Cover

Barachiel: Schutzengel auf Abwegen

Ein modernes Märchen

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

Text: Sissi Kaiserlos

Foto von shutterstock, depositphotos – Design Lars Rogmann

Korrektur: Aschure. Danke!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/


Barachiel: Schutzengel auf Abwegen

Als Schutzengel hat man es schwer. Ständig auf einen Menschen aufzupassen, kann auf Dauer total öde sein; vor allem dann, wenn man einen Sicherheitsfanatiker zugeteilt bekommen hat. Barachiel, ein alter Hase im Job, sucht Ablenkung und gerät mehr und mehr in den Sumpf von Laster und Müßiggang. Seine Unaufmerksamkeit rächt sich. Man stellt ihm Uriel, den er überhaupt nicht leiden kann, bei seiner Strafmission zur Seite. Wird er sie trotzdem erfolgreich beenden?

~ * ~


Prolog

Die Blonde kicherte so sehr, dass sie einige Tropfen Champagner auf Barachiels Bauch verschüttete. Verärgert spähte er - ebenfalls ein volles Glas in der Hand - an sich runter.

„Sauberlecken!“, befahl er, woraufhin die zweite, eine Brünette, seiner Forderung sofort nachkam.

Das brachte Blondie dazu, noch heftiger zu kichern und weiteren Champagner zu verkleckern. Brav leckte der Braunschopf auch das Zeug auf. Wo sie schon einmal da unten war, dirigierte Barachiel sie gleich noch etwas tiefer, zu seinem Ständer. Sie schluckte ihn zur Hälfte. Als er seine Hüften nach oben stieß, begann sie zu würgen und zog sich zurück. Heutzutage hielten die Mädels echt nichts mehr aus. Früher waren die viel eifriger bei der Sache gewesen. Früher … ehrlich gesagt erinnerte er sich nur schwammig an die letzten 600 Jahre.

Er leerte sein Glas, warf es achtlos beiseite und schnappte sich die Blonde. Genüsslich vergrub er sein Gesicht zwischen ihren dicken Titten. Unterdessen wagte die Brünette einen weiteren Versuch, sich sein Kaliber einzuverleiben.

Es wurde also gerade richtig gut, als in seinem Kopf eine Stimme dröhnte: „Petrus will dich sehen. Beweg deinen Hintern umgehend hier hoch.“

Seine Gestalt begann bereits zu verblassen. Wenn Petrus rief, reagierte sein Körper umgehend. Obwohl es sinnlos war, stemmte er sich gegen die Verwandlung und stieß, als er sich ganz in Luft auflöste, ein verärgertes Schnauben aus. Das letzte, was er sah, waren die leeren Blicke der beiden Mädels. Sie würden ihn gleich vergessen haben. Dafür sorgte Petrus, damit kein Riss im Glaubens-Kontinuum stattfand. Wer konnte schon damit leben, einem Geist einen geblasen zu haben? Okay, das mit dem Blowjob hätte eigentlich nicht vorkommen dürfen.

Barachiel materialisierte sich auf Wolke 5, auf der Petrus residierte. Sein Vorgesetzter saß hinter einem riesigen Schreibtisch, die Hände vorm Bauch gefaltet und sah ihm stirnrunzelnd entgegen.

„Du hast deine Pflicht vernachlässigt, mein Junge“, eröffnete Petrus das Gespräch.

„Ich hab doch nur ein paar Damen glücklich gemacht“, rechtfertigte sich Barachiel. „Ansonsten hab ich immer gut aufgepasst.“

„Dein Schutzbefohlener ist vor wenigen Minuten hier eingeflogen.“

„Wie? Sind dem etwa Flügel gewachs… Oh! Da ist mir wohl etwas entgangen.“

„So könnte man es nennen“, meinte Petrus trocken. „Was hast du dazu zu sagen?“

„Dumm gelaufen?“, versuchte Barachiel einen lahmen Witz.

„Du kannst dir vorstellen, dass der Chef überhaupt nicht begeistert ist. Wir haben deinen Schützling noch gar nicht erwartet.“

Verlegen bohrte Barachiel, den Blick gesenkt, mit einer Zehe in der Wolke herum.

Lass das!“, fuhr Petrus ihn an, die Augenbrauen erbost zusammengezogen. „Ich mag keine Löcher im Wolkenteppich! Der Chef verlangt, dass an dir ein Exempel statuiert wird. Du wirst deinen Mist ausbügeln und zwar als Mensch.“

„Ähm … okay“, murmelte Barachiel. „Und wie soll ich das machen?“

„Du hast dich allein in die Scheiße manövriert, also finde auch selbst heraus.“

„Aber …“ „Und mit den Weibergeschichten ist ein für alle Mal Schluss“, unterbrach ihn Petrus mit drohend erhobenem Zeigefinger.

„Ja, ja“, brummelte Barachiel und wandte sich zum Gehen. Sollte der Alte doch labern. Es würde schon keiner mitbekommen, wenn er sich ein bisschen vergnügte.

„Ich bin noch nicht fertig“, hielt Petrus ihn auf.

Innerlich seufzend drehte sich Barachiel wieder um.

„Du hast zwei Wochen, um die Sache geradezubiegen. Und weil der Chef kein Ungott ist, hat er dir Uriel zur Seite gestellt.“

Ach du Schei… Ausgerechnet Uriel. Den überheblichen Typen hatte Barachiel noch nie leiden können. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, was einiges an Problemen verhieß. „Das ist aber lieb von ihm.“

„Nicht wahr?“, stimmte Petrus mit einem versonnenen Lächeln zu. „Wir haben schon einen tollen Chef.“

Darüber ließe sich streiten, aber Barachiel sah ein, derzeit nicht in der richtigen Position dafür zu sein. „War das dann alles?“

„Vorerst ja.“

Sein Körper dematerialisierte sich. Er sank in ein schwarzes Loch.



1.

Barachiel landete in einem verwilderten Garten. Bereits der Aufprall war verdächtig hart und als er vergebens versuchte, sich per Wunschgedanken einzukleiden, wurde es zur Gewissheit: Tatsächlich hatte er seinen Engelsstatus eingebüßt. Trotzdem probierte er, seine Flügel zu entfalten. Nada. Nichts. Nicht mal ein Kribbeln im Rücken.

Fuck!“, fluchte er halblaut und verkroch sich hinter einem Busch, um nachzudenken.

Als erstes brauchte er Klamotten. Nackt erregte er unweigerlich Aufsehen, was seiner Aufgabe bestimmt nicht dienlich war. Er musterte seine Umgebung. Auf dem Grundstück nebenan stand ein blaues Häuschen mit grünen Fensterläden. Das war doch die Laube seines Schutzbefohlenen. Im Geiste sandte er ein Dankesgebet an Petrus. Hätte der ihn nach Timbuktu oder sonst wohin verbannt, wäre seine Lage aussichtslos. Also hatte er bei dem Alten ein Stein im Brett.

In gebückter Haltung huschte Barachiel von Deckung zu Deckung, bis er den Zaun erreichte. Gerade wollte er hinüber klettern, da materialisierte sich vor ihm Uriel.

„Hi Zuckerhase. Heute mal nackt unterwegs?“, säuselte der Arsch.

Normalerweise störte sich Barachiel nie an Nacktheit, doch unter Uriels prüfendem Blick sah er sich veranlasst, seine Scham mit einer Hand zu bedecken.

„Ach? So klein ist deiner?“, meinte Uriel, spöttisch eine Augenbraue gelüpft.

„Dafür schmeckt er garantiert besser als deiner.“

„Woher willst du das wissen?“

„Bisher hat sich keine beschwert.“

Uriel ließ das, warum auch immer, so stehen. „Der Chef hat mir aufgetragen, dich ein bisschen zu unterstützen. Also: Wie kann ich helfen?“

„Wie viele Wünsche hab ich frei?“

„Du verwechselst mich mit der guten Fee.“ Lässig lehnte sich Uriel gegen den Zaun. „Hab gehört, du hast einen Schutzbefohlenen verloren.“

„Der hat sich verselbständigt. Ich konnte doch nicht ahnen, dass er …“ Barachiel fiel ein, dass er überhaupt nichts über die Todesumstände wusste. „Ist deine Pflicht für heute erfüllt, wenn du mir Klamotten besorgst?“

„Sagen wir es mal so: Ich wäre zu Tode betrübt, wenn du deinen Astralleib bedeckst.“

„Bist du etwa schwul?“

„Ich steh auf beides, je nachdem, was mir vor die Flinte läuft.“

„Scheint ja nicht oft vorzukommen, wenn du so wahllos bist“, höhnte Barachiel.

„Vielleicht ist meine Libido so stark, dass es nie genug sein kann“, konterte Uriel. „Was ist nun?“

„Ich hätte gern ein normales Straßenoutfit und …“ Er brach ab und guckte an sich runter. Hautenge rosa Jeans, dazu ein weißes Rüschenhemd, das bis zum Bauchnabel offen war und rosa Stiefel mit Glitzersteinchen. Wenn ihn nicht alles täuschte, besaß seine Unterhose kein Rückteil und zwischen seinen Arschbacken klemmte ein Band. „Das ist jetzt aber bitte nicht dein Ernst!“

„Ich find’s heiß.“

„Und ich sag dem Chef, dass du mich behindert hast.“

Uriel seufzte. „Na gut.“

Das unsägliche Outfit verschwand, dafür trug Barachiel nun Bluejeans, ein weißes T-Shirt, schwarze Sneakers und Lederjacke. Der Strick zwischen seinen Hinterbacken war noch da, aber er wollte nicht kleinlich sein. „Danke. Und nun …“

Uriel verschwamm vor seinen Augen, ein breites Grinsen auf den Lippen. Was für ein Sackgesicht! Irgendwann würde er dem Typen gehörig den Arsch versohlen!

Barachiel stieg über den Zaun und schlich zur Rückseite des Häuschens. Rundum herrschte Stille, keine Menschenseele in Sicht, dennoch blieb er vorsichtig. Hinter der Laube befanden sich ein Komposthaufen, ein fensterloser Schuppen und an der Wand lehnte ein Besen.

Wenn er Wilkens, wie überallhin, hierher begleitet hatte, war er stets auf einem Liegestuhl in der Veranda geblieben. Überhaupt achtete er immer auf die Privatsphäre seiner Schützlinge. Mal im Ernst: Wer wollte schon alles wissen? Barachiel jedenfalls nicht. Allerdings hatten sich die Dinge nun geändert.

Vergeblich rüttelte er an dem kleinen Fenster in der Rückwand. Wahrscheinlich war es eh zu eng und er würde darin steckenbleiben. Scheiß Petrus! Als Engel wäre er einfach in die Laube geschwebt. Weder Holz noch Stein stellten in dem Zustand ein Hindernis dar.

Zum Glück besaß er bereits Erfahrung als Mensch. Vor ungefähr 120 Jahren war ihm schon mal ein Malheur passiert: Sein Schützling war unversehens unter die Räder einer Kutsche geraten, während er stockbesoffen im Pferdestall saß. Alkohol vertrugen Engel eigentlich ganz gut, außer sie übertrieben maßlos. Damals hatte er eine Flasche Schnaps intus gehabt und war unfähig gewesen, auch nur einen Flügel zu rühren. Zur Strafe musste er drei Tage als Mensch auf der Erde rumlaufen. Echt kein Zuckerschlecken, wenn man ständig gegen Wände rannte und Hunger einen irre machte. Damals war er knapp einer Verhaftung wegen Diebstahls entronnen. Jedenfalls wusste er dadurch bereits, was ihn ungefähr erwartete.

Er ging auf die Veranda und drückte probeweise die Türklinke runter. Abgeschlossen. Wie sollte es bei Wilkens auch anders sein? Der Typ war eine Ausgeburt an Akkuratesse. Er musterte das große Fenster, doch das schien man nicht mal öffnen zu können. Frustriert trat er gegen einen Blumenkübel, der neben der Tür stand, woraufhin das Teil umkippte und siehe da: Darunter lag ein Schlüssel. Barachiel hob ihn auf und - oh Wunder! - er passte ins Schloss. Er richtete den Kübel wieder auf, bevor er das Häuschen betrat.

Drinnen empfing ihn muffige Wärme. Er streifte seine Jacke ab und drehte eine Runde. Ein winziges Bad, eine Schlafkammer, das war’s an weiteren Räumen. Der Hauptraum war mit Küchenzeile, Couch, niedrigem Tisch, Kommode und einem Flat-Screen ausgestattet.

Barachiel ließ sich auf der Zweiercouch nieder und dachte nach. Bei dem Typen, der damals unter die Räder gekommen war, handelte es sich um einen Detektiv. Aus Neugier hatte sich Barachiel tiefer als gewöhnlich in das Tun seines Schützlings gekniet und wusste daher ein wenig über Ermittlungsarbeit. Fakt war: Ohne Uriels Unterstützung kam er keinen Schritt weiter. Da Wilkens in der Zukunft starb, gab es über die Todesursache keine Zeitungsartikel oder Einträge im Internet. Außerdem brauchte er eine Identität, möglichst mit Papieren sowie Geld, um sich in der aktuellen Ära unbehelligt bewegen zu können. Als Engel reichte ein Schnipsen, um all das zu besorgen, doch als Mensch war er ja leider jeglicher Macht beraubt. Apropos: Seine Blase meldete sich mit Macht. Ganz schön lästig, dieses irdische Dasein.

Nachdem er das Klo benutzt hatte, setzte er sich wieder auf die Couch. Wenigstens hatte er ein Dach überm Kopf und Bad in der Nähe. Mal gucken, was der Kühlschrank hergab. Es machte sich nämlich ein leichtes Hungergefühl bemerkbar.

Enttäuscht betrachtete er den Kühlschrankinhalt. Eine Tube Senf, ein Rest Butter, zwei Zwiebeln, ein Glas Rote Beete. Kulinarisch war er zwar nicht sonderlich bewandert, ahnte aber, dass alles zusammen keine genießbare Mixtur ergeben würde. Seine Suche in den anderen Küchenschränken war von mehr Erfolg gekrönt. Er fand eine angebrochene Packung Knäckebrot, eine halbvolle Flasche Whisky, ein Tütchen Studentenfutter und Schokolinsen.

Einmal dabei, kramte er alle restlichen Schränke im Haus durch und staunte nicht schlecht. Neben Klamotten, Zeitschriften und Büchern fand er Pornos sowie Schwanzattrappen, die vibrierten, wenn man einen Schalter betätigte. An einer hingen sogar Eier, die einen Pfropfen aufwiesen, wie an Spritzpistolen. Was hatte das zu bedeuten? Also, nicht das mit dem Einfüllstutzen, sondern generell.

Mit gerunzelter Stirn drehte er den Eierpimmel in seinen Händen. Noch nie hatte Wilkens eine Frau mit nach Hause gebracht, andernfalls hätte er mal ins Schlafzimmer gespäht. Man musste doch wissen, was die Konkurrenz so trieb. Offenbar trieb Wilkens es mit diesen Plastikschwänzen.

Er beäugte die Pornos genauer. Ungefähr zwei Drittel waren schwul, der Rest normaler Hetero-Kram. Allerdings fiel ihm auf, dass bei den Heten immer der gleiche Schauspieler - oder nannte man Pornodarsteller anders? Vielleicht Mösen- beziehungsweise Schwanzspieler, angelehnt an Puppenspieler? - mitmachte. Ein gewisser Don Jockson.

Nachdem er die Sachen zurück in den Schrank geräumt hatte, begab er sich wieder auf die Couch. Während er eine Scheibe Knäckebrot knabberte, dachte er über Wilkens nach. Er nannte seine Schützlinge im Geiste lieber mit Nachnamen, um keine persönliche Beziehung aufzubauen. In seiner Branche fand er das hinderlich. Schließlich wechselte man alle paar Jahrzehnte den Kunden. Also: War Wilkens aufgrund der Indizien zwingend schwul? Sein Ex-Schützling, der Detektiv, hatte immer gesagt: Im Zweifel für den Angeklagten. Ergo sollte er Wilkens neutral betrachten, zumal ihn das Sexleben seines Klienten gar nichts anging.

Sehr zufrieden mit dieser Entscheidung, vernichtete er das restliche Knäckebrot. Hinterher war der schlimmste Hunger weg, doch Barachiel befürchtete, dass sein Magen bald wieder knurren würde. Vielleicht gab es im Garten etwas Essbares. Wilkens baute doch alles Mögliche an Gemüse an.

Auf der linken Seite des Gartenweges befand sich ein Stück akkurat geschnittener Rasen, rechts lagen die Beete. Barachiel wanderte an den Reihen entlang und bückte sich mal hier mal da, um ein Gemüse näher in Augenschein zu nehmen. Gurken, Tomaten und Möhren erkannte er, der Rest war ihm suspekt. Diese roten Stiele mit den dunkelgrünen Blättern … was konnte man davon essen? Und die schwarz-lila Dinger, waren das auch Gurken?

„Hallo“, riss ihn eine Stimme aus seinen Betrachtungen.

Er schaute auf und entdeckte ein freundliches faltiges Gesicht über der Hecke zum Nachbarsgrundstück. Mit dem Mann hatte Wilkens manchmal gesprochen. „Guten Tag“, grüßte er zurück.

„Sind Sie ein Bekannter von Thomas?“, erkundigte sich der Typ.

Oh-oh! Jetzt nichts Falsches sagen! „Ich bin ein alter Freund. Also, von früher.“

„Ach? Aus der Schule?“

„Genau. Thomas hat mir erlaubt, seinen Garten zu benutzen.“

„Das ist aber schön. Der Junge ist viel zu selten hier. Meine Frau hat gerade gebacken. Mögen Sie ein Stück Kuchen?“

Allein das Wort ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. „Sehr gern.“

„Warten Sie kurz.“ Der Mann verschwand.

Barachiel ging zur Hecke und spähte hinüber. Dahinter lag ein wunderschöner Garten mit zahlreichen Blumen und einer Wiese anstelle von Rasen. Auch der Nachbar betrieb Gemüseanbau. Mitten in dem Beet stand ein Apfelbaum mit grünen Früchten und rundum wuchsen Sträucher mit allerlei Beeren.

Er sah den Typen aus der Laube kommen, einen Teller in der Hand. Angesichts des Kuchens und der Sahne darauf, vermehrte sich sein Speichelfluss erneut. Der Mann reichte den Pappteller über die Hecke.

„Wohl bekomm‘s. Wenn Sie Nachschlag möchten, kommen Sie einfach rüber“, bot der Typ an, lächelte ihm zu und ging zurück zum Häuschen.

Barachiel eilte ebenfalls zur Laube, kramte eine Gabel aus einer der Schubladen und verschlang den Kuchen. Ihm wäre nach mehr zumute, aber er hielt es für besser, möglichst wenig Kontakt zu den Nachbarn zu haben. Ein falsches Wort und er flog auf.

Tja, und nun? Ohne Uriel kam er kein Stück weiter. Seufzend zupfte er an seiner Jeans und entschied, dass dieser verdammte Strick, der in seiner Arschritze klemmte, unbedingt weg musste. Er nahm eine Unterhose aus Wilkens‘ Vorrat, zog Jeans sowie das Folterinstrument aus und streifte die andere Hose über. Was für eine Wohltat! Nachdem er wieder in seine Jeans gestiegen war, stopfte er das Strick-Dingens in seine Hosentasche - ganz wichtige Regel: Nie Spuren hinterlassen! - und machte es sich liegend auf der Couch bequem. Eigentlich müsste er demzufolge auch seine Gabel abwaschen, doch von jeder Regel gab‘s Ausnahmen, vor allem, wenn sie Arbeit bedeuteten.

Er starrte die Decke an, bis ihm derart langweilig wurde, dass er auf die glorreiche Idee kam, sich die Zeit mit Wilkens‘ Pornos zu vertreiben. Es dauerte eine Weile, sich mit den Geräten anzufreunden. Dabei zugesehen, wie Wilkens eine DVD ins Abspielgerät legte, hatte er zwar, doch es selbst zu tun war eine ganz andere Sache.

Erneut fläzte er sich auf die Couch und startete den ersten Film. Es war ewig her, dass er solchen Kram gesehen hatte. Der Typ vor Wilkens hatte jeden Abend diesen Schweinkram geguckt, bevor ihn der Lungenkrebs dahinraffte. Damals, also vor 1987, Wilkens‘ Geburtsjahr und zugleich seine Ernennung zu dessen Schutzengel, waren solche Filmchen noch auf VHS-Cassetten und teils in schlechter Qualität gewesen. Die DVD hingegen lieferte ein brillantes Bild, nur an der Handlung, oder eher dem Fehlen derselben, hatte sich nichts geändert: Kaum fingen die Darsteller an zu vögeln, hörten sie nicht wieder auf.

Nach einigen Minuten fiel Barachiel auf, dass in seiner Hose Flaute herrschte. Verwundert öffnete er seine Jeans und guckte in seine Unterhose, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen. Tatsache: Sein Schwanz war schlaff wie eine gekochte Nudel. Als er abwechselnd auf die Mattscheibe, wo eine Brünette ihre Riesen-Quarktaschen knetete und in seine Hose guckte, schien sich seine Nichterektion noch mehr in den Stoff zu verkrümeln. Ihm kam ein fürchterlicher Verdacht: Hatte Petrus ihn unempfänglich für weibliche Reize gemacht? Das würde er diesem Fiesling glatt zutrauen.

Um das auszutesten, legte er eine andere DVD ein, mit dem gleichen Ergebnis. Bei der nächsten brachte er es zumindest auf Halbmast, der jedoch wieder abknickte, als die Großaufnahme einer Möse über den Bildschirm flimmerte. Eine Ahnung keimte auf. Er wechselte zu einem Gay-Porno und siehe da: Sein Schwanz reagierte mit Betonhärte. In einer Mischung aus Erleichterung, nicht impotent zu sein, und Verwirrung über diese Entwicklung, schaltete er auf Pause und starrte in seine Hose.

„Du bist nicht schwul“, flüsterte er. „Du bist nur interimsschwul. Sobald das hier vorbei ist, stehst du wieder auf Mösen.“

Das sagte er sich noch ein paarmal vor, bevor er den Film weiterlaufen ließ und sich dazu einen runterholte. Anschließend räumte er den Kram wieder weg, nahm eines der Bücher und begann zu schmökern.



2.

Bereits beim Aufwachen hatte Thomas ein komisches Gefühl, so, als hätte er diesen Tag schon mal erlebt. Auch auf der Arbeit reihte sich Déjà-vu an Déjà-vu.

Als er nach Feierabend heimfuhr wusste er genau, dass seine Mutter dort mit dem Abendessen auf ihn wartete. Gut, das kam oft vor, doch diese Gewissheit war schon unheimlich. Sie sagte nie vorher Bescheid, obwohl er sie immer wieder bat, sich vorher anzukündigen. Er ahnte sogar, was es zu essen geben würde und tatsächlich: Sie hatte für ihn Spaghetti Bolognese gekocht.

Wie stets verabschiedete sie sich mit dem Hinweis, dass sein Vater auf sie

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - dankeschön!
Tag der Veröffentlichung: 26.07.2019
ISBN: 978-3-7487-1149-0

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /