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Arztromane 7 – Millionäre: Skrupellose Spezies?

Arztromane 7 – Millionäre: Skrupellose Spezies?

Anmerkung: Band 6 ist in der Reihe käufliche Liebe als Sonderband Ärzte vs. Callboys zu finden

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

Text: Sissi Kaiserlos

Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann

Korrektur: Aschure. Danke!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/



Harte Schale, harter Kern?

Mikael lässt sich als ‚Leibarzt‘ für den Sohn des reichen Ford Beckinsale engagieren. Für ein halbes Jahr geht es in die Schweiz. Zum einen reizt ihn der erholsame Aufenthalt in Zürich, zum anderen mag er Milo, den Jungen. Dessen Vater allerdings weniger. Der scheint ein arrogantes Arschloch zu sein, wie alle Geldsäcke.

~ * ~


1.

Die Tür seines Sprechzimmers klappte hinter der kleinen Magdalene und deren Mutter zu. Mikael tippte ein paar Notizen, rief das Stammdatenblatt des nächsten Patienten auf und runzelte die Stirn. Milo Beckinsale war erst in der letzten Woche mit einer Erkältung bei ihm gewesen. Entweder hatte sich der Junge noch nicht davon erholt oder schon wieder etwas Neues eingefangen. Diesbezüglich war Milo ein armer Wicht. Egal welche Infektion gerade grassierte, der Kleine nahm sie fast alle mit.

Er erhob sich aus seinem schweren Ledersessel, ging zum Wartezimmer und spähte hinein. „Milo? Du bist dran.“

Das Kerlchen rutschte von dem Schoß einer Grauhaarigen, Roswitha Kuhl, Milos Kindermädchen, von dem Kleinen stets Tante Rosi genannt. Den Vater hatte er bisher bloß einmal gesehen, bei einem der ersten Besuche. Ein Mann mit schwarzen Haaren und unterkühltem Blick. Ansonsten wurde Milo ab und zu von einem anderen Angestellten begleitet, an dessen Namen er sich momentan nicht erinnerte. Nur daran, dass der Kleine Ernie zu dem Typ sagte. Na ja, es reichte wohl, wenn die genaueren Bezeichnungen der Begleitpersonen in Milos Akte standen. Schließlich war er kein wandelndes Adressbuch.

An der Hand von Tante Rosi folgte Milo ihm über den Flur ins Sprechzimmer. Während er hinterm Schreibtisch Platz nahm, setzte sie sich auf den davor stehenden Stuhl und hievte Milo erneut auf ihren Schoß.

„Ist die Erkältung von letzter Woche noch nicht abgeklungen?“, erkundigte sich Mikael.

„Eigentlich ging es Milo besser, aber gestern hatte er Halsschmerzen. Ich habe ihm einige Lutschtabletten gegeben. Heute Morgen tat ihm der Hals so weh, dass er nichts essen wollte. Wahrscheinlich sind es mal wieder die Mandeln.“

Angina war eine von Milos Dauerkrankheiten. Zweimal pro Jahr suchte den Jungen dieses Leiden garantiert heim, manchmal sogar dreimal. Eigentlich müssten die Dinger raus, doch bisher hatte sich Mikael davor gescheut das zu veranlassen. Zum einen wegen Milos Alter, der Junge war erst fünf, zum anderen barg eine Operation gewisse Risiken.

„Ich guck mir das mal an.“ Als er aufstand, glitt Milo von Tante Rosis Beinen, ging zur Untersuchungsliege und kletterte mithilfe eines Tritthockers auf die Sitzfläche.

Der süße Blondschopf war ein mustergültiger Patient. Nie klagte der Kleine, zeigte irgendwelche Launen oder verweigerte sich einer Untersuchung. Lediglich aufgerissene blaue Kinderaugen verrieten, dass Milo der anstehenden Inspektion der Mandeln mit etwas Angst entgegensah. Entsprechend verfolgten sie jede seiner Bewegungen: Dem Überziehen von Latexhandschuhen, dem Griff nach einem Holzspatel, seinen Schritten zur Liege.

Während er sich vorbeugte, sperrte Milo gehorsam den Mund auf. Sanft umfasste er das Kinn des Jungen, um dessen Mundhöhle ins optimale Licht zu rücken. Anschließend drückte er vorsichtig Milos Zunge mit dem Spatel nieder. Wie vermutet handelte es sich um eine Angina tonsillaris, also eitrige Mandelentzündung.

Er warf den Spatel in eine Nierenschale, die Handschuhe in den Mülleimer, hob den leichtgewichtigen Milo von der Liege und stellte ihn auf dem Boden ab. „Die gute Nachricht ist, dass du in nächster Zeit ganz viel Pudding und Eis essen darfst.“

„Und die schlechte?“, mischte sich Tante Rosi ein, bevor der Junge reagieren konnte.

„Er muss Antibiotika nehmen. Außerdem möchte ich ihn Ende der Woche noch mal sehen.“ Mikael ging zurück zu seinem Schreibtischsessel, ließ sich hineinplumpsen und begann auf der Tastatur zu tippen.

„Mein armer Spatz“, hörte er Tante Rosi gurren. „Auf dem Heimweg kaufen wir ganz viel Wackelpudding für dich.“

„Grünen?“, vernahm er Milos mühsames Krächzen und die schleppenden Schritte, mit denen der Junge zu der Frau ging und sich gegen deren Bein lehnte.

Als Kind hatte er auch die Sorte Waldmeister, seine Schwester Kara hingegen Himbeere bevorzugt. Oft war darüber Streit ausgebrochen. Letztendlich hatte ihre Mutter stets zwei Sorten Pudding zum Nachtisch gekocht, um dem Einhalt zu gebieten.

Er zog ein Rezept aus dem Drucker, unterschrieb die Verordnung und notierte auf einem Zettel den Termin für Freitag. Beides schob er zu Tante Rosi rüber.

„Dann wünsche ich dir gute Besserung“, verabschiedete er sich von Milo und von dessen Begleitung mit den Worten: „Wir sehen uns am Freitag.“

Die beiden verließen den Raum. Armes Kind reicher Eltern. Milos Mutter war kurz nach der Geburt gestorben. Laut Auskunft von Tante Rosi ein Verkehrsunfall. Seitdem kümmerte sie sich um den Kleinen. Mikael verstand nicht, warum Milos Vater keine jüngere Frau engagiert hatte. Tante Rosi ging gut und gerne als Oma durch, aber als Mutterersatz taugte sie wohl kaum.



Am Freitag saß zu seinem Erstaunen, neben Milo und Tante Rosi, auch der Vater im Wartezimmer. Auf seine Aufforderung hin folgten ihm die drei ins Sprechzimmer.

Während der Untersuchung blieb Milos Vater stumm und meldete sich erst zu Wort, nachdem er seine Zufriedenheit über den Genesungsverlauf verkündet hatte.

„Ich würde Sie gern kurz unter vier Augen sprechen“, bat Beckinsale.

Noch bevor er seine Einwilligung geben konnte, griff Tante Rosi nach Milos Hand und führte den Jungen aus dem Raum. Die Tür fiel hinter den beiden zu. Mikael begab sich hinter den Schreibtisch und nahm im Sessel Platz.

Um seine Ungeduld zu demonstrieren, warf er einen auffälligen Blick auf seine Armbanduhr und fragte in kühler Tonlage: „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich muss für ein halbes Jahr nach Zürich. Milo wird mich begleiten, daher brauche ich einen Arzt, der sich mit seinen Wehwehchen auskennt.“

Typisch für den rohen Kerl, Milos Krankheiten derart verharmlosend zu bezeichnen. „Ich kann mich gern mal umhören, ob einer der Kollegen Kontakt zu einem verlässlichen Schweizer Mediziner hat.“

„Sie verstehen mich falsch. Ich möchte, dass Sie sich um Milo kümmern.“

„Das ist ja wohl ein Scherz. Zum einen kann ich meine Praxis nicht so einfach im Stich lassen, zum anderen stehe ich für private Engagements nicht zur Verfügung.“

„Die Praxis können doch Ihre Kollegen weiterführen und was das andere angeht ...“ Beckinsale schlug ein Bein über das andere und zog arrogant eine Augenbraue hoch. „...dürfte das ja wohl nur eine Frage des Preises sein.“

Was für ein Arschloch! Mikael war kurz davor aufzuspringen und den Kerl rauszuwerfen. Allerdings wäre das geschäftsschädigend. In Anbetracht des Darlehens, das er für sein Haus aufgenommen hatte, sollte er sich besser zusammenreißen. Angespannt ballte er seine Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen.

„Überlegen Sie es sich. Ich zahle Ihnen das dreifache von dem, was Sie normalerweise verdienen, dazu freie Kost und Logis.“ Lässig fischte Beckinsale eine Visitenkarte aus der Innentasche des Sakkos und warf sie auf den Schreibtisch. „Das Angebot gilt eine Woche. Ich stehe ein bisschen unter Druck, sonst würde ich Ihnen längere Bedenkzeit einräumen. Es soll nämlich bereits in einem Monat losgehen.“

Es drängte ihm den Kerl ein ‚Leck mich‘ entgegenzuschleudern. Stattdessen setzte er ein professionelles Lächeln auf. „Sie werden sicher einen kompetenten anderen Arzt finden, der interessiert ist.“

„Milo möchte keinen anderen. Diesbezüglich kann mein Sohn ziemlich stur sein.“

Der erste sympathische Wesenszug an Beckinsale. „Entschuldigen Sie, aber meine Patienten warten. Ich muss daher unsere Unterhaltung beenden.“

„Es ist eh alles gesagt“, gab Beckinsale zurück, stand auf, ging zur Tür und verabschiedete sich im Hinausgehen: „Ich erwarte Ihren Anruf.“

„Da kannst du warten, bis du schwarz wirst“, murmelte Mikael, sobald der Mann außer Hörweite war, schnappte sich die Visitenkarte und schleuderte sie in den Papierkorb.

Es dauerte ein paar Momente, bis sich sein Puls soweit beruhigt hatte, dass er den nächsten Patienten empfangen konnte.



Um eins war das Wartezimmer leer. Wie üblich hatte Mikael noch einen Haufen Papierkram zu erledigen. Im Laufe der nächsten halben Stunde wünschten ihm die Sprechstundenhilfen nacheinander ein schönes Wochenende, bis nur noch er und die beiden Kollegen übrig waren.

Martin, der ältere der zwei, schlenderte gegen zwei in sein Sprechzimmer und ließ sich auf dem Besucherstuhl nieder. „Ich hau gleich ab. Meine Frau hat ein Wellnesswochenende an der Ostsee gebucht. Sie steht schon in den Startlöchern.“

„Bei diesem Wetter? Na, viel Spaß.“ Draußen regnete es Bindfäden bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.

„Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung.“

„Ha, ha! Klar! Also wirst du im Astronautenanzug an der Ostseeküste spazieren gehen?“

„Vermutlich werde ich die meiste Zeit zwischen Sauna und Schwimmbad pendeln. Ein paar Massagen, vielleicht eine Fangopackung. Du solltest auch mal ausspannen. Siehst ganz schön fertig aus.“

„Zugegeben, diese Renoviererei schlaucht mächtig. Hab letztes Wochenende im Obergeschoss Tapeten abgekratzt.“ Mikael seufzte. „Irgendwie hatte ich mir das alles leichter vorgestellt.“

„Mach mal Pause. Die Arbeit läuft nicht weg.“

„Apropos!“ Er angelte mit ausgestrecktem Arm Beckinsales Visitenkarte aus dem Papierkorb und wedelte damit herum. „Der Vater eines Patienten sucht einen Kinderarzt in Zürich. Kennst du da einen Kollegen?“

„Ist das deine neue Ablagemethode?“, erkundigte sich Martin amüsiert.

„Der Typ hat mich so geärgert, dass ich meinen Zorn an irgendetwas auslassen musste.“

„Zeig mal.“ Martin nahm ihm die Karte aus der Hand. „Ach, das ist doch der Vater von dem niedlichen Milo.“

In Krankheits- und Urlaubszeiten vertrat ihn stets Dr. Martin Weinlaub und kannte daher einige seiner Patienten. „Richtig. Ein Riesenarschloch. Der wollte mich doch echt mit Geld überreden, ein halbes Jahr für Milo den Leibarzt zu spielen.“

„Klingt doch ganz lukrativ. Wie gesagt: Ein bisschen ausspannen würde dir guttun. Dazu noch am Zürichsee. Nette Gegend.“

„Und wer soll meine Arbeit erledigen?“

„Also, Angus und ich können das natürlich nicht über einen so langen Zeitraum abfangen. Eine Vertretung müsstest du schon besorgen. Du hast doch gerade erst die Uni verlassen. Da kennst du bestimmt noch den einen oder anderen Kommilitonen, der vielleicht händeringend eine Stelle sucht.“

Gerade erst bedeutete: Vor sechs Jahren. Aus Martins Sicht, im Alter von 59, eine kurze Spanne, aus seiner eine Ewigkeit.

„Na ja, ich muss dann mal los. Anja wartet.“ Martin schnippte ihm die Visitenkarte zu, stand auf und wünschte im Hinausgehen: „Schönes Wochenende.“

„Ebenso“, murmelte Mikael abwesend.

Im Grunde hatte Martin Recht: Er musste unbedingt mal raus. Die letzten sechs Jahre hatte er eisern mit seinen Einkünften gehaushaltet, um seinen Eltern die Schulden für den Erwerb eines Miteigentumsanteils an der Praxis zurückzuzahlen. Inzwischen war die Summe getilgt, dafür lastete ein neuer Kredit fürs Haus auf seinen Schultern. Urlaub konnte er sich somit erst in ferner Zukunft leisten.

Seufzend griff er nach der Karte und drehte sie in seinen Händen. Hier bot sich wirklich eine einmalige Chance, zugleich Geld zu verdienen und ein bisschen Energie zu tanken. Außerdem mochte er Milo sehr gern. Tja. Blieb aber immer noch die Frage, wer ihn für ein halbes Jahr ersetzen sollte.



Übers Wochenende manifestierte sich das Bedürfnis Beckinsales Angebot anzunehmen. Er merkte, dass seine Batterien allmählich ausgepowert waren. Seine Nachbarn, Kurt und Philip, halfen ihm zwar am Samstag die restlichen Tapeten im oberen Stockwerk zu entfernen, aber er fühlte sich ausgelaugt und empfand keinerlei Euphorie über den Arbeitsfortschritt.

Beim gemeinsamen Abendessen, das er den beiden für den Einsatz spendierte, kam die Sache zur Sprache. Sie kannten sich erst seit Silvester, dennoch herrschte zwischen ihnen eine Vertrautheit, als wären sie alte Kumpel.

„So ein Angebot möchte ich auch mal bekommen“, klagte Kurt. „Scheiße! Ich glaube, ich sattele noch mal um. Wie lange muss ich studieren, bis ich Kinderarzt bin?“

„Nur schlappe elf Jahre.“

„Okay. Ich bleibe lieber bei meinen Pflanzen.“ Kopfschüttelnd nahm Kurt das nächste Viertel Pizza aus dem Karton. „Das ist mir doch etwas zu happig.“

„Der Vater des Jungen ist ein Snob. Wie soll ich das bloß aushalten?“, lenkte Mikael aufs Thema zurück. „Zudem hab ich keinen Schimmer, wer mich vertreten soll.“

„Gibt’s keine Jobbörse für arbeitssuchende Ärzte?“, fragte Philip.

„Schon, aber es geht ja nur um sechs Monate.“

„Du kennst doch einen ganzen Studiengang angehender Kinderärzte. Da muss doch jemand darunter sein, der verfügbar ist.“ Kurt spähte in Philips Pizzakarton. „Darf ich ein Stück haben?“

„Nur zu“, willigte der ein und an Mikael gewandt: „Um deine Post können wir uns jedenfalls kümmern. Damit wäre doch schon mal ein Punkt abgehakt.“

„Das ist eine große Hilfe. Danke.“ Er schenkte Philip ein Lächeln, biss in sein Pizzastück und ging in Gedanken sämtliche Kommilitonen durch.

Einige waren weggezogen und schieden schon deshalb aus. Von dem Rest würde er die eine Hälfte niemals auf seine Patienten loslassen, die andere befand sich in Lohn und Brot. Zwei Wunschkandidaten gäbe es allerdings schon. Zum einen Isaac, der an der Universitätsklink Eppendorf arbeitete, zum anderen Thilo, im Klinikum Heidberg tätig. Er nahm sich vor, die beiden später anzurufen.

„Was genau sollst du denn eigentlich tun? Nur rumsitzen, bis das Kind krank wird?“, wollte Philip wissen.

„Das muss ich noch klären. Vielleicht erwartet Mr. Riesenarschloch, dass ich für das Kind eine Art Entertainer spiele.“

„Sieht das Arschloch denn wenigstens gut aus?“ Kurt zwinkerte ihm verschmitzt zu.

„Sofern er die Klappe hält, ist er durchaus ein ansehnlicher Typ“, gab Mikael widerstrebend zu.

Ehrlich gesagt war Ford Beckinsale höllisch attraktiv. Witziger Weise machte gerade die arrogante Art den Mann besonders interessant. Na ja, wer träumte nicht davon, unter einer rauen Schale einen weichen Kern zu entdecken? In Beckinsales Fall dürfte es sich allerdings eher um einen aus Kruppstahl handeln.

Wenig später verabschiedeten sich seine Nachbarn. Was die zwei mit dem Rest des Abends vorhatten, erkannte er an den lüsternen Blicken, mit denen sie einander bedachten.

Etwas wehmütig schloss er die Tür hinter den beiden. In seiner Studienzeit hatte er es tüchtig krachen lassen, doch seitdem herrschte Ebbe in seinem Sexualleben. Nur äußerst selten suchte er zum Druckausgleich einschlägige Clubs auf, ansonsten nahm er vorlieb mit seiner eigenen Hand und Spielzeugen. Das war weniger anstrengend, als sich in irgendwelchen Etablissements wie ein Ladenhüter anzupreisen. Außerdem hatte er anonyme Ficks eh satt.

Bei einer Flasche Pils, gemütlich auf die Couch gefläzt, setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Als erstes rief er bei Thilo an und landete auf der Mailbox.

Isaac hingegen nahm das Gespräch sofort an: „Hi Alter. Du warst ja ewig nicht beim Stammtisch. Hab mir schon Sorgen gemacht.“

An jedem ersten Mittwoch des Monats fand im Schachcafé Barmbek ein Treffen der Ehemaligen statt. Anfangs war er regelmäßig hingegangen, aber im Laufe der Zeit hatte er die Lust verloren. Es kam eh nur noch der harte Kern, der größtenteils aus Pappnasen bestand.

„Vielleicht bin ich nächstes Mal wieder dabei. Wie läuft es bei dir?“

Isaac stöhnte. „Puh! Frag lieber nicht! Die beschissenen Schichtdienste bringen mich um. Und selbst?“

„Beruflich kann ich nicht klagen. Hab mich nur privat mit einem alten Haus etwas übernommen.“

„Ja, ja. Immer dieselbe Leier. Beim Kauf sparen und hinterher große Augen machen“, neckte Isaac ihn. „Gibt’s einen besonderen Anlass für deinen Anruf?“

„Ich bräuchte kurzfristig eine Vertretung für ein halbes Jahr. Interesse?“

„Ach? Und was machst du während dieser Zeit?“

„Man hat mir ein privates Engagement angeboten.“

„Du Glückspilz. Also: Generell bin ich natürlich interessiert. Wie es der Zufall so will, hab ich gerade Urlaub und könnte Anfang nächster Woche mal in deiner Praxis reinschauen. Wir müssen doch erstmal gucken, ob es überhaupt passt. Falls ja, werde ich mit der Personalabteilung reden. Mein Arbeitgeber bietet ein Sabbatical an. Vielleicht kann ich es so deichseln, dass ich die erforderliche Summe hinterher anspare.“

So einfach war das? Einen Moment war Mikael sprachlos.

„Hallo? Alles klar bei dir?“, drang Isaacs Stimme besorgt an sein Ohr.

„Ich bin bloß platt. Hätte eigentlich niemals damit gerechnet ... egal. Kommst du gleich Montag vorbei? Mittags, kurz vor Sprechstundenende, gegen zwölf? Dann könnte ich dir die Kollegen vorstellen und hinterher gehen wir was essen.“

„Abgemacht. Freue mich, deine zerknitterte Visage mal wiederzusehen. Bis Montag.“ Isaac beendete die Verbindung.

Grinsend legte er ebenfalls auf. Von allen Kommilitonen war ihm Isaac, mit der burschikosen Art, am liebsten. Thilo rangierte gleich dahinter. Beide hatten das Studium, genau wie er, glorreich abgeschlossen und besaßen bei Kindern ein geschicktes Händchen. Das konnte man leider nicht von allen Studenten des Fachs behaupten.



2.

Ford unterhielt in der Hafencity ein Büro mit kleiner Mannschaft. Das Personal bestand nur aus seiner Assistentin, einer Empfangsdame sowie fünf Programmierern. Letztere arbeiteten ihm zu und bedienten die Hotline.

Mit seiner ERP-Software für private Bankhäuser hatte er sich am Markt behaupten können und zählte einiger der namhaftesten zu seinen Kunden. Als er, während seines Informatikstudiums, an den ersten Modulen bastelte, hätte er von solchem Erfolg niemals zu träumen gewagt. Vier Jahre nach dem Master-Abschluss erreichte sein Umsatz erstmals Millionenhöhe und stieg seitdem kontinuierlich.

Er hatte kein Interesse daran ein riesiges Unternehmen zu leiten, daher hielt er den Mitarbeiterstamm möglichst klein, allerdings ohne den Einzelnen auszubeuten. Für ihn zählte ein gutes Betriebsklima sowie optimale Auslastung zu äußerst wichtigen Faktoren, da das die Leute motivierte. Entsprechend gab es Gleitzeit, flexible Arbeitszeitkonten, 30 Urlaubstage, Getränke und Obst umsonst.

Nervös trommelte er mit den Fingerspitzen auf die blankpolierte Fläche seines Schreibtisches. Heute lief das Ultimatum, das er Doktor Kirchhoff gestellt hatte, ab. Er konnte zwar auf zwei weitere Kandidaten zurückgreifen, aber mit denen war Milo nicht einverstanden. Überhaupt entwickelte sein Sohn, was diesen Arzt anging, einen ganz schönen Dickkopf. Ziemlich ungewöhnlich für Milo, der sonst ziemlich leicht zu lenken war.

Zum wiederholten Male ärgerte er sich, nur den Tag, jedoch keine Uhrzeit genannt zu haben. Vielleicht rief der verdammte Doktor erst kurz vor Mitternacht an. Dem widerspenstigen Kerl würde er das durchaus zutrauen. Allerdings wäre ihm das immer noch lieber, als Milos stummen Vorwurf zu ertragen, falls das nicht geschah. Diesbezüglich kam sein Sohn ein bisschen nach der Mutter. Belinda hatte ihn zur Strafe aber stets komplett ignoriert, anstatt ihn schweigend mit leidender Miene anzustarren.

„Chef? Ich geh raus und hol mir was zu essen. Soll ich dir was mitbringen?“, rief Katja, seine Assistentin, durch die offenstehende Tür des Vorzimmers.

„Danke, nein. Ich geh später selbst.“

„Okay. Bis gleich.“

Er hörte ihre hohen Absätze auf den Dielen in Richtung Empfang davonklappern. Das erinnerte ihn erneut an Belinda. Seine verstorbene Gattin hatte ständig Highheels getragen, egal ob im Winter oder Sommer.

Bis zum heutigen Tag war die genaue Unfallursache ungeklärt. Fest stand nur, dass sie, mit überhöhter Geschwindigkeit, erst einen Laternenmast gestreift und anschließend einen Baum gerammt hatte. Sie starb noch am Unfallort. Man hatte sie aus dem Wrack schneiden müssen und der Bestatter ihm geraten, auf einen letzten Blick in den Sarg zu verzichten.

Ford ging fest davon aus, dass Belinda absichtlich in den Tod gerast war. Das entsprach ihrer Art, ihm auf destruktive Weise Schuldkomplexe einzuimpfen. Davor war ihr das nicht gelungen, weder mit wochenlanger Funkstille, noch einer provokativ offenen Affäre. Aus dieser stammte Milo.

Letztendlich hatte sie mit ihrem Suizid das angestrebte Ziel erreicht. Seit eine Leiche auf seinem Gewissen lastete, war seine Lebensfreude gedämpft. Manchmal kam er sich vor wie ein Roboter, der programmierte Muster abspulte. Nur wenn er irgendeinen Kerl fickte, kehrte ein bisschen des alten Gefühls zurück, um sich gleich danach wieder in Luft aufzulösen. Vermutlich war er ein Fall für den Seelenklempner, doch sein Misstrauen in diese Berufssparte zu groß, als dass er sich deren Gehirnmanipulationen ausliefern würde.

Er hatte Belinda eigentlich nur geheiratet, weil das für aus seiner damaligen Sicht zu einem erfolgreichen Unternehmerstatus dazugehörte. Eine schöne Frau an seiner Seite, wenn er Geschäftsfreunde zum Essen traf, nach Hause einlud oder auf Empfängen Smalltalk betrieb. Aus dem ursprünglichen Übereinkommen, ihre Ehe in platonischer Freundschaft zu führen, war Belinda nach einem Jahr klammheimlich ausgestiegen. Ihr genügte der luxuriöse Lebensstil wohl nicht mehr. Sie wollte plötzlich eine Familie gründen und versuchte ihn zum Hetero zu bekehren.

Mit Schaudern erinnerte er sich an die Gelegenheiten, bei denen sie ihm auf die Pelle gerückt war. Auf seine Verweigerung hatte sie jedes Mal mit Beleidigungen aus dem untersten Regal reagiert. Es folgte stets eine Schweigephase, bis sie das Spielchen von neuem begann.

Das Vibrieren seines Smartphones riss ihn aus den Erinnerungen. Die Nummer auf dem Display war ihm unbekannt.

„Ja?“, meldete er sich.

„Hier Mikael Kirchhoff. Spreche ich mit Ford Beckinsale?“

„Richtig.“

„Bevor ich Ihnen eine Zusage gebe, benötige ich nähere Details und – vor allem – einen schriftlichen Vertrag.“

Er sackte gegen die Sessellehne und unterdrückte einen erleichterten Stoßseufzer. Kirchhoff brauchte nicht zu wissen, wie wichtig die Sache für ihn war.

„Ich hab schon etwas aufsetzen lassen. Können wir uns treffen, um den Rest zu besprechen?“

„In etwa einer Stunde kann ich hier weg. Vorschlag für einen Treffpunkt?“

„An der Bar im Hotel das Smolka? Das ist nicht weit von Ihrer Praxis.“

„Öhm ... Geht’s ein bisschen weniger steif?“, bat Kirchhoff.

„Etwa bei McDonalds oder was schwebt Ihnen vor?“

„Sie müssen nicht gleich von einem Extrem ins nächste verfallen. Wie wär’s mit dem Bistro Uno? Das ist in der Nähe der U-Bahnstation.“

„Einverstanden. Also um zwei im Bistro Uno.“

„Bis nachher“, verabschiedete sich Kirchhoff und legte auf.

Frohlockend holte Ford den vorbereiteten Vertrag auf den Bildschirm und druckte diesen aus. Anschließend rief er die Homepage des Bistros auf, um dort einen Tisch zu reservieren und speicherte die Adresse auch gleich in seinem Navi.



Um Viertel vor zwei betrat er das Lokal, eine Ledermappe, in der sein Notebook und die Vertragsunterlagen steckten, unter dem Arm. Ein Kellner wies ihm den Weg zu einem Zweiertisch am Fenster, dem einzigen freien Platz. Ohne seine Reservierung hätte er mit Kirchhoff die umliegenden Restaurants abklappern müssen.

Er bat um ein stilles Wasser, legte seine Mappe auf die Fensterbank und guckte nach draußen. Vorm Bürgersteig reihte sich Blechkarosse an Blechkarosse. An jeder verfügbaren Möglichkeit ein Fahrradschloss anzubringen standen Drahtesel. An vielen Stellen war der Gehweg von den Wurzeln der Straßenbäume hochgewölbt.

Kaum zu glauben, dass Leute freiwillig in dieser Gegend wohnten. Ford fühlte sich von den hohen Häuserfronten, die um diese Jahreszeit beständige Schatten warfen, förmlich erdrückt. Außerdem hasste er es, bei jedem Schritt auf Hundekot oder etwaige Stolpersteine achten zu müssen.

Eine Gestalt in brauner Lederjacke geriet in sein Sichtfeld. Beim Näherkommen erkannte er Kirchhoff, der, den Blick gesenkt, auf das Lokal zumarschierte. Von den drei Kandidaten war der Mann nicht nur Milos erste Wahl, sondern, ehrlich gesagt, auch seine. Zum einen sah Kirchhof gut aus, zum anderen schien der Typ Grips zu besitzen. Also: Intelligenz, die über das beim Studium erworbene Wissen hinausging.

Kirchhoff betrat das Bistro, schaute sich suchend um, entdeckte ihn und schlängelte sich zwischen den besetzten Tischen hindurch. Vom Wind waren die braunen Locken zerzaust, was dem attraktiven Gesicht einen lausbübischen Touch verlieh.

Bei ihm angekommen, nahm Kirchhoff auf dem freien Stuhl Platz und wischte sich ein paar Strähnen aus der Stirn. „Hi. Bin ich zu spät oder Sie zu früh?“

„Wir sind beide zu früh“, erwiderte er nach einem Blick auf die Uhr, die über dem Eingang hing. „Ich hatte noch kein Mittagessen. Wäre es okay, wenn ich mir eine Kleinigkeit bestelle?“

„Ich könnte auch etwas vertragen.“ Kirchhoff streifte sich die Jacke ab, hängte sie über die Stuhllehne und griff nach der Speisekarte, die der Kellner zusammen mit dem Mineralwasser gebracht hatte.

Es handelte sich bloß um ein laminiertes Blatt Papier, mit einer überschaubaren Anzahl an Speisen. Nach kurzem Überfliegen reichte Kirchhoff ihm die Karte.

„Ich nehme die Kichererbsen Pfannkuchen mit Lachs und Spinat. Die kann ich sehr empfehlen.“

„Sie sind also öfter hier?“, stellte Ford fest.

„Ab und zu, wenn ich mal mit den Kollegen mittags rausgehe.“

Ein auftauchender Ober unterbrach ihr Geplänkel. Nachdem sie ihre Bestellungen aufgegeben hatten, zog der Bedienstete mit der Speisekarte wieder ab.

„Würden Sie mich bitte über den genaueren Inhalt meiner Aufgabe aufklären? Soll ich nur anwesend sein, falls Milo erkrankt oder auch Kindermädchen spielen?“, verlangte Kirchhoff zu wissen.

„Im Prinzip reicht Ihre Anwesenheit. Frau Kuhl ist mit von der Partie, außerdem habe ich Milo für vormittags in einem Kindergarten angemeldet. Es wäre aber schön, wenn Sie ihn zu ein bisschen Sport ermutigen. So sehr ich Frau Kuhl auch schätze, behütet sie Milo einfach zu sehr.“

„Kann er schwimmen?“

„Leider nein.“ Oft hatte er mit Roswitha deswegen gestritten, doch sie beharrte auf dem Standpunkt, dass die Keime im Schwimmbad für Milo schädlich wären.

„Also bin ich eine Art Sportlehrer und Arzt in einer Person“, konstatierte Kirchhoff.

„Gut erkannt. Und? Kommen wir ins Geschäft?“

Erneut sorgte der Kellner für eine kurze Gesprächspause, servierte Kirchhoffs Getränk, ebenfalls ein Wasser, und verschwand nach einem angedeuteten Diener.

„Sieht ganz so aus. Sofern wir uns finanziell einigen und ...“ Kirchhoff prostete ihm zu. „... über die Unterbringung gesprochen haben.“

Ford hob auch sein Glas. „Da sehe ich keine Probleme.“

In den folgenden Minuten schilderte er Lage und Ausstattung der Villa, die er für den Aufenthalt angemietet hatte. Kirchhoff lauschte aufmerksam, die Augenbrauen konzentriert zusammengezogen.

Das Gebäude befand sich in Küssnacht, nahe Zürich, in Hanglage mit Ausblick auf den Zürichsee. Die Räume im Souterrain waren dem Personal vorbehalten. Im Erdgeschoss fand das Gemeinschaftsleben statt. Neben dem Salon, Esszimmer und den Wirtschaftsräumen gab es zwei Gäste-WCs und eine Bibliothek. Bei Erwähnung derselben schlug er vor, dass Kirchhoff das vorhandene Material für leichte Vorschulübungen verwenden könnte.

Im 1. Stock befanden sich fünf Schlafzimmer mit eigenem Bad. Jedes verfügte über Zugang zu den Balkonen, die sich über Front und Rückseite des Hauses zogen. Zwei nebeneinanderliegende Räume waren für Frau Kuhl und Milo reserviert,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Cover: Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - danke
Tag der Veröffentlichung: 16.02.2018
ISBN: 978-3-7438-5655-4

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