Eine Anthologie der Homo Schmuddel Nudeln
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autoren und erwerben eine legale Kopie. Danke!
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Korrekturen: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Kooky Rooster, Sissi Kaiserlos
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Kontakt für die Nudeln: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/
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Für die Homo Schmuddel Nudeln
Sissi Kaiserlos
Hamburg im Frühjahr 2019
Armin steuerte auf den Eingang des Frühlingsdoms zu. Das Wetter war gut und da ihm nichts Besseres einfiel, hatte er sich zu einem Dombummel entschlossen. Eigentlich verabscheute er Menschenmengen, aber zumindest gab es etwas zu gucken und er liebte gebrannte Mandeln. Mal abgesehen davon, erinnerte ihn der Rummel an jemanden.
Langsam wanderte er an den Süßwaren-Buden, die stets hinterm Eingangstor standen, vorbei. Er wollte wenigstens die Hälfte des Rundgangs hinter sich bringen, bevor er seinem Naschbedürfnis nachgab, daher ging er an den Auslagen vorbei.
Kaum hatte er die Gasse hinter sich gelassen, erschlug ihn von drei Seiten verschiedene Musik. Gegenüber spielte man Volkstümliches, passend zu dem Fahrgeschäft im bayerischen Stil, rechts, im Autoskooter, erklang Rap und links irgendein Discosong. Das besaß hohen Gruselfaktor. Wie auf Kommando folgte als Nächstes eine Geisterbahn, aus der Gejohle mit mystischer Musikuntermalung drang.
Lothar – zu Studienzeiten von allen nur Lotti genannt – hatte ihn oft in solche Bahn gezerrt und sich schlappgelacht, wenn er wegen irgendeines Effekts zusammenzuckte. Nach dem Abschluss waren sie getrennte Wege gegangen. Lothar hatte eine Stelle im Osten angenommen, er eine in Hamburg. Seitdem herrschte Funkstille, wie mit vielen ehemaligen Kommilitonen, allerdings mit dem Unterschied, dass er mit den anderen keine Liebesbeziehung unterhalten hatte.
Während er weiterschlenderte, kamen noch mehr Erinnerungen hoch. Lothar hatte stets, wenn sie gemeinsam über den Dom bummelten, an einer Schießbude haltgemacht. Meist reichten die Zielkünste nur für eine Plastikrose, seltener für einen größeren Gewinn. Ein besonders hässliches Plüschsaurier-Exemplar besaß Armin noch einer solchen Gelegenheit. Lothar hatte es ihm mit den Worten „Für meinen Lieblings-Dino“ überreicht. Tja. Mit Studienende hatte es sich aus-ge-Lieblings-Dinot.
Damals, vor sechs Jahren, war Armin am Boden zerstört gewesen. Inzwischen hatte er das Thema abgehakt, zwei Kurzbeziehungen hinter sich und lebte als glücklicher Single. Okay, das war übertrieben. Mit der Situation im Reinen traf es eher. Es gab eben niemanden, der dauerhaft zu ihm passte. Punkt.
An einem Losstand ließ er sich von einem der Verkäufer bequatschen und kaufte einige Lose, alles Nieten. Als hätte er das nicht schon vorher geahnt. Er hatte eben kein Glück, weder im Spiel noch in der Liebe.
Kurz darauf sah er ein Schild, das auf ein Mittelalterdorf hinwies. Ach ja. Davon hatte er in der Zeitung gelesen. Er bog also ab und beäugte die altertümlich aufgemachten Buden, in denen allerlei Handarbeiten angeboten wurden. In der Mitte des Dorfes gab es einige Essensstände, von denen verführerischer Duft ausging. Armin widerstand der Versuchung, da er ohnehin mit seinem Gewicht zu kämpfen hatte. Die Mandeln waren für heute seine einzige eingeplante Sünde. Er gönnte sich nur ein Glas Bio-Apfelpunsch, den er an einem der Stehtische langsam schlürfte und das Treiben umher beobachtete.
Unter den bunt gekleideten Ausstellern befanden sich einige Männer mit langen Haaren. Unweigerlich musste Armin wieder an Lothar denken, der den Spitznamen Lotti dem Zopf verdankte, den er damals häufig trug. Waren die Haare mittlerweile abgeschnitten oder sogar einer Glatze gewichen? Das konnte er sich schwer vorstellen. Lothar hatte auch gern bunte Klamotten angezogen, bevorzugt Rot, Lila und Grün gemischt.
Ein kleines Mädchen, das am Brezelstand plärrte, zog seine Aufmerksamkeit an. Das Kind stampfte mit dem Fuß auf und wies mit dem Finger auf die Brezeln, die an einer Stange hingen. Die Mutter gab Gott sei Dank nach, sodass das Gekreische aufhörte.
„Hi Armin“, sprach ihn plötzlich jemand von der Seite an. „Du auch hier?“
Es handelte sich um Karsten, einen seiner Ex-Kommilitonen, der nie einen Dom ausließ. Armin zuckte die Achseln. „Ich muss doch kontrollieren, ob einer meiner kranken Schüler hier herumhängt.“
„Sklaventreiber“, erwiderte Karsten grinsend. „Stell dir mal vor, wen ich eben getroffen habe: Lotti.“
„Echt?“
„Der ist kürzlich wieder hergezogen.“
„Ach?“
„Falls du ihn auch wiedersehen willst: Eben saß er noch mit seinem Stecher da vorne im Bierzelt.“ Karsten klopfte ihm auf die Schulter. „Bis bald mal wieder.“
Die Hände in den Hosentaschen vergraben, schlenderte Karsten davon. Armin hoffte, obwohl es ihm egal sein konnte, dass sein Pokerface gelungen war. Es hatte ihm einen Stich versetzt, Lothars Namen zu hören, und einen zweiten, als Karsten den Stecher erwähnte. Offenbar war er doch noch nicht über Lothar hinweg. Ein guter Grund, das Bierzelt weiträumig zu meiden.
Er leerte sein Glas, brachte es zurück und steckte das Pfandgeld ein. Langsam schritt er durch die Mittelgasse, tief in Gedanken versunken. Lothar wohnte also wieder hier. Wieso hatte sich der Arsch nicht gemeldet? Na gut, warum sollte Lothar das tun? Sie hatten seit Jahren nichts voneinander gehört.
Am Ende der Gasse sah er rüber zu dem Zelt, in dem wohl sein Ex hockte. Es zog ihn wie mit unsichtbaren Fäden dorthin, dennoch wandte er sich nach links, um seine Runde fortzusetzen. Die Lust auf gebrannte Mandeln war ihm gründlich vergangen. Ihm war eher nach einem starken Cocktail zumute, ach, am besten gleich ein ganzes Dutzend.
An der Achterbahn mit drei Loopings herrschte dichtes Gedränge. Armin schlängelte sich durch die Menge, wobei er mehr Körperkontakt als gewünscht bekam. Erleichtert atmete er auf, als er hindurch war, und peilte den nächsten Getränkestand an.
Anstelle eines Cocktails bestellte er ein Bier. Er vertrug ohnehin nur wenig Alkohol. Den Plastikbecher in der Hand ging er weiter, wobei er ab und zu einen Schluck trank. Lothar spukte in seinem Kopf herum, als ob sie sich erst gestern getrennt hätten. Er hörte noch immer Lothars Worte: „Sorry, aber das mit uns wird eine Fernbeziehung nicht überstehen. Lass es uns also gleich beenden.“
Armin war damals zu verletzt gewesen, um Lothar hinterherzulaufen. Im Nachhinein fragte er sich, ob Lothar vielleicht genau das erhofft hatte. Vielleicht war es nur ein Test gewesen. ‚Klar! Und im Himmel ist Jahrmarkt!‘, spottete eine Stimme in seinem Kopf.
Er warf den leeren Becher in einen Mülleimer, stopfte seine Hände in die Hosentaschen und beschleunigte seine Schritte. Je eher er von diesem verdammten Rummel fortkam, desto besser. Die Umgebung schien ihn verrückt zu machen.
Als er an einer Schießbude vorbeikam, entdeckte er aus dem Augenwinkel lila-grüne Klamotten und einen braunen Zopf. Seine Füße stoppten, obwohl sein Verstand rebellierte, und trugen ihn sogar näher heran. Es war tatsächlich Lothar, der sich, ein Gewehr im Anschlag, über den Tresen beugte. Neben ihm, eine Hand auf seinem Hintern, stand ein großer Blonder. Das dürfte dann wohl der erwähnte Stecher sein.
Hatte er die Begegnung heraufbeschworen, indem er vorhin an Lothar dachte? Das konnte unmöglich ein Zufall sein. Da ging er einmal in sechs Jahren auf den Jahrmarkt und dann das. Andererseits war der Hamburger Dom Lothars Lieblingsspielwiese, insofern passte es wieder. In jedem Fall sollte er zusehen, dass er wegkam, bevor …
„Armin?“ Lothars Stimme hatte sich nicht verändert. Immer noch ein Timbre, das er überall erkennen würde. „Ich glaub’s nicht!“
Im nächsten Moment stand Lothar vor ihm. „Dass ich dich hier treffe … Magst du den Dom inzwischen?“
„Ich wollte eigentlich nur ein paar gebrannte Mandeln kaufen“, erwiderte Armin.
„Ist das dein Ex?“, mischte sich der Blonde ein, der Lothar auf dem Fuße gefolgt war.
„Ja. Und das hier …“ Lothar nickte zu dem Blonden. „… ist Wilbur. Wir haben uns in Dresden kennengelernt.“
„Öhm … angenehm“, murmelte Armin.
„Lothar hat mich überredet, mit ihm hierherzuziehen.“ Wilbur – was für ein Name! – schlang einen Arm um Lothars Taille. „Bisher hab ich es noch nicht bereut. Scheint hier ganz schön zu sein.“
„Und? Was machst du so?“, wollte Lothar wissen.
„Ich bin noch immer an der gleichen Schule.“
„Du haust aber nicht mehr im Studentenwohnheim, oder?“
„Natürlich nicht. Ich hab eine Wohnung in Bergstedt gekauft.“
„In der Nähe deiner Eltern?“
„Genau. Sogar im gleichen Haus.“
Lothar gluckste. „Hast du nicht mal gesagt, da würdest du nicht mal tot überm Zaun hängen wollen?“
„Na ja. Was man in jungen Jahren halt alles so vor sich hin plappert.“ Wie beispielsweise Liebesworte.
„Wir wollten doch ins Riesenrad“, quengelte Wilbur.
„Immer mit der Ruhe. Das ist fest am Boden verschraubt.“ Lothar wandte sich wieder an ihn: „Sehen wir uns mal?“
„Tun wir doch gerade.“
„Gib mir mal deine Handynummer“, bat Lothar und fischte bereits ein Smartphone aus der Jackentasche.
Gezwungenermaßen – er hätte sich sonst lächerlich gemacht – holte Armin ebenfalls sein Gerät hervor, ließ sich Lothars Nummer diktieren und rief ihn an. Seine wusste er nämlich nicht auswendig. Gleich darauf summte Lothars Handy. Sein Ex tippte auf dem Display herum, schob das Gerät zurück in die Tasche und schenkte ihm ein breites Lächeln.
„Tja. Dann mach’s gut. Wir müssen jetzt Riesenradeln.“ Lothar ließ sich von Wilbur, der ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat, davonziehen.
Normalerweise fand sein Ex das Riesenrad öde. Offenbar besaß dieser Wilbur großen Einfluss auf Lothar.
Langsam folgte Armin den beiden. Bei der nächsten Gelegenheit verließ er den Dom und begab sich zur U-Bahn. Der Tag war im Arsch. Es hatte alte Wunden aufgerissen, Lothar wiederzusehen. Am besten sperrte er dessen Nummer und vergaß, dass sie sich gesehen hatten.
Leichter gesagt als getan. In den folgenden Stunden spielte sich die Szene immer und immer wieder in seinem Kopf ab. Hatte Lothar glücklich gewirkt? Wie lange waren die beiden schon zusammen? Was fand Lothar an diesem Typen, der wirkte, als hätte er einen Stock im Rektum? Vielleicht war der gute Wilbur im Bett eine heiße Nummer, frei nach dem Motto, stille Gewässer sind tückisch, oder so.
Diese Gedanken führten unweigerlich dazu, dass er sich an ihre Liebesnächte erinnerte. Anfangs waren sie kaum zum Schlafen gekommen. Lothar war ein leidenschaftlicher, dazu hemmungsloser Liebhaber. Vor allem hatte er Armin das Gefühl gegeben, begehrenswert zu sein, trotz der kleinen Makel wie ein fehlendes Sixpack und ein kurzer Schwanz.
Armin hatte sich gerade so richtig ins Selbstmitleid vertieft, als sein Smartphone summte. Lothars Nummer stand auf dem Display. Er guckte auf die Uhr. Fast elf. Was wollte sein Ex so spät noch? Ach, was wollte der Arsch überhaupt?
„Ja?“, bellte er ins Gerät.
„Hi, hier ist Lothar. Ich parke vor deinem Haus. Magst du runterkommen?“
Armin erhob sich von der Couch, trat auf den Balkon und sah einen froschgrünen Wagen am Bordstein stehen. „Wozu?“
„Ich möchte mir dir reden.“
„Okay. Bis gleich.“ Er steckte das Gerät in seine Gesäßtasche und schnappte sich im Flur die Wohnungsschlüssel. Auf der Treppe fiel ihm auf, dass er noch seine Hausschuhe trug: rosafarbene Plüschkarnickel. Ein Geschenk seiner Mutter, die gern in 1-Euro-Shops herumkramte. Er zuckte die Achseln und setzte seinen Weg fort. Vermutlich fand Lothar die Schlappen sogar toll.
Als er sich dem Wagen näherte, öffnete Lothar die Beifahrertür. Er stieg ein und fragte pampig: „Was soll der Scheiß?“
„Ich möchte bloß unter vier Augen mit dir plaudern. Was ist dagegen einzuwenden?“, gab Lothar zurück, startete den Motor und fügte hinzu: „Schnall dich bitte an.“
Perplex gehorchte Armin. Damit hatte er nicht gerechnet.
Lothar fuhr die Straße runter, bog links ab und hielt auf einem einsamen Parkplatz. Dort war nur tagsüber etwas los, wenn Leute in dem Naturschutzgebiet wandern wollten. Hoffentlich plante Lothar keinen Spaziergang. Das würden seine Plüschhasen nicht gut vertragen.
Lothar wandte sich ihm zu. „Du siehst gut aus.“
„Ähm … danke.“
„Ich hab dich vermisst.“
Was sollte er darauf antworten? Im nächsten Moment hing Lothar an seinem Hals und küsste ihn mit nahezu verzweifeltem Hunger. Überrascht blieb Armin passiv, doch seine Sehnsucht reagierte schneller als sein Verstand: Er erwiderte den Kuss.
Ihre Knutscherei wurde immer verzehrender. Lothar zerrte ihm das T-Shirt aus der Hose, knöpfte Letztere gleich auf und kraulte seinen Rücken. Unter den so lange vermissten Liebkosungen bekam Armin eine Gänsehaut nach der anderen und eine Erektion. Lothar, der in seine Unterwäsche griff, stellte das ebenfalls fest.
„Mhm. Den hab ich auch vermisst“, flüsterte Lothar, die Stimme noch einen Tick tiefer als sonst.
Rasch sorgte Armin für Gleichstand, indem er Lothars Prachtständer aus dessen Hose befreite. Weiterhin am Küssen, holten sie sich gegenseitig einen runter. Kaum gelandet, folgte die Ernüchterung. Armin kam sich vor wie ein Flittchen. Eine etwas zu drastische Bezeichnung, aber sie entsprach seinem Empfinden.
Beschämt den Kopf gesenkt kümmerte er sich mit dem Taschentuch, das Lothar ihm reichte, um die Bescherung. Sein Ex war ebenfalls damit beschäftigt, sich zu säubern.
„Das wollte ich gar nicht“, durchbrach Lothar schließlich die herrschende Stille. „Keine Ahnung. In deiner Nähe knallen meine Synapsen durch.“
„Weiß dein Göttergatte, wo du bist?“, erkundigte sich Armin bissig.
„Öhm … nicht wirklich. Ich hab behauptet, Zigaretten kaufen zu gehen.“
„Seit wann rauchst du?“
„Ich wollte gerade damit anfangen.“ Lothar seufzte. „Na ja … vielleicht überleg ich es mir noch mal.“
„Ich fasse zusammen: Du verschwindest unter falschem Vorwand aus eurer gemeinsamen Wohnung, um mich zu treffen und unsittlich zu berühren?“
„Deine spitze Zunge hab ich auch vermisst.“
„Ach, leck mich doch“, brummelte Armin, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Seitenfenster. „Bring mich nach Hause.“
Lothar gehorchte und hielt mit laufendem Motor vor seinem Wohnhaus. „Ich möchte dich wiedersehen.“
„Vergiss es. Ich bin mir zu schade für Sex im Auto.“ Armin stieg aus, knallte die Beifahrertür zu und stampfte den Weg zur Haustür hoch. Dass er dabei einen Plüschhasen verlor, machte seinen coolen Abgang etwas zunichte. Fluchend sammelte er den Hasen ein und ging die letzten Schritte mit einem Hausschuh und einer Socke.
Zur Abschreckung hängte Armin das spermabefleckte T-Shirt im Schlafzimmer über eine Stuhllehne. Jeden Morgen und jeden Abend, wenn er es sah, schwor er sich, dass so etwas nie wieder vorkommen würde. Nachts träumte er jedoch davon, dass es abermals geschah. Das Fleisch war willig, der Geist … nein, der Geist war willig, das Fleisch schwach. Was für ein blöder Spruch.
Drei Tage herrschte Ruhe, dann stand Lothar wieder vorm Haus. Diesmal zog Armin festes Schuhwerk an, um seinen Abgang würdevoller zu gestalten. Also, den nach dem Sex. Erneut blieb es bei einem Handjob, in dessen Anschluss Lothar ihn vorm Haus absetzte und was von Wiedersehen faselte. Armin beließ es bei einem bösen Blick, bevor er ausstieg und auf die Haustür zustolzierte.
Zurück in seiner Wohnung brach er in Tränen aus. War es sein Schicksal, als Lothars Auto-Konkubine zu enden? Ihm war bewusst, dass er in Selbstmitleid zerfloss, doch momentan brauchte er irgendein Ventil. Er nahm sich fest vor, Lothar beim nächsten Auftauchen die kalte Schulter zu zeigen.
Der Donnerstag- und Freitagabend verliefen ereignislos. Am Samstagabend war er mit ein paar Freunden verabredet, um ins Kino und vorher essen zu gehen. Er überlegte abzusagen, weil er Lothar ja schlecht in Abwesenheit einen Korb geben konnte. Letztendlich traf er sich mit seinen Kumpels, da er keine Lust hatte, den Abend – falls Lothar nicht kam – mit vergeblichem Warten zu verbringen.
Gegen halb zwölf bog er in die Straße ein, in der er wohnte, und sah den froschgrünen Wagen am Bordstein parken. Er steuerte seinen Golf auf den Parkplatz hinterm Haus und checkte sein Smartphone. Während des Kinofilms hatte er es auf stumm gestellt. Von Lothar waren zwei Anrufe und eine Nachricht eingegangen. „Anscheinend bist du unterwegs. Wenn du nach Hause kommst, klopf doch bitte gegen meine Wagentür, um mich zu wecken. LG Lothar.“
Mit einem Mal war er unsicher, ob er Lothar wirklich abweisen sollte. Wenn er es tat, war sein Sexualleben wieder vorüber. Lieber die Taube in der Hand als den Spatz … Quatsch! Andersherum war’s richtig.
Langsam ging er zu Lothars Wagen. Er hatte das Fahrzeug noch nicht erreicht, da sprang die Fahrertür auf und Lothar stieg aus. Sein Ex sah ganz schön fertig aus. Der sonst so akkurate Zopf wirkte zerzaust und die Augen waren gerötet.
„Hi. Wartest du schon lange?“, fragte Armin, von einer Welle Mitleid gepackt.
„Geht so. Nur ein paar Stunden.“
Ihm fiel auf, dass Lothar zitterte. Kein Wunder. Tagsüber war es zwar angenehm warm, doch abends sanken die Temperaturen erheblich. In einem Wagen ohne Standheizung dürfte einem ziemlich kalt werden.
„Also … ähm … falls du wieder, dann … ähm … dann sollten wir das wohl lieber im Warmen tun“, stammelte Armin blöde.
„Ehrlich gesagt hab ich ein ganz anderes Attentat auf dich vor. Kann ich bei dir schlafen? Zu Hause gab’s Stress.“
„Du hast dich mit Wilbur gestritten?“
„Ich hab mich von ihm getrennt“, präzisierte Lothar.
„Aber … Okay. Lass uns erst mal hochgehen.“
„Kann ich bleiben? Ich gehe sonst in ein Hotel.“
Lothars Familie hatte Probleme mit Schwulen, daher war der Kontakt abgebrochen. Dorthin konnte Lothar also nicht und zu ihren alten Kumpels dürfte kaum noch ein Draht bestehen. Armin hatte ja selbst nur noch wenige Freunde. „Klar.“
„Danke!“, stieß Lothar hervor, öffnete den Kofferraum und holte eine Trolley heraus.
In seiner Wohnung zeigte er Lothar rasch Bad und Wohnzimmer. „Möchtest du auch einen Tee?“
„Gern. Ich verschwinde mal für kleine Königstiger.“ Lothar huschte ins Bad.
In der Küche stellte Armin den Wasserkocher an und kramte seine Teevorräte, Becher und eine Flasche Rum hervor. Lothar sah ganz durchgefroren aus. Alkohol half da am besten und er konnte auch welchen auf den Schreck gebrauchen. Wilbur und Lothar waren also getrennt. Na ja, das musste nichts heißen. Viele taten sich trotzdem wieder zusammen. Während ihrer dreijährigen Beziehung hatten sie auch zweimal Schluss gemacht, nur um anschließend heißen Versöhnungssex zu haben.
Nachdem er kochendes Wasser in die Becher gefüllt hatte, stellte er sie, zusammen mit dem Rum und einer Zuckerdose, auf ein Tablett.
***
Lothar war heilfroh, endlich von seiner Warteposition erlöst worden zu sein. Seine Füße waren eiskalt, genau wie seine Finger. Drei Stunden hatte er vor dem Haus gestanden, ab und zu eine Runde in der Umgebung gedreht, aber nie lange, aus Sorge, Armin zu verpassen. Wie musste es erst Obdachlosen ergehen, die niemanden hatten, bei dem sie pennen konnten? Die andere Frage war, wie Armin es aufnehmen würde, der Grund für die Trennung zu sein.
Er trödelte im Bad herum, um ein wenig Zeit zu schinden. Zwar hatte er sich alles bereits zurechtgelegt, was er sagen wollte, fand es inzwischen aber doof. ‚Ich liebe dich noch, daher hab ich mit Wilbur Schluss gemacht und will jetzt wieder mit dir zusammen sein.‘ Das klang doch Scheiße, ein bisschen nach Kindergarten; so, als ob er seine Partner nach Lust und Laune wechselte.
Lothar hockte sich auf den Klodeckel und massierte seine Nasenwurzel. Damals gab es für ihn keine Lehrerstelle in Hamburg, also musste er die sich bietende Chance wahrnehmen. Natürlich hätte er stattdessen irgendeinen Job machen können, bis etwas frei wurde, aber wer wollte das schon, mit einem frischen Studienabschluss in der Tasche? Außerdem hatte er eh das Bedürfnis, mal rauszukommen. Der Bruch mit seiner Familie war ihm nämlich ganz schön an die Nieren gegangen. Armin hatte er das nie erzählt, weil er solche Sachen mit sich selbst ausmachte. Mein Gott! Er war so jung und rastlos gewesen und auch Letzteres hatte er für sich behalten.
Im Rückblick war einiges schiefgelaufen. Er hatte zu wenig von sich preisgegeben und Armin ihn stets gebremst, wenn er etwas Spontanes machen wollte. Wären sie mehr aufeinander zugegangen, hätte … hätte-hätte – bescheuertes Wort. Es war nun mal so passiert, basta.
Ein Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenzucken. „Lothar? Lebst du noch?“, drang Armins Stimme durchs Holz.
„Ich komm gleich“, gab er zurück, stand auf und betrachtete sich im Spiegel überm Waschbecken. Letzte Nacht hatte er kaum Schlaf bekommen. Zum einen wegen seines schlechten Gewissens gegenüber Wilbur, zum anderen, weil sie sich in die Haare geraten waren. Gestern ging’s noch darum, dass er zu wenig Lust auf Sex hätte. Er hatte das abgestritten und zum Beweis mit Wilbur geschlafen. Danach war ihm noch elender zumute gewesen, aber zumindest hatte vorläufig Ruhe geherrscht.
Er verließ das Bad, ging ins Wohnzimmer und setzte sich zu Armin auf die Couch. Würziger Duft von Tee mit Rum stieg ihm in die Nase. Er nahm einen der beiden Becher und trank vorsichtig einen Schluck. Das Zeug wärmte wunderbar von innen heraus. Nach einem weiteren Schluck lehnte er sich zurück, beide Hände um den Becher geschlossen.
„Bin ich schuld, dass Wilbur und du …?“, fragte Armin mit deutlichem Unbehagen.
„Es hätte ohnehin gekracht. Wir sind einfach zu verschieden“, wich er aus.
Armins Blick wanderte zu seinen Füßen, die in Socken steckten und die er aneinanderrieb, um sie zu wärmen. „Willst du meine Häschenpuschen anziehen?“
„Wenn ich darf.“
Wortlos streifte Armin die Puschen ab und schob sie zu ihm rüber. Er schlüpfte hinein und seufzte wohlig. Sie waren schön vorgewärmt und himmlisch weich.
„Ist das mit Wilbur endgültig?“, erkundigte sich Armin.
„Ja. Ich hab schon eine Weile meine Zweifel, ob das mit uns gutgeht.“
„Warum hast du dann nicht mit ihm Schluss gemacht, bevor du … ihr hergezogen seid?“
„Er hat vor zwei Monaten hier eine Arbeitsstelle gefunden. Insofern wäre er eh nach Hamburg gezogen, ob nun mit oder ohne mich.“
„Aber mit ihm war’s bequemer“, konstatierte Armin trocken.
„Zugegeben. Außerdem hab ich gehofft, dass das mit ihm und mir vielleicht besser wird.“
Schweigend widmete sich Armin dem Tee. Für den Moment war sowieso alles gesagt, zudem merkte Lothar, wie die Wirkung des Alkohols einsetzte. Seine Lider wurden immer schwerer und er musste ein Gähnen unterdrücken.
„Ich hol dir Bettzeug“, verkündete Armin schließlich und ließ ihn allein.
Während Lothar wartete, schaute er sich neugierig um. Armin war schon immer der bessere Nestbauer von ihnen gewesen. Der Raum wirkte gemütlich, mit den warmen Farben und Holzmöbeln. Ganz anders als das Appartement in Eppendorf, das Wilbur ausgesucht und hauptsächlich eingerichtet hatte. Lothar besaß nur wenige Sachen, da er seinen Aufenthalt in Dresden stets als vorübergehend betrachtet hatte.
Armin kehrte zurück, legte das Bettzeug auf die Couch und sah auf ihn runter. „Ich geh schlafen. Lass uns morgen weiterreden.“
„Okay. Gute Nacht.“
„Nacht“, murmelte Armin und verließ den Raum wieder.
Kurz darauf hörte Lothar die Klospülung rauschen. Er stellte die Becher aufs Tablett, brachte es in die Küche und guckte in den Kühlschrank. Es gab genug Vorräte, sodass eine Hungersnot nicht bevorstand. Mit einer Flasche Mineralwasser ging er zurück ins Wohnzimmer, wo er sich um seine Bettstatt kümmerte.
„Du kommst klar?“, fragte Armin von der Tür her.
„Mhm“, antwortete er, gerade dabei, das Bettlaken festzustecken.
„Dann bis morgen.“
„Schlaf gut“, erwiderte er, legte Decke sowie Kopfkissen auf die Couch und kramte aus seinem Trolley den Kulturbeutel hervor.
Nachdem er im Bad sein Nachtritual erledigt hatte, kuschelte er sich unter die Bettdecke und war im nächsten Moment eingeschlafen.
Graues Morgenlicht drang durch die Vorhänge. Lothar brauchte einen Augenblick, bis ihm einfiel, wo er sich befand. Sofort begann sein Verstand zu arbeiten. Hatte er es gestern richtig angegangen, Armin in Unkenntnis über seine Gefühle zu lassen? War eine angemessene Wartezeit nötig, bevor er damit rausrückte? Änderte das irgendetwas an der Tatsache, Wilbur für Armin verlassen zu haben? An dieser Stelle seiner Überlegungen stand er auf, raffte Decke und Kissen zusammen und trottete rüber in Armins Schlafzimmer.
Im Raum war es stockduster. Entgegen dem Wohnzimmer befanden sich Rollläden vor den Fenstern. Behutsam, um Armin nicht zu wecken, kletterte er auf die freie Bettseite und machte es sich dort gemütlich. Obwohl die Couch okay war, besaß das Bett eindeutig bessere Liegequalitäten.
Er rückte näher zu Armin und sog genüsslich den vertrauten Duft ein. Schon damals hatte er gern an Armin rumgeschnüffelt, was ihm den Kosenamen Schnuffelbär einbrachte. Er war eben ein olfaktorisch geprägter Typ.
„Hm?“, brummelte Armin und blinzelte ihn an. „Ist dir die Couch zu hart?“
„Nö. Nur zu einsam.“
„Willst du etwa Sex?“
„Mir würde Kuscheln momentan voll reichen.“
Überraschend lüpfte Armin die Decke, sodass er drunter schlüpfen konnte. Mit einem behaglichen Seufzer schmiegte er sich an den schlafwarmen Körper. Wie damals trug Armin nur ein T-Shirt zum Schlafen, stellte er fest, als er seine Hand über dessen Rücken tiefer wandern ließ.
„Wie geht’s dir?“, flüsterte Armin.
„Ganz gut. Noch besser würde es mir gehen, wenn ich wüsste, ob du … ob du noch … na ja, ob du mich noch magst.“
„Hätte ich mich sonst im Auto von dir begrapschen lassen?“
Armins damalige konservative Einstellung bezüglich Intimitäten schien sich nicht geändert zu haben. Sehr schön. „Hey! Du hast mich auch begrapscht!“
„Das war reine Gegenwehr.“
Grinsend stupste Lothar mit seiner Nasenspitze gegen Armins. „Also magst du mich noch.“
„Na ja … geht so.“
Abermals ließ er eine Hand runterwandern und umfasste Armins Schwanz, der sich umgehend in einen Ständer verwandelte. „Fühlt sich nach mehr als geht so an.“
„Das ist … ist eine unlautere Methode“, kam, unterbrochen von einem süßen Stöhnlaut, zurück.
„Aber dir gefällt’s, so what?“ Er schnappte nach Armins Lippen.
Es entwickelte sich eine Knutscherei, in deren Verlauf sie ihre Bekleidung verloren. Nackt presste er sich an Armin, umspannte dessen Arschbacken mit beiden Händen und fing an, sein Becken vor und zurück zu bewegen. Das Ganze endete damit, dass Armin auf ihm lag und ihnen zusammen einen runterholte.
Hinterher dösten sie ein wenig, eng umschlungen, in einer Höhle aus zwei Decken. Neben dem betörenden Sex-Aroma, das Armin verströmte, gefiel Lothar besonders, dass sie durch ihre Säfte aneinanderklebten.
„Ich würde gern wieder mit dir zusammen sein“, gestand er leise.
„Hm … weiß nicht. Sollte man Altes wieder aufwärmen?“
„Einige Gerichte schmecken dann sogar besser.“
„Frag mich später noch mal. Momentan bin ich zu weichgekocht und würde ja sagen.“
„Dann sag doch ja.“
Armin seufzte. „Ich werd’s bestimmt bereuen.“
Lothar nahm sich fest vor, Armin dafür keine Gelegenheit zu geben.
„Och, komm schon, mir zuliebe“, drängelte Lothar.
Schmunzelnd gab Armin nach und folgte Lothar zu dem Kassenhäuschen der Geisterbahn. Während sie in der Schlange vor den Gondeln warteten, ließ er das vergangene Jahr Revue passieren.
Er hatte es Lothar nicht leicht gemacht. Drei Monate musste sein Schnuffelbär in Pensionen, Hotels und zum Schluss in einem möblierten Zimmer wohnen. In dieser Zeitspanne hatten sie sich neu kennengelernt. Wie ein frisches Liebespaar waren sie zusammen essen, im Theater, Konzert und was man sonst so tat, gewesen. Auch Sex war in dieser Zeitspanne auf Fummeln beschränkt.
Klaglos hatte Lothar die Bedingungen akzeptiert. Na ja, abgesehen von dem Gejammer, wie kalt das Bett ohne Armin und wie furchtbar es wäre, morgens allein aufzuwachen.
Inzwischen wohnten sie nicht nur zusammen, sondern planten auch, ein Häuschen anzuschaffen. Lothars Wunsch war eines im Speckgürtel Hamburgs mit großem Garten, um darin Kaninchen zu halten; Letzteres wahrscheinlich eine Folge der Plüschpuschen, in die Lothar ganz vernarrt war.
Armins Eltern hatten ihre Wiedervereinigung erst skeptisch, dann mit wachsendem Wohlwollen beobachtet. Die beiden liebten Lothar wie einen eigenen Sohn und waren – genau wie Armin – am Boden zerstört gewesen, als ihre Beziehung zerbrach.
„Schatzi, träumst du?“, holte Lothar ihn in die Wirklichkeit zurück.
Mittlerweile standen sie vor einer der Gondeln und ein Angestellter der Bahn guckte ein bisschen ungeduldig. Sie kletterten also in das Gefährt, legten den Sicherheitsbügel an und los ging’s. Wie jedes Mal, wenn sie um die erste Kurve in die Finsternis fuhren, begann Armins Herz vor Furcht heftig zu klopfen. Er kam jedoch gar nicht dazu, sich vor einer der Attraktionen zu erschrecken, da Lothar ihn in eine Knutscherei verwickelte. Nur einmal, als sie im ersten Stock über einen Balkon fuhren, ließ Lothar kurz von ihm ab. Danach lagen wieder Lippen auf seinem Mund.
Im Nu war die Fahrt vorüber. Beim Aussteigen benötigte Armin Lothars Hilfe, weil seine Knie ganz weich waren. Im Gegenzug hatte sich in seiner Körpermitte ein Betonpfeiler manifestiert.
Lothar hielt seine Hand, als sie die Rampe verließen und weiterschlenderten. Es roch verheißungsvoll nach karamellisiertem Zucker, vermischt mit dem Aroma gegrillter Würstchen. Passend dazu dröhnten die verschiedensten Musikrichtungen auf sie ein. Armin fand das wunderbar.
Überhaupt war er total in den Frühlingsdom vernarrt, der ihm Lothar, seinen Schnuffelbären, zurückgebracht hatte. Vielleicht hatte sich das Blatt gewendet und er zog beim nächsten Mal an der Losbude einen Hauptgewinn. Darauf ankommen lassen wollte er es allerdings nicht. Es gab dort nämlich nur riesige rosa Plüschkraken zu gewinnen. So ein Ding kam ihm nicht ins Haus. Am Ende entwickelte Lothar noch einen Kraken-Fetisch und baute ihren Garten in ein Aquarium um. Zutrauen würde er das seinem Liebsten. Bei Lothar musste man wirklich mit allem rechnen.
Sie hatten gerade das Bierzelt erreicht, hinter dem die Gasse zum Mittelalterdorf – das nun bei jedem Jahrmarkt mit von der Partie war – lag, als jemand rief: „Hey! Lotti! Armin!“
Armin entdeckte Karsten, Dirk und Michael – ebenfalls Ex-Kommilitonen – an einem Tisch. Der vierte im Bunde, welch Überraschung, war Wilbur. Lothar zögerte und tauschte mit ihm einen fragenden Blick, bevor sie zu der Gruppe rübergingen.
„Na, das is’ ja ein Ding“, meinte Karsten, eindeutig nicht mehr ganz nüchtern, und klopfte auf Wilburs Schulter. „Erst treffe ich den Hasen hier, dann euch.“
„Hi“, grüßte Lothar in die Runde und lächelte als Letztes Wilbur zu. „Wie geht’s denn so?“
„Prächtig. Wollt ihr euch nicht dazusetzen?“
„Nö. Armin möchte unbedingt ins Riesenrad“, lehnte Lothar ab. „Viel Spaß noch und man sieht sich.“
„Riesenrad? Wie mopsig“, hörte Armin noch Wilbur tönen, als Lothar ihn weiterzog.
Tja, so änderten sich Geschmäcker. Er fand die Vorstellung, mit Lothar im Riesenrad zu sitzen, spannend. Vielleicht geschah in luftiger Höhe etwas Wundervolles. Letzte Woche hatte er nämlich in der Gesäßtasche von Lothars Jeans, als er diese waschen wollte, die Quittung eines Juweliergeschäfts gefunden.
ENDE
Genießerisch hob Daragh seinen Kopf und hielt das Gesicht der Frühlingssonne entgegen, die ihre wärmenden Strahlen zur Erde schickte. „Endlich“, meinte er zu sich selbst. Der Winter war lang gewesen. Um ihn herum summte und brummte es, die Luft schien statisch geladen zu sein.
Birnenbäume umrandeten die kleine Lichtung und zeigten erste weiße Blüten. Hummeln waren ebenfalls schon unterwegs, eine von ihnen kam näher. Daragh hob die Hand, wollte ihr einen Landeplatz gönnen und lächelte versonnen.
In dem alten Bastkorb auf seinem Rücken regte sich mit einem kaum wahrnehmbaren Murren etwas. Ein blaugrünes, gerade handtellergroßes Wesen kletterte aus seinem gemütlichen Lager im Korb hervor und tat es ihm gleich. Das Wesen reckte seinen kleinen Kopf der Sonne entgegen, schloss genussvoll die Augen und stieß ein leises Gurren aus, was dem Mann ein Lachen entlockte.
Noch kichernd hob er eine Hand und streichelte dem Geschöpf liebevoll über den Kopf. Die Hummel setzte sich geradewegs auf die Nasenspitze von Daraghs Begleiter und bewegte träge die Flügel, als hätte sie es gerade noch mit letzter Kraft geschafft.
„Na, kleiner Freund? Warte …“, raunte Daragh leise und schickte ein wenig seiner Energie an das Insekt, während er seinen Blick über die Umgebung schweifen ließ. Die Natur war noch nicht gänzlich erwacht. Nur vereinzelt spitzelten die ersten Frühlingsblüher durch die Büsche. Noch fanden die Tiere wenig zum Fressen, da half er gerne mal nach. Daher befand sich stets ein voller Honiglöffel auf der Fensterbank, der immer sehr umschwärmt war.
Im Frühjahr hielt er sich vorwiegend draußen auf, freute sich bereits mit den ersten Schneeflocken auf die Zeit, die er an der frischen, mit Blütenduft geschwängerten Luft verbringen konnte. Ohne Jolinah, den kleinen Grasdrachen, konnte er sich allerdings nicht von seinem Häuschen entfernen. Wenn sie allein war, stellte sie allerlei Unsinn an, weswegen er sie lieber auf die Ausflüge mitnahm.
Der wolkenlose Himmel und die grell scheinende Sonne versprachen höhere Temperaturen, als es tatsächlich waren. Daragh schalt sich, nur mit einem kurzärmeligen Hemd aufgebrochen zu sein. Prompt frischte der Wind auf. Eine kalte Windböe traf seine bloßen Arme, verursachte eine unangenehm kribbelnde Gänsehaut. Seine Füße steckten in festen Stiefeln, die er hier oben dringend brauchte. Der hohe Schaft gab Halt, wenn er unterwegs war, um zu sammeln oder auf Bäume zu klettern und die Koben von Eichhörnchen auszuspähen. Dank der dicken Sohlen konnte er auch unbeschadet über Geröllfelder oder scharfkantige Felsen steigen, um die Plätze zu erreichen, wo er den Alpenschneehühnern oder den Auerhähnen beim Balztanz zusehen konnte. Die solide Jeans hatte ihn im Dickicht und Gestrüpp schon mehrmals davor bewahrt, böse Kratzer davonzutragen. Praktisch, belastbar und robust war es ihm am liebsten. Mit den aktuellen Modeerscheinungen vermochte er wenig anzufangen.
Die Luft duftete nach würzigen Kräutern. Insekten summten im Sonnenlicht, erfreuten sich an den ersten Leckerbissen, die die Natur für sie bereithielt. Viele Stunden hatte er hier oben verbracht, beobachtete Hummeln, Schmetterlinge und Bienen bei ihrer Arbeit, ließ sich von den Steinböcken immer höher führen und genoss den überwältigenden Ausblick hinunter ins Tal.
Eine Brise erfasste seine langen, braunen Haare und wirbelte sie durcheinander. Dennoch genoss er das Gefühl, rieb sich die Oberarme und konzentrierte sich auf die Sonnenstrahlen, um sie wie Lebensenergie in sich aufzusaugen. Bei seinem Blick zum Himmel hatte er im Augenwinkel bereits dunkle Wolken am Horizont erkannt. Der nächste Sturm würde demnach nicht lange auf sich warten lassen. In den Bergen konnte sich das Wetter fast schlagartig ändern.
Also musste er sich beeilen.
So hoch oben, weit ab von lärmenden und neugierigen Menschen, hatte er meist seine Ruhe. Ab und an besuchten ihn die Bewohner der kleinen Stadt, die inzwischen schon das ganze Tal ausfüllte, um ihn um Salben oder Tinkturen zu bitten, wenn sie mit ihren eigenen Hausmitteln nicht weiterkamen. Es gab dort sehr wohl einen Arzt, den Daragh aber für einen absoluten Quacksalber hielt. Er musste auflachen, als er an ihn dachte. Der Mann mochte studiert und seine Approbation erhalten haben, sein Handwerk verstand er allerdings nicht besonders gut. Es bemühten sich immer wieder Leidgeplagte zu ihm hoch, für die Daragh die letzte Rettung darstellte. Dabei hatte er weder Reklame für sich noch irgendwo seine Leistungen oder Fähigkeiten groß zur Schau gestellt. Dass man ihn in der Stadt als Kräuterheiler kannte, verdankte er auch seinem Vater, von dem er alles, was er wusste, gelernt hatte und der vor ihm als solcher bekannt war.
Ein Regentropfen traf ihn auf der Nase, obwohl nach wie vor die Sonne über ihm schien und die Wolken weit entfernt waren.
Das schöne Wetter würde nicht lange halten. Die Regenfront zog rasch auf. Bis es sich entladen konnte, wollte er seine Vorräte aufgestockt haben.
Flink und geübt zupfte Daragh die winzigen Blütenkelche der Gänseblümchen ab, verstaute diese in einem Beutel. Die Blätter kamen in einen anderen. So sparte er sich später die Arbeit, die einzelnen Bestandteile mühsam trennen zu müssen.
Die kleinen, zähen Blumen enthielten nicht nur sehr viele Vitamine und schmeckten hervorragend zum Salat. Die Blätter halfen auch gegen Quetschungen. Gerade so etwas passierte schnell einmal bei der alltäglichen Arbeit im und am Haus. Ihm erging es ab und an nicht anders.
Das kleine blaugrüne Wesen war vom Korb heruntergesprungen, folgte ihm zunächst auf ihren kurzen, aber stämmigen Beinchen und schnupperte an den Gänseblümchen. Schließlich entdeckte sie einen Löwenzahn und begann in dem lockeren Boden nach der Wurzel zu wühlen. Schmunzelnd ließ er sie gewähren. Daragh wusste, dass die Pfahlwurzeln des Löwenzahns ihre Leibspeise waren. Besonders die ganz jungen vertilgte sie so gierig, dass sie laut schmatzte und ihr der weiße Löwenzahnsaft schäumend aus dem Maul lief. Ein Anblick, der ihm mehr als ein Lächeln entlockte und sein Herz für dieses einzigartige Wesen öffnete.
Seit fast einem Jahr lebte Jolinah, wie er sie nannte, um ihr einen Namen zu geben, nun bei ihm.
Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung, als sei es erst gestern geschehen. Im letzten Jahr war er auf den Hochebenen gewesen, um seltene Kräuter und Pflanzen zu sammeln. Frohen Mutes und vor sich hin summend war er den wandernden Steinböcken gefolgt. Sie kannten ihn und störten sich nicht an seiner Anwesenheit. So nutzte er wie sie die kürzesten oder effektivsten Wege, um den Hang hinaufzukommen. Manchmal hatte er sogar das Gefühl, dass sie auf ihn warteten.
Unter anderem deshalb war er nach der Ausbildung zum Osteopath und Heilpraktiker zurück in die Natur gezogen und hatte die Berghütte seines Vaters wieder auf Vordermann gebracht. Diese immerwährende Hetze und der Lärm der Stadt hatten ihn zermürbt und ganz allmählich zwischen ihren Mühlen zermalmt. Hier oben war er im Einklang mit sich und der Natur wie auch mit den Tieren, die ihn so manches Mal als ihresgleichen akzeptierten. Einsam war er wahrlich nicht, obgleich sich sein Herz trotz der Energie, die er aus der Natur und den Tieren schöpfte, vernachlässigt vorkam. Dennoch war er nicht bereit, den Berg zu verlassen, um sich einen Lebensgefährten zu suchen. Wer wollte es denn schon mit einem etwas verschrobenen Hinterwäldler zu tun haben?
In aller Gemütlichkeit war Daragh vor fast einem Jahr an einem ebenso strahlendem Tag über die Hochebene gewandert, zupfte und sammelte alles zusammen, was er gebrauchen konnte, und verstaute dies in den mitgebrachten Beuteln.
Ungewöhnliche Geräusche hatten Daragh aus seinen Gedanken aufschrecken lassen. Vorsichtig näherte er sich der Quelle dieser Laute. Zwischen Felsen, dicken Blaugrasbüscheln und einem halb aus dem Erdreich gerissenen Wurzelpolster eines Fingerkrauts zappelte etwas Lebendiges wild. Im ersten Moment dachte Daragh an einen riesigen Schmetterling. Doch je näher er kam, desto klarer wurde ihm, was er dort gefunden hatte. Er blieb fassungslos stehen. Ein Grasdrache. Ein junger noch dazu. Sein Vater hatte ihm oft davon erzählt. Daragh hatte immer gehofft einem Drachen zu begegnen, denn seinem Vater war nie das Glück vergönnt gewesen, einen leibhaftig zu sehen. Meist waren diese Geschöpfe sehr scheu und zeigten sich nicht. Daragh hatte sich oft vorgestellt, wie er mit diesen Wesen Kontakt aufnahm und gebangt, ob sie ihm dann auch freundlich gesonnen waren. Immerhin blieben es Drachen und keine harmlosen Alpendohlen.
Der Drache steckte sichtlich in der Klemme.
Daragh musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht laut zu lachen. Das Bild, das sich ihm bot, war zu komisch. Kopf und Hals steckten bis zu den Schultergelenken in einem Erdloch. Die Beine stemmten sich gegen den trockenen Boden. Deutlich sah man die Muskeln unter der schuppigen Haut arbeiten. Es kämpfte verzweifelt darum, sich zu befreien. Die trotz der geringen Körpergröße schon jetzt recht beeindruckenden Klauen rissen Grasbüschel aus und verhakten sich im Strampeln immer mehr im Wurzelwerk des Fingerkrauts. Die Flügel schlugen wie wild und der geschuppte Schwanz schwenkte von einer auf die andere Seite.
Daragh nahm den Tragekorb von den Schultern, stellte ihn ab und kniete sich neben den Zieselbau, in welchem sich der Drache verfangen hatte. Behutsam legte er die rechte Hand auf die bebende Flanke und sandte besänftigende Energie in den kleinen Leib. Er wollte den Drachen keinesfalls noch mehr ängstigen. Das Tier gab augenblicklich seine Bemühungen auf, sich befreien zu wollen, grollte aber hörbar aus den Tiefen des Baus heraus. Dampf quoll hervor. Er schnaubte warnend, doch Daragh ließ sich nicht beirren.
„Halt still. Ich will dir nicht wehtun. Wie bist du nur da hineingeraten?“ Die Beute hatte sich zwischenzeitlich bestimmt längst aus dem Staub gemacht. Hätte er auch, wenn er ein Ziesel wäre und ein Drache seine Schnauze in sein Wohnzimmer steckte.
Als Daragh versuchte, den Leib vorsichtig herauszuziehen, begann der Drache erneut wie wild zu zappeln, brachte sich damit aber nur stärker in Not. Daher richtete er sich wieder auf und blickte sich suchend um. In seiner Nähe befand sich eine vor langer Zeit abgestorbene Krüppelkiefer. Er brach einen Ast davon ab und benutzte ihn, um das Erdreich zu lockern.
„In Ordnung“, sagte er, als er genug Freiraum für die eigenen Hände geschaffen hatte. „Ich drücke jetzt den Felsen etwas zur Seite. Dann solltest du dich befreien können.“ Der Drache verharrte, schien abzuwarten oder ihm zu gehorchen. Daragh vermutete Letzteres, denn sein Vater hatte ihm immer wieder erklärt, dass Drachen keine tumben Tiere waren, sondern die Intelligenz eines Delfins oder gar eines Menschen besaßen.
Jedenfalls hielt der Drache still, bis es Daragh gelungen war, den großen Stein zu entfernen, der dem Tier offenbar bei dem Versuch, den Zieselbau aufzugraben und hineinzuschlüpfen, in den Nacken gefallen war. Zum Glück war er nicht so schwer gewesen, dass er dem Tier das Genick brach. Dennoch verhakte sich der Drache mit den Hörnern an seinem Schädel an den Seitenwänden, sodass er weder vorwärts noch zurück kam.
Endlich hatte er den Drachen befreit. Daragh setzte ihn vorsichtig neben sich. Der Grasdrache schüttelte sich, gurrte und schlug mit den Flügeln, erfreute sich seines neuen Lebens und verharrte erneut, um den Menschen mit offenen, dunkelgrünen Augen anzusehen.
Seit diesem Tag war Jolinah seine ständige Begleiterin, allerdings auch ein Handicap gegenüber anderen Menschen. Denn wenn bekannt würde, dass sie existierte, wäre der Berg bald von Neugierigen und Schaulustigen überflutet. Von Drachen hatte jeder gehört. Jeder wusste, dass es sie gab. Aber so nahe kamen sich Mensch und Drache selten, sodass es trotz allem eine Sensation war, wenn einer von ihnen auftauchte.
Jolinah half ihm auch beim Aufspüren von seltenen Pflanzen oder Trüffeln. Inzwischen hatte er die Drachendame schätzen und lieben gelernt und würde sie für nichts auf der Welt missen wollen.
Jedes Kraut sowie jede Pflanze hatte ihren Nutzen für die Menschen. Man musste nur wissen, wo sie wuchsen und wie sie einzusetzen waren. Das, was einem Menschen half, war für den anderen tödlich.
Während Daragh an diesem sonnigen Frühlingstag über die Bergheide marschierte, nahm er sich vor, den Bürgermeister wieder einmal zu besuchen. Der Mann war gesundheitlich nicht mehr in der Lage, den beschwerlichen Weg zu meistern. Dessen Herz war nicht das beste und der Weg viel zu steil für ihn. Der Bürgermeister war der einzige Bewohner der Stadt, für den er seine Berghütte verließ. Er war der Bruder seines Vaters und daher sah sich Daragh verpflichtet, ihm zu helfen.
Da man mit dem Saft der Tollkirsche bei unsachgemäßer Anwendung allerlei Unsinn anstellen konnte, brachte er seinem Onkel die Medizin selbst. In einer geringen Dosis half es dem Muskel, den Takt zu halten. Zu viel allerdings … nun, das wollte er sich lieber nicht ausmalen.
Leider gab es nichts, was sein eigenes Herz schneller schlagen lassen konnte. Kein Mann weit und breit, der die berüchtigten Schmetterlinge im Bauch aufstöberte oder die Hormone fließen ließ. Daragh glaubte schon lange nicht mehr daran, dass irgendwo auf dieser Welt ein passender Partner auf ihn wartete. Zudem müsste dieser jemand zu ihm in die Einöde kommen. Etwas, das noch viel unwahrscheinlicher war. Denn auch für eine Liebe würde Daragh niemals die Berge verlassen.
Nur er, Jolinah und die Natur …
Unvermittelt trug der Wind einen Laut an seine Ohren. Irritiert verharrte Daragh. Manches Mal stand der Wind so günstig, dass er auch hier oben die Musiker hörte, die unten im einzigen Gasthaus zum samstäglichen Tanz aufspielten.
Ein Schrei hallte über die Heide. Die Stimme kam eindeutig nicht von einem Tier. Daragh kannte jedes Tier an seinem unverwechselbaren Ruf. Ob Steinböcke nach ihren Artgenossen blökten oder Murmeltiere ihre pfeifenden Warnrufe ausstießen. Zudem war die Unwetterfront bereits so nahe, dass sämtliche Wildtiere in ihren Bau, ihr Nest oder ihre Höhle flüchteten.
Nein. Die Stimme gehörte eindeutig einem Menschen. Vermutlich einem Touristen, der sich hier oben verirrt hatte. Die Einheimischen kannten die Zeichen, wenn sich ein Gewitter anbahnte. Deshalb nahmen sie sich an der Tierwelt ein Beispiel und blieben zu Hause.
Jolinah bettete er in den Tragekorb, deckte sie sorgfältig mit einer Wolldecke zu, damit man sie nicht mehr sehen konnte, und schulterte seinen Korb. Unterdrückt vor sich hin fluchend machte er sich auf, den offenbar verunglückten Touristen zu suchen, und stapfte dem Schimpfen, Rufen und Toben entgegen.
Das hatte ihm noch gefehlt. Auf einen Übernachtungsgast hatte er nicht die geringste Lust. Die nächste Berghütte lag zu weit entfernt, um ihn dorthin zu bringen. Hinunter ins Tal würden sie es vor Einbruch des Unwetters auch nicht mehr schaffen. Es kam für ihn nicht infrage, den Touristen allein zu lassen.
„Leichtsinniger Trottel! Wie dämlich kann man sein? Normal sind die aus den Großstädten bestimmt nicht“, murmelte Daragh missmutig vor sich hin, befestigte die Beutel mit den gesammelten Pflanzen an seinem Gürtel und kniete sich auf den Boden. Der immer stärker werdende Wind warf die Lautfetzen hin und her, sodass er sich nach einer Weile nicht mehr sicher war, aus welcher Richtung sie wirklich kamen.
Er legte beide Handflächen auf die Erde, atmete tief durch. Ein und wieder aus. Ruhig. Entspannt.
Daragh schloss die Lider, stieß ganz langsam die Luft aus seinen Lungen und schickte seine Sinne auf die Reise.
Vor seinem inneren Auge begannen grün glänzende Fäden aus seinen Fingern zu sprießen, verbanden sich mit den mächtigen Energieströmen, die die Erde seit Äonen durchzogen.
So konnte er jedes Lebewesen finden. Seine Sinne leiteten ihn. Etwas, zu dem auch schon sein Vater fähig gewesen war, weswegen er oft zur Rettung Vermisster engagiert worden war.
Suchend tastete sich Daragh vorwärts. Die Augen hielt er geschlossen, nicht nur, weil er sich so besser konzentrieren konnte. Was auch immer mit ihm geschah, wenn er seine Sinne auf die Reise schickte, die grasgrün aufleuchtenden Iriden erschreckten sogar ihn. Dann sah er aus wie ein Monster, für das ihn viele gehalten hatten, die um jenen Vorgang wussten. Dies war ein weiterer Grund, warum er sich in die Einsamkeit der Berge zurückzog.
„Gefunden“, rief Daragh erleichtert aus, als seine Sinne etwas berührten. Der junge Mann atmete tief ein, schickte Mutter Erde einen aufrichtigen Dank und klopfte sich die Hände an der Hose ab.
Mit einem unwirschen Fluch machte er sich schließlich auf den Weg, diesen Trottel von Touristen aus seiner misslichen Lage zu befreien. Das schien offenbar sein Schicksal zu sein. Vielleicht sollte er dem Beispiel von Jolinah und dem Stadtmenschen folgen und sich auch verirren oder verkeilen, damit ihn jemand retten konnte.
Als er in Hörweite des Touristen kam, ließ er seine Schimpftirade verstummen. Er war zwar ein Waldschrat, der die Ruhe mehr als alles andere genoss, besaß dennoch Manieren. „Hallo?“, rief er lauter, um auf sich aufmerksam zu machen. „Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich komme zu Ihnen!“
Sie befanden sich in stark hügeligem und bewaldetem Gelände. Die nächste hohe Klippe war noch mehr als einen Kilometer entfernt. Nichtsdestotrotz gab es viele Stolperfallen und Löcher, in die man unversehens tappen und sich den Fuß brechen konnte.
„Hilfe?“
Daragh unterdrückte sein Lächeln.
„War das eine Aufforderung oder eine Frage?“, gab er zurück, kletterte behände auf eine hoch aufragende Baumwurzel und sprang auf der anderen Seite herunter.
„Eine Aufforderung, wenn Sie so möchten. Der Wald hat etwas gegen mich. Immer wieder versperren Wurzeln den Weg und ich muss Umwege laufen. Das war so nicht geplant. Eigentlich wollte ich wegen des aufkommenden Unwetters schon längst zurück in der Herberge sein.“
Daragh hob die rechte Augenbraue. „Weder die Natur im Allgemeinen noch der Wald im Besonderen noch dieser Wald im Speziellen hat etwas gegen Sie. Wären Sie auf dem Weg geblieben, wäre nichts passiert“, maßregelte Daragh ihn streng.
„Pffft!“, kommentierte der Angesprochene schnippisch.
Endlich befanden sie sich gegenüber. Daraghs Blick wanderte sofort über den Mann, der neben einem Kiefernstamm auf dem Boden hockte, sich den Knöchel rieb und mit verkniffenem Gesicht zu ihm aufblickte. Ein typischer Städter. Normale Denims, ein dünnes T-Shirt, das allerdings vollkommen verdreckt und an ein paar Stellen zerrissen war. Modische Sportschuhe, die auf Shoppingtouren vielleicht saubequem waren, in der Wildnis jedoch kaum die Steine und Unebenheiten abfedern konnten. Eine Basecap mit dem Emblem einer amerikanischen Großstadt thronte auf seinem Kopf, unter der man dennoch einen Kurzhaarschopf erkennen konnte. Über den Ohren waren die blonden Haare so kurz rasiert, dass sie wie Seide schimmerten. Rechts an der Unterlippe hing ein kleiner Piercingring. Als er sein Gesicht zusammenkniff, war die Narbe an der Nasenwurzel deutlich zu sehen. Neben ihm lag ein Rucksack von einer bekannten Outdoor-Marke. Daragh verkniff sich ein Schmunzeln. Wenigstens hatte sich der Tourist bezüglich des Rucksacks überzeugen lassen, auf Qualität und Funktionalität Wert zu legen. Der Kerl wirkte eher, als wäre er einer Museumsbesichtigung entlaufen.
„Manieren sind nicht so Ihres, kann das sein?“, fuhr ihn der Fremde sogleich an. „Mein Name ist Noe. Und Ihrer?“
Daragh verschlug es fast die Sprache. Unhöflichkeit schien sich inzwischen in der Stadt epidemieartig ausgebreitet zu haben. „Daragh“, stellte er sich dennoch vor. Seine Stimme war jedoch schneidend. Kalter Wind ließ das Geäst über ihm knistern und ächzen. „Was ist mit Ihrem Knöchel? Können Sie laufen? Wenn ja, stehen Sie auf. Ich habe keine Lust, bis auf die Knochen durchzuweichen, nur weil ein verirrter Tourist keine Zeichen deuten kann und es offensichtlich darauf anlegt, krank zu werden. Oder ist der Waldboden so angenehm? Denn bald wird er das nicht mehr sein. Die Ameisen freuen sich sicher nicht über Eindringlinge, die ihren Hügel mit ihrem Hintern zerstören.“
Daragh zeigte auf einige rote Ameisen, die bereits aus dem Bau herausgekommen waren, um die Schäden zu reparieren. Es würde sich nur noch um Sekunden handeln, ehe ihnen viele weitere folgten.
Mit einem Satz war Noe auf den Beinen, schlug und wischte hektisch an seinem Hintern und den Hosenbeinen herum und hüpfte halb stolpernd, halb wie ein lahmes Känguru in Sicherheit.
Nur mühsam konnte sich Daragh das Lachen verkneifen.
Bei dem Versuch, Abstand zwischen sich und die wütenden Ameisen zu bringen, stützte sich Noe mit der linken Hand an eine morsche Kiefer, deren Borke unter der Berührung zerbröckelte. Prompt fiel er wieder auf den Boden.
„Mist. Mist. Mist“, fluchte er. „Ich hasse die Natur. Erst hat der Wald was gegen mich, führt mich total in die Irre. Jedenfalls waren die Wege nicht da, wo sie sein sollten. Dann sprang der vermaledeite Felsen wie aus dem Nichts vor meine Füße und brachte mich zum Stolpern. Meine Hose ist hin. Und nun greifen mich auch noch irgendwelche Viecher an und ich reiße mir einen Splitter ein. Womöglich sterbe ich jetzt an einer Blutvergiftung.“
Daragh konnte dem Gezeter unmöglich teilnahmslos zuhören oder das unkommentiert lassen. Sein Blutdruck stieg ebenso.
„Wären Sie nicht so ausgesprochen beschränkt gewesen, den Weg zu verlassen“, giftete er ihn an, „und hätten aufgepasst, wo Sie Ihre Füße hinsetzen, dann wäre die Hose noch im Ganzen. Die Ameisen können auch nichts dafür, dass Sie sich dicht an den Hügel setzen und damit wichtige Laufwege blockieren. Und hätten Sie dann auch mal einen Blick auf den Baum geworfen, wäre Ihnen sicher aufgefallen, dass er abgestorben ist. Die Borke fällt also natürlicherweise, wenn man daran herumzerrt. Dämliche Touristen!“ Daragh holte tief Atem, um seinem Unmut noch weiter Luft zu machen. „Glauben, dass sich die Welt um sie dreht und sie sich um Regeln nicht zu scheren brauchen. Und dank dieser vollkommen überflüssigen Diskussion werden wir in spätestens fünf Minuten bis auf die Haut durchnässt sein. Los jetzt! In meinem Haus wartet ein warmes Feuer, trockene Decken und eventuell noch eine Tasse Tee.“
Obwohl Daragh nicht übel Lust hätte, diesen Noe im Wald stehen zu lassen, führte er ihn zurück zur Lichtung und somit zu seinem Haus. Dabei achtete er nicht mehr als notwendig auf den Mann, der ihm folgte. War auch nicht nötig. Denn zu überhören war dieser jedenfalls nicht. Abgesehen davon, dass er immer wieder auf trockene Äste trat, die unter seinem Gewicht brachen, oder über einen hervorstehenden Stein stolperte, der den Moosteppich durchbrochen hatte, blieb sein Mundwerk nicht still. Unentwegt schimpfte er über alles Mögliche. So erfuhr Daragh ungewollt, warum Noe in die Berge aufgebrochen war.
„Verdammter Ex!“, keifte Noe verärgert. „Seinetwegen mach ich diesen ganzen Scheiß hier. Nur weil er unbedingt wandern wollte. Und dann brennt der Arsch zwei Tage vor dem gemeinsamen Urlaub mit einem anderen durch. Natürlich war das Reisebüro nicht mehr bereit, den Vorschuss zurückzuzahlen. Mir blieb nichts anderes übrig, als allein zu fahren. Verdammte Scheiße. Ich hasse es. Ich hasse die ganze Natur.“
Noe stolperte und humpelte unbeholfen hinter Daragh her, der sich nicht davon abhalten konnte, hin und wieder einen Blick über die Schulter zu werfen. Eigentlich war der Kerl ja ganz niedlich. Zumindest gefiel ihm das kämpferische Aufblitzen in den graublauen Augen und das kleine Grübchen in der Wange, wenn er vor Wut das Gesicht verzog. Allerdings wusste er jetzt schon, dass es mit ihnen nie was werden würde. Noe verabscheute alles, was mit Natur zu tun hatte. Mit Sicherheit sah dieser Mensch nicht die Schönheit der Schneeglöckchen, die büschelweise ihre weißen Blüten zeigten, oder erkannte das Wunder der vereinzelten Winterlinge, die ihre Kelche nach der langen kalten Zeit ebenfalls geöffnet hatten.
„Verflucht! Verflucht! Der Wichser wird noch was zu hören bekommen, wenn ich zurück bin. Nicht nur, dass er einfach abgehauen ist, er lässt mich auch allein in diese Einöde fahren. Ich wollte das nie. Das viele Grün ist überhaupt nicht mein Ding. Scheiße noch mal!“, kreischte er plötzlich auf. „Bin ich eben in Kuhscheiße getreten?“
Daragh hielt an und wandte sich langsam um. Noe wischte voller Ekel seinen Schuh an einem Grasbüschel ab.
„Nein, das ist frische Erde“, erklärte er gelassen. „Und das, worin Sie getreten sind, ist nicht die Hinterlassenschaft eines Rindviechs, sondern ein Maulwurfshügel.“ Er seufzte ungeduldig. „Nun machen Sie schon! Der Himmel ist schon ganz dunkel. Es wird uns gleich erwischen.“
„Ich komm ja“, maulte Noe und hüpfte hinter ihm her, noch immer besorgt um seine wahrscheinlich nagelneuen Schuhe.
Wie angekündigt öffnete der Himmel nur wenige Minuten später seine Schleusen und eine Mischung aus Regen und Schnee klatschte unbarmherzig auf die Erde.
Die Äste waren noch weitgehend kahl. Die paar Knospen hielten natürlich den Regen nicht ab. So traf es sie unvermindert und durchnässte die beiden Männer binnen kurzer Zeit.
Noe kam nicht so schnell vorwärts, wie es sich Daragh gewünscht hätte. Offenbar hatte dessen Knöchel oder der Fuß dann doch etwas abbekommen.
Nach gut 15 Minuten, die sich zur Ewigkeit dehnten, stieß Daragh die Tür zu seinem Heim auf.
Von der Decke hingen Kräuterbündel, die sich im Wind, der mit ihnen in die Hütte gekommen war, bewegten. Im offenen Kamin brannte ein kleines Feuer und verbreitete Wärme. Es knisterte, als es von der Böe ebenfalls erfasst wurde. Schwere, von der Zeit schwarz gewordene Eichenbalken hielten die Mauern und das mit roten Tonziegeln gedeckte Dach. Es ächzte unter der Last des Sturmes. Die Balken lagen frei, sodass sie Daragh als Trockengestell und Jolinah zum Klettern dienen konnten. Das ein oder andere Erinnerungsstück aus längst vergangenen Zeiten oder Mitbringsel aus Urlaubsreisen, die er noch in der Studienzeit unternommen hatte, standen ebenfalls auf diesen Balken, gaben dem großen Raum eine heimelige Note. Viel befand sich nicht im Inneren. Ein langer Tisch für die Zubereitung der Salben und Kräutertinkturen dicht am Fenster, damit genügend Licht darauf fiel. Ein etwas kleinerer, um die Mahlzeiten daran einzunehmen. Dann noch zwei wuchtige Schränke und eine Truhe, an der sich Daragh schon öfter die Zehen gestoßen hatte.
Eine Leiter führte auf den Dachboden, wo Daragh seine Bettstatt errichtet hatte. Das große Fenster ermöglichte ihm einen wunderbaren Blick in den Nachthimmel. Am Morgen konnte er noch im Bett liegend den Sonnenaufgang beobachten. Warm zugedeckt. Besonders liebte er das Geräusch des Regens, wenn er auf Glas prasselte. Es umhüllte ihn wie einen Kokon und ließ ihn vergessen, dass er ganz allein dort lebte.
Als Noe schimpfend eintrat, das Basecap von seinem Kopf zog und das Wasser aus seinen Haaren schüttelte, vergaß Daragh rasch die trüben Gedanken.
Besonnen legte er einige Scheite nach, hielt die Hände über die Flammen und atmete tief ein.
Dann erst drehte er sich zu seinem Gast um, der mittig im Raum angehalten hatte und sich nun mit einer Mischung aus Erstaunen und Widerwillen umsah.
„Möchten Sie da noch lange stehen und den Boden volltropfen?“, fuhr ihn Daragh an. „Runter mit den Sachen. Ich kann Ihnen eine Decke geben. Das dürfte weit angenehmer sein als die klammen Sachen. So bekommen Sie wenigstens keine Lungenentzündung.“
Noe verzog verächtlich sein Gesicht. „Sehr witzig. Wirklich.“
Dennoch streifte sich Noe Rucksack und das nasse T-Shirt ab, atmete durch, als fühlte er sich endlich befreit. „Danke. Dafür, dass ich den Schauer hier abwarten kann. Wie lange wird das mit dem Regen dauern?“
„Das ist nicht nur ein kurzer Schauer. Es wird die Nacht über regnen. Die Wolken hängen vor den Berggipfeln fest und müssen erst ihre Wasserlast loswerden, um weiterziehen zu können.“ Daragh reichte ihm eine Wolldecke, musterte dabei den nackten Oberkörper. Er versuchte zwar, mit den Augen eines Mediziners zu sehen, es gelang ihm jedoch nicht wirklich. „Ich werde mich besser darum kümmern. Die Kratzer gehen tief. Sie sind wohl in eine Schlehenhecke gelaufen. Rückwärts.“
„Woher …?“ Noe brach ab, betrachtete Daragh intensiver. In seinem Blick lag etwas, das nicht zu definieren war. Ahnte er, dass Daragh am selben Ufer fischte und sich bereits Gedanken darüber gemacht hatte, wie er Noe von sich überzeugen konnte?
„Ich sehe so etwas“, entgegnete er leicht abweisend. „Ringelblume hilft, vermischt mit ein klein wenig Kamille. Das beruhigt die Haut. Und auf den Knöchel kommen die zerstoßenen Blätter vom Gänseblümchen. Dazu noch ein paar Blätter vom Breitwegerich.“
Daragh schwenkte zunächst den Wasserkessel über die Flammen, um das Wasser für einen Tee zu erhitzen, nahm sich dann zwei Tiegel aus dem Regal.
„Machen Sie es sich bequem“, forderte er und deutete auf den Esstisch, vor dem nur ein einziger einfacher Hocker stand. Mehr hatte er nie gebraucht.
Noe sog hörbar die Luft durch die Nase ein, als Daragh mit den Salben herankam.
„Das Zeug riecht gut.“ Daragh brummte nur zustimmend und begann die Salbe auf den Kratzern zu verteilen.
Dabei strich er mehr, als notwendig gewesen wäre, über die blanke Haut. Zu lange hatte er keinen anderen Mann mehr so berührt, überhaupt jemanden berührt, der nicht gekommen war, um ihn um Hilfe zu bitten.
Das Geflecht des großen Weidenkorbes, der nahe dem Kamin in einer Nische stand, knarrte vernehmlich … und ein grünes Wesen hob neugierig den Kopf heraus.
Daraghs Herz beschleunigte sich sorgenvoll. „Nicht, Jolinah. Bleib!“, hauchte er voller Hoffnung, dass Noe, der angestrengt zum Fenster hinausschaute, es noch nicht bemerkt hatte.
Der Drache gehorchte jedoch nicht, schien ihm sogar zuzuzwinkern.
Entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit kam sie ohne Scheu näher, beäugte den Fremden interessiert, legte den Kopf schief wie ein Welpe, der um Leckerlis bettelte, und fiepste leise.
Noe fuhr herum. Seine Augen weiteten sich, als er das Wesen auf dem Boden entdeckte. Fast wirkte es so, als ob er aufspringen und davonlaufen wollte. Er blieb jedoch sitzen, der Mund leicht offen, und starrte den Grasdrachen entgeistert an.
„Sie tut nichts“, versuchte Daragh ihn zu besänftigen. „Das ist Jolinah. Sie ist nur neugierig. Obgleich das Verhalten schon sehr ungewöhnlich ist.“ Vermutlich war es keine gute Idee, ihm weismachen zu wollen, dass er nicht nur Kratzer davongetragen hatte, sondern sich auch noch den Kopf gestoßen hatte.
Noe war förmlich erstarrt. „Was ist das für ein Tier?“, stammelte er entsetzt.
So ein Wesen als „Tier“ zu betiteln, kam einer Blasphemie gleich. Jolinah war kein Tier. Da reichte ein Blick in die wissenden Augen. Augen, die die Welt gesehen hatten, lange bevor der Mensch ein Flüstern auf dieser Erde gewesen war. Augen, die einem Menschen in die Seele blicken konnten. So sagte man jedenfalls.
„Jolinah“, wiederholte Daragh warnend. Es war schwer für ihn, Noe einzuschätzen und seine Reaktion vorauszuahnen. Obwohl die Drachendame stets den besseren Riecher von ihnen beiden hatte, besonders wenn es um Trüffel ging, schien sie diesmal keinerlei Bedenken zu haben.
Der Grasdrache schnaubte. Es kamen leichte Dampfwolken aus ihren Nüstern. Ihr länglicher, von grünen Schuppen besetzter Körper funkelte im Schein der Flammen. Die Flügel waren angelegt. Nichts deutete auf Aggression oder gar Misstrauen hin. Sehr ungewöhnlich. Drachen vertrauten nicht so schnell. Selbst bei ihm, Daragh, hatte es eine Weile gedauert, bis sie sich von ihm bedenkenlos anfassen ließ. Inzwischen waren sie „Wildfreunde“. So bezeichnete er es jedenfalls, das Verhältnis zwischen ihnen. Sie war trotz allem noch ein Lebewesen aus der Wildnis und als Drache für Menschenscheue bekannt.
Daragh erinnerte sich noch ganz genau, wie die kleine Drachendame bei ihm eingezogen war, den Korb zum Feuer gezerrt und Decken und Kissen hineingeschleppt hatte, um sich ein Nest zu bauen. Er empfand damals unendlichen Stolz, dass sie ihn
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Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Kooky Rooster, Sissi Kaiserlos
Satz: Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2019
ISBN: 978-3-7487-0598-7
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für alle, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen