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1.

 

Jegor könnte immer noch kotzen, wenn er an die Party auf Boris‘ Dachterrasse dachte. Die Sache lag nun einige Monate zurück und seitdem hatte er den feinen Herrn Doktor Meier nicht wiedergesehen. Gut für Ludowig, weil Jegor selbigem nämlich gern die Fresse polieren würde. Ihm Gefühle vorzugaukeln, nur um ohne Bezahlung zum Abschuss zu kommen, war – gelinde gesagt – eine Riesenschweinerei! Jegor hasste sich dafür, freiwillig auf die Knie gegangen zu sein und den dicken Arztschwengel gelutscht zu haben. Lecker war der schon gewesen, aber das spielte keine Rolle. Hier ging’s ums Prinzip!

Im Halbdunkel stierte er an die Decke, seine Arme hinterm Kopf verschränkt. Seit er dem Wodka entsagt hatte, tat er sich mit dem Einschlafen schwer. Aus einer der Kneipen in der Nachbarschaft drang lautes Gegröle. Wahrscheinlich lief mal wieder Fußball, Boxen oder irgendein anderes blödes Sportprogramm. Eigentlich machte das keinen Unterschied, denn auf St. Pauli herrschte nachts immer reges Treiben, egal was anlag.

Jegor wälzte sich auf die Seite, tastete nach seiner Taschenlampe und zog ein Schulheft unter dem Kopfkissen hervor. Rücksichtsvoll verkroch er sich unter die Decke, bevor er die Lampe anknipste und das Heft aufklappte.

‚Der Tod trat durch Ersticken ein‘, erklärte Kosta. Der Gerichtsmediziner sah von seinem Klemmbrett auf und versank in den braunen Tiefen, die forschend auf die Leiche gerichtet waren. Es sollte offiziell verboten werden, dass Kommissare derart schöne Augen besaßen. Er war dem Mann hoffnungslos verfallen. Sein Schwanz scherte sich nicht um den Toten, als er genauso steif wie dieser wurde. ‚Also wurde er erdrosselt?‘ Kommissar Artus Ehrenberg schaute auf. ‚Die Würgemale weisen darauf hin‘, antwortete er erstaunlich klar für seinen prekären Zustand. Am liebsten würde er Artus hinter der Leichenhalle vernaschen. Sein Herz puckerte …

„Puckerte“, murmelte Jegor und seufzte. „Hört sich dämlich an.“

„Hey! Ruhe da oben“, beschwerte sich Artem verschlafen.

„Klappe!“

„Maul, alle beide“, bellte Kyrylo. „Sonst beschwere ich mich beim Vermieter.“

Nach kurzer Stille fingen sie alle an zu glucksen. Seitdem sie nur noch zu dritt waren, hatte sich zwischen ihnen eine Art Kameradschaft entwickelt. Jegor schlug die Kladde zu, knipste die Taschenlampe aus und verstaute beides an den angestammten Plätzen. Als er unter der Decke hervortauchte, empfing ihn ein Schwall eisiger Luft, der durch das angekippte Fenster drang. Immer noch besser als der hartnäckige Schweißgeruch, der ständig im Raum hing.

„Schlaft gut“, brummelte er ins Dunkel.

Wie gewohnt kam keine Erwiderung. Trotz aller Kollegialität gingen sie raubeinig und wortkarg miteinander um. Jegor hatte seinen Status als Kotzbrocken sorgfältig etabliert, damit niemand merkte, wie er wirklich tickte. In seiner Seele hauste ein verkappter Romantiker, der nur hervor durfte, wenn er in sein Heft kritzelte. Genau deshalb war er so sauer auf diesen Arsch von einem Arzt! Ludowig hatte zarte Gefühle in ihm geweckt, nur damit er umsonst einen geblasen bekam. Während er etliche Foltermethoden ersann, mit denen er sich an fiesen Doktor rächen konnte, schlief Jegor ein.

 

„Deine Routineuntersuchung ist überfällig“, verdarb Boris ihm am nächsten Morgen sämtlichen Appetit.

„Na und? Ich bin sauber.“ Jegor wusste, dass sein Gezicke nichts nützte. Was ihre medizinische Versorgung anging war Boris sogar noch strenger geworden, seit dessen Partner Kazys einen auf Heilpraktiker machte.

„Gleich nach dem Frühstück gehst du zum Doc. Hab dich dort schon angekündigt.“ Härter als nötig, stellte Boris einen Teller Rührei mit Speck vor ihm ab. „Und wehe, es kommen irgendwelche Klagen, was deine Kooperationsbereitschaft angeht.“

Das wurde ja immer besser! Missmutig stocherte Jegor in seinem Essen herum und überlegte, ob er einfach packen und ein Leben auf der Straße bevorzugen sollte. Wenn er doch bloß nicht so lahmarschig wäre und sich mal um einen Job kümmern würde. Sein Deutsch war mittlerweile gut genug, um als Klempner eine Anstellung zu finden. Eine Meldeadresse besaß er auch, also stand dem nichts im Wege, außer seiner Trägheit.

„Schmeckt’s dir nicht?“ Boris, der vor dem Herd stand, guckte über die Schulter.

„Doch.“

„Kaffee nimm dir bitte selbst.“ Mit dem Pfannenwender wies der Bordellchef auf die Kaffeemaschine.

„Morgen allerseits.“ Sladvik betrat die Küche.

„Du bist früh dran.“

„Senile Bettflucht.“ Der Barkeeper holte einen Becher aus dem Schrank, goss schwarze Brühe hinein und nahm am Tisch Platz. „Hast du was zu essen für einen armen Schlucker?“

„Ein paar Krümel dürften abfallen.“

Jegor ignorierte die beiden, bediente sich am Kaffee und verdrückte lustlos sein Frühstück. Während er düsteren Gedanken nachhing, stolperte Kyrylo in die Küche. Die Augen des Kollegen leuchteten auf, als er Sladvik entdeckte. Holla! Bahnte sich da eine Romanze zwischen dem Schönen – Kyrylo war recht hübsch – und dem Biest an? Mit plötzlich erwachtem Interesse beobachtete Jegor die zwei. Sowohl Sladvik als auch Kyrylo benahmen sich überaus seltsam. Sie sahen einander nicht direkt an, musterten sich jedoch verstohlen. Das würde ihn schon ziemlich erheitern, wenn dieser verdammte Arztbesuch nicht anstünde. Jegor schluckte den Rest koffeinhaltiger Brühe runter und stand auf.

„Ich bin dann mal beim Doc“, verkündete er.

 

Eine Stunde ließ ihn der vermaledeite Arzt im stickigen Wartezimmer hängen. Zwischen Rentnern, die sich eifrig über die Zustände ihrer Organe austauschten, blätterte er in irgendwelchen Zeitschriften. Als er endlich aufgerufen wurde war er derart aggressiv, dass Ludowig gut daran täte ihn mit Samthandschuhen anzufassen.

Stinksauer stampfte er ins Sprechzimmer und ließ sich schwer auf den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch fallen.

„Tut mir leid, dass du so lange warten musstest. Es gab einige Notfälle“, entschuldigte sich Ludowig fadenscheinig.

„Schon klar.“

„Irgendwelche körperlichen Beschwerden?“

Wollte dieser Arsch wirklich wissen, wie es um ihn bestellt war? Die Antwort wäre: Mies. Jegors Herz geriet in einen notorischen Krisenzustand, als er die blonde Sirene ansah. Ludowig war der Inbegriff männlicher Schönheit. Ebenmäßige Gesichtszüge, blaue Augen unter dichten Wimpern, ein dunkler Bartschatten und wunderschöne Lippen. Außerdem war da noch der prächtige Schwanz.

„Alles im normalen Bereich.“

„Wunderbar. Dann mach dich mal untenrum frei.“ Ludowig stand auf, fischte ein paar Einmalhandschuhe aus der Kitteltasche und kam um den Schreibtisch herum.

„Wozu?“ Stoisch blieb Jegor sitzen.

„Damit ich dich auf Feigwarzen und andere Krankheiten untersuchen kann?“, kam ihm der Doktor mit einer Gegenfrage.

„Hab ich nicht.“ Eisern klebte er auf dem Stuhl.

„Muss ich erst Boris anrufen, um dich untersuchen zu können?“ Ein zuckersüßes Lächeln unterstrich die Drohung.

„Arschloch!“ Jegor stand auf, öffnete seine Jeans und schob sie mitsamt Shorts von den Hüften. Wenigstens hatte er keine Erektion.

„Verhalte dich, bitte, etwas kooperativer. Es geht doch nur um deine Gesundheit.“ Ludowig scheuchte ihn zur Untersuchungsliege. „Beug dich vor. Ich bin auch ganz vorsichtig.“

„Eigentlich müsstest du auf dein Honorar verzichten. Schließlich hast du schon einen mündlichen Vorschuss erhalten.“ Jegor biss sich auch die Zunge. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt dieses Thema zur Sprache zu bringen. Ludowig brauchte nicht wissen, wie verletzt er war.

„Ist da jemand nachtragend?“ Der Doktor grinste. „Soweit ich mich erinnere, hattest du großen Spaß an der Sache.“

„Soweit ich mich entsinnen kann, bist nur du zum Zuge gekommen“, konterte Jegor.

„Nun beug dich endlich vor. Hab nicht ewig Zeit.“ Ludowig zog verärgert die Augenbrauen zusammen.

Widerwillig stützte Jegor seine Hände auf die Liege und streckte seinen Hintern dem Arzt entgegen. Er war total verkrampft. Vergeblich versuchte Ludowig einen Finger in seinen Arsch zu bohren.

„Man könnte meinen du bist noch Jungfrau. Los, lass locker.“

Ein Klaps auf seine Hinterbacke ließ Jegor zusammenzucken. Schwupps! Steckte auch schon der Finger in seinem Loch. Mit angehaltenem Atem und zugekniffenen Augen ertrug er die kurze Untersuchung. Wenigstens übertrieb Ludowig nicht.

„Nun zeig mal deinen Schwanz.“

„Ich sagte doch, dass mit mir alles in Ordnung ist“, murrte Jegor, wobei er seine Hosen wieder hochzog.

„Wer ist hier der Arzt? Du oder ich?“

„Leck mich.“ Seine vor Anspannung zitternden Hände mühten sich vergeblich mit dem Verschluss, während er Ludowig weiterhin den Rücken zuwandte. Gummisohlen quietschten übers Linoleum. Gab der Arzt schon auf? Jegor guckte über die Schulter und sah, wie Ludowig mit grimmiger Miene nach dem Telefonhörer griff. „Halt!“, stieß er hervor. „Ich bin ja schon brav.“

Es war zutiefst erniedrigend, mit entblößtem Unterkörper vor dem Doktor zu sitzen und dessen ausgiebige Untersuchung zu ertragen. Jegor war sicher, dass Ludowig extra lange brauchte, um ihn für die anfängliche Zickerei zu bestrafen. Am Ende hockte er mit einem Ständer und hochroter Birne auf der Liege.

„Ich hätte auf dich hören sollen. Du bist kerngesund. Jedenfalls was Geschlechtskrankheiten angeht“, spottete Ludowig, wobei er sich die Handschuhe abstreifte. „Was deinen Geisteszustand betrifft, bin ich allerdings nicht so sicher.“

Wenn er nicht wüsste, dass Boris ihn dafür in den Boden stampfen würde, hätte er dem blöden Doktor eine reingehauen. Es kostete Jegor unendlich viel Beherrschung den Mund zu halten. Die Zähne fest zusammengebissen, richtete er seine Kleidung.

„Lass dir von meiner Sprechstundenhilfe noch Blut abnehmen, dann kannst du gehen.“ Ludowig wedelte mit der Hand in Richtung Tür. „Bis zum nächsten Mal, Klemmschwester.“

Vielleicht hätte Jegor es dabei bewenden lassen, aber die letzten Worte klangen derart herablassend, dass bei ihm eine Synapse riss. Er packte den Arzt an den Oberarmen. Gern hätte er den Kerl geschüttelt, noch viel lieber wollte er ihn verbal demütigen. Jegor spie das erstbeste aus, das ihm einfiel: „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass dein Schwanz eklig schmeckt? Außerdem ist er total hässlich.“

Die erhoffte Wirkung blieb aus, stattdessen lachte Ludowig ihm frech ins Gesicht. „Dafür hast du aber ganz schön genüsslich daran gelutscht.“

Vor Zorn bekam Jegor kaum noch Luft. Sein Gehirn lag blank. Irgendwie musste er dem Mistkerl wehtun, egal wie. Impulsiv beugte er sich vor und biss kräftig in Ludowigs Unterlippe. Der metallische Geschmack von Blut wirkte besänftigend, der entsetzte Gesichtsausdruck des Doktors auch.

„Übrigens: Du bist ein mieser Küsser.“ Jegor ließ die Hände sinken. „Außerdem stinkst du nach billigem Rasierwasser.“

Mit hocherhobenem Kopf verließ er das Sprechzimmer.

 

Um einige Milliliter Blut ärmer, trat er wenig später aus dem Haus. Jegor fühlte sich wie ausgewrungen und wünschte, er könnte wieder ins Bett kriechen. Die Vorstellung, heute vielleicht einen Kunden bedienen zu müssen, bereitete ihm Übelkeit. Unwillkürlich musste er an Stasys, einen ehemaligen Kollegen, denken. Der kleine Kerl hatte es schon nach wenigen Monaten nicht mehr über sich gebracht, seinen Körper zu verkaufen. Erlitt er nun das gleiche Schicksal? Damals hatte er über Stasys gelacht, weil er sich nicht vorstellen konnte, derart zimperlich zu sein.

Nachdenklich bog Jegor in die Straße, in der das Valenzia lag, ein. Er traute seinen Augen nicht, als er Artem nur wenige Meter entfernt mit einer Frau entdeckte. Die beiden knutschten in einem Hauseingang. Ja, wurde denn allmählich die ganze Welt verrückt? Erst Sladvik und Kyrylo, dann der verrückte Ludowig, nun das hier! Wenn das so weiter ging, konnte Boris den Laden bald schließen. Es wunderte Jegor ohnehin, dass der Bordellchef noch nicht für Nachschub in den eigenen Reihen gesorgt hatte. Von den ehemals sechs Sexarbeitern waren nur noch drei übrig, ihn eingeschlossen. Allerdings gab es genug Freiberufler, die für ausreichend Füllmaterial sorgten.

Er ging an Artem und der Frau vorbei, ohne dass die beiden ihn bemerkten. Liebe musste schön sein. Dieser Gedanke führte unweigerlich zurück zu Ludowig. Jegor wusste noch, wie gut es sich angefühlt hatte den verdammten Kerl zu küssen. An jenem Abend schwebte er auf Wolken, dachte, endlich angenommen und gemocht zu werden. Tja. Pustekuchen. Nachdem er Ludowig einen geblasen hatte – wenigstens mit Gummi – war dieser auf Klo verschwunden. Danach musste sich der Doktor davongestohlen haben. Jegor hatte lange vergeblich auf der Dachterrasse ausgeharrt und sich irgendwann in die Gemeinschaftsschlafkammer verkrochen. Seitdem leckte er seine Wunden, die einfach nicht heilen wollten.

 

Als er das Valenzia betrat, wurde er von Sladvik mit den Worten ‚Boris will dich sehen‘ empfangen. Jegor ging davon aus, dass sich sein Chef lediglich erkundigen wollte, wie die Untersuchung gelaufen war. Daher hielt sich sein schlechtes Gewissen in Grenzen, während er zum Büro ging und brav anklopfte.

„Ja?“, schallte Boris‘ Stimme durch die Tür.

Da war jemand richtig sauer. Das erkannte Jegor an der Tonlage. Ihm schwante, dass Ludowig die Schuld dran trug. Verzagt drückte er die Klinke runter und trat in den kleinen Raum. Boris wies mit dem Kinn auf den Besuchersessel und lehnte sich zurück.

„Dr. Ludowig Meier sieht von einer Anzeige ab, wenn du dich bei ihm entschuldigst.“

Es lag Jegor auf der Zunge zu sagen ‚ich hab doch gar nichts getan‘, doch angesichts Boris‘ bitterböser Miene ließ er das sein. Mit hängendem Kopf gab er sich reuig.

„Sag mal, was denkst du dir bloß dabei, meinen Freund anzugreifen? Ludowig macht mir stets Vorzugspreise und ohne ihn hättet ihr alle keine vernünftige medizinische Versorgung.“

Auch das ‚mir egal‘ verkniff sich Jegor. Stur hielt er den Blick gesenkt und hoffte, dass die Standpauke bald vorüber war.

„Könntest du dich bitte mal dazu äußern?“, fragte Boris trügerisch sanft.

„Ich mag ihn nicht.“ Na Klasse, Jegor. Kindischer ging’s wohl kaum noch.

„Du wirst dich bei ihm entschuldigen“, donnerte sein Chef wie aus heiterem Himmel los. „Außerdem wirst du alles tun, was er verlangt. Natürlich nur mit Gummi.“

Jegors Kinn ruckte hoch. „Niemals!“

„Dann pack deinen Kram. Hab besseres zu tun, als mich mit störrischen Idioten rumzuschlagen.“ Boris zeigte auf die Tür. „Los, verschwinde.“

Eigentlich war der Bordellchef ein eher einsichtiger Mensch, doch in dieser Angelegenheit schien er kein Pardon zu kennen. Jegor begriff, dass er gerade vor der Wahl stand den Winter auf der Straße zu verbringen oder, um den Preis, seinen Stolz hintenan zu stellen, im Warmen bleiben durfte. Boris zu erzählen, wie sehr Ludowig ihn verletzt hatte, kam nicht infrage. Schließlich war sein Chef kein Beichtvater, zudem wollte er seine Gefühle niemandem offenlegen.

„Ich werde mich entschuldigen.“

„Oh Mann! Du bist echt ein harter Brocken.“ Boris beugte sich vor und verschränkte die Arme auf dem Tisch. „Was ist denn mit dir los? Du bist doch sonst so gelassen.“

Jegor zuckte die Achseln. „Hab gerade meine Tage.“

„Sehr witzig. Also: Wenn Ludowig heute Abend herkommt, wirst du dich entschuldigen. Falls er mehr will, erfüllst du seine Wünsche. Umsonst!“

2.

 

Ludowig kochte vor Wut. Den ganzen restlichen Tag erklärte er mitleidigen Patienten, dass seine lädierte Lippe von einem Sturz herrührte und auch gar nicht mehr wehtäte. Es juckte ihm in den Fingern, sich den verdammten Jegor zu schnappen und so windelweich zu vögeln, bis der Kerl wimmerte.

Als die Sprechstunde endlich zu Ende war, vergrub er sein Gesicht in den Händen. Wieso war Jegor so sauer wegen dieser Sache? Der Mann hatte doch jeden Tag Sex mit irgendwelchen Kerlen, also sollte ihn einer mehr oder weniger kaum stören. Zudem hielt er den Russen für den Archetyp eines harten Kerls, der so einiges wegestecken konnte. Vielleicht war Jegor nur erzürnt, weil er keine Bezahlung erhalten hatte. Zumindest eine Revanche schien er erwartet zu haben. Tja. Darauf konnte er lange warten. Ludowig würde niemals den Schwanz eines Callboys lutschen. Man wusste ja nie, wer vorher an dem Ding geleckt hatte.

Es klopfte an der Tür, die gleich darauf einen Spalt geöffnet wurde. „Ich mache Feierabend“, verkündete seine Sprechstundenhilfe. „Oder brauchen Sie mich noch?“

Ludowig hob den Kopf. „Nein. Schönen Abend, Stefanie.“

„Wünsche ich Ihnen auch.“ Sie warf ihm ein freundliches Lächeln zu, bevor sie die Tür wieder schloss.

Zurück zu Jegor. Irgendwie spukte der verflixte Kerl seit der Party in seinem Schädel herum. Nein, das war nicht richtig. Schon davor war er auf den Mann aufmerksam geworden. Genauer gesagt bei der ersten Untersuchung vor einigen Monaten. Der sexy Russe hatte ihm gleich gefallen, vor allem, nachdem er sich von dessen körperlichen Vorzügen überzeugen konnte. Ludowig stand auf kräftige tätowierte Kerle mit dicken Schwänzen. Wenn diese Merkmale stimmten, konnte er gut über charakterliche Mängel hinwegsehen. Es ging doch eh nur um Sex.

Seufzend stemmte er sich aus dem Sessel, streifte seinen Kittel ab und hängte ihn an die Garderobe. Vorhin hatte Boris angerufen und Jegors Bereitschaft zu einer Entschuldigung versichert. Bevor er sich diese abholte, wollte Ludowig rasch nach Hause fahren, duschen und etwas essen.

 

Rund zwei Stunden später betrat er das Valenzia. Neben den drei Patienten, die Boris regelmäßig zu ihm schickte, hielten sich zwei weitere Männer im Salon auf. Jegor mied seinen Blick, während die beiden ihm unbekannten Kerle sofort aufsprangen und ihn verführerisch anlächelten. Ludowig ignorierte sie und ging zum Tresen, hinter dem wie üblich Sladvik stand.

„Ich bin mit Boris verabredet.“

„Der ist im Büro. Soll ich ihn holen, oder …?“

„Schon gut. Ich kenne den Weg.“ Aus dem Augenwinkel sah er, wie Jegor unruhig von einem Fuß auf den anderen trat. Reuig wirkte der Russe nicht, sondern eher trotzig. Na, das würde Boris dem Kerl schon austreiben.

Die Tür zum Büro stand offen. Ludowig klopfte an den Türrahmen, bevor er eintrat und gegenüber Boris, der vom Notebook aufschaute, Platz nahm.

„Gehe ich richtig in der Annahme, dass Jegors Entschuldigung nicht freiwillig kommt?“

„Was hast du anderes erwartet?“

„Ich kapier nicht, wieso der Kerl so ausgerastet ist.“ Ludowig streckte seine langen Beine aus. „Na gut, ich war ein kleines bisschen unhöflich zu ihm.“

„Echt? Was hast du denn gesagt?“ Boris klappte den Computer zu.

„Ich hab seine seelische Gesundheit in Zweifel gezogen und ihn Klemmschwester genannt.“

„Das war nicht nett.“ Ein Schmunzeln auf den Lippen, stand sein Gegenüber auf. „Ich hole Jegor. Nimm dir zu trinken.“ Boris nickte zu einem Tablett, auf dem eine Whiskyflasche und Gläser standen.

Während er auf die Rückkehr seines Freundes wartete, ließ Ludowig den Blick schweifen. Der Raum hatte schon bessere Tage gesehen. Die Tapete war vergilbt und der Teppich an manchen Stellen so dünn, dass der Untergrund durchschimmerte. Das alles stand im krassen Gegensatz zu Boris‘ Wohnung, die vor Luxus strotzte. Schritte auf dem Flur kündigten Jegor und Boris an. Ludowig setzte eine strenge Miene auf, schließlich wollte er es dem Russen nicht zu leicht machen.

Die beiden Männer kamen herein. Nachdem Boris die Tür geschlossen hatte, begab er sich wieder hinter den Schreibtisch. Jegor, dem kein Platz angeboten wurde, stand mitten im Raum. Auffordernd sah Boris ihn an, doch nichts passierte.

„Na los! Nun mach schon“, fuhr sein Freund den sturen Kerl schließlich an.

„Entschuldigung“, kam leise von Jegor.

„Wofür entschuldigst du dich?“, fragte Ludowig.

„Dafür, dass ich dich gebissen habe.“

„Wofür noch?“

„Das ist alles.“ Bockig schob Jegor das Kinn nach vorn.

„Na gut, ich mach mal den Anfang. Ich entschuldige mich für die Klemmschwester und dafür, dass ich dich als geistig krank bezeichnet habe.“

„Und was ist mit deiner ungebührlich langen Rumfummelei an meinem Schwanz?“ Jegor funkelte ihn böse an.

„Immer schön auf dem Teppich bleiben“, mischte sich Boris ein. „Jegor hat versprochen, dass er sich auch auf andere Weise entschuldigen wird. Falls du das gern möchtest.“

Oh ja, das wollte Ludowig sehr gern. Ihm stand der Sinn nach einer oralen Entschuldigung. „Nette Idee. Dann lass uns mal die Räumlichkeit wechseln.“

Beschwingt durch den Gedanken, gleich Sinnesfreuden zu erleben, erhob er sich und griff nach Jegors Hand, die dieser jedoch rasch außer Reichweite brachte. Nach einem bösen Blick in Boris‘ Richtung, stampfte der Russe zur Tür, riss sie auf und deutete mit einem Wink an, dass Ludowig vorgehen sollte.

Sie durchquerten den Salon und stiegen die Treppe hinauf. Ludowig war noch nie in einem der Zimmer, in denen Kunden bedient wurden, gewesen. Wenn er Sex brauchte, besuchte er einschlägige Clubs und trieb es im Darkroom. Neugierig guckte er sich im ersten Stock um.

„Such dir einen Raum aus“, brummelte Jegor.

„Welchen magst du am liebsten?“

„Den mit Whirlpool, aber der ist besetzt.“

Ludowig schlenderte den Flur runter, wobei er links und rechts die Zimmer, deren Türen offen standen, taxierte. Er entschied sich für eines mit großem Himmelbett und roten Wänden. Jegor, der ihm langsam gefolgt war, hob eine Augenbraue.

„Ist das nicht zu plüschig?“

„Ich finde es gemütlich“, verteidige Ludowig seine Wahl, machte die Tür zu und schubste den Kerl in Richtung Bett. „Ausziehen.“

Ihm den Rücken zugewandt, gehorchte Jegor nach kurzem Zögern. Erst landeten Hemd und T-Shirt auf dem Boden, gefolgt von Schuhen und Jeans. Als Ludowig den Jockstrap erblickte, sammelte sich Spucke in seinem Mund. Jegors straffe Arschbacken hatte er morgens zwar schon bewundern dürfen, aber in diesem Rahmen wirkten sie noch appetitlicher.

„Behalt den an“, bat er mit belegter Stimme. „Und dreh dich um.“

Eine grün schillernde Schlange wand sich um Jegors rechten Arm. Die linke Brusthälfte war mit einer Eidechse verziert und ein Drache, dessen Kopf von der sexy Unterwäsche verdeckt wurde, schmückte die Leiste des Russen. Stählerne Muskeln bewegten sich unter seidenglatter Haut, als Jegor seine Hände in die Seiten stemmte. Er blies sich eine Locke aus der Stirn und funkelte Ludowig provozierend an. Jegors braune Augen wirkten im schummrigen Licht wie schwarze Onyxe.

„Was nun? Soll ich wieder blasen?“

„Mhm.“ Völlig in den scharfen Anblick versunken, fummelte Ludowig an dem Verschluss seiner Jeans herum. Insbesondere die Eidechse hatte es ihm angetan. Die Krallen des Tieres waren um Jegors eine Brustwarze geschlossen. Er spürte den Wunsch, an dem kleinen Knöpfchen zu saugen und rauszufinden, ob Jegor das gefiel. Als Ludowig begriff, was er da gerade dachte, rief er sich zur Ordnung. Hier ging’s um sein Vergnügen, nicht um Jegors. Endlich stand seine Hose offen. Er schob sie so weit runter wie nötig, damit Jegor ihm Schwanz und Eier verwöhnen konnte. „Dann leg mal los, aber bitte ohne Zähne.“

Den imposanten Mann auf die Knie gehen zu sehen, verschaffte Ludowig große Genugtuung. Dass Jegor diesmal dabei nackt war, steigerte dieses Empfinden noch. Auf der Party hatten sie es im Dunkeln in Boris‘ Gästezimmer getrieben, daher war der visuelle Reiz für ihn neu und erregend. Sein Schwanz war der gleichen Meinung und wurde schnell steif, wobei er Jegor gegens Kinn dengelte.

Wie schon beim letzten Mal blies der Russe vortrefflich. Ludowig legte sich keinerlei Beschränkungen auf und stöhnte laut. Normalerweise nahm er Rücksicht auf Nachbarn, doch hier galten andere Regeln. Es tat gut, endlich mal seiner Lust freien Lauf zu lassen. Er griff in Jegors Locken und fickte dessen Mund. Feucht tauchte sein Steifer auf, um gleich darauf wieder zwischen den schönen Lippen zu verschwinden. Ein Anblick, an dem sich Ludowig nicht sattsehen konnte. Fasziniert starrte er nach unten, wobei ihm auffiel, dass Jegor der Akt nicht kaltließ. Der Jockstrap beulte sich gewaltig. Mit einem Mal wollte Ludowig nichts dringender, als den kräftigen Russen bewusstlos vögeln.

„Steh auf“, befahl er und riss zugleich an Jegors Schopf. „Will dich ficken.“

Mit einem wüsten Fluch auf den Lippen – zumindest nahm Ludowig das der Tonlage nach an, denn verstehen konnte er die Worte nicht – stand Jegor auf. Er wurde zornig aus dunklen Augen angeblitzt. „Und wenn ich nicht will?“

„Halt die Klappe und bück dich“, fauchte er den widerspenstigen Kerl an.

Nach einem kurzen Blickduell gab Jegor nach, drehte sich um und beugte sich übers Bett. So geil der Jockstrap auch war, störte er Ludowig nun gewaltig. Mit einem Ruck riss er das Teil von Jegors Hüften, angelte nach einem Kondom – es lag ein ganzer Haufen auf dem Nachtschrank – und griff anschließend nach einem Tütchen Gleitgel. Wie schon am Morgen sperrte sich Jegor gegen die Penetration. Ludowig musste auf den Trick mit dem Klaps auf eine Backe zurückgreifen, damit er in das enge Loch hinein konnte. Herrlich heiß umfing ihn Jegors Fleisch. Ein Weilchen beließ er es bei einem Finger. Als Jegors Muskel nachgiebiger wurde, nahm er einen zweiten hinzu und beim dritten half eine geschickte Schwanzmassage, um ihn problemlos zu versenken.

Ludowig hatte mittlerweile ein Stadium erreicht, in dem er sogar eine Klorolle vögeln würde. Jegors Arsch war natürlich weitaus besser. Er ersetzte die Finger durch seinen Schwanz. Nachdem die breite Spitze den ersten Widerstand überwunden hatte, sank sein Schaft schnell tiefer. Ungewohnte Emotionen mischten sich zu Ludowigs Geilheit. Er hatte das Gefühl mit Jegor zu verschmelzen. Keuchend glotzte er die Stelle an, an der ihre Körper verbunden waren. Woher kam dieses merkwürdige Empfinden?

„Nun mach schon!“, zerstörte Jegors tiefer Bass die Stimmung.

Noch nie hatte Ludowig einen Mann so hart und rücksichtslos rangenommen. Irgendwie wollte er Jegor bestrafen, allerdings nicht für den Biss. Die Finger in dessen Hüften gekrallt, knallte er den Mann durch, bis funkelnde Sternchen durch sein Gesichtsfeld rasten. Ein gigantischer Höhepunkt kündigte sich an. Ludowig spürte, wie er die Kontrolle vollständig verlor und überließ seinem Becken Tempo und Härte. Keuchend raste er über die Ziellinie. Für einen Moment herrschte tiefe Schwärze, während Millionen Feuerwerkskörper in seinem Kopf explodierten.

Mit wackligen Beinen und fest an Jegors Rücken gepresst, kam er wieder zu sich. Nach und nach wurde ihm bewusst, was er gerade abgezogen hatte. Dass Jegor keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigte deutete darauf hin, allein zu den Sternen geflogen zu sein. Ludowig erlangte Gewissheit, als er ein steifes Glied ertastete. Er wollte gerade anfangen es zu reiben, doch Jegor schnippte seine Hand weg.

„Genug!“

Der bissige Tonfall brachte ihn endgültig auf den Boden der Tatsachen zurück. Das hier war Gefälligkeitssex, von Boris angeordnet. Wie es Jegor dabei ging musste er sich nicht lange fragen. Nun, nachdem die Geilheit verschwunden war, überwältigte ihn sein schlechtes Gewissen. Dass er für ausreichend Vorbereitung gesorgt hatte entschuldigte nicht, Jegor derart heftig durchzubumsen.

Ludowig richtete sich mühsam auf. Sein Schwanz war bereits auf dem Rückzug. Er rettete das Kondom, indem er es beim Rausziehen festhielt und sank auf seine Knie, um eventuelle Schäden zu begutachten. Der Arzt in ihm übernahm und sorgte dafür, dass es ihm noch mieser ging. Jegors Rosette war stark geweitet und gereizt. Wenigstens konnte er kein Blut entdecken.

„Weg von meinem Arsch!“, knurrte der Russe und krabbelte aufs Bett, wo er sich in Embryonalstellung zusammenrollte.

„Wenn ich ein bisschen Gleitgel einmassiere, wird’s gleich besser.“

„Hau ab!“ Jegor presste das Gesicht gegen seine Knie und sah in diesem Moment wie ein kleiner Junge aus, der sich vor dem schwarzen Mann unterm Bett fürchtete. Wenn seine Stimme nicht so fest und sicher geklungen hätte, wäre die Imagination perfekt.

„Ich will doch nur helfen.“ Ludowig stand auf, zupfte sich das Gummi vom Schwanz und warf es in den bereitstehenden Papierkorb.

„Bitte geh!“, flüsterte Jegor. „Du hast deine Entschuldigung bekommen.“

Das hatte er wirklich, in jederlei Hinsicht. Ludwig ordnete seine Kleidung, wobei er den Blick auf den Boden gesenkt hielt. Gerade kam er sich vor wie das größte Arschloch auf dem Planeten. Zweimal hatte er Jegor nun schon benutzt, was galt da der winzige Biss, der inzwischen nicht mehr schmerzte? Er wollte so gern irgendetwas Tröstliches sagen, damit er mit leichterem Herzen gehen konnte. Aber was?

„Das war … das war wirklich total …“ Geil? Schön? Gemein von mir? Noch nie hatte Ludowig Probleme gehabt passende Worte zu finden, doch nun herrschte in seinem Sprachzentrum gähnende Leere. „Total ätzend von mir. Es tut mir leid.“

„Hör auf und geh. Ich denke, wir sind quitt.“ Jegor klang resigniert, was wie Öl auf Ludowigs Missbehagen wirkte. Hell loderte es auf und sorgte für Bauchschmerzen.

„Wenn ich was für dich tun kann …“, setzte er an. „Kannst du“, fiel Jegor ihm ins Wort. „GEH!“

Wie in Trance ging Ludowig die Treppe runter, zum Tresen und legte wortlos ein paar Scheine vor Sladvik ab. Als der mit hochgezogenen Brauen das Geld anguckte, erklärte er matt: „Für Jegor.“

Mit schweren Schritten verließ er das Etablissement und hatte sich noch nie niedergeschlagener gefühlt.

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Tag der Veröffentlichung: 07.09.2015

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