Cover

Anwalts Liebling

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.


Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.


Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.


Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!


Text: Sissi Kaiserlos


Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann


Korrektur: Aschure. Danke!


Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/


Anwalts Feind

Konrad erhält einen Hilferuf seiner Schwester Valerie. Ein Journalist hat die Datenbank des Escort Services Cascade gehackt und möchte nun ein Interview mit ihr. Anfangs ist er geschockt, da er von dieser Nebentätigkeit nichts weiß. Dann setzt er alles daran, den verrückten Kerl zu stoppen, damit weder ihre Eltern noch Valeries Gatte etwas davon erfahren. Das hat seinen Preis.

~ * ~


1.

Nachdem Konrad das Gespräch mit seiner Schwester beendet hatte, starrte er lange ins Leere. Niemals hätte er gedacht, dass sich Valerie – ausgerechnet seine sonst so vernünftige Schwester –derart in die Scheiße reiten konnte. Allerdings verstand er auch nicht, wieso sie damals diesen alten Trottel heiraten musste.

Vor fünfzehn Jahren, bei der Eheschließung, hatte Wilfried noch ganz respektabel ausgesehen, doch inzwischen war er aus dem Leim gegangen. Außerdem verbrachte er die meiste Zeit bei der Jagd oder beim Angeln, eingeschlossen vieler Ausflüge mit den entsprechenden Vereinen. Somit war Valerie oft allein, was einen schon auf dumme Gedanken bringen konnte. Vor allem, wenn man erst Mitte dreißig war. Sich bei einem Escort Service zu verdingen war dennoch eine beschissene Idee. Dann doch lieber auf die übliche Weise fremdgehen. Jedenfalls war das Konrads Meinung.

Ein Journalist, ein gewisser Colton Mastricht, war irgendwie in die Datenbank der Escort Agentur eingedrungen. Seitdem stellte er seiner Schwester nach, weil er unbedingt einen Artikel mit Insiderwissen veröffentlichen wollte. Sogar bei dem Notarbüro, in dem Valerie arbeitete, war er schon aufgekreuzt. Bisher beschränkte sich der Kerl noch aufs Bitten, aber bestimmt nicht mehr lange. Konrad kannte diese Sorte Arschlöcher: Wenn sie etwas wollten, schreckten sie auch vor unlauteren Mitteln nicht zurück.

„Kommst du mit zum Essen?“, holte ihn Angelo aus seinen Gedanken.

Angelo Lombardi war, genau wie Konrad, Anwalt und teilte sich mit ihm die Kanzlei. Sie verband eine enge Freundschaft, sowie die Neigung zum eigenen Geschlecht. Vor langer Zeit waren sie sogar mal miteinander in die Kiste gestiegen, aber das hatte nicht funktioniert. Der Funke sprang nicht über, daher kehrten sie lieber zum freundschaftlichen Umgang zurück.

„Mir wurde zwar gerade der Appetit verdorben, aber ich komm trotzdem mit.“ Was Konrad jetzt brauchte war ein guter Rat. Im Moment würde er diesen verdammten Mastricht am liebsten erwürgen, was natürlich keine Option darstellte.

„Nanu? Schlechte Nachrichten?“ Angelo lehnte sich lässig gegen den Türrahmen.

„Erzähl ich dir beim Essen.“ Konrad stand auf und schlüpfte in sein Jackett. „Ich gehe davon aus, dass du ins Vadiano willst.“

„Richtig geraten.“ Sein Kollege zuckte grinsend die Achseln. „Wohin auch sonst?“

Was für eine Frage! Als wenn es rund um den Axel-Springer-Platz nur dieses eine Lokal gäbe. In den Seitenstraßen befanden sich etliche Restaurants, die Mittagstisch anboten, aber Angelo hatte sich auf den Pasta-Laden eingeschworen. Konrad war das heute egal.

 

Wenig später saßen sie sich an einem Tisch mit rotkarierter Decke gegenüber. Neben der üblichen Menagerie, in der eine Speisekarte klemmte, stand eine Vase mit einer Plastikrose darin. Angelo bestellte wie üblich Spaghetti Carbonara und ein Glas Rotwein, während sich Konrad mit einem kleinen Salat und Mineralwasser begnügte. Sobald der Kellner verschwunden war, beugte sich sein Kollege mit neugierigem Blick vor.

„Was ist denn passiert?“

Konrad seufzte. „Valerie steckt in Schwierigkeiten. Ihr ist ein Journalist auf den Fersen.“

„Wieso das denn?“

„Sie arbeitet gelegentlich für eine Escort Agentur. Der Typ ist irgendwie an ihre Daten gekommen und nun wild darauf, einen Pulitzerverdächtigen Artikel zu schreiben.“

„Die kleine Valerie? Unglaublich! Die hat’s ja faustdick hinter den Ohren“, meinte Angelo voller Bewunderung.

War ja klar, dass sein Kollege derart locker reagierte. In Angelos Adern floss italienisches Blut, was ihn die Dinge mit südländischer Leichtigkeit sehen ließ. Konrad wünschte oft, er könnte sich davon eine Scheibe abschneiden, schaffte das aber selten. In ihm herrschten nordische Gene vor, oder, wie Angelo oft sagte: Er war eben ein Korinthenkacker.

„Ich würde dem Kerl am liebsten eine Strafanzeige verpassen.“

„Weswegen?“

„Weil er Valerie Angst einjagt. Nicht auszudenken, wenn ihr Arbeitgeber, ihr Mann oder unsere Eltern davon Wind bekommen.“

„Rede mit ihm. Vielleicht will er nur Geld. Hab mal gehört, dass Journalisten …“ Angelo wartete, bis der Kellner ihre Getränke serviert hatte, bevor er weitersprach: „… dass Journalisten arme Schweine sind. Gerade die Freiberufler leben meist von der Hand in den Mund.“

„Bleibt mir wohl nichts anderes übrig.“ Konrad seufzte abermals. „Was Valerie angeht: Die werde ich mir in jedem Fall gründlich vorknöpfen.“

„Wieso?“

„Weil sie Kopf und Kragen riskiert. Liest du keine Zeitung? Alle naslang werden Prostituierte von Irren umgebracht.“

„Echt?“ Angelo, der etwas irritiert wirkte, hob sein Glas an die Lippen.

„Na gut“, lenkte Konrad ein. „Ich übertreibe. Dennoch mache ich mir Sorgen. Was, wenn sie an den Falschen gerät und vergewaltigt wird?“

„Haben die bei der Agentur denn nicht die Namen der Kunden?“

„Keine Ahnung. Ach, ist doch auch egal. Ich will nicht, dass meine Schwester ihren Körper verkauft.“

„Aber wenn sie Spaß daran hat?“

„Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“

„Auf deiner. Soll ich mit diesem Schmierfink reden?“

„Nein. Das muss ich selbst tun. Wer weiß, auf was für komische Ideen du kommst.“ Konrad trank einen Schluck Wasser. „Du bist einfach zu naiv.“

„Das nennt sich optimistisch und lebenslustig“, korrigierte sein Gegenüber, ohne eine Spur beleidigt zu wirken.

„Lass uns das Thema wechseln. Was macht dein letzter Fall?“

„Die Scheidung Lauterbach gegen Lauterbach? Hör bloß auf. Wenn die so weiterstreiten, gebe ich mir irgendwann die Kugel.“ Angelo verdrehte genervt die Augen. „Andererseits schaufeln die ziemlich viel Kohle in meine Kasse.“

„Das ist doch das, was am Ende zählt. Wobei ich schon wieder an dieses Journalistenarschloch denken muss.“

 

Nach dem Mittagessen lag ein Gerichtstermin an, gefolgt von einem Haufen Papierkram. Erst gegen fünf kam Konrad dazu, sich erneut mit dem Problem seiner Schwester zu beschäftigen. Na gut, es war im Prinzip auch seines, schließlich war Blut dicker als Wasser. Wenn sie in Schwierigkeiten steckte, betraf ihn das ebenfalls. Am meisten Sorgen machten ihm seine Eltern und die öffentliche Reputation, sprich: Valeries Arbeitsplatz. Sein dämlicher Schwager war ihm total egal. Konrad würde eine Scheidung sogar begrüßen, schon allein, weil Valerie mit dem Kerl nicht glücklich war.

Dreimal versuchte er vergeblich die Nummer mit vor Nervosität zitternden Fingern ins Smartphone einzutippen, bis es endlich gelang. Konrad presste das Gerät an sein Ohr und ertappte sich dabei, mit angehaltenem Atem zu lauschen. Was war nur mit ihm los? Er hatte doch schon ganz andere Fälle übernommen, ohne derart aufgeregt zu sein. Allerdings ging es hier um die Familienehre, die in seinem Leben einen hohen Stellenwert einnahm. Was das anbetraf, tickten Angelo und er gleich.

„Ja?“, meldete sich Mastricht.

„Mein Name ist Konrad Schneckenberg. Sie stalken meine Schwester.“

Nach einer kurzen Pause lachte der Mistkerl. „Ich möchte nur ein Interview. Da kann von stalken wohl kaum die Rede sein.“

„Sie lauern ihr auf, belästigen sie am Arbeitsplatz und jagen ihr Angst mit Ihren Anrufen ein.“

„Ich hab doch nur …“

„Ich möchte Sie treffen“, fuhr Konrad dem Mann über den Mund. „Das muss ein Ende haben.“

„Wollen Sie mich zum Duell fordern?“ Nun klang Mastricht doch glatt amüsiert.

„Vorerst dachte ich an einen Kaffee und ein vernünftiges Gespräch.“

„Sicher, dass Sie dazu in der Lage sind?“

Was bildete sich der Kerl ein ihn so herablassend, ja, nahezu wie einen Idioten zu behandeln? „Ich bin Anwalt.“

Der Typ gluckste. „Hui! Da bin ich aber beeindruckt. Also: Wann und wo?“

„Meine Kanzlei liegt gegenüber dem Verlagsgebäude. Falls Sie gerade dort stecken, schlage ich …“ Hektisch überlegte Konrad, welches Lokal dem Treffen angemessen war. „… schlage ich das Vadiano vor.“

Falsche Rosen passten zu falschen Fuffzigern. Außerdem funktionierte sein vor Hass taubes Gehirn gerade nicht besonders und spuckte nur dieses eine Restaurant aus.

„Okay. Geben Sie mir eine Viertelstunde. Muss hier noch aufräumen.“

„Um halb sechs im Vadiano“, konkretisierte Konrad die Verabredung.

„Alles klar. Woran erkenne ich Sie?“

‚An meiner zorngeschwollenen Stirnader?‘, wollte er antworten, biss sich jedoch rechtzeitig auf die Zunge. „Graue Haare, ungefähr eins neunzig. Ich trage einen anthrazitfarbenen Anzug und …“ Er guckte an sich runter. „… eine Krawatte in der gleichen Farbe.“

Wieder lachte der Kerl. „So einen Paradiesvogel kann ich wohl kaum übersehen. Also, bis gleich.“

Der Mann machte sich über ihn lustig! Das schürte Konrads Wut. Die folgenden zehn Minuten verbrachte er damit, nervös mit den Füßen zu wippen und irgendeinen Punkt zu fixieren. Haargenau um fünf vor halb sechs sprang er auf, stieß seine Arme ins Jackett und rannte zur Tür. Angelo war schon nach dem Mittagessen verschwunden, um irgendwelche Termine wahrzunehmen, weshalb er dafür sorgte, dass alle Lichter gelöscht und die Tür sorgfältig verriegelt war. Konrad stampfte die Stufen runter. Normalerweise benutzte er den Fahrstuhl, doch das Warten auf den lahmen Lift hätte ihn nur noch mehr in Rage gebracht.

Auf der Straße sog er die kühle Abendluft tief in seine Lunge und wandte sich in die Richtung, in der das Vadiano lag. Er hätte ein Lokal aussuchen sollen, das weiter entfernt lag, um sich auf dem Weg ein bisschen abzuregen. Viel zu schnell erreichte er das Restaurant, trat ein und steuerte einen freien Tisch am Fenster an.

Mit jeder verstreichenden Minute wuchs Konrads Groll. Den Kellner schickte er wieder weg, da er nicht sicher war, ob diese Ratte von Reporter ihn vielleicht versetzen würde. In dem Fall wollte er sofort wieder gehen. Endlich, nach sieben Minuten, tauchte vor ihm ein Mann auf und musterte ihn ausgiebig.

„Sind Sie der Paradiesvogel?“

Konrad ließ sich mit einer Antwort Zeit. Colton Mastricht sah ganz anders aus, als er sich vorgestellt hatte. Der Typ trug die Haare, die an den Schläfen von Silber durchwirkt waren, schulterlang. In den Winkeln der dunkelbraunen Augen nisteten feine Fältchen. Die langen Beine steckten in Jeans und unter der offenen Lederjacke konnte Konrad ein kariertes Hemd erkennen.

„Konrad Schneckenberg“, stellte er sich endlich vor, wobei er keine Anstalten machte aufzustehen oder dem Mann die Hand zu reichen.

„Darf ich mich setzen, oder wollen Sie mich im Stehen runterputzen?“

Da hatte wohl jemand einen Clown gefrühstückt. Stumm wies Konrad auf den freien Stuhl.

„Danke. Nettes Lokal. Ich bin bisher immer nur daran vorbeigegangen.“ Mastricht guckte sich um, während er seine Jacke auszog und über die Stuhllehne hängte.

Wahrscheinlich konnte sich der Kerl einen Mittagstisch nicht leisten, wie Angelo schon vermutet hatte. Dagegen sprach die teuer wirkende Lederjacke, die aber genauso gut aus einem Secondhand Laden stammen konnte. Das Hemd hingegen war fadenscheinig, genau wie die Jeans.

Mastricht nahm gegenüber Platz. „Was ihre Schwester angeht …“

„Darf ich den Herrschaften etwas zu trinken bringen?“ Der wie aus dem Nichts aufgetauchte Keller schnitt dem Journalisten das Wort ab.

„Für mich ein Glas trockenen Rotwein“, bat Mastricht und an Konrad gewandt: „Was möchten Sie trinken? Ich lade Sie ein.“

Soweit zu Angelos Theorie von den armen Journalisten. „Mineralwasser, bitte.“

Der Kellner wieselte davon und für einen Moment herrschte Schweigen. Sein Gegenüber zog eine Speisekarte aus der Menagerie, blätterte darin und machte einen überaus gelassenen Eindruck. Das fuchste Konrad, dessen Anspannung nicht weniger wurde, total. Was ihn noch mehr ärgerte war, dass er den Kerl attraktiv fand.

„Haben Sie schon zu Abend gegessen?“ Braune Augen richteten sich auf sein Gesicht.

„Kommen wir zum Geschäftlichen. Ich möchte, dass Sie Valerie in Ruhe lassen.“

Mastricht ließ die Karte auf den Tisch fallen, legte den Kopf schief und betrachtete ihn, wie man ein seltenes Tier ansah. „Wow! Ganz der strenge Winkeladvokat.“

„Besser als jemand, der fremden Frauen nachsteigt.“

„Ich habe lediglich um ein Interview gebeten, mehr nicht.“

„Notfalls werde ich eine Unterlassungsklage erwirken.“

„Ach?“

Erneut bekam Konrad das Gefühl, dass sich sein Gegenüber auf seine Kosten amüsierte. Mastrichts Mundwinkel zuckten hoch und die Augen verengten sich, als würde er gleich loslachen. Leider machte diese Mimik den Mistkerl noch attraktiver. Konrads Zorn loderte hell auf.

„Ein Rotwein für den Herrn und ein Wasser, bitte sehr“, rette der Kellner Mastricht das Leben.

Kaum war der Mann wieder verschwunden, beugte sich Konrad weit über den Tisch und fauchte: „Wie viel, damit Sie meine Schwester nicht mehr belästigen?“

Einen winzigen Augenblick wirkte Mastricht verwirrt, doch dieser Eindruck verschwand schnell. Die Wimpern gesenkt, drehte er sein Weinglas in den Händen und schien zu überlegen.

„Sehe ich wie ein Erpresser aus?“, fragte er schließlich leise.

„Als Anwalt habe ich genug Leute gesehen, die äußerlich harmlos wirken.“

Wieder schien Mastricht in Gedanken zu versinken, dabei nippte er an dem Rotwein. Konrad wünschte, er könnte in den Kopf dieses Kerls gucken. Es juckte ihm in den Fingern den Mann am Schlafittchen zu packen und kräftig durchzuschütteln.

„Na gut. Sagen wir für den Anfang tausend Euro“, bequemte sich Mastricht endlich zu einer Antwort.

Konrad hatte mit weitaus mehr gerechnet. Das ‚für den Anfang‘ sprach jedoch dafür, dass weitere Forderungen folgen würden.

„So viel habe ich nicht dabei.“

„Kein Problem. Ich komme morgen in Ihre Kanzlei und hole mir die Mäuse ab.“ Ein freches Grinsen kräuselte die Lippen seines Gegenübers.

„Morgen um elf.“ Konrad fischte seine Börse aus der Innentasche seines Jacketts, zog, zusammen mit einem Geldschein, eine Visitenkarte daraus hervor und warf beides auf den Tisch. „Seien Sie pünktlich.“

Er sprang auf, wobei er versehentlich gegen die Tischkante stieß. Das Wasserglas kippte, schäumend ergoss sich Selters über die rotkarierte Decke. Mastricht schoss hoch, aber das Unglück war schon geschehen. Der Jeansstoff in seinem Schritt und an den Schenkeln hatte eine tüchtige Portion Wasser abbekommen. Nur schade, dass der Kerl das Weinglas in der Hand hielt und nur wenig davon, trotz der heftigen Bewegung, verschüttete. Ein hämisches Grinsen auf den Lippen, verließ Konrad mit wenigstens einem winzigen Triumphgefühl das Restaurant.

 

2.

Was für ein Abgang! Colton kam nicht umhin dem schnuckeligen Anwalt Respekt zu zollen. Er glaubte zwar nicht, dass Schneckenberg den Vorfall extra herbeigeführt hatte, aber ihm war schon dessen fieses Schmunzeln aufgefallen.

„Lassen Sie mich das machen“, wehrte er den Kellner, der mit einer Hand voll Servietten übereifrig an seinem Hosenstall herumtupfte, ab.

Deutliches Bedauern spiegelte sich auf der Miene des Kerls. Wenn Colton jünger und noch auf Abenteuer aus wäre, hätte er dem sexy Mann eine Chance gegeben, aber diese Zeiten waren lange vorbei. Anonymer Sex reizte ihn nicht mehr.

„Stimmt so“, meinte er im Hinblick auf die Banknote, die der Anwalt auf den Tisch geworfen hatte.

„Danke.“ Der Kellner schien sich ziemlich schnell mit der Zurückweisung abzufinden. Zufrieden lächelnd steckte er das Geld ein und huschte mit dem Wasserglas davon.

Tja, so waren die Menschen. Sobald man ihnen Knete vor die Nase hielt, vergaßen sie alles andere. Colton spülte den Rest Wein runter, schlüpfte in seine Jacke und verließ das Lokal. Eine kalte Windböe wirbelte ihm seine Haare ins Gesicht, zugleich wurde ihm klar, was es bedeutete sich die Eier abzufrieren. Fröstelnd zog er die Jacke enger um seinen Körper, was jedoch nichts nutzte, da sie seinen Schritt nicht bedeckte. Zum Glück waren es nur wenige Meter bis zum Verlagsgebäude, in dessen Tiefgarage sein Wagen wartete.

Normalerweise ging er zu Fuß zur Arbeit. Seine Wohnung lag nur wenige Straßen entfernt, in der Nähe des Michels. Nur wenn er vorher etwas zu erledigen hatte, wofür er das Auto brauchte, fuhr er anschließend mit selbigem zum Verlag. Heute war er bei einer Frau gewesen, die für die gleiche Escort Agentur wie Schneckenbergs Schwester arbeite. Die Dame hatte nur allzu bereitwillig Auskünfte gegeben, womit er Valerie Schneckenberg-Maurer eigentlich nicht mehr benötigte.

Nun, wo er deren Bruder kennengelernt hatte, sah die Sache ganz anders aus. Vorhin, als er das Vadiano betrat und den sexy Grauhaarigen erblickte, war es ihm wie ein Blitz in den Bauch gefahren. Das letzte Mal, dass so etwas passierte, war Ewigkeiten her und lange nicht so intensiv gewesen. Colton konnte noch immer das überwältigende Kribbeln am ganzen Körper spüren. Na ja, nicht an der Stelle, die gerade zu Eis gefror. Er beeilte sich durch die automatisch aufgleitenden Schiebetüren ins Innere des Verlages zu gelangen.

Um diese frühe Abendstunde befanden sich nur noch wenige Angestellten im Haus. Der Empfang war leer und seine Schritte hallten auf den Fliesen, als er zum Fahrstuhl ging. Zwei Stockwerke tiefer stieg er in seinen Golf. Bevor er den Motor startete, öffnete er seine Jeans und stopfte sich ein paar Papiertaschentücher in die Shorts. Seine Genitalien fühlten sich erschreckend kalt an. Hoffentlich bekam sein Schwanz keinen Schnupfen.

 

Die Heimfahrt dauerte nur wenige Minuten, die Parkplatzsuche dafür umso länger. So sehr Colton das Viertel auch liebte, hasste er die mangelnden Stellmöglichkeiten. Schon oft hatte er überlegt umzuziehen, was letztendlich immer an seiner Trägheit und der schönen Lage seiner Wohnung scheiterte.

Nachdem der Wagen endlich in einer winzigen Lücke stand, durfte er locker einen Kilometer zurücklegen, bis er endlich sein Wohnhaus betreten konnte. Colton stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf, wobei ihm die Nachbarin aus dem dritten begegnete. Erst da wurde ihm bewusst, dass sein Hosenstall offenstand und die Shorts von Taschentüchern ausgebeult wurde. Der Frau fiel die Kinnlade runter. Während er schnell die letzten Stufen hochtrabte, hörte er sie in seinem Rücken murmeln: „Lieber Gott, lass es eine Hasenpfote sein.“

Gleich im Flur streifte er seine Jeans ab, gefolgt von der Shorts. Sein Geschlecht war bläulich angelaufen und weitaus kleiner als die Pfote eines Zwergkarnickels. Es schien sogar, als wenn es sich in seinem Körper verkriechen wollte. Colton verzichtete darauf den Zustand seiner Eier zu überprüfen, um keinen Schock zu erleiden. Auf dem Weg ins Bad entledigte er sich seiner restlichen Kleidung, stieg in die Duschkabine und stellte die Brause an.

Nach und nach taute seine Mitte unter dem heißen Wasserstrahl auf. Es erleichterte ihn zuzusehen, wie sein Schwanz wieder normale Größe erreichte. Irgendwie war wohl in jedem Mann die Angst verankert, durch ungünstige Umstände unfreiwillig kastriert zu werden. Vor Freude über seine zurückgekehrte Männlichkeit spielte er daran herum, was unweigerlich zu einer Erektion und erlesenem Kopfkino führte. In Coltons Vorstellung legte der geile Anwalt einen Strip für ihn hin, wobei der strenge Kerl ihm heiße Blicke zuwarf. Schon an der Stelle, an der Schneckenbergs letzte Hülle fiel, spritzte er ab.

Einen Vorteil hatte es, wenn der Druck weg war: Colton konnte besser denken. Nüchtern betrachtet sah es so aus: Er war zum Erpresser geworden. Es zählte nicht wie es dazu gekommen war, sondern nur der Tatbestand an sich. In seinen kuschligen Bademantel gewickelt studierte er die Verbrechervisage, die ihm nachdenklich aus dem Spiegel entgegenblickte. Braun-grau melierte Bartstoppeln zierten sein Kinn, die Haare hingen ihm wild ins Gesicht. Rechtfertigte ein ehrwürdiger Grund wirklich jedes Mittel?

Der Spruch: In der Liebe und im Krieg sind alle Waffen erlaubt, traf es wohl eher. Er wollte Schneckenberg wiedersehen, nur deshalb war er auf dessen Angebot eingegangen. Ein denkbar schlechter Weg, um das Herz des Anwalts zu erringen. Als Täter hatte er gar keine Chance, nur als Opfer bestand wenigstens die Möglichkeit, über die Mitleidsmasche Pluspunkte zu sammeln. Doch wie sollte er es anstellen, als letzteres zu gelten?

Tief in Grübeleien versunken rasierte er sich und bürstete seine Haare, bis sie ihm glatt auf die Schultern fielen. Colton besaß eine blühende Fantasie, die ihm schon oft beim Schreiben geholfen hatte. Eines der Szenarien, die ihm durch den Kopf geisterten, gefiel ihm am besten: Der heillos in einen Junkie verliebte Journalist, der für seinen armen Schatz auf die schiefe Bahn geriet.

 

Während im Backofen eine Tiefkühlpizza garte, nahm die Idee immer präzisere Formen an. Für die Rolle des Drogenabhängigen war sein Freund Marc, von Beruf Bulle, absolut prädestiniert. Gerade dann, wenn Marc mal wieder von der Nacht- in die Tagschicht wechselte, sah er aus wie ein Zombie. Natürlich würde es Colton einiges an Überredungskünsten kosten, um seinen Freund zu überzeugen, aber er war zuversichtlich, dass Marc am Ende mitmachte. Schließlich stand nichts Geringeres als sein Glück auf dem Spiel.

Er holte sein Notebook in die Küche, um beim Essen seine Notizen durchzugehen. Hinderlich dabei war, dass er sich kaum auf den Kram konzentrieren konnte. Plötzlich erschien es ihm total öde, über die persönlichen Erlebnisse einer Prostituierten zu berichten. Seine eigene Geschichte war viel aufregender und ihm kam in den Sinn, aus ihr eine Serie zu machen: Wie ich das Herz des Anwalts gewann. Nachdenklich stopfte er sich ein Stück Pizza in den Mund.

Wer wollte schon von einem Schwulen lesen, der versuchte einen Mann zu bezirzen? Bestenfalls würden einschlägige Magazine das veröffentlichen. Damit konnte er sich nur die Finger verbrennen, vor allem, da das Risiko bestand, dass der Falsche die Story las. Nicht auszudenken, wenn Konrad das Zeug in die Finger bekam. ??? Wieso benutzte er plötzlich dessen Vornamen?

Sinnend guckte er in die Ferne. Konrad. Hübscher Name. Bisschen altbacken, aber passend. Da er eh schon am Notebook saß, googelte er die Bedeutung des Namens gleich mal. Aha, der kühne Ratgeber. Oh ja, das war Konrad wirklich in Perfektion. Falls Colton jemals mit dem Gesetz in Konflikt geriet, würde er keinen anderen als Konrad Schneckenberg zu Hilfe rufen.

Er schnappte sich ein weiteres Pizzastück, biss ab und spuckte gleich wieder aus. Lauwarm, fettig und salzig. Hunger hatte er sowieso nicht mehr, also schmiss er den Kram in den Mülleimer und zwang seine Konzentration zurück auf die Story der Prostituierten. Die Dame war immerhin mal mit einem Semi-Promi im Bett gelandet. So banal dieser Umstand auch war, bestand sein Job genau darin, Leuten solche Dinge schmackhaft zu machen.

 

Nachdem das Gerüst der Geschichte stand beschloss Colton, dass er für heute genug getan hatte. Er holte ein Bier aus dem Kühlschrank, ging ins Wohnzimmer und lümmelte sich auf die Couch. Die Sache mit Konrad ließ ihm keine Ruhe. Er musste unbedingt mit jemandem reden, bevor er morgen in der Kanzlei auftauchte.

Marc, der nach dem zweiten Rufton das Gespräch angenommen hatte, hörte sich die Schilderung der Ereignisse und Coltons Idee an.

„Sag mal, das ist ja wohl nicht dein Ernst? Du erpresst diesen Anwalt, nur damit du ihn wiedersehen kannst? Heute schon Fieber gemessen?“

„Nein“, murmelte Colton kleinlaut.

„Und was diesen blöden Einfall mit dem Junkie-Freund angeht: Vergiss es! Selbst wenn der Typ dir das abnimmt, gewinnst du damit nichts.“

„Aber ich muss doch irgendwie zum Opfer werden.“

„Du bist schon ein Opfer und zwar das deiner ausufernden Fantasie. Geh mit dem Mann essen, setz deinen Charme ein. Und hör, um Himmels Willen, mit der Erpresserei auf.“

„Du hast gut reden.“

Sein Freund seufzte. „So schlimm?“

„Mhm. Konrad hat mich umgehauen.“

„Das merkt man. Also: Schenk dem Mann reinen Wein ein. Alles andere ist kontraproduktiv.“

 

Als Colton am nächsten Morgen um kurz vor elf vor der Kanzlei stand, wusste er immer noch nicht, was er nun tun sollte. Auf sein Läuten hin ertönte ein elektrisches Summen. Er stieß die Tür auf, trat in einen Empfangsraum und entdeckte Konrad hinter dem Tresen. Offenbar befand sich dort ein Knopf, mit dem der Öffner aktiviert wurde.

„Kommen Sie mit“, forderte der Anwalt kühl, wandte sich um und steuerte eine offenstehende Tür im rückwärtigen Teil des Raumes an.

Konrad trug kein Jackett. Coltons Blick ruhte auf dem Hintern, der in der locker sitzenden Anzughose gut zur Geltung kam. In

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock Design Lars Rogmann
Lektorat: Aschure
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2015
ISBN: 978-3-7396-1760-2

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