Cover

Sommerfrust? – Sommerlust!

 

 

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Walter Ulbricht, 1961.

 

Mauern bestehen manchmal nicht aus Stein oder Beton, sondern aus schlechten Erfahrungen und fehlender Kommunikation. Genau wie ihre physischen Gegenstücke sind sie oft genauso schwer zu überwinden, beziehungsweise einzureißen. Drei Paaren gelingt dieses Meisterstück. Vorhang auf für die wahrlich tapferen Bezwinger.

~ * ~

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

Text: Sissi Kaiserlos

Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann

Korrektur: Aschure. Danke!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/


Grenzgänger

Jonas hatte durch einen Zufall eine wunderbar einsame Stelle am nahegelegenen Badeteich entdeckt. Sie lag weit vom offiziellen Strand entfernt und dichte Büsche schützten vor neugierigen Blicken. Erreichen konnte man sie nur schwimmenderweise oder über einen zugewachsenen Pfad, der mit bloßem Auge kaum zu erkennen war. Dementsprechend sicher fühlte er sich an jenem Ort und lag gern mal hüllenlos herum.

~ * ~


1.

Jonas breitete seine Decke im Schatten aus und ließ sich darauf nieder. Nachdem er sich von seinen Klamotten befreit hatte, fischte er Sonnenmilch aus seinem Rucksack und begann sich damit einzucremen. Es war das erste Mal, seit er diesen Platz aufsuchte, dass die Temperaturen derart hoch waren. Sonst ließ es sich in der Sonne gut aushalten, aber heute geriet man sofort ins Schwitzen, wenn man sich deren Strahlen aussetzte.

Er warf die Flasche zurück in seine Tasche, griff nach einem Buch und machte es sich auf dem Bauch bequem. Ab und zu schwirrte ein Insekt vorbei, gedämpft drang Kindergekreische vom offiziellen Strandabschnitt, ansonsten war es herrlich ruhig.

Jonas vertiefte sich in den Krimi, wobei er selbstvergessen auf einem Grashalm kaute. Der Kommissar tappte noch im Dunkeln, doch er ahnte bereits, wer der Täter war. Sämtliche Indizien wiesen auf die Haushälterin hin. Natürlich könnte es auch der Gärtner gewesen sein, aber dem fehlte ein Motiv.

Er war so versunken ins Lesen, dass er fürchterlich erschrak, als in der Nähe ein trockener Zweig knackte. Seinen Blick aufs Dickicht gerichtet, lauschte er angestrengt in die entsprechende Richtung. Da! Schon wieder ein Geräusch und es war eindeutig weniger weit entfernt als das erste. Jemand benutzte seinen Pfad! Entrüstet kniet er sich hin, bereit, seinen Platz zu verteidigen.

Ein Mann betrat die Lichtung, entdeckte ihn und zog erbost die Augenbrauen zusammen. Allerdings nur kurz, da der Kerl gleich darauf in seinen Schritt starrte und zu schmunzeln anfing. Rasch bedeckte er seine Blöße mit dem Buch.

„Der Platz ist besetzt, wie Sie sehen.“

„Das hier ist öffentlicher Grund und Boden. Oder haben Sie die Fläche hier …“ Der Kerl machte eine ausholende Armbewegung. „… gepachtet?“

„Ich hab sie als erster entdeckt, daher sind meine Ansprüche berechtigt.“

„Ist das nicht etwas kindisch? Ich komme übrigens schon seit Jahren her.“

„In den letzten vier Wochen waren Sie aber nicht hier.“

„Mag sein, dennoch darf sich hier jeder niederlassen.“

Leider war der Typ im Recht, trotzdem wollte Jonas nicht so schnell aufgeben. „Ich würde aber gern meine Ruhe haben.“

„Wer sagt denn, dass ich plane Sie vollzuquatschen?“

„Ihre reine Anwesenheit ist schon zu viel.“

Kopfschüttelnd seufzte der Mann. „Vorschlag: Wir markieren mit Steinchen eine Grenze in der Mitte, die keiner von uns überschreiten darf. Ich hab keine Lust, mir einen anderen Platz zu suchen.“

„Jetzt werden Sie aber kindisch. Na gut. Meinetwegen.“ Resigniert schnappte sich Jonas seine Badehose, wandte dem Kerl den Rücken zu und schlüpfte umständlich hinein.

Anschließend stand er auf, ging zum Ufer und sammelte ein paar Steine ein. Schweigend gesellte sich der Typ zu ihm. Gemeinsam teilten sie die Lichtung in zwei gleich große Hälften auf. Bei dieser Tätigkeit geriet Jonas arg ins Schwitzen, da er der prallen Sonne ausgesetzt war.

„Nur zur Info: Sie dürfen gern weiterhin im Adamskostüm herumliegen. Ich gucke Ihnen schon nichts weg“, brummelte der Mann und legte den letzten Stein ins Gras. „Ich habe nämlich nicht vor, mich in eine Badehose zu quälen.“

„Tun Sie doch was Sie wollen, Hauptsache, Sie machen es leise.“ Jonas kehrte zu seiner Decke zurück, ließ sich im Schneidersitz darauf nieder und griff nach seiner Lektüre.

Hinter ihm rumorte der Fremde eine Weile herum, dann trat Stille ein. Sein kribbelnder Nacken verriet ihm, dass der Typ ihn anglotzte. Je länger das andauerte, desto schwerer fiel es ihm sich zu konzentrieren. Schließlich hatte er die Schnauze voll, guckte über seine Schulter und stellte fest, dass der Mann die Augen geschlossen hatte. Dem entspannten Gesichtsausdruck zufolge döste der Kerl und trug, wie angekündigt, kein Fitzelchen Stoff am Leib.

Automatisch huschte Jonas‘ Blick zum Schambereich. Der Typ war gut bestückt und die Löckchen getrimmt. Das musste nicht zwangsläufig bedeuten, es mit einem Gleichgesinnten zu tun zu haben, außerdem war das sowieso egal. Seitdem sein letzter Partner ihn gegen einen Jüngeren ausgetauscht hatte, war Jonas‘ Interesse an Sex verlorengegangen. Er legte zwar selbst Hand an, empfand das aber nicht als sonderlich berauschend. Wahrscheinlich hatte Karsten seine Libido gleich mitgenommen, als jener vor zwei Jahren von heute auf morgen verschwand.

Neugierig studierte er das Gesicht des Schlafenden. Die gesunde Farbe wies auf lange Aufenthalte im Freien hin. Er schätzte den Kerl auf Mitte dreißig. Die Züge waren ausgeprägt und eindeutig nicht die eines Zwanzigers. Die glatten Haare trug der Mann in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem Zopf gebunden.

Auch die kräftige Brustmuskulatur ließ vermuten, dass der Typ körperlich arbeitete. Vielleicht als Bauarbeiter? Dagegen sprach die lange Mähne. Jonas gab seine Betrachtungen auf, legte sein Buch weg und blinzelte zum See. Sonnenstrahlen brachen sich in der Oberfläche und blendeten ihn. Wahrscheinlich war das Wasser immer noch arschkalt, wie bei seinem letzten Bad, doch heute freute er sich auf die Abkühlung.

Nach einem letzten Blick auf den Kerl gegenüber, streifte er seine Badehose ab. Jonas hatte keine Unterwäsche eingepackt und nicht vor, mit nasser Hose nach Hause zu gehen. In Flipflops lief er zum Ufer, ließ sie dort stehen und watete ins kalte Nass. Er erwartete fast, Dampfwolken aufsteigen zu sehen, so groß war der Temperaturunterschied zwischen seinem erhitzten Körper und dem Wasser.

Bis zum Bauchnabel tastete er sich langsam vor, dann vollführte er einen Hechtsprung. Im ersten Moment trieb Eiseskälte ihm die Luft aus den Lungen. Jonas paddelte los, prustend und mit möglichst hohem Bewegungsaufwand. Nach und nach gewöhnte er sich an die Temperatur und empfand sie schließlich als angenehm. Er ging zu ruhigeren Schwimmbewegungen über und drehte eine große Runde durch den See, bevor er seinen Lagerplatz wieder ansteuerte.

Beim Näherkommen erkannte er, dass sein unerwünschter Nachbar inzwischen erwacht war und in seine Richtung guckte. Jonas verließ das Wasser und spürte den überwältigenden Drang, sein Geschlecht mit beiden Händen zu verdecken. Da das eine spöttische Bemerkung hervorgerufen hätte, gab er diesem Bedürfnis nicht nach. Möglichst gelassen stieg er in seine Flipflops und schlenderte betont langsam zu seiner Decke.

„Puh! So kalt ist das Wasser?“, kam von der anderen Seite der Steinlinie.

Hatte der Kerl einen Clown gefrühstückt? Er biss die Zähne zusammen, um nichts Böses zu erwidern. Normalerweise trocknete er sich im Stehen ab, aber in Anbetracht der Situation kniete er sich dafür lieber auf seine Wolldecke. Anschließend wickelte er das Handtuch um seine Hüften, holte eine Wasserflasche aus seinem Rucksack und leerte sie zur Hälfte.

„Sorry. Das ist mir so rausgerutscht“, entschuldigte sich der Kerl in seinem Rücken. „Sag mal, hast du einen bestimmten Pinkelplatz? Ich möchte nämlich nicht aus Versehen in einen Kothaufen treten.“

„Große Geschäfte erledige ich zu Hause. Pinkeln tue ich meist da vorn.“ Er wies auf einen Dornenbusch und konnte sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen.

„Autsch! Okay, dann suche ich mir auf meiner Seite eine ungefährliche Stelle.“

Dumpfe Schritte auf der Grasnarbe, dann knackte Reisig. Als er sich umdrehte, konnte er gerade noch den weißen Arsch des Typen im Dickicht verschwinden sehen. Wieso hatte jemand, der gern nackt rumlag, so eine Kalkleiste zu bieten? Oder war das ein Versuch, ihn in die Flucht zu schlagen? Tja, da musste der Kerl schon andere Geschütze auffahren.

Jonas war fest entschlossen, diesen Platz über den ganzen Sommer weiter zu nutzen. Es war sein persönliches Paradies und der Ausgleich für die wegen Partnermangels ausfallende Urlaubsreise. Im letzten Jahr hatte er die freien Tage auf seinem Balkon verbracht, doch das war kein Vergleich zu diesem Ort mit direktem Zugang zum See.

Sein Magen knurrte. Das Schwimmen hatte seinen ohnehin latenten Hunger angefacht. Seit dem Frühstück waren einige Stunden vergangen, was sich nun als großes Loch in seinem Bauch spiegelte. Er holte die am Morgen vorbereiteten Picknicksachen aus seinem Rucksack und stellte sie auf die Decke. Was Essen betraf, war Jonas ein Genussmensch. Eine Mahlzeit konnte durchaus aus schlichten Dingen bestehen, aber die Qualität musste stimmen. Außerdem gehörte für ihn stets frisches Gemüse dazu.

Nacheinander entfernte er die Deckel von den Plastikboxen. Der Duft der vor ein paar Stunden gebratenen Frikadellen stieg ihm in die Nase. Dazu gab es selbstgemachten Kartoffelsalat, Tomaten und eingelegte Gurken. Während er auf einem Plastikteller die Tomaten in Viertel schnitt, geriet der unliebsame Nachbar in Vergessenheit. Sorgfältig verteilte er Salz und Pfeffer über dem Gemüse, schob es an den Rand und füllte Salat auf den Teller.

„Das sieht lecker aus“, meldete sich der andere Lichtungsgast zu Wort.

Das zufriedene Summen, das sich bei den Vorbereitungen in seinem Kopf festgesetzt hatte, erstarb. Jonas musterte sein reichhaltiges Buffet und ertappte sich doch echt dabei, über eine Einladung nachzudenken. Es war mehr als genug für zwei vorhanden. Energisch verbat er sich weitere Überlegungen in diese Richtung. Schließlich wollte er mit dem Typen keine Freundschaft schließen und schuldig war er jenem auch nichts.

„Danke“, nuschelte er, nahm seinen Teller hoch und begann zu essen.

Eigentlich forderte dieser Akt sonst seine ganze Konzentration ein, doch der nur wenige Meter entfernte Mann war einfach zu präsent. Jonas konnte die begehrlichen Blicke, mit denen der Typ seine Nahrungsaufnahme verfolgte, förmlich spüren. Allerdings hatte er sich diesbezüglich schon vorhin geirrt, also linste er aus dem Augenwinkel rüber zu dem Kerl.

Diesmal behielt er Recht. Der Mann kauerte im Schneidersitz auf der schmalen Strandmatte und sah ihm ungeniert zu. Einige Strähnen, die sich aus dem Zopfgummi gelöst hatten, zwirbelte der Kerl selbstvergessen zwischen den Fingern. Die weit gespreizten Beine gaben mehr preis, als Jonas sehen wollte. Rasch wandte er seine Aufmerksamkeit zurück auf das Essen.

So sehr er sich auch bemühte, wurde er den Anblick der prallen Eier nicht mehr los. Der Mistkerl hatte sich doch extra in solch obszöner Weise präsentiert! Badehosenallergie hin oder her, konnte man doch zumindest ein Handtuch über den Schambereich drapieren. Er fand, dass das in Gesellschaft eines Fremden zumindest der Höflichkeit geschuldet war.

Schneller als gewöhnlich leerte er seinen Teller, verschloss die Boxen und verstaute sie in seinem Rucksack. Das benutzte Besteck und Geschirr landete in einer Plastiktüte.

„Ich geh mal schwimmen“, meldete sein Nachbar an.

Es war wirklich mehr als überflüssig, jede Aktion anzukündigen. Erst der Mist mit dem nackigen Rumlaufen, dann das Pinkeln, nun auch noch das Bad. Was kam als nächstes? ‚Ich kratz mir jetzt die Eier?‘ Genervt pfefferte Jonas die Tüte in seine Tasche. Wenn das so weiterging, waren seine Ferien am See gelaufen.

Griesgrämig guckte er dem Blödmann hinterher. Selbst die scharfe Rückansicht konnte ihn nicht beruhigen, eher war das Gegenteil der Fall. Es war eine Unverschämtheit, mit derart geilen Grübchen überm Hintern vor seinen Augen durch die Gegend zu rennen! Dazu noch die kräftigen Schenkel und schön modulierten Rückenmuskeln. Bah! Echt eine Frechheit!

Es hatte keinen Sinn länger zu bleiben. Jonas zog sich an, packte flink alles zusammen und trat den Heimweg an. Vom See bis zu seiner Wohnung waren es nur zehn Minuten zu Fuß, dennoch war er komplett durchgeschwitzt, als er die Tür zum Treppenhaus aufschloss. Nach einer Dusche machte er es sich auf seinem Balkon gemütlich. Lange war er zu aufgewühlt, um mit nennenswerter Konzentration lesen zu können, dann geriet der unverschämte Lichtungsbesetzer in Vergessenheit und sein Krimi nahm ihn gefangen.



2.

Enttäuscht betrachtete Felix das plattgedrückte Gras, von dem die Decke mitsamt dem attraktiven Braunhaarigen verschwunden war. Im ersten Moment hatte er die Anwesenheit des anderen Mannes verflucht, doch schnell als Segen schätzen gelernt. Sie vertrieb seine Erinnerungen, die er mit der Lichtung verband. Er hatte nur wenige Mal an seinen Ex denken müssen.

Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, als er zu seiner Matte ging und dabei die Grenzlinie passierte. Was für ein blöder Einfall, der ihm im Nachhinein jedoch als genial erschien. Auf diese Weise konnten sie zu zweit den Platz nutzen, ohne einander in die Quere zu kommen. Er hatte nämlich vor, seinen gesamten Sommerurlaub hier zu verbringen.

Normalerweise gönnte sich Felix einmal im Jahr eine Reise, doch das war dieses Jahr nicht drin. Das, was er sonst eisern dafür ansparte, war für gemeinsame Unternehmungen mit Bastian, seinem Ex, draufgegangen. Der Typ war ständig klamm und da Felix glaubte, in ihre Zukunft zu investieren, hatte es ihm nichts ausgemacht, ständig die gesamte Zeche zu übernehmen. Tja, hinterher war man immer schlauer. Im Grunde war ihre Trennung wenigstens diesbezüglich eine Erleichterung. Endlich konnte er wieder allein über sein Geld verfügen.

„Ehrlich gesagt liebe ich dich nicht genug“, waren die kühlen Worte seines Ex vor vier Wochen gewesen.

Danach hatte Bastian seinen Wohnungsschlüssel auf die Garderobe gelegt und war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Sie wohnten nicht zusammen, daher gab es keine Sachen zum Auseinanderdividieren. Im Rückblick war es schon merkwürdig, dass sein Ex, bis auf eine Zahnbürste, überhaupt keine materiellen Spuren hinterließ. Immerhin hatte ihre Beziehung fast ein Jahr gewährt. Sogar der Schaden an Felix‘ Seele hielt sich in Grenzen, lediglich die kaltschnäuzige Art und Weise so abserviert zu werden schmerzte. Er fühlte sich zutiefst gekränkt und hatte mit seinem Selbstwertgefühl zu kämpfen.

Wie vieles in seinem Leben ging er die Trennungsbewältigung pragmatisch an. In den folgenden Wochen suchte er all die Orte auf, an denen er Zeit mit Bastian verbracht hatte und ersetzte die alten Eindrücke durch neue. Die Lichtung, ihr Lieblingsplatz für Freiluftsex, war der letzte abzuhakende Punkt auf seiner Liste.

Während er nachlässig seine Haare frottierte, musterte er erneut die Steinreihe. Vorhin hatten sie, im Abstand von ungefähr dreißig Zentimetern, wahllos Brocken in jeglicher Größe hingelegt. Einige waren nur winzig, andere Faustgroß. Auf Lesen hatte er keine Lust, außerdem brauchte er körperliche Betätigung, sonst wäre er wohl kaum auf die Idee verfallen, die Grenze zu verstärken.

Die nächsten Stunden verbrachte Felix damit, sämtliche Lücken zu füllen. Als ihm das Baumaterial ausging, nutzte er Zweige, die er im umliegenden Waldgebiet sammelte. Zufrieden betrachtete er schließlich sein Werk, das nun unmissverständlich als Wall durchgehen konnte.

Nach einem weiteren Bad im See packte er seine Sachen ein und schlängelte sich über den schmalen Pfad zur Straße. Sein Fahrrad hatte er hinter einem dichten Busch versteckt. Er lud seinen Kram auf den Gepäckträger und legte die kurze Strecke zu seiner Wohnung in gemächlichem Tempo zurück. Bei der brütenden Hitze reichte die kleinste Anstrengung, um ihm den Schweiß aus den Poren zu treiben. Felix war heilfroh über den Umstand, in dieser Hochsommerperiode nicht arbeiten zu müssen. Die Pflanzflächen der Baumschule, bei der er angestellt war, boten wenige Möglichkeiten im Schatten Schutz zu suchen.

Er verstaute seinen Drahtesel im Keller, stieg die Treppe in den 3ten Stock hoch und trat in den kühlen Flur seines Heims. Seine To-Do-Liste war mit dem heutigen Besuch der Lichtung abgearbeitet. Ein bisschen tat es noch weh an Bastians Abschied zu denken, aber es war lediglich ein Bedauern darüber, wie sie auseinandergegangen waren. Die Tatsache an sich schmerzte nicht mehr.

„Ehrlich gesagt …“, murmelte er, in Anlehnung an Bastians letzte Worte. „… bist du es nicht wert, auch nur noch einen Gedanken an dich zu verschwenden.“



Am nächsten Tag radelte er erneut zum See. Obwohl es erst zehn war, brannte die Sonne bereits erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel. Felix plante, erst in den etwas kühleren Abendstunden seinen Heimweg anzutreten und hatte sich entsprechend ausgerüstet. In seinem Gepäck befand sich ausreichend Lektüre, sein Lieblings-Patiencekartenspiel und reichlich Nahrung sowie Wasser.

Leider lag die Lichtung verlassen da, als er sie wenig später betrat. Enttäuscht richtete er sein Lager ein und zog schon aus Trotz die mitgebrachte Badehose nicht an. Insgeheim glaubte er, dem Schicksal somit einen Wink zu geben, den süßen Braunhaarigen wieder herzuschicken.

Sein Plan ging auf. Nach rund einer halben Stunde ungeduldigen Wartens knackten Zweige, dann erschien der herbeigesehnte Mann. Es gelang Felix nur schwer, seine Freude darüber zu verbergen. Fieberhaft überlegte er, ob eine Begrüßung angemessen wäre oder er den Kerl lieber mit Missachtung strafen sollte. Letztendlich entschied er sich für ein knappes: „Hallo.“

„Sie waren ja ganz schön fleißig.“ Der Typ betrachtete den Wall und es sah fast so aus, als wenn ein Mundwinkel leicht zuckte.

„Der Nato-Draht folgt morgen.“

Nun schmunzelte der Mann wirklich. „Das finde ich übertrieben.“

„Dann eben nicht.“ Er schob schmollend seine Unterlippe vor.

„Aber wenn’s Ihnen Freude macht …“ Achselzuckend wanderte sein Nachbar zu dem Platz vom Vortag.

Während der Mann damit beschäftigt war, eine Decke auszubreiten, nutzte Felix den unbeobachteten Moment, um seine Badehose überzustreifen. Das Nacktsein hatte seinen Zweck erfüllt, zudem war seine angebliche Allergie gegen Badebekleidung eine fette Lüge. In Gesellschaft zog er es schon vor, sein Geschlecht zu bedecken.

Es hatte ihn einiges an Überwindung gekostet, sich so freimütig zur Schau zu stellen und damit zu versuchen, den Nachbarn in die Flucht zu schlagen. Da das weder gelungen noch weiter erwünscht war, erübrigte sich solche Provokation. Im Gegenteil war ihm nun daran gelegen, ein freundliches Verhältnis mit dem Mann zu pflegen.

Dass er einem Gleichgesinnten gegenüberstand, hatte er im ersten Moment erkannt. Felix‘ Gaydar funktionierte einwandfrei. Wäre er nicht frisch getrennt, bestünde durchaus Interesse an mehr als Freundschaft. Der Kerl war ziemlich sexy und machte den Eindruck, zu den tieferen Seen zu gehören. Also: Zu den Männern, die oberflächlichen Sex ablehnten. Felix war auch ein Mitglied dieser Fraktion und wie gesagt, wenn die Dinge anders lägen … aber das stand nicht zur Debatte, bis seine Wunden endgültig geheilt waren.

Mittlerweile hatte sich sein Nachbar häuslich eingerichtet und gab vor, bäuchlings auf der Decke liegend, konzentriert zu lesen. Na gut, vielleicht schmökerte der Mann wirklich, obwohl, sollte das der Fall sein, dessen Umblättergeschwindigkeit auf eine Leseschwäche hindeutete.

Felix fiel der Kaffee ein, den er eigentlich gleich nach seiner Ankunft hatte trinken wollen. Übers Warten war das Gebräu doch glatt in Vergessenheit geraten. Er holte die Thermosflasche aus seiner Tasche, schraubte den Deckel ab und goss schwarze Brühe hinein. Nachdem er einen Schuss Kondensmilch hinzugefügt hatte, genoss er den ersten Schluck mit geschlossenen Augen.

Als er sie wieder öffnete, traf er auf den verlangenden Blick seines Nachbarn. Allerdings galt der nicht ihm, sondern der Thermosflasche. Sobald der Mann seine Aufmerksamkeit bemerkte, sah jener schnell wieder ins Buch.

„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Ich hab eh zu viel gekocht.“

„Danke, nein.“

Allmählich ging ihm das ablehnende Verhalten des Kerls mächtig auf den Sack. Felix sprang auf, lief zum Ufer und spülte seinen Becher gründlich aus. Anschließend füllte er ihn neu, griff nach der Kondensmilch und bezog an der Grenzlinie Aufstellung.

„Schwarz oder mit Milch?“

„Ich sagte doch …“

„Ja, schon klar. Also: Mit oder ohne?“, fiel er dem Blödmann ins Wort und begann, ungeduldig mit seinem Fuß zu tippeln.

„Na schön. Mit, bitte.“ Der Typ rappelte sich hoch und kam zögernd näher.

In den weiten Badeshorts wirkte die schlanke Gestalt wie ein Spargeltarzan, obwohl durchaus Muskeln vorhanden waren. Sanfte Bronze deutete darauf hin, dass sich der Typ in letzter Zeit oft in der Sonne gewälzt hatte, jedoch war die Färbung nicht so ausgeprägt, wie Felix‘ Bräune. Im Geiste tippte er sich gegen die Stirn und verbat sich, weitere Betrachtungen in dieser Richtung anzustellen. Der Mann interessierte ihn lediglich rein menschlich. Punkt!

„Ich heiße Felix.“

Braune Augen blinzelten ihn unsicher an. „Wird das eine Anmache?“

„Oh Mann! Ich hab nur das Gesieze satt. Selbst wenn du mit deinem nackten Schwanz vor meine Augen herumwedeln würdest, würde ich dich nie anpacken. Ich will nur eine freundliche Nachbarschaft pflegen. Kommt das bei dir an?“ In seiner aufkeimenden Wut hatte er gedankenlos losgepoltert und lenkte sofort ein: „Tschuldige. Das war etwas unpassend formuliert.“

Der Braunäugige war bei seiner Ansprache zurückgewichen und guckte nun noch verunsicherter. „Ich wollte dir nicht auf den Schlips treten. Wollte nur sicherstellen, dass von meiner Seite kein Interesse besteht.“

„Na, dann wäre das wohl ausreichend geklärt“, brummelte Felix. „Also: Verrätst du mir deinen Namen?“

„Jonas.“

„Nimmst du jetzt bitte mein Gastgeschenk an? Als kleines Dankeschön, dass du deinen Geheimplatz mit mir teilst?“

Ein winziges Lächeln erhellte Jonas‘ Züge. „Das ist wirklich nett von dir.“

Endlich wechselten Becher und Kondensmilch den Besitzer. Vorsichtig brachte Jonas beides zur Decke und ließ sich darauf, mit dem Rücken zu ihm, nieder. Eine Weile starrte er noch den schmalen Rücken an, bevor er zurück zu seiner Matte ging. Ein erster Schritt war getan. Die Lichtung erschien ihm gleich viel heimeliger, nachdem mit dem Nachbarn endlich so etwas wie Eintracht herrschte. Felix fischte ein Buch aus seiner Tasche und suchte sich eine bequeme Position, in der er in seiner Lektüre versinken konnte.



„Ich hab den Becher ausgespült“, holte ihn eine ganze Zeit später Jonas‘ Stimme aus seiner Versunkenheit. „Als Ausgleich könnte ich dir ein Käsebrot mit Tomatenbeilage anbieten.“

Erstaunt spähte er zum Grenzwall, hinter dem sein Nachbar stand und ihm ein verzagtes Lächeln schenkte.

„Ein zweites Frühstück?“ Er holte sein Smartphone hervor, um die Uhrzeit zu checken. „Sorry. Das passt nicht in meinen Diätplan.“

„Diät – was?“ Jonas prustete los.

Felix legte sein Buch weg, sprang auf und schlenderte zum Wall. „Vergiss es. Ein Käsebrot mit Tomaten passt immer. Findet die Übergabe hier statt oder muss ich ein Visum beantragen und es abholen?“

„Ich bringe es gleich.“ Jonas reichte ihm den leeren Becher sowie die Kondensmilch und eilte zurück zur Decke.

Flink entsorgte er die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock design Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - danke
Tag der Veröffentlichung: 29.07.2016
ISBN: 978-3-7396-6627-3

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