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Sternzeichen-Shopping 3 - Widder vs. Steinbock

 

Kai will auch einen festen Partner. Er versucht es erneut beim Sternzeichen-Shopping, anfangs ohne Erfolg, weil ein Markt-Angestellter dazwischenfunkt. Beim nächsten Mal hat er mehr Glück und angelt sich eine Sahneschnitte. Oder ist er hinter dem Falschen her?

~ * ~

 

1. Kai

Eigentlich war Kai zufrieden mit seinem Leben. Er hatte seinen Ex-Mann Abel erfolgreich verbandelt, ab und zu einen One-Night-Stand und auf der Arbeit lief es ziemlich gut für ihn. Seine Wohnung lag zentral, in der Nähe der Alster, war groß genug, um seine Klamottensammlung zu beherbergen und die Miete moderat. Einziges Manko: Es könnte gern öfter Sex geben und vor allem befriedigenderen, als den mit unbekannten Typen. So richtig überzeugt davon, monogam zu werden, war er trotzdem nicht. Entweder weil er dafür noch zu jung oder der Richtige bisher nicht aufgekreuzt war.

Als Abel den Vorschlag machte, beim Sternzeichen-Shopping im RÜWE-Markt auch für ihn einen Mann zu suchen, stimmte er sofort zu. Wenn man bedachte, dass schon zwei Paare dadurch ihr Glück gefunden hatten, dürften für ihn die Chancen doch ebenfalls gut stehen. Oder war es andersherum? War das vorhandene Glückspotential damit ausgeschöpft?

Jedenfalls verabredete er sich mit Abel, dessen Partner Alex sowie Eric und Silas, einem weiteren Pärchen, im RÜWE-Markt, um die Lage zu checken. Hinterher wollten sie zusammen auf die Piste gehen.

Abel und Alex holten ihn ab. Gemeinsam gingen sie zum Supermarkt, wo sie sich im Eingangsbereich an einem der Bistrotische postierten. Wenig später stießen Eric und Silas zu ihnen. Während die anderen einander beschnupperten, beobachtete Kai den Eingang. Als eine südländische Sahneschnitte hereinkam, rieb er sich innerlich die Hände. Ein hübsches Zielobjekt. Er überließ es seinen Mitkaffeetrinkern, die leeren Becher zur Geschirrrückgabe zu bringen, lief zu den Einkaufskörben, nahm einen und hängte wahllos das Sternzeichen Waage daran. Sein eigenes, Waage, war ihm zu langweilig.

In der Hoffnung, dort auf den Südländer zu treffen, steuerte er direkt die Käsetheke an. Tatsächlich befand sich der Typ in der Nähe, nämlich am Fleischtresen. Er schnappte sich zwei Gläser von dem bereitstehenden Tablett, Feuer und Flamme, die Jagd zu eröffnen, da sprach ihn der Käseverkäufer an: „Hi. Du bist Waage?“

Was für eine blöde Anmache! Kai schnaubte verächtlich und antwortete, ohne die Sahneschnitte aus den Augen zu lassen: „Nein. Ich bin in Wirklichkeit Jungfrau, aber sag’s nicht weiter.“

„Meine Lippen sind versiegelt“, erwiderte der Käseheini. „Darf ich dich auf einen Kaffee einladen? In einer Stunde hab ich Feierabend."

Kai wandte seine Aufmerksamkeit dem Mann zu. Braune Haare, blaue Augen und ein recht sympathisches Gesicht. Unter anderen Umständen, also, wenn der Typ nicht Käseverkäufer wäre, würde er sich durchaus interessieren, aber so … never ever.

„Sorry, aber ich bin schon verabredet“, gab er, für seine Verhältnisse erstaunlich diplomatisch, zurück. „Ich muss leider weiter.“

„Vielleicht ein anderes Mal?“, hielt ihn der Typ auf.

„Weiß nicht. Nein, ich glaube nicht.“

Der Käseverkäufer, mit enttäuschter Miene, ließ ihn endlich in Ruhe. Leider zu spät. Mittlerweile hatte sich sein Zielobjekt vom Acker gemacht. Nacheinander kippte Kai den Inhalt beider Gläser in sich rein, knallte sie aufs Tablett und marschierte davon.

Nach einigen Metern traf er auf Abel und Alex. Missmutig schimpfte er: „Ist das zu fassen? Da macht mich doch dieser Käsefuzzi an, als ich mir gerade ein Glas Sekt nehmen und einen schnuckligen Italo anbaggern will.“

„Wie anmachen?“, erkundigte sich Abel. „Durftest du dir keines nehmen?“

„Doch, aber der hat mich angeflirtet.“ Entrüstet stieß Kai Luft aus. „Ich will doch keinen Typen, der nach Käse stinkt.“

„Und was ist mit dem Italo?“, fragte Alex, zugleich spottete Abel: „Ist da jemand ein klitzekleines bisschen oberflächlich?“

„Der Schnuckel hat sich unterdessen aus dem Staub gemacht“, erwiderte Kai, ohne auf die Stichelei zu reagieren. Abel hatte ja Recht, aber das würde er niemals zugeben.

Den ganzen Abend ärgerte sich Kai darüber, vom Käsefuzzi davon abgehalten worden zu sein, den sexy Südländer flachzulegen. Gegenüber den anderen mimte er gute Laune, da er kein Spielverderber sein wollte. Er beschloss, am nächsten Samstag erneut sein Glück zu versuchen. Vielleicht war der geile Typ dann auch wieder da oder zumindest ein vergleichbares Exemplar.

Am folgenden Morgen wachte er mit einem Kater auf. Den Tag verbrachte er überwiegend auf der Couch und schwor dem Alkohol ab. Das tat er nicht das erste Mal, meinte es aber diesmal wirklich ernst. Es war doch Scheiße, nur wegen ein paar Gläsern zu viel, derart schlimm zu leiden.

In den Tagen darauf geriet der Südländer fast in Vergessenheit, da auf seiner Arbeitsstelle, einem großen Laden für Herrenkleidung, die Hölle los war. Zwei Kollegen krank, einer in Urlaub, womit alles an ihm hängenblieb. Außerdem durfte er auch noch samstags antanzen, obwohl er eigentlich freigehabt hätte. Kai liebte seinen Job inmitten all der schönen Klamotten, aber ständig wollte er trotzdem nicht im Geschäft stehen. Wenigstens stopfte der Bonus, den der Chef ihm als Ausgleich versprach, ein wenig das chronische Loch in seiner Kasse.

Normalerweise wäre er mit seinem Verdienst gut ausgekommen, zumal er seinen Wagen abgeschafft hatte. Leider-leider besaß er einen kostspieligen Fetisch: Designerkleidung. Obwohl er zum Vorzugspreis einkaufte, überstieg dieses Hobby regelmäßig sein Budget. Immer wieder versuchte er sich zu mäßigen, doch spätestens bei einer neuen Kollektion vergaß er seine guten Vorsätze.

Obwohl er gar nicht in Stimmung war, nach dem langen Samstag im Laden, machte er sich gegen zehn auf den Weg zu RÜWE. Ein bisschen auf Krawall gebürstet, als Kompensation für den Stress, enttäuschte es ihn, dass hinter der Käsetheke ein anderer Mann als beim letzten Mal stand. Ein weiterer Schlagabtausch mit seinem unerwünschten Verehrer wäre genau richtig gewesen, um Dampf abzulassen. Hinzukam, dass er weit und breit keinen interessanten Typen erspähte.

Ziellos wanderte er durch den Laden und wurde von Minute zu Minute aggressiver. Als er den Käseheini, der Konservendosen zu einer Pyramide stapelte, in einer der Regalreihen entdeckte, frohlockte er. Gemächlich schlenderte er näher und tat, als ob er etwas Bestimmtes suchte.

Bei dem Typen angekommen, mimte er Überraschung. „Oh! Heute mal nicht in der Käseabteilung? Sind Sie befördert worden?“

Der Mann zuckte lediglich die Achseln und fuhr mit der Arbeit fort.

Kai lag eine bissige Bemerkung auf der Zunge, ob dem Typen denn der Käsegestank nicht fehlen würde, da sah er den Südländer am Ende der Reihe vorbeigehen. Sofort nahm er die Verfolgung auf, wobei er sein Körbchen mit dem Schütze-Sternzeichenanhänger schwang. Das Zielobjekt bewegte sich in Richtung Obst- und Gemüseabteilung, stellte er fest und verlangsamte seine Schritte. Halb hinter einem Aufsteller mit Nussnougatcreme verborgen, beobachtete er den Mann. Der Typ nahm mehrere Melonen in die Hände, bis er eine davon in den Einkaufswagen legte. Als nächstes steuerte er die Weinabteilung an, was Kai veranlasste, seine Deckung aufzugeben und neue zu suchen.

Auf diese Weise folgte er dem Mann durch den halben Markt. Leider kamen sie dabei nie in die Nähe des Käsetresens, so dass die Sektgläser außer Reichweite blieben. Schließlich schob der Typ den Einkaufswagen auf die Kassen zu. Kai, dessen Körbchen weiterhin leer war, warf eilig eine Tüte Chips hinein und stellte sich hinter dem Mann in die Schlange.

An Sahneschnittchens Wagen hing kein Sternzeichen, was Kai jedoch nicht davon abhielt, den Typen anzugraben. „Hallöchen. Auch am Einkaufen?“

Der Mann drehte sich zu ihm um. Samtbraune Augen, hübsch geschwungene Lippen. „Sehr witzig.“

Kai setzte sein schönstes Lächeln auf. „Nicht wahr? Trinkst du einen Kaffee mit mir?“

Einen Moment musterte ihn der Mann, nickte dann und wandte sich wieder nach vorn. Also, gesprächig war anders. Hoffentlich wurde der gemeinsame Kaffee nicht zu einer Schweigestunde. Oder sollten sie lieber gleich zu geistigen Getränken übergehen, um Sahneschnittchens Zunge zu lösen? ‚Moment!‘, ermahnte sich Kai im Geiste. ‚Kein Alkohol in den nächsten Wochen. Ähm … jedenfalls nicht übermäßig.‘

Inzwischen war das Zielobjekt damit beschäftigt, die Waren aufs Band zu legen. Netter Arsch, stellte Kai zufrieden fest. Auch wenn der Mann die Zähne nicht auseinanderbekam: Ein Augenschmaus war er schon. Im Bett brauchte man sowieso nicht sabbeln. Das wirkte zumeist sogar störend, vor allem kurz vorm Orgasmus.

Kai hatte mal einen Typen abgeschleppt, der vorm Höhepunkt anfing, über Steuergesetze zu lamentieren. Vielleicht ein Mittel, um das Abspritzen hinauszuzögern. Bei ihm hatte es jedenfalls funktioniert. Der Typ war als einziger gekommen und gleich darauf von ihm gegangen worden.

Er bezahlte für die Chips und gesellte sich zum Zielobjekt, das die Waren in zwei Jutetaschen packte. „Wohnst du in der Nähe?“

„Mhm. Zehn Minuten zu Fuß.“

„Wo denn genau?“

„Am Steindamm.“ Sahneschnittchen seufzte. „Da passe ich zwar von der Nationalität her hin, aber mir ist es ein bisschen zu viel Multi. Schon krass, wie sehr sich die Szene innerhalb weniger Straßenzüge ändert.“

„Und deshalb kommst du hierher zum Einkaufen?“

„Ich mag das tolerante Ambiente, außerdem ist die Auswahl größer.“

„Soll ich schon mal Kaffee ordern?“, schlug Kai vor.

„Mach das. Ich bring nur kurz den Wagen weg. Ach ja: Ich bin Luca.“

„Angenehm. Kai.“

Luca zwinkerte ihm zu und schob mit dem Wagen von dannen. Vorfreudig leckte sich Kai, angesichts der appetitlichen Kehrseite, über die Lippen, bevor er an den Tresen des Bäckerstandes trat. „Zwei Kaffee, bitte.“

In der nächsten halben Stunde entpuppte sich Luca als regelrechte Plaudertasche. Wild gestikulierend berichtete er von der Heimat Sizilien, aus der die Familie vor zwanzig Jahren nach Deutschland gezogen war. Luca, damals zwölf, erzählte, anfangs arge Probleme mit der Sprache und Mentalität gehabt zu haben. Von ersterem merkte man allerdings nichts mehr. Lucas Deutsch war perfekt. Inzwischen lebten die Eltern, beide Rentner, wieder auf Sizilien.

„Da hat sich auch vieles verändert“, meinte Luca mit deutlichem Bedauern. „Alles ist touristisch ausgerichtet. Manches hab ich gar nicht wiedererkannt, als ich letztes Jahr unten war.“

„Wann warst du denn davor das letzte Mal da?“

Luca runzelte die Stirn. „Ungefähr vor fünfzehn Jahren.“

„Das ist aber auch ein langer Zeitraum.“

„Mich hat nichts hingezogen. Man würde mich dort lynchen, wenn rauskäme, wie ich ticke.“

Kai konnte sich gut vorstellen, dass in manchen Regionen Italiens noch Mittelalter herrschte. Das war ja selbst in Deutschland teilweise so. Um die etwas getrübte Stimmung wieder aufzuhellen, wechselte er das Thema: „Welches Sternzeichen bist du?“

„Stier. Und du bist Waage?“

„Das war nur Tarnung. In Wirklichkeit bin ich Widder.“

„Tarnung?“ Luca lachte. „Du bist echt ein Scherzkeks. Wen wolltest du denn mit dieser Täuschung anlocken?“

Kai zuckte die Achseln. „Ich bin nicht auf ein bestimmtes Tierkreiszeichen aus. Im Grunde glaube ich nicht an den Kram.“

„Also, ein bisschen glaube ich schon daran. Ich hab einige Eigenschaften, die genau passen.“

„Die findest du in jedem Sternzeichen. Alles Humbug“, widersprach Kai und leerte seinen Becher. „Wie ist es? Gehen wir zu dir?“

Luca gluckste. „Siehst du? Typisch Widder.“

„Wie meinst du das?“

„Zielstrebig und abenteuerlustig.“

Kai lächelte geschmeichelt. „Das sind doch gute Eigenschaften.“

„Als bedächtiger Stier muss ich erstmal darüber nachdenken.“ Luca zog die Stirn kraus, rieb sich die Nasenwurzel und meinte schließlich: „Okay. Ich glaube, das ist eine gute Idee. Meine Einkäufe müssen eh in den Kühlschrank.“

Pragmatisch war der Stier also auch. Amüsiert grinsend brachte Kai die Becher zur Geschirrrückgabe und schloss sich Luca an, der den Ausgang ansteuerte.

Er bewegte sich selten in die Richtung, die sie einschlugen. Sein bevorzugtes Revier lag auf der anderen Seite der Langen Reihe, wo man schnell zur Außenalster gelangte. Sie gingen durch einen schmalen Weg, der beidseitig von Neubauten gesäumt war, kamen an verschiedenen Gay-Clubs vorbei.

Hinter dem Hansaplatz änderte sich die Umgebung, als würde man einen ganz anderen Stadtteil betreten: Heruntergekommene Gebäude, Schnellimbisse und Läden aller möglichen Nationalitäten, wobei die türkischen klar überwogen. Als sie den Steindamm erreichten, war es ein regelrechter Kulturschock. Wohin man auch sah, Kopftücher, Turbane und Bärte und das in unmittelbarer Nähe der tolerantesten Meile der Stadt. Na ja, der eine oder andere Sex-Shop passte auch nicht zu dem Bild.

Luca stoppte vor einem Hauseingang, zog ein Schlüsselbund hervor und schloss auf. Im Treppenhaus roch es undefinierbar. Während er hinter Luca die Stufen hinaufstieg, versuchte er den Geruch zu identifizieren. Mottenkugeln fielen ihm dazu ein. Vielleicht Bohnerwachs? In jedem Fall Essensdüfte, vorwiegend mit Knoblauch.

Lucas Wohnung lag im dritten Stock. Angenehm sauberer Duft schlug Kai entgegen. Neugierig schaute er sich um, während Luca die Einkäufe in die Küche trug. Viel gab es nicht zu sehen. Eine Tür führte ins Bad, die zweite ins Wohnzimmer und die letzte in einen kleinen Schlafraum. Mal wieder war Kai froh über sein geräumiges Heim. In solchem Hamsterkäfig würde er auf Dauer die Wände hochgehen.

„Möchtest du was trinken?“, rief Luca.

„Was steht zur Auswahl?“, gab er zurück, schlüpfte aus Jacke und Schuhen und betrat die kleine Küche.

Der Raum war bis in den letzten Winkel vollgestopft. Überall standen, hingen oder lagen Dinge, die man zum Kochen benötigte. Auf der Fensterbank: Eine Galerie frischer Kräuter, die würzigen Geruch verströmten.

„Rotwein, Rotwein oder Rotwein“, zählte Luca auf. „Quatsch! Natürlich kannst du auch Bier, Wasser oder Cola haben.“

„Dann nehme ich Rotwein.“

Mit einem anerkennenden Nicken holte Luca eine Flasche sowie zwei Gläser aus den Schränken. „Ich schlage vor, den Aperitif im Bett zu trinken.“

Eine gute Idee. Er folgte Luca in die Schlafkammer, die neben dem breiten Bett kaum Platz bot. Es reichte nur für einen Nachtschrank, auf dem Luca den Wein und die Gläser abstellte. Ansonsten gab es noch einen Kleiderschrank, der eine ganze Wand einnahm.

Flink ließ Luca alle Hüllen, bis auf schwarze Pants, fallen und krabbelte aufs Bett. Kai zog sich ebenfalls bis auf seine Boxer aus und gesellte sich dazu. Ein Weilchen plauderten sie bei einem Glas Wein, bevor es zur Sache ging. Luca war zwar sehr sexy, aber irgendwie sprang der Funke nicht über. Es fühlte sich schon gut an, doch Kais Herz blieb unbeteiligt. Klar, schließlich war er nicht verliebt, hatte jedoch gehofft, dass es beim Bumsen passierte.

Hinterher blieb er aus Anstand noch ein bisschen. Sobald es die Etikette erlaubte brach er auf und versprach, sich in Kürze zu melden, obwohl er nicht vorhatte das zu tun. Luca tat ihm wegen der enttäuschten Miene bloß so leid.

 

Am folgenden Tag rief Abel an und lud sich selbst auf eine Stippvisite zu ihm ein.

Sein Ex-Mann sah toll aus. Er hatte ein bisschen abgenommen und verstrahlte Glück aus allen Poren. Voll ätzend. Na gut, Kai gönnte es seinem Ex, aber ein wenig Neid war ja wohl verständlich.

Bei einer Tasse Kaffee erzählte er Abel von dem Reinfall mit Luca. „Ich dachte, bei so einem schnuckeligen Kerlchen muss es doch einfach zoom! machen“, klagte er. „Oder bin ich eventuell resistent gegen Amors Pfeile?“

„Ts!“ Mit nachsichtigem Blick schüttelte Abel den Kopf. „Du willst es mit der Brechstange erzwingen. Warte doch einfach ab. Vielleicht funkt’s beim nächsten Mal.“

„Das glaube ich nicht“, widersprach Kai. „Entweder es passiert gleich oder gar nicht mehr.“

„Dann guckst du dich eben nach einem anderen um. Vielleicht versuchst du es mal mit deinem Sternzeichen, anstatt ständig mit einer Tarnkappe loszurennen.“

„Daran liegt es nicht. Das ist doch sowieso totaler Schwachsinn. Wenn du mal die Horoskope vergleichst, steht bei jedem das Gleiche, bloß an verschiedenen Tagen.“

„Ach? Liest du die so häufig?“, frotzelte Abel.

„Na ja, ich hab mich schon umfangreich informiert.“

„So, so“, murmelte Abel, eine Augenbraue spöttisch gelüpft. „Ein heimlicher Sternzeichen-Junkie.“

Es gab Momente, in denen er sich fragte, wieso sie geschieden waren. Dieser gehörte nicht dazu.

Nachdem Abel gegangen war, überlegte Kai eine Weile hin und her. Sollte er Luca vielleicht doch eine weitere Chance einräumen? Es stimmte ja, dass man sich manchmal erst auf den zweiten Blick verliebte. Andererseits würde er damit Hoffnungen bei Luca wecken, was unfair wäre. Kai mochte einen oberflächlichen Eindruck machen, konnte aber auch durchaus anders.

Somit war das Thema für ihn erledigt. Er kramte eine seiner Lieblings-DVDs aus seinem versteckten Lager hervor. Wenn Abel wüsste, dass er auf romantische Komödien stand … nein, das würde sein Ex niemals erfahren. Wohlweislich hielt er das geheim, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Während ihrer Ehe hatte er die Filme nur selten sehen können, wenn Abel mal solo unterwegs gewesen war. Umso mehr genoss er es, seit ihrer Scheidung seinem Laster ungehindert zu frönen.

Sternzeichen-Shopping 4 - Stier vs. Wassermann

Luca fühlt sich minderwertig. Als Atze ihn beim Einkaufen anbaggert denkt er, es geht nur um Sex. Das wollten ja alle anderen auch nur. Trotzdem, nichts gegen Bettsport, vor allem mit so einem gut bestückten Kerl. Er nimmt sich aber vor, sein Herz diesmal gut festzuhalten, damit es nicht wieder ausbüxt.

~ * ~

 

1.

Lucas Selbstbewusstsein war stark angeknackst. Zum einen hatte ihn Kais Zurückweisung schwer getroffen, zum anderen waren seine letzten Clubbesuche genauso frustrierend verlaufen: Dafür, im Darkroom gepflegt einen wegzustecken, taugte er, für mehr nicht. Vielleicht - nein, sogar ganz bestimmt - sah er das alles zu eng, schließlich war es schon immer so gelaufen, doch momentan fand er aus dem Tief einfach keinen Ausweg.

Am Samstagabend bekam er spät noch Lust auf etwas Salziges und Bier. Beides hatte er nicht im Haus. Obwohl er direkt nebenan einkaufen könnte, zog es ihn zum RÜWE-Markt. Wahrscheinlich neigte er neuerdings zu Selbstkasteiung.

Im Laden stand er einen Moment unschlüssig vor den Sternzeichen-Anhängern, bevor er sich aus Jux entschloss, Waage und Schütze an seinem Einkaufswagen zu befestigen.

Als er durch die Käseabteilung wandelte, sah er einen blonden Hünen mit einer alten Dame Sekt trinken. Ein großer Altersunterschied war ja heutzutage modern. Allerdings fragte er sich, ob rund vierzig Jahre nicht doch ein bisschen viel waren. Eventuell besaß die Frau ein Vermögen, was bekanntermaßen einiges wettmachte.

Nachdem er sich in der Getränkeecke mit Bier eingedeckt hatte, schob er seinen Wagen in die Abteilung mit höherprozentigem Zeug. Eine Flasche Jim Beam leistete dem Sixpack Pils Gesellschaft. Als nächstes landeten Bio-Chips, Geschmacksrichtung Paprika, im Einkaufswagen. Man musste bei dem Kram höllisch aufpassen, sonst kaufte man aus Versehen etwas Widerliches, wie beispielsweise die Sorte Barbecue, und ärgerte sich zu Hause schwarz.

Kurz entschlossen suchte er erneut die Käseabteilung auf. Ein paar Käsewürfel würden das nächtliche Festmahl abrunden.

Die Seniorin stand immer noch dort und unterhielt sich mit dem Riesen. Ihr Gehwagen war mit unechten Rosen behängt. Eine hübsche Idee. Wenn Luca soweit war, einen Rollator zu benötigen, plante er, selbigen mit Folgendem ausstatten zu lassen: Einer Hupe, einem Rammbock und seitlich ausklappbaren Messern, um gegnerische Reifen aufzuschlitzen. Garantiert wurden bis dahin die Bürgersteige von Greisen bevölkert, die einander mit ihren Rollatoren den Platz streitig machten. Da musste man entsprechend ausgerüstet sein.

Am Käsetresen beäugte er die Auslage. Sein Parmesanvorrat ging zur Neige, also bat er um ein 100 Gramm Stück Parmigiano Reggiano. Er rieb den Käse lieber selbst, dann war dieser frischer. Für die Käsewürfel schwankte er zwischen einem mittelalten Gouda und einem Emmentaler. Letztendlich entschied er sich für letzteren.

„Hallöchen, du Waage-Schütze“, sprach ihn unversehens der blonde Riese an. „Trinken wir ein Schlückchen Sekt zusammen?“

Die alte Dame war inzwischen weitergezogen. Luca ließ den Blick über die breite Brust des Typen nach oben wandern. Aus der Nähe sah der Hüne noch beeindruckender aus: Blaue Augen und circa zwei Meter muskelbepackter Körper. „Warum nicht?“ Er nahm sein Käsepaket entgegen und schob den Einkaufswagen ein Stück beiseite, um der hinter ihm stehenden Frau Platz zu machen.

Der Riese nahm zwei Gläser vom bereitstehenden Tablett, gab ihm eines und stellte sich vor: „Ich bin Atze, Sternzeichen Wassermann. Kein Schimmer, ob das zu Waage-Schütze passt. Hast du eine Ahnung?“

Schamlos spähte Luca zwischen Atzes Beine, bevor er erwiderte: „Die Sterne stehen gut für solche Verbindung.“

Atze lachte polternd. „Du bist ein Witzbold. Prösterchen.“

Sie stießen an. Während Atze das Glas in einem Zug leerte, nippte Luca nur an seinem. Dieses Prickelzeug war nicht sein Ding, Atzes Gemächt allerdings schon. Da schien sich ein ordentlicher Hammer in der Jeans zu befinden. Fragte sich nur, ob Atze mit dem Teil auch umgehen konnte. Diesbezüglich hatte er bereits einige schlechte Erfahrungen gesammelt. Größe war eben nicht alles.

„Was hast du denn heute noch vor?“, erkundigte sich Atze, stellte das leere Glas aufs Tablett zurück und äugte in seinen Einkaufswagen.

„Eine kleine Party mit mir und dem Fernseher.“

„Klingt aber etwas einsam. Schade, dass ich gleich zur Arbeit muss, sonst hätte ich dir Gesellschaft geleistet.“

Selbstvertrauen besaß Atze schon mal für drei. „Was arbeitet man denn an einem Samstag um diese Zeit? Bist du Türsteher?“, entgegnete Luca.

„So ähnlich. Mir gehört das Dorf.“

„Ja, klar. Und ich bin der Kaiser von China.“

„Nein, wirklich.“

„Aber wenn das so ist, dann lässt du doch arbeiten. Ansonsten hast du was verkehrt gemacht.“

Atze zuckte die Achseln. „Die Leute mögen es halt gern, wenn der Chef sie persönlich bedient.“

„Und woher wissen die, dass du der Chef bist?“

Wortlos zog Atze die Jeansjacke auseinander. Darunter prangte, in goldenen Lettern auf einem schwarzen T-Shirt, der Schriftzug ‚Hier hab ich das sagen‘.

„Sehr eindrucksvoll“, befand Luca spöttisch. „Das kann ja jeder von sich behaupten.“

„Mag sein, aber ich strahle die dazugehörige Autorität aus.“

Dagegen wusste er nichts einzuwenden. „Sorry, aber ich muss jetzt weiter. Meine Glotze wartet.“

„Gib mir mal deine Handynummer. Ich würde dich gern wiedersehen.“

„Sorry, aber ich hab gar keins“, log Luca.

„Dann deine Telefonnummer. Nun sag nicht, dass du nicht mal einen Festnetzanschluss besitzt. Und wie heißt du überhaupt?“

„Ich bin Luca. Hör mal … nimm‘s mir nicht übel, aber das mit uns …“ „Schöner Name“, fiel Atze ihm ins Wort. „Machen wir es doch einfach so: Ich bin am Wochenende immer im Laden. Wenn du Interesse hast, lass dich dort blicken.“

Ein guter Vorschlag. So konnte er sich ohne schlechtes Gewissen aus dem Staub machen. „Okay. War nett, dich getroffen zu haben. Mach’s gut.“ Er stellte sein halbvolles Glas aufs Tablett, schnappte sich seine Einkaufswagen und schob davon.

Auf dem Heimweg überlegte er, ob er nicht doch noch ins Dorf gehen sollte. Eine bessere Alternative zu dem Abend vorm Fernseher stellte das schon dar. Als er zu Hause ankam, stand sein Entschluss fest. Rasch verstaute er seine Einkäufe, tauschte sein T-Shirt gegen ein frisches weißes mit der Aufschrift ‚Heiße Ware‘ und stylte seine Haare mit ein bisschen Gel.

Zwanzig Minuten später betrat er das Dorf und drehte eine Runde durch die zwei Discos und drei Kneipen. Für die Uhrzeit war erstaunlich viel los, denn normalerweise gingen die meisten Leute samstags erst nach Mitternacht aus.

Er setzte sich an den Tresen, hinter dem Atze und ein weiterer Barkeeper bedienten. Atze schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, war aber am anderen Ende beschäftigt. Luca bat den Kollegen um ein Pils. Nachdem Bier und Geld ihren Besitzer gewechselt hatte, drehte er sich auf dem Hocker um und betrachtete die Gäste. Angesichts der lachenden und schwatzenden Leute überkam ihn Selbstmitleid. Er wollte so gern dazugehören, aber irgendwie hatte er es nie in eine Clique geschafft. In der Schule war er ein Außenseiter gewesen, wegen seiner Sprachprobleme und Unsportlichkeit. Danach hatte sich auch nichts ergeben.

„Hi Luca“, sprach Atze ihn von hinten an, woraufhin er sich umwandte. „Schön, dass du es her geschafft hast.“

„Ich dachte, ich schau mal auf ein Bierchen rein.“

Die Arme auf dem Tresen verschränkt, beugte sich Atze vor. „Erzähl doch mal was über dich. Wo kommst du her?“

„Sizilien.“

Atze warf einen vielsagenden Blick auf sein T-Shirt. „Ah! Also ein heißblütiger Italiener.“

„Das ist eher auf was anderes gemünzt. Du weißt schon, Drogen und so.“

„Sowas kenne und nehme ich nicht“, behauptete Atze mit einem Augenzwinkern. „Tanzt du?“

„Ähm … wieso?“

„Weil ich Lust hab, mit dir das Tanzbein zu schwingen.“ Ohne seine Antwort abzuwarten, winkte Atze den Barkeeper herbei. „Bin mal für eine Viertelstunde weg. Kommst du klar?“

Der Typ nickte und begab sich zurück zur Zapfanlage. Atze umrundete den Tresen, fasste nach seiner Hand und zog ihn in die gegenüberliegende Disco. Dort wurde Rock der Achtziger gespielt, womit Luca einigermaßen etwas anfangen konnte. Bei Techno oder anderer monotoner Mucke wäre er aufgeschmissen gewesen.

An Atze war definitiv kein Profitänzer verlorengegangen. Amüsiert beobachtete Luca, wie sein Gegenüber von einem Fuß auf den anderen trat und dazu die Arme schwenkte. Es schien Atze, trotz der belustigten Blicke anderer Tänzer, Spaß zu machen und das war, was zählte.

Auf zwei rockige Songs folgte ein langsamer. Atze schlang beide Arme locker um seine Schultern und begann, sich gemächlich hin und her zu wiegen. Der Duft frischen Schweißes und eines herben Rasierwassers kitzelte angenehm in Lucas Nase. Er hatte das energische Kinn direkt vor den Augen, da Atze ihn um einige Zentimeter überragte.

„Mhm. Du riechst gut“, brummelte Atze, die Nase in sein Haar gesteckt.

Der Dorf-Chef war voll auf Flirtkurs. Das hätte Luca geschmeichelt, wäre da nicht Atzes Erektion, die er an seiner Hüfte spürte. Bei sexuellem Notstand kam einem Mann so manches über die Lippen. Er hatte auch schon Liebesgeständnisse gehört, nur damit er auf die Knie ging. Insofern war er gegen solches Gesäusel gefeit.

„Gehen wir morgen Mittag zusammen essen?“, fragte Atze.

„Leider bin ich schon verabredet“, flunkerte Luca.

„Wie sieht es mit abends aus? Allerdings muss ich um sieben schon wieder hier sein.“

„Dann ist das auch schlecht.“

„Schade. In der Woche arbeitest du bestimmt, oder?“

„Jedenfalls tagsüber.“

„Und nächstes Wochenende?“, bohrte Atze weiter.

„Da hab ich noch nichts vor.“

„Wunderbar!“, frohlockte Atze. „Dann bist du jetzt mit mir verabredet.“

„Wann denn? Samstag oder Sonntag?“

„Hättest du Lust auf einen Kurztrip an die Ostsee?“

„Wenn das Wetter schön ist, ja.“

„Wo ich bin, scheint immer die Sonne.“ Atze gluckste. „Okay. Dann buche ich für uns ein Wellness-Wochenende mit allem Schickimicki. Du bist natürlich eingeladen.“

„Das kann ich nicht annehmen.“

Das Stück endete. Atze dirigierte ihn von der Tanzfläche in den Gang, wo es etwas leiser war. „Keine Widerrede. Ich wollte eh mal raus. Zu zweit ist es doch viel schöner.“

Außerdem hätte Atze dann einen Stück Fickfleisch im Gepäck. Ach, egal. Atze schien ganz okay zu sein. „Also gut. Aber ich möchte mich wenigstens ein bisschen beteiligen.“

„Du darfst ein Abendessen bezahlen“, schlug Atze vor.

„Abgemacht.“

„Ich muss wieder an die Arbeit. Bekomme ich denn nun deine Telefonnummer?“

Luca nickte und folgte Atze in die Kneipe, wo er wieder am Tresen Platz nahm und sein Smartphone hervorholte. Atze kommentierte das bloß mit einem Grinsen, zückte ebenfalls ein Handy und diktierte ihm die Nummer. Kurz darauf hatten sie sich gegenseitig gespeichert.

Drei Pils später verließ Luca das Dorf. Er war noch zweimal tanzen gewesen, allerdings allein. Atze hatte nämlich alle Hände voll zu tun und nur Zeit für ein paar Wortwechsel zwischendurch gehabt.

Gemächlich legte Luca den Heimweg zurück. Nachtschwärmer kamen ihm entgegen oder überholten ihn. Die Luft roch nach Spätfrühling und Döner. Gelächter und gedämpfte Musik drang an sein Ohr, wann immer er an einem der vielen Läden vorbeiging. In solchen Nächten hatte man den Eindruck, irgendwo im Süden, anstatt in St. Georg zu sein.

In seiner Wohnung angekommen öffnete er ein weiteres Bier und ließ sich damit im Wohnzimmer auf der Couch nieder. Konnte er es echt wagen, mit Atze ein ganzes Wochenende zu verreisen? Andererseits lag die Ostsee gleich um die Ecke. Sollte es ihm nicht gefallen, fuhr er eben mit der Bahn zurück.

Impressum

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock depositphotos
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - dankeschön
Tag der Veröffentlichung: 08.06.2019

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