Cover

Sommersplitter Vol. 3

 

Kranke Typen

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. E-Books sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

Text: Sissi Kaiserlos

Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann

Korrektur: Aschure. Danke!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/


Eifersucht

Adam und Timo pflegen ein rein sexuelles Verhältnis. Allerdings kommt es dann anders als erwartet. Hauptrollen: Ein eifersüchtiger und ein beharrlicher Mann. Nebenrolle: Ein kaputtes Kondom. Statisten: Björn und Andi, zwei Freunde, die unterschiedlicher nicht sein könnten sowie ein paar andere.

~ * ~


1.

„Schläfst du schon?“, flüsterte Adam.

Träge antwortete Timo: „Mhmnö.“

„Gestern ... da ist was total Blödes passiert.“

„Hmja?“

„Das Gummi ist irgendwie ... keine Ahnung. Jedenfalls war es wohl porös.“

Mit einem Schlag hellwach richtete er sich auf, knipste die Nachtischleuchte an und fixierte in der plötzlichen Helligkeit Adams Gesicht. „Porös?“

„Ich hab’s, wie immer, hinterher verknotet und auf den Boden geworfen. Als ich es heute Morgen aufhob, war da ein nasser Fleck. Erst dachte ich, der ist von dem Gleitgel. Dann hab ich aber probeweise an dem Ding herumgedrückt und da ist ... da ist ein Tropfen aus einem Loch gequollen.“

„Ein Tropfen?“, echote er dumm.

„Sperma“, präzisierte Adam, seufzte gequält, kroch unter der Decke hervor und schwang die Beine aus dem Bett. „Was bedeutet, dass ich davon auch etwas in dir hinterlassen haben muss.“

Die Worte erzeugten in seinem Kopf eine Art Rushhour. Gedanken blitzten auf, um gleich dem nächsten Platz zu machen. Adam hatte in seinem Arsch abgespritzt! Etwas, das er sich seit Monaten wünschte aber – aufgrund ihres Beziehungsstatus – nicht traute zu erbitten. Schließlich hatten sie von vornherein klargestellt, lediglich eine Weile Sex miteinander zu haben. Sowohl Adam als auch er waren mit Mitte zwanzig noch zu jung, um ernste Absichten zu hegen. Dennoch hatte er sich total verliebt. Tja. Dumm gelaufen. Nun hatte er das ersehnte erste Mal ungeschützten Verkehrs mit seinem Geliebten ahnungslos erlebt.

Adam stand auf und trottete aus dem Raum. Das bedeutete wohl, dass er gehen sollte. Mitten in der Nacht und nachdem sie gerade miteinander geschlafen hatten. Das kam zwar manchmal vor, aber in letzter Zeit durfte er oft bis zum nächsten Morgen bleiben. Sein Herz brach. Wie oft konnte dieses Organ eigentlich zerspringen? Gefühlte 100 Mal war das passiert, seit er mit Adam ins Bett ging.

Timo sammelte seine verstreuten Klamotten ein und streifte sie mit fahrigen Fingern über. Auf dem Weg zur Wohnungstür spähte er in die Küche.

„Ich bin dann mal weg.“

„Es tut mir wirklich leid, dass du ... dass ich ... Ach, Scheiße.“ Adam schenkte ihm ein zittriges Lächeln. „Ich wünschte ...“

Sein Ex-Bettpartner wandte sich dem Wasserkocher zu und ließ den Satz im Raum hängen. Ich wünschte? Was – bitteschön – wünschte sich Adam? Das kostbare Sperma nicht in seinem Darm gelassen zu haben? Diesen Moment mit jemandem zu teilen, der dessen würdiger war? Hier ging’s nicht um etwaige Infektionen. Sie waren beide aktuell getestet und hätten das Kondom schon lange weglassen können. Tja, wenn ...

„Ich sollte wohl besser den Mund halten, aber ...“ Timo lehnte sich gegen den Türrahmen und schluckte schwer an dem gewaltigen Kloß Gefühlsscheiße herum. „Ich hab dich total lieb. Das hier tut verdammt weh.“

Adams Miene spiegelte Überraschung, dann folgte ein höhnisches Lachen. „Klar. Deshalb hältst du mich auch ständig auf Abstand.“

„Tue ich nicht!“

„Was war letztes Wochenende? Du hattest keine Zeit für mich, weil du ja unbedingt mit deinen Freunden ausgehen wolltest.“

„Du hast vorher eine Woche lang ständig Ausreden erfunden, um mich nicht zu treffen.“

„Stimmt.“ Adam nickte. „Selbstschutz. Ich kann mit dem ... mit dem, was ich für dich fühle einfach nicht ... nicht umgehen.“

„Meinst du, es hat Sinn darüber zu reden?“

„Ich bin darin nicht gut.“

„Ich will es trotzdem versuchen. Du bist mir wichtig“, wandte Timo ein.

„Du mir auch. Okay. Möchtest du auch einen Tee?“

Timo nahm am Küchentisch Platz. „Gern.“

Während Adam Becher und Teebeutel aus einem der Oberschränke holte, dachte er über den Gesprächsverlauf nach. Irgendwie redeten sie ganz schön aneinander vorbei. Anscheinend empfand Adam ebenfalls etwas für ihn. Damit war doch eigentlich alles paletti.

„Schwarzer oder Kräutertee?“, erkundigte sich Adam.

Sein Puls raste ohnehin, also lieber kein aufputschendes Getränk. „Kräuter.“

Erneut wandte Adam ihm den Rücken zu, um kochendes Wasser in die Becher zu gießen. Er trug einen Bademantel, der die kräftigen Waden freiließ. Ihnen war anzusehen, dass Adam regelmäßig joggte.

„Danke“, murmelte er, als Adam einen Becher vor ihm abstellte und sich mit dem anderen gegenüber niederließ. „Was wünscht du dir denn?“

„Hm?“

„Du hast deinen Satz nicht beendet.“

„Ich wünschte, ich wär weniger verkorkst.“

„In meinen Augen wirkst du ziemlich normal.“

„Trotzdem bin ich innendrin vermurkst. Daran hat auch die jahrelange Therapie nichts geändert.“

„Therapie? Wurdest du ... wurdest du etwa missbraucht?“, fragte Timo alarmiert.

„Nein. Ich hab nur die Scheidung meiner Eltern nicht verkraftet. Dabei lief die eigentlich ganz human ab.“

Innerlich atmete er auf. „Wann war denn das?“

„Vor 15 Jahren. Von heute auf morgen wurde ich zum Bettnässer, konnte mich in der Schule nicht mehr konzentrieren und suchte häufig Streit. Ich hab drei Therapeuten verschlissen, bis ich mir von einem helfen ließ. Trotzdem sind Narben geblieben.“

Timo entfernte den Teebeutel aus seinem Becher und legte ihn auf eine Untertasse. „Haben wir die nicht alle?“

„Es ist so ...“ Die Stirn gerunzelt, folgte Adam seinem Beispiel. „Ich bin beziehungstechnisch voll gestört. Wenn ich in einer stecke, fange ich an zu klammern und verscheuche damit meinen Partner.“

„Wie meinst du das?“

„Ich verlange ständig Liebesbeweise und flippe bei dem kleinsten Verdachtsmoment, dass ich betrogen werde, völlig aus.“

„Wie oft warst du denn schon mit jemandem zusammen?“

„Dreimal. Meinen ersten Freund hatte ich mit 17. Das hat immerhin 10 Monate gehalten. Die beiden danach hatten weitaus schneller die Schnauze voll.“

„Und nun übergehst du den Teil mit der Beziehung und schickst mich lieber gleich zum Teufel?“

Adam nickte stumm, den Blick gesenkt.

„Ich möchte aber eine Chance“, erklärte Timo beharrlich und nippte an seinem Tee. „Und das mit dem kaputten Gummi ... ich hätte dir nie verraten sollen, wie viel mir mein erstes Mal bare bedeutet. Allerdings ist das eher was Kopflastiges. Dabei geht’s um Nähe und Vertrauen, weniger um Körpersäfte.“

„Es ist trotzdem doof, dass es passiert ist“, beharrte Adam.

„Wären wir über unseren Status unsicher, gäbe ich dir Recht. Sind wir aber nicht. Was ist denn nun?"

Ein Kopfschütteln ließ seine Hoffnung sinken, aber noch war er nicht bereit aufzugeben.

„Darf ich wenigstens hierbleiben? Es ist schon nach eins und ich müsste entweder eine halbe Stunde zu Fuß latschen oder am Bahnhof ein Taxi nehmen.“

„Okay“, antwortete Adam nach kurzem Zögern und lächelte sogar zaghaft. „Ist mir eh lieber, wenn wir unser Verhältnis sukzessive beenden. Die Abrissbirne würde ich ein viertes Mal ziemlich schwer verwinden.“

Ehrlich? Adam war wirklich ganz schön gestört. Emotionen konnte man doch nicht allmählich abbauen.

„Hast du noch Kontakt zu deinen Eltern?“

„Nein. Beide sind wieder verheiratet und vollauf mit ihrem neuen Nachwuchs beschäftigt.“

„Wissen sie ...?“

„Ja. Aber das hat sie nicht gestört. Die Funkstille geht von meiner Seite aus. Es würde nur Unglück bringen, wenn ich meine Eifersüchteleien an meinen Halbgeschwistern ausließe.“

Fröstelnd zog Timo die Schultern hoch. Seit Monaten fickte er mit Adam und hatte nie bemerkt, dass jener in einem Käfig aus emotionalen Eiszapfen lebte. Ein ziemliches Armutszeugnis für ihn.

„Ich bin müde.“ Er leerte seinen Becher, stand auf und raffte im Schlafzimmer das Bettzeug zusammen, das auf der von ihm zuvor benutzten Seite lag.

Adam, der ihm gefolgt war, beobachtete seine Aktion mit fragendem Blick.

„Ich schlafe auf der Couch“, gab er das Offensichtliche bekannt.

„Warum?“

„Weil unser Fickverhältnis beendet ist.“ Er trug den Kram ins Wohnzimmer.

Nachdem er, bis auf Shorts und T-Shirt, seine Sachen abgestreifte hatte, machte er es sich auf der Couch einigermaßen gemütlich. Durch die dünnen Gardinen drang der Schein der Straßenlaternen herein. Sein Blick wanderte über die Wände, an denen zahlreiche Bilder hingen. Es handelte sich ausschließlich um abstrakte Motive. In dem einen glaubte er eine böse Fratze zu erkennen, aber das lag bestimmt an den Lichtverhältnissen.

Nackte Fußsohlen auf dem Parkett kündigten Adam an. Vor dem Sofa blieb jener stehen und verknotete die Finger miteinander.

„Ich ... ich glaube, ich würde es gern versuchen. Also, das mit uns. Wenn du noch Interesse hast“, murmelte Adam, den Blick gesenkt. „Aber du musst mir versprechen, dass du Geduld mit mir hast.“

„Sagst du das nur, um mich wieder ins Bett zu kriegen?“

„Nein! Von mir aus können wir Sex erstmal streichen.“

„Komm mal her“, bat Timo, setzte sich auf und klopfte einladend aufs Polster.

Zögernd ließ sich Adam nieder, wobei der Bademantel aufklaffte und viel nackte Haut preisgab. Timo wiederstand nur schwer der Versuchung, seine Hand auszustrecken und die schwach definierte Brust zu streicheln. Anders als bei den Typen davor, empfand er für Adam tiefe Zärtlichkeit. Bislang war er damit auf wenig Gegenliebe gestoßen. Hoffentlich nur eine Schutzfunktion.

„Du musst mir aber versprechen, dass du mit mir redest, wenn etwas nicht stimmt. Okay?“

Adam nickte, die dunklen Augen auf sein Gesicht gerichtet.

„Bekomme ich einen Gutenachtkuss?“

„Willst du wirklich hier schlafen? Im Bett ist es doch viel gemütlicher?“, flüsterte Adam, beugte sich vor und schmuste sanft über seinen Mund.

Die Aussicht darauf, vielleicht noch ein paar Kuscheleinheiten zu bekommen, ließ ihn nachgeben. „Na gut“, murmelte er in ihren Kuss hinein.

Kurz darauf lagen sie nebeneinander im Bett. Erstmals durfte er Adam nach Herzenslust streicheln und küssen, ohne weggeschoben zu werden. Ihm wurde die gleiche Behandlung zuteil. Das fühlte sich doch nach einem Neuanfang an. Ob Adam am nächsten Morgen die Entscheidung bereute, stand allerdings in den Sternen. Timo betete, dass das nicht passierte. Einmal vom Himmel gekostet, würde der Fall schrecklich tief werden.



2.

Er wachte allein in dem breiten Bett auf. Wider Erwarten hatte er ziemlich gut und sogar weitaus länger als gewöhnlich geschlafen. Sehnsüchtig schnupperte er an Adams verlassenem Kopfkissen. Eine Spur des geliebten Duftes haftete dem Stoff an, doch das meiste hatte die permanente Frischluftzufuhr vertrieben. In der Küche klapperte Geschirr. Gähnend streckte er seine Arme über den Kopf, verließ das Bett und trottete aus dem Raum.

Adam sah ihm mit einem gezwungen wirkenden Lächeln entgegen und erkundigte sich leise: „Hi. Gut geschlafen?“

„Mhm“, brummelte er

„Gestern hab ich ziemlich viel Müll geredet. Besser, wir vergessen den ganzen Kram.“

„Was bedeutet das genau?“

„Dass wir die Sache beenden“, erwiderte Adam, schenkte Kaffee in zwei Becher und schob einen über die Arbeitsfläche in seine Richtung.

So ein Arschloch! Hatten sich seine Befürchtungen also bewahrheitet. Im Affekt griff er nach dem Kaffeebecher und kippte dessen Inhalt über Adams blütenweißes T-Shirt. Geschockt starrten sie beide die Bescherung an. Der Becher entglitt seinen plötzlich tauben Fingern und zerschellte auf dem Boden, während Adam an ihm vorbeirannte und sich dabei das durchnässte Oberteil über den Kopf zog. Er erhaschte noch einen Blick auf gerötete Haut, bevor sein Ex um den Türrahmen bog. Noch nie hatte er absichtlich jemanden verletzt. Wahrscheinlich war es wirklich das Beste, erstmal Funkstille zu halten, bis seine Emotionen runtergekocht waren.

Notdürftig fegte er mit einem Papiertuch, da er nicht in den Schränken nach einer Kehrgarnitur wühlen wollte, die Scherben zusammen. Auf dem Weg ins Wohnzimmer guckte er ins Bad. Adam stand vorm Waschbecken, einen nassen Lappen in der Hand. Angesichts einiger Blasen, die sich auf dessen Brustkorb gebildet hatten, überfiel ihn Reue.

„Tut mir leid. Das war keine Absicht. Plötzlich hab ich rot gesehen“, entschuldigte er sich.

Adam fuhr fort, mit dem Waschlappen die Wunden zu betupfen. „Wenigstens hast du mein Gesicht verschont.“

Traurig ging Timo weiter. Nachdem er in seine Klamotten geschlüpft war, kehrte er zum Badezimmer zurück.

„Melde dich, falls du es dir anders überlegst. Aber bitte nur, wenn du absolut sicher bist.“

„Ich hab die halbe Nacht gegrübelt. Das mit uns wird nicht funktionieren. Dafür hab ich dich zu lieb. Es kann nur mit jemandem klappen, der mir relativ gleichgültig ist.“

Grandiose Logik. Kopfschüttelnd wandte sich Timo der Garderobe zu, stieg in seine Sneakers und nahm die Jacke vom Haken.

„Mach’s gut“, rief er, öffnete die Wohnungstür und trat ins Treppenhaus.

Als sie hinter ihm zufiel, wurde ihm die Endgültigkeit seines Tuns bewusst. Wieso war er nicht hartnäckiger gewesen? Vielleicht hätte er Adam doch noch überzeugt. Für eine Rückkehr war’s nun allerdings zu spät. Außerdem hatte ein bisschen Abstand hoffentlich die Wirkung, dass Adam einsah, etwas Kostbares aufgegeben zu haben.



In den folgenden Stunden checkte er sein Smartphone regelmäßig und erlitt, als es bei solcher Gelegenheit begann zu vibrieren, fast einen Herzkasper. Es war aber nicht Adams Name, der auf dem Display blinkte, sondern der seines Kumpels Björn.

„Hi Alter. Kommst du heute Abend mit in den Goldenen Hirsch?“, verlangte sein Freund ohne Einleitung zu wissen.

„Nur, wenn da keine Motto-Party läuft.“

„Wieso? War doch letztes Wochenende total spaßig.“

„Zugegeben. Allerdings erst, als ich genug intus hatte, um über jeden Scheiß zu lachen.“

„Heute läuft das ganz normale Programm. Also: Um elf im Hirschen?“

„Okay. Bis nachher.“ Er beendete die Verbindung.

Aus einem Impuls heraus, löschte er Adams Eintrag im Telefonbuch. So kam er wenigstens nicht in Versuchung, anzurufen und um eine Wiederaufnahme ihres Bettverhältnisses zu betteln.

Bis kurz vor zehn lenkte er sich mit irgendwelchen Ballerspielen ab. Die nächsten 30 Minuten gingen dafür drauf, sich ausgehfein zu machen und weitere 30, um zum Goldenen Hirsch zu fahren. Björn war natürlich noch nicht da, dafür traf er einige andere aus ihrer Clique. An einem Samstag normal, schließlich handelte es sich um ihren Stamm-Club.

Als er irgendwann den Laden wieder verließ, geschah das nur auf zwei Beinen, weil Björn ihn links und Andi rechts untergehakt hatte.



Das und dass sie zu dritt in ein Taxi gestiegen waren, wusste er am folgenden Morgen noch, der Rest befand sich hinter einem schwarzen Vorhang. Sein Schädel dröhnte und seine Zunge schien aus gammligen Teppichfasern zu bestehen. Es war ein Fehler gewesen, abwechselnd Bier und Kurze zu trinken.

Ächzend richtete er sich halb auf und identifizierte den Raum als Björns Schlafzimmer. Bevor er Adam kennenlernte, hatte er manchmal nach einem Clubbesuch hier übernachtet. Lediglich aus praktischen Gründen. Björns Wohnung lag näher am Goldenen Hirsch, zudem im Erdgeschoss. Ein wichtiger Aspekt, wenn man des Treppensteigens aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums nicht mehr fähig war.

Er ließ sich zurück aufs Kissen fallen. Der Platz neben ihm war leer. Sein Blick wanderte zum Ziffernblatt des Weckers. Was? Schon eins? Ach, egal. Sonntags durfte man so lange schlafen, außerdem hatte er eh nichts vor.

Wo blieb eigentlich der Zimmerservice? Normalerweise besaß Björn ein untrügliches Gespür dafür, im rechten Moment Kaffee und Aspirin zu servieren.

„Björn?“ Seine Stimme klang rau und verstärkte das Hämmern in seinem Kopf.

„Ist Ihre Gnaden endlich erwacht?“, tönte es widerlich munter zurück.

„Aua und Durst.“

„So-fo-hort.“ Kurz darauf stieß Björn die angelehnte Tür auf, balancierte ein Tablett herein und stellte es auf dem Nachtschrank ab.

Neben Kaffee, Mineralwasser und einer Aspirin, entdeckte er ein Schokocroissant. Sonst kredenzte ihm Björn nach einer durchzechten Nacht stets Rollmöpse, um sich an seinem Ekel zu weiden. Eine Art running Gag. Plötzlich seine Lieblingsspeise offeriert zu bekommen, stimmte ihn misstrauisch. War in der Nacht irgendetwas Dummes passiert? Hatten Andi und Björn mit ihm einen Dreier veranstaltet? Dagegen sprach, dass er T-Shirt und Shorts trug und sein Hintern nicht brannte.

Björn ließ sich auf der Bettkante nieder und reichte ihm zuvorkommend die Tablette sowie das Wasserglas. Nachdem er sich gegens Kopfteil gelehnt und ein Kissen in den Nacken gestopft hatte, nahm er beides entgegen.

„Ich fürchte, ich hab ziemlichen Mist gebaut“, gestand Björn kleinlaut. „Vorhin hat dein Handy Alarm geschlagen. Ich hab’s mit ins Wohnzimmer genommen, damit du ausschlafen kannst. Das Ding hat mich so genervt, dass ich beim x-ten Versuch den Anruf angenommen habe.“

Timo erstickte fast an der Pille. Er ahnte, dass ihm das Folgende gar nicht gefallen würde.

„Ich hab mich mit ‚Katholisches Warmwasserbad, Schwester Björn am Apparat‘ gemeldet. Der Anrufer hat gleich aufgelegt. Nach einer Weile fing das blöde Gerät wieder an rum zu nerven. Na ja, lange Rede, kurzer Sinn. Es war dein Adam. Er schien, gelinde gesagt, etwas aufgebracht darüber, dass du verkatert in meinem Bett liegst. Seine Grüße richte ich dir lieber nicht aus.“

Inzwischen hatte er die Tablette mit reichlich Wasser durch seine enge Kehle gespült. „Wie lauten sie?“

„Öhm.“ Björn senkte den Blick. „Ich kann den Wortschwall nicht genau wiedergeben, doch es kamen die Ausdrücke Bückstück, falscher Fuffziger und Bezirksmatratze darin vor.“

Das war noch schlimmer als befürchtet. Adam hatte also nicht gelogen. Der Typ war wahnsinnig ... wahnsinnig eifersüchtig. Einerseits schön, andererseits beängstigend.

„Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, aber in meinen Augen hat der Kerl nicht mehr alle Tassen im Schrank. An deiner Stelle würde ich das Verhältnis beenden.“

„Adam hat gestern mit mir Schluss gemacht.“

Björn seufzte erleichtert. „Ein Glück.“

3.

Im Nachhinein ärgerte er sich ziemlich über die üblen Schimpfworte. Insbesondere das Bückstück kratzte an seinem Stolz. Zugegeben, er war ein überzeugter Bottom, aber ihn damit zu beleidigen ging gar nicht.

In der Mitte der folgenden Woche erhielt er eine SMS: „Es tut mir leid. A.“

„Nein, lieber Adam, so einfach ist das nicht. Mich derart gemein zu beschimpfen erfordert schon mehr als Wiedergutmachung, als eine simple Phrase“, tippte er zwar in sein Gerät, löschte die Nachricht aber wieder.

Adam musste schon selbst darauf kommen, dass die lapidare Entschuldigung nicht reichte. Ehrlich gesagt war Timo richtig angepisst. Das hatte den Vorteil, seinen Liebeskummer zu dämpfen, daher schürte er dieses Gefühl.

Bis zum Wochenende hatte er sich gedanklich so weit hochgeschaukelt, dass er ausschloss, Adam je eine weitere Chance einzuräumen. Scheiß auf die verkorkste Kindheit, scheiß auf irgendwelche sonstigen Animositäten. Das gab Adam noch lange nicht das Recht, ihn als Schlampe zu bezeichnen.

Erneut verabredete er sich am Samstag im Goldenen Hirsch. Als er zur vereinbarten Zeit eintraf, war Björn ausnahmsweise schon da, umringt von einigen anderen aus ihrer Clique.

„Hi. Was ist denn mit dir los?“, begrüßte er seinen Kumpel.

„Hatte Hummeln im Hintern.“ Björn musterte ihn ausführlich. „Wie geht’s dir?“

„Ganz gut.“

„Hat sich dein Adam noch mal gemeldet?“

„Nur mit einer SMS.“

„Welchen Inhalts?“

„Es tut ihm leid.“

„Ich hoffe, du hast seine Entschuldigung nicht akzeptiert. Der Typ ist doch voll krank.“ Björn schüttelte den Kopf. „Der kennt echt krasse Ausdrücke.“

„Lass uns das Thema wechseln.“ Timo wandte sich an den Barkeeper. „Ein Pils, bitte.“

Mit dem Bier in der Hand, wechselte er von einem Gesprächspartner zum anderen. Er ging gerade zu Andi, der ihm grinsend entgegensah, als er ein bekanntes Gesicht entdeckte. Adam hockte am linken Tresenende und guckte in seine Richtung. Der unerwartete Anblick ließ seinen Puls in die Höhe schnellen.

„Hast du ein Gespenst gesehen?“, erkundigte sich Andi.

„So in etwa“, erwiderte er und drehte sich so, dass er Adam den Rücken zuwandte. „Übrigens: Danke für deine Unterstützung. Björn hätte mich sonst wohl Huckepack tragen müssen.“

Obwohl er es nicht sah, spürte er förmlich Adams Augen auf sich ruhen. Sein Nacken kribbelte. Leider konnte er auch in seinem Bauch ein gewisses Flattern spüren. Adams Wirkung auf ihn war weiterhin vorhanden.

„Ich hab Björn vorgeschlagen, deinen Zustand auszunutzen und einen Dreier zu schieben.“ Andi feixte. „Bedauerlicherweise hatte Björn zu viele Skrupel.“

„Viel Freude hättet ihr eh nicht an mir gehabt.“ Er nahm einen Schluck aus der Flasche und linste dabei unauffällig zu Adam. Wie vermutet, starrte der ihn an.

„Loch fällt ja bekanntlich nicht um“, meinte Andi. „Oh! Sie spielen mein Lied. Ich muss zappeln gehen.“

Rücksichtslos drängelte sich sein Kumpel an ihm vorbei und stürmte auf die Tanzfläche. Björn nahm Andis Platz ein. Seite an Seite sahen sie der tänzerischen Darbietung zu. Andi gehörte zu den Typen, die den Rhythmus verinnerlichten und schien Zentimeter über dem Boden zu schweben.

„Adam ist hier“, verriet er Björn. „Der Braunhaarige mit dem hellblauen Hemd hinten links am Tresen.“

Sein Kumpel spähte aus dem Augenwinkel dorthin. „Wow! Hübsche Schale, fauler Kern.“

„Eigentlich ist er kein Arschloch. Er hat nur ein paar Probleme.“

„Allerdings ein paar richtig große. Ich geh mal rüber und stauche ihn zusammen.“

Bevor er Björn aufhalten konnte, war der schon unterwegs. Im ersten Moment wollte er folgen, blieb dann aber doch lieber in sicherer Entfernung stehen. Er sah, wie sich Björn von hinten Adam näherte und ihm auf die Schulter klopfte. Endlich stand Timo nicht mehr im Fokus seines Ex.

Björns anfänglich ablehnende Haltung verschwand nach einer Weile. Timo hätte zu gern gewusst, was die beiden redeten. Während er sie beobachtete, lenzte er den Inhalt seiner Flasche und ließ sich eine neue geben. Schließlich brannte ihm die Neugier derart unter den Nägeln, dass er sich in Bewegung setzte, um sie zu stillen. Auf halbem Weg kam ihm Björn, Adam im Schlepptau, entgegen.

„Der Arme ist ganz allein hier. Ich hab ihm angeboten, sich zu uns zu gesellen“, meinte sein Kumpel, als sie sich in der Mitte trafen.

Adam lächelte ihn unsicher an. „Hi Timo.“

Sein blödes Herz schlug einen Salto. „Hallo Adam.“

„Komm mit. Ich stell dir die anderen vor.“ Björn zerrte Adam am Ärmel an ihm vorbei und steuerte als erstes auf den, inzwischen wieder am Tresen stehenden, Andi zu.

Nacheinander klapperten die beiden ihre gesamt Clique ab und entschwanden dabei aus seinem Blickfeld. Auf einen Wink hin gesellte er sich zu Andi.

„Ist das etwa der Adam?“ Björn und Andi waren namenstechnisch eingeweiht, die anderen wussten lediglich, dass er ein Verhältnis pflegte.

„Mhm.“

„Schade. Geile Sahneschnitte.“

„Lass die Finger von ihm.“

„Schmutzige Gedanken darf ich aber haben oder ist das auch verboten?“, murrte Andi.

Er verpasste dem Kerl einen angedeuteten Nasenstüber. „Spinner.“

„Achtung! Sahneschnitte im Anmarsch.“

Kurz nach Andis Warnung tauchte Adam neben ihm auf. Erneut vollführte das Organ in seiner Brust einen Sprung. Hoffentlich sah man ihm nicht an, welch verzehrende Sehnsucht ihn ihm aufwallte. Der Schutzschild, den er mittels Hassgedanken errichtet hatte, funktionierte nur noch bedingt.

Adam berührte kurz seine Hand. „Können wir irgendwo hingehen, wo es leiser ist? Bitte.“

„Im Darkroom ist es wesentlich stiller“, mischte sich Andi ein.

„Lass uns vor die Tür gehen.“ Er nickte in Richtung Ausgang.

4.

Draußen lungerten etliche Raucher herum. Kühler Wind trieb ihnen Zigarettenqualm entgegen. Dicht gefolgt von Adam ging er über den Parkplatz, bis sie außer Hör- und Riechweite waren. Die Arme vor der Brust verschränkt, wandte er sich zu seinem Ex um. Adam stopfte beide Hände in die Hosentaschen und schluckte vernehmlich.

„Das letzten Sonntag ... Ich wünschte, ich könnte meine Worte zurücknehmen. Es tut mir schrecklich leid.“

„Wieso hast du überhaupt angerufen?“, fragte Timo.

„Ich wollte dich eigentlich bitten, mir noch eine Chance zu geben.“ Unbehaglich zog Adam die Schultern hoch. „Das kann ich wohl nach der Nummer vergessen. Vielleicht ist es ganz gut so. Über kurz oder lang hätte ich dich eh verscheucht.“

„Dein Pessimismus ist sagenhaft.“

Kurz zuckte Adams einer Mundwinkel in die Höhe. „In irgendetwas muss ich ja brillieren.“

„Du hast mich ziemlich verletzt. Im Moment weiß ich noch nicht, ob sich der Schaden überhaupt reparieren lässt.“ Das war gelogen, aber so einfach wollte er den Kerl nicht davonkommen lassen.

„An deiner Stelle würde ich mir eine reinhauen.“

„Ist das eine Aufforderung?“

„Wenn es dir hilft, dann verpass mir ein Veilchen. Ich halte auch still.“

„Ich könnte niemals deine hübsche Visage verschandeln.“ Er ließ die Arme sinken und rieb sich fröstelnd darüber. „Damit eines klar ist: Ich erwarte von dir etwas mehr, als nur eine simple Entschuldigung. Kannst ja mal drüber nachdenken.“

„Also hab ich nicht endgültig verschissen?“, erkundigte sich Adam leise.

„Meine Gefühle sterben nicht, nur weil du mich beschimpfst. Dafür müsstest du schon mehr anstellen. Ich geh wieder rein.“ Timo wandte sich um und lief zurück zum Eingang.

Nach der Frischluftkur wirkte das Innere des Clubs wie eine Suppenküche. Er schlängelte sich zu seinen Freunden durch und bezog neben Björn am Tresen Aufstellung. Offenbar hatte der ihn mit Adam hinausgehen sehen und hob nun fragend die Brauen.

„Adam wollte sich nochmal entschuldigen“, erklärte er. „Wie kommst du eigentlich dazu, ihn in unsere Clique einzuschmuggeln?“

„Anscheinend hat er wenig soziale Kontakte.“ Björn winkte den Barkeeper herbei und rief über den Lärm hinweg: „Zwei Pils.“

An ihn

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock design Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - danke
Tag der Veröffentlichung: 21.07.2017
ISBN: 978-3-7438-2411-9

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