenn du es auch bist. Stimmt’s?“
Ich nicke.
„Gut.“ Er holt tief Luft. „Dann spann mich nicht länger auf die Folter und zeig, was du zu bieten hast.“
Meine fahrigen Finger quälen sich mit dem Hosenverschluss ab. Ich bin nervös, von Lust keine Spur. Soll ich kneifen?
„Hey, bleib ganz locker“, meint Walter, beugt sich zu mir und schubst meine Hände weg. „Wir versuchen es und was nicht geht, geht nicht.“
Er rutscht auf den Boden und öffnet meine Hose. Fast andächtig breitet er den Stoff auseinander und lässt die Fingerspitzen über meinen verhüllten, weichen Schwanz fahren. Das Wunder geschieht: Ich fühle die Lust zurückkehren. Walters zarte Berührungen senden elektrische Impulse durch meinen Schwanz. Ein leises Stöhnen veranlasst ihn, zu mir aufzuschauen. Er lächelt und setzt seine Erkundung fort.
Es ist ewig her, dass mich ein Mann derart geduldig liebkost hat. Ich lehne den Kopf zurück und lass mich fallen. Die Jeans wird von meinen Hüften gezogen, bis genug Freiraum für Walters Hände entstanden ist. Finger befühlen meine Eier und eine Hand pumpt mich erfahren und gleichmäßig. Ich bin im siebten Himmel.
„Schöner Schwanz“, lobt Walter und bringt als nächstes seinen Mund zum Einsatz.
Wow! Ganz anders als mit Gummi! Ich kann deutlich seine neckende Zunge spüren, den warmen Gaumen und ein leichtes Schaben der Zähne. Erfahren und viel, viel besser als Björn, entführt mich Walter ganz langsam in die Ekstase. Als es mir kommt, stöhne ich das ganze Zimmer zusammen.
Meine Hand hat sich in seinen Nacken gestohlen und krault den Haaransatz, während ich nach und nach lande. Das hier ist besser als alles zuvor. Sogar besser als Harros Blowjobs, der niemals so viel Geduld aufgebracht hat wie gerade Walter.
„Hat’s dir gefallen?“, fragt er unsicher.
„Wahnsinn“, flüstere ich und schaue zu ihm runter. „Absoluter Wahnsinn!“
„Danke!“ Er strahlt und stützt sich auf meinen Knien ab, als er sich vom Boden erhebt. „Ich muss wieder nach vorn. Wenn du möchtest, kannst du dich noch ein wenig ausruhen.“
Der Lila Leguan bekommt einen noch höheren Stellenwert in meinem Leben als vorher. Oder eher gesagt Walter Leguan, der Wirt. Ja, er heißt wirklich so und hat dem Lokal deshalb diesen merkwürdigen Namen gegeben.
Ich besuche den Laden fast täglich und wenn ich es mal nicht schaffe, empfinde ich innere Leere. Walter nimmt mich regelmäßig mit in sein Büro und holt sich seine Ration Sahne, so bezeichnet er das jedenfalls. Immer, wenn ich mich revanchieren will, lehnt er ab und meint, er müsse wieder an die Arbeit. Bisher habe ich das hingenommen, doch die Sehnsucht nach mehr wächst ständig.
Mehr? Mehr von dem fantastischen Mann. Ich will ihn auch schmecken, sehen und vor allem will ich ihn endlich küssen. Die Angst, dass er mich zurückweist ist groß, daher habe ich meine Wünsche bislang nicht geäußert. Am Allerschlimmsten ist, dass ich mich verliebt habe. Ich, Heinz Lagermeister, fünfzig Jahre alt, bin verknallt bis über beide Ohren und das in einen Kerl, der zehn Jahre älter ist als ich. Wie gut, dass meine Eltern das nicht mehr mitbekommen. Sie hätten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, so wie damals, als ich ihnen mein Schwulsein gebeichtet habe.
In meiner Not suche ich Rasputin auf. Es ist Montag, halb zwölf und das Studio noch geschlossen. Ich finde ihn in der Umkleidekabine, als er gerade in eine Jogginghose steigt. Er schaut hoch und schenkt mir ein herzliches Lächeln. „Morgen Heinz. Du schaust schrecklich aus. Was ist los?“
Ich habe kaum geschlafen und war gestern auch nicht im Lila Leguan. Es ging einfach nicht. Wäre ich hingegangen, hätte ich sicher eine Dummheit gemacht und versucht, Walter zu küssen. Also hab ich es sein lassen und stumm in meinem Bett vor mich hin gelitten.
„Kacke am dampfen“, erwidere ich, lass mich auf eine Bank fallen und verknote meine Finger im Schoß.
„Erzähl“, fordert Rasputin, setzt sich neben mich und bindet seine Schuhsenkel.
„Walter … er und ich … wir …“, stottere ich und laufe rot an.
„Nein!“ Mein Partner schnellt hoch, glotzt mich an und bricht in schallendes Gelächter aus. „Du und Walter?“ Er japst, aber als er meine betroffene Miene sieht, wird er schlagartig ernst. „Sorry, ich bin ein Arsch“, murmelt er zerknirscht.
„Mhm“, mache ich ungnädig.
„Ehrlich, tut mir leid.“ Rasputin schlingt einen Arm um meine Schultern und drückt mich an seinen Körper. „Es erschien mir nur unmöglich, da Walter … Ach, ich halt besser den Mund. Er ist ein netter Kerl und ich finde, er passt zu dir.“
„Dangge“, nuschele ich immer noch beleidigt.
„Nun sei kein Frosch“, lockt Rasputin und drückt mir doch glatt einen Kuss auf die Wange.
„Hey!“ Ich schubse ihn weg und verschränke meine Arme vor der Brust.
„Hör mal, rede bitte mit mir! Wir haben nicht viel Zeit, sonst müssen wir das Gespräch auf später verschieben“, mahnt Rasputin.
Seufzend gebe ich ihm recht. „Ich … ich hab mich verknallt“, gestehe ich leise und klemme meine Hände zwischen die Knie. „Es ist lächerlich, aber es ist so.“
„Pft! Lächerlich! Was ist an der Liebe lächerlich?“ Rasputin schnaubt. „Ist doch egal wie alt man ist. Du hast es verdient glücklich zu sein, oder siehst du das anders?“
„Nein. Es ist nur … Walter ist so … zurückhaltend.“
„Wie meinst du das?“
„Er … er küsst mich nicht. Er lässt sich von mir nicht anfassen.“ Ich hole zittrig Luft. „Er bläst mir einen und mehr nicht. Das macht er gut, also, das blasen, aber immer, wenn ich auch mal will, haut er ab.“
„Merkwürdig“, stimmt Rasputin zu. „Vielleicht redest du mal mit ihm? Soll ja helfen.“
„Das geht nicht.“ Ich funkle ihn an. „Ich kann doch nicht hingehen und sagen: Hey, Walter, ich bin in dich verschossen!“
„Stimmt. Das kannst du nie-hie-hiemals machen.“
„Du bist so ein Scheißtyp!“, fahre ich ihn an.
Rasputin fixiert mich mit durchdringendem Blick. „Du fährst nachher hin und klärst das! Morgen brauchst du nicht vor sechs Uhr abends hier erscheinen, das sollte dir Zeit geben, mit Walter irgendwie einig zu werden. Ver-stan-den?!“
Wie stellt sich der Blödmann das denn vor? Soll ich vielleicht einen Zettel schreiben, wie damals in der Penne, mit Kästchen zum Ankreuzen? Ja, nein, vielleicht, lass und knutschen?
Ich habe mich noch nie mit Rasputin gestritten und werde es auch heute nicht tun. Dennoch erdolche ich ihn jedes Mal mit Blicken, wenn ich ihm irgendwo im Studio begegne. Er tut das mit einem Achselzucken ab, was mich nur noch wütender macht. Wie kann er von mir verlangen, dass ich mit Walter rede? Der soll sich doch mal an die eigene Nase fassen! Nach dem, was Felix mir erzählt hat, ist mein lieber Kollege nämlich ein ganz schöner Feigling!
Um Mitternacht schließen wir das Studio und ich trödele in der Umkleidekabine herum. Rasputin redet seit Stunden nicht mehr mit mir und ich nicht mit ihm. In beharrlichem Schweigen drehen wir uns den Rücken zu, während wir uns umziehen. Als Rasputin fertig ist, schnappt er seine Tasche und knurrt „Tschüss“ über die Schulter. Ich erwidere den Gruß mit einem unverständlichen Grunzen und schaue nicht einmal auf. Soll sich der Kerl doch gehackt legen! Ich werde nicht in den Leguan fahren!
Es ist schon fast ein Uhr, eine Zeit, zu der Walter normalerweise schließt, als ich auf den Lila Leguan zugehe. Vielleicht hat er sogar schon zu und ich habe eine Entschuldigung dafür, nicht mit ihm geredet zu haben. Mein Gott! Ich führe mich wirklich auf wie ein Teenager, komme jedoch einfach nicht dagegen an. Mein Herz pocht ängstlich in meiner Brust und mein Magen wiegt schwerer als eine Tonne Blei.
Die Scheiß Neonreklame leuchtet, was bedeutet, dass die Tür noch offen ist. Mist! Ich hole tief Luft, betrete den Laden und marschiere zum Tresen. Walter schaut hoch und lächelt erfreut. Es sind nur noch ein paar Gäste im Lokal.
„Hey, schön, dass du kommst“, begrüßt er mich und schenkt Wasser in ein Glas. „Allerdings schließe ich bald.“
„Wollte eh nicht lange bleiben“, murmelte ich, schiebe meinen Hintern auf einen Hocker und greife nach dem Glas.
„Hab dich gestern vermisst.“ Walter zwinkert mir zu. „Mein liebster Stammgast“, setzt er hinterher und relativiert damit das zuvor Gesagte.
„War verhindert“, lüge ich, nehme einen Schluck und starre auf die blankpolierte Theke.
„Echt? Ärger im Studio?“
„Nein. Ich war müde.“ Einmal mit der Flunkerei angefangen, kommt man nicht so schnell wieder heraus.
„Du siehst immer noch müde aus“, meint Walter mitfühlend. „Bist du krank?“
Ja! Liebeskrank! Ich schüttele den Kopf.
„Hm. Nicht gerade gesprächig heute“, konstatiert er und wendet sich zum Spülbecken.
Ich schaue zu, wie er Gläser abwäscht, geschäftig umher läuft und die letzten Gäste abfertigt. Mein Herz tut so verdammt weh. Walter erscheint mir heute noch begehrenswerter als sonst. Er hat die Haare etwas wachsen lassen, was ihm gut steht.
Zwanzig Minuten später sind wir allein im Lokal. Walter stellt die Neonreklame aus und schließt die Tür ab.
„Noch zehn Minuten, dann musst du auch gehen“, kündigt er an und eilt zurück hinter den Tresen.
Mit flinken Fingern trocknet er ein paar Gläser ab, reinigt anschließend die Zapfanlage und spült die Kaffeemaschine. Ich sitze die ganze Zeit wie gelähmt da und mein Kopf ist ganz leer. Als er auf die Uhr schaut und mich bedeutungsvoll anguckt, räuspere ich mich und frage: „Warum muss ich eigentlich gehen?“
Walter guckt verdutzt, dann lächelt er schief. „Weil du ein Gast bist?“
„Ach so“, murmele ich, rutsche vom Hocker und stehe mit hängenden Armen da. Der Bleiklumpen in meinem Magen ist inzwischen zu Eis gefroren. Meine Knie schlottern und mir ist speiübel.
„Heinz? Alles klar mit dir? Du bist ganz blass.“ Walter kommt um den Tresen herum, packt mich an beiden Oberarmen und betrachtet mich voller Sorge. „Du kippst doch nicht um, oder?“
„Weiß nicht“, erwidere ich mit unnatürlich hoher Stimme.
„Verflixt! Warum sagst du das nicht? Komm, du legst dich jetzt mal ein bisschen hin“, brummelt Walter und führt mich in sein Büro, wo er mich auf der Couch ablädt und in eine liegende Position zwingt. „Ich mach mal eben vorn alles aus und bin dann wieder hier.“
Eigentlich hat sich meine Lage gerade extrem verbessert. Immerhin bin ich noch im Lokal und liege sogar schon. Wenn sich nun noch Walter zu mir gesellen würde, wäre das die halbe Miete.
„Was machst du nur?“, schimpft er, als er zurück ins Zimmer kommt. „Hast du genug gegessen?“
Er baut sich vor der Couch auf und schaut auf mich runter. Ich nicke und schwinge die Füße zurück auf den Boden. Bei dem, was ich jetzt aussprechen will, kann ich ihn unmöglich ansehen. Vorgebeugt flüstere ich: „Sag mal … wenn ich dich bitten würde, mich zu … zu küssen, würdest du es tun?“
Das folgende Schweigen dehnt sich unendlich. Schließlich plumpst Walter neben mir aufs Polster und stöhnt. „Ehrlich gesagt würde ich …“ Er bricht ab.
Mein Herz stolpert und meine Fingerknöchel laufen weiß an, als ich die Hände zu Fäusten verkrampfe.
„Ich würde wohl ablehnen, denn wenn ich es tue …“ Erneut legt er eine Pause ein. „… könnte ich nicht wieder aufhören“, vollendet er den Satz.
Ich stoße die angehaltene Luft aus, richte mich kerzengerade auf und wende mich Walter zu. „Würdest du dann bitte endlich anfangen? Ich vergehe sonst noch vor Sehnsucht.“
„Scheiße!“, flüstert Walter, packt mich im Nacken und fängt an.
Sein Kuss ist überraschend zart und sein Duft berauschend männlich. Ich gerate ganz aus dem Konzept, da ich gleichzeitig tief einatmen und küssen will. Damit Walter nicht auf dumme Ideen kommt, wie aufzuhören, schlinge ich einen Arm um seinen Hals, den anderen um seine Taille. Kurz lösen sich unsere Lippen voneinander, holen wir beide tief Luft, dann geht es in die nächste Runde. Zungeneinsatz, wildes Erforschen. Ich stöhne erstickt und will am liebsten in Walter reinkriechen.
„Scheiße, Heinz“, murmelt er in der nächsten Kusspause. „Was tun wir hier?“
„Rede nicht, mach!“, weise ich ihn zurecht und biete ihm meinen Mund.
Wieder versinken wir in einem Strudel wilder Lust. Walters Finger schummeln sich unter mein T-Shirt und wandern meinen Rücken hoch, was das glühende Kribbeln in meiner Mitte noch verstärkt.
„Ich will dich ficken, bis du um Gnade winselst“, verrät Walter an meinen Lippen. „Ich will dich mit meiner Sahne vollpumpen, bis du platzt.“
Trotz Geilheit und eines gewissen Reizes, den dirty talk auf mich ausübt, schreit mein Herz bei diesen Worten empört auf. Ich werde starr in Walters Armen und bringe Abstand zwischen unsere Münder. Er hebt die Brauen.
„Habe ich mich in der Wortwahl vergriffen?“, erkundigt er sich trocken.
„Nein. Oder ja, vielleicht ein bisschen“, erwidere ich. „Ich will schon gern mit dir ins Bett aber wenn’s geht etwas liebevoller?“
Walter streicht mir durchs Haar und zieht die Stirn kraus. Sein Blick ist forschend auf mein Gesicht gerichtet. „Ich rede gern schmutzig, aber im Bett bin ich ein Schmusebär. Beruhigt?“
Ich nicke und rücke wieder näher. Die nächsten Minuten sind mit Küssen ausgefüllt, unsere Hände gehen auf Wanderschaft. Schließlich löst Walter sich von mir, springt auf und hält mir seine Hand hin.
„Ich bin zu alt, um auf dem Sofa eine Nummer zu schieben. Oben haben wir es gemütlicher“, erklärt er. Mein Blick wird von der Beule in seinem Schritt angezogen.
Praktischerweise brauchen wir nicht einmal das Haus verlassen, um in seine Wohnung zu gelangen. Neben dem Büro führt eine Tür direkt ins Treppenhaus. Ich stolpere hinter Walter die Stufen hoch, betäubt von den Küssen und glühender Lust.
Sein Schlafzimmer ist gemütlich, beinhaltet ein breites Bett und einen Schrank, dessen Front verspiegelt ist. Das registriere ich am Rande, denn meine Sinne sind nur auf Walter ausgerichtet. Ich will ihn endlich sehen!
„Zieh dich aus“, bitte ich und zupfe an seinem T-Shirt.
„Sofort.“ Er drückt mir einen harten Kuss auf den Mund und geht anschließend zum Nachtschrank, um eine kleine Leuchte anzuknipsen.
Danach eilt er in den Flur und löscht dort das Licht, woraufhin der Raum in ein heimeliges Halbdunkel gehüllt ist. Bei zwei alten Säcken wohl eine gute Idee. Ich ziehe meine Jacke aus, lass sie einfach fallen und steige aus meinen Schuhen. Walter ist schon bei der Shorts angekommen, lässt sie bis auf die Fesseln fallen und tritt heraus. Mit einer Bewegung seines Fußes wischt er den Stoff beiseite.
Unsicher guckt er mich an. Seine Haut schimmert verführerisch, auch wenn sie nicht mehr jung ist oder gerade deshalb. Er hat einen leichten Bauchansatz, doch das stört nicht, im Gegenteil. Ich finde seine kleine Murmel entzückend, sie passt zu ihm. Ein Haaransatz zieht sich vom Bauchnabel nach unten und mündet in einem Dreieck kurzer Locken. Aus diesem Delta erhebt sich ein hübscher, halbsteifer Schwanz, der leicht nach links weist, darunter baumeln imposante Hoden. Ich lecke mir unwillkürlich die Lippen.
„Was siehst du?“, fragt Walter leise.
„Einen schönen Mann“, antworte ich. „Einen schönen verunsicherten Mann, der sich keinesfalls zu schämen braucht.“
Er lacht vor Entzücken auf. „Ich sehe einen immer noch bekleideten Kerl, der sich endlich nackig machen soll.“
So angespornt bin ich in Null-Komm-Nix aus den Klamotten und gehe auf ihn zu. Walter empfängt mich mit offenen Armen und verbindet uns erneut mit einem Kuss. Endlich kann ich seine Haut fühlen, jeden einzelnen Muskel ertasten und tue das auch ausgiebig. Walter erforscht mich seinerseits und stöhnt ein ums andere Mal: „Du bist so wahnsinnig sexy.“
„Alles für dich“, flüstere ich, streiche über seine Wange und sehe ihm tief in die Augen. „Wenn du willst, ganz oft und für lange.“
Damit habe ich mich weit aus dem Fenster gelehnt. Gespannt warte ich auf seine Reaktion, mit galoppierendem Herzen und einem etwas nagenden Gefühl im Bauch. Walters Augen werden riesengroß, dann seufzt er und fällt wieder über meinen Mund her.
Wir landen auf dem Bett, bekommen nicht genug voneinander und verrenken uns auf unmögliche Weise, um uns überall zu ertasten. Walters Schwanz fühlt sich sehr heiß und samtig an. Ich streiche gierig an dem zuckenden Schaft auf und ab, locke damit ein kehliges Stöhnen aus ihm hervor, was mich wahnsinnig erregt. Seine Eier sind glatt und füllen meine Handfläche gut aus. Ich packe eine seiner festen Arschbacken und knete sie gründlich durch, woraufhin er mit mir genauso verfährt.
Die Luft knistert. Walters Duft hat unglaublich anregende Wirkung auf mich. Ich sauge ihn mit tiefen Zügen ein und zwinge ihn, sich auf mich zu rollen. Wie zwei Irre reiben wir unsere Leiber aneinander, verstärkt an den Hüften. Nässe benetzt meinen Bauch und es wird immer dringender.
„Will in dich rein.“ Walter rutscht von mir runter und dreht mich auf die Seite.
Zwei angeleckte Finger drücken sich in mich rein, gleich darauf eine dicke Eichel. Er ist nicht gerade zimperlich und ich bin kein Mädchen. Mit etwas Atemtechnik kann ich seinen Schwanz ganz aufnehmen, wobei mir Walters Faust um meine Erektion hilft. Für einen Moment liegen wir beide ganz still und genießen die enge Verbindung. Walter haucht ein Kuss auf mein Ohr, wispert irgendetwas Versautes und legt los.
Sein Repertoire an geilen Worten ist genauso groß, wie seine sexuelle Erfahrung. Er vögelt mich punktgenau und vergisst dabei nicht, meine Knöpfchen zu reizen. Küsse und gemurmelte Sauereien vernebeln mein Hirn. Im Endspurt hält er meinen pochenden Schwanz in der Hand und stößt mich so hart, dass ich Sterne sehe und meinen Abflug laut in den Raum keuche.
Das hat noch keiner geschafft, dass ich mich derart vergesse. Für Sekunden bin ich weggetreten und schwebe über den Wolken. Bei der Landung kann ich Walters Orgasmus spüren. Das erste Mal seit Ewigkeiten ungeschützt, breitet sich heißes Sperma in mir aus. Ich höre Walters laute, angestrengte Atemzüge und fühle mich in seinen Armen sicher aufgehoben.
„War’s okay für dich?“, erkundigt er sich, den Mund an meine Schulter gelegt.
„Okay?“ Ich lache schnaubend. „Das war wahnsinnig geil.“ Ich drehe den Kopf, um in seine Augen zu sehen. „Du bist mehr, als ich mir erträumt habe.“ Mit einem Mal steigen Tränen hoch. Ich blinzele und wische mir schnell übers Gesicht, aber Walter hat es schon bemerkt. Er zieht sich aus mir raus und dreht mich rasch zu sich herum.
„Hab ich das vorhin richtig verstanden, dass du bei mir bleiben möchtest?“, fragt er zaghaft.
Ich nicke.
„Bei mir altem Knacker?“
„Ich steh auf ältere Männer, die derartig versaute Wörter kennen“, necke ich ihn.
„Sorry. Ich bin ein Ferkel, ich weiß. Magst du es?“
„Ja. Wenn denn auch mal andere Worte fallen, wie, dass du mich magst oder so.“ Mein Tonfall ist peinlich flehend. Endlich ein Wort der Zuneigung von ihm zu hören, würde mich unglaublich glücklich machen.
„Mögen? Mann, ich bin total verknallt.“ Walter grinst schief. „Ich war heilfroh, als ich dich von Björn weglotsen konnte. War aber ganz schön schwierig, dich auf Abstand zu halten. Du hättest gleich gemerkt, was mit mir los ist, wenn ich dich rangelassen hätte.“
„So ist das also.“ Mein Herz vollführt einen Hopser. „Hätte ich dich doch bloß eher geküsst.“
„Hätte, hätte“, murmelt Walter, beugt sich vor und gibt mir einen liebevollen Knutscher.
Die Nacht ist viel zu kurz. Wer hätte gedacht, dass zwei alte Herren noch derart viel Sex haben können? Dazwischen reden wir, küssen uns und fummeln herum wie verliebte Idioten. Es ist, als wenn wir all die einsamen Jahre in kurzer Zeit aufholen müssen. Dabei bleiben uns doch noch viele gemeinsame Stunden.
Am nächsten Morgen ist klar, dass ich ab sofort in Walters Bett schlafen werde, mit ihm zusammen natürlich. Wir gucken uns übernächtigt an und helfen uns gegenseitig von der Matratze. Die Knochen sind eben doch nicht mehr so biegsam und jeder einzelne Muskel schmerzt.
Unter der Dusche ist das jedoch schon bald wieder vergessen. Die Hormone haben uns fest im Griff und manchmal muss man einfach spontan sein, egal wie weh es tut.
Abends wartet Rasputin in der Anmeldung des Clubs auf mich, mit erwartungsvoll hochgezogenen Augenbrauen und vor der Brust verschränkten Armen. Als er jedoch sieht, wie breitbeinig und steif ich hereingewankt komme, fliegen seine Mundwinkel hoch.
„Hey, so sehen Gewinner aus!“, ruft er, läuft auf mich zu und umarmt mich so fest, dass meine Knochen knacken.
„Mann! Ich bin reif für die Insel“, ächze ich, muss aber grinsen.
„Nix da! An die Arbeit.“ Rasputin gibt mich frei und wendet sich an Sybille. „Mach doch bitte mal einen Vitaminschock für Heinz klar.“
Die Idee ist gut. Ich stelle mich an den Tresen und warte brav, bis die Aushilfe den Drink fertig gemixt hat. In einem Zug kippe ich das Zeug runter und fühle mich gleich wie neugeboren. Doch schon nach einem Schritt in Richtung Umkleidekabine ist klar, dass das nur Einbildung ist. Ach, macht auch nichts Dann wird eben heute Nacht nur gekuschelt.
Während ich mich umziehe, leiste ich in Gedanken Harro Abbitte. Irgendwie fühle ich mich ein klitzekleines bisschen schuldig, weil es mir so gut geht. Ich werde mal wieder sein Grab besuchen, vielleicht mag Walter mich sogar begleiten. Die Idee gefällt mir. Ab diesem Moment bin ich auch mit Harro ausgesöhnt, dem ich sein Ableben nie so recht verziehen habe. Ich habe eine neue Chance, mit der ich mehr als glücklich bin.
Vorhin, als ich mich von Walter verabschiedet habe, hat er mir zugeflüstert: „Heute Nacht werde ich deinen geilen Arsch gründlich durchficken, ich liebe dich.“
Dieser Mix gefällt mir. Vielleicht erweitere ich meinen Wortschatz auch. Den Anfang habe ich gemacht, als ich erwiderte: „Und ich werde deine Maulvotze mit meiner Liebe ausspülen.“
Walter hat etwas perplex geguckt, dann aber losgeprustet. Wir sollten das wohl nicht auf die Spitze treiben. Nachher heißt es noch: Je oller, je doller. Das will ja auch keiner hören.
ENDE
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Tag der Veröffentlichung: 14.08.2019
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