Sissis Version
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Texte: Sissi Kaipurgay/Kaiserlos
Foto: depositphotos, shutterstock
Korrektur: Aschure, dankeschön!
Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/
https://www.sissikaipurgay.de/
Was passiert, wenn mir jemand einen Floh ins Ohr setzt? In diesem Fall war es eine Szene, in der ein aufblasbares Schaf eine Hauptrolle spielte. Herausgekommen sind zwei zusammenhängende Storys, in denen eine Schildkröte, ein Mann, der arglos Latten im Baumarkt kauft und ein Hausmeister, der medizinische Hilfe leisten muss, weitere Rollen übernehmen. Außerdem sind da noch ein arg gemobbter Buchhalter sowie ein Callboy, der für einen ungewöhnlichen Job gebucht wird.
Achtung: Die Storys enthalten Kitschsplitter, Bubu-Szenen und es handelt sich um Liebe zwischen Mann und Mann. Für Leser, die zum Lachen in den Keller gehen, ist die Lektüre ungeeignet.
Zwei Gay-Lovestorys, ca. 30.000 Worte
Daniel wird von seiner Abteilungsleiterin schikaniert. Als er an einem Sex-Shop vorbeikommt und ein Schaf in dessen Schaufenster entdeckt, entwickelt er einen perfiden Racheplan.
„Herr Egli? Wie weit sind Sie mit den Abstimmungsarbeiten?“, rief Frau Müllenmeister, die Buchhaltungsleiterin, quer durchs Büro.
Anja, die Daniel gegenüber saß, zog eine Grimasse und verdrehte die Augen. Das verkniff er sich lieber, da Frau Müllenmeister ihn von ihrem Platz aus sehen konnte.
„Nur noch drei Konten, dann bin ich fertig“, gab er zurück.
Leider handelte es sich um die drei längsten, mit ungefähr 5.000 Buchungssätzen pro Konto. Er hatte sie bereits nach Excel exportiert, um sich einen Überblick zu verschaffen. Dagegen war das Abstimmen der anderen Konten ein Spaziergang gewesen.
„Denken Sie bitte daran, dass die Wirtschaftsprüfer Anfang nächster Woche kommen.“ Bei Frau Müllenmeister klang ein bitte eher wie verdammt nochmal. Sie besaß die Gabe, einem Untergebenen das Gefühl zu geben, geistig minderbemittelt zu sein. Hinzu kam, dass sie auch auf persönlicher Ebene niederträchtig war. Also, nicht mit Worten, aber Blicke konnten ja bekanntlich auch einiges aussagen. Beispielsweise starrte sie gern mal Anjas breiten Hintern an und hob süffisant ihre Augenbrauen. Oder sie spreizte geziert einen Finger ab, wenn sie an Daniels Schreibtisch stand, eine Kaffeetasse in der Hand. Ein kleines Zeichen, das er sehr wohl zu deuten wusste, schließlich war sein Status kein Geheimnis. Der Gleichstellungsbeauftragte, bei dem er sich darüber beschwert hatte, meinte jedoch, dass er überempfindlich reagieren würde. Vermutlich zu recht, doch das änderte nichts daran, es als Diskriminierung zu empfinden.
„Aye, aye, Madam“, murmelte er, woraufhin Anja ihm zuzwinkerte und leise „Määäh“ machte.
Insgeheim nannten sie Frau Müllenmeister das Schaf. Zicke hätte besser gepasst, aber irgendwie waren sie auf die andere Bezeichnung verfallen. Zum einen assoziierte man eine dürre Frau mit einer Ziege und davon war die Müllenmeister weit entfernt. Zum anderen trug sie stets Twinsets in wollweiß mit dazu passendem Rock, robuste Schnürschuhe, ebenfalls in heller Farbe und die grauen Haare zu einem Dutt aufgesteckt. Zusammen mit dem markanten, etwas gelblichen Gebiss, erinnerte das Daniel an einen Wolf im Schafspelz. So war dieser Spitzname entstanden.
„Falls Sie bis Freitag nicht fertig sind, müssen Sie eben Überstunden einlegen“, ließ Frau Müllenmeister verlauten.
„Ich könnte Daniel ein Konto abnehmen“, mischte sich Anja ein.
„Sie haben genug zu tun. Herr Egli wird das schon hinbekommen.“ Wieder dieser herablassende Tonfall, als ob sie von einem Schwachsinnigen sprach.
Stille senkte sich übers Büro. Eine ganze Weile war nur das Klackern zu hören, wenn Anja auf die Tastatur einhackte. Daniel hatte vor kurzem eine neue bekommen, die kaum Geräusche erzeugte.
Er teilte sich den Raum mit der Kollegin. Im angrenzenden, der durch eine Glaswand abgetrennt war, residierte die Müllenmeister. Die meiste Zeit stand leider die Tür offen, so dass das Schaf sie nicht nur beobachten, sondern auch hören konnte. Nur wenn sie geschlossen, die Müllenmeister im Urlaub oder im Haus unterwegs war, wagten Anja und er mal ein bisschen privat zu plauschen. Ansonsten taten sie das lediglich außerhalb des Büros.
Plötzlich blinkte eine neue E-Mail an Daniels unterem Bildschirmrand auf. Er klickte auf den Umschlag.
„Das Schaf hat gleich eine Besprechung. Määääh!“, lautete Anjas Nachricht. Sie hatte Zugriff auf den Kalender der Müllenmeister.
„Mit wem?“, textete er zurück.
„Mit dem Oberguru und der Personalerin. Vermutlich geht es um die Stelle des Controllers“, antwortete sie.
Der letzte hatte vor einigen Wochen gekündigt. Es handelte sich um eine Art Schleudersitz. Kaum ein Controller blieb länger als ein Jahr.
Kurz darauf marschierte die Müllenmeister durch ihr Büro, unterm Arm ein Klemmbrett.
Sobald sie draußen war, stieß Anja einen Seufzer aus. „Die gehört mal gründlich durchgenommen.“
„Also, bitte! Auch wenn sie unausstehlich ist, solltest du als Frau solidarisch sein.“
„Ist doch wahr! Man sagt zwar immer, dass nur Typen mit Samenstau zu Unausgeglichenheit neigen, doch bei Weibern ist es das Gleiche.“
Daniel hatte auch schon ewig keinen richtigen Sex mehr gehabt, fand sich aber, dank seiner fleißigen Hand, relativ entspannt. „Ach ja?“
„Tu nicht so blöd. Du weißt schon, wie ich das meine.“
Da er keine Lust hatte dieses Thema weiter zu erörtern, fragte er nach Anjas Kindern. Davon gab es zwei: Leonie, 3 Jahre alt und Leon, 5 Jahre. Das funktionierte immer. Anja begann ausführlich von ihren Sprösslingen zu berichten. Daniel lauschte bloß mit halbem Ohr, da er nebenbei an den Scheißkonten arbeitete, um den Kram bis Freitag fertig zu bekommen. Auf Überstunden hatte er ebenso wenig Bock wie darauf, Frau Müllenmeisters oder sein Intimleben zu besprechen.
Anjas Monolog wurde jäh von einem Mann in grünem Overall unterbrochen, der einen Wagen mit diversem Gärtnerzubehör ins Büro bugsierte. Der Typ kam von der Firma, die die Kübelpflanzen pflegte, wie Daniel an der Kleidung und dem Logo auf der Brusttasche erkannte. Anscheinend handelte es sich ebenfalls um einen Schleudersitz – oder eher gesagt Schleuderposten – denn die Mitarbeiter wechselten sehr häufig.
Der Mann grüßte knapp mit einem „Hallo“ und machte sich daran, die Kübel zu wässern. Eigentlich hätte der Typ eher in eine Muckibude gepasst, mit dem breiten Kreuz und muskelbepackten Armen. Oder als Liebhaber in einen Film, mit dem auffälligen Bartschatten, wilden schwarzen Locken und dunklen Augen.
Der Kerl strotzte vor Maskulinität und obwohl er Daniels Traumtyp nicht entsprach, sprang seine Libido an. Er stand mehr auf schmale Typen mit skandinavischem Einschlag, am liebsten blond, aber brünett ging auch. Leider hatte er keine großartige Wahl, was Männer betraf, daher reagierte sein Schwanz auf jedes verfügbare Objekt. Vielleicht hatte Anja doch recht.
Seufzend wandte er sich wieder seinem Monitor zu. Die Zahlenreihen nahmen kein Ende. Ein Konto abzustimmen erinnerte ihn immer an Memory: Es bedeutete, zwei gleiche Zahlen zu finden und zu eliminieren, bis nur ein Rest Einzelposten übrigblieb. Bedauerlicherweise konnten in den Beträgen auf der rechten Seite mehrere von denen stecken, die links standen. Insofern handelte es sich um eine verschärfte Memory-Version.
Wieder senkte sich emsige Stille über den Raum. Zu Anjas Getippe gesellte sich das Klappern der Gießkanne sowie Geräusch der Pflanzenschere, mit der der Gärtner die Gewächse in Form brachte. In dieses traute Miteinander platzte die Müllenmeister, musterte den Typen im Overall abschätzig und zog eine Miene, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Hocherhobenen Hauptes stolzierte sie in ihr Büro und schmetterte die Tür ins Schloss.
Verwundert tauschte Daniel einen Blick mit Anja, die achselzuckend mit den Augen rollte. Dabei besaß seine Kollegin sonst sehr feine Antennen, um solches Verhalten zu deuten. Nachdenklich musterte Daniel den Overall einen Moment, ohne eine Idee zu haben, was die Müllenmeister an dem Kerl störte. Okay, bis auf den Umstand, dass der Typ in der Rangfolge noch weit unter Anja und ihm stand. Gewissermaßen handelte es sich um einen Unteruntergebenen, also Abschaum.
Der Mann beendete seine Arbeit, verabschiedete sich mit einem „Bis zum nächsten Mal“ und schob den Wagen auf den Gang. Aus Höflichkeit murmelte Daniel ebenfalls einen Abschiedsgruß, fast zeitgleich mit Anja. Erneut trat Ruhe ein. Er kam gut voran und hatte eine der Dateien bereits auf 1.000 Zeilen minimiert, als die Müllenmeister ihr Allerheiligstes verließ und eine Runde durchs Büro drehte, um die Kübelpflanzen zu inspizieren.
Nach der letzten stemmte sie ihre Hände in die Seiten und schüttelte, die Miene ein Ausdruck tiefster Empörung, den Kopf. „Unglaublich! Dieser Neandertaler hat die armen Blumen total verhunzt. Ich werde das gleich melden.“
„Ich finde, er hat seine Sache gut gemacht“, wandte Anja ein.
„Ach? Glauben Sie, Sie haben das nötige Fachwissen, um das zu beurteilen?“, fragte Frau Müllenmeister scharf.
„Das nicht, aber in meinen Augen wirkte sein Tun ziemlich zielstrebig.“
„So, so.“ Die Müllenmeister schürzte verächtlich ihre Lippen und sah in seine Richtung. „Sind Sie auch dieser Meinung, Herr Egli?“
„Ähm ... ich denke nicht, dass ich mir ein Urteil erlauben kann“, antwortete er ausweichend.
„So sehe ich das auch“, stimmte Frau Müllenmeister herablassend zu. „Dann werde ich mal den Hausmeister informieren.“
Sprach’s und marschierte in ihr Büro. Anja schüttelte den Kopf und begann zu tippen. Kurz darauf leuchtete eine neue E-Mail in seinem Postfach auf.
„Die Alte hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun. Was kann der arme Mann dafür, dass sie ihre Periode hat? Määäh!“
Daniel schrieb zurück: „Die hat doch ständig ihre Periode. Obwohl ... steckt man sich dann nicht solche Blutsauger mit zwei Buchstaben in die Muschi? Insofern dürfte sie doch eigentlich penetrant auf ihre Kosten kommen. Muhaha!“
Nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte, guckte er rüber zu Anja.
Die bewegte beim Lesen lautlos die Lippen, schaute hoch und grinste ihn an. „Wusste gar nicht, dass du so gut informiert bist.“
„Es gibt Dinge, die will man eigentlich gar nicht wissen, wird aber durch Werbesendungen damit konfrontiert.“
„Deshalb verbiete ich meinen Kindern fernzusehen“, erwiderte Anja. „Ich halte das für schädlich für ihre Entwicklung. Gerade in jungen Jahren ...“
„Frau Huber? Wären Sie so gütig mir einen Ausdruck der BWA des Vormonats zu bringen?“, beendete Frau Müllenmeisters herrisches Organ den Vortrag. „Wenn’s geht noch heute.“
Am Freitag gegen fünf hatte Daniel sämtliche Konten abgestimmt. Anja war bereits um zwölf gegangen, die Müllenmeister wenig später. Natürlich nicht, ohne ihn nochmals an den Abgabetermin zu erinnern. Was für eine Schreckschraube!
Als er sich anschickte das Gebäude zu verlassen, rief ihm die Empfangsdame „Schönes Wochenende“ hinterher. Er gab den Gruß zurück und trat durch die Schiebetüren nach draußen. Es herrschte allerschönstes Frühlingswetter, dennoch war seine Stimmung mies.
In den vergangenen Tagen hatte sich ein riesiger Berg Frust aufgestaut, der dringend ein Ventil brauchte. Am liebsten würde er der Müllenmeister in den Hintern treten. Noch besser wäre, ihren Kopf in die Kloschüssel zu stecken oder sie mit Benzin zu übergießen und anzuzünden. An seinen zunehmend abartigen Gedankengängen erkannte er, dass er unbedingt Abhilfe schaffen musste, bevor er im Affekt zum Mörder wurde. Nur wie?
Das Firmengebäude lag in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs. Normalerweise ging Daniel direkt zur U-Bahn und erledigte seine Einkäufe auf dem Heimweg. Heute zog es ihn in die Wandelhalle, wo er sich an einem Imbissstand eine fettige Bratwurst einverleibte. Eine Art von Selbstkasteiung, indem er, sonst ein wahrer Gesundheitsfreak, seinen Körper mit Junkfood verunreinigte. Danach war ihm ein bisschen wohler zumute.
Ziellos schlenderte er eine Weile umher, verließ schließlich den Bahnhof durch den nördlichen Ausgang und wandte sich in Richtung Steindamm. Eigentlich nicht unbedingt seine bevorzugte Gegend. Sexshops, Billigwarenläden, türkische Gemüsehändler und ähnliche Geschäfte, wo man auch hinsah. Andererseits plante er keinen gemütlichen Schaufensterbummel, sondern brauchte bloß ein bisschen Bewegung. Da lag es nahe, bis zur nächsten Bahnstation zu Fuß zu gehen.
Aufgrund des schönen, nahezu sommerlichen Wetters tummelten sich zahlreiche Leute in den Straßencafés. Daniel ließ sich von den Sonnenstrahlen dazu verführen, seine Schritte zumindest zu verlangsamen. Mit mäßiger Neugier musterte er hier und da die Auslagen der Läden, bis er etwas entdeckte, das ihn stoppen ließ. Das hässliche Plastikschaf im Schaufenster des Erotikartikelshops ähnelte der Müllenmeister zwar kein bisschen, dennoch musste er sofort an sie denken.
Bevor er sich dem Geschäft näherte, vergewisserte er sich mit einem Blick nach links und rechts, dass ihn niemand beobachtete. Ganz sicher konnte er natürlich nicht sein, dafür befanden sich zu viele Menschen in der Umgebung. Wenigstens sah er aber kein bekanntes Gesicht und wagte daher, nach einem tiefen Atemzug, den Sündenpfuhl zu betreten.
Drinnen wirkte alles hell und freundlich, als befände er sich in einem normalen Supermarkt, mit der Ausnahme, dass die Regale mit Sexzubehör gefüllt waren. Daniel versuchte, eine möglichst desinteressierte Miene aufzusetzen, wie jemand, der bloß zu Studienzwecken die Objekte begutachtete.
Langsam schlenderte er, die Hände auf dem Rücken verschränkt, durch die Regalreihen. Unglaublich, was es so alles gab. Plastikdödel in jeglicher Farbe und Ausführung. Manche sogar mit Kronjuwelen, die, laut Packungsaufschrift, mit Flüssigkeit befüllt werden konnten. Fetischzeug: Masken, Klemmen, Peitschen, Dinger, die wie Paddel mit verkürztem Stiel aussahen. Plastikvaginen ... an denen ging er schneller vorbei und fand am Ende des Ganges, flankiert von hässlichen Sexpuppen, das Schaf, neben einer Ente und einem Einhorn. Abgründe taten sich auf. Wer – bitteschön? – wollte denn eine gelbe Quietscheente vögeln? Das wäre ja Verrat an der Sesamstraße, also, eher an Ernie, der mit solchem Ding die schönsten Abenteuer in der Badewanne erlebt hatte.
Daniel schnappte sich eines der Schafe und hielt nach der Kasse Ausschau, wobei sein Blick an dem Schild ‚Bekleidung‘ hängenblieb. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, marschierte er in die entsprechende Richtung. Die Ledersachen ließ er links liegen, dafür vertiefte er sich in das Angebot an duftiger Wäsche. Zarte Spitze, Nylon, Seide, Strapse, Strümpfe, Tangas, Jockstraps ... Ehrfürchtig strich er über das seidige Material der Waren. Tragen wollte er solchen Kram nicht, bloß angucken.
„Kann ich dir helfen?“, ließ eine jugendliche Stimme ihn zusammenfahren und erröten. Ein Mädchen mit blauen Haaren in Lederkluft lächelte ihm zu.
„Öhm ... nein. Ich hab nur mal geguckt. Ähm ... wo ist die Kasse?“
„Ach, du hast schon was gefunden?“ Sie bedeutete ihm mit einem Wink ihr zu folgen.
Kurz darauf trat er, in der Hand eine neutrale Plastiktüte, wieder auf die Straße. Während er seinen Weg fortsetzte dachte er darüber nach, wozu er das blöde Schaf eigentlich gekauft hatte. Es war aus einem Impuls heraus geschehen.
Sollte er das Ding verbrennen, so, wie man es einst mit Hexen gemacht hatte? Vermutlich schmolz das Plastik im Nu, also keine geeignete Weise, um sich abzureagieren. Ins Klo stopfen kam ebenfalls nicht in Betracht. Damit würde er sich nur selbst schaden. Es mit Kot einzuschmieren und zu vergraben, gefiel ihm noch am ehesten. Leider gab es dabei zwei Nachteile: Zum einen den Gestank, zum anderen keinen Platz, an dem er unbeobachtet das Schaf einbuddeln könnte. Nicht auszudenken, wenn ihn dabei jemand sah. Er käme doch gleich in die geschlossene Psychiatrie.
Als er den Bahnhof Lohmühlenstraße erreichte, war er immer noch planlos. Langsam ging er die Stufen runter und blieb vor dem Kiosk stehen. Ein Tagesblatt lockte mit der Schlagzeile: Kettensägen-Mann endlich gefasst! Was würden die wohl texten, wenn man ihn bei der Schaf-Beerdigung erwischte? Plastikpuppen-Mann auf frischer Tat ertappt?
Er betrat den Laden, nickte dem Typen hinterm Verkaufstresen zu und begab sich in die Ecke mit den Zeitschriften. Sein präferiertes Magazin erwarb er nie zweimal hintereinander im gleichen Shop. Vermutlich eine blöde Marotte, da er stets bar bezahlte und somit keinerlei Spuren hinterließ. Dennoch konnte er einfach nicht aus seiner Haut. Vermutlich steckte ihm seine streng katholische Erziehung noch in den Knochen.
Zusammen mit dem Schwulen-Magazin erwarb er eine Zeitung sowie eine Packung Kaugummi. Ohne die Miene zu verziehen kassierte der Typ und wünschte ihm einen schönen Tag. Daniel steckte seine Einkäufe, bis auf das Tageblatt, in die Tüte und fuhr mit der Rolltreppe zum Bahnsteig hinunter.
Während er auf den Zug wartete, studierte er den Leitartikel und schüttelte ein ums andere Mal den Kopf. Der als Kettensägen-Mann bezeichnete Mörder hatte die Opfer zerstückelt und in der Tiefkühltruhe aufbewahrt. Die Leichenteile waren in Beutel eingeschweißt worden. Wie rücksichtsvoll. Somit hatte der Täter einen Gefrierbrand verhindert.
Zu Hause angekommen verstaute er das Schaf im Kleiderschrank. Anschließend machte er es sich mit einer Bionade, Typ Holunder, und dem Magazin auf der Couch gemütlich. Genüsslich leerte er die Flasche in kleinen Schlucken, wobei er in der Zeitschrift blätterte. Als er zu den Kontaktanzeigen kam, hielt er plötzlich inne, die Bionade halb auf dem Weg zu seinem Mund. Ein Escort in Lederhose, die Miene grimmig verzogen, erinnerte ihn an den Mitarbeiter der Gärtnerfirma. Unter der Anzeige stand: Ich besorge es dir, ob hart oder zart. Paolo, 21x5, AV, OV, BDSM.
Bingo! Das Müllenmeister-Schaf würde Paolos Prügel zu spüren bekommen. Wohlgemerkt: Den aus Fleisch und Blut. Eine bessere Genugtuung konnte er sich nicht vorstellen.
Toller Plan, doch wie sollte er den ausführen? Um den Callboy zu bezahlen, besaß Daniel genug Geld. Schließlich sparte er seit Jahren wie ein Weltmeister. Die Frage war, wer den Typen anrief, weil ... es mangelte an Mut. Den konnte man sich nicht kaufen. Allein der Gedanke, zum Telefon zu greifen und die Nummer zu wählen, verursachte ihm arges Herzklopfen. Ganz zu schweigen davon, dem Mann seine Wünsche zu verklickern.
Tja. Da waren sie wieder, seine drei Probleme: Kein gesundes Selbstbewusstsein, daher keine sozialen Kontakte, in dessen Folge noch weniger Selbstbewusstsein. Nicht umsonst ließ er sich von der ollen Müllenmeister schikanieren. Jeder andere hätte bereits mit der Faust auf den Tisch gehauen, so wie beispielsweise der Controller. An den Namen des letzten konnte er sich nicht mal erinnern.
Seufzend betrachtete er den Rest Bionade. Seine Flasche war immer halb leer, statt halb voll. Anja nannte das übertriebenen Pessimismus. Sie hatte gut reden. Schließlich war sie auf sexueller Basis normal gestrickt, mit zwei Kindern und einem Gatten gesegnet. Daniel beneidete sie nicht darum, dafür verursachte dieser Anhang reichlich andere Probleme. Seit Jahren war er praktisch ihr Kummerkasten. Egal ob die ersten Milchzähne, die Schnullerentwöhnung, Leons Bettnässen – all das hatte er miterlebt. Zwar
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: depositphotos
Cover: Sissi Kaiserlos
Lektorat: Aschure - dankeschön!
Tag der Veröffentlichung: 04.03.2018
ISBN: 978-3-7438-6408-5
Alle Rechte vorbehalten