Eine Trennung, ein One-Night-Stand mit Folgen, eine langjährige Freundschaft wird zu Liebe. Achtung: Mann mit Mann. Es sind Spuren von Bettsport und Kitsch enthalten.
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Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!
Text: Sissi Kaiserlos
Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann
Korrektur: Aschure. Danke!
Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/
Der exotische Kerl hinterm Sparkassentresen hatte Damian sofort entflammt. Ein Jahr musste er werben, bis Yutaka ihn endlich erhörte. Leider erwies sich der Mann als eine Art Mogelpackung. Jedenfalls empfand er das so und war zunehmend frustrierter.
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Die Außenalster war von unzähligen weißen Segeln bevölkert. Strahlender Sonnenschein und eine steife Brise hatten haufenweise Wassersportler angelockt.
Langsam schlenderte Damian den Alsterwanderweg entlang. Auch hier herrschte Hochbetrieb. Spaziergänger, Jogger und Fahrradfahrer sorgten für ein geregeltes Chaos. Er war daran gewöhnt und wich, völlig in Gedanken versunken, sämtlichen Hindernissen automatisch aus.
Bestimmt erschien Yutaka mal wieder auf die Minute pünktlich. Da Damian zu früh dran war, brauchte er also nicht hetzen. Das hatte er extra so eingerichtet, um seinen Entschluss gründlich zu überdenken. Schließlich war es ein endgültiger Schritt, nach dem es kein Zurück mehr geben würde.
Yutaka und er waren seit drei Monaten ein Paar. Fast ein Jahr hatte er zuvor den attraktiven Bankangestellten beknien müssen, bis der einem Treffen zustimmte. Sie gingen dreimal zusammen essen und landeten beim vierten Mal hinterher im Bett. Für Damian die Erfüllung eines lange gehegten Wunschtraumes.
Der allzeit freundliche und überaus korrekte Halbjapaner integrierte sich schnell in seinen Freundeskreis. Sie taten das, was man als Pärchen eben machte. Gemeinsame Unternehmungen, entweder zu zweit oder mit der Clique, gemütliche Abende auf der Couch und natürlich Bettsport. Alles könnte so schön sein, vor allem, weil seine Gefühle für Yutaka von einer Schwärmerei zu ernsthaftem Tiefgang geworden waren. Tja. Wenn das auf Gegenseitigkeit beruht hätte.
Damian erreichte ihre Bank. Das Holz war verwittert und der Blick auf die Alster von hohen Büschen verwehrt. Gleichzeitig boten diese Schutz vor Neugierigen. Hier hatten sie sich das erste Mal geküsst. Nicht wild und leidenschaftlich, sondern scheu und zurückhaltend. Der Kuss war eher eine zarte Berührung ihrer Münder gewesen, denn eine echte Liebkosung. Gemessen an Yutakas sonstigem zurückhaltenden Verhalten in der Öffentlichkeit, kam es jedoch einer Offenbarung gleich. Damals hatte Damian im siebten Himmel geschwebt, inzwischen war er gelandet. Vorsichtig ließ er sich auf dem splittrigen Untergrund nieder.
Niemand wusste von seiner innerlichen Zerrissenheit, nicht einmal sein guter Freund Tom. Es erschien ihm als falsch, Details seiner Beziehung mit anderen zu besprechen. Diesbezüglich hatte er sich Yutaka angepasst. Der redete niemals über persönliches, nicht mal mit ihm. Genau da lag die Krux. Sie konnten zwar plaudern, gemeinsam lachen, aber sobald es ans Eingemachte ging verschloss sich Yutaka, wie eine Muschel. Damian wusste, dass der Mann ihn mochte oder sogar sehr gern hatte, doch das war’s auch schon. Er kam einfach nicht über eine gewisse Grenze hinaus.
Langsam begannen seinen Nerven zu zittern. Die sorgsam zurechtgelegten Worte drohten zugunsten einer Tränenflut verloren zu gehen. Damian fischte sein Smartphone aus der Gesäßtasche, guckte aufs Display und im selben Moment fiel ein Schatten auf die Bank.
„Hi. Wartest du schon lange?“ Yutakas sanfte Stimme wühlte ihn noch mehr auf.
„Nö. Bin gerade erst angekommen“, log er, steckte das Handy wieder ein und sammelte seinen Verstand zusammen. „Setz dich.“
„Was ist los? Schlechten Tag gehabt?“
Ihr letztes Treffen lag rund 24 Stunden zurück. Wie immer, wenn Yutaka bei ihm übernachtete, stand jener sehr früh auf und verließ auf Zehenspitzen seine Wohnung. Angeblich, um ihn nicht zu stören und daheim die Klamotten zu wechseln. Mittlerweile hatte Damian den Verdacht, dass Yutaka lediglich morgendlichen Sex vermeiden wollte. Oder was auch immer. Im Grunde wusste er fast gar nichts über den Mann und dabei würde es, seiner Entscheidung zufolge, auch bleiben.
„Kann man wohl sagen. Das Scheiß-Ersatzteil war im Arsch und der Kunde ein Choleriker.“
„Armer Schatz.“ Auf typisch manierliche Weise setzte sich Yutaka neben ihn, die Anzughose leicht gerafft, damit keine Falten entstanden.
Es war Freitagnachmittag, Punkt vier. Damian hatte um eins Feierabend gemacht und trug Freizeitkluft, während Yutaka direkt von der Arbeit kam und dementsprechend im Dresscode erschienen war. Noch immer fand er den Kerl im Zweireiher scharf, noch immer schlug sein Herz viel zu schnell, wenn er in die Mandelaugen sah.
„Ich …“ Plötzlich war seine Kehle schrecklich eng. „Ich muss dir was sagen.“
„Ja?“ Alarmiert richtete sich Yutaka kerzengerade auf.
„Ich mach Schluss.“
Schweigen entstand. Solches, das man in Scheiben schneiden konnte. Damian hatte das Gefühl in einem Paralleluniversum zu sitzen, so still war es.
„Hast du einen anderen?“, kam schließlich ungewohnt dünn von Yutaka.
Wie befürchtet, hatten sich sämtliche Erklärungsversuche vom Acker gemacht. Es erschien ihm auch mit einem Mal unfair, irgendwelche Unzulänglichkeiten aufzulisten. Hätten sie vor zwei Monaten geredet, wäre das okay gewesen. Inzwischen war die Menge an Störfaktoren einfach zu groß geworden, als dass es lohnte, überhaupt damit anzufangen.
„Ja“, nahm er den Rettungsanker an.
Schnell und schmerzlos sollte es sein. Da war eine Lüge hochwillkommen.
„Dann …“ Yutaka erhob sich steif. „Dann wünsche ich dir alles Gute.“
Mit dieser Ausgeburt an Kaltherzigkeit hatte er geschlafen? Fassungslos und zutiefst getroffen, glotzte er der sehr aufrecht davonschreitenden Gestalt hinterher. Einzig an dem steifen Gang konnte er erkennen, dass Yutaka zumindest so etwas wie Bedauern empfand, oder an dem berühmten Verlust von Stolz litt. Japanern wurde der ja nachgesagt.
Damian sackte nach vorn, legte seine Unterarme auf die Schenkel und ließ den Kopf hängen. Nun war es also vorbei. In seinem Inneren konnte er jedoch nur Schmerz fühlen, keinerlei Erleichterung. Mein Gott! Er hatte nicht einmal ansatzweise gekämpft, sondern gleich das Handtuch geschmissen. Na gut, die drei Monate voller Frust gaben ihm Recht … dennoch … Yutaka besaß so viele liebenswerte Eigenschaften, wie Fleiß, ständige Gelassenheit … Boah! Gerade die regte ihn auf! Selbst beim Sex verzog der sture Kerl kaum die Miene und Ekstase kannte der Typ nicht mal als Wort.
Seufzend vergrub Damian das Gesicht in seinen Händen. Er wurde ungerecht und hasste sich dafür. Yutaka war in eine andere Gesellschaft geboren worden, obwohl diese in Deutschland stattfand. Vom Vater streng erzogen, musste sich das Anderssein schrecklich anders anfühlen. Er rieb sich über die Stirn. Sein Wortschatz hatte offenbar unter der Trennung gelitten.
Obwohl nur ein paar Minuten vergangen waren, erschien ihm die Szene rundum völlig fremd. Hatte die Sonne bereits bei seiner Ankunft derart stechend vom Himmel geschienen? Waren ihm die fröhlichen Mienen der anderen auch schon so auf den Sack gegangen? Damian verließ den Ort, kehrte nach Hause zurück und zog sämtliche Gardinen zu.
Etliche Stunden später vibrierte sein Smartphone. Teilnahmslos sah er zu, wie das Gerät immer näher an den Rand des Couchtisches geriet. Kurz vorm Absturz griff er zu und erwartete, Yutakas Nummer zu sehen, doch stattdessen blinkte Toms Bild auf dem Display.
„Du hast einen Neuen?“, kam sein Freund gleich zur Sache.
„Wie kommst du darauf?“
„Yutaka hat angerufen und gefragt, wer es ist.“
„Das war eine Notlüge.“
Stille. Dann seufzte Tom. „Scheiße noch eins. Warum, zum Henker, redest du nicht vorher mit mir? Yutaka klang, als ob … Ich mach mir echt Sorgen. Er ist sonst so beherrscht.“
„Meinst du, er …?“ Die Vorstellung, dass sich sein Ex etwas antat, bohrte sich wie ein stumpfes Messer in seine Brust.
„Tu mir einen Gefallen und regle das mit ihm. Hab keine Lust, an deinem oder seinem Begräbnis teilzunehmen. Klar?“ Tom beendete die Verbindung.
Damian ließ seine Hand mit dem Smartphone sinken und starrte einen Augenblick ins Leere. Dann erwachte er zu hektischer Betriebsamkeit.
Natürlich nahm Yutaka seinen Anruf nicht entgegen. Auf dem Weg in den Flur, um in seine Sneakers zu schlüpfen, begann er eine Nachricht zu tippeln, was prompt zur Kollision mit dem Türrahmen führte. Leise fluchend rieb er über die schmerzende Stelle an seinem Oberarm. Zwei Dinge auf einmal zu tun war keines seiner Talente.
Als seine Füße in Schuhen steckten, lehnte er sich an die Garderobe und vollendete die SMS. „Ich bin unterwegs zu dir. Wenn du mir nicht öffnest, rufe ich die Polizei. D.“
Zu Yutakas Wohnung waren es nur zehn Minuten zu Fuß. Damian nutzte diese Zeit, um erneut mit Tom zu telefonieren.
„Ich bin auf dem Weg zu Yutaka.“
„Wollte ich dir auch geraten haben. Was ist denn überhaupt los? Ich dachte, du bist wunschlos glücklich“, brummelte sein Freund.
„Das ist kompliziert. Yutaka ist immer so … so zurückhaltend. Im Grunde hab ich keine Ahnung, was er in mir sieht.“
„Dann frag ihn doch.“ Typisch Tom!
„Du glaubst doch nicht, dass ich darauf eine ehrliche Antwort erhalten würde.“
„Hast du es denn schon mal probiert?“
„Nein. Es hätte eh keinen Sinn.“
„Weißt du was? Dir ist nicht zu helfen. Tschüss.“ Der blöde Kerl legte einfach auf.
„Arschloch“, murmelte Damian, stopfte das Smartphone in seine Hosentasche und bog in die Straße ein, in der Yutaka wohnte.
Zu beiden Seiten standen Häuser mit stuckverzierten Fassaden. Kastanien säumten die Gehwege, Blechkarossen den Straßenrand. Die dichten Kronen der Bäume ließen von der Abendsonne kaum etwas durchschimmern. Schätzungsweise war es inzwischen halb acht. Zuletzt hatte er nach Toms Anruf auf die Uhr gesehen, da war es sieben gewesen.
Auch nach dreimaligem Läuten passierte nichts. Er holte sein Handy wieder hervor, wählte Yutakas Nummer und – oh Wunder – jener ging ran.
„Ich will dich nicht sehen.“
„Lass mich rein. Ich rufe wirklich die Bullen, wenn du nicht endlich öffnest.“
„Du bist so ein … so ein verdammter Mistkerl!“ Weder fluchen noch Schimpfworte gehörten sonst zu Yutakas Repertoire. Ein Zeichen dafür, wie aufgewühlt er sein musste.
„Lass mich rein, bitte“, verlegte sich Damian aufs Betteln.
Plötzlich schnarrte der Türöffner. So überraschend und nur kurz, dass er nicht rechtzeitig reagieren konnte.
„Das ging zu schnell“, beschwerte er sich.
„Chance verpasst.“ Lachte Yutaka? Unglaublich!
„Bitte. Ich muss mich überzeugen, dass es dir gutgeht.“
„Wie soll es mir gutgehen, wenn … Ach, egal.“
Erneut erklang das Summen des Türöffners, diesmal lange genug, um ins Treppenhaus zu gelangen. Er merkte erst, als er vor Yutakas Wohnungstür stand, wie schnell sein Herz schlug und gepresst seine Atemzüge waren. Erinnerungen überfielen ihn. Die Wochenenden hatten sie meist bei Yutaka verbracht, schon weil dessen Heim größer und gemütlicher als seines war. In der geräumigen Küche hatten sie oft zusammen gekocht. Mit einem Mal entsann er sich etlicher kleiner Gesten, die unter seinem wachsenden Frust begraben gewesen waren: Eine zarte Berührung, ein winziges Lächeln, ein warmer Blick. Zum Schluss hin hatte er das nicht nur ignoriert, sondern sogar ablehnend darauf reagiert.
Überraschend sprang die Tür auf. Yutaka blitzte ihn böse an. „Ich will dein Mitleid nicht!“
„Zeig mir deine Handgelenke.“
„Glaubst du, ich bringe mich wegen einem Kotzbrocken wie dir um?“
„Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustößt.“
„Ach? Leck mich doch.“ Yutaka machte Anstalten die Tür zuzuwerfen.
Rasch verhinderte Damian das, indem er einen Fuß auf die Schwelle stellte. „Wir sollten reden.“
„Wozu?“
„Weil …“ Ihm blieb nichts anderes übrig, als seine Lüge zu enttarnen. „Ich hab keinen anderen. Das war nur eine Ausflucht. Inzwischen weiß ich, dass meine Entscheidung falsch war.“
„So?“ Yutaka fixierte ihn unter verärgert zusammengezogenen Augenbrauen. „Stell dir mal vor: Ich kann meine Gefühle nicht beliebig an und aus knipsen.“
„Das verlange ich auch gar nicht. Können wir uns trotzdem aussprechen?“
„Ich weiß nicht, ob ich hören will, was du zu sagen hast.“
„Liegt dir so wenig an uns?“
„Es gibt kein uns mehr.“ Schritte auf der Treppe ließen Yutaka aufhorchen. „Na gut. Komm rein und fass dich kurz.“
Als Damian in den geräumigen Flur trat, fiel ihm sofort der Schrein auf der Garderobe ins Auge. Wie so oft glomm ein Räucherstäbchen neben der geschnitzten Figur Buddhas. Exotischer Duft hing in der Luft. In einer kleinen Vase steckte eine einzelne Blüte.
Eine gigantische Woge Schuldbewusstsein überschwemmte ihn. Wie blind konnte man bloß sein? Er hatte in seinem Egoismus total ausgeblendet, dass er einen gehöriger Teil Verantwortung am Scheitern ihrer Beziehung trug. Schließlich war er mindestens ebenso wortkarg wie Yutaka gewesen.
Jener hatte in angemessener Entfernung Aufstellung bezogen und die Arme vor der Brust verschränkt. Die gewöhnlich akkurate Kleidung war einem noch nie gesehenen Schlabberlook gewichen. Zu einer abgetragenen Jogginghose trug Yutaka ein verwaschenes T-Shirt. Selbst bei ihren Filmabenden oder beim Kochen war sonst gepflegte Freizeitkleidung Usus. Also: Perfekt sitzende Jeans und Designer-T-Shirts.
„Nun spuck’s schon aus“, forderte Yutaka.
Sein Ex zeigte immer neue Facetten. Hatte sich Yutaka ihm zuliebe verstellt? Wo war der sanftmütige, stets gelassene Mann hin? Dieser hier hatte mit dem, den er kannte, kaum noch etwas gemein.
„Ich dachte, wir passen nicht zueinander, aber das stimmt nicht. Wir haben einfach zu wenig kommuniziert.“
Plötzlich sackte Yutaka in sich zusammen, wie ein Ballon, dem die Luft ausging. Sämtliche Kraft schien aus dem schlanken Kerl zu weichen. Die Arme fielen runter, die böse Miene schwand, stattdessen spiegelte sich Trauer auf dem hübschen Antlitz.
„Du hast dich entschieden“, flüsterte Yutaka. „Es gibt kein zurück.“
„Ich will dich nicht aufgeben.“
„Glaubst du, ich lass mich noch mal von dir ködern? Du hast mich bitter enttäuscht.“
„Das tut mir leid. Wirklich. Verzeih mir. Bitte, lass uns einen neuen Versuch wagen.“
„Damit du mir in einer Woche wieder einen Tritt verpassen kannst?“ Müde schüttelte Yutaka den Kopf. „Weißt du überhaupt, wie’s mir die letzten Stunden ging? Ich hab sogar Tom angerufen, um rauszufinden, wie dein Neuer heißt. Ich! Wo ich so etwas doch zutiefst verabscheue.“
„Was bin ich eigentlich für dich? Warst du …“ Nervös fuhr sich Damian mit der Zungenspitze über die spröden Lippen. „Warst du je in mich verliebt?“
„Wie kannst du das fragen? Glaubst du, ich hab das alles gespielt? Denkst du echt, ich hab dir was vorgemacht und hinter deinem Rücken über dich gelacht? Ist es das, wofür du mich hältst? Einen miesen Hochstapler? Warst du deshalb in letzter Zeit so kühl zu mir?“ Mit jedem Wort sprach Yutaka lauter, ballte die Hände zu Fäusten und rückte näher. „Ich hab mir bei jedem Treffen vor Angst fast in die Hosen geschissen, dass genau das passiert, was du vorhin eiskalt durchgezogen hast. Und du fragst, ob ich je in dich verliebt war?“
Yutaka überwand die restliche Distanz mit einem Satz und begann, auf seine Brust einzuschlagen. Im ersten Moment war Damian zu überrascht, um reagieren zu können, dann fing er die Handgelenke des wesentlich schmaleren Mannes nahezu mühelos ein. Noch nie hatte er das sonst so beherrschte Gesicht derart aufgewühlt gesehen. Sämtliche Empfindungen lagen bloß. Instinktiv zog er Yutaka heran und schloss seine Arme wie Schraubstöcke um die schlanke Gestalt. Die Gegenwehr war nur schwach und erlahmte schnell.
„Das wusste ich nicht“, murmelte er, die Lippen an Yutakas Schläfe. „Wenn ich das geahnt hätte …“
Der sehnige Körper in seinen Armen zitterte unkontrolliert, machte ihm die Seelenpein bewusst, an der er schuld war. Ironischerweise musste er ausgerechnet jetzt an ihren Sex denken, an die vielen Male, bei denen er sich genau solche Reaktion gewünscht hatte. Allerdings durch Lust ausgelöst, nicht durch Schmerz. Aus Furcht, Yutaka zu sehr verletzt und für immer verloren zu haben, stiegen ihm Tränen in die Augen.
„Bitte sag, dass ich noch eine Chance bei dir habe“, brachte er mit bröckelnder Stimme hervor.
Es kam keine Antwort. Ein Tropfen rann über seine Wange, gefolgt von einem zweiten. Er versuchte dagegen an zu blinzeln, doch die Schleuse ließ sich nicht mehr schließen. Ein Beben lief durch seinen Brustkorb, als er stockend einatmete. Yutakas Schweigen konnte nur eines bedeuten: Ein Nein. Widerwillig lockerte er seine Umarmung, ganz loszulassen schaffte er nicht. Nur noch ein winziger Augenblick trügerischerer Nähe, bevor sich das Fallbeil endgültig zwischen sie senkte.
„Du weinst“, flüsterte Yutaka. „Männer weinen nicht.“
„Wer behauptet solchen Scheiß?“
„Ich kann dir keine Chance einräumen. Noch nicht. Bitte, versteh das.“
Das war ein klares Jein. Noch nie hatte sich Damian mehr über eine halbe Zusage gefreut.
Yutakas Kindheit war geprägt von traditionellen Werten. Sein Vater hielt, obwohl fern der Heimat, streng an althergebrachten Grundsätzen fest. Von klein auf bekam er den japanischen Verhaltenskodex eingebläut. Begehrte er dagegen auf, bestand die Strafe in konsequenter Nichtachtung, musste er sich die Aufmerksamkeit seiner Eltern durch besonders sittsames Betragen mühsam zurückerobern.
Schulischer Erfolg war eine Selbstverständlichkeit. Zum Glück fiel ihm Lernen leicht, daher brachte er stets nur beste Noten mit nach Hause. Leider stempelte ihn das auch zum Streber ab. Sein fremdländisches Aussehen sowie die schmale Statur und angeborene Scheu machten ihn endgültig zum Außenseiter. Bis zu seiner Erkenntnis, dem eigenen Geschlecht zugeneigt zu sein, schloss er ab und zu oberflächliche Freundschaften mit Leidensgenossen. Danach kapselte er sich vollständig ab. Die Furcht vor Entdeckung war einfach zu groß. Er hatte auch so genug Spott zu ertragen.
Gleich nach dem Abitur begann er eine Ausbildung in der Bank, in der sein Vater im Vorstand saß. Viel lieber wäre er woanders untergekommen, besaß aber nicht den Mumm, sich gegen das getroffene Arrangement zu wehren. Wenig später kam heraus, dass er anders tickte. Versehentlich hatte er morgens vergessen, seine Farbmagazine zu verstecken. Ausgerechnet an jenem Tag beschloss seine Mutter, sämtliche Betten neu zu beziehen. Zwangsläufig fand sie die einschlägigen Wichsvorlagen, was zu einer abendlichen Familienkonferenz führte.
Entgegen seiner Befürchtung, nach dieser Entdeckung verstoßen zu werden, gingen seine Eltern überraschend tolerant mit seinem schwul sein um. Sein Vater verlangte lediglich absolute Diskretion. Das entsprach der japanischen Doppelmoral: Homosexualität war zwar weder verboten noch verpönt, dennoch lebte man sie besser im Verborgenen aus. Andernfalls galt man als Tunte und wurde von den meisten nicht ernstgenommen.
Erleichtert über diese unerwartet gutmütige Reaktion, nahm Yutaka die Forderung seines Vaters sehr ernst. Er verinnerlichte sie regelrecht. Entsprechend war sein bisheriges Sexualleben abgelaufen. Seine Erfahrungen beschränkten sich auf Affären mit verheirateten Männern, die genau wie er auf Geheimhaltung angewiesen waren. Selbst als seine Eltern vor zwei Jahren, bei Renteneintritt, nach Japan zogen, blieb er diesem Motto treu.
Einige Monate später fing Damian an, in der Bankfiliale aufzutauchen und an seinen Prinzipien zu rütteln. Anfangs hatte sich Yutaka mit Händen und Füßen gegen die Charmeoffensive gewehrt, doch schlussendlich kapituliert. Die Sehnsucht nach einer echten Beziehung mit ehrlichen Gefühlen war einfach zu groß geworden, außerdem hatte er sein Herz an Damian verloren. Dass diese Bastion eingenommen war, bedeutete jedoch nicht, dass er zugleich seine sämtlichen anderen Gewohnheiten abzulegen vermochte.
In den vergangenen Stunden hatte er viel gegrübelt. Er wollte unbedingt verstehen, warum der Mann, der nahezu ein Jahr hartnäckig um ihn geworben hatte, plötzlich so eine Kehrtwende hinlegte. Kritisch hatte Yutaka sein eigenes Verhalten analysiert und letztendlich eingesehen, wie befremdlich es auf Damian wirken musste. Seine frühmorgendliche Flucht unter dem Vorwand, daheim Klamotten zu tauschen. In Wahrheit fürchtete er, beim gemeinsamen Verlassen von Damians Wohnung gesehen zu werden. Das Schweigen über seine unrühmliche Kindheit, ein Streber ohne Freunde. Die konsequente Freundlichkeit, um kein Missfallen zu erwecken, so wie es ihm seine Eltern antrainiert hatten. Zu guter Letzt: Seine Passivität im Bett.
Yutakas bisherige Liebhaber hatten in ihm eine Art exotische Lustpuppe gesehen. Beim ersten war es seiner Unerfahrenheit geschuldet, dass er alles tatenlos über sich ergehen ließ. Danach fand er Gefallen daran, den Männern den aktiven Part zu überlassen und dabei seinen schwülstigen Träumen nachzuhängen. Im Grunde benutzte er seine Liebhaber, um seinen gedanklichen sexuellen Luftschlössern eine körperliche Komponenten beizufügen. Mit Damian war er genauso verfahren, allerdings unter erschwerten Bedingungen. Während die anderen ihn einfach durchgerammelt hatten, lenkte Damian ihn ständig mit Küssen und Fragen, ob es ihm gutgehe, ab.
Obwohl Yutaka einsah, in vielen Dingen missverständlich gehandelt zu haben, war er nicht bereit, dafür vor Damian zu Kreuze zu kriechen. Es gehörten schließlich zwei dazu, eine Beziehung zum Scheitern zu bringen. Außerdem war der Schlussstrich nicht von ihm ausgegangen, somit stand ihm die Rolle des Märtyrers zu.
Mittlerweile hatte
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock design Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - danke
Tag der Veröffentlichung: 29.08.2016
ISBN: 978-3-7396-7113-0
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