Liebesfalle Valenzia
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
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Text: Sissi Kaiserlos
Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann
Korrektur: Aschure. Danke!
Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/
Benjamin hat eine traumatische Erfahrung hinter sich. Seitdem meidet er direkten Kontakt und bedient sich lieber im Internet oder mittels DVDs. Viel geiler sind natürlich Ausflüge ins Bordell, bei denen er live zugucken kann. Diese Erlebnisse sind so intensiv, dass er länger davon zehrt, als von irgendwelchen Clips. Seit er das Valenzia entdeckt hat, nimmt die Sache Fahrt auf. Immer öfter geht er hin und dann … dann trifft er dort Moritz. Einen Mann, der stets zu träumen scheint.
~ * ~
Benjamin wischte einen imaginären Fussel von seiner Lederjacke, strich sich das Haar zurück und griff nach dem Autoschlüssel. Nach einem Tag wie diesem brauchte er dringend Ablenkung. Während er sein Haus verließ und zur Garage ging, versuchte er die Erinnerung an das Mittagessen bei seinen Eltern zu verdrängen. Es war nicht so, dass sie ihn offen wegen seiner sexuellen Ausrichtung angriffen, doch es fielen immer mal wieder spitze Bemerkungen. Dass ihre Blutlinie aussterben würde. Dass man ja so vieles über dieses AIDS hörte und so weiter. Er hatte das gründlich satt.
Einerseits verstand er die beiden. Sie gehörten eben einer ganz anderen Generation an, für die Homosexualität noch ein Wort war, das man nur hinter vorgehaltener Hand aussprach. Auf der anderen Seite war er ihr einziger Sohn. Da sollte es doch wohl egal sein, mit welchem Geschlecht er verkehrte.
Dabei tat er das seit langem nicht einmal mehr. Mittlerweile zehn Jahre ließ er die Finger von Männern und suchte seine Befriedigung nur noch visuell. Das war sicherer, als selbst Sex zu haben. Meist guckte er Clips im Internet oder sah sich einen Porno an. Seltener ging er in Clubs, um im Darkroom zu spannen. Highlight waren seine Ausflüge ins Valenzia, wo er sich Livedarbietungen gönnte.
Das Bordell hatte er erst vor kurzem entdeckt. Bevor er auf den Laden aufmerksam wurde, war er für solche Zwecke nach Köln gereist. Nun, da die lange Reise nicht mehr nötig war, konnte er öfter seiner Obsession frönen. Na ja, es war keine richtige Zwangshandlung, sondern eher eine Ersatzbefriedigung.
Benjamin stellte den Wagen im Parkhaus ab, prüfte im Rückspiegel, ob seine Frisur noch saß und stieg aus. Während er die Treppen hinunter lief, kam Vorfreude in ihm auf. Beim letzten Besuch im Valenzia hatte er einem stämmigen Russen und einem schmalen Blonden zugesehen. Gerade der Kontrast der beiden bot einen besonderen Reiz, zumal der kleine Blonde den Top gab. Zuzugucken, wie der herbe Russe von dem Blondschopf dominiert wurde, hatte ihm einen sehr befriedigenden Orgasmus beschert. Hoffentlich waren die beiden heute wieder im Angebot.
Auf dem Weg zum Bordell musste er mehrfach Touristengruppen ausweichen. Auch einige Bordsteinschwalben stellten sich ihm in den Weg. Benjamin atmete auf, als er die kleine Seitenstraße erreichte, in der das Valenzia lag. Das rote Neonherz zog ihn förmlich an, als wäre es Honig und er ein hungriger Bär. Im Prinzip stimmte das auch, brauchte er doch dringend Nahrung für sein Kopfkino. Weder Pornos noch sexy Clips konnten ihn derart scharf machen und hielten so lange vor, wie eine Livevorstellung.
Vor der Tür des Bordells blieb er stehen, atmete tief durch und setzte die gewohnt kühle Fassade auf, die er auch in seinem Job trug. Obwohl es ihn magisch in den Laden trieb, schlug sein Herz jedes Mal ängstlich, wenn er hineinging. Was erwartete ihn? Würde er zwei Männer finden, die ihm gefielen? Und falls nicht: Sollte er solche wählen, die ihm nicht zusprachen? Unverrichteter Dinge nach Hause fahren zu müssen war seine schlimmste Befürchtung.
Im Salon hielten sich, neben dem hässlichen Kerl hinterm Tresen, fünf Männer auf. Der Russe vom letzten Mal befand sich unter ihnen, den Blonden konnte Benjamin jedoch nicht entdecken. Dafür fiel ihm ein hübscher Braunhaariger ins Auge, den er auf Anhieb sehr sexy fand. Benjamin ließ den Blick über das übrige Angebot schweifen und entschied, dass ein ebenfalls brünetter Twink einen passenden Partner abgab.
Auf einen Wink hin kamen die beiden Auserwählten näher, während die anderen sofort das Interesse verloren. Benjamin erkannte nun, dass der Größere der beiden wundervolle grünblaue Augen hatte. Sie wirkten etwas verträumt, als würde er an etwas Schönes denken. Die vollen Lippen waren zu einem entzückenden Lächeln gekräuselt. Entgegen des ersten Eindrucks schien der Mann die dreißig bereits überschritten zu haben.
Der Twink guckte mit allerliebstem Augenaufschlag zu ihm hoch. „Du gefällst mir. Bist sehr sexy.“
„Ich will nur zusehen“, erklärte Benjamin.
„Also soll ich mit Moritz …?“ Der Kleine wies mit dem Kinn auf den anderen Braunhaarigen.
„Richtig. Du sollst ihn toppen, wenn das okay für euch ist.“
„Kein Problem“, meldete sich Moritz zu Wort. „Dann lasst uns raufgehen.“
Auf der Treppe erfuhr Benjamin, dass der Twink Linus hieß. Die Preise, das hatte man ihm schon beim ersten Mal erklärt, standen fest. Lediglich die Zimmermiete variierte, je nachdem, welches er wählte. Da es nur in dem blauen Raum einen geeigneten Platz gab, von dem aus er bequem zuschauen konnte, brauchte er nicht lange darüber nachdenken. Zielsicher steuerte er dieses Zimmer an, gefolgt von den beiden Männern.
Nachdem er es sich in dem Sessel vorm Bettende bequem gemacht hatte, mit geöffneter Jeans und Papiertüchern in Reichweite, bat er: „Zieht euch gegenseitig aus. Schön langsam. Wenn ihr euch dabei noch küsst, wäre das toll.“
Die zwei grinsten sich an. Anscheinend waren sie einander sympathisch, was die Sache noch schöner machte. Benjamin bevorzugte es, wenn Zuneigung im Spiel war. Moritz, gut zehn Zentimeter größer als Linus, musste sich etwas runterbeugen, um selbigen zu küssen. Das sah süß aus, zugleich spürte Benjamin ein nagendes Sehnen. Gegen einen Kuss hätte er auch nichts einzuwenden, nur gegen das, was unweigerlich folgte. Genau deshalb fing er gar nicht erst mit sowas an.
Die beiden Schnuckel hatten inzwischen angefangen sich der Kleidung zu berauben. Als Moritz die Jeans runtergezogen wurde, kam ein heißer Jockstrap zutage. Kein übliches Modell, sondern eher eine Art Pants, hinten mit einer großen Aussparung über der Spalte. Benjamin spürte, wie langsam Geilheit in ihm aufloderte. Er ließ seine Finger unter den Stoff der Shorts wandern und spielte an seiner Vorhaut herum. Der Vorteil beim Zugucken war, dass er seine Lust gut kontrollieren konnte.
Wieder tauschten die Süßen Küsse, dabei knetete Linus Moritz‘ stramme Backen. Benjamin konnte deutlich die Erektion erkennen, welche die Shorts des Twinks ausbeulte. Wenn ihn nicht alles täuschte, würde Moritz einen ordentlichen Prügel zu spüren bekommen. Mal wieder schien sich das Vorurteil, dass die kleinen Männer die dicksten Dinger hatten, zu bewahrheiten. Moritz streifte Linus den Stoff von den Hüften und richtig: Ein Schwanz in der Größe des Eiffelturms schwankte ins Freie.
Benjamin öffnete die Knöpfe am Bund seiner Shorts, um mehr Raum für seine Hand zu haben. Nur selten entblößte er seinen Unterkörper ganz. Schließlich war er der Spanner und wollte selbst keine Show liefern. Mittlerweile waren Moritz und Linus nackt. Die beiden boten wirklich ein erstklassiges Schauspiel. Wenn Benjamin es nicht besser wüsste, würde er glauben, dass die beiden ineinander verliebt waren. Unter fortwährenden Küssen kamen sie dem Bett immer näher, landeten in enger Umarmung auf der Matratze und rollten darüber.
Der Spiegel an der Decke bot reizvolle Einblicke. Ein weiterer Grund diesen Raum auszuwählen. Linus kniete sich hin und wedelte auffordernd mit seinem Riesenlümmel, wobei er Benjamin das Profil zuwandte. Als Moritz auf allen Vieren herankroch und sich das dicke Stück Fleisch mündlich einverleibte, konnte Benjamin das sowohl von der Seite, als auch aus Linus‘ Sicht betrachten.
Sein Schwanz zuckte. Er schloss die Faust eng um seinen Schaft und stieß ruckartig hinein, wobei er die pralle Eichel freilegte. Den glasklaren Tropfen Vorfreude verrieb er mit seinem Daumen. Für einen Moment lenkte ihn dieser Anblick dermaßen ab, dass er etwas verwirrt war, als er wieder aufsah und die beiden in neuer Position erblickte. Moritz kehrte Linus nun den Hintern zu, der von jenem mit einem Finger geweitet wurde. Das konnte Benjamin gut im Spiegel sehen. Der rosige Muskel erschien ihm winzig. Niemals würde dort Linus‘ Riesenlatte reinpassen, dachte er, obwohl er es besser wusste. In dieses Loch konnte man noch ganz andere Dinge reinschieben, die weitaus größer waren.
Moritz schien die Behandlung zu genießen. Er stöhnte ungehemmt und forderte mehr, was Linus ihm auch gab. Benjamins Faust hatte inzwischen einen trägen Rhythmus aufgenommen, jedoch nur mit geringem Druck. Er wollte erst kommen, wenn die beiden Männer soweit waren. Ohne nachzudenken, die Augen fest auf den Spiegel gerichtet, hob er den Hintern leicht an und schob die Hosen tiefer, um seinen Sack zu befreien. Während Moritz‘ Arsch mit drei Fingern gefickt wurde, streichelte er seine Eier.
Linus sah zu ihm rüber, hob anerkennend einen Daumen, als er Benjamins imposantes Geschlecht betrachtete und konzentrierte sich dann wieder auf seine Aufgabe. Der zuvor enge Muskel glich unterdessen einem Krater, der nur darauf wartete, gestopft zu werden. Moritz stöhnte herzerweichend und bettelte genau darum. Auf Linus‘ Lippen erschien ein fieses Grinsen. Der Frechdachs zog seine Finger zurück und streckte die Hand nach einem Kondom aus. Noch nie hatte Benjamin jemanden gesehen, der so schnell ein Gummi überrollen konnte. Eine Hand an Moritz‘ Arschbacke gelegt, führt Linus mit der anderen seinen Schwanz. Die dicke Spitze verschwand in dem Loch. In Benjamins Unterleib setzte ein prickelndes Gefühl ein, das ihn zwang, den Druck auf seinen Schaft zu erhöhen. Himmel Herrgott! Wenn das so weiterging, erreichte er vor den beiden das Ziel. Er zwang sich durchzuatmen und lockerte den Griff.
Linus spielte mit Moritz. Mehrmals drang er nur mit der Eichel ein, bis er ein Stück tiefer vorstieß. Wilde Verwünschungen begleiteten sein Tun. Moritz geriet mehr und mehr in Rage, was Benjamin, angesichts der tropfenden Latte des armen Kerls, durchaus verstehen konnte. Schließlich versenkte Linus seinen Hammer ganz, woraufhin kurz Stille herrschte. Die hastigen Atemzüge dreier erregter Männer waren die einzigen Geräusche, die zu hören waren. In Benjamins Ohren pulste sein Herzschlag, genau wie in seinem Schwanz. Gebannt starrte er das Paar an, das allmählich in Bewegung geriet. Erst mit kurzen, abgehackten Stößen, dann mit ausholenden Bewegungen fickte Linus den nun nicht mehr fluchenden Moritz durch. Benjamin starrte mal in den Spiegel, mal glotzte er die beiden Männer direkt an. Deutlich konnte er sehen, wie Linus‘ Megalatte auftauchte und mit einem schmatzenden Geräusch wieder versenkt wurde. Ihm ging erst auf, wie hart er seine Eier und seinen Schwanz massierte, als der Orgasmus schon an die Tür klopfte. Vielleicht war es Glück, oder aber er besaß irgendeinen Draht zu den beiden: Kurz bevor es ihn erwischte, fing Moritz an ekstatisch zu stöhnen und spritzte ab, dicht gefolgt von Linus‘ Abgang. Mit diesem Bild vor Augen kam auch Benjamin.
Seine Knie waren noch butterweich, als er wenig später das Etablissement verließ. Um satte 370 Euro und gefühlte 3 Liter Sperma leichter. Zum Abschluss hatten Linus und Moritz ihn auf die Wange geküsst. Benjamin wusste nicht, was ihm besser gefiel: Die unschuldigen Berührungen oder der geniale Höhepunkt. Schade, dass er nicht beides kombinieren konnte.
Während er zurück zum Parkhaus ging, schwelgte er in der Erinnerung an die vergangene Stunde. Am Auto angekommen fiel ihm auf, dass er die ganze Zeit wie ein Idiot grinste. Rasch brachte er seine Miene unter Kontrolle, aber schon im Wagen wollte das nicht mehr gelingen. Wozu auch? Ihn sah doch niemand. Gut gelaunt fuhr er nach Hause.
Den Sonntag verbrachte er damit, im Garten für Ordnung zu sorgen. Benjamin beschäftigte zwar einen Gärtner, aber der kam nur einmal im Monat. Da das Laub nicht dreißig Tage wartete, um dann mit einem Schlag von den Bäumen zu fallen, musste er im Herbst selbst mal ran. Ihm gefiel diese körperliche Beschäftigung, bildete sie doch einen Ausgleich zu seinem Job. Er war Abteilungsleiter in einer Bank und seine einzige Bewegung bestand darin, von seinem Stuhl auf den in einem Sitzungszimmer und zurück zu wechseln. Okay, ab und zu ging er in die Teeküche oder aufs Klo, was man aber auch kaum als sportliche Betätigung bezeichnen konnte.
Während er Blätter auf einen Haufen harkte, musste er wieder an den vergangenen Abend denken. Moritz‘ und Linus‘ Show hatte ihm in der Nacht schöne Träume geschenkt, die in den frühen Morgenstunden leider von bösen Erinnerungen vertrieben wurden. Schweißgebadet war er aus einem Alptraum hochgeschreckt und erst nach einer Dusche und einem starken Kaffee war der Druck von seiner Brust gewichen. Benjamin spürte, wie die bösen Bilder erneut Form in seinem Kopf annahmen. Da er wusste, dass es zwecklos war dagegen anzugehen, hielt er mit dem Harken inne und ließ sie zu. Das hatte ihm sein Therapeut geraten, der die These vertrat, dass man sich besser mit der Situation konfrontierte, anstatt sie zu verdrängen.
„Stellen Sie sich Ihren Ängsten“, war der Leitspruch des Arztes.
Trotzdem das bisher nicht geholfen hatte, hielt Benjamin weiterhin daran fest. Was blieb ihm auch sonst übrig?
Vor über zehn Jahren hatte er seinen jetzigen Posten als Leiter der Privatkunden Kreditabteilung bekommen. Damals war Benjamin ungeheuer stolz auf seinen Erfolg gewesen und gleichzeitig total naiv. Anders ließ sich aus heutiger Sicht nicht erklären, dass er auf Pedro von Belzenburg reingefallen war.
Pedro hatte darauf bestanden, die Finanzierung seiner privaten Immobilie ausschließlich mit dem Abteilungsleiter durchzuführen. Da es um eine hohe Summe ging erklärte sich Benjamin, der normalerweise nur bei Schlichtungsfällen in Erscheinung trat, bereit den Kunden zu empfangen. Vom ersten Moment an hatte Pedro ihn fasziniert. Der zehn Jahre ältere Mann besaß alles, was Benjamin nicht hatte: Natürliches Selbstbewusstsein, Stil und ein schillerndes Wesen. Letzteres äußerte sich dadurch, dass Pedro einen Scheiß auf Etikette gab. Im Nachhinein war Pedros Verhalten schlicht anmaßend und dünkelhaft, aber damals sah Benjamin das in ganz anderem Licht.
Schon beim ersten Termin lud Pedro ihn zum Essen ein. Benjamin war geschmeichelt von dem Interesse, das der attraktive Mann an ihm zeigte. Die ganze Woche trafen sie sich und gingen in Restaurants, in denen Benjamin trotz seines stattlichen Gehaltes nie verkehren würde. Wie selbstverständlich übernahm Pedro jedes Mal die Rechnung. Es kam wie es kommen musste: Sie landeten im Bett.
Pedro war ein ausgezeichneter Liebhaber. Benjamin verliebte sich rasend schnell. Alles erschien so wunderbar bunt und aufregend. Als würde er erst jetzt beginnen richtig zu leben. Schon nach vier Wochen gestand er Pedro seine Liebe und platzte fast vor Glück, als dieses Gefühl erwidert wurde. In jener Nacht war ihr Sex noch schöner als zuvor.
Am nächsten Morgen verlangte Pedro, dass er sich ein Tattoo, das Benjamin als den Seinen auswies, stechen ließ. Eigentlich hätte er das liebend gern als Beweis seiner Liebe über sich ergehen lassen, doch der Ton machte die Musik. Es kam zum ersten Streit, bei dem er klein beigab. Zwei Tage später prangte auf seiner Schenkelinnenseite ein Herz mit Pedros Namen darin. Nicht nur das Stechen tat weh, auch Tage später schmerzte die Stelle noch höllisch. Benjamin verging die Lust auf Sex, da das Tattoo sehr nah an seinem Intimbereich lag und gereizt wurde, wenn Pedro in ihn eindrang. Seine Verweigerung führte zu einer neuerlichen Auseinandersetzung, die in ein paar Tagen Funkstille mündete.
Benjamin litt so sehr unter der Trennung, dass er schließlich zu Kreuze kroch. Pedro nahm seine Entschuldigung großzügig an und es folgte toller Versöhnungssex. Eine Weile herrschte eitel Sonnenschein, bis zu dem Tag, an dem Pedro ihm ein Halsband schenkte. Das Ding bestand aus groben Kettengliedern und sah aus, als wäre es für einen Hund gedacht. Pedro befahl ihm, den Schmuck ständig zu tragen, um seine Liebe zu beweisen. Benjamin widersprach lieber nicht, um keinen neuen Streit vom Zaun zu brechen.
Natürlich konnte er das Halsband während der Arbeit nicht umlegen. Es war so eng, dass es ihn, zusammen mit dem Hemdkragen und der Krawatte, schlicht erwürgt hätte. Er achtete darauf, die Kette stets gleich nach Feierabend anzulegen und ertrug voller Demut das beengende Gefühl. Für die Liebe, die ihn mit Pedro verband, hätte er einfach alles getan.
Eine Woche verging. Sie sahen sich jeden Tag und Pedro konnte nicht genug davon bekommen, das Tattoo und die Kette an ihm zu bewundern. Manchmal, wenn er Benjamin von hinten nahm, verhakten sich seine Finger in dem Halsband und schnitten ihm die Luftzufuhr ab. Einmal war es so arg, dass Benjamin panisch zu zappeln anfing. Ihm wurde schwarz vor Augen und als er wieder zu sich kam, lag er in Pedros Armen. Tausend Entschuldigungen und Küsse auf den Striemen an seinem Hals später, verzieh er Pedro. Es sei aus Versehen geschehen, behauptete sein Liebster. Er hätte die Kontrolle verloren, weil er Benjamin doch so unglaublich lieben würde.
Wie schon erwähnt: Zu dem Zeitpunkt war Benjamin unglaublich naiv. Trotz seiner dreißig Jahre besaß er keinen nennenswerten Erfahrungsschatz. Er hatte nie zu den Typen gehört, die sich austoben mussten und sehnte sich eher nach Beständigkeit. Ihm war Treue und Zärtlichkeit wichtiger, als ein ausschweifendes Sexualleben. Mit Pedro bekam er sogar noch mehr: Treue, Zärtlichkeit und massenhaft guten Sex. Nur so konnte er sich inzwischen erklären, wieso er nach diesem Vorfall nicht das Weite suchte.
Pedro erlaubte großzügig, dass er das Halsband vorerst nicht mehr trug. Darüber war Benjamin, der einige Tage nur krächzend sprechen konnte, mehr als dankbar. Als das Wochenende nahte und das Mal um seinen Hals nicht mehr rot, sondern nur noch lila-gelblich schillerte, legte er freiwillig den Schmuck wieder an. Das brachte ihm am Freitagabend ein strahlendes Lächeln seitens Pedros ein.
„Du bist einfach wunderbar“, flüsterte sein Liebster. „Morgen gehen wir auf eine Party. Ich will mit dir angeben.“
Benjamin, der seit seiner Schulzeit an so einer Veranstaltung, außer den langweiligen Feiern seiner Eltern, nicht mehr teilgenommen hatte, war entzückt. Er versuchte mehr aus Pedro rauszukriegen. Wo es hinging, wer kommen würde und was der Anlass war. Sein Liebster schwieg schmunzelnd und der Sex in dieser Nacht war noch gigantischer als sonst. Vor allem, weil Pedro ihn fortwährend küsste und kein einziges Mal am Halsband zog.
Im Rückblick empfand er sich selbst als armselig. Wie konnte er für derart simple Dinge so dankbar sein, dass er das Offensichtliche übersah? Es war durchaus normal, beim Vögeln nicht erwürgt zu werden und Küsse sollten eigentlich unter Liebenden zum Standardrepertoire gehören.
Der folgende Tag verging in freudiger Erwartung. Pedro hatte noch irgendetwas zu erledigen, weshalb sie sich nach dem Frühstück trennten. Benjamin fuhr heim, in das viel zu große Haus, das seine Eltern ihm als standesgemäß, falls er mal Familie gründete, aufgeschwatzt hatten. Der Kasten war hässlich, barg aber Potential. Wenn Benjamin mal Zeit hatte, wollte er jemanden anheuern, der die Front verschönerte. Vielleicht mit ein paar Stuckornamenten, oder so. Konkrete Pläne hatte er noch nicht.
Wie verabredet kehrte er gegen acht zu Pedro zurück. Benjamin trug, wie am Morgen besprochen, ein heißes Outfit. Jedenfalls empfand er das so. Als Pedro ihn einließ erkannte er gleich, dass die enge Jeans mit dem gut sitzenden T-Shirt dessen Ansprüchen nicht genügte.
„Hab mir schon gedacht, dass du nichts Passendes hast“, meinte Pedro grinsend, schnappte sich seine Hand und führte ihn ins Schlafzimmer.
Wenig später steckte er ohne Unterwäsche in einer Hose, die seine Eier fürchterlich quetschte. Durch den weißen Stoff war gut zu erkennen, dass er Linksträger und nicht gerade schlecht bestückt war. Das Teil, das seinen Oberkörper nur unzureichend verhüllte, bestand aus groben Maschen und wirkte nuttig. Na ja, gemessen an den Beinkleidern eigentlich passend. Benjamins Brust war in dem Netzhemd eher enthüllt, denn verdeckt.
Während Pedro an seiner Frisur herumwerkelte, guckte er in den Spiegel und versuchte sich vorzustellen, wie er auf andere wirkte. Benjamin fand dafür nur einen Begriff: Willig. Das war er auch, aber nur, wenn es um Pedro ging. Wollte dieser ihn wirklich in diesem Outfit zur Schau stellen?
„Schatz? Meinst du nicht, dass ich in den Klamotten ein bisschen zu offenherzig aussehe?“, meldete er vorsichtig an.
„Du siehst toll aus. Sehr sexy. Und du gehörst mir.“ Deutlicher Besitzerstolz schwang in Pedros Stimme mit.
Die Party fand in einer schicken Villa statt. Schmiedeeiserne Tore schlossen sich hinter dem Wagen, als sie die Toreinfahrt passiert hatten. Benjamin wurde, in Anbetracht des Prunks, etwas mulmig zumute. Er kam sich in seinen Klamotten völlig deplatziert vor. Da Pedro genauso auffällig wie er gekleidet war, sprach er sich selbst Mut zu. Bestimmt liefen die anderen Gäste auch wie Paradiesvögel herum. Außerdem war er überzeugt, dass Pedro über ihn wachen würde.
Gleich hinter der Tür befestigte Pedro eine Leine an Benjamins Halsband und führte ihn wie ein Hündchen hinter sich her in einen großen Salon. Nackte Bedienstete, die Getränke anboten, liefen zwischen den Gästen umher. Benjamin begriff, wo er gelandet war, als er mehrere kopulierende Paare entdeckte. Er bat Pedro darum, wieder zu gehen. Statt einer Antwort bekam er ein Glas Champagner gereicht. Pedro prostete ihm zu und trank, woraufhin Benjamin, der vor Nervosität eine ganz trockene Kehle hatte, es ihm gleichtat. Danach verschwamm alles in einem wattigen Nebelschleier.
Am nächsten Morgen wachte er neben Pedro auf. Sein Schädel dröhnte und sein Arsch brannte wie Feuer. Während er an die Decke starrte, tauchten nach und nach widerliche Bilder in seinem Kopf auf. Er erkannte, dass Pedro ihn wie ein Spielzeug herumgereicht hatte. Seine Liebe starb einen schnellen Tod. Panik kam auf, als etwas Nasses aus seinem Hintern sickerte.
So leise wie möglich sammelte er seine Kleidung zusammen, schlich aus dem Schlafzimmer und rief ein Taxi. Anschließend streifte die eigenen Sachen über. Zu Hause angekommen, stellte er sich unter die Dusche und blieb dort, bis Finger und Zehen schrumpelig waren. Ihm war klar, dass er in eine Klinik musste. Benjamin hing am Leben und wollte nicht an AIDS sterben.
Seitdem dieser hübsche Kunde Linus und ihm zugesehen hatte, ging er Moritz nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht lag das an dem melancholischen Blick des Mannes. Dessen Augen wirkten so, als wäre das Licht in ihnen erloschen. Moritz‘ Skizzenblock war inzwischen gefüllt mit Bildern des Kunden. Nur allzu gern hätte er mal wieder mit Öl gemalt und die schönen Gesichtszüge auf diese Weise verewigt. Leider durfte er in der Unterkunft unterm Dach nicht herumklecksen. Es gab ohnehin keinen Platz für seine Staffelei, die, zusammen mit Pinseln und Farben, in einem Karton lagerte.
Seine Malsachen waren, neben ein paar Klamotten, alles, was er aus seiner letzten Wohnung retten konnte. Nachdem er über Monate die Miete schuldig geblieben war, hatte er sich in einer Nacht- und Nebelaktion vom Acker gemacht und war bei Boris untergekrochen. Das war allemal besser, als auf der Straße zu leben. Der Winter nahte und bis Moritz einen neuen Job gefunden hatte, würde er hierbleiben.
Was die Arbeit anging war er zuversichtlich. Bisher war es ihm immer gelungen, irgendwie Geld zu verdienen. Moritz war ein unverbesserlicher Optimist, dessen Glas immer halb voll, statt halb leer war. Genau deshalb konnte er sich mit jeder Situation arrangieren und sah in ihr das Gute, statt die Nachteile. Seinen Aufenthalt im Valenzia, beispielsweise, betrachtete er als eine Art Studie. Wann bekam man schon so viele nackte Männer zu Gesicht, die nicht nur ihre Hüllen, sondern oft auch ihre Hemmungen ablegten?
Moritz hatte schon Pläne, was seine nächste Bilderserie anbelangte. Sobald wieder Platz für seine Staffelei war, wollte er eine Reihe von Orgasmus-Bildern malen. Er besaß schon einen Haufen Skizzen, die ekstatisch verzerrte Gesichter zeigten. Zudem reizte es ihn, den eigenen Körpersaft zum Einsatz zu bringen. Diese Ideen brannten ihm förmlich unter den Nägeln. Schon mehrfach hatte er Boris bekniet, in einem der Räume im ersten Stock malen zu dürfen, doch leider vergeblich. Obwohl der Puffvater ein goldenes Herz besaß, konnte der Typ manchmal ganz schön stur sein.
„Hey Linus! Nicht bewegen!“, wies er seinen Kumpel zurecht.
Sie saßen im Salon und warteten auf Kundschaft. Moritz füllte diese Zeiten, indem er die Kollegen skizzierte. Heute war Linus dran. Er war es gewesen, der Moritz auf Boris‘ Etablissement aufmerksam gemacht hatte. Sie kannten sich seit ein paar Jahren und vögelten gelegentlich miteinander, wenn kein anderer zur Hand war. Ansonsten waren sie nur Freunde.
„Hab doch gar nichts gemacht“, maulte Linus.
„Du wackelst mit den Zehen.“
„Die zeichnest du doch gar nicht.“
„Aber ich merke es.“
„Spinner.“
„Danke. Für Komplimente bin ich immer zu haben“, murmelte Moritz, bereits wieder ins Zeichnen vertieft.
Die Türglocke kündigte neue Kunden an. Sie schepperte gleich zweimal hintereinander. Moritz seufzte genervt, klappte seinen Block zu und legte ihn, zusammen mit dem Bleistift, unter die Couch. Wie immer beeilte er sich damit nicht sonderlich, was ihm einen bösen Blick von Sladvik einbrachte. Der Typ war ein schlimmer Sklaventreiber, der akribisch darauf achtete, dass sie spurten. Genau das war Moritz‘ Problem: Er ließ sich ungern etwas sagen. Was er als Freiheitsliebe titulierte, hatten seine bisherigen Arbeitgeber als Unzuverlässigkeit bezeichnet. Was war schon dabei, wenn man mal etwas später kam? Moritz schaffte es einfach nicht früh aufzustehen, wenn er bis weit nach Mitternacht gemalt hatte.
Er stellte sich in die Reihe der Kollegen, wobei er hinter seinem Rücken Sladvik den Stinkefinger zeigte. Das konnte er sich leisten, da er bei den Kunden sehr beliebt war. Gemächlich richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Neuankömmlinge und frohlockte, als er den Mann von neulich erkannte. Der Typ war sehr groß und schlank. Ebenmäßige Gesichtszüge wurden von traurigen, blauen Augen dominiert. Im Ganzen machte der Kerl einen reservierten Eindruck, doch Moritz glaubte, dass sich hinter der kühlen Fassade ein feinfühliger Mann verbarg. Auch diesbezüglich war er unverbesserlich: Er sah in jedem Menschen das Gute, obwohl er mit dieser Einstellung schon oft auf die Fresse geflogen war.
Der Kunde, der zuerst hereingekommen war, verschwand mit Artem. Moritz hielt unwillkürlich den Atem an, als sein heimlicher Favorit den Blick über die Kollegen schweifen ließ. Ihm wurde bewusst, dass er total enttäuscht wäre, wenn jemand anders als er dem Kerl Lust verschaffen durfte. Noch blöder fände er es, mit Kyrylo oder Jegor ficken zu müssen. Bei Linus lag die Sache anders. Sie mochten sich und es hatte beim letzten Mal richtig Spaß gemacht, dem Mann tüchtig einzuheizen.
„Du und du“, sagte der Kunde und wies erst auf ihn, dann auf Linus.
Moritz atmete auf, trat vor und grinste seinem Kumpel zu. Auch dessen Mundwinkel bogen sich hoch. Stumm vereinbarten sie, dem hübschen Kerl diesmal eine noch heißere Show zu liefern.
Schweißnass und herrlich ermattet lag Moritz auf dem Laken. Ihm kam es vor, als hätten sie es stundenlang getrieben. Linus war gerade dabei, mit Papiertüchern seinen Bauch abzuwischen. Vorsichtig linste er zum Kunden, der zwar zufrieden, aber auch traurig aussah. Wünschte sich der Mann insgeheim mitmachen zu dürfen? Gehörte er zu der Sorte, die zu verklemmt war, derartige Dinge auszusprechen? Ein Dreier war doch völlig okay, sofern alle Beteiligten daran Spaß hatten.
„Linus?“, flüsterte er. „Magst du mich mit ihm da …“ Moritz wies mit dem Kinn auf den Kunden. „… allein lassen?“
„Okay. Aber mach bloß keinen Mist. Dazu ist das hier zu leicht verdientes Geld“, erwiderte sein Freund genauso leise.
„Keine Sorge.“ Er gab Linus einen Kuss auf die Nasenspitze.
Im Nu war der Kleine angezogen und huschte aus dem Zimmer. Auch der Kunde stand auf, guckte zwischen Moritz und der Tür hin und her und schien irgendetwas auf dem Herzen zu haben. Als nichts passierte, setzte Moritz sich auf und ergriff das Wort. „Linus und ich hätten nichts dagegen, wenn du mitmachst.“
Der Mann schüttelte den Kopf und plumpste zurück in den Sessel. „Nein. Auf keinen Fall.“
Das klang derart vehement, regelrecht angeekelt, dass sich Moritz wunderte. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sehr dem Kunden das Zugucken gefiel. Wie konnte man so etwas mit Genuss ansehen, sich dabei einen runterholen und es doch abstoßend finden? Fragen über Fragen. Er rutschte zum Bettrand, angelte nach seinen Klamotten und zog sie an.
„Ich würde gern Linus und dir regelmäßig zusehen.“
Moritz, der gerade seine Jeans zuknöpfte, sah auf. „Kein Problem. Allerdings ist Linus nicht immer hier. Er arbeitet nur gelegentlich.“
„Könnte ich euch privat mieten? Ich meine …“ Der Typ stockte und verknotete die Finger miteinander. Wie er so dasaß, die Wangen leicht gerötet und total unsicher, fand Moritz bezaubernd. Er wünschte seinen Skizzenblock her. „Ich meine, können wir uns einmal in der Woche in einem Hotel treffen?“
„Bei Linus sicher kein Problem, aber mir wird Boris den Hals umdrehen.“
„Ach so.“
„Tut mir leid. Ich hab zwar keinen Vertrag unterschrieben wie die anderen, bin aber verpflichtet, nur hier anschaff…“ Moritz biss sich auf die Zunge. „Nur hier Kunden zu empfangen.“
„Weil du hier wohnst?“
„Genau. Und weil ich hier Essen bekomme.“
„Schade.“ Der Kunde stand auf.
„Ja, wirklich schade“, stimmte Moritz zu, krabbelte vom Bett und zog automatisch das Laken glatt, wobei er nach Flecken Ausschau hielt. Er entdeckte ein paar nasse Spuren, die einen Wechsel nötig machten. Seufzend zerrte er an dem Stoff, wobei ihm überraschend der Kunde zu Hilfe kam. Gemeinsam sorgten sie für frische Bettwäsche, wobei ihm auffiel, dass sein Helfer verdammt geschickt vorging. Arbeitete der Mann im Hotelbetrieb? Er wusste überhaupt nichts von dem Kerl, außer, dass dieser einen ansehnlichen Schwanz und ziemlich geile Eier besaß. Oh ja, er hatte sehr wohl hingesehen und sich heimlich an dem Anblick aufgegeilt. Vielleicht war genau dieser Schuld daran, dass es diesmal verdammt scharf gewesen war.
„Darf ich fragen, wie du heißt?“
„Mhm.“ Der Mann auf der anderen Bettseite richtete sich auf und lächelte scheu den Fußboden an. „Benjamin.“
„Hübsch“, stellte Moritz fest. „Passt zu dir.“
Benjamin hielt den Blick gesenkt.
„Tschuldige. Wollte dich nicht anmachen.“
„Schon gut. Hab ich auch nicht so aufgefasst.“ Ganz langsam wanderten die blauen Augen hoch, bis sie auf seine trafen. „Also muss ich auf mein Glück vertrauen und hoffen, dass ich Linus und dich hier wieder gleichzeitig antreffe?“
„Sieht so aus.“
„Warum …“ Benjamins ausgeprägter Adamsapfel hüpfte, als würde er schwer schlucken. „Warum bist du überhaupt hier?“
„Willst du eine ehrliche Antwort oder lieber eine romantisierte Version?“
„Ehrlich“, kam prompt zurück.
„Ich hab meine Miete nicht bezahlen können. Bevor mein Vermieter mir die Polizei auf den Hals hetzen konnte, bin ich abgehauen. Das ist die kurze Variante.“
„Und die lange?“ Kaum hatte Benjamin ausgesprochen, zog er die Stirn um Verzeihung heischend kraus. „Sorry. Ich halte dich vom Geldverdienen ab.“
„So ein Quatsch. Lass uns runtergehen und dort weiterreden.“ Moritz klemmte sich das besudelte Laken unter den Arm und ging zur Tür.
Nachdem er die Wäsche in dem Raum hinter der Küche abgeliefert hatte, begab er sich mit Benjamin vor die Tür des Valenzia. Da die Kollegen zum Rauchen dasselbe taten, stand ihm dieses Recht auch zu. Kyrylo lehnte an der Mauer und paffte, weshalb er Benjamin mit einem Nicken bedeutete, ein paar Schritte zu gehen. Als sie außer Hörweite waren, begann er zu erzählen.
„Vor einigen Monaten hab ich meinen Job verloren. Nur weil ich ein paarmal zu spät gekommen bin.“ Moritz seufzte. „Na gut. Das war nicht besonders geschickt. Aber steh du mal um sieben auf, wenn du bis um drei gemalt hast.“
„Du bist Künstler?“
„Na ja. Sagen wir es so: Ich versuche kreativ zu sein. Verkauft hab ich noch nie was.“
„Malst du abstrakt?“
„Manchmal. Obwohl es für mich nicht abstrakt, sondern ein Ausdruck von Gefühlen ist.“
„Warum hast du dir nicht einfach einen neuen Job gesucht?“ Benjamin blieb stehen und strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht.
„So einfach ist das nicht. Na gut: Ich hab mich in der Zeit mehr auf die Kunst, als die Jobsuche konzentriert. Irgendwie war mir danach.“
„Du machst immer das, wonach dir ist?“ Benjamin klang verwundert.
„So gut es geht, ja.“ Moritz grinste. „Mit der Einstellung lebt es sich ganz gut.“
„Kann ich mir einerseits vorstellen. Andererseits hätte ich Angst auf der Straße zu landen.“
„Och. Das ist mir auch schon passiert. Halb so wild. Irgendwie geht’s immer weiter.“
„Oh Mann! Dich kann wohl nichts unterkriegen.“
„Doch, schon. Im Moment bin ich sehr betrübt darüber, nicht malen zu können.“
„Keine Zeit?“, fragte Benjamin mitleidig.
„Keinen Platz.“
„Das tut mir leid.“
„Tja.“ Moritz zuckte die Achseln. „Irgendwann wird sich das ändern. Ich muss zurück, bevor Sladvik Ärger macht. War nett mit dir zu plaudern.“
„Finde ich auch. Bis bald.“ Benjamin nickte ihm zu, drehte sich um und ging davon.
Nachdenklich sah er dem Mann so lange hinterher, bis dieser um die nächste Straßenecke bog. Benjamin war von einer schwermütigen Aura umgeben, die nicht nur den Künstler in ihm ansprach. Moritz fühlte sich von ihr unglaublich angezogen. Nur zu gern würde er herausfinden, wieso Benjamin so traurig war. Langsam ging er zum Valenzia zurück.
Einige Tage später tauchte Benjamin erneut im Bordell auf. Diesmal war Linus nicht anwesend. Moritz befürchtete schon, nun mit einem anderen Kollegen pimpern zu müssen, als Benjamin nur ihn heranwinkte. Erstaunt folgte er dem Mann in den ersten Stock und in das blaue Zimmer. Benjamin nahm im Sessel Platz.
„Setz dich“, wurde Moritz aufgefordert.
Er hockte sich auf die Bettkante.
„Ich hab nachgedacht. In meinem Haus stehen ein paar Zimmer leer. Dort könntest du malen.“
Vor Erstaunen klappte Moritz die Kinnlade herunter. Einen Augenblick starrte er Benjamin an, bevor er seine Sprache wiederfand. „Das ist total nett, aber ich komme hier kaum weg. In der Woche ist bis zwölf geöffnet und es geht schon morgens um zehn meist wieder los. Am Wochenende ist’s noch schlimmer.“
„Ich meinte das anders.“ Benjamins Wangen verfärbten sich rosa. „Du kannst dort wohnen. Dafür darf ich einmal die Woche Linus und dir zusehen.“
„Aber …“, wollte Moritz einwenden. „Linus bezahle ich natürlich“, unterbrach ihn Benjamin. „Du hast freie Kost und Logis, außerdem bekommst du ein kleines Taschengeld.“
Vollkommen platt von dem großzügigen Angebot, dachte Moritz gar nicht nach. Er sprang auf, stand mit einem Satz vor Benjamin und zog ihn aus dem Sessel hoch, um ihn fest in die Arme zu nehmen. Im nächsten Moment bereute er seine verdammte Impulsivität. Benjamin war mit einem Schlag stocksteif geworden und bog sich so weit von ihm weg, wie möglich. Sofort ließ er los und trat reumütig einen Schritt zurück.
„Tut mir leid. Ich … ich freu mich so und … und da sind die Pferde mit mir durchgegangen“, stammelte er, voller Angst, nun alles kaputtgemacht zu haben.
„Eine Bedingung“, sagte Benjamin leise, aber sehr bestimmt. „Du hältst dich von mir fern.“
„Natürlich.“
In der folgenden Stille wurde er ausgiebig gemustert. Schließlich nickte Benjamin, als wenn er von Moritz‘ Ehrlichkeit überzeugt wäre. „Also gut. Vielleicht begehe ich einen Riesenfehler, aber irgendwie vertraue ich dir.“
„Das eben war wirklich ein Ausrutscher. Ich kann mich sonst gut beherrschen.“
„Außer wenn Linus dich nimmt.“ Der Abklatsch eines Lächelns blitzte auf.
„Das stimmt.“ Moritz traute sich zu grinsen. „Ich sollte ihn besser mal anrufen und fragen, ob er mit der Sache einverstanden ist.“
„Ja, bitte mach das.“ Benjamin ließ sich zurück in den Sessel fallen und guckte ihn auffordernd an.
„Hab im Moment kein funktionierendes Handy. Muss warten, bis ich von Boris‘ Büro aus telefonieren kann.“
„Ich kann dir meines geben.“
„Okay. Ich hole schnell die Nummer.“ Moritz huschte zur Tür hinaus, rannte in den zweiten Stock und fischte das Adressbuch aus der Reisetasche, die unter seinem Bett stand. Da er in der Vergangenheit oft sein Handy verloren hatte, oder kein Geld, um es zu laden, war er auf dieses altertümliche Instrument angewiesen.
Atemlos trat er wieder in das blaue Zimmer, wo Benjamin ihm wortlos ein Smartphone aushändigte. Nachdem er die Nummer eingetippt hatte, landete er sofort auf Linus‘ Mailbox. Moritz unterbrach die Verbindung. Er wollte diese Sache lieber persönlich besprechen, als sie irgendeiner elektronischen Einheit zu erzählen.
„Ich denke nicht, dass Linus etwas dagegen hat. Ihm hat’s die letzten Male gefallen und eigentlich geht’s ihm nur ums Geld.“ Mit diesen Worten gab er Benjamin das Gerät zurück.
„Ihr mögt euch?“
„Mhm. Wir sind Freunde.“
„Für mich sah das nach mehr aus.“ Benjamin steckte das Smartphone in die Innentasche seiner Jacke und guckte ihn aufmerksam an.
„Ab und zu ficken wir, wenn’s gerade passt“, gab Moritz zu. „Mehr ist da aber nicht.“
Es war Benjamin anzusehen, dass er das absolut nicht verstehen konnte. Ein Umstand, der nicht verwunderlich war. Ein Mann, der niemanden an sich ranließ und lieber zuguckte, statt selbst aktiv zu werden, besaß eben eine ganz andere Einstellung als Moritz zum Sex. Für ihn war es normal seinen Trieben nachzugeben. Sowohl körperlich, als auch geistig.
„Noch eines: Die Zimmer sind unmöbliert. Außerdem gibt
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock Design Lars Rogmann
Lektorat: Aschure
Tag der Veröffentlichung: 19.08.2015
ISBN: 978-3-7396-1420-5
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