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Sommersplitter 4 - Gewissensbisse

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

Text: Sissi Kaiserlos/Kaipurgay

Foto von shutterstock, depositphotos – Design Lars Rogmann

Korrektur: Aschure. Danke!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/


Gewissensbisse 1

Am Elbstrand lernt Andre einen hübschen Blonden kennen. Sein Herz ist schnell entflammt, doch leider kommt es anders als gedacht: Colin entpuppt sich als Reinfall. In seiner Wut tut er etwas Unüberlegtes, mit schrecklichen Konsequenzen.

~ * ~


1.

In der Sonne waren es gefühlte 40 Grad, im Schatten des Sonnenschirms auch nicht viel weniger. Ab und zu, wenn ein großer Pott vorbeifuhr, erreichten die Wellen fast Andres Füße und die Luft geriet ein bisschen in Bewegung. In der übrigen Zeit lastete Schwüle auf dem Elbstrand.

Trotz der glühenden Hitze war die Strandperle recht gut besucht. Die meisten bevorzugten die Plätze drinnen, denn dort sorgte ein Deckenventilator für etwas Erfrischung. Draußen waren zwar fast alle Stühle belegt, aber die sonst in Scharen im Sand hockenden Gäste fehlten. Andre fand das angenehm. Es schaffte ein wenig Privatsphäre, die es sonst in dieser Location nicht gab.

Wie jedes Jahr verbrachte er eine Woche Sommerurlaub zu Hause und hatte diesmal echt Glück mit dem Wetter. Es war des guten schon fast zu viel. Wegen eines Kollegen, der kurzfristig seine Pläne geändert hatte, war Andres ursprünglich für August eingetragener Urlaub in die Hamburger Sommerferien gefallen. Die Freibäder quollen über vor Familien mit Schulkindern. Allerdings war’s ihm eh zu heiß, um dort herumzulungern. Dann doch lieber an der Elbe, wo wenigstens gelegentlich ein Lufthauch etwas Kühlung brachte.

Genüsslich grub er seine Zehen in den Sand und blinzelte rüber, zu seinem Kumpel Sascha, der neben ihm in einem Liegestuhl saß. „Meinst du, man könnte ein Fußbad wagen?“

„Vergiss es. Die Elbe besteht aus Chemie, Schlick und Abwässern.“ Sascha war ein notorischer Schwarzseher, aber in geringen Dosen konnte Andre das gut vertragen.

„Dann müsste der Typ da gleich tot umfallen.“ Er wies mit dem Kinn auf einen Blonden, der bis zu den Knien im Wasser stand und ihnen den Rücken zuwandte.

„Der wird mit grünen Pickeln an den Beinen wieder rauskommen“, prophezeite Sascha und steckte die Nase wieder in das Magazin, das er schon die ganze Zeit las.

Das mit den Pickeln glaubte Andre kein Stück, trotzdem behielt er Blondie im Auge. Der Typ hatte die Jeans hochgekrempelt und hielt ein Paar Flipflops in der Hand. Er wollte den Blick schon abwenden, als sich der Blonde umdrehte und zum Strand watete. Die Beine waren okay, genau wie das Gesicht, soweit Andre das erkennen konnte. Der Blonde trug nämlich eine dunkle Sonnenbrille, die einen Großteil verdeckte.

Der Typ steuerte auf ein Schattenplätzchen zu. Bevor der Blonde den freien Stuhl erreichte, ließ sich jedoch ein anderer Gast darauf nieder. Blondie blieb stehen, drehte sich im Kreis und ließ den Blick über das Areal wandern. Entweder suchte er jemanden oder einen anderen Platz.

Eigentlich war Andre eher zurückhaltend, doch der Typ interessierte ihn zum einen, zum anderen hatte er Mitleid. Es war doof, so allein unter all den Paaren und Grüppchen. Er hob also eine Hand und winkte, woraufhin der Blonde nach kurzem Zögern in seine Richtung stapfte.

„Du kannst meinen Stuhl haben“, bot Andre an, als der Typ nahe genug war. „Ich wollte eh gerade meine Füße abkühlen.“

Erneut ließ Sascha die Zeitschrift sinken und zwinkerte dem Mann zu. „Nimm sein Angebot ruhig an. Er kommt sowieso nicht lebend aus der Kloake zurück.“

Der Blonde zuckte die Achseln. „Mir hat’s nicht geschadet.“

„Vielleicht setzt bei dir die Wirkung erst später ein“, entgegnete Sascha trocken.

Andre schüttelte bloß den Kopf, stand auf und wies einladend auf seinen Stuhl. „Bitte sehr.“

Nachdem sich der Blonde hingesetzt hatte, strebte Andre aufs Wasser zu. Eigentlich sah es ganz okay aus. Mit einer Zehe prüfte er die Temperatur. Sein durchgekochtes Fleisch meldete: Eisigkalt! Im ersten Moment war es tatsächlich so kühl wie im Gefrierfach, doch im zweiten erträglich. Genau wie der Blonde ging er bis zu den Knien hinein und betrachtete das gegenüberliegende Ufer. Dort befand sich der Containerterminal mit Kränen, die an eine reglose stählerne Giraffenherde erinnerten. Eine poetische Umschreibung für den eigentlich ziemlich hässlichen Anblick. Nur nachts sah es besser aus, wenn man bloß die vielen Lichter sah.

Ein Weilchen blieb er so stehen und genoss die Abkühlung, ehe er zurück watete. Anscheinend rüstete sich Sascha zum Aufbruch. Während er näherkam, packte sein Kumpel nämlich die Zeitschrift ein und stand auf.

„Ich muss los. Bin noch verabredete“, behauptete Sascha.

Eine Lüge, denn eigentlich wollten sie später zusammen Essen gehen. „Mach’s gut. Wir telefonieren“, erwiderte Andre.

Sascha nickte dem Blonden zu und stapfte davon.

Andauernd lag ihm sein Kumpel damit in den Ohren, doch endlich mal wieder einen Typen abzuschleppen. Anscheinend hatte Sascha gerade Blondie dazu auserkoren, seinen sexuellen Notstand zu beenden und war deshalb gegangen. Normalerweise wäre Andre über solche Kuppelei sauer, doch bei Blondie machte er eine Ausnahme. Der Typ war echt Zucker.

Er ließ sich auf Saschas Ex-Liegestuhl nieder. „Ich bin Andre“, stellte er sich vor.

„Colin“, erwiderte der Blonde, hob dabei die Brille an und schenkte ihm ein Lächeln.

Eines, das ihm ein Kribbeln im Bauch bescherte. Hinzukamen himmelblaue Augen - Andre stand total auf diese Farbe - und ein rasches Abchecken, was ihm verriet, es mit einem Gleichgesinnten zu tun zu haben. Die Überreste eines Veilchens, eine gelbliche Schwellung, taten dem Ganzen keinen Abbruch.

Colin schob die Sonnenbrille wieder runter. „Und? Merkst du schon was?“

Aber hallo! Und wie er was merkte! Allerdings war Colins Frage wohl nicht auf seinen interessierten Schwanz gemünzt, sondern eher auf das angeblich giftige Elbwasser. „Sascha spinnt manchmal ein bisschen.“

„Hab ich mir schon gedacht“, meinte Colin. „Seid ihr ein Paar?“

„Vor langer Zeit haben wir das versucht, aber beschlossen, dass wir als Freunde besser funktionieren.“ Andre guckte rüber zum Tresen, an dem gerade wenig Andrang herrschte. „Ich hol mir was zu trinken. Soll ich dir was mitbringen?“

„Ein Alsterwasser, bitte.“ Colin machte Anstalten, etwas aus der Gesäßtasche zu pfriemeln.

„Lass mal. Das geht auf mich. Du kannst ja die nächste Runde bezahlen“, wehrte er ab.

Nach wenigen Minuten kam er mit den Getränken zurück, reichte Colin ein Glas und setzte sich mit seinem - er hatte sich ebenfalls Alsterwasser geholt - wieder hin. Durstig trank er einen großen Schluck. Bei der Hitze stieg selbst solch harmloses Mischgetränk einem schnell zu Kopf, weshalb er normalerweise ganz auf Alkohol verzichtete. Momentan konnte er jedoch, um Colin anzubaggern, einen Schwips gut gebrauchen. Nüchtern war er im Flirten nämlich eine Niete.

„Wohnst du in der Nähe?“, erkundigte er sich.

Colin nickte. „Ungefähr eine Viertelstunde zu Fuß.“

„Dann bist du ja bestimmt oft hier.“ Was für ein blöder Anmachspruch. Um seinen Verstand zu inspirieren, leerte Andre sein Glas zur Hälfte.

„Geht so. Meist ist es mir hier zu voll.“ Colin prostete ihm zu. „Danke für das Alsterwasser und den Sitzplatz. Ich hoffe, ich hab deinen Kumpel nicht verscheucht.“

„Sascha wollte eh gehen“, flunkerte Andre.

Schweigen entstand. Trotz des Alkohols wollte ihm nichts Gescheites einfallen, um das Gespräch fortzuführen. Aus dem Augenwinkel musterte er Colin, die langen Beine, schlanken Finger und den anziehenden Mund. Mit der blassen Haut war ein Sonnenbrand eigentlich vorprogrammiert. Andre hatte da mehr Glück. Er war eh ein dunkler Typ und wurde in der Sonne schnell braun. Bei Colin hingegen zeigte sich erste Röte auf der Nase und den Füßen.

„Musst du dich nicht eincremen?“, fragte Andre.

„Das nützt nichts. Ich bekomme so oder so einen Sonnenbrand.“ Colin setzte das inzwischen ebenfalls halbleere Glas an die Lippen.

Es lag Andre auf der Zunge, nach der Herkunft des Veilchens zu fragen, doch das wäre zu aufdringlich. Seine Mutter war mal gegen ein Regal gerannt und durfte sich anschließend wegen dem blauen Auge alles Mögliche anhören. Von Spott bis hin zu Anteilnahme war alles dabei. Letztendlich hatte sie auf der Arbeit eine Rundmail verfasst, in der sie erklärte, dass das Veilchen nicht von einem gewalttätigen Ehemann stammte, um dem Flurfunk ein Ende zu bereiten.

„Allerdings sollte ich bald ganz aus der Sonne“, redete Colin weiter. „Ich will mir ja keinen Hautkrebs zuziehen.“

Wäre Sascha noch da, hätte der jetzt wild gestikuliert, um Andre auf seinen Einsatz aufmerksam zu machen. Im Gegensatz zu ihm war sein Kumpel ein passionierter Flirter und schleppte fast jede Woche einen Typen ab.

„Ich muss auch raus aus der Hitze. Hättest du Lust, mit mir woanders hin zu ziehen?“, erwiderte Andre ohne eine Ahnung, wohin man gehen könnte. In den schönen Sommerlocations, die er kannte, war es nicht kühler oder schattiger als in der Strandperle.

„Gern. Von mir aus können wir zu mir gehen. Ich hab einen großen Balkon und reichlich Getränkevorräte im Kühlschrank.“

Wow! Das klappte ja wie verrückt. „Klasse. Wollen wir aufbrechen?“

Colin nickte, trank den Rest Alsterwasser und stand auf. Andre folgte dem Beispiel. Gemeinsam brachte sie die leeren Gläser zurück und gingen die Gasse bis zur Elbchaussee hinauf, die sie überquerten und einen schmalen Fußweg zwischen den Häusern einschlugen. Stumm schlappte Colin neben ihm her, beide Hände in den Hosentaschen vergraben. Da Andre nichts Gescheites einfiel, hielt er auch den Mund.

Wenige Minuten später erreichten sie ein Mehrfamilienhaus. Colin schloss die Tür auf und stieg voran die Treppe hinauf. Dadurch hatte Andre den süßen Hintern direkt vor der Nase, was ihn einmal ins Stolpern brachte. Zum Glück fing er sich, bevor er auf die Nase fliegen konnte.

Colins Wohnung befand sich im zweiten Stock. Im breiten Flur standen etliche Paar Schuhe und an der Garderobe hingen genauso viele Jacken.

„Hast du Mitbewohner?“, erkundigte sich Andre, dem die verschiedenen Größen - einige Paare ähnelten Kindersärgen - auffielen.

„Allein könnte ich mir die Wohnung nicht leisten. Was möchtest du trinken?“, entgegnete Colin und verschwand durch eine Tür zu seiner linken.

„Mineralwasser bitte.“ Vom Alkohol hatte er erstmal genug. Sein Kopf schwirrte, was allerdings auch an Colin liegen konnte. Neugierig spähte er durch die halboffenstehende Tür in einen Raum zu seiner rechten Hand. Darin stand ein Doppelbett. Links befand sich das Bad, wie er durch einen Türspalt erkannte.

Mit zwei Gläsern und einer Flasche kehrte Colin, nun ohne Sonnenbrille, in den Flur zurück. „Lass uns auf den Balkon gehen.“ Erneut ging er voraus.

Sie kamen an einer geschlossenen Tür vorbei, durchquerten ein geräumiges Wohnzimmer und traten auf einen großen Balkon, der im Schatten lag. Die Blumenkästen waren teils mit Koniferen, teils mit Geranien bepflanzt. Man blickte in eine gepflegte Gartenanlage, die in einem Tannenwäldchen mündete. Sehr idyllisch.

Colin setzte sich auf einen der vier Stühle und schenkte Wasser ein. Andre wählte den Platz neben Colin.

Er schnappte sich eines der Gläser, stillte seinen Durst und meinte: „Schönes Plätzchen. Mein Balkon ist viel kleiner und liegt dazu noch über einer Hauptverkehrsstraße.“

„Wo wohnst du denn?“

„In Altona, fast in der Mitte.“

Colin zog eine Grimasse. „Nette Ecke, aber mir ist es da zu wuselig und laut.“

„Och, mir gefällt’s eigentlich.“ Erneut trank Andre einen Schluck Wasser. „Gehst du gern ins Kino?“

„Kommt drauf an. Wenn was Lustiges läuft, bin ich dabei.“

„Was hast du denn zuletzt gesehen?“

„MIB international. Der Film kommt aber nicht an seine Vorgänger ran.“ Colin seufzte. „Man sollte manche Suppe nicht dreimal aufwärmen.“

„Ich fand den eigentlich ganz gut“, widersprach Andre.

Es entspann sich eine Unterhaltung über Filme, die sie gesehen hatten oder noch sehen wollten. Mithilfe Colins Smartphones checkten sie die anstehenden Premieren und diskutierten, welche man nicht verpassen durfte. Colin kam aus sich raus, lachte oft und seine blauen Augen funkelten dabei. Das war gefährlich für Andres Herz, aber warum sollte er es nicht verschenken? Colin schien doch auch Interesse zu haben.

In seiner Euphorie schlug er vor, ein Selfie von den beiden Kinofans zu schießen. Colin beugte sich rüber, so dass sie zusammen aufs Foto passten und sagte: „Cheeese-cake!“

Auf dem Bild grinsten sie beide blöde in die Linse.

„Schickst du es mir?“, bat Andre, holte sein Gerät hervor und diktierte seine Nummer. Gleich darauf besaß er sowohl das Foto, als auch Colins Handynummer. Lächelnd steckte er sein Smartphone wieder ein.

Wie es genau passierte, wusste er hinterher nicht mehr: Mit einem Mal lagen Colins Lippen auf seinem Mund. Der anfangs unschuldige Kuss steigerte sich bald zu einem Zungenduell. In Andres Jeans wurde es eng und die Armlehne des Stuhls drückte sich unangenehm in seine Rippen. Eine Hand wanderte über sein Bein bis zum Schritt. Als sie sich über die Ausbuchtung legte, stöhnte er an Colins Lippen.

Ich fass es nicht!“, brüllte plötzlich jemand in seinem Rücken, woraufhin Colin zurückzuckte und über seine Schulter starrte.

Im nächsten Moment wurde Andre am Arm hochgerissen und sah sich erschrocken einem Muskelprotz mit wutverzerrter Miene gegenüber.

Sieh zu, dass du Land gewinnst“, zischte der Typ ihn an.

„Moment! Lass Andre in Ruhe!“, schaltete sich Colin ein.

„Wir unterhalten uns gleich“, entgegnete der Kerl und wandte sich wieder Andre zu. „Und du verpisst dich jetzt! Ich will dich nie wieder in der Nähe von meinem Freund sehen!“

„Eine offene Partnerschaft gilt für beide Seiten“, meldete sich Colin erneut zu Wort.

„Ich sagte, das klären wir gleich“, gab der Typ zurück, zerrte Andre zur Balkontür, quer durchs Wohnzimmer und Flur, riss die Tür auf und schubste ihn ins Treppenhaus.

Rumms!, knallte die Wohnungstür vor seiner Nase ins Schloss. Fassungslos stand Andre da und rieb sich den schmerzenden Arm. Was war das denn bitteschön gewesen? ‚Colin hat dich vorgeführt‘, höhnte eine Stimme in seinem Kopf.

Langsam, wie betäubt, ging er die Stufen runter, trat durch die Haustür nach draußen und schlug den Weg in Richtung Strandperle ein. Mit jedem Schritt wurde ihm klarer, tatsächlich von Colin verarscht worden zu sein. Offenbar handelte es sich bei dem Muskelmann um Colins Freund und Mitbewohner. Von wegen Wohngemeinschaft! Na gut, das war seine Interpretation von Colins vager Antwort, trotzdem …

An der Elbchaussee wandte er sich nach links. Auf dem Hinweg hatten Sascha und er den Bus genommen. Momentan war ihm nach Bewegung zumute, daher beschloss er, zurück zu Fuß zu gehen.

In der halben Stunde, die er bis nach Hause brauchte, war seine Verwirrung in Zorn umgeschlagen. Colin hatte ihn eiskalt benutzt, um den Typen eifersüchtig zu machen, davon war er überzeugt. Alles deutete darauf hin.

Als er in seiner Wohnung ankam, musste er erstmal pissen. Danach holte er ein Bier aus dem Kühlschrank, das er gleich im Stehen lenzte. Mit dem nächsten begab er sich ins Wohnzimmer und lief ruhelos auf und ab, wobei er ab und zu einen Schluck aus der Flasche nahm. Er fühlte sich benutzt und elend, zugleich brannte er vor Hass auf Colin.

Beim dritten Bier hatte er die zündende Idee, wie er sich rächen konnte. Er schloss sein Notebook an den Drucker an und lud das Colin-Andre-Selfie vom Smartphone auf den PC.



2.

Am nächsten Tag wachte er mit einem höllischen Kater auf. Stöhnend kroch er aus dem Bett und schlurfte ins Bad, wo er sich aufs Klo hockte. Sein nächster Weg führte in die Küche, um eine Aspirin zu schlucken. Während er an der Arbeitsfläche lehnte, ein Glas Mineralwasser in der Hand, fiel sein Blick auf den Tisch. Dort lagen Tesafilm und ein paar in Klarsichthüllen verpackte Ausdrucke. Oh Mann! Er hatte es ja also wirklich getan. Eigentlich dachte er, es nur geträumt zu haben.

Andre leerte sein Glas und schnappte sich eine der Hüllen. Das Foto war stark vergrößert und dadurch etwas verpixelt, dennoch erkannte man Colin ziemlich gut. Darunter hatte er geschrieben: Achtung! Fremdgänger! Nehmt euch vor diesem Typen in Acht. Er hat einen muskelbepackten Freund.

Von diesen Zetteln hatte er am vergangenen Abend zwanzig ausgedruckt und in der Umgebung an Laternenmasten angebracht. Danach war ihm eine Flasche Gin zum Opfer gefallen.

Er warf den Ausdruck zurück auf den Tisch, setzte die Kaffeemaschine in Betrieb und latschte ins Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch stand die leere Flasche, daneben ein halbvolles Glas. Anscheinend hatte er den letzten Schluck Gin nicht mehr runterbekommen. Sein Smartphone lag auf dem Boden. Es war ihm wohl aus der Hosentasche gerutscht.

Ächzend, weil jede Bewegung das Hämmern in seinem Schädel verstärkte, setzte er sich auf die Couch und sammelte das Gerät auf. Zweimal hatte Sascha versucht ihn zu erreichen. Bestimmt wollte sein Kumpel wissen, wie es mit Colin gelaufen war. Andre verschob das Telefonat, weil er erstmal einen Kaffee und eine Dusche brauchte.

Zwei Stunden später fühlte er sich fit genug, um mit Sascha zu reden. In Shorts und T-Shirt ging er auf den Balkon, ließ sich auf dem dort stehenden Stuhl nieder und tippte auf die Rückruftaste.

„Na? Erzähl!“, überfiel ihn Sascha.

„Vergiss es. Der Typ hat mich sowas von verarscht.“

„Wie das?“

„Wir waren gerade am Küssen, als sein Freund auftauchte und mich aus der Wohnung geworfen hat.“

„Krass! Dabei sah er so harmlos aus.“

Andre seufzte. „Ich war auch völlig von den Socken. Keine Ahnung, was das sollte.“

„Vielleicht dachte er, dass sein Freund länger wegbleibt.“

„Kann sein. Ach, Schwamm drüber. Das ist halt blöd gelaufen.“

„Echt ärgerlich. Na ja, beim nächsten Mal klappt’s bestimmt“, tröstete ihn Sascha. „Was machst du heute?“

„Abhängen. Ich hatte gestern ein Date mit Mr. Gin.“

„Autsch! So schlimm?“

Andre seufzte abermals. „Es hat mich ganz schön runtergezogen, aber nun geht’s wieder.“

„Was ist mit Kino heute Abend?“

„Welcher Film?“

„Spider Man.“

„Okay. Wann und wo?“



Bis es Zeit zum Aufbrechen war, hatte er sich fast vollständig erholt. Auf dem Weg zum Bahnhof kam er an einem der von ihm beklebten Laternenmasten vorbei. Jemand hatte Colin mit schwarzem Filzstift einen Schnurrbart verpasst. Vermutlich waren die anderen Zettel inzwischen entweder auch verunziert oder entfernt worden. Er zweifelte an, dass sie überhaupt jemand las. Alle naslang klebten irgendwo Aushänge, auf denen vermisste Haustiere gesucht, irgendwelche Dienste angeboten oder Events beworben wurden.

Als er am Kino eintraf, wartete Sascha bereits im Foyer und umarmte ihn. Obwohl er inzwischen drüber weg war, tat die Anteilnahme gut.

„Tut mir leid. Ich hätte dich diesem Arschloch nicht ausliefern dürfen“, meinte Sascha, legte einen Arm um seine Schultern und dirigierte ihn zum Kassenhäuschen. „Ich lade dich heute ein, als Wiedergutmachung.“

Da sagte er nicht nein. Als Optiker und Hörgeräteakustiker verdiente Sascha gut und konnte sich das locker leisten. Das galt auch für die Riesen-Cola und den Eimer Popcorn.

Während auf der Leinwand Werbung lief, berichtete er Sascha von seiner Aktion.

Sein Kumpel lachte sich kaputt. „Oh Mann! Dich will ich nicht zum Feind haben.“

„Hättest du nicht das Gleiche getan?“

„Ich hätte wahrscheinlich eher eine tote Ratte oder so auf seine Fußmatte gelegt.“

Auch eine hübsche Idee. Andre merkte sich das, falls ihm nochmal derartiges passierte, wovon er aber nicht ausging. So viel Pech konnte man doch nur einmal haben.

Im Anschluss ans Kino gingen sie in eine Bar und betrieben Filmnachlese. Sie waren sich einig, dass der heiße Jake Gyllenhaal bessere Rollen, möglichst mit freiem Oberkörper, verdient hatte. Ansonsten gab es weder über die hanebüchene Handlung, noch die Darsteller viel zu sagen. Colin hatte recht: Manche Suppen wärmte man besser nicht auf. Zugegeben: Ganz hatte er die Sache noch nicht verwunden. Seine Rolle in der ganzen Sache wurmte ihn, zudem war sein Herz verstandesmäßigen Einwänden nicht zugänglich.



Den folgenden Tag verbrachte er bei seinen Eltern, um ihnen zu helfen. Die beiden lebten in einer Erdgeschosswohnung mit Terrasse und Gartenanteil; zudem pflegten sie den Rest der Anlage, wofür sie ein kleines Entgelt erhielten. Mittlerweile fiel ihnen das zunehmend schwerer. Seine Mutter litt unter Rheuma, sein Vater, ein ehemaliger Bauarbeiter, an asthmatischen Anfällen. Andres Bruder Dirk, von Beruf Hotelfachmann, war vor einem Jahr nach Dubai gezogen, um dort zu arbeiten. Insofern blieb alles an ihm hängen.

Unter dem trockenen heißen Wetter litt die Vegetation, was die Pflege erleichterte. Den Rasen zu mähen fiel aus und in den Rabatten war nur wenig Unkraut zu jäten. Bloß die Hecken erforderten einige Stunden, um sie zu schneiden. Andre übernahm es, auf eine Leiter zu steigen und die Heckensäge zu schwingen. Sein Vater sammelte den Grünmüll auf und karrte diesen zum Komposthaufen.

Anschließend war Andre völlig verschwitzt. Bei, von seiner Mutter selbstgemachter, Limonade und einer großen Portion Obstsalat mit Schlagsahne, erholte er sich von den Strapazen. Mittags hatte es bereits Kohlrouladen gegeben, so dass sämtliche verbrauchte Kalorien gleich wieder zum Teufel waren.

Danach fuhr er mit seinem Golf Cabrio nach Hause. Offen zu fahren war bei der Hitze ein Vergnügen, wenngleich wenig erfrischend. Daheim stieg er sofort unter die Dusche, zog frische Klamotten an und machte es sich mit einem Riesenglas Eistee auf der Couch gemütlich.

Gegen sieben, er hatte inzwischen von schmökern auf Glotze gucken umgesattelt, vibrierte sein Smartphone

„Hi“, meldete sich Sascha. „Hast du heute Zeitung gelesen?“

„Das tue ich doch nie.“

„Dann schau ins Internet und ruf mich wieder an.“

„Moment! Wonach soll ich denn gucken?“

„Im Lokalteil. Junger Mann von homophoben Schlägern schwer verletzt.“

Andre wallte düstere Vorahnung hoch. „Geht’s um Colin?“

„Bitte lies erstmal. Ich denke, er ist es“, entgegnete Sascha.

„Bleib in der Leitung“, bat er, stellte den Ton des Fernsehers aus und zog sein Notebook heran. Flink loggte er sich ein und ging ins Internet. „Wo hast du das gelesen?“

„Im Lokalteil vom Hamburger Abendblatt.“

Andre begab sich auf die entsprechende Seite und las: „Homophober Angriff in St. Georg.“ Unter der Schlagzeile befand sich ein Foto mit Pornobalken. Den blonden Locken zufolge könnte sich um Colin handeln. Die Bildunterschrift lautete: Colin M. wurde in einer Seitenstraße brutal zusammengeschlagen.

„Bist du noch dran?“, ertönte Saschas Stimme an seinem Ohr.

„Mhm“, murmelte er. „Lass

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - dankeschön!
Tag der Veröffentlichung: 07.09.2019
ISBN: 978-3-7487-1536-8

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