Trübsinnig saß Uriel auf einer Wolke über Schottlands Küste, die raue Landschaft passte gut zu seiner Stimmung, und starrte aufs Meer. Er hatte alles so satt! Seit über 2.000 Jahren immer das Gleiche, tagein, tagaus. Ständig bekam er die langweiligen Menschen zugeteilt. Sein Versuch, zu den Amoretten zu wechseln, war auch in die Hose gegangen und ehrlich gesagt lag ihm dieses Liebe stiften sowieso nicht sonderlich. Er brauchte etwas anderes, nur was?
Er wechselte auf eine tiefhängende Wolke über Hamburg- Altona, seinen Lieblingsstadtteil. Hier war immer was los, egal ob Randale oder Party und manchmal war sogar beides zugleich im Gange. Vor der Fabrik, seinem Lieblingsclub, stand eine Menschentraube. Neugierig ließ er sich auf die Erde sinken und las den Aushang, auf dem die Band Fucking Assholes angekündigt wurde. Der Name klang schon mal gut. Uriel stand auf abgefuckt und Arschlöcher sowieso. Vermutlich, weil er selbst eines war, überlegte er selbstironisch und wechselte ins Gebäude.
Der überwiegende Teil der Anwesenden war in schwarzes Leder gekleidet. Uriel materialisierte sich, inklusive einiger Geldscheine in seiner Hosentasche. Passend zu den anderen trug er eine Lederhose, ein schwarzes T-Shirt und darüber eine Kutte mit Aufnähern verschiedener Bands. Er nahm an der Bar Platz und bestellte ein Pils.
Eigentlich war Engeln Alkohol untersagt, genau wie andere Drogen oder Sex. Darum hatte er sich noch nie geschert. Die anderen Engel waren zum größten Teil genauso drauf, daher hätten Strafmaßnahmen verheerende Folgen. Entweder duldete Petrus deshalb stillschweigend ihre Sünden oder war ebenfalls ein Schwerenöter.
Während er sein Bier trank, füllte sich der Club. Glücklicherweise empfanden Engel weder Hitze noch Kälte, sonst wäre er arg ins Schwitzen gekommen. Einige Gäste hatten Schweißperlen auf der Stirn und rote Gesichter, andere zogen ihre Oberteile aus.
Als die Band auf die Bühne kam, waren sowohl Erdgeschoss als auch der erste Stock des Ladens dicht an dicht mit Leuten besetzt. Uriel blieb an der Bar. Zum einen wegen des Getränkenachschubs, zum anderen besaß er Adleraugen und konnte auch aus der Ferne sehr gut sehen.
Der Schlagzeuger begann mit einem Solo, in das nach und nach die anderen Musiker einfielen. Als letztes betrat ein Typ mit schwarzer Mähne, hautenger Lederhose und obenrum nur einer Weste bekleidet die Bühne. Uriels Schwanz merkte angesichts des Brusttoupets interessiert auf. Männliche Männer waren echt sein Ding.
Der Typ fing an zu singen. Wow! Was für ein Organ! Uriel seufzte begeistert und spürte zunehmende Enge im Schritt. Nach einem raschen Rundumblick tauschte er die Lederhose gegen eine schwarze Cargo-Hose. Sein armer Schwanz atmete auf und seine gequetschten Eier waren nicht minder erleichtert.
Vor dem nächsten Stück hängte sich der Typ eine Gitarre um und stellte, untermalt von einigen Riffs, die Bandmitglieder vor. Uriel achtete nur auf einen Namen, nämlich den des Sängers: Wesley.
Anderthalb Stunden und vier Bier später wechselte er die Location. Er materialisierte sich in dem Haus, in dem sein Ex-Schutzengel-Kollege Barachiel mit Ehegespons lebte. Im Wohnzimmer brannte kein Licht, genau wie im Rest des Hauses, ausgenommen im Schlafzimmer. Typisch: Wochenende, und die zwei lagen schon im Bett, dabei war es erst halb zwölf.
„N’Abend“, rief er, um die beiden zu warnen, bevor er vorsichtig ins Schlafzimmer linste.
Eine Wolke Sexgestank schlug ihm entgegen. Barachiel und Thomas, nebeneinander im Bett liegend und bis zum Bauchnabel zugedeckt, sahen ihn missbilligend mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
„Sorry, dass ich so spät noch störe. Ich brauch Internet.“
„Hast du sonst noch Probleme?“, gab Barachiel bissig zurück.
„Jau, so einige, aber damit will ich euch jetzt nicht belästigen.“
Barachiel verdrehte die Augen gen Himmel. „Geh ins Wohnzimmer. Ich komm gleich nach.“
Uriel gehorchte, allerdings mit einem Schlenker über die Küche, wo er hoffnungsvoll in den Kühlschrank guckte. Kein Bier, nur ein Rest Weißwein. Mit diesem ließ er sich auf der Couch nieder. Kurz darauf erschien Barachiel, gefolgt von Thomas, beide in Bademäntel gehüllt.
„Nimm dir ruhig was zu trinken“, meinte letzterer ironisch, im Hinblick auf seine Selbstbedienung.
„Danke. Ich hab schon.“
Barachiel verdrehte erneut die Augen, setzte sich neben ihn und zog das Notebook, das auf dem Couchtisch lag, heran. Es war ziemlich ärgerlich, dass man als Engel keinen Internetzugang besaß. Im Himmel gab es zwar Terminals, doch die durfte man nur unter Aufsicht benutzen. Dazu, sich heimlich Zugang zu verschaffen, hatte er momentan keinen Nerv.
Barachiel gab das Passwort ein, öffnete einen Browser und schob ihm das Notebook rüber. „Was ist denn so dringend?“
„Muss was rausfinden?“, murmelte Uriel, tippte Fucking Assholes ins Suchfeld und drückte Enter.
„Suchst du nach dir?“, erkundigte sich Thomas, der auf seiner anderen Seite auf der Lehne der Couch saß.
„Dann hätte ich nur Arschloch eingegeben“, entgegnete Uriel trocken, trank einen Schluck aus der Flasche und rülpste, wobei er ausnahmsweise eine Hand vor seinen Mund hielt, weil er ja schließlich Gast war.
Es gab etliche Treffer und eine Homepage der Band. Er klickte auf den Link und durch die Rubriken. Die Gruppenmitglieder waren in einer aufgelistet, mit Fotos. Wesley Birmingham lautete der vollständige Name des Sängers, 1984 in Hamburg geboren. Selbst anhand des Bildes spürte er das Charisma des Mannes.
„Eine Metal-Band? Bist du ein Fan von denen?“, wunderte sich Barachiel.
„Jetzt ja.“ Uriel zeigte auf Wesleys Foto. „Der da soll mir singen und Gitarre spielen beibringen.“
„Ich lach mich schlapp. Hast du dir auch schon einen Künstlernamen ausgedacht? Vielleicht Uri-Eller oder so?“, spottete Thomas.
„Nö, aber jetzt, wo du es sagst.“ Uriel zog die Stirn kraus. „Eigentlich ist Uriel doch ein klasse Name für einen Rocker.“
Kopfschüttelnd ließ Thomas sie allein.
„Was hast du nun genau vor?“, verlangte Barachiel zu wissen. „Du kommst doch nicht mitten in der Nacht hierher, nur um dir ein paar Bilder anzugucken.“
„Wesley hat keinen Schutzengel, warum auch immer. Ich werde mich um den Posten bewerben.“
„Bestimmt hat er gesündigt“, mutmaßte Barachiel. „Dann kannst du das vergessen.“
„Och, ich bitte Petrus einfach ganz lieb, dann wird’s schon klappen.“
„Willst du ihm etwa einen Blowjob anbieten?“
Angewidert zog Uriel eine Grimasse. „So weit geht es nun doch nicht. Ich steh nicht auf Mumien.“
Barachiel gähnte demonstrativ. „Bist du fertig? Thomas und ich wollen endlich schlafen.“
„Ich halte euch nicht davon ab.“
Anstelle einer Antwort lüpfte Barachiel eine Augenbraue und sah ihn mit einem verschwinde-von-hier-Blick an.
„Ja, ja. Bin schon weg.“ Er trank den letzten Tropfen Wein, stellte die leere Flasche auf den Tisch und dematerialisierte sich, wobei er ein bisschen Glitzer in die Luft warf. Solche Effekte mussten sein, das war er seinem Image schuldig.
Bevor er Petrus aufsuchte, schloss er sich Gabriel und Michael für einige Runden Wolkengolf an. Bei dem Spiel konnte man sich herrlich abreagieren, außerdem musste er ein bisschen ausnüchtern. Petrus roch eine Fahne nämlich auf drei Kilometer Entfernung. Die Regeln waren simpel: Wer die meisten Löcher in eine Wolke schoss, egal wie, hatte gewonnen. Als Bälle dienten ausgemusterte Heiligenscheine, als Schläger zweckentfremdete Leiern. Bevorzugte Spielwiesen: Wolkenreiche Gebiete, wie die britischen Inseln, Grönland oder Kanada. Wer den Schwierigkeitsgrad erhöhen wollte, wählte den afrikanischen oder asiatischen Kontinent.
Gabriel gewann die ersten beiden Spiele, das letzte konnte Uriel für sich entscheiden. Anschließend begab er sich auf Wolke 5, wo Petrus hinterm Schreibtisch saß und bei seinem Erscheinen rasch etwas in einer Schublade verschwinden ließ. Wenn ihn nicht alles täuschte, handelte es sich um eine Spielkonsole, so ein Ding aus den 90ern. Na, sowas aber auch. Er hatte sich schon oft gefragt, was der liebe Petrus den ganzen Tag trieb.
„Ich habe eine Bitte“, ergriff er das Wort.
„Ja, mein Sohn?“
„Ich hätte gern Wesley Birmingham als Schützling.“
„Hm“, machte Petrus. „Birmingham? Was war noch mit dem?“ Grüblerisch krauste der Alte die Stirn und tippte sich gegens Kinn. „Ach ja! Der neigt zu Vielweiberei. Deshalb hab ich seinen Schutzengel einem anderen zugeteilt.“
„Aber er ist doch gar nicht verheiratet“, wandte Uriel ein. „Dann ist das doch keine Sünde.“
„Mein Junge!“ Mahnend hob Petrus einen Finger. „Der Akt an sich ist schon sündhaft, wenn er nicht dem Zweck der Zeugung dient.“
„Dann würde es hier aber verdam… ziemlich leer aussehen.“
„Beachte den Fortschritt. Geschlechtsverkehr aus Vergnügungssucht gilt nicht mehr als Todsünde, sondern lediglich als Kavaliersdelikt.“
„Trotzdem hast du Birminghams Bodyguard abgezogen.“
„Tja.“ Petrus legte die Fingerspitzen aneinander. „Es gibt eben immer Menschen, die es mehr verdient haben beschützt zu werden.“
Darauf ging Uriel lieber nicht ein. Diskussionen mit Petrus endeten immer zu dessen Gunsten. „Kann ich denn nun Birmingham als Schützling haben?“
„Gelobst du, mich dann einige Monate in Ruhe zu lassen?“
„Großes Ehrenwort.“
„Also gut. Du hast meinen Segen.“ Petrus wedelte mit der Hand. „Und nun geh. Ich hab zu tun.“
Frohlockend verließ Uriel Wolke 5. Er hätte seinen Plan auch ohne Petrus‘ Einwilligung durchgezogen, aber mit war es angenehmer. Nur ungern wollte er es sich mit dem Alten verscherzen. Wer bei Petrus verschissen hatte, durfte den Rest seines Engelseins auf den Wolken herumhängen und Löcher in die Luft starren. Nicht einmal Leier spielen war solchen Kandidaten genehmigt. Nein, das musste er wirklich nicht haben.
Er beamte sich, für eine erste Bestandsaufnehme, in Birminghams Wohnung, die im 3. Stock eines Neubaus in Altona lag. Drei Zimmer, eines davon voller Gitarren, ein großer Balkon mit Blick auf die Elbe. Es gab einen Fahrstuhl und eine Tiefgarage, beides potentielle Gefahrenzonen. Die eine aus technischen Gründen, die andere bot Gelegenheit für einen Hinterhalt. Das wusste Uriel aus etlichen Action- und Gruselfilmen.
Sein Schützling war noch nicht zu Hause. Wahrscheinlich feierte die Band irgendwo ihren Erfolg. Das Publikum hatte nicht nur frenetisch applaudiert, sondern auch Zugaben gefordert. Birminghams Abwesenheit nutzte Uriel, indem er sich materialisierte und das Schlafzimmer unter die Lupe nahm. Er fand massenhaft Kondome, Gleitgeltütchen - auf dem Nachtschrank stand ein großer Spender, also waren die wohl für unterwegs - zwei Paar Handschellen, einen Umschnall-Dildo … arbeitete Birmingham mit zwei Schwänzen zugleich? Krass! Einige Farbmagazine, sowohl schwul als auch hetero, ansonsten nichts Spannendes.
Im Kleiderschrank: Schwarze Klamotten neben schwarzen Klamotten. Da fiel die tägliche Auswahl leicht. In der Kommode: Schwarze Pants, Jockstraps und Socken. Ganz hinten in der Ecke: Ein roter String. Uriel beäugte das Teil näher. Ein Souvenir von einer Frau? Er warf das Teil zurück und musterte das Riesenbett. Was für eine Spielwiese. Stand Birmingham auf Dreier oder sogar Vierer? Genug Platz war dafür vorhanden.
Er wollte gerade ins Wohnzimmer gehen, als er ein verdächtiges Geräusch vernahm. Blitzschnell dematerialisierte er sich und schwebte in den Flur. Sein siebter Sinn hatte ihn nicht getäuscht. Jemand versuchte, die Wohnungstür zu öffnen. Er hörte deftige Flüche, dann schwang die Tür auf und Birmingham torkelte herein.
Wes hätte sich einen der Groupies schnappen und im Bett feiern sollen, anstatt mit seiner Band zu saufen. Stöhnend wälzte er sich auf die andere Seite und spähte in Richtung Wecker. Halb zwölf? Was für eine Scheiße! In einer halben Stunde musste er los, um rechtzeitig bei seinen Eltern zum Mittagessen aufzuschlagen.
Er schlurfte in die Küche, zapfte am Kaffeeautomaten einen dreifachen Espresso und verbrannte sich die Zunge bei dem mutigen Versuch, das Gebräu in einem Zug runterzukippen. Fluchend begab er sich ins Bad. Eine kalte Dusche weckte die Lebensgeister, die trotz der Attacke noch schliefen. Danach stürzte er den Rest Espresso runter, gefolgt von zwei Aspirin und einem halben Liter Wasser.
In moderaten Klamotten, also solche ohne Risse oder irgendwelche provokativen Aufdrucke, verließ er seine Wohnung und fuhr mit dem Lift in die Tiefgarage. Beim Anblick seines geliebten Alfa Romeos stieg seine Laune um wenige Prozentpunkte. Er hegte und pflegte den Oldtimer, den er nur selten fuhr. In Altona brauchte man im Grunde kein Auto. Es behinderte einen nur, weil man es weder irgendwo parken konnte, noch im dichten Verkehr vorankam.
Auf der Fahrt zu seinen Eltern, die beiden residierten in eine Villa in Blankenese, beschwor er sich, bloß die Nerven zu behalten. Sein Bruder mit Familie würde auch anwesend sein und ihn zweifelsohne provozieren. Matt war erfolgreicher Banker und hielt sich für etwas Besseres als den kleinen Bruder, der nur auf einer Gitarre herum schrummeln und dazu Unflätiges ins Mikro brüllen konnte.
Dieser miese Saftsack! Wes schlug aufs Lenkrad. In Matts Augen zählte nicht, wie viele Stunden er schon als Jugendlicher Gitarre geübt hatte. Praktisch jede freie Minute war in sein Hobby geflossen, das seit drei Jahren endlich Früchte trug. Zwei Songs der Fucking Assholes hatten es in die Charts geschafft und seitdem ging es bergauf.
Zugegeben: Davor hatte er hauptsächlich von dem Geld seiner Eltern und miesen Nebenjobs gelebt. Auch die Wohnung war ein Geschenk seiner Alten. Den Alfa hingegen hatte er sich ganz allein zusammengespart. Matt, der einen BMW-SUV fuhr, nannte seinen Wagen spöttisch Rostlaube. Erneut kochte Wut in Wes hoch.
„Bleib cool“, redete er sich leise zu. „Du änderst nichts, wenn du dich aufregst.“
Vor allem wegen seiner Eltern musste er ruhig bleiben. Die beiden hassten es, wenn sich Matt und Wes bekriegten. Wegen der Enkelkinder, Eike und Ephraim, 6 und 7 Jahre alt, würden sie, falls es eskalierte, zu seinem Bruder halten. Verständlich. Wes liebte seine Nichte und seinen Neffen ebenfalls, genau wie seine Eltern.
Um halb eins parkte er seinen Alfa hinter Matts Monsterkarre, die vor der Garage stand. Daneben wäre noch Platz, doch seinem Bruder den Weg zu versperren gab ihm ein bisschen Auftrieb. Lächerlich, aber ihm war jeder Strohhalm recht, um seinen Zorn im Zaum zu halten.
Seine Nichte öffnete auf sein Läuten hin die Tür und sprang ihm um den Hals. Eike war für ihr Alter sehr zart und klein. Er drückte die Tür mit der Ferse ins Schloss und trug das Leichtgewicht in die Küche, wo es verlockend duftete.
„Hi Mama. Ich hab dir was Süßes mitgebracht.“
Seine Mutter, die vorm Herd stand, lächelte ihm über die Schulter zu. „Hallo Schatz. Du sollst Eike doch nicht herumtragen.“
Sein Bruder fand das nicht altersgemäß. Er setzte Eike ab, die eine Hand in seine schob und gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange. „Gut riecht es hier.“
„Es gibt Rinderbraten“, verriet sie.
Händchenhaltend ging er mit Eike ins Wohnzimmer. Sein Neffe begutachtete ihre Hände mit einem Gesichtsausdruck, der schon stark an Matts spöttische Miene erinnerte. Der Apfel fiel eben nicht weit vom Stamm. Wes begrüßte seine Schwägerin Sandra mit einem Wangenkuss, - das Mädel war klasse und viel zu schade für Matt - seinen Vater sowie Bruder per Handschlag und Ephraim mit einem Fist-bump. Die Schule machte sich bemerkbar. Noch vor einem Jahr hatte er von Ephraim immer ein Küsschen bekommen.
„Wie war dein Auftritt gestern?“, erkundigte sich sein Vater.
„Super. Zwei Zugaben mussten wir abliefern, bevor das Publikum Ruhe gegeben hat.“ Wes sah förmlich, wie es in Matts Kopf arbeitete, um eine zynische Bemerkung zu produzieren.
„Darf ich zu deinem nächsten Konzert?“, bettelte Ephraim mit Steine-schmelz-Blick.
„Ich auch! Ich auch! Ich auch!“, krähte prompt Eike.
„Das geht nicht“, schritt Matt ein. „Euer Onkel tritt immer erst spät auf. Da seid ihr schon lange im Bett.“
„Wie spät denn?“, verlangte Ephraim zu wissen.
„Gestern haben wir um acht angefangen.“ Wes zuckte die Achseln, als Matt ihm einen bösen Blick zuwarf. Man durfte Kinder nicht belügen. Sollten sie nach seinem Sexleben fragen, war flunkern hingegen erlaubt.
„Wenn Wesley mal auf einer Open-Air-Bühne auftritt, dann gehen wir hin“, versprach Sandra den Kindern. „In den Clubs ist die Luft zu schlecht, weil da geraucht wird.“
Inzwischen herrschte in jeder Location Rauchverbot, doch Wes schwieg. Sie hatte es mit seinem Bruder schon schwer genug.
„Sandra? Hilf mit bitte mal!“, ertönte die Stimme seiner Mutter.
Im Hause Birmingham galt die althergebrachte Rollenverteilung: Frauen gehörten an den Herd, Männer waren für schwere Arbeiten zuständig. Aktuell dafür, ein Glas Sherry in der Hand zu halten, während Sandra mit seiner Mutter das Essen auftrug.
Wes hatte seine Schwägerin mal gefragt, wie sie es bloß mit Matt aushielt. Daraufhin erwiderte sie mit einem Achselzucken: „Ist doch ein fairer Tausch, nur zweimal die Beine breitzumachen, um bis ins hohe Rentenalter versorgt zu sein.“ Sandra war bei Weitem nicht so kaltschnäuzig, wie dieser Spruch suggerierte. Sie betrachtete die Dinge nur auf abgeklärte Weise. Würde Wes auf Brautschau sein, wäre sie seine erste Wahl. Da er sich noch nicht mal zwischen Weibchen und Männchen klar entscheiden konnte, stand solche Aktion erst für den Sankt-Nimmerleins-Tag an.
Das Aspirin hatte mittlerweile seinen Zweck erfüllt. Es pochte lediglich minimal in seinem Schädel, als Eike losheulte, weil Ephraim angeblich auf ihren Stuhl kletterte und Matt sofort zu poltern anfing. Sandra sorgte für Ruhe, indem sie Eike auf den Schoß nahm und tröstete.
Das Essen verlief ungewohnt friedlich. Matt hielt sich sehr zurück und die Kinder verzichteten darauf, einander ständig zu piesacken. Beim anschließenden Kaffee fragte seine Mutter, wie der gestrige Auftritt gelaufen wäre.
„Onkel Wes musste zugeben“, verkündete Eike mit wichtiger Miene.
„Der Auftritt war super. Nächstes Wochenende spielen wir in Hannover.“ Wes zwinkerte seiner Nichte zu. „Vielleicht muss ich dann wieder zugeben.“
„Zugeben, mit dem Kram nichts zu verdienen?“, brummelte sein Bruder.
Er beachtete Matt gar nicht. „Ich kann euch Freikarten besorgen.“
„Ach, ich glaube, das ist nichts für deinen Vater und mich“, winkte seine Mutter ab.
Wenig später löste sich die Tafel auf, ohne dass Matt weiteren Anlass für Sticheleien gefunden hatte.
Daheim machte Wes es sich auf der Couch gemütlich. Durch die offenstehenden Balkontüren wehte frische Luft herein, zusammen mit Großstadtlärm. Wes liebte die Lage seiner Wohnung, auch wenn ihm der Krach manchmal auf den Sender ging. Das war eben der Preis, den man in Hamburgs Zentrum zahlt.
Gerade hatte er einen Fernsehsender gefunden, auf dem einigermaßen erträgliche Unterhaltung lief, da läutete es an seiner Tür. Das konnte nur ein Klingelstreich sein. Niemand störte seinen heiligen Sonntag nach einem Gig. Davon wusste der ungebetene Gast jedoch nichts und bimmelte eifrig weiter.
Nach dem x-ten Mal Läuten stand Wes auf, latschte in den Flur und betätigte die Gegensprechanlage: „Was soll das?“
Keine Antwort, dafür klingelte es erneut, gefolgt von einem Klopfen. Er riss die Tür auf, eine Schimpftirade auf der Zunge, brachte jedoch keinen Ton hervor. Vor ihm stand der heißeste Typ jenseits des Äquators. Blond, blaue Augen, ebenmäßige Gesichtszüge, breite Schultern, schmale Hüften.
„Hallöchen. Mein Name ist Uri Eller. Ich hab Sie gestern in der Fabrik gesehen und würde gern von Ihnen in Gitarre spielen unterrichtet werden“, erklärte der Typ.
Bei dem Kerl waren eindeutig ein paar Schrauben locker. „Woher weißt du, wo ich wohne?“
„Ich bin Ihnen heute Nacht von der Kneipe hierher gefolgt“, gab der Typ unumwunden zu.
Sowas war Wesley bisher erst einmal passiert, mit einem besonders anhänglichen Groupie. Er hatte das Mädel windelweich gevögelt und mit einem Taxi nach Hause geschickt. „Siehst du hier irgendwo ein Schild, auf dem Musikschule steht?“
Uri, anscheinend unempfänglich für Ironie, guckte sich im Treppenhaus um. „Nein.“
„Dann geh und klingele da, wo du so ein Schild findest. Ciao.“ Er warf die Tür zu und wandte sich in Richtung Wohnzimmer, überzeugt, den Idioten abgewimmelt zu haben, doch es klopfte erneut. Genervt drehte er sich um, bereit, dem Störenfried gehörig die Meinung zu geigen, als ihm ein Geistesblitz kam. Der gute Uri wollte Gitarrenunterricht und er könnte einen Blowjob vertragen. Das ließe sich doch bestimmt verbinden.
Mit einem schiefen Grinsen öffnete er die Tür, diesmal wesentlich sanfter. „Sorry, wo hab ich nur meine Manieren? Komm rein.“
Uri schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, marschierte an ihm vorbei und direkt ins Wohnzimmer. Also, schüchtern war sein Gast schon mal nicht.
„Setz dich. Ich bin gleich bei dir“, rief Wes, schloss die Wohnungstür und holte ein weiteres Glas aus der Küche. Seines und eine Flasche Wasser befanden sich bereits auf dem Couchtisch. Als er das Wohnzimmer betrat, stand Uri vor der Balkontür, beide Hände lässig in die Gesäßtaschen gesteckt. „Setz dich doch“, wiederholte Wes, ließ sich auf der Couch nieder und füllte das zweite Glas.
Uri nahm in einem der beiden Sessel Platz. „Können wir gleich anfangen?“
„Hast du schon mal gespielt?“
„Ich übe regelmäßig mit einer Leier.“
„Na, dann bist du ja kein blutiger Anfänger“, stellte Wes fest. Eine Leier? Stammte der Typ aus einem Entwicklungsland oder wo wurden solche Instrumente heutzutage noch benutzt? „Wir müssen erstmal über die Bezahlung reden.“
„Klar.“ Uri fummelte ein Bündel Geldscheine aus der Hosentasche. „Wieviel?“
Auch an Geldmangel litt der Typ offensichtlich nicht. Den Stapel brauner Scheine schätzte Wes auf ungefähr 500 Euro. „Ich dachte eher an Naturalien.“
Uri runzelte die Stirn. „Meinst du damit was Versautes?“
„Das ist eine Frage der Betrachtung. Ist ein Blowjob in deinen Augen versaut?“
Ein dreckiges Grinsen erschien auf Uris Lippen. „Kommt drauf an, wie viel du abspritzt. Du gibst mir also Unterricht, wenn ich dir einen blase?“
„Sofern du es gut machst, kommen wir eventuell ins Geschäft.“
Das Grinsen schwand. Uri zeigte ihm einen Vogel. „Du hältst mich wohl für unterbelichtet, was?“
„Ich nehme nur Vorkasse.“
Angespannte Gesichtsmuskeln und ein starrer Blick verrieten, dass Uri intensiv nachdachte. Schließlich bogen sich die Mundwinkel wieder hoch. „Na gut. Diesmal machen wir es so rum. Aber beim nächsten Mal leistest erst du, dann ich.“
Nun wäre der Zeitpunkt gekommen, um Uri vor die Tür zu setzen, da Wes keinesfalls vorhatte, regelmäßig den Lehrer zu geben. Eigentlich hatte er das gar nicht vor, aber mittlerweile reizte es ihn ungemein, seinen Schwanz zwischen diesen hübschen Lippen zu sehen. „Abwarten, wie deine erste Stunde verläuft. Falls wir nicht klarkommen, musst du dir einen anderen Musiklehrer suchen.“
Uri zuckte die Achseln. „Okay.“
„Tja, wenn du dann soweit bist …“ Wes lehnte sich zurück, öffnete seine Jeans, lüpfte den Bund seiner Pants an und guckte nach dem Rechten. Da unten war alles in Ordnung, bis auf fehlende Steifigkeit. Auffordernd schaute er rüber zu Uri, woraufhin der den Tisch umrundete und vor ihm auf die Knie ging. In dieser Position, sowie auf allen Vieren, hatte er seine Sexpartner am liebsten.
Als Uri an seiner Jeans zerrte, hob er den Hintern an und saß im nächsten Augenblick mit nacktem Unterkörper da. Sein Schwanz blinzelte in die Helligkeit und erwachte zum Leben. In Uris warmer Mundhöhle wuchs er zu vollkommener Begattungsbereitschaft an. Wie bereits vermutet, standen Uris Lippen seiner Erektion hervorragend. Sie wirkten wie dafür geschaffen, sich an seinem Schaft auf und ab zu bewegen. Hinzukam eine quirlende Zunge und hohe Eindringtiefe. Würgereiz schien Uri nicht zu kennen.
Mit grandioser Saug-Blas-Technik und Eierkraulen wurde Wes rasch zum Gipfel hinaufgetrieben. Kurz vorm Ziel stieß er warnend hervor: „Ich komm!“ Das beeindruckte Uri kein Stück. Wes‘ Welt löste sich in glitzerndem Sternennebel auf.
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - dankeschön
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2019
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