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Amrum ist gut fürs Herz 2

Amrum ist gut fürs Herz 2


Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.


Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.


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Text: Sissi Kaiserlos


Foto von shutterstock


Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/


Das steinerne Herz


Daniel fährt nach Amrum, dummerweise, ohne vorher ein Quartier zu mieten. Es sind Frühjahrsferien und alle erschwinglichen Unterkünfte ausgebucht. Bis auf die von Hans Peter Hansen. Das hat einen guten Grund.

~ * ~


1.

Es war Frühling, dennoch wehte Daniel ein kalter Wind ins Gesicht. Zerrissene Wolken zogen über den Himmel und verdeckten immer wieder die Sonne. Zusammen mit vielen anderen Passagieren verließ er die Fähre und überlegte wohl zum hundertsten Mal, wieso er ausgerechnet die Frühjahrsferien zweier Bundesländer gewählt hatte, um diese Kurzreise zu unternehmen. Als Rentner war man wohl weit von weltlichen Dingen entfernt oder schlicht und ergreifend zu blöde, sich die nötigen Informationen zu beschaffen. Dabei hätte ein Blick ins Internet gereicht.

Auf dem Anleger zerstreute sich die Menge. Die einen stiegen in den wartenden Bus, viele andere, wie er auch, folgten der Straße. Daniel bekam allmählich Zweifel, dass er so einfach eine Unterkunft finden würde. Er beschleunigte seine Schritte, wobei der altersschwache Trolley an seinem Arm zog. Die Rollen waren nicht besonders groß und hakelten bei jeder Unebenheit. Als er den Reservierungsdienst erreichte, war er in Schweiß gebadet, trotz der kühlen Windböen.

Er betrat die Empfangshalle, ging auf den Tresen zu und war etwas beruhigt, da sich außer ihm kein anderer Tourist hier aufhielt. Die freundlich lächelnde Dame, eine Frau Johansen, wie das Namensschild an ihrem Pulli verriet, sah zu ihm hoch.

„Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich brauche eine Unterkunft für zwei Nächte.“

„Welche Preiskategorie?“

„Möglichst günstig.“ Daniel bekam nur eine kleine Frührente, daher konnte er sich keine großen Sprünge leisten. Im Grunde war selbst diese Reise nicht drin, aber er musste einfach mal raus.

Frau Johansen wiegte den Kopf, während sie auf ihren Monitor starrte. Schließlich schaute sie mit einem bedauernden Lächeln wieder auf. „Die billigen Unterkünfte sind alle belegt. Ich hätte nur einige Hotelzimmer, die ich Ihnen anbieten könnte. Allerdings befinden sich die im oberen Preissegment.“

Also konnte er gleich wieder abreisen. Wieso musste er auch spontan losfahren? Daniel verstand sich selbst nicht mehr. Enttäuscht murmelte er ‚Danke‘ und wandte sich zum Gehen, allerdings kam er nicht weit. „Moment. Ich hätte da noch ein Zimmer in einem Privathaus. Wenn Sie es rustikal mögen …“

Rustikal? Klo auf dem Gang? Undichtes Dach? Daniel drehte sich um, die Augenbrauen fragend hochgezogen. „Das Zimmer hat kein eigenes Bad“, erklärte die Frau. „Sie müssen es sich mit dem Vermieter teilen. Dafür kostet es nur 40 Euro.“

Das war sagenhaft günstig. Daniel war es egal, mit wie vielen Leuten er sich das Bad teilen musste, schließlich wollte er sich dort nicht lange aufhalten. Hauptsache er hatte ein Dach über dem Kopf. „Wunderbar. Adresse?“

Frau Johansen tippte auf ihrer Tastatur herum, sprang auf und ging zu einem Drucker, der in der hinteren Ecke stand. Mit einem Blatt Papier in der Hand kehrte sie zurück, schob es über den Tresen und meinte: „Ich werde den Vermieter gleich informieren, dass Sie auf dem Weg sind.“

Das nannte Daniel mal guten Service. Er bedankte sich höflich, verließ das Gebäude und orientierte sich kurz. Es war nicht das erste Mal, dass er auf Amrum war, allerdings war sein letzter Aufenthalt einige Jahrzehnte her. Als Heranwachsender hatte er einen Sommer in der Jugendherberge verbracht. Seitdem war viel gebaut und verändert worden, dennoch fand er den Weg zu der Adresse problemlos.

Das Häuschen wirkte von außen winzig. Eine Klingel suchte er vergeblich, daher klopfte er schließlich gegen die Tür. Nach einer Weile wurde sie geöffnet und die Welt blieb stehen. Sturmgraue Augen guckten ihn aus einem wettergegerbten Gesicht an. Die braunen Haare waren von silbernen Fäden durchwirkt. Volle Lippen, darüber eine grade Nase. Daniel wusste sofort, dass sie am gleichen Ufer fischten. Interesse blitzte in den grauen Tiefen auf, während der Mann ihn eingehend musterte.

„Ich bin Daniel Morgenstern. Frau Johansen hat Sie hoffentlich informiert.“ Ein Wunder, dass seine Stimme überhaupt gehorchte. Daniel war wie elektrisiert.

„Hat sie. Hape Hansen. Kommen Sie rein.“ Der Mann trat beiseite.

Auch innen erwies sich das Haus als übersichtlich. Der Flur war so eng, dass Daniel beim Eintreten Hape Hansen streifte, was das merkwürdig kribbelnde Gefühl in seinem Bauch noch verstärkte.

„Geradeaus“, brummelte Hansen, schloss die Tür und wieder berührten sich ihre Arme, als der Mann sich an ihm vorbei drängte.

Bei dem Versuch zu folgen, kollidierte Daniels Trolley mit einer Kommode. Verlegen packte er den Koffer am Griff und trug ihn die wenigen Meter. Das Ding war verflucht schwer und schlug ihm gegen die Beine, während er hinter Hansen her in ein Zimmer ging. Gleich hinter der Tür stellte er das Gepäck ab und sah sich um. Der Raum wirkte, als würde es sich um das private Schlafzimmer Hansens handeln. Die Möbel waren alt, oder auch antik, je nach Betrachtungswinkel und der Boden war mit dicker Auslegeware bedeckt. An den Wänden hingen Drucke mit Inselmotiven, vor den Fenstern grau-blaue Gardinen aus schwerem Stoff. Davor befand sich ein Sekretär mit Stuhl. Ansonsten gab es einen zweitürigen Kleiderschrank, ein breites Bett, einen Nachttisch und eine Kommode.

Normalerweise waren Ferienwohnungen oder Pensionszimmer mit dem üblichen Ikea-Schick ausgestattet, zumindest nach Daniels Erfahrung. Das hier entsprach so gar nicht seinen Vorstellungen eines Gastzimmers. Oder handelte es sich um das private Gästezimmer Hansens?

„Gefällt’s?“ Wieder musterten ihn die grauen Augen von oben bis unten.

„Mhm. Wo ist das Bad?“

„Erste Tür links.“ Hansen machte eine Handbewegung in die entsprechende Richtung.

„Gut. Vorkasse, oder kann ich später zahlen?“

„Später.“ Sein Gastgeber ging zur Tür und blieb kurz in deren Rahmen stehen. „Die Haustür ist immer offen, daher brauchen Sie keinen Schlüssel. Ich bin im Garten, falls Sie noch Fragen haben.“ Hansen drehte sich um und ließ ihn allein.

Daniel lauschte einen Moment, bis er die Haustür zufallen hörte. Erst dann wagte er die Tür seines Zimmers zu schließen und sich in Ruhe umzusehen. Der Schrank war leer, genau wie Kommode und Nachttisch. Was hatte er auch erwartet? In der Schublade des Sekretärs lagen ein paar Stifte und ein Block. Durchs Fenster hatte er einen netten Ausblick in den Garten und entdeckte Hansen, der gerade eine Schubkarre mit Holzscheiten den Weg entlang schob. Die Ärmel seines karierten Wollhemds waren hochgekrempelt, so dass Daniel die kräftigen Unterarme sehen konnte. Er wich zurück, als Hansen in seine Richtung guckte, schließlich wollte er nicht beim Spannen ertappt werden.

Der Koffer war rasch ausgepackt, anschließend inspizierte Daniel das Bad. Entgegen dem Flur und seinem Zimmer war es modern ausgestattet und schien frisch renoviert zu sein. Daniel legte seinen Kulturbeutel auf ein Regal neben dem Waschbecken. Es war merkwürdig, in die Privatsphäre Hansens einzudringen. Überall standen persönliche Gegenstände des Hausherrn herum. Er griff nach einem Fläschchen Rasierwasser, schraubte den Deckel ab und schnupperte daran. Moschus! Das Zeug gefiel ihm. Schnell stellte er es wieder weg, suchte die Tür nach einem Schlüssel ab und fand keinen. Was für die Haustür galt, schien auch für drinnen zu gelten. Besonders angenehm war Daniel das nicht, aber er würde den Teufel tun und Hansen um einen Schlüssel bitten. Was waren schon zwei Nächte?

Inzwischen hatte sich draußen die Sonne durchgesetzt. Daniel schnappte sich seinen Rucksack und verließ das Haus in Richtung Supermarkt. Ein paar Lebensmittel hatte er eingepackt, da er gedachte sich selbst zu beköstigen. Restaurantbesuche belasteten unnötig sein Budget, außerdem hasste er es, allein in einem Lokal herumzusitzen. Nun fehlten ihm nur Getränke und ein bisschen frisches Obst.

Schwer beladen kehrte er zu Hansens Haus zurück. Vier Flaschen Wasser, ein Sixpack Bier und eine Tüte Äpfel und Bananen landeten auf dem Sekretär. Eine Trinkportion Eistee ließ er im Rucksack, stopfte eine Regenjacke dazu und schon war er wieder an der frischen Luft. Hansen konnte er nirgendwo entdecken. Der Großteil des Gartens erstreckte sich hinter dem Gebäude, weshalb er ihn dort vermutete. Daniel schulterte den Rucksack und wandte sich nach links, in Richtung Strand.

Eine Weile wanderte er an der Straße entlang, bis er über eine Treppe die Promenade erreichen konnte. War die Temperatur eben noch angenehm mild gewesen, sorgte hier ein kräftiger Wind für kalte Ohren. Daniel schlug den Kragen hoch, steckte seine Hände in die Jackentaschen und marschierte los. Ständig kamen ihm andere Touristen entgegen, was ihn irgendwann so nervte, dass er auf den Sand auswich. Er stapfte näher zum Wasser, wo der Boden fester war und das Gehen erleichterte. Vereinzelt lagen Ansammlungen von Muscheln mit Tang vermischt herum. Aus reiner Neugierde inspizierte er diese Häufchen und fand allerlei hübsche Schneckenhäuser und Muscheln. Mit jedem Fund wuchs seine Begeisterung fürs Sammeln. Ein herzförmiger Stein wanderte in das Tütchen mit den Muscheln, außerdem einige topasfarbene Splitter, die er für Bernstein hielt.

Auf diese Weise wanderte er immer weiter, den Blick auf den Boden gerichtet. Nur selten kam ihm jemand entgegen oder überholte ihn. Irgendwann hatte Daniel genug, schaute sich um und entdeckte den Leuchtturm. Er war verdammt weit gelaufen, ohne es zu bemerken. Ein Blick auf das Display seines Handys verriet ihm, dass es bereits nach sieben war. Kaum zu glauben, dass er über drei Stunden mit Muschelsammeln verbracht hatte.

Daniel wandte sich den Dünen zu. Auf halber Strecke überraschte ihn ein Schauer. Rasch kramte er die Regenjacke hervor und schlüpfte hinein. Der Wind nahm zu, zum Glück kam er von hinten und trieb ihn regelrecht über den Strand. Auf diese Weise erreichte er schnell den Bohlenweg, auf dem er besser laufen konnte, als in dem tiefen Sand. Die dünne Jacke hielt dem Regen nicht lange stand und schon bald war er komplett durchnässt. Daniel atmete auf, als er nach einem strammen Marsch Hansens Häuschen erblickte. Ihm war zwar nicht kalt, dank der Bewegung, doch die nassen Sachen klebten unangenehm.

Er trat in den engen Flur und blieb einen Moment atemlos auf der Fußmatte stehen. Unschlüssig sah er an sich runter. Es wäre das Beste, wenn er sich gleich hier auszöge, aber das konnte er wohl kaum tun. Vorsichtig schälte er sich aus der Regenjacke, als Hansen seinen Kopf durch eine Tür zur Linken steckte.

„Nass geworden?“

Klang das ironisch? Daniel zuckte die Achseln. „Ein bisschen.“

„Ich hab einen Trockner. Sie können die Klamotten da vorn liegenlassen, dann stopfe ich sie gleich in die Trommel.“ Hansens Kopf verschwand.

Nettes Angebot. Daniel stieg aus den Schuhen, streifte alles, bis auf Shorts und T-Shirt ab und ließ die Sachen auf der Matte liegen. Barfuß ging er ins Bad und zog dort den Rest aus, bevor er in die Wanne kletterte und den Duschvorhang schloss. Das heiße Wasser war eine Wohltat, dennoch beeilte er sich mit dem Waschen und stellte hinterher zähneknirschend fest, dass er vergessen hatte ein Handtuch bereitzulegen. Nackt über den Flur huschen war eine Option, nass in die Sachen steigen die andere. Daniel entschied sich für erstere, raffte die Klamotten hoch und hielt sie vor seine Scham, während er rasch in sein Zimmer schlüpfte. Dass Hansen gerade im Flur stand und dabei seinen Hintern sehen konnte, war ihm überaus peinlich. Andererseits … es war bestimmt nicht der erste nackte Arsch, den der Mann anguckte. So what?



2.

In trockenen Sachen fühlte Daniel sich gleich wohler. Sein Magen knurrte. Mittags hatte er eine selbstgeschmierte Stulle verspeist und seitdem nur einen Müsliriegel gegessen. Zeit fürs Abendbrot. Er räumte den Sekretär ab, holte Campinggeschirr aus dem Schrank und einige Lebensmittel. Es passte knapp alles auf die kleine Fläche. Eigentlich kein übler Platz zum Speisen. Daniel hatte einen vorzüglichen Blick in den Garten, während er an seinem Käsebrot kaute. Nach der Schnitte folgte ein Apfel, dann war er pappsatt. Er öffnete ein Bier, lehnte sich zurück und guckte sinnend nach draußen. Schade, dass er sein Notebook zu Hause gelassen hatte, wobei er anzweifelte, dass ein Typ wie Hansen einen Internetanschluss besaß. Wie sollte er die Zeit bis zum Schlafengehen verbringen? Wieder rausgehen war ausgeschlossen, es regnete immer noch in Strömen. Blieb also nur lesen.

Daniel verstaute Essen und Geschirr wieder im Schrank, dabei überlegte er, ob er Hansens Küche benutzen durfte. Besteck und Teller hatte er zwar abgewischt, dennoch verblieb ein schmieriger Film auf den Sachen. Er könnte das Geschirr im Waschbecken des Bades spülen, hatte aber kein Abwaschmittel dabei. Morgen würde er Hansen fragen. Mit der halbleeren Flasche Bier machte er es sich auf dem Bett bequem. Die Wäsche duftete nach Weichspüler und war wunderbar kuschlig. Er knipste die Nachttischleuchte an, klappte sein Buch auf, war aber mit den Gedanken ganz woanders. Was war Hansen für ein Typ? Gab es hier auf der Insel Möglichkeiten andere Schwule zu treffen? Oder führte er eine Fernbeziehung zu einem Mann am Festland? Hansen war sexy und Daniel brauchte sich den Kerl nur bildlich vorzustellen, um wieder dieses Kribbeln zu spüren. Er starrte ins Leere, dabei trank er ab und zu einen Schluck Pils.

Sein eigenes Leben sah ziemlich trist aus. Es gab keinen Partner, geschweige denn überhaupt Sex. Daniel mochte keine Clubs, außerdem fühlte er sich mit seinen 47 zu alt dafür. Seine Kontakte hatte er sich bislang im Internet gesucht, aber irgendwann ging ihm die Lust aus. Simpler Sex ohne Gefühle gab ihm nichts, dann doch lieber die eigene vertraute Faust. Seufzend versuchte er seine Aufmerksamkeit auf das Buch zu lenken, doch leider vergeblich. Hansen war spannender als der Krimi.

Er leerte die Flasche, schwang die Beine aus dem Bett und wollte gerade aufstehen, als an die Tür geklopft wurde. Das kam so unerwartet, dass er erschrocken zusammenzuckte. „Ja?“, rief er leise.

Die Zimmertür schwang auf und Hansen kam herein, einen Stapel Wäsche auf dem Arm und seinen Rucksack in der anderen Hand. „Wo soll ich das hinlegen?“

Daniel stellte die Flasche auf den Nachtschrank, sprang auf und nahm Hansen seine Klamotten ab. Der gleiche Duft wie aus der Bettwäsche stieg von ihnen auf. Anscheinend benutzte sein Gastgeber diese Tücher, die man der Wäsche im Trockner beifügen konnte. Nachdem er die Sachen auf dem Sekretär abgelegt hatte, streckte er die Hand nach dem Rucksack aus. Ihre Finger berührten sich. Ein Stromstoß jagte durch seinen Arm und runter, bis zu seiner Mitte. Daniel schoss Blut in die Wangen, als er die beginnende Erektion spürte.

„Danke“, krächzte er, plötzlich heiser vor Scham.

„Kein Problem.“ Hansen wandte sich um, ging zur Tür und verharrte dort. „Wenn du Langeweile hast, kannst du dich zu mir gesellen.“ Er guckte über die Schulter. „In der Glotze läuft zwar nichts Anständiges, aber ich hab ein paar Filme da.“

Der Übergang zum ‚Du‘ fiel Daniel gar nicht auf, dazu war er zu sehr mit seiner Libido beschäftigt. „Danke für das Angebot. Ich überleg’s mir.“ In seinem Zustand konnte er nirgendwo hingehen.

„Mhm. Okay.“ Hapes Blick wanderte an ihm runter, verweilte kurz auf der Beule und ein Mundwinkel zuckte hoch. „Ich bin im Wohnzimmer.“ Er verließ das Zimmer.

Daniel brauchte eine Weile, bis sein Blut sich wieder abkühlte. Der Mann hatte eine unglaublich starke Wirkung auf ihn. Noch nie war seine Erregung so schnell aufgeflammt. Wie machte Hape das nur? Er ließ sich auf den Stuhl vorm Sekretär sinken, holte die Tüte mit den Muscheln aus dem Rucksack und leerte sie auf die Tischfläche. Der herzförmige Stein war vom Wasser wunderbar glatt geschliffen. Daniel nahm ihn in die Hand, rieb mit dem Daumen darüber und genoss die polierte Oberfläche. Sie fühlte sich fast wie Marmor an.

Sollte er Hapes Angebot annehmen? Da er selten vor Mitternacht ins Bett ging, blieben ihm noch über zwei Stunden Zeit totzuschlagen. Ob Hape morgen arbeiten musste? An einem Samstag? Auf einer Insel, die vom Tourismus lebte, nicht unwahrscheinlich. Daniel legte den Stein zu den Muscheln, schob alles zu einem Haufen zusammen und stand auf. Alles war besser, als allein hier herumzuhocken. Kurzentschlossen schnappte er sich zwei Bier und ging in den Flur. Aus einer halboffen stehenden Tür zu seiner Rechten drang ein Lichtstrahl. Daniel schob sie mit dem Fuß ganz auf, linste in den Raum und entdeckte Hape auf einer breiten Couch. Auch hier dominierten alte Möbel, jedoch aufgelockert durch modere Stücke. Im Hintergrund führte eine Wendeltreppe zu einem Loch in der Decke.

„Komm rein. Ach? Du hast deine Getränke selbst mitgebracht?“ Hape wies auf ein Bier, das vor ihm auf dem niedrigen Couchtisch stand.

„Ich wollte dich einladen. Wusste nicht, dass du selbst …“ Daniel kam sich gerade ziemlich dämlich vor.

„Ich bin unhöflich. Tut mir leid. Setz dich.“ Einladend klopfte Hape auf das Polster der Couch. „Ich duze dich und hab doch glatt deinen Namen vergessen.“

„Daniel.“ Komischer Vermieter, der Leute in sein Haus ließ und sich deren Namen nicht merkte. Daniel nahm Platz, stellte die Flaschen ab und guckte rüber zu dem riesigen Flachbildschirm, der gegenüber an der Wand hing.

„Wo kommst du her?“

„Hamburg.“

„Nette Stadt, mir aber zu groß.“

„Bin daran gewöhnt.“ Daniel griff nach einem Bier, ließ den Deckel aufplöppen und genehmigte sich einen Schluck. Sonst trank er eher selten, weshalb ihm der Alkohol bereits in den Kopf stieg. Oder war es Hapes Nähe? Ihm wurde jedenfalls ganz schön warm. Hoffentlich glühten seine Wangen nicht so heiß, wie sie sich anfühlten.

„Was arbeitest du so?“ Auch Hape griff nach seiner Flasche, zog ein Bein hoch und wandte sich ihm ganz zu. Während er trank, lag sein Blick neugierig auf Daniel. Anscheinend war er interessanter, als irgendwelche Filme. Schmeichelhaft, aber auch irgendwie beunruhigend.

„Bin Frührentner. Burnout. Ist aber schon fünf Jahre her. Inzwischen kann ich mich wieder länger als einige Minuten konzentrieren.“

„Autsch.“ Hape zog eine mitleidige Grimasse. „Muss ziemlich übel sein.“

„Oh ja, das war es.“ Im Moment wollte Daniel nicht an die schlimme Zeit zurückdenken. Konnte es auch gar nicht, dazu war er viel zu sehr auf Hape fixiert. Er duftete nach dem Zeug, an dem er im Bad gerochen hatte. Zusammen mit seinem eigenen Wohlgeruch absolut unwiderstehlich. Wollte Hape mit ihm ins Bett? Im Prinzip spräche nichts dagegen. Sie waren beide erwachsen und keine Jungfrauen mehr. Wenigstens ging Daniel in Hapes Fall davon aus.

„Ich war noch nie krank, bis auf ab und zu Schnupfen oder so. Arbeite beim Küstenschutz. Ständig an der frischen Luft.“ Hape lächelte verklärt. „Ich liebe meinen Job.“

„Deshalb siehst du aus wie ein Seebär.“

„Nette

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock
Tag der Veröffentlichung: 10.04.2015
ISBN: 978-3-7368-9026-8

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