Cover

Die HomoSchmuddelNudeln präsentieren:


 

Schännieh Dunkelstrauch – UND DANN STAND DIE WELT STILL …


Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren.

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

 

Text: Schännieh Dunkelstrauch

 

Fotos von shutterstock, Design Lars Rogmann


Für die Korrekturen ein Danke an Aschure.

 



Danksagung

 

 

Mein größter Dank gilt Ulrike. Ohne dich und ohne deine Geschichte; ohne die Bilder, die du damit damals unwissentlich in meinem Kopf hast entstehen lassen, würde es Juli's Geschichte heute wohl nicht geben. Ich möchte dir von ganzem Herzen danken.

 

 

Danke auch an Sandra Gernt, dafür, dass ihr Roman „Saat der Finsternis“ Erwähnung in meinem Buch finden darf.

 

 

Mein letzter Dank gilt der US-Band „Trading yesterday“, mit deren freundlicher Genehmigung ich eine Textstelle aus ihrem Song „shattered“ verwenden darf.

UND DANN STAND DIE WELT STILL …


Julian ist krank. Sehr krank. Seine Zeit fristet er schon seit Monaten im Krankenhaus. Umgeben von Hoffnungslosigkeit, Angst und Schmerzen, sind die Gefühle zu seinem Pfleger Fabian das Einzige, was ihn noch davor bewahrt, sich gänzlich selbst aufzugeben. Doch erwidert dieser seine Gefühle?

~ * ~

Julian


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Mein Blick ist auf das Tropfglas gerichtet, wie so oft zähle ich mit.

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Ich wusste lange nicht, wie das kleine durchsichtige Ding heißt, in die die Lösung im immer gleichen Rhythmus tropft.

Es heißt Tropfglas. Ich hab' gefragt.

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Da drin ist eine bakteriendichte Belüftung eingebaut. Wegen dem Unterdruck, der sonst entstehen würde, vermut' ich mal, aber sicher weiß ich's nicht. Danach hab' ich nicht … gefragt. Vielleicht … vielleicht sollte … ich das … tun …

Später …

Morgen … …

Ir … irgend … wann … … …


Übelkeit und Schmerzen zerren mich unbarmherzig an die Peripherie der Wirklichkeit; reißen mich unter Stöhnen aus dem Schlaf, während ich versuche mich zu drehen. Doch mein Körper will den Befehlen meines Hirns nicht folgen. Zu kraftlos. Zu viele Schmerzen. Jede Zelle meiner Muskeln protestiert, verweigert ihren Dienst. Schmerz pulsiert in jeder von ihnen. Mir tut alles weh.

Und die Welt? Die wackelt und macht gefährliche Schlenker dabei. Malträtiert mich mit Übelkeit und Schwindel, während mein Kopf kurz vor der Detonation zu stehen scheint. Es dröhnt, pulsiert, will nicht weichen. Ein Presslufthammer, der unaufhörlich auf meinen Schädel ein donnert.

Und mir ist so schlecht… Das Karussell fahren in meinem Inneren macht es nicht besser. Rauf, runter, rauf, runter, scharfe Rechtskurve, Schraube, Looping und zack, der Magen fliegt, hängt in der Schwebe. Oh mein Gott, bitte. Macht doch jemand, dass das aufhört … Bitte …

Eine einzelne Träne schleicht sich aus meinem Augenwinkel, während ich angestrengt gegen Übelkeit und aufsteigenden Mageninhalt anzuatmen versuche. Mir ist so wahnsinnig schlecht … Oh mein Gott, bitte. Macht doch jemand, dass das aufhört… bitte… halt doch mal einer die Welt an …


Vollkommen ausgelutscht liege ich in meinem Bett. Wie ein Drops. Von Skittles.

Dabei mag ich die. Vor allem die roten, die mit Kirschgeschmack. Ich liebe Kirschen … beziehungsweise: Ich liebe sie eigentlich.

Ich kann sie nicht essen momentan. Auch dann nicht, wenn ich Appetit darauf hätte. Aber ich hab' keinen Appetit. Fast nie. Ständig ist mir schlecht. Selbst dann, wenn ich nur daran denke, wie saftig sich das Fruchtfleisch in meinem Mund anfühlt; wie sie schmecken, mit ihrem süßlichen, von der Sonne geküssten Aroma und der leichten Säure, die …

Nur gerade eben schafft mein Körper es, letzte Kraftreserven zu mobilisieren; lässt mich hektisch neben mein Bett greifen. Fast schon panisch tasten meine dünnen Finger nach der Spuckschale und finden sie im allerletzten Moment.

Gurgelnde Würgegeräusche hallen durch das Zimmer, als sich mein Kopf über die kleine Schale beugt, doch ich bringe kaum mehr als Wasser und bitter schmeckende Galle hoch.

Jedes Mal, wenn ich zu essen versuche, oder manchmal eben auch, wenn ich nur daran denke wie es wäre wenn. Nur an wenigen Tagen bleibt das, was ich zu mir nehme, tatsächlich drin.


Kraftlos lasse ich meinen Kopf zurück auf die Matratze sinken, halte die Schale vor mir fest, damit sie nicht kippt. Der leicht süßsäuerliche Geruch nach Magensäure steigt unmittelbar vor meiner Nase auf und verteilt sich im Raum. Widerlich …

Stöhnend strecke ich meinen Arm nach oben und bekomm' nach einigen Versuchen die kleine Klingel zu fassen, drücke den Rufknopf.

Zu gern würde ich meine Sauerei selbst wegmachen. Es ist mir peinlich, dass ich so machtlos bin. Aber ich kann nicht. Wie soll ich aufstehen, wenn selbst das kleinste auf die Seite Drehen und jedes Aufsetzen viel zu viel Kraftaufwand bedeutet? Wenn ich mich selbst beim Reihern nicht hinsetzen und vornüber beugen kann, sondern wie ein Krüppel im Liegen über dem Schälchen kauern muss? Wenn ich mich nicht mal selbst umziehen, waschen kann und selbst das Lesen, was ich seit jeher liebe, mir jetzt nichts als Qual beschert? Einfach, weil es anstrengt und ich kaum zwei Seiten zu Ende gelesen bekomm'.

Nicht mal das Buch halten kann ich, gerade an Tagen wie diesem. Es ist frustrierend. Vor allem dann, wenn grad' der spannende Teil kommt; du wissen willst, wie es weiter geht. Wie Lys reagiert, als er erfährt, dass Kirian sich nicht mehr an ihn erinnern kann, nachdem der Fürstensohn ihm, um ihn zu retten, freiwillig in die Sklaverei gefolgt ist. Und wie wird Kirian auf ihn reagieren? Wird er ihn wiedererkennen? Unterbewusst? Ein kleines bisschen vielleicht? Und wenn ja, wie reagiert er, verdammt? Ich will es einfach wissen, muss es wissen! Meine Neugierde bringt mich um. Herrgott, lass mich nicht dumm sterben!


… Sterben … … ...


Eine Mischung aus Angst, Wut und Verzweiflung legt sich über mich, überkommt mich jedes Mal, wenn ich nur daran denke. Gemischt mit hunderten anderer kleiner Emotionen, die ich nicht benennen kann. Es ist mühselig, dieses Warten auf das Vielleicht, das Bewahren der Hoffnung; sich selbst auch in den niedersten Momenten gut zuzureden.

"Alles wird gut"', "Du schaffst das", "Gib nicht auf", "Du musst weiter kämpfen", "Vielleicht hast du es bald geschafft".

Aus unzähligen kurzen Sätzen bestand mein stummer Monolog, mein inneres Mantra, doch es ist mühselig, nach so langem Kampf die Hoffnung nicht gen Null schwinden zu lassen. Nach so vielen Rückschlägen noch weiter zu versuchen, sich selbst aufzubauen und nicht aufzugeben.


Ich habe Angst. Unglaubliche Angst! Davor, dass es schon bald vielleicht kein Morgen mehr gibt, egal, wie gut die Therapie grad' auch anschlagen mag.

Doch wer garantiert mir, dass es so bleibt? Vielleicht ist es morgen schon wieder anders?

Zu viele Rückschritte hab' ich schon erlebt, sie hingenommen. Zu Anfang, doch jedes Mal wurde es schwieriger, jedes Mal brach ein kleiner Teil mehr von mir weg. Kleine Stücke von Hoffnung, bis jetzt, wo nichts mehr davon übrig ist.

Mühsam unterdrücke ich die Tränen, als die Tür zu meinem Zimmer sich öffnet und der Rest an Hoffnung mein Zimmer betritt, die aufzubringen ich selbst nicht mehr im Stande bin und die mein Herz pochen lässt.


Das hellbraune Haar fällt ihm locker in die Stirn, umschmeichelt das männlich markante Gesicht, lässt ihn ein wenig verwegen aussehen. Der Bartschatten schmälert das Bild keineswegs, unterstreicht es höchstens noch, lässt ihn wie einen verdammt heißen Piraten oder Banditen aus einem meiner unzähligen Fantasybücher wirken. Auch sein Körper trägt zu dem Bild bei.

Er ist groß, im Gegensatz zu mir. So um die eins-neunzig und unter den standardisierten Krankenhauspersonal-Klamotten allem Anschein nach ziemlich gut gebaut.


Kraftlos lächle ich ihn an, als er zu mir herüber kommt, mein Stückchen Hoffnung auf zwei Beinen; mein ganz persönlicher Engel, wenn man so will.

So oft hat er schon die bösen Gedanken verscheucht, die Frage danach, ob es nicht besser wär', dem hier selbst ein Ende zu setzen, als darauf zu warten, dass der Sensenmann mich holt. In die Hölle komm' ich so oder so. Sei es wegen eventueller Selbstbeschleunigung der Dinge, wegen der Tatsache, dass ich Atheist bin oder für die Tatsache, dass ich mit Mädchen nicht wirklich etwas anfangen kann. Das Ergebnis wär' in allen Fällen gleich.

Julian gart im Fegefeuer knusprig.

Dumm nur, dass ich nicht nur nicht an den Himmel, sondern auch nicht an die Hölle glaube. Und selbst wenn, bezweifle ich, dass der da oben, ob es ihn nun gibt oder nicht, mich mit Adolf, Jack oder den ganzen anderen, die wirklich Dreck am Stecken hatten, auf eine Stufe stellen würde. Mich, dessen einzige Schande es gewesen wär', als schwuler Gottloser vor dem Dahinsiechen geflohen zu sein. Das kann ja wohl nicht das gleiche Gewicht haben, wie bei anderen, die tausende von Menschen gemeuchelt haben.

Ich bezweifle es und wenn es tatsächlich einen Gott gibt, bezweifle ich ebenfalls, dass er was gegen Schwule hat. Immerhin hätte er uns dann ja selbst so gemacht, wie wir sind und…

Fabians Lächeln wird etwas breiter und ich erwidere es dünn, als er durch den Raum auf mich zukommt.

"Na, grübelst du schon wieder? Ich hab dir doch gesagt, du sollst das lassen. Was ist es diesmal?", will er in einer Mischung aus Sorge und leisem Spott in diesen unglaublich warmen, graugrünen Augen wissen.

"Ob Gott ein Arschloch ist."

Er stutzt einen Augenblick, fängt sich aber schnell wieder und schüttelt lächelnd den Kopf, als er bei mir ankommt und die Infusion prüft.

"Heute stehen also hoch philosophische Fragen im Krankenhaus-Programmheft, ja? Wusste ich gar nicht." Er unterdrückt ein Grinsen und ich lächle dämlich zurück. Weil er diese tollen Grübchen hat, wenn er lächelt und da kann ich einfach nicht anders.

"Sieht so aus. Ich muss doch wissen, was mich da so erwarten könnte. Aber ich glaube fast nicht, dass er so ein Arschloch ist und so schlimm war ich ja auch gar nicht. Ich bezweifle, dass er mich so dermaßen hängen lassen würde, nur, weil ich mit elf mal ein Ü-Ei geklaut hab'."

Sein Lächeln verändert sich, wirkt jetzt irgendwie gezwungen. Ich sehe es ihm an. Er mag es nicht, wenn ich so rede und seufzt, lässt das Thema fallen. Fragt mich stattdessen, wie es mir geht, als er auf die andere Seite des Bettes kommt und nach meiner, nett ausgedrückt, Wasserschale greift. Er trägt sie ins Bad und entsorgt den Inhalt in der Toilette, ehe er das seltsamerweise nicht durchgeweichte Papp-Zellulose-irgendwas-Ding in den Mülleimer wirft, damit die Putzfrau auch noch was davon hat.

"Mh, geht so. Hab geschlafen, Medikamente bekommen, nach draußen gesehen, geschlafen, Tröpfchen gezählt, geschlafen, gekotzt, mich selbst bemitleidet und philosophiert. Das Übliche eben", antworte ich schulterzuckend.

Er sieht mich strafend an dafür. Also, nicht für den Spruch, sondern fürs Schulterzucken. Er weiß, wie schwer mir aktuell selbst solche Kleinigkeiten fallen. Wie viel Kraft es mich kostet. Trotzdem mach' ich's, wenn er da ist. Ich will nicht, dass er sich Sorgen um mich macht. Dennoch tut er genau das und ich bin insgeheim irgendwie dankbar dafür.

"Hast du heute schon was gegessen?" Ich schüttle den Kopf. Ich kann nicht. In den ersten Tagen helfen bei mir nicht mal die Mittelchen gegen Übelkeit, die sie mir trotzdem jedes Mal wieder – unsinnigerweise - geben. Und ich nehme sie artig. Eine andere Wahl hab' ich ja ohnehin nicht.

"Wann war die Letzte? Vorgestern, oder?", will er wissen und setzt sich nun auf die Kante meines Bettes, nicht mehr auf den Stuhl an der gegenüber liegenden Wand, wie am Anfang noch; greift nach den Babyfeuchttüchern auf meinem Nachtschränkchen. Ich gebe einen zustimmenden Laut von mir, während er eins heraus zupft und mir reicht.

Er hat wunderschöne Hände für einen Mann, das fällt mir jedes Mal wieder auf. Mit langen, schlanken Fingern und dem kleinen tätowierten Wort „family“ an der Innenseite seines Zeigefingers, das ich an ihm echt hübsch finde.

Ich nehme ihm das Feuchttuch ab, das er mir hin hält und wische damit kraftlos über meinen Mund.

Ein Wunder, dass er sich gemerkt hat, wann ich Chemo hatte, aber scheint wohl so. Könnt ich nicht, bei so'nem Arsch voll Chemo-Patienten. Aber er ist da anders. Er merkt sich sowas immer ganz genau.

"Na, dann sollte es ja morgen vielleicht wieder gehen, mh? Ein bisschen zumindest. Habe gehört, dass du es heute nicht mal versucht hast", kommt er zurück auf die Frage mit dem Essen.

"Mh, aufstehen is' grad´ nicht so."

"Du hättest auch hier essen können und das weißt du." Ich schnaufe ironisch auf.

"Das Ergebnis wär' dasselbe gewesen. Ich hab schon gekotzt, als ich nur überlegt hab' es zu versuchen", gebe ich zunehmend deprimiert zu, während er nach der Wasserflasche greift, damit ich den ekelhaften Geschmack wegspülen kann, den ich seit meiner Therapie nahezu ständig im Mund hab', so oft, wie ich zuweilen alles wieder hochbringe.

Aber Wasser geht meistens. Stilles, in winzig kleinen Schlucken dosiert. Das geht. Wie gesagt, meistens. Jetzt gerade tut es das jedenfalls.


Ich würde ja gerne wieder vernünftig essen, aber ich kann nicht. Es geht einfach nicht, so kurz nach dem Chemotag. So gern würde ich ein wenig zunehmen, feiere jedes Gramm, das zwischenzeitlich auf der Waage dazu kommt, doch die Tage nach der Chemo fordern meist ein Vielfaches zurück. Ein frustrierender Kreislauf, der mich mehr und mehr an Gewicht verlieren lässt.


Ich bin mittlerweile kaum mehr als Haut und Knochen… Man sieht die Rippen viel zu stark, mein Gesicht wirkt eingefallen und fahl. Kein Wunder, dass Fabian immer wieder versucht mich dazu zu ermutigen, etwas zu essen.

Ich sehe nicht mehr wirklich gut aus so; fühle mich nicht mehr wohl in meinem Körper, der mir so fremd erscheint.

Ich sehe aus wie ein Alien. Die leuchtend blauen Augen scheinen viel zu groß für mein schmal gewordenes Gesicht, mein kahler Kopf ist überproportional groß für meinen mageren Körper und meine Arme und Beine wirken unnatürlich lang und dünn.


Die Glatze fühlt sich noch immer ungewohnt an, seltsam glatt, mit nur einem dünnen Flaum bedeckt und ich hab' das Gefühl, dass ein Teil von mir selbst sich zusammen mit meinen Haaren verabschiedet hat.

Es ist lächerlich, ich weiß. Ich bin immer noch ich. In mir drin. Zumindest ein Teil des alten Juli ist noch da, ein kleiner, irgendwie, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, mich selbst zu verlieren.

Aber keinem scheint es aufzufallen.

Stattdessen sagen sie mir, dass es gar nicht so schlecht aussieht mit der Glatze, dass es meine blauen Augen nur umso intensiver strahlen lässt. Sagen, das wird schon, wenn ich erst mal wieder gesund bin, aber sie verstehen es nicht. Verstehen nicht, wie ich mich fühle, wenn ich vor dem Spiegel stehe, aus dem mich ein fremdes, krankes Alien mit blasser, durchscheinender Haut ansieht.

Die Adern leuchten blau durch die weiße Haut meiner Arme. Sie wölben sich an den Gelenken, heben sich ab, wenn man drüber streicht und mir wird schlecht dabei.


Ich bezweifle, dass ich irgendjemandem so gefalle. Fabian so gefalle …

Und damit meine ich nicht im Sinne Pfleger-Patient-gefalle, von wegen „oh, du siehst viel besser aus“, sondern eben auf … auf die andere Art. Optisch. So, wie ein Mann eben einem anderen Mann gefallen könnte. Auf die homosexuelle Art. Aber wie sollte ich auch, wenn ich mich selbst nicht mal mehr leiden mag?


… ich will nicht mehr …

… kann nicht mehr …

… bin es leid zu kämpfen …


Mein Geist hat längst, vor Wochen schon, aufgegeben, sehnt das Ende herbei und mein Körper will folgen. Ich will das nicht mehr, stehe mit einem Fuß im Grab und doch kann ich nicht, obwohl mein Körper so furchtbar schwach ist.

Tieren gewährt man Gnade, gibt ihnen eine Spritze, damit sie nicht mehr leiden müssen. Ich dagegen sieche vor mich hin. Kann nichts tun, als darauf zu warten, dass ich jämmerlich zu Grunde gehe und habe wahnsinnige Angst davor....

"Hey schhhh... schon gut, komm her."

Fabian rückt näher an mich heran und zieht mich zurück in das Hier und Jetzt. Raus aus meinen Gedanken und zu sich, in eine vorsichtige Umarmung.

Die Bewegung ist unangenehm, schmerzt und macht, dass ich mich noch elender fühle, aber in seinen Armen geht es mir gut.

Ich fühle mich noch immer schwach, aber ich fühle mich auch sicher und aufgehoben. Beschützt, als könnte mir der Krebs hier nichts mehr anhaben. Weil Fabian der Held in dieser Geschichte ist und Helden immer gewinnen. In seiner Nähe muss ich keine Angst haben.

Die Tränen versiegen in seinen Armen, genau wie das erdrückende Gefühl um meinen Brustkorb, wenn er mir, wie jetzt, über den Rücken streicht. Seine Nähe macht mich frei.

Frei von Ängsten, frei von Schmerz. In seinen Armen vergesse ich sie einfach... sein warmer Duft hilft mir dabei.

Fabian macht... macht, dass die... Welt... ein bisschen... schö... schö... … schönnnn... … ...



Ich weiß nicht wie spät es ist, als meine Augen sich träge öffnen, doch das Erste was ich bemerke ist, dass er nicht mehr da ist.

Ich bin allein in dem dunklen Zimmer. Es ist mitten in der Nacht und der Mond scheint hell durch das bodentiefe Fenster, wirft verzerrte Schatten auf mein Bett, während vor dem Glas der Wind durch die Äste der Bäume fährt und die Blätter in einem zartem Windhauch wiegt.

Schlafen... einfach nur schlafen....



Die Sonne kitzelt mich aus dem Schlaf, scheint rötlich durch meine geschlossenen Lider. Ich gähne, drehe mich um und der Schlaf hat mich wieder.


...


Irgendetwas lässt mich leise vor mich hin stöhnend aus dem Schlaf gleiten. Nicht zum ersten Mal. Ich glaube, ich war zwischen drin öfter mal wach, auch, wenn sich weder die abendliche, noch die morgendliche Visite ins Gedächtnis rufen lässt. Nicht mal das Blut abnehmen hab' ich mitbekommen, dafür aber das Legen der Magensonde, dessen Schlauch mich ständig husten und verzweifelt schlucken lässt.

Die Chemo dürfte jetzt drei Tage her sein, schätze ich. Die ersten Tage schlaf' ich immer ziemlich viel, meist nur von kurzen Wachphasen unterbrochen, die ich zumeist kaum selbst mitbekomm'. An nur wenige davon kann ich mich wirklich erinnern.


… Fabian...


Ich liege allein in meinem Bett, fest eingehüllt in eine Decke, die für die sommerlichen Temperaturen draußen viel zu warm sein sollte. Aber ich friere. Friere nahezu permanent, seit ich die Therapie angefangen hab'.

Ich höre leise Stimmen. Ein Flüstern, Tuscheln.

„Komm, lass uns wieder gehen. Wir sollten ihn nicht wecken. Es ist gut wenn er sich ausruht“, höre ich Lizzy murmeln und Martens „Mh“, aber jetzt bin ich schon wach.

Ich gähne, ehe sie die Tür wieder schließen und krächze ein „kommt rein.“ Mein Hals ist rau und kratzig von dem Schlauch, der meiner Kehle hinab folgt; fühlt sich wund an, aber mit einen Schluck Wasser geht es wieder halbwegs.

Lizzy hilft mir dabei und ich hasse es, dass ich inzwischen selbst bei den einfachsten Dingen Hilfe brauche. Die Wasserflasche hätt' ich wohl gerade noch selbst geöffnet und gehalten bekommen. Unter hoher Anstrengung und mit schwächlich zitternden Händen zwar, aber immerhin.

Trotzdem zwingen sie mir rigoros, bei jeder noch so kleinen Kleinigkeit, Hilfe auf und nehmen mir so noch das letzte bisschen Würde.

Sie wissen es nicht, würden es wohl auch nicht verstehen. Sie meinen es gut, ich weiß. Was sollen sie auch machen, wenn sie sonst nichts tun können?


Marten und Lizzy sind noch immer unsicher, obwohl sie mich seit inzwischen knapp über vier Monaten jeden zweiten Tag besuchen kommen und man sollte meinen, sie gewöhnen sich langsam daran.

Aber das tun sie nicht.

Niemand tut das wohl.

Am Anfang haben sie mir noch Zeitschriften und so mitgebracht, damit ich Beschäftigung hab', aber wir drei haben wohl ziemlich schnell eingesehen, dass es pure Geldverschwendung ist. Wie gesagt, es strengt mich an. Stattdessen bringen mir die beiden hin und wieder ein Hörbuch mit und ich freue mich darüber, auch, wenn ich's oftmals vor Erschöpfung nicht wirklich zeigen kann und ein Teil davon entweder, aus literarischer Sicht, ziemlicher Mist ist oder irgendeine Heten-Lovestory. Nur selten war eins dabei, das ich wirklich gut fand, aber selbst bei denen war es mit dem Storyline-folgen etwas schwierig, wenn man jedes Mal wegpennt, weil die Medikamente so reinhauen.


Die Tage, an denen es mir gut geht, sind seit Beginn der Therapie ziemlich rar geworden. Meist brauche ich eineinhalb Wochen, um mich von der Chemo halbwegs zu erholen, ehe dann ein paar Tage kommen, an denen ich allein und ohne Hilfe in den Speiseraum oder auf die Toilette gehen kann, Duschen kann, lesen und all das. Wobei ich diese Tage meist für die Besucher plane. Die Tage, an denen ich nicht ganz so krank wirke, an denen ich beinahe wieder der Alte bin, wenn man von den Äußerlichkeiten und meinem überreizten Innenleben mal absieht.

Nur Lizzy, Marten und meine Eltern bilden da die Ausnahme. Familie ist eben Familie, sie lassen sich nicht vorschreiben, dass sie mich nur alle zwei Wochen sehen dürfen. Selbst Momo darf nur noch an den Wochenenden kommen.

Sie wollen für mich da sein; versuchen mir zu zeigen, dass sie hinter mir stehen; ganz egal was kommt und ganz egal, wie schlecht es ihnen selbst geht, wenn sie hier sind. Doch seit knapp sechs Wochen kann Lizzy, meine Zwillingsschwester, mich kaum noch ansehen, ohne jedes Mal beinahe in Tränen auszubrechen. Weil ich einfach so aussehe wie ich aussehe. Wie dieses

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Schännieh Dunkelstrauch
Bildmaterialien: shutterstock Design Lars Rogmann
Lektorat: Aschure / Sissi Kaiserlos
Tag der Veröffentlichung: 02.08.2015
ISBN: 978-3-7396-0812-9

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