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Text: Sissi Kaiserlos
Foto von depositphotos – Design Lars Rogmann
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Holger Pastengräber arbeitete im Bestattungsinstitut seines Onkels. Anfangs, weil er nichts anderes fand, doch inzwischen identifizierte er sich mit dem Beruf. Besonders lag es ihm, Trauerreden zu halten. Seine Freunde sagten ihm zwar oft Zynismus und Pietätlosigkeit nach, aber wenn’s drauf ankam, konnte er auch ganz anders. Eines Tages veranstaltete er die Trauerfeier für einen Verstorbenen, der einen Gatten hinterließ. Ein seltenes Ereignis. Noch viel ungewöhnlicher war, was danach passierte.
~ * ~
Es hatten sich nur wenige Personen in der Kapelle versammelt. In vorderster Reihe saßen der Gatte des Verstorbenen und dessen Eltern, dahinter verteilte sich eine Handvoll gemischtes Publikum. Vermutlich Freunde und Bekannte.
Holger überflog ein letztes Mal seine Notizen. Den Löwenanteil zum Inhalt hatten die Eltern des Verblichenen beigesteuert. Der Ehemann war bei ihrer Besprechung zwar dabei, aber weitestgehend stumm gewesen. Wahrscheinlich trauerte der arme Mann zu sehr, um Worte zu finden. Das erlebte Holger oft. Der Tod kam, selbst wenn man ihn erwartete, stets überraschend.
Die Musik, who wants to live forever von Queen, endete. Er trat ans Rednerpult, legte seine Zettel darauf ab und räusperte sich. „Nichts ist gewisser als der Tod – nichts ist ungewisser, als seine Stunde. Diese Worte stammen von Anselm von Canterbury.“
Holger legte eine winzige Kunstpause ein, bevor er weitersprach: „Liebe Familie, liebe Freunde. Wir sind hier, um Abschied von Cord zu nehmen.“
Während seiner folgenden Ansprache beobachtete er die Anwesenden. Die Mutter löste sich in Tränen auf, der Vater wirkte gefasst und der Gatte apathisch. Auch das sah Holger häufig. Vielfach vermochten die Trauernden nicht zu realisieren, dass der Angehörige wirklich tot war. Meist erfolgte das erst, wenn der Sarg - oder, wie in diesem Fall, die Urne - in die Erde gelassen wurde.
„Und denkt bitte daran: Cord ist weiterhin bei euch, in euren Herzen und Gedanken. So lange ihr ihn nicht vergesst, wird er weiterleben“, schloss Holger seine Rede und gab seinem Assistenten ein Zeichen, woraufhin Andreas Bouranis Auf anderen Wegen ertönte.
Zu den Klängen erhoben sich die Anwesenden und begannen, an der Urne vorbei zu defilieren. Allen voran der Witwer, der stumm, die Hände gefaltet, kurz davor verharrte. Danach kamen die Eltern, gefolgt vom Rest. Holger stand am Ausgang und nickte jedem, der ihn passierte, ernst zu. Das Schlusslicht bildete sein Assistent mit der Urne.
Im Gänsemarsch ging’s, der Urnenträger voran, gleich dahinter Holger mit dem Blumenschmuck, zur Grabstätte. Man hatte sich für eine Stelle im Ruheforst entschieden, einem erst vor wenigen Jahren neu angelegten Bereich. Dieser lag in unmittelbarer Nähe des angrenzenden Waldgebietes und bestand aus jungen Bäumen, um die kreisförmig Urnen beigesetzt wurden.
Sein Onkel Waldemar, dem das Bestattungsinstitut gehörte, unkte manchmal, dass man irgendwann den Angehörigen nur noch die Asche des Verstorbenen in eine Dose eingeschweißt übergeben würde. Alles Weitere wäre dann Sache der Hinterbliebenen. Meist äußerte sein Onkel solch düstere Prognosen unter Alkoholeinfluss. Glücklicherweise trank Waldemar Pastengräber selten. Holger galt zwar als Schwarzseher, aber was seinen Job betraf mochte er es gar nicht, wenn jemand dessen baldiges Ende prophezeite.
Sein Assistent senkte die Urne in das ausgehobene Loch und trat beiseite. Holger stellte sich vor die Trauergemeinde, neben einen Eimer Erde, in der eine kleine Schaufel steckte.
„Wenn ihr mich sucht, sucht in euren Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden, lebe ich in euch weiter. Mit diesem Zitat von Rainer Maria Rilke verabschieden wir uns von Cords sterblicher Hülle.“ Nach diesen Worten zog er sich einige Schritte zurück.
Erneut machte der Witwer den Anfang, legte eine rote Rose ins Grab und warf eine Schaufel Erde hinterher. Die Eltern taten das Gleiche, dann die übrigen Gäste. Wie aufs Kommando fing der Himmel an zu weinen. Erst nur ein paar Tropfen, doch schnell wurde ein richtiger Guss daraus. Entsprechend beeilten sich die Anwesenden, die Stätte zu verlassen. Unter aufgespannten Schirmen oder die Handtaschen überm Kopf, kondolierten die Leute dem Witwer und den Eltern, bevor sie davon hasteten.
Hans Wannegat, Rentner und sein Assistent bei Trauerfeiern, hatte ebenfalls einen Regenschirm dabei, so dass sie einigermaßen trocken die Kapelle erreichten. Schnell war der Innenraum aufgeräumt. Anschließend stiegen sie in ihren Dienstwagen und machten sich auf den Rückweg zum Bestattungsinstitut.
„Also, wenn du mich fragst, war der Tote nicht sonderlich beliebt“, meinte Hans.
„Wir hatten schon Beerdigungen mit weniger Teilnahme.“
„Ich weiß. Trotzdem. Ich hatte nicht den Eindruck, dass einer von denen, bis auf die Mutter, richtig um den Typen trauert.“
„Tränen sind kein Beweis“, widersprach Holger. „Vielleicht hatte sie ein mit Zwiebelsaft getränktes Taschentuch dabei.“
„Du nun wieder.“ Schmunzelnd zwinkerte Hans ihm zu. „Gehen wir irgendwo einen Kaffee trinken? Oder wartet schon die nächste Leiche auf dich?“
„Gewöhnlich zeichnen sich unsere Kunden durch große Geduld aus.“
Hans gluckste. „Das liebe ich an diesem Geschäft.“
Verständlich. Hans war vor der Verrentung als Einzelhandelskaufmann im Bekleidungssektor tätig gewesen. Vor dreißig Jahren hatte dieser Beruf wohl noch Spaß gemacht, doch in Zeiten von Discountern und anderen Billigramsch-Läden dürfte einem das Lachen vergangen sein. Na gut, es war wohl eher vierzig Jahre her. Holger kannte nämlich von klein auf nur Klamottengeschäfte à la Hennes&Schauritz.
Wenig später hielt er auf dem Parkplatz eines Supermarktes, in dessen Eingangsbereich sich eine Bäckerei mit Sitzmöglichkeiten befand. Großzügig spendierte Hans die Getränke, mit denen sie es sich an einem Fensterplatz gemütlich machten.
Der Regen hatte inzwischen aufgehört. Sinnend guckte Holger, seinen Becher in den Händen, nach draußen. Eine Windböe kräuselte die Oberflächen der Pfützen. Zwei Kinder mit bunten Gummistiefeln, an den Händen einer Frau, versuchten in möglichst viele der Wasserlachen zu treten. Sehr zum Missvergnügen der Dame. Sie zerrte an den beiden und schimpfte in einem fort, was Holger zwar nicht hören, aber an ihren schnappartigen Mundbewegungen sehen konnte.
„Meine Enkel kommen dieses Wochenende zu Besuch“, meldete sich Hans, der ebenfalls auf den Parkplatz geguckt hatte, zu Wort.
„Welche? Die Hannoveraner oder Flensburger?“
„Letztere. Sabine bringt sie am Freitag und holt sie am Sonntag wieder ab.“
„Du Armer.“
„Ach was. Die sind noch im flauschigen Alter. Wir gehen Samstag ins Schwimmbad und Sonntagmittag ins Kino. Damit sind sie vollauf zufrieden.“
Obwohl Holger aus einem behüteten Elternhaus stammte, konnte er sich mit Familie nicht so recht anfreunden. Seiner Schwester ging es genauso. Sie arbeitete selbständig als Physiotherapeutin und wechselte Männer schneller, als manche ihre Unterwäsche. Eventuell gab es einen Zusammenhang mit dem Beruf ihres Vaters. Der war evangelischer Pfarrer. Sie hatten also, praktisch mit der Muttermilch, die Bibel inhaliert. Vermutlich war dadurch eine Art Allergie entstanden, die sich erst in späteren Jahren auswirkte.
Nach dem Kaffee trennten sich ihre Weg: Hans ging zu Fuß nach Hause, Holger fuhr weiter. Auf ihn wartete noch ein bisschen Papierkram. Die Endrechnung für die Beerdigung konnte erstellt werden, da nun alle Belege der anderen Beteiligten vorlagen. Es war oberste Pflicht, diese Kosten möglichst schnell weiter zu belasten. Sein Onkel besaß zwar eine Kapitaldecke, doch die schrumpfte rasch, wenn man Auslagen in vierstelliger Höhe tätigte.
Abends ging er, wie jeden Dienstag, ins Grenzwertig, um mit seiner Clique zu darten. Seit Tristan und Keegan, zwei seiner sechs Kumpel, unter der Haube waren, hatte sich allerdings etwas verändert. Zum einen fehlte oft einer der beiden, zum anderen kamen merkwürdige Themen auf den Tisch. Beispielsweise erzählte Keegan, der zum Pflegevater avanciert war, Anekdoten von den Zwillingen. Die anderen amüsierten sich darüber, Holger hingegen fand das zum Gähnen langweilig.
Diesmal waren sowohl Tristan als auch Keegan mit von der Partie. Wie in guten alten Zeiten, warfen sie sich gegenseitig dumme Sprüche an den Kopf. Niemand verlor ein Sterbenswörtchen über Kinder, womit Holger den Abend rundherum gelungen fand. Daran änderte auch sein Pech beim Darten nichts.
Am nächsten Tag meldete sich Jonas Grubner, der Gatte des verstorbenen Cord Sanmann, und vereinbarte einen Termin für ein Vorsorgegespräch. Eigentlich etwas frühzeitig, denn der Mann war erst geschätzt Mitte dreißig, aber Geld stank ja bekanntlich nicht. Außerdem konnte Holger dem Kunden dann auch gleich die Rechnung, die er am Vortag fertiggestellt hatte, präsentieren.
Pünktlich um drei Uhr kreuzte Grubner im Laden auf. Nebenbei angemerkt: Der Kerl sah ziemlich gut aus. Hübsche braune Augen, schlank und vor allem fand Holger die feingliedrigen Finger sehr schön. Diesbezüglich war er ein bisschen fetischmäßig veranlagt.
Er bat Grubner in sein Büro, holte Kaffee sowie Mineralwasser und nahm mit dem Mann am Besprechungstisch Platz. Auch deshalb liebte er seinen Job: Wegen des großzügigen Raumes mit Privatsphäre. War mal wenig los, verschanzte er sich hinterm Schreibtisch und surfte im Internet oder spielte irgendetwas.
Aus taktischen Gründen unterhielt er sich mit Grubner erstmal über Vorsorgemöglichkeiten, anstatt den Kunden gleich mit der Rechnung zu konfrontieren. Die war zwar im veranschlagten Rahmen ausgefallen, dennoch reagierten einige Leute schockiert. Trauer wirkte sich offenbar auf das Erinnerungsvermögen aus.
Grubner wollte alles über Seebestattungen wissen. Ausgiebig erörterten sie die Vor- und Nachteile. Langfristig gesehen war es günstiger als andere Bestattungsformen. So fielen keinerlei Kosten für die Grabnutzung, -stein und -pflege an. Eine begleitete Beisetzung auf See schlug mit 800 bis 3.000 Euro zu Buche, eine stille mit 200 bis 500 Euro. Diese Preise galten nur für Nord- und Ostsee.
„Wie sieht es mit dem Mittelmeer aus?“, wollte Grubner wissen.
Bisher war noch niemand mit solchem Wunsch an Holger herangetreten. „Das müsste ich erst eruieren. Ich kann Ihnen gern dazu ein Angebot schicken.“
„Bitte.“ Grubner schlug ein Bein übers andere und spähte in die mittlerweile leere Tasse. „Darf ich noch ein bisschen Kaffee haben?“
„Aber natürlich“, erwiderte Holger, schenkte nach und holte in diesem Zuge die Rechnung von seinem Schreibtisch, um sie vor dem Kunden auf den Tisch zu legen. „Das ist die Endabrechnung. Die Vorauszahlung habe ich bereits berücksichtigt, so dass nur noch eine geringe Summe fällig ist.“
Gering war dabei ein dehnbarer Begriff. Insgesamt hatte die Beisetzung rund 4.000 Euro gekostet, wovon zwei Drittel ausstanden.
Mit unbewegter Miene studierte Grubner den Beleg und steckte ihn gefaltet in die Jackettasche. „Ich werde die Überweisung morgen veranlassen.“
„Danke, auch im Namen meines Onkels.“
Grubner runzelte die Stirn. „Das hier ist ein Familienbetrieb?“
„Sozusagen. Neben meinem Onkel und mir arbeiten hier sonst nur Aushilfen.“
Sein Gast nippte am Kaffee, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Besaß der Typ einen Gaydar? Oder warum musterte Grubner ihn derart intensiv? Automatisch fuhr sich Holger übers Haar, um rauszufinden, ob sich eine Strähne aus dem Knoten gelöst hatte. Bei der Arbeit trug er wahlweise einen Zopf oder Dutt, wobei er die Bezeichnung Bun bevorzugte. Das andere klang zu altbacken.
„Also können Sie sich Ihre Zeit relativ frei einteilen?“, fragte Grubner.
„Ähm … wie meinen Sie das?“
„Es wird doch sicher so etwas wie einen Neffen-Bonus geben“, erläuterte Grubner.
„Keine Ahnung. Ich hab noch nie versucht, meinen Status auszunutzen.“ Bis auf den Umstand, dass er ohne Familien-Bonus den Job nicht bekommen hätte.
„Sind Sie gelernter Bestatter?“
„Nein. Ich bin Quereinsteiger. Mein Studium, Ethnologie und Kunstgeschichte, prädestiniert mich zwar nicht unbedingt für den Beruf, ist aber durchaus hilfreich.“
So etwas wie Anerkennung glomm in Grubners Schokoaugen auf. Vielleicht bildete er sich das aber nur ein, weil er es sehen wollte. Zugegeben: Holger war stolz auf seinen guten Abschluss.
„Ich will Sie mal nicht länger aufhalten.“ Grubner leerte die Tasse, fischte eine Visitenkarte aus der Innentasche des Jacketts und legte sie auf den Tisch. „Bitte schicken Sie mir das Angebot für die Seebestattung per E-Mail. Das spart Papier.“
Neugierig überflog Holger das Kärtchen. So, so, ein Banker. Darauf hätte er, angesichts des steifen Anzugs, auch fast getippt. Handschriftlich war am unteren Rand Grubners private E-Mail-Adresse vermerkt.
„Vielen Dank für Ihren Besuch“, erwiderte er artig, stand auf und geleitete Grubner zum Ausgang, wo sie sich mit Handschlag verabschiedeten.
Nachdenklich kehrte Jonas zu seinem Wagen zurück. Holger Pastengräber war Cord auf unheimliche Weise ähnlich. Dieser Eindruck hatte sich während ihres Treffens, unter dem Vorwand eines angeblichen Vorsorgewunsches, noch verstärkt. Neben den Äußerlichkeiten - lange braune Haare, feingeschnittenes Gesicht, blaue Augen und grazile Statur - war es Pastengräbers trockene, coole Art, die ihn an Cord erinnerte.
Gewisse Übereinstimmungen hatte er schon beim ersten Gespräch, als es um die Trauerrede ging, bemerkt, aber erst später richtig realisiert. Durch den Todesfall war er in seiner Wahrnehmung noch zu beeinträchtigt gewesen.
Genau wie von Pastengräber zitiert, ‚nichts ist gewisser als der Tod – nichts ist ungewisser, als seine Stunde‘, hatte Cords Herz urplötzlich aufgehört zu schlagen. Zu dem Zeitpunkt war die Diagnose Lungenkarzinom ein Jahr her. Krebs-Spezialisten hatten Cord nur drei bis sechs Monate Lebenserwartung prognostiziert. Mit jedem Tag, den sein Gatte länger durchhielt, war die Hoffnung auf eine Fehleinschätzung gestiegen. Zum Schluss hatte sich Cords Zustand sogar erheblich gebessert, wahrscheinlich ein letztes Aufbäumen, bevor Gevatter Tod endgültig zuschlug.
Obwohl Cords Ableben für sämtliche Beteiligten eine Erleichterung darstellte, da sein Gatte ein unleidlicher Patient war, saß der Schock anfänglich tief. Eben noch gemeinsame Pläne geschmiedet, stand Jonas unversehens vor dem Nichts. Cord und er hatten vorgehabt, ein letztes Mal auf ihre Lieblingsinsel zu reisen. Eine Woche Palma de Mallorca in einem Luxushotel. Henkersmahlzeit hatte Cord das scherzhaft genannt und sich zwanzig Tage vorher aus
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: depositphotos
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - dankeschön
Tag der Veröffentlichung: 26.10.2018
ISBN: 978-3-7438-8561-5
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