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Männerliebe Sommermärchen

Männerliebe Sommermärchen

 

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

 

Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

 

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen nicht weiterveräußert werden. Bitte respektieren Sie die Arbeit der Autorin und erwerben eine legale Kopie. Danke!

 

 

Text: Sissi Kaiserlos

 

Foto von shutterstock – Design Lars Rogmann

 

 

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/

 

Flutschfinger

 

Niko hat ein Faible für Designerklamotten. Die Jagd nach Schnäppchen ist sein größtes Hobby, gleichzeitig ein bisschen Ersatzbefriedigung für sein brachliegendes Liebesleben. Da er sein ganzes Geld auf diese Weise verschleudert bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Urlaub daheim zu verbringen. Ein Glück, dass in der Nähe seiner vor einem Jahr bezogenen Wohnung ein Freibad liegt. Pech, dass dort ein Bademeister arbeitet, vor dem er sich zum Affen macht. Oder ist das auch ein Glücksfall?

~ * ~

 

1.

Fernab des Trubels lag Niko im Schatten der Bäume und blätterte gelangweilt in einem Buch. Es war brütend heiß in der Sonne, daher war er froh diesen Platz ergattert zu haben. Selbst unter den Schirmen war die Hitze kaum auszuhalten. Ein paar Grad weniger würden Niko schon gefallen. Jede Bewegung kostete Kraft und seine zarte Haut verbrannte schnell. Er hatte sich mit Lichtschutzfaktor 30 eingeschmiert, im Gesicht sogar mit Faktor 50.

Es war der erste Tag seines dreiwöchigen Sommerurlaubs, den er dank chronischer Geldknappheit daheim verbringen musste. Seine Leidenschaft für schicke Klamotten fraß das schmale Gehalt restlos auf. Eine Lösung wäre mehr Geld zu verdienen, die andere, die verflixte Shopperei sein zu lassen. Beides war schwer zu bewerkstelligen. Niko liebte den Job in dem kleinen Meisterbetrieb und seinen netten Chef. Was den Hang zu teurer Kleidung anging, konnte er eben einfach nicht widerstehen, wenn ein Designerstück zum reduzierten Preis angeboten wurde. Es gab schlimmere Obsessionen, wie zum Beispiel Drogenmissbrauch. Diesbezüglich war Niko gänzlich abstinent. Er rauchte nicht, trank nicht und um illegale Substanzen machte er einen weiten Bogen. Das ganze Zeug hätte eh nur seinem Teint geschadet.

Heute trug er eine Swim Pant von Armani in schwarz. Er hatte sie regulär für rund 60 Euro erworben. Das Badelaken, auf dem er lag, war von der gleichen Marke und kostete im Laden fast 100 Euro. Es war ein purer Glücksfall, dass er es im Internet entdeckte und für 80 erwerben konnte. Niko war stets auf der Suche nach Schnäppchen. Wenn er eines fand, überfluteten seinen Köper Glückhormone, wie er es sonst nur vom Sex her kannte. Es war also eine Art Ersatzbefriedigung, da er nur selten in den Genuss von Körperkontakt kam. Dazu war er zu schüchtern.

In unmittelbarer Nähe hatte sich vor einer Weile eine vierköpfige Familie niedergelassen. Die beiden Kleinkinder brabbelten unentwegt, was beim Lesen erheblich störte. Niko beschloss sich ein Eis zu gönnen und dabei ein bisschen Leute anzugucken. Er setzte seine dunkle Sonnenbrille (Gucci, 200 Euro regulär, für 180 bei Ebay ersteigert) auf, sammelte die Sachen zusammen und warf sich das Badelaken lässig über die Schulter. Die lederne Tasche von Armani trug er in der Hand, während er über die Liegewiese den Eisstand ansteuerte. Ein Nachteil seines Markenticks war, dass er die Sachen nirgendwo unbeaufsichtigt liegenlassen konnte. Vorhin hatte er sogar kurz über die Anschaffung eines billigen Schwimmbadsets nachgedacht, da er den gesamten Urlaub hier zu verbringen gedachte. So richtig dazu überwinden konnte er sich jedoch nicht.

Vor dem Eisladen stand eine meterlange Schlange. Niko hatte keinen Bock ewig in der prallen Sonne anzustehen und wandte sich in Richtung Schwimmbadhalle. Darin befand sich ein Kiosk, der Wassereis anbot. Dutzende Badegäste, die fettige Pommes oder Würstchen vor sich her trugen, kamen ihm entgegen. Es war kurz vor Mittag und der brave Deutsche pflegte um Punkt zwölf warm zu essen. Niko bevorzugte um diese Zeit einen leichten Snack, während er abends gern kochte. In der aktuellen Hitze war ihm sowieso nur nach Eis zumute.

Auch vor dem Kiosk war einiges los. Es stank nach Frittierfett und der Lärm, der aus der Halle drang, war ohrenbetäubend. Niko sehnte sich mit jeder vergehenden Minute mehr nach einer einsamen Insel, allerdings gäbe es dort kein Eis.

Als er endlich an der Reihe war, kaufte er einen Flutschfinger. Diese Eissorte war seit je her sein Liebling, schon allein wegen des Geschmacks, aber natürlich gefiel ihm auch die Form. Schnell verließ er die Halle und packte erst draußen das Eis aus. Im Vergleich zu drinnen erschien der Lärmpegel hier nahezu erträglich. Gemächlich wanderte er am Rand der Becken entlang, entdeckte eine freie Bank in der Nähe des Schwimmerbereichs und ließ sich darauf nieder.

Dank der dunklen Brille konnte er ungeniert glotzen. Ein paar ganz ansehnliche Kerle kamen vorbei, doch keiner von ihnen weckte sein Interesse. Selbst wenn es so wäre, hätte er nie gewagt den ersten Schritt zu tun. Seine bisherigen Bekanntschaften rührten nur daher, dass die Männer ihn angesprochen hatten. Niko seufzte frustriert und sah rüber zu dem Turm für das Badeaufsichtspersonal. Ihm stockte der Atem, als ein Kerl mit braunen Haaren in genau diesem Moment in seine Richtung guckte. Der Typ wirkte auf den ersten Blick sympathisch. Auf die Entfernung konnte er die Augenfarbe nicht genau erkennen, aber sie dürften braun sein. Jedenfalls waren sie sehr dunkel und sahen ihn direkt an.

Die Hitze musste sein Gehirn vernebelt haben. Niko tat etwas, was er sich mit wachem Verstand niemals getraut hätte: Er streckte die Zunge provozierend weit heraus und ließ sie an dem Eisfinger auf und ab wandern. Der Typ schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf. Auch Niko musste grinsen. Er benahm sich wirklich unmöglich, wie ein lüsterner Draufgänger, was er ja nun wirklich nicht war. Entschuldigend zuckte er die Achseln, wandte den Blick ab und betrachtete angelegentlich das Schwimmerbecken. Lange hielt er das allerdings nicht durch. Wie magisch angezogen musste er wieder den sexy Bademeister angucken. Der Typ hatte sich nicht von der Stelle bewegt, den Blick immer noch auf ihn gerichtet. Plötzlich steckte der Mann in obszöner Weise seine Zunge in die Wange. Schlagartig lief Niko rot an, raffte seine Sachen zusammen und verließ fluchtartig die Bank. Erst als er die Liegewiese erreichte und somit außer Sichtweite war, ging er langsamer. Der Kerl musste ihn nach der blöden Nummer mit dem Eis für verrückt halten. Anbaggern und dann feige abhauen. Was war er doch nur für ein Weichei.

Der Platz unter den Bäumen war zum Glück noch frei. Niko breitete sein Handtuch aus, holte das Buch hervor und steckte die Nase hinein, ohne ein einziges Wort zu verstehen. Die Situation von eben war ihm megapeinlich. Wieso, bitteschön, hatte er an dem blöden Eis rumgeschleckt, als wäre es der Schwanz des geilen Bademeisters? Niemals – niemals! – würde er sich trauen dem Kerl wieder unter die Augen zu treten. Am besten mied er das Schwimmbad für die nächsten 50 Jahre, oder für immer.

Nach einer Weile beruhigten sich seine Nerven. Niko begann zu lesen und da die Mutter mit den Kindern verschwunden war, gelang ihm das sogar. Nach einer Weile kehrte die Frau mit Anhang zurück und es wurde wieder laut, woraufhin seine Konzentration nachließ. Er packte den Schmöker weg, legte sich auf den Bauch und beobachtete das Treiben umher. Soziale Feldstudie nannte er es, wenn er andere Menschen angaffte und darüber nachdachte, welchen Job sie ausübten. Er selbst war Raumausstatter und fand, dass man ihm das schon ansah. Sein Körper mochte schmächtig sein, wies dabei aber Muskeln an den richtigen Stellen auf. Außerdem besaß er einen untrüglichen Geschmack, was Farben und Muster anging. Er war geschickt an der Nähmaschine, konnte mit Hammer und Nägeln umgehen und war ein Meister darin, einen Raum vor seinem inneren Auge komplett neu zu gestalten. Er liebte seinen Beruf über alles.

Träge ließ er den Blick über die Badegäste wandern. Ein vierschrötiger Kerl mit starker Behaarung auf dem Rücken geriet in sein Visier. Allein der Anblick schüttelte ihn innerlich. Nichts gegen Körperbehaarung, aber bitte an den richtigen Stellen und dezent, nicht in Form eines Affenpelzes. Bestimmt war auch der Hintern des Typen voller Wolle. Der Statur nach dürfte der Kerl Bauarbeiter sein oder einen anderen körperlich anstrengenden Job ausüben. Ein paar Schritte rechts von dem Mann lagen zwei Jugendliche. Ihre Körper waren schlank und als sich der eine auf den Rücken drehte, ruhte Nikos Blick einen Moment versonnen auf der Ausbuchtung in der Badehose. Nicht übel. Er seufzte und lenkte den Blick woanders hin.

Ein knutschendes Pärchen. Wie süß. Die beiden wirkten höllisch verliebt. Als nächstes betrachtete er einen Mann mit gebräunter Haut, die stark an gegerbtes Leder erinnerte. Der Typ war, nach seinem Hängearsch und grauen Haaren zu urteilen, nicht mehr jung. Nikos Blick wanderte über den schlanken Rücken, wobei ihm der Mann irgendwie bekannt vorkam. Als sich der Kerl umdrehte, erkannte er Schorsch, also: Georg. Georg Bernburg wohnte im Erdgeschoß des Hauses, in dem sich auch Nikos Wohnung befand. Der Mann war Witwer, verrentet und eine wahre Frohnatur.



Seit Nikos Einzug vor ungefähr einem Jahr hatte Schorsch ihn bei ihren zufälligen Treffen an den Briefkästen oft auf ein Bier eingeladen. Der Mann wirkte sympathisch, daher war Niko irgendwann darauf eingegangen. Nach anfänglichem, oberflächlichem Geplänkel hatte Schorsch ihn direkt fixiert und gefragt: „Junge, du bist einsam, nicht wahr?“

Was blieb ihm ehrlicher Haut übrig als zu nicken? Niko erinnerte sich noch, dass sein Magen plötzlich zu einem Klumpen Eis gefror, in Erwartung der folgenden Frage nach einer Frau.

„Du bist ein hübscher Kerl. Warum schnappst du dir nicht einen netten Mann und wirst glücklich?“ Schorsch hatte fragend die buschigen Augenbrauen hochgezogen.

Im ersten Moment war Niko so perplex, dass er kein Wort sagen konnte. Dann kam die Erleichterung. „Bist du auch …? Woher weißt du …?“

„Nö. Ich bin voll lesbisch.“ Schorsch grinste. „Bei dir war das eine Vermutung, weil du dich gern aufrüschst. Hab nix dagegen, wenn jemand anders tickt. Jeder nach seiner Fasson.“

„Und was ist mit dir? Wieso hast du keine Frau?“ Niko bereute die Frage, gleich nachdem sie heraus war. Schorschs Miene verzog sich traurig. Sein Blick wanderte zu einer Fotografie, die gerahmt an der Wand hing.

„Amelie“, sagte er mit schleppender Stimme. „Sie war mein Augenstern. Über 40 Jahre waren wir ein glückliches Paar. Ich hab sie in der Schule kennengelernt und gleich nach dem Abitur geheiratet. Sie wollte Kinder.“ Er trank einen Schluck Bier und schwieg einen Moment. Etwas gefasster fuhr Schorsch fort: „Wir konnten keine haben, aber die Liebe war stärker als der Kinderwunsch. Vor vier Jahren ist sie einfach so gestorben. Ich freu mich auf den Moment, in dem ich sie im Jenseits wiedersehe.“



Kindergeschrei holte ihn ins Jetzt zurück. Sein Blick lag immer noch auf Schorsch, der sich gerade bückte und drei Kegel aufnahm. Einen nach dem anderen warf er in die Höhe und jonglierte überaus virtuos mit den Gerätschaften. Erstaunt sah Niko dem Schauspiel zu. Schorsch fing die Keulen auf, griff in seine Tasche und holte eine vierte hervor. Auch das Meisterstück, die vier Kegel durch die Luft zu wirbeln, beherrschte er perfekt. Niko bemerkte, dass die Augen vieler Badegäste auf Schorsch ruhten. Als sein Nachbar die Nummer beendete, applaudierten ein paar der Zuschauer. Schorsch bedankte sich mit einer leichten Verbeugung und ließ die Keulen auf den Rasen fallen. Anschließend machte er es sich auf seinem Badelaken bequem.

Niko raffte seine Sachen zusammen und marschierte auf Schorsch zu. „Das war der Wahnsinn“, stieß er bewundernd hervor.

Schorsch, der mit halbgeschlossenen Augen auf dem Rücken lag, sah zu ihm hoch und blinzelte einen Moment irritiert, bevor Erkennen in seinem Blick aufblitzte. „Na sowas! Hallo Niko. Mit der Brille hab ich dich fast nicht erkannt. Bist du schon länger hier?“

„Mhm. Hab da hinten unter den Bäumen gelegen.“ Niko wies mit dem Kinn in Richtung der Bäume, die die Wiese säumten. „Ganz schön heiß in der Sonne.“

„Ich kann das ab. Meine alten Knochen mögen Hitze.“

„Du siehst aus, als wenn du jeden Tag in der Sonne liegst.“

„Tue ich ja auch. Willst du dich nicht ein bisschen zu mir setzen?“ Schorsch klopfte einladend mit der flachen Hand auf das Gras neben seinem Handtuch.

„Einen Moment halte ich es wohl aus.“ Niko faltete sein Badelaken, legte es hin und nahm darauf Platz. „Ich hab Urlaub, deshalb bin ich überhaupt hier. Freibäder sind sonst nicht mein Ding.“

„Mhm. Irgendwie sieht man das.“ Schorsch musterte grinsend seinen blassen Körper. „Ein bisschen Bräune würde dir gut stehen.“

„Ich werde nur rot, nicht braun.“ Niko zog eine angewiderte Grimasse. „Du glaubst ja nicht, wie viele Sonnenbrände ich mir schon geholt habe.“

„Armer Kerl. Und? Hast du dich hier nach einem schnuckeligen Mann umgesehen?“ Mit liebevoller Neugier lächelte Schorsch ihn an. Irgendwie gefiel es Niko, dass der Nachbar sich wie ein väterlicher Freund um sein Wohl sorgte. Zwischen seinen Eltern und ihm herrschte Funkstille. Sie kamen mit seiner sexuellen Ausrichtung nicht klar.

„Hör bloß auf! Ich hab den Bademeister in einem Anfall von Übermut angemacht.“ Bei der Erinnerung an sein Verhalten schoss erneut Blut in seine Wangen.

„Echt?“ Schorsch drehte sich, auf einen Ellbogen gestützt, ganz auf die Seite. „Und? Ist er interessiert?“

„Das war ein Versehen und total peinlich.“ Niko rupfte verlegen ein paar Grashalme aus.

„Ach? Und was war daran peinlich?“

Er erzählte Schorsch die Sache mit dem Flutschfinger. Sein Nachbar fing natürlich an zu lachen, woraufhin Nikos Wangen noch heißer wurden. „Das ist nicht lustig! Der denkt jetzt bestimmt, dass ich zu den ganz großen Aufreißern gehöre.“

„Na, das ist doch ein Anfang“, meinte Schorsch glucksend. „Lade ihn auf einen Kaffee ein und die Sache ist geritzt.“

„Das kann ich nicht.“ Niko ließ den Kopf hängen.

Schweigend sah Schorsch ihn einen Moment an. „Soll ich es für dich tun?“, bot er leise an.

„Das fehlte noch! Wie sieht das denn aus?“, wehrte Niko hastig ab.

„Du könntest so tun, als wenn du ertrinkst“, sinnierte Schorsch. „Hey, das wäre doch die Idee! Vielleicht macht er sogar Mund-zu-Mund-Beatmung.“

„Oh Mann! Bei meinem Glück rettet mich eine der Frauen.“ Niko schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Lass mal. Ich denke, ich geh nach Hause.“

„Warst du heute überhaupt mal im Wasser?“ Wieder wurde er eingehend gemustert.

„Nein. Kann meine Sachen nirgendwo liegenlassen.“ Er holte ein T-Shirt aus der Tasche, zog es über den Kopf und stand auf. „Bist du morgen wieder hier?“

„Ich bin jeden Tag hier, sofern das Wetter einigermaßen ist.“

„Viel Spaß noch.“ Niko verstaute das Badelaken in der Tasche, schulterte sie und schlüpfte in seine Flipflops. „Vielleicht treffen wir uns ja mal wieder hier.“

„Das wäre nett.“ Schorsch ließ sich wieder auf den Rücken fallen.



Nikos Wohnung lag nur wenige Straßen entfernt. Ihm kam es vor, als würde er eine Wanderung durch die Sahara unternehmen. Unbarmherzig knallte die Sonne vom Himmel und nur wenige schattenspendende Bäume säumten die Straße. Falls er sich je wieder ins Freibad traute, sollte er sein Fahrrad benutzen. Radeln war weniger anstrengend als Laufen.

Wenigstens lag sein Balkon im Schatten. Niko machte es sich darauf bequem und entschied, dass er den Rest des Urlaubes einfach dort verbringen würde.



Dieser Vorsatz geriet schon am nächsten Tag ins Wanken. Niko brauchte nicht ständig Gesellschaft, war aber auch kein Einsiedler. Da er nun wusste, dass Schorsch im Freibad war, zog es ihn automatisch dorthin. Er redete gerne mit dem intelligenten lieben Mann und wenn er die Schwimmbecken mied, war doch alles in Butter. Der Bademeister würde wohl kaum auf der Liegewiese nach ihm Ausschau halten, außerdem war er bestimmt schon in Vergessenheit geraten. So einem sexy Kerl wurden sicherlich oft derartige Avancen gemacht.

Schorsch lag wirklich fast an der gleichen Stelle wie am Vortag und begrüßte ihn mit einem freudigen Lächeln. „Na, das ist aber schön. Wollte gerade anfangen mich einsam zu fühlen.“

„Quatsch. Du kennst hier doch bestimmt ganz viele Leute.“ Niko breitete sein Laken neben Schorschs aus.

„Ein paar. Mit dir plaudere ich aber lieber, als mit irgendwelchen Leuten, die ich nur vom Sehen kenne.“ Schorsch zwinkerte ihm zu. „Da hinten sind noch Plätze unter den Sonnenschirmen frei. Will ja nicht, dass du wegen meiner Sonnenanbeterei verbrennst.“

Angenehm überrascht nahm Niko das Badelaken wieder auf. Wenig später saß er in einem bequemen Liegestuhl im Schatten. Schorsch hatte seinen Stuhl so gerückt, dass er halb in der Sonne stand. In diesem Bereich hielten sich nur wenige Familien auf, da er fern des Nichtschwimmerbeckens lag. Die meisten Liegestühle waren von älteren Paaren belegt.

Niko döste in der Hitze vor sich hin. Ab und zu plauderten Schorsch und er ein wenig, wenn sein Nachbar nicht gerade schwimmen war. Das geschah ungefähr pro Stunde einmal. Niko gefiel die entspannte Stimmung und auch, dass es ständig etwas zu gucken gab. Das eine oder andere Sahneschnittchen fiel ihm ins Auge, doch keiner der Männer konnte dem Bademeister das Wasser reichen.

Gegen Mittag packte Schorsch einige belegte Brote aus und bot ihm welche davon an. Gegen die Bitte, hinterher ein Eis ausgeben zu dürfen, nahm Niko gern an, vor allem, weil die Stullen wirklich lecker zurechtgemacht waren. Dank einer Kühltasche waren die Salatblätter, Tomaten- und Gurkenscheiben, die zwischen den Scheiben klemmten, knackig statt welk.

Nachdem alles verputzt war, wandte sich Schorsch an ein älteres Pärchen in unmittelbarer Nähe. „Würden Sie so nett sein und ein Auge auf unsere Sachen werfen?“, bat er mit einem charmanten Lächeln.



Wie schon am Tag zuvor hatte sich eine lange Schlange vor dem Eisstand gebildet. Niko erschien ein billiges Wassereis nicht als Alternative, vor allem, da die Brote mit viel Liebe belegt worden waren. Schorsch zuckte angesichts der Wartenden nur gleichmütig die Achseln. „In der Ruhe liegt die Kraft“, meinte er, gab Niko einen Klaps gegen die Schulter und stellte sich in die Reihe.

Es ging nur schleppend voran. Niko war bewusst, dass sich der Stand in Sichtweite des Turms der Badeaufsicht befand. Krampfhaft vermied er es dorthin zu gucken und suchte unauffällig Deckung hinter Schorsch, der ein wenig größer als er selbst war. Sein Nachbar hingegen sah sich interessiert nach allen Seiten um, dabei grüßte er den einen oder anderen Badegast. Plötzlich schubste Schorsch ihm den Ellbogen in die Seite. „Ist er das? Ein Riese mit braunen Haaren und Schokoaugen?“

„Pssst!“, machte Niko. „Nicht so laut?“

„Also ist er es“, flüsterte Schorsch grinsend. „Er guckt gerade her.“

„Sieh nicht hin.“ Nervös trat Niko von einem Fuß auf den anderen.

„Er winkt.“ Wieder landete ein Ellbogen in seinen Rippen. „Wink mal zurück.“

Bestimmt war er inzwischen so rot wie ein Feuermelder. Niko wusste gar nicht, wo er hingucken sollte. „Bitte! Das ist entsetzlich peinlich“, zischelte er leise.

„Also, wenn ich nicht so schrecklich lesbisch wäre, würde mir das Bürschchen schon gefallen.“ Schorsch hob die Hand und winkte dem Bademeister zu.

Die vor ihnen stehenden Badegäste drehten sich um und musterten sie neugierig. Niko wäre am liebsten im Erdboden versunken. Wieder rückte die Schlange ein winziges Stück vor.

„Er guckt immer noch“, informierte ihn Schorsch.

„Bitte!“, flehte Niko erneut. „Willst du, dass ich vor Scham sterbe?“

Sein Nachbar drehte sich zu ihm um. „Tut mir leid. Ich dachte, ich helfe dir ein bisschen.“

„Wenn du nicht damit aufhörst, verkuppele ich dich mit …“ Rasch musterte Niko die Wartenden. „Mit der alten Dame da vorn.“ Er wies auf eine Grauhaarige, die sich gerade eine Kugel Waldmeistereis geben ließ.

Schorsch legte den Kopf schief, taxierte die Frau und begann breit zu grinsen. „Dann leg mal los, Junge.“

Niko kniff die Lippen zusammen und schwieg, bis sie an der Reihe waren. Schorsch bestellte drei Kugeln Eis mit Sahne, während er selbst sich mit zweien begnügte. Während sie den Rückweg antraten, leckte Niko an seiner Kugel Himbeereis. Sein Nachbar schob sich derweil einige Löffel Eis in den Mund und stoppte plötzlich. „Lass uns einen Umweg machen. Hab keine Lust mich jetzt schon zu den Grufties zu gesellen.“

„Grufties?“ Niko musste lachen, was ihm aber sofort verging, als Schorsch ihn in Richtung der Schwimmbecken dirigierte. „Nein! Nicht da lang!“

„Wir machen dein Bademeisterchen jetzt mal eifersüchtig.“ Sein Nachbar grinste hinterlistig. „Oder ich tu so, als wenn ich dir an die Wäsche will und du schreist um Hilfe.“

Schorsch war ein wahrer Quell mieser Ideen. Unwillkürlich musste Niko schmunzeln, dabei linste er zu dem Turm und stellte fest, dass sich nur eine Frau auf dessen Galerie befand. Er atmete auf. Vielleicht machte der Bademeister gerade Mittagspause oder Feierabend. Entspannt schlenderte er neben Schorsch her bis zu der Bank, auf der er am Vortag den Flutschfinger verspeist hatte. Sein Nachbar ließ sich auf die Sitzfläche plumpsen und streckte die langen Beine aus. Bis auf ein winziges Bäuchlein war er schlank. Er trug moderne Badeshorts, dazu Adiletten. Sein graues Haar war kurz und wirkte immer etwas unordentlich, was dem alten Herrn einen lausbübischen Charme verlieh. Während Niko neben ihm Platz nahm überlegte er, ob Schorsch tatsächlich Interesse an der Frau vom Eisstand hegte. Warum eigentlich nicht? Immerhin war er erst 66 und konnte noch gut und gern 34 Jahre auf der Erde weilen, bevor er seine Amelie wiedersah.

„Er kommt“, verkündete Schorsch und legte ihm überraschend einen Arm um die Schultern.

„Hä?“ Niko sah sich nach allen Seiten um. Besagter Bademeister stand vor dem Eingang der Halle. Kurz trafen sich ihre Blicke. „Mist“, nuschelte er. „Was nun?“

„Bleib ganz locker.“

Er spürte, dass Schorsch seine Schulter kraulte. Dieser alte Kuppler setzte den blöden Plan mit der Eifersucht wirklich in die Tat um. Mit einem genervten Stöhnen schloss Niko die Augen.



2.

Paul traute seinen Augen nicht. Der süße Kleine von gestern hatte einen Sugardaddy? Oder war das neben ihm sein Vater? Den Stammgast kannte er natürlich vom Sehen und hatte bisher noch keine schwulen Tendenzen feststellen können, aber das sollte ja nichts heißen. Gerade kraulte der Alte die Schulter des Süßen und der schloss die Augen und … stöhnte er etwa genüsslich? Wegen der Entfernung und des Lärms konnte Paul das nicht hören, doch die Lippenbewegung sah ganz danach aus. Automatisch wanderte sein Blick zu der schwarzen Badepants des Kleinen. Die war zwar gut gefüllt, aber nur mit weichen Teilen. Eine Erektion hätte Paul fachmännisch erkannt.

Missmutig kehrte er zum Turm zurück. Er hatte ihn nur für einen Toilettengang kurz verlassen. Dies war die letzte Saison als Bademeister für ihn. Im Herbst begann sein Referendariat und er hoffte, im folgenden Sommer endlich mal Urlaub machen zu können, anstatt Geld verdienen zu müssen. Es würde ihm schon reichen, einfach mal auf der faulen Haut zu liegen. Fünf Jahre Lernen und Jobben lagen hinter ihm und er sehnte sich nach einer Auszeit.

Bevor er das Studium begann, hatte er eine Tischlerlehre gemacht. Das war anfänglich sein Berufswunsch, der sich jedoch schon im zweiten Lehrjahr als Fehler herausstellte. Paul zog die Ausbildung trotzdem durch und schrieb sich erst danach an der Uni ein. Er gehörte zu den Menschen, die angefangene Dinge zu Ende brachten. Nun hatte er einen Abschluss und die Zusage für eine Referendarstelle in der Tasche. Bis gestern war er mit seiner Situation überaus zufrieden gewesen, dann hatte er den süßen Blonden entdeckt. Seitdem beherrschte der Kerl sein Denken und bescherte ihm feuchte Träume. Mit seiner inneren Ruhe war’s gänzlich vorbei. Ein Blick hatte gereicht und er war hin und weg.

„Hey, träumst du?“ Anja, seine Kollegin, stupste ihm gegen die Schulter. „Ich sagte, ich muss mal für kleine Königskobras.“

„Mhm. Okay.“ Paul zwang seine Aufmerksamkeit ins Jetzt zurück. Wenn er auf dem Turm stand, konnte er sich keine Träumerei erlauben. Entgegen dem allgemeinen Irrglauben, dass Bademeister lediglich herumstanden, erforderte der Job permanente Konzentration. Es reichte ein ertrunkener Badegast, um Pauls Leben für immer zu zerstören. Er könnte damit niemals fertigwerden und war daher auch froh, dass er den Job bald zu den Akten legen konnte. Vielleicht sahen das andere Kollegen weniger verbissen, aber er tickte eben so.

Bis Anja zurück war, warf er nur gelegentlich einen Blick auf das ungleiche Paar. Der Alte wirkte überaus zufrieden und immer wenn sich ihre Augen trafen, erschien ein – nach Pauls Meinung - provozierendes Grinsen auf seinen Lippen. Dagegen macht der Kleine einen ziemlich unglücklichen Eindruck. Irgendwann nahm der Sugardaddy seinen Arm weg, was Paul mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. Er sah es gar nicht gern, dass jemand den Süßen berührte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erklomm Anja die Stufen zur Plattform. Paul gönnte sich einen kleine gedanklichen Ausflug. Was genau hatte der Kleine gestern mit der Eisleckaktion bezweckt? War er scharf auf einen Fick zwischendurch? Der Alte machte einen gesunden Eindruck und war ganz gut in Form, doch wie es um dessen Libido stand, wusste Paul natürlich nicht. Die Vorstellung, dass der lederhäutige Sugardaddy sich auf dem süßen Blonden herumwälzte, verursachte ihm Magenschmerzen.

Irgendwann standen die beiden auf und gingen davon, wobei der Alte wieder den Arm um die Schultern des Kleinen schlang. Paul verfolgte das Paar mit Blicken, bis sie hinter dichtem Buschwerk verschwanden. Wahrscheinlich steuerten sie die Ruhezone mit den Schirmen an, wo sich auch ein Klohäuschen befand. Hatten sie vielleicht vor, in einer der Toilettenkabinen ein Nümmerchen zu schieben? Uah! Bloß nicht daran denken.

„Guck nicht so griesgrämig“, schimpfte Anja. „In der Babyoase ist irgendetwas los. Gehst du mal gucken?“

Paul war froh, dass er etwas zu tun bekam. Als er die Babyoase erreichte, einen abgezäunten Bereich mit Tischen, Schirmen, Stühlen und einem Planschpool, drang aufgeregtes Stimmengewirr an sein Ohr. Wie immer bei so schönem Wetter waren alle Plätze belegt und gerade echauffierte sich eine Frau darüber, dass ihr der Sonnenschirm geklaut worden sei. Manchmal kam Paul sich vor, als würde er in ein Haifischbecken tauchen, wenn er diese Zone betrat. Der Streit wurde schnell geschlichtet, indem er einen weiteren Sonnenschirm herbeischleppte. Die Mutter bedankte sich bei ihm mit einem klar verführerischen Lächeln, was jedoch an ihm abprallte. Sie war nicht die erste, die ihr Glück bei ihm versuchte und selbst wenn er offen seine Neigung zugab, ließen manche Weiber nicht locker. Einen Schwulen zu bekehren, rangierte anscheinend ganz oben in der Liste sexueller weiblicher Wunschträume.

Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, wanderten seine Gedanken zurück zu dem Kleinen. Ob er einen Gang über die Liegewiese wagen konnte? Nein. Anja war die einzige Aufsichtsperson auf dem Turm. Er durfte sie nicht länger

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Sissi Kaiserlos
Bildmaterialien: shutterstock Design Lars Rogmann
Tag der Veröffentlichung: 23.03.2015
ISBN: 978-3-7368-8885-2

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