Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.
Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!
Text: Sissi Kaiserlos
Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann
Korrektur: Aschure. Danke!
Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/
Für ein Fotoshooting fliegt Mikosch nach Paris. Am Flughafen Charles de Gaulle entdeckt er einen Mann, der ihn seine angeborene Zurückhaltung vergessen lässt. Er muss den Typen unbedingt kennenlernen. Es stellt sich heraus, dass der Kerl einen ungewöhnlichen Namen trägt und durchaus Interesse hat.
~ * ~
Gelangweilt nippte Mikosch an seinem Milchkaffee und beobachtete die vorbeieilenden Leute. Er hatte es absolut nicht eilig ins Hotel zu kommen und daher einen Zwischenstopp in einem Coffeeshop eingelegt. Im Flughafengebäude herrschte, trotz der späten Uhrzeit, reges Treiben. Wie Ameisen auf Nahrungssuche wuselten die Menschen umher, die meisten von ihnen mit Rollkoffern ausgestattet. Ein großer Mann in Uniform, begleitet von zwei Stewardessen, geriet in sein Blickfeld. Vier goldene Streifen zierten die Ärmel der Jacke. Mikosch war kein Fachmann, nahm aber an, dass sie den Kerl als Flugkapitän auswiesen.
Der Typ faszinierte ihn. Mit natürlicher Würde und Gelassenheit schritt dieser neben den eifrig plappernden Frauen daher. Für einen Moment stand die Welt still. Ihm kam es vor, als wäre die Szene kurz eingefroren, dann bewegten sich die Menschen weiter. Noch nie hatte ihn ein Mann derart angezogen. Irgendwie musste er es schaffen, die Aufmerksamkeit des Kerls zu gewinnen, nur wie? Die Zeit war zu knapp, um sich einen ausgeklügelten Plan zurechtzulegen. Rasch kam die Gruppe immer näher.
Mikosch schnappte sich seinen Trolley. In einer Hand den halbvollen Becher, in der anderen den Griff seines Koffers, steuerte er auf die drei zu. Da er von der Seite heranmarschierte, nahm keiner von ihnen sein Nahen wahr. Kurz vor dem Ziel bekam er Muffensausen, aber wenn er jetzt nicht handelte, war die Gelegenheit vorbei.
Mikosch fasste all seinen Mut zusammen, erhöhte das Tempo und prallte im vollen Lauf gegen die Seite des Kapitäns. Sein Heißgetränk schwappte, braune Brühe ergoss sich über die schmucke Uniform. Erschrocken wich er ein Stück zurück, während der Typ erst an sich runterstarrte und dann den Blick auf ihn richtete. Blaue Augen mit wahnsinnig langen Wimpern. Eine der beiden Stewardessen, die auch stehengeblieben waren, fing sich als erste.
„Haben Sie keine Augen im Kopf?“, pflaumte sie ihn an.
„Tschuldigung. War in Gedanken. Ich komme natürlich für die Reinigung auf“, beeilte sich Mikosch zu versichern.
„Das ist ja wohl das Mindeste“, meinte der Flugkapitän in einem aufregend tiefen Timbre, ließ den Handgriff des Trolleys los und zückte ein Päckchen Taschentücher.
„Kommst du klar? Heidi und ich sind verabredet“, fragte die andere Begleiterin.
„Aber sicher. Wir sehen uns morgen.“ Der Typ zupfte ein Tuch aus der Packung und begann, in aller Seelenruhe an den Flecken herum zu tupfen.
Nach einem verächtlichen Blick in Richtung Mikosch, eilten die beiden davon. Ihm kam seine Aktion von Sekunde zu Sekunde dämlicher vor. Der attraktive Kerl war bestimmt schon oft auf derart dumme Weise angemacht worden. Wer so aussah, hatte an jedem Finger einen Liebhaber, sofern der Typ überhaupt am selben Ufer fischte.
„Mir ist ja schon so manches passiert, aber mit heißem Kaffee hat mich noch nie ein Mann begossen, nur um meine Bekanntschaft zu machen“, murmelte der Kapitän, gab die Bemühungen auf und grinste ihn amüsiert an. „Ich bin Paris.“
„Ich bin Mikosch. Es tut mir echt leid. Das war keine Absicht.“
„Nicht?“ Paris legte den Kopf leicht schief und taxierte ihn von oben bis unten. „Schade.“
„Na gut, es war aber anders geplant. Wollte dich nur anrempeln.“ Mikosch wagte ein zaghaftes Lächeln. „Darf ich dich auf einen Kaffee einladen?“
„Für den Anfang eine gute Idee.“
„Bist du Tourist oder geschäftlich hier?“, fragte Paris, nachdem vor ihnen zwei frische Kaffee standen.
„Eher geschäftlich. Ich posiere gelegentlich für Werbeaufnahmen.“
„Wow! Du bist also ein Model?“
„Ab und zu, wenn mein Typ gefragt ist. Eigentlich bin ich ein langweiliger Bankangestellter.“
„Langweilig sieht für mich anders aus.“ Paris grinste frech. „Was für Werbeaufnahmen machst du? Unterwäsche?“
„Dafür bin ich nicht geeignet. Es geht um ein Urlaubsprospekt und ich repräsentiere den nordischen Typ.“
„Bist du denn ein Nordlicht?“ Den Becher an den Lippen, sah Paris ihn mit fragend hochgezogenen Augenbrauen an.
„Kein waschechtes. Irgendwo in meinem Ahnenstamm hat sich mal eine Schwedin herumgetrieben, das war’s auch schon. Meine Familie lebt schon seit Generationen in Hamburg.“
„Ich glaub’s nicht. Wahrscheinlich hab ich dich sogar her kutschiert.“ Paris lachte leise. „Ich wohne auch in Hamburg.“
„Und dann dieser exotische Name?“
„Meine Eltern haben es mit Göttern. Meine Schwester heißt Hera und mein Bruder Hermes.“
„Da hast du ja noch Glück gehabt. Hermes.“ Mikosch schüttelte grinsend den Kopf. „Bist du oft in Paris? Oder jettest du um die ganze Welt?“
„Ich bin eine Weile Langstrecken geflogen, aber das ist mir zu anstrengend. Wenn man dreißig Stunden am Stück über den Wolken zugebracht hat, ist man hinterher einige Tage völlig platt. Da bleib ich lieber in Europa. Es gibt genug Piloten, die sich um ferne Ziele reißen.“
Das hörte sich ganz schön ernüchternd an. Bisher hatte Mikosch angenommen, dass der Beruf des Piloten allerlei Annehmlichkeiten mit sich brachte, wie Partys unter Palmen mit sexy Kerlen. Ganz schön naiv, wie er gerade feststellte, vor allem, weil es in vielen Ländern dazu noch gefährlich war, offen zu seiner Homosexualität zu stehen.
„Du gefällst mir.“ Paris beugte sich zu seinem Ohr und flüsterte: „Hätte nichts dagegen, heute Nacht ein bisschen Spaß mit dir zu haben.“
Obwohl genau das auch Mikoschs Wunsch war, fand er dieses direkte Vorgehen doch etwas abstoßend. Andererseits blieb ihnen nur eine Nacht und somit keine Zeit für einen ausgiebigen Flirt.
„Machst du so was öfter? Ich meine, versteh mich nicht falsch, aber gabelst du häufig einen Mann auf?“
Paris zuckte die Achseln. „Ab und zu. Es passiert allerdings nicht häufig, das mir ein derart sexy Exemplar wie du praktisch vor die Füße fällt.“
Mikosch musste lachen. „Vor die Füße fallen? Das ist eine nette Idee fürs nächste Mal.“
„Ach? Klapperst du regelmäßig Flughäfen nach willigen Kapitänen ab?“
„Quatsch. Das mit dir ist gewissermaßen eine Premiere. Ich bin eher der …“ Im letzten Moment biss er sich auf die Zunge. Er wollte Paris, der eindeutig nur auf eine Abenteuer aus war, nicht damit erschrecken, zu den monogamen Beziehungstypen zu gehören. „Ich bin eher der Typ, der in einschlägigen Clubs herumhängt.“
Zumindest hatte er das früher getan, als er noch jung war und der Saft ihm regelmäßig bis zu den Ohren stand. Inzwischen hatte er die dreißig überschritten und eine längere Beziehung lag hinter ihm. Genau so etwas strebte er auch wieder an, aber diesmal mit dem Richtigen. Olaf hatte ihn nach Strich und Faden betrogen. Das war erst im Nachhinein herausgekommen und er heilfroh, sich keine Infektion eingefangen zu haben. Sie hatten nämlich bare miteinander geschlafen, da er von Olafs Treue ausgegangen war. Tja, so konnte man sich irren.
„Da hätten wir uns eigentlich schon früher begegnen müssen. Ich bin oft im Goldenen Hirsch oder im Lila Leguan. Na ja, wenn ich nicht gerade in irgendeiner fremden Stadt abhänge.“ Paris seufzte. „Mir wär’s lieb, wenn wir in dein Hotel gehen. In meinem wimmelt es von Kollegen.“
„Du bist nicht geoutet?“
„Sagen wir es so: Ich mag mein Privatleben. Geht niemanden etwas an, mit wem ich herumvögele. Und du?“
„Meine Familie und Freunde wissen Bescheid. Auf der Arbeit bin ich eher zurückhaltend, aber wenn mich jemand fragen würde, würde ich die Wahrheit sagen.“
„Dann geht’s dir genau wie mir.“ Paris leerte seinen Becher. „Wollen wir los?“
Ein Taxi chauffierte sie durchs nächtliche Paris. Es war nicht Mikoschs erster Trip in die Metropole, dennoch faszinierten ihn die Bauwerke und Prachtstraßen immer wieder. Er sah aus dem Seitenfenster, sich Paris‘ Nähe überaus bewusst. Die Vorstellung, dass er gleich mit diesem fremden Mann Sex haben würde, war einerseits aufregend, andererseits etwas beängstigend. Siedend heiß fiel ihm ein, dass sie vergessen hatten vorab ein paar wichtige Dinge zu klären.
Abschätzend linste er zum Fahrer, der einen Turban trug und leise zur Radiomusik summte. Trotz des fremdländischen Aussehens war nicht sicher, ob der Mann deutsch verstand. Mikosch wollte kein Risiko eingehen und hielt daher lieber den Mund.
Vor dem Hotel angekommen, zahlte er den Fahrpreis und stieg aus. Während ihr Chauffeur das Gepäck auslud, sah er an der Front des Gebäudes hoch. Es handelte sich um einen Altbau mit zahlreichen Stuckelementen. Mikosch hatte die Unterkunft bei einer Reise vor etlichen Jahren entdeckt und residierte seitdem hier, wenn er mal in der Stadt war. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmte, außerdem mochte er das plüschige Ambiente.
Hintereinander betraten sie die Lobby. Eine junge Frau lächelte ihnen entgegen, händigte ihm nach Erledigung der Formalitäten eine Keycard aus und wünschte einen schönen Aufenthalt. Dass ihr Blick dabei an Paris hing machte Mikosch klar, wer der Attraktivere von ihnen war. Er konnte es der Frau nicht einmal verübeln. Paris war wirklich ein echter Hingucker und atemberaubend männlich.
Der Einfachheit halber hatte er sie als Ehepaar angemeldet. Einmal war er mit Olaf in diesem Hotel gewesen und wusste daher, dass man weltoffen mit solchen Paarungen umging.
„Hoffe du bist nicht sauer, dass ich dich als meinen Gatten eingetragen habe“, flüsterte er Paris zu, als sie den Aufzug ansteuerten.
„Im gewissen Sinne stimmt das doch“, erwiderte jener ebenso leise. „Heute bin ich dein Mann, allerdings nur für ein paar Stunden.“
Die Türen der Kabine glitten auf. Sie schoben ihr Gepäck hinein und Mikosch drückte den Knopf fürs dritte Stockwerk. Obwohl das Gebäude von außen einen morbiden Eindruck machte, war die Technik innen auf dem neuesten Stand. Ohne jegliches Ruckeln beförderte der Lift sie in die Höhe. Zwei der Wände bestanden aus getönten Spiegeln, in denen selbst der blasseste Kerl zum Surferboy mutierte. Mikosch fiel auf, dass Paris ihm intensiv auf den Arsch starrte.
„Öhm. Sag mal … ich hoffe, du bist keiner dieser Fetisch-Typen oder S/M-Anhänger“, brachte er etwas verlegen hervor.
„Keine Sorge. Ich mag Blümchensex und liege gern unten.“ Paris richtete den Blick auf sein Gesicht. „Allerdings nur safe und nicht immer.“
Das war ganz nach seinem Geschmack. Mikosch besaß keinerlei Fetisch, wenn man mal davon absah, dass er schwer kuschelsüchtig war. Küsste Paris? Seine Augen hefteten sich auf dessen Lippen. Die geschwungenen Bögen sahen verführerisch aus. Das sollte nichts bedeuten, da er schon ähnliche Exemplare erblickt hatte, die aber lediglich zum Reden oder Blasen benutzt wurden.
Der Aufzug hielt. Lautlos öffneten sich die Türen. Dicker Teppich bedeckte den Gang. An den Wänden hingen Leuchten mit bunten Glasschirmen, die dem Licht einen romantischen Touch verpassten. Mikosch schwebte förmlich über den dichten Flor. Allmählich machte sich Vorfreude in ihm breit. Auf dem Weg zu ihrem Zimmer linste er aus dem Augenwinkel immer wieder rüber zu Paris, dem keinerlei Aufregung anzumerken war.
Der Raum war nicht sonderlich groß, dafür aber sehr gemütlich. Ein Doppelbett nahm den meisten Platz ein. Schwere Samtgardinen vor den Fenstern sperrten die hellen Lichter der Stadt aus. Die Farben Rot, Gold und Beige überwogen. Zwei Nachttischlampen, mit ebensolchen Schirmen wie die im Gang, spendeten gedämpften Schein.
„Nett“, murmelte Paris.
„Es ist ein bisschen plüschig, aber ich mag das lieber, als die nüchternen Zimmer in irgendwelchen anderen Hotels“, rechtfertigte sich Mikosch ohne recht zu wissen, warum er das tat.
„Mir gefällt’s.“ Paris stellte den Trolley vorm Schrank ab. „Ich könnte eine Dusche vertragen, wenn das okay für dich ist.“
„Klar. Mach nur.“
„Magst du mitkommen? Ich hätte nichts dagegen, mal wieder den Rücken gewaschen zu bekommen.“ Ein schelmisches Grinsen auf den Lippen, befreite sich Paris von der Krawatte und warf sie nachlässig auf den einzigen Stuhl.
Generell eine gute Idee, um ein bisschen warm miteinander zu werden, dennoch zögerte Mikosch. Es war eine Ewigkeit her, dass er sich auf einen One-Night-Stand eingelassen hatte. Mit einem Mal kam ihm die ganze Sache falsch vor. Es war das eine, im Darkroom nur das Nötigste freizulegen, das andere, sich ganz vor einem Fremden zu entblößen. Paris, der gerade im Begriff war die Hose abzustreifen, hielt mitten in der Aktion inne. Mit gerunzelter Stirn sah der halbnackte Mann zu ihm rüber.
„Tut mir leid. Das war etwas plump. Am besten dusche ich schnell und hinterher sehen wir weiter. Okay?“
Mikosch nickte erleichtert. Dass Paris das Tempo drosselte, ließ die zu verlöschen drohende kleine Flamme in seinem Inneren wieder etwas heller flackern. „Eine Frage: Küsst du?“
Paris schmunzelte. „Sehr gern. Willst du eine Kostprobe?“
Was für eine Frage! Mikosch eilte so ungeschickt ums Bett herum, dass er ins Stolpern geriet und in ausgestreckte Arme fiel. Paris‘ Brustkorb bebte vor unterdrücktem Lachen.
„So eilig?“
Er bekam keine Gelegenheit verlegen zu erröten. Spielerisch biss Paris in seine Unterlippe, fuhr mit der Zungenspitze darüber und platzierte Küsschen auf seinen Mundwinkeln. Angetan schloss Mikosch die Augen. Er mochte es sehr, wenn sein Partner nicht gleich aufs Ziel losraste. Eine Weile neckte Paris ihn nur, dann ging’s allmählich ans Hauptgericht. Sein Mund wurde vorsichtig erobert. Die Zärtlichkeit, mit der dies geschah, ließ auf ebenso schönen Sex hoffen.
Paris hob den Kopf und flüsterte heiser: „Okay für dich?“
Mehr als okay. Sinnlich. Sehr sexy. Mikosch vermochte nur zu nicken, da der Kuss sein Sprachzentrum etwas angeschlagen hatte. Seine Kehle fühlte sich wie Schmirgelpapier und entsetzlich trocken an. Er spürte Paris‘ Erektion durch den Hosenstoff, womit gewiss war, dass seine eigene auch nicht verborgen blieb.
„Ich geh dann mal duschen. Bis gleich.“
Er bekam einen Kuss auf seine Wange, dann klappte die Badezimmertür zu.
Paris streifte seine restlichen Klamotten ab und stieg in die Duschkabine. Eigentlich hatte er vorgehabt, gleich ins Hotel zu fahren, ein Bier zu trinken und anschließend schlafen zu gehen. Inzwischen war seine Müdigkeit komplett verflogen. Mikosch reizte ihn und das nicht nur in körperlicher Hinsicht. Der Mann bestand aus einer Mischung aus Draufgängertum und Scheu, die Paris erfrischend fand. Er brauchte nur an den peinlichen Auftritt am Flughafen zu denken, schon musste er grinsen.
Während heißes Wasser die Spuren des langen Tages von seinem Körper spülte, malte er sich aus, was gleich im Bett geschehen würde. Da Mikosch auf seinen zärtlichen Kuss mit der gleichen Sanftheit reagiert hatte, dürften sie beim Sex auch harmonieren. Paris bevorzugte ein langes Vorspiel, mit gegenseitigem Blasen und Streicheln. Danach konnte es etwas härter zur Sache gehen, möglichst vor einem Spiegel. Er liebte es, sich selbst und seinem Partner dabei zuzusehen. Wenn das als Fetisch galt, hatte er Mikosch belogen, aber er fand seine Vorliebe derart harmlos, dass daran wohl nichts verwerflich oder abstoßend war.
Unweigerlich hatte sich sein Schwanz bei diesen Gedanken wieder versteift. Es juckte ihm in den Fingern selbst Hand anzulegen, doch die Folge wäre, dass der Sex mit Mikosch ausfiel. Vor einigen Jahren war das noch kein Problem gewesen, doch inzwischen brauchte Paris eine längere Pause, bis er wieder konnte.
Er stellte das Wasser ab, verließ die Kabine und griff nach einem Handtuch. Das Hotel gefiel ihm ausnehmend gut. Selbst im Bad war eine romantische Stimmung deutlich zu spüren. Die Armaturen bestanden aus goldenen Delphinen, genau wie der Spiegelrahmen über dem Waschbecken. Art déco Fliesen wechselten sich mit schlichten weißen ab, wodurch der Raum nicht überladen wirkte.
In den roten Bademantel, der an der Tür gehangen hatte, gewickelt, kehrte er ins Zimmer zurück. Mikosch stand am Fenster, lediglich mit Pants und T-Shirt bekleidet. Die Samtvorhänge waren ein Stück beiseitegeschoben, so dass man einen wundervollen Ausblick aufs nächtliche Paris hatte. Würzige Mailuft drang durch eine offenstehende Lüftungsklappe im oberen Bereich der Scheibe. Dem Frühling in der Metropole haftete stets etwas Bezauberndes an und es kam Paris so vor, als wäre diese Wirkung durch Mikoschs Anwesenheit noch verstärkt. Er war von Kopf bis Fuß total elektrisiert, was sich ebenfalls äußerlich in Form des vorgewölbten Frottees weiter unten zeigte.
„Willst du auch duschen?“
Wie von der Tarantel gestochen fuhr Mikosch herum. Offenbar hatte der arme Kerl ihn nicht hereinkommen gehört. Kein Wunder, dämpfte der dicke Teppich doch jeden Schritt.
Ein reuiges Lächeln auf den Lippen, sagte Paris: „Tschuldige. Das Bad ist jetzt frei.“
„Öhm. Danke. Ich beeil mich. Nimm dir was aus der Minibar, wenn du magst“, nuschelte Mikosch, bereits auf dem Weg ins Badezimmer.
Immer noch grinsend, sah er dem Davoneilenden hinterher. Das straffe Gesäß in der engen Pants versprach Sinnesfreuden, genau wie der gut gefüllte Schritt. Paris war nicht auf XXL-Geräte fixiert, fand sie aber, wie wohl viele seiner schwulen Geschlechtsgenossen, ziemlich geil. Er inspizierte den Inhalt der Minibar, entschied sich für eine Flasche Pils und entfernte den Kronkorken. Anschließend trank er einen großen Schluck, wobei sein Blick zum Fenster irrte.
Vor einiger Zeit war er mit Harry, seinem langjährigen Fuckbuddy, in Paris gewesen. Die als Romantik-Wochenende geplante Reise entpuppte sich als Horrortrip. Harry fand an allem etwas auszusetzen, sogar an dem Hotel, das Paris mit besonderer Sorgfalt ausgesucht hatte. Letztendlich waren sie eher als geplant wieder abgereist und kurz darauf war ihr Verhältnis in die Brüche gegangen. Harry hatte, wie sich später herausstellte, zwischenzeitlich eine Frau kennen und lieben gelernt. Mittlerweile war sein ehemaliger Freund verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Seufzend setzte Paris erneut die Flasche an seine Lippen. Zusammen mit Harry hatte er auch die Langstreckenflüge ad acta gelegt. Diese waren überhaupt der Grund gewesen, an dem recht lieblosen Verhältnis festzuhalten. Einen Partner zu haben, der die langen Abwesenheitszeiten ohne Klagen ertrug, war damals in seinen Augen Gold wert.
Paris wollte jetzt nicht an Harry denken. Die Sache war ohnehin seit drei Jahren Geschichte. Er zog die Vorhänge zu und horchte, ob die Dusche noch rauschte. Sein Blick wanderte zum Radiowecker, dem einzigen Störfaktor in dem ansonsten auf Retro getrimmten Ambiente. Halb zwölf? War es wirklich erst eine Stunde her, dass ihn Mikosch mit Kaffee übergossen hatte? Ihm kam es weitaus länger vor.
Er trank seinen Rest Bier, stellte die leere Flasche auf den Schreibtisch und hockte sich auf die Bettkante. Neben der Tür zum Bad hing ein bodentiefer Spiegel. Den hatte er natürlich schon vorhin bemerkt, war jedoch zu beschäftigt gewesen, um sich näher damit zu befassen. Von seinem Platz aus war der Ausblick perfekt, doch wenn er sich ... probeweise kletterte Paris ganz aufs Bett und nahm eine Position ein, in der Mikosch ihn gut ficken konnte. Zufrieden betrachtete er sein Spiegelbild. Nicht nur, weil er sich selbst geil fand, sondern vor allem wegen der Aussicht, seinem Fetisch frönen zu dürfen.
Paris hatte gerade seine Ausgangsposition wieder eingenommen, als die Badezimmertür aufschwang. Genau wie er in einen dunkelroten Bademantel gehüllt, kam Mikosch herein. Dessen ernster Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
„Ich hab nachgedacht. Das hier ist wohl eine Nummer zu groß für mich. Tut mir echt leid, aber ich kann das doch nicht.“
„Nun erzähl mir nicht, dass du noch nie einen Mann für eine Nacht abgeschleppt hast.“
„Darum geht’s nicht. Sieh dich doch an. Du bist umwerfend attraktiv. Ich wirke gegen dich wie eine Kirchenmaus.“
Paris sprang auf. „Sag mal, hast du sie noch alle? Das hier ist kein Germanys-Next-Male-Topmodel-Contest.“
Der verzagte Blick seines Gegenübers sprach Bände. Paris kannte diesen Scheiß zur Genüge. Es war manchmal ein Fluch, eine attraktive Visage zu besitzen. Meist wagten sich vornehmlich Vollpfosten an ihn ran. Wenn es mal ein Typ mit ein bisschen Grips tat, geriet er immer wieder in diese Situation: Der Mann fühlte sich unzulänglich und suchte das Weite.
„Das mit dem Küssen hat doch toll geklappt. Lass es uns einfach versuchen. Okay?"
Mikosch wies auf den Spiegel. „Der muss aber vorher weg.“
Wie konnte ein Fotomodel bloß so verklemmt sein? Paris schob diesen Gedanken schnell beiseite, da ihn eine Diskussion garantiert den angestrebten Sex gekostet hätte. Bedauernd hob er den schweren Spiegel an, löste ihn aus der Halterung und drehte ihn zur Wand. Anschließend fuhr er sich mit einem übertrieben schweren Seufzer mit beiden Händen durchs Haar.
„Zufrieden?“
Ein verschämtes Lächeln auf den Lippen nickte Mikosch. Erneut erlag Paris dieser entzückenden Zurückhaltung. Nun dürstete es ihn umso mehr, den hinreißenden Mann in Aktion zu beobachten. Eigentlich ließ er sich nie von Eintagsfliegen frontal vögeln, aber bei Mikosch spielte er mit diesem Gedanken. Allerdings war weiterhin fraglich, ob es überhaupt dazu kam. Vielleicht blieb es bei einem gegenseitigen Handjob. Das fand Paris auch schön, vor allem, weil er dann das Gesicht seines Sexpartners sehen konnte.
„Magst du auch einen Schluck Weißwein?“, fragte Mikosch, der sich vor die Minibar gekniet hatte.
„Lieber ein Wasser. Ich hab schon ein Bier getrunken und muss in zwölf Stunden wieder fliegen.“
„Gibt’s da Regeln?“
„Natürlich. Willst du in einen Flieger steigen, dessen Kapitän noch Restalkohol intus hat?“
Schmunzelnd schüttelte Mikosch, der sich ein Glas Wein eingeschenkt hatte, den Kopf und reichte ihm ein Wasser. Stumm prosteten sie einander zu. Paris verstand echt nicht, wieso sein Gegenüber unter Minderwertigkeitskomplexen litt. Mikosch mochte ja keine strahlende Schönheit sein, besaß aber regelmäßige Gesichtszüge und eine wundervolle Haut. Außerdem war er sehr anziehend, schon allein durch sein einnehmendes Wesen.
Mikosch leerte das Glas, stellte es auf den Nachtschrank und nahm neben ihm Platz. Erstaunlich zielstrebig sorgte er anschließend dafür, dass auch Paris beide Hände frei hatte. Das unsichere Flackern in Mikoschs Augen blieb jedoch, während sie langsam näher zueinander rückten. Paris beugte sich vor, seine Sicht verschwamm, warme Lippen kamen ihm entgegen. Wie schon beim ersten Kuss spielten sie erst ein wenig, bevor sie leidenschaftlicher wurden.
Er wühlte eine Hand in Mikoschs nasses Haar. Zu gern hätte er sich an ihren Bademänteln zu schaffen gemacht, überließ jedoch seinem Kusspartner das Tempo. Noch überwog seine Sorge, den süßen Kerl in die Flucht zu schlagen. Mikosch seufzte allerliebst, als sich ihre Münder für ein paar Atemzüge voneinander lösten. Einen seligen Ausdruck auf dem Gesicht, streichelte er Paris‘ Wange.
„Sie küssen sehr gut, Herr Kapitän.“
„Sie auch, Mr. Gelegenheitsmodel.“ Schmunzelnd senkte Paris seine Lippen auf die glatte Haut in Mikoschs Halsbeuge, wofür er den Frotteestoff ein wenig beiseiteschieben musste.
Zärtlich knabberte er an der empfindlichen Stelle, spürte die Schauer, die Mikosch durchliefen. Langsam rutschte der Bademantel über dessen Schulter, gab noch mehr zarte Haut preis. Zugleich machten sich Hände an seinem Gürtel zu schaffen. Im Nu klaffte der Stoff auf und seine Erektion schwang hoch. Paris‘ Schwanz war so hart, dass er gegen seine Bauchdecke dengelte. Rasch umfasste er seine Eichel, die freigelegt überaus sensibel war.
„Wie stehst du zum Blasen?“, erkundigte er sich heiser.
„Generell positiv.“ Die Unsicherheit war verflogen, an deren Stelle ein lüsternes Grinsen getreten.
Er küsste Mikosch auf den Mund, streifte seinen Mantel ab, ließ sich rücklings aufs Bett fallen und rutschte in dessen Mitte. Unter halbgesenkten Lidern hervor sah Mikosch ihm zu, streichelte ihn mit bewundernden Blicken. Obwohl Sex in der Luft lag, fühlte sich Paris eher liebkost, denn als Fleisch angesehen. Verlangend streckte er seine Arme aus. Mikosch schlüpfte aus den Ärmeln des Bademantels, löste den Gürtelknoten und krabbelte zu ihm. Erneut fanden sich ihre Lippen, während er über Mikoschs Rücken streichelte. Gänsehaut bildete sich unter seinen Fingerspitzen. Die Empfänglichkeit für seine Liebkosungen fachte die Glut in Paris‘ Innerem an.
„69er“, nuschelte er in ihren Kuss hinein.
„So alt bist du?“
Zur Strafe biss er Mikosch in die Unterlippe. „Beweg deinen geilen Hintern. Oder willst du unten liegen?“
Flink kletterte der sexy Kerl über seinen Kopf, stemmte die Hände links und rechts seiner Hüften in die Matratze und wackelte mit dem Hintern. Mikoschs steifer Schwanz pendelte direkt vor seiner Nase hin und her, wie eine köstliche Frucht. Mehrmals schnappte Paris vergeblich danach.
„Hey! Hör auf zu spielen“, schimpfte er.
Endlich konnte er sich den leckeren XXL-Schwengel einverleiben. Mikosch schmeckte sauber und etwas salzig. Im nächsten Moment steckte sein Schwanz auch in einer heißen Mundhöhle, was Paris‘ Aufmerksamkeit ablenkte. Erregend wurde sein Schaft umzüngelt, zugleich mit seinen Eiern gespielt. Er ließ Mikosch eine Weile machen, bevor er selbst wieder in Aktion trat. So tief wie möglich nahm er das harte Stück Fleisch in den Mund, massierte dabei die Wurzel. Eine Hand schloss er um die prallen Hoden, um sie mit zunehmendem Druck zu kneten. Mikosch stöhnte kehlig, gedämpft durch seinen Schwanz.
Sie wechselten sich so lange ab, bis sie vor Geilheit förmlich dampften. Am liebsten hätte er in Mikoschs Mund abgespritzt, aber nur ohne Gummi. Da das nicht infrage kam, auch wenn die gesundheitlichen Voraussetzungen seinerseits bestanden, entzog er Mikosch seinen Schwanz.
„Fick mich endlich“, bat er mit Reibeisenstimme.
Seine Kehle war ausgedörrt, er zitterte am ganzen Körper und sehnte die Erlösung herbei. Ungelenk stieg Mikosch von ihm runter und legte sich nach kurzem Zögern auf ihn drauf. Paris spreizte bereitwillig seine Schenkel. Mit ausgestrecktem Arm angelte er nach einem der Kondome, die er vorhin auf dem Nachtschrank deponiert hatte.
„Mir wär’s lieber, wenn wir es so zu Ende bringen.“ Mikosch, den Blick bittend auf sein Gesicht gerichtet, rieb das Becken an seinem.
Damit konnte Paris auch gut leben, Hauptsache, der aufgestaute Druck fand endlich ein Ventil. Er zwängte eine Hand zwischen ihre Körper, umschloss ihre Schwänze und trieb sie zusammen ins Ziel. Sein Orgasmus kam unvermittelt und so heftig, dass er kurz Schwärze vor Augen hatte. Nur am Rande merkte er, wie Mikosch weiter in seine Faust stieß und ihm mit einem ekstatischen Stöhnlaut folgte.
Eigentlich war der Plan gewesen, nach dem Sex abzuhauen und in sein Hotel zu fahren. Viel zu erledigt, um auch nur einen Finger zu rühren, verwarf Paris dieses Vorhaben.
„Kann ich hier schlafen?“, bat er mit schwacher Stimme um Erlaubnis.
„Mhm. Hauptsache du schnarchst nicht“, kam genauso erschöpft zurück.
Kurz darauf hörte er im Dunkeln Mikosch laut atmen. Böse Zungen könnten diese Laute als Schnarchen bezeichnen, aber Paris wollte mal großzügig sein, außerdem fand er die Geräusche einfach süß.
Im Schlaf sah Paris sehr jung aus. Eine Weile ergötzte sich Mikosch an diesem Anblick, dann kroch er leise aus dem Bett. Es war zwar noch zu früh, um ins Fotostudio zu fahren, aber er wollte weg sein, bevor Paris aufwachte. Auf das verlegene Hin und Her des Morgens danach hatte er keine Lust.
Nach einer kurzen Dusche schlüpfte er in frische Klamotten, packte seine Sachen und kramte eine Visitenkarte hervor. Auf der Rückseite des Kärtchens prangte sein Konterfei, auf der Vorderseite stand die Adresse seiner Agentur. Er zückte einen Kugelschreiber, kritzelte seine Anschrift und Telefonnummer auf die Karte und schlich zum Nachtschrank.
In dem Moment, in dem er die Visitenkarte hinlegen wollte, klappte Paris ein Auge auf. Vor Schreck zuckte Mikosch zusammen.
„Hi. Wie spät ist es?“, krächzte Paris schlafheiser.
„Gleich zehn.“
„Du musst schon los?“
„Mhm. Ich zahl das Zimmer. Du brauchst nur den Schlüssel abgeben, wenn du gehst.“
„Okay. Bekomme ich einen Abschiedskuss?“ Paris reckte den Kopf.
Mikoschs Herz, das sich gerade von dem Schock erholt hatte, begann erneut wild zu schlagen. Den taffen Flugkapitän im Bett liegen zu sehen, die Haare zerstrubbelt und die Lippen gespitzt, war rührend. Er gab Paris einen sanften Kuss und legte endlich die Visitenkarte auf den Nachtschrank.
„Nur für den Fall, dass ich dich aus Versehen geschwängert habe, oder so“, witzelte er lahm, schnappte sich seinen Trolley und rollte ihn zur Tür. „Mach’s gut.“
Paris hatte den Kopf bereits wieder im Kissen vergraben und murmelte: „Man sieht sich.“
Mikosch beglich an der Rezeption seine Rechnung und trat in den Sonnenschein hinaus. Auf der Straße herrschte lebhafter Verkehr, genau wie auf dem Bürgersteig. Er steuerte ein Café, in dem er schon oft etwas getrunken hatte, an. Alle Tische vor dem Lokal waren belegt, nur an einigen gab es noch freie Plätze. Mikosch spürte nicht den Wunsch nach Gesellschaft, ging ins Café und setzte sich in eine Nische.
Nachdem er Milchkaffee und ein Croissant bestellt hatte, ließ er die Nacht Revue passieren. Im Rückblick kam es ihm wie ein Traum vor, dass der sexy Flugkapitän in seinem Bett gelandet war. Und das, obwohl er so rumgezickt und sich dümmer denn je aufgeführt hatte. Bestimmt lachte Paris über ihn, den verklemmten Bankangestellten, beziehungsweise das Möchtegern-Model.
Ach, egal. Es war schön gewesen und die Erinnerung an ihre Küsse sandte ein wohliges Kribbeln über seine Haut. Der Geschmack von Paris‘ Schwanz war ihm noch bewusst, genau wie das Gefühl, sich an dem überaus schlanken Mann zu reiben. Rasch zwang Mikosch seine Gedanken zurück ins Jetzt, um die aufkeimende Lust zu bekämpfen. Schließlich wollte er nicht mit einem Ständer herumsitzen.
Der Kellner erschien und brachte seine Bestellung. Als der Mann wieder weg war, holte Mikosch sein Smartphone hervor und rief seinen Agenten an. Es war Usus, dass sie kurz vor einem Termin in ständigem Kontakt blieben. Am Vortag hatte noch alles rosig ausgesehen, doch so etwas konnte sich schnell ändern. Gelegentlich passierte es, dass eine Produktion komplett verworfen wurde und er unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren, na ja, in diesem Fall fliegen durfte.
Walter, ein ruhiger Mittfünfziger, brummelte: „Gut dass du dich meldest. Dein verdammtes Handy war aus.“
Schuldbewusst errötete Mikosch, als er an den Grund für diesen Fauxpas dachte. Er hatte sein Smartphone ausgestellt, bevor er zu Paris ins Taxi gestiegen war.
„Du darfst deinen Arsch in den nächsten Flieger schwingen. Die haben alles gecancelt und wollen jetzt einen Wikinger, statt eines fröhlichen Familienvaters. Oder kannst du dir mal eben ein paar Kilo Muskelmasse anschaffen?“ Walter lachte dröhnend.
„Ein paar Gramm Fett wären möglich, mehr leider nicht“, erwiderte Mikosch, den Blick auf sein fettiges Croissant geheftet. „Was ist mit meinen Kosten?“
„Die stelle ich den Säcken natürlich in Rechnung. Tut mir leid. Ich hätte dir gern eine bessere Nachricht überbracht.“
„Schon gut. Du kannst nichts dafür.“
Nach ein paar Floskeln beendeten sie das Gespräch. Mikosch trank einen Schluck Kaffee, den Blick nachdenklich auf einen fernen Punkt gerichtet. Als er vor acht Jahren seine Bewerbung bei der Agentur eingereicht hatte, war er noch voller Hoffnung gewesen, irgendwann auf der Titelseite eines Magazins zu landen. Dafür hatte er sich mit Diäten und einem drastischen Sportprogramm gequält. Inzwischen hielt er sich zwar noch fit, aber mit weitaus weniger Elan als vorher. Seine Illusionen waren mit jedem Foto-Shooting mehr und mehr der Realität gewichen.
Er besaß eben ein gewöhnliches Gesicht und keinerlei pikante Merkmale, die das irgendwie ausglichen. Wie etwa diesen schwarzen Fleck, den das Supermodel Cindy Dingenskirchen überm Mundwinkel trug. Auch sein Körper war, wenngleich gut in Form, eher Mittelmaß.
Selbstvergessen stopfte er das Croissant in sich rein, spülte den letzten Bissen mit Milchkaffee runter und winkte den Kellner herbei. Er zahlte, bugsierte seinen Trolley aus dem Café und hielt nach einem Taxi Ausschau.
Einige Stunden später landete er in Hamburg-Fuhlsbüttel. Regen prasselte gegen die Bullaugen des Flugzeuges, während es das Rollfeld überquerte und schließlich an einem der Gates hielt. Nach dem frühlingshaften Wetter in Frankreich wirkte die Sintflut ernüchternd und machte Mikosch klar, dass der Alltag ihn wieder zurück hatte.
In den folgenden Tagen musste er häufig an Paris denken. Er begann zu bereuen, im letzten Moment einen Rückzieher gemacht zu haben. Es wäre bestimmt richtig gut geworden, in der Stadt der Liebe im gleichnamigen Flugkapitän zu stecken. Das hübsche Wortspiel ‚one night in Paris‘ ging ihm durch den Kopf. Es war zwar nicht neu, aber in dieser Konstellation schon.
Allmählich verblasste die Erinnerung, graues Einerlei kehrte ein. Walter hatte ihm seine Spesen erstattet, ein neues Engagement war nicht in Sicht. Wenigstens war der Frühling endgültig in Hamburg eingekehrt, mit Temperaturen, die manchmal sommerliches Niveau erreichten.
Zwei Wochen nach seiner Frankreichreise fand Mikosch einen von Hand an ihn adressierten Umschlag im Briefkasten. Er bekam selten private Post, meist nur Werbung und Rechnungen. Neugierig wendete er das Kuvert in seinen Händen, entdeckte keinen Absender und riss es ungeduldig auf. Ein Flugticket steckte darin, zusammen mit einem gelben Post-it: ‚Gleicher Ort, nur diesmal bitte ohne Kaffeedusche. P.‘
Im ersten Moment war Mikosch hocherfreut, im nächsten etwas empört. Was bildete sich Paris ein, ihn einfach irgendwohin zu bestellen? Er war doch kein dressierter Affe! Langsam stieg er die Treppe in den 3ten Stock hoch, schloss seine Wohnungstür auf und warf den Brief auf die Garderobe.
Während er eine Zwiebel und ein paar Tomaten zu einem Salat verarbeitete, erwog er, was für und was gegen einen neuerlichen Paris-Trip sprach. Natürlich hatte er Lust den Kapitän wiederzusehen, auch die Stadt reizte ihn, nur die Art, wie er herumkommandiert wurde, passte ihm gar nicht. Vielleicht sollte er schon deshalb hinfliegen, um dem Kerl tüchtig die Meinung zu geigen. Diese Idee brachte ihn zum Schmunzeln.
Mikosch trocknete seine Hände mit einem Geschirrtuch ab, holte den Umschlag und zog das Ticket heraus. Der Hinflug war in zwei Tagen, also am Freitag. Zurück ging es am Sonntag. Wollte Paris das ganze Wochenende mit ihm verbringen? Diese Aussicht stimmte ihn versöhnlicher. Aber was war mit der Übernachtung? Sollte er ein Zimmer buchen oder übernahm das Paris? Eine Telefonnummer wäre echt hilfreich, um solche Dinge zu klären.
Er warf Kuvert und Ticket auf den Küchentisch. Spontanität war kein Fremdwort für ihn, das bewies ja wohl schon seine freche Anmache auf dem Flughafen. Trotzdem war es Mikosch lieber zu wissen, was ihn erwartete. Hin- und hergerissen setzte er sich mit seinem Salat an den Tisch und betrachtete beim Essen das Flugticket. Als er die letzte Tomatenscheibe vernichtet hatte, stand sein Entschluss fest: Er würde fliegen und vorsichtshalber ein Hotelzimmer buchen.
Zwei Tage später saß er im Flugzeug und fragte sich, ob Paris der Kapitän war. Gewissheit erlangte er, als dessen Stimme aus den Lautsprechern erklang. Die tiefe Tonlage verursachte ein aufgeregtes Kribbeln in seinem Bauch. Mikosch war davon so abgelenkt, dass er den Wortlaut gar nicht genau mitbekam. Da es sich ohnehin um den Standardtext handelte, war das kein Verlust.
Die Flugzeit erschien ihm ewig lang, obwohl es sich um weniger als zwei Stunden handelte. Das Buch, das er eingesteckt hatte, lag zugeschlagen auf seinem Schoß. Er sah aus dem Fenster, ohne etwas richtig wahrzunehmen. Ihm kam es vor, als wenn er mit Hamburg auch die Realität hinter sich gelassen hatte. Das hier konnte einfach nicht echt sein. Es gab ungeschriebene Gesetze für One-Night-Stands und eines davon lautete, dass es bei einem Mal blieb. Das sagte doch schon der Name.
Genervt seufzte Mikosch auf, nahm seine Lektüre hoch, schlug sie auf und gleich wieder zu. Er war viel zu angespannt, als dass er sich darauf konzentrieren konnte. Rasch checkte er die Uhrzeit und seufzte abermals. Es waren erst zwanzig Minuten vergangen, seit er zuletzt auf das Display seines Smartphones geguckt hatte.
Endlich ertönte wieder Paris‘ Stimme aus den Lautsprechern. Mikosch wurde am ganzen Körper von einer Gänsehaut heimgesucht, während er verzückt dem tiefen Organ lauschte. Er wusste noch wie Paris‘ Stöhnen klang. Es war eine schlechte Idee ausgerechnet jetzt daran zu denken, aber es drängte sich förmlich auf. Unweigerliche Folge war eine schmerzhaft in seiner Jeans eingeklemmte Erektion. Unruhig rutschte er auf seinem Sitz hin und her, um eine bequemere Position zu finden, was die Aufmerksamkeit seines Nachbarn weckte.
„Meine Beine sind auch eingeschlafen“, sagte der grauhaarige Mann mit einem verständnisvollen Lächeln. „Diese Flieger werden immer unkomfortabler.“
Mikosch grinste lediglich schief, da ihm keine Erwiderung einfiel. Im nächsten Moment setzte das Fahrwerk des Fliegers auf der Landebahn auf. Ein Ruck lief durch den Rumpf. Durch das Fenster sah er das Flughafengebäude schnell näher kommen. Seine Handflächen begannen zu schwitzen. Gleich würde er Paris wiedersehen und hatte keine Ahnung, was genau auf ihn zukam. Vielleicht lief
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock desgin Lars Rogmann
Lektorat: Aschure - danke
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4148-5
Alle Rechte vorbehalten