Gayles St.Georg Spezial
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.
Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
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Text: Sissi Kaiserlos
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Korrektur: Aschure/Caro Sodar
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Oliver schien nicht zu merken, dass sich sein neuer Kollege mehr und mehr in ihr Leben einnistete: Dr. Karsten Michelmann, Mitte vierzig, war charmant und scheu. Nick mochte den Mann, dennoch … er musste weg. Da half nur eines: Der Einsatz eines Experten. Yannis, Ex-Stripper und reifer Gelegenheitscallboy, sollte ihm aus der Patsche helfen.
~ * ~
„Schatz? Ich hab Karsten zum Essen eingeladen“, rief Oliver vom Flur her.
Der Satz genügte, um Nick mit den Zähnen knirschen zu lassen. Missmutig guckte er in den Ofen, regelte die Temperatur runter und prüfte anschließend mit einer Gabel, ob die Kartoffeln gar waren. Oliver kam in die Küche, umarmte ihn von hinten und raunte in sein Ohr: „Der arme Kerl hat doch sonst niemanden.“
Dr. Karsten Michelmann war vor zwei Monaten nach Hamburg gezogen, um seinen Dienst an der hiesigen Uni aufzunehmen. Er hielt Vorträge über Geographie und obwohl Oliver Germanist war, verstanden die zwei sich prächtig. Zu prächtig für Nicks Geschmack. Seitdem er selbst bei einem namhaften Verlag als Lektor angestellt war, sah er Oliver nur nach Feierabend. Davor hatten sie sich auch oft tagsüber , als er noch an der Universität dozierte, getroffen, doch es war nicht Nicks Ding für Studenten den Kasper zu geben. Nun hatte er einen Job, in dem er regelrecht aufging.
„Hallo Nick. Hoffe, ich störe nicht.“ Karsten betrat die Küche und guckte ihn schuldbewusst an.
„Nein, ist genug Essen für drei da.“ Sogar für sechs würde es langen. Wenn Nick einen Braten in den Ofen schob, dann langte der stets für mehrere Tage.
„Darf ich mal kurz eure Toilette benutzen?“ Der Kerl war hier schon fast zu Hause, kam ja schließlich mindestens dreimal die Woche, dennoch fragte er jedes Mal, was Nick rasend machte.
„Herrgott! Klar! Wir werden dich kaum fürs Pissen zum Nachbarn schicken“, fuhr er Karsten an.
Zwei Paar Augen starrten zurück, das eine anklagend, das andere irritiert.
„Nick? Alles klar mit dir?“, fragte Oliver leise.
„Sicher. Mein Tag war nur anstrengend und danach war ich schnell einkaufen, dann gleich an den Herd.“ Das klang ziemlich selbstmitleidig, das merkte Nick wohl.
Es war ja nicht so, dass er es nicht gern tat, aber eben nur für Oliver. Wenn er ein schönes Essen kochte, bekam er hinterher immer Dank in Form von geilem Sex, geflüsterten Liebesworten und manchmal … manchmal war Oliver dann so wild, dass sie es zweimal hintereinander trieben. Seit Karsten diesen Mahlzeiten beiwohnte, wurde es oft spät und war sein Mann hinterher zu müde, nicht in Stimmung oder hatte andere Ausreden parat, um ihr gewohntes Liebesspiel ausfallen zu lassen. Schon mehrfach hatte Nick frustriert in der Dunkelheit Olivers tiefen Atemzügen gelauscht und sich gefragt, ob er etwas falsch interpretierte. Ob er vielleicht Gespenster sah, wo keine waren. Oliver war treu und liebte ihn, das stand außer Frage. Immerhin waren sie verheiratet und er wusste, dass ein Oliver Medler so einen Treueschwur sehr ernst nahm. Er selbst natürlich auch. Es gab ohnehin keinen Mann, der neben Oliver bestehen konnte.
„Ich geh dann mal … pissen“, meldete sich Karsten leise zu Wort.
Allein, dass der Kerl ständig so leise redete, kotzte Nick schon wieder an. Konnte der Mann nicht normal sprechen? Vor den Studenten musste er doch auch die Stimme erheben. Ihm war klar, dass, egal was Karsten tat, ihn mittlerweile alles aufregte und störte. Dabei war Dr. Michelmann durchaus ein sympathischer Mensch. Anfangs hatte Nick ihn sogar sehr gern gemocht, aber inzwischen …
„Nick? Küss mich“, flüsterte Oliver und hob sich auf Zehenspitzen.
Er nahm dem Professor die Brille von der Nase, warf sie achtlos auf die Arbeitsfläche und umfasste ihn am Hinterkopf. Trotz der Essensgerüche konnte er Olivers ureigenen Duft sofort riechen, als er die Lippen auf den warmen, festen Gegenstücken parkte. Kurz war er versucht, den Prof mit einem kurzen Kuss abzuspeisen, doch dann packte ihn mit scharfen Krallen die Leidenschaft. Er eroberte Olivers Mund, tanzte mit dessen Zunge und war so frech, eine Hand tiefer wandern zu lassen. Herrlich fest und rund lag eine Arschbacke in seiner Hand. Er griff hart zu, riss Oliver ganz an seinen Körper und zeigte ihm, wie hoch die Wogen der Erregung schlugen. Sehnsüchtig presste er seinen steifen Schwanz gegen Olivers Mitte und imitierte dabei Fickbewegungen mit der Zunge. Nur das Überkochen des Kartoffelwassers hinderte ihn daran, den geilen Kerl gleich auf dem Küchentisch flachzulegen. Geschähe Karsten nur recht sie beim Sex zu erwischen.
„Himmel noch eins, Nick“, ächzte Oliver in seinem Rücken, während er den Topf vom Herd schob und die Platte abstellte. „Du bist ja eine Urgewalt.“
„Hört, hört“, murmelte er leicht atemlos.
„Du bist sauer“, konstatierte Oliver. „Bitte, Schatz. Karsten ist echt nett und hat doch niemanden. Sicher wird er bald Anschluss finden. Will ihm nur den Einstieg erleichtern.“
Klar! Indem du ihn fast jeden Abend hier anschleppst. Ist ja auch mächtig viel los in unserer Hütte. Da kann er massenweise Leute kennenlernen. Nick dachte diese Worte nur und sprach sie lieber nicht laut aus. Grimmig stach er mit der Gabel in den Brokkoli, stellte fest, dass der inzwischen mehr als al dente war, und goss das Wasser ab. Blieb nur noch die Soße.
„Ich brauche ein paar Minuten für die Bratensoße. Kümmerst du dich um den Tisch?“ Stolz stellte er fest, dass seine Stimme gelassen klang.
„Natürlich. Danke, mein Engel.“ Oliver strich ihm über den Arm, küsste ihn auf die Wange und verließ die Küche, wobei er etwas steif ging. Geschah ihm nur recht. Nick hatte selbst einen Ständer und wusste, wie es dem Prof gehen musste. Er grinste hämisch, holte den Braten aus dem Ofen und goss den Sud in einen Topf.
„… und ich verstehe echt nicht, dass niemand – und ich sage niemand – je darauf hinwies, wie gefährdet diese Region ist“, dozierte Karsten.
Nick gähnte, guckte auf die Uhr und linste zu Oliver, der wie gebannt den Ausführungen lauschte. Wieder einmal redeten die beiden an ihm vorbei. Er interessierte sich zwar auch für allerlei Dinge, das brachte schon sein Job mit sich, jedoch eher in anderer Sichtweise. Es ging ihm eher um zwischenmenschliche Beziehungen, statt um Fakten. Klar, dass Nepal in Schutt und Asche versunken war, stellte eine Katastrophe dar, aber doch wohl eher für die Menschen, die es getroffen hatte. Die Kulturgüter … Himmel Herrgott! Hatten die Gefühle? Er jedenfalls hatte welche und im Moment waren die ziemlich düsterer Natur. Inzwischen war es halb elf und es sah nicht danach aus, dass seine beiden Tischgenossen bald zum Ende kamen.
„Ihr kommt wohl allein klar.“ Er stand auf.
„Öhm. Ich denke, ich geh mal“, murmelte Karsten.
„Quatsch. Bleib ruhig noch. Nick?“ Oliver sah zu ihm auf und blinzelte. Wenn der Prof das tat, schmolz sein Herz zu einem Berg klebriger Zuckerwatte zusammen. Wie sehr er Oliver doch liebte, gerade wegen dessen sozialen Engagements. Er brauchte nur an Juri denken, den der Professor von der Straße geholt hatte, schon verflog die angestaute Wut. Juri war zu einer Art Pflegesohn geworden und lebte inzwischen in trauter Gemeinschaft mit Byron. Wider Erwarten waren die beiden trotz des Altersunterschieds sehr glücklich.
„Schon okay“, brummelte er, nahm sein Glas mit in die Küche und stellte es in die Spüle.
Wenigstens half Karsten immer dabei den Tisch zu decken und wieder abzuräumen. Ein schaler Trost, der im Moment nichts daran änderte, dass er allein ins Bett musste. Als er etwas später unter der Decke lag, konnte er Wortfetzen aus dem Wohnzimmer vernehmen. Die beiden redeten noch eine Weile, dann wurde es im Flur lauter und endlich klappte die Wohnungstür. Gleich darauf rauschte Wasser im Bad und eine gefühlte Ewigkeit später kroch Oliver neben ihm ins Bett.
„Nick? Schläfst du?“
Schon aus Rache stellte er sich schlafend.
„Schade“, flüsterte Oliver. „Bin verdammt scharf.“
Schwupps!, war er sofort angeblich erwacht, machte die Augen auf und tat so, als wenn er den Prof erst jetzt wahrnahm. „Oh. Du bist da. Wie schön.“
„Ich liebe dich“, nuschelte Oliver. „Wollte dich nicht wecken.“
„Hm. Hab von dir geträumt. Fühl mal.“ Er schnappte sich Olivers Hand, packte sie auf sein halbsteifes Glied und spitzte die Lippen für einen Kuss.
„Nick!“ Das kam sehnsüchtig und die Finger, die an seinem Schwanz herumtasteten, bewiesen in ihrem Eifer, dass Oliver echt ganz schön spitz war. Nick bekam seinen Kuss und einen Fick der Superlative. Der Professor ritt ihn, als hinge sein Leben davon ab und dass dabei sein dickes, hartes Geschlecht immer wieder gegen die flache Bauchdecke dengelte, war megageil anzuschauen. Nick konnte sich an seinem Mann nicht sattsehen. Am liebsten hätte er das Liebesspiel ewig ausgedehnt, aber dafür langte seine Geduld nicht. Er umfasste Olivers Hüften und trieb ihn in immer schnellerem Tempo auf seinen ungeduldigen Schwanz. Die Welt explodierte und das raue Stöhnen Olivers, das verriet, dass er zugleich den Gipfel erreichte, war die Krönung dieser wunderschönen Vereinigung.
Schlaff fiel der Professor nach vorn und blieb keuchend auf seiner Brust liegen. Nick liebte es, das Gewicht des leichten Körpers ganz zu spüren. Ohne Zweifel: Auch nach sechs Jahren war der Funke nicht erloschen. Morgen musste er unbedingt darüber nachdenken, wie Karstens ständige Besuche auf ein gesundes Maß zu reduzieren waren. Er wollte zum einen mehr Zeit mit Oliver verbringen, zum anderen nervten die langweiligen Gespräche. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass sich Karsten nach und nach in seinen Mann verliebte. Diese verstohlenen Blicke und heimlichen Berührungen, mal am Arm, mal an der Schulter. Er konnte Karsten verstehen, war er doch selbst immer noch von Oliver fasziniert.
Sein süßer Professor! Niemand – auch kein Dr. Michelmann – würde ihm diesen Schatz abluchsen!
„Liebe dich, Professorchen“, murmelte er schläfrig und drehte sie beide auf die Seite.
Von Oliver kam nur noch ein zufriedenes Schmatzen mit geschlossen Augen.
Morgens standen sie immer zusammen auf, selbst wenn Oliver erst später zur Uni musste. Sie frühstückten gemeinsam, anschließend fuhr Nick zur Arbeit. Während er im Bus saß, grübelte er über eine Lösung für das Problem Karsten, den sein Mann für den nächsten Tag erneut zum Essen eingeladen hatte. Im Prinzip gab es nur eine, nämlich dem Mann einen Partner zu verpassen, aber wo sollte der herkommen? Im Geiste ging Nick seinen Bekanntenkreis durch. Dank seiner Karriere im Pulverkasten kannte er viele Leute, hauptsächlich Stripper, die, wie er, inzwischen diesen Job aufgegeben hatten. Viele von ihnen waren mittlerweile nicht mehr solo. Er zückte sein Smartphone und rief die Adressliste auf. Kurz bevor er aussteigen musste, stieß er auf einen Namen, der seine Augen freudig auffunkeln ließ: Yannis.
Yannis Marschner, Anfang vierzig, groß, kräftig und – soweit Nick wusste – Gelegenheitscallboy. Sie hatten sich ewig nicht gesehen. Er verließ den Bus, legte die paar Meter bis zum Verlagsgebäude zurück und betrat die Empfangshalle. In seinem Büro angekommen, ließ er sich in den Sessel hinterm Schreibtisch fallen und wählte Yannis‘ Nummer. Es ging nur die Mailbox dran. Nick hinterließ eine Nachricht und legte wieder auf. Wenn er sich recht entsann, war Yannis im wahren Leben Klempner. Vielleicht rief er ja in der Mittagspause zurück. Nick konnte es gar nicht erwarten seinen Plan auszuführen.
Wie erhofft meldete sich Yannis gegen zwölf. „Mensch, Nick, wir haben uns ja seit einer Ewigkeit nicht gehört. Was treibst du so?“
„Bin jetzt Lektor. Der Zirkus an der Uni gefiel mir nicht mehr. Hier herrscht den ganzen Tag Ruhe, keine nervigen Studenten und ich kann mir meinen Kram einteilen, wie ich mag.“
„Sollte ich neidisch werden?“ Yannis lachte.
„Kommt drauf an, ob du gern liest.“
„Nur Comics. Okay, ab und zu ein richtiges Buch. Wo brennt’s denn?“
Nick schilderte seine häusliche Situation und rückte dann mit seinem Plan raus. Na ja, es war eher eine Idee. Yannis sollte Karsten anflirten, ihn ein bisschen durch die Clubs schleifen und dafür sorgen, dass er Kontakte fand. Sein Freund war genau der Richtige dafür. Er kannte Hinz und Kunz, war eine Stimmungsbombe und sogar kulturell interessiert.
„Ich soll also diesen Doktor von deinem Gatten fernhalten, richtig?“, präzisierte Yannis.
„Genau. Und mich vor seinen Vorträgen retten.“
„Okay. Das kostet aber was.“
„Ich weiß, dass du jeden Cent wert bist.“ Nick seufzte. „Oh Mann, wenn ich an deine Auftritte im Pulverkasten denke … Du warst einer der Besten.“
„Alter Schmeichler. Allerdings ist mir nie ein so geiler Professor wie deiner hinterhergelaufen.“
„Vielleicht gefällt dir Karsten.“
„Das hoffe ich doch. Ohne Sympathie geht gar nichts.“
„Okay. Dann kommst du also morgen Abend gegen sieben vorbei? Ich koche auch was Leckeres.“
„Wer könnte da nein sagen? Nick Schumanns Kochkünste sind legendär. Ich erinnere mich noch an das Chili, das du … lass mich überlegen, vor fünf Jahren zu Ollies Geburtstag fabriziert hast.“
„Du hast ein Gedächtnis wie ein Elefant.“
„Dann bis morgen, Sunnyboy.“ Yannis legte auf.
Nick überlegte kurz, ob er Oliver in seinen Plan einweihen sollte, ließ es aber lieber sein. So, wie er seinen Mann einschätzte, würde der dabei nicht mitmachen wollen. Einmal war so etwas Ähnliches schon fast in die Hose gegangen, als sie einem anderen Kollegen von Oliver, Duncan, helfen wollten, mehr Erfolg bei seinen Vorlesungen zu haben. Damals sorgte sein vorlautes Mundwerk dafür, dass die Beziehung zwischen Duncan und Kosta beinahe scheiterte. Diesmal würde er auf der Hut sein, nahm Nick sich vor.
Eigentlich war Yannis nicht mehr als Callboy tätig. Er war das Gewerbe leid, genauso wie schnellen Sex. Insgeheim hoffte er, irgendwann ebensolches Glück wie Nick zu haben und den Richtigen zu finden. Manchmal zog er noch durch Clubs, allerdings nur, um Freunde zu treffen und ein bisschen abzufeiern. Dem Darkroom blieb er fern und seiner Hand treu. Mittlerweile zählte er eh zum Alteisen und bekam nur noch selten Angebote.
Die Sache mit diesem Doktor-Freund von Oliver reizte ihn jedoch. Vielleicht war der Kerl ganz nett und sie konnten ein paar schöne Dinge zusammen unternehmen. Zum Beispiel in die Oper gehen. Yannis war Ballettfan, hatte aber niemanden als Begleitung. Außerdem liebte er die Natur, verbrachte im Sommer gerne das Wochenende an einem kleinen See nördlich von Hamburg. Er würde sich diesen Dr. Karsten Michelmann mal genauer anschauen und dann entscheiden, ob er Nick helfen konnte.
Yannis beendete seine Mittagspause und kehrte auf die Baustelle zurück. Zusammen mit zwei Kollegen war er seit einer Woche in einem Neubau tätig, wo sie für die Installationen in Bädern und Küchen zuständig waren. Er mochte solche Großaufträge lieber als den Kleinkram. Man hatte nicht ständig irgendeinen Wohnungs- beziehungsweise Hausbesitzer im Nacken, der auf die Uhr guckte und einen damit nervös machte. Am meisten hasste er verstopfte Toiletten. Wie wohl dieser Doktor zu einem so schmutzigen Beruf wie dem seinen stand? Einige der promovierten Herrschaften besaßen genug Standesdünkel, um ihm nicht mal die Hand schütteln zu wollen. Nur wenn bei ihnen die Kacke – im wahrsten Sinne des Wortes – am Dampfen war, ließen sie sich dazu herab.
Am nächsten Abend stand er vor einem Kleidungsproblem. Sollte er sich in Schale werfen? Das erschien ihm für ein privates Essen zu overdressed, daher entschied er sich letztendlich für Jeans und ein weißes Hemd, das er offen über einem grauen T-Shirt trug. Während er vor dem Spiegel posierte und die ungebärdigen Haare frisierte, betrachtete er sein Gesicht und besonders kritisch die Fältchen in den Augenwinkeln. Man sah ihm sein Alter inzwischen an, aber er hatte keine Lust es zu verbergen. Er war kein Schummelpaket und wollte so genommen werden, wie er war. Wenn er nicht gefiel – Scheiß drauf.
Da er um die Parkplatznot an der Außenalster wusste, nahm er den Bus. Es waren nur wenige Stationen bis Barmbek Süd, wo Oliver und Nick in einer schicken Altbauwohnung lebten. Um Viertel vor sieben erreichte er das Haus, läutete und musste einen Moment warten, bis der Türöffner summte. Gemächlich stieg er die Stufen in den dritten Stock hoch und wurde von Nick, der in der offenen Tür stand, empfangen.
„Hey, Alter. Hast dich gut gehalten.“
„Blödmann.“ Er umarmte den frechen Kerl. „Riecht gut“, meinte er, während er Nick in den geräumigen Flur folgte. „Was gibt es denn?“
„Entenkeulen mit Orangensoße, dazu Reis und buntes Gemüse.“
„Wo ist Oliver?“
„Er arbeitet noch.“ Nick wies auf eine geschlossene Tür.
„Scheint kein Zuckerschlecken als Dozent an der Uni zu sein.“
„Frag mich mal. Hab nicht umsonst gewechselt. Komm mit in die Küche, da können wir in Ruhe quatschen, während ich die Soße zubereite.“
„Weiß er, dass ich komme?“
„Nö.“
Yannis setzte sich auf einen Stuhl und sah Nick zu, wie der Orangen auspresste. Unwillkürlich musste er an die geile Zeit im Pulverkasten zurückdenken. Sie waren alle mit den Jahren ganz schön bieder geworden. Ein paar Mal hatte Yannis den Club noch besucht, nachdem er das Strippen aufgab, doch es änderte sich dort so viel und neue Kollegen gaben sich die Klinke in die Hand, so dass er es irgendwann ließ. Seitdem sah man sich nur auf Partys, die mittlerweile auch zur Seltenheit verkamen. Es läutete an der Tür.
„Machst du auf? Kann gerade nicht.“ Nick rührte mit einem Quirl im Topf herum und warf ihm über die Schulter einen bittenden Blick zu.
„Kein Problem.“ Yannis sprang auf, fand rasch den Knopf, mit dem er die Haustür öffnen konnte, und machte anschließend die Wohnungstür auf. Neugierig linste er ins Treppenhaus, hörte Schritte und sah bald darauf einen braunhaarigen Mann die Stufen heraufkommen. Der Typ war schmal und hatte ein hübsches Gesicht. Als er Yannis entdeckte, runzelte er die Stirn.
„Hi, ich bin Yannis. Nick ist in der Küche unabkömmlich.“
„Angenehm. Michelmann, Karsten.“ Der Mann reichte ihm die Hand.
„Freut mich auch, Michelmann, Karsten.“ Yannis grinste breit und schlug ein. Der Druck war warm und angenehm.
„Tut mir leid. Das ist eine doofe Angewohnheit. Ich war lange in München an der Uni.“
„Schon okay. Wir haben alle unsere lieben kleinen Macken, nicht wahr?“ Er ließ Karsten vorbei und schloss die Tür.
„Arbeitest du auch an der Universität?“ Er wurde unauffällig gemustert, allerdings nicht verstohlen genug, um das nicht mitzubekommen.
„Nein. Ich bin Klempner. Gas, Wasser, Scheiße.“
„Schöner Beruf. Ich hab zwei linke Hände.“ Karsten schmunzelte und hielt selbige hoch. Sie waren schmal und die Finger lang.
In diesem Moment sprang die Tür zu Olivers Arbeitszimmer
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sissi Kaiserlos
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Lektorat: Caro Sodar/Aschure
Tag der Veröffentlichung: 26.06.2015
ISBN: 978-3-7396-0336-0
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Jacky.